Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3714: Die Rolle der Ex-Linken in der spanischen Los-Indignados-Protestbewegung


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die Rolle der Ex-Linken in der spanischen Los-Indignados-Protestbewegung

Von Robert Stevens
24. Juni 2011


Die Beendigung der Besetzung von Madrids wichtigstem Platz, des Puerta del Sol, durch die Bewegung der Los-Indignados ("die Empörten") nach mehr als drei Wochen bietet Gelegenheit, die Perspektive von Autonomie und politischer Abstinenz, die ihre Führung propagiert, noch einmal unter die Lupe zu nehmen.

Die Besetzungen in allen größeren Städten Spaniens waren durch die zunehmende Not und die wachsende Armut und Perspektivlosigkeit von Arbeitern und Jugendlichen ausgelöst worden. Sie wehrten sich gegen die Sparmaßnahmen der Regierung der spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) unter Jose Zapatero.

Der ursprüngliche Protest vom 15. Mai, nach dem die Bewegung oft M-15-Bewegung genannt wurde und aus dem die "Zeltstadt" auf dem Puerta del Sol hervorging, ging auf einen Aufruf zahlreicher Internet-Strömungen, einschließlich der Bewegung "reale Demokratie jetzt" zurück.

Während die Besetzungen eine wachsende Wut breiter Teile der Bevölkerung sowohl auf die PSOE, als auch auf die oppositionelle konservative Volkspartei (PP) widerspiegelten, stellten sie zu keinem Zeitpunkt eine Bedrohung für die Regierung dar.

Die größeren beteiligten Gruppen bestanden darauf, dass die Proteste sich auf das "Prinzip" gründeten, "führerlos" zu sein.

Es hieß, die Bewegung werde sich nicht von politischen Parteien vereinnahmen lassen. Stattdessen würden zahlreiche Kollektive bei selbst einberufenen Versammlungen in "horizontaler" Struktur über den zukünftigen Kurs der Proteste entscheiden.

Diverse pseudo-linke Gruppierungen haben sich unter dem Deckmantel dieser "unpolitischen" Haltung versteckt und sie dominiert, um die Bildung einer echten politischen Herausforderung der sozialen Konterrevolution der PSOE zu verhindern und die Arbeiterklasse weiterhin dem Würgegriff der Gewerkschaftsbürokratie auszuliefern.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Izquierda Anticapitalista (Antikapitalistische Linke - IA), die spanische Vertreterin der politischen Strömung, die als Pablismus bekannt ist.

Die Strömung brach in den 1950er Jahren mit dem Trotzkismus. Sie behauptete, dass die stalinistischen und sozialdemokratischen Bürokratien und verschiedene bürgerlich-nationalistische Bewegungen Vehikel zur sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft seien.

Jahrzehnte später halten viele Pablisten führende Positionen in Parteien inne, die versuchen, verschiedene Überbleibsel der alten stalinistischen und maoistischen Parteien im Bündnis mit der Gewerkschaftsbürokratie zu vereinigen

Kurz vor dem Ende des Puerta-del-Sol-Zeltlagers schrieb Esther Vivas, eine Führerin der IA in Katalonien und Mitglied der Redaktion der pablistischen Publikation "Viento Sur": "Die Bürgerbewegung, die seit dem 15. Mai den Puerta del Sol und andere Plätze in verschiedenen Städten Spaniens besetzt hat, hat die politische Debatte wieder auf die Straßen zurückgebracht und die Rolle der politischen Parteien infrage gestellt."

Dies ist eine Lüge. Zusammen mit Gruppen wie En Lucha ("Im Kampf") - der spanischen Schwesterorganisation der britischen Socialist Workers Party - haben die Pablisten aktiv mitgeholfen sicherzustellen, dass die Bewegung nie zu einer Gefahr für die politischen Parteien und die Gewerkschaften wurden, die die arbeitende Bevölkerung und die Jugend in eine solch verzweifelte Lage gestürzt haben.

Miguel Romero, Herausgeber von Viento Sur, gab der wichtigsten pablistischen Publikation International Viewpoint am 21. Mai ein entlarvendes Interview, das ihre entscheidende Rolle bei der Enthauptung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse skizziert.

Am 29. September 2010 unterstützten zehn Millionen Arbeiter, fast siebzig Prozent der gesamten Arbeiterschaft Spaniens, einen 24-stündigen Generalstreik.

Aus Angst, dieser massive Widerstand gegen die PSOE könne ihrer Kontrolle entgleiten, weigerten sich die Gewerkschaften anschließend, weitere Aktionen zu organisieren. Stattdessen einigten sie sich im Februar 2011 mit der Regierung von Jose Zapatero und der Arbeitgebervereinigung auf einen "großen Sozialpakt".

Der Pakt sieht die Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre bis 2013 vor. Er enthält Kürzungen im öffentlichen Sektor und bei Sozialausgaben, wie auch reaktionäre "Reformen" von Arbeitsschutzgesetzen.

Romero erwähnt die Feindseligkeit gegenüber den Gewerkschaften, insbesondere unter jungen Leuten. Er schreibt: "Sie führte jedoch zur Verärgerung der Jugend, die den "September"-Streik unterstützt und sich mit den Streikposten solidarisiert hatte usw.

Es breitete sich die Erkenntnis aus, dass von der Mehrheitsgewerkschaft nichts zu erwarten sei. Was die Minderheitsgewerkschaften angeht, wie die (stalinistische) CCOO, so haben sie nur untergeordnete Bedeutung."

"Anfang 2011 konnte man eine gewisse Spannung an den Universitäten bemerken", sagt er, bevor er hinzufügt: "Aber bei dem derzeitigen Stand der antikapitalistischen Linken, waren wir ziemlich pessimistisch." (Hervorhebung von WSWS)

Die "Antikapitalistische Linken" befürchtete vor allem, dass die Position der Gewerkschaftsbürokratie unterminiert werden könnte. Viele von ihnen haben sich komfortabel in der Bürokratie eingerichtet, die sich auf sie verlässt, wenn es darum geht, den Klassenkampf zu kontrollieren und zu unterbinden.

Ihre Reaktion sollte eine zentrale Rolle bei der Formulierung und Verkündung der pro-kapitalistischen Agenda spielen, die die Bewegung der indignados schließlich beherrschen sollte. Sie taten dies, indem sie beste Beziehungen zur Führung des Puerta-del-Sol-Zeltlagers pflegten.

Romero sagt: "In die Koordination sind etwa sechzig Leute involviert. Sie sind zwischen 25 und 28 Jahre alt. Es handelt sich um beruflich hochqualifizierte Hochschulabsolventen, Arbeitslose, Leute aus dem Prekariat, die unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden, politisch unerfahren und nicht an eine Organisation gebunden.

Es gab keine Studenten unter ihnen. Bei den Versammlungen gab es sehr wenige Jugendliche aus der Nachbarschaft."

Während die gesamte Bewegung breitere Teile der Madrider Bevölkerung umfasste, einschließlich vieler Studenten, ist Romeros Beschreibung der Führung der Bewegung akkurat.

Es war keine Bewegung der Arbeiterklasse, sondern sie stützte sich auf die von der Krise betroffenen Mittelschichten. Die Pablisten beschlossen, eifrig innerhalb dieser Gruppe zu arbeiten, um die breitere Bewegung von einer Konfrontation mit der Regierung und ihren Verbündeten in den Gewerkschaften abzubringen.

Romero erklärt: "Das Manifest (der M-15-Bewegung) war recht gut." Er beschreibt es als ein "Programm demokratischer und sozialer Reformen" und fügt hinzu: "Der Umweltschutz kommt darin vor, wenn auch nur am Rande. Es gibt kein ausgebildetes antikapitalistisches Bewusstsein. Der Ruf "A-a-anticapitalista" ist bei den Demonstrationen oft zu hören, aber ohne großen ideologischen Inhalt.(Hervorhebung durch WSWS)

Nichtsdestoweniger lobt Romero das Manifest nicht nur, sondern gibt auch zu, dass Izquierda Anticapitalista tatsächlich half, es zu formulieren und sogar in den Führungsgremien der angeblich "unpolitischen" Gruppen vertreten war, die angeblich zu seinen Verfassern zählen.

"Wir sind von Anfang an bei den Versammlungen dabei gewesen. Zuvor waren wir schon in der "Jovenes sin future"-Bewegung ("Jugend ohne Zukunft") präsent. Dann haben wir am Entwurf des Manifestes mitgearbeitet", stellt er fest.

Die Website von Jovenes sin future führt als Unterstützer unter anderem die stalinistisch geführte Vereinigte Linke (VI) und andere Gruppierungen an, einschließlich dem führenden Pablisten, Jaime Pastor.

Pastor trat der französischen Ligue Communiste Révolutionnaire (Revolutionäre Kommunistische Liga - LCR) unter Führung von Alain Krivine 1969 im Pariser Exil bei.

1971 half er, die spanische LCR zu gründen und spielte jahrzehntelang eine führende Rolle innerhalb der Bewegung. Als die spanische LCR 1995 der Vereinigten Linken beitrat, wurde Pastor Mitglied der nationalen Leitung.

Die Gründung der Izquierda Anticapitalista im Jahr 2008 war Teil eines internationalen Versuchs der Pablisten, sich organisatorisch von ihrem politisch desaströsen Bündnis mit den Stalinisten zu distanzieren.

2009 folgte die Umwandlung der französischen LCR in die Nouveau Parti Anti-Capitaliste (Neue Antikapitalistische Partei -NAP), die auf einen Aufruf zur Umgruppierung kleinbürgerlicher Strömungen hin erfolgte.

Das Manifest der los indignados-Bewegung ist auf die politischen Ziele der Pablisten zugeschnitten. Die PSOE wird nicht einmal beim Namen genannt.

Weder der Kapitalismus, noch das Versagen des Profitsystems werden erwähnt. Das Manifest stellt nur fest, "Unsere Regierung und unser Wirtschaftssystems kümmern sich nicht um diese (demokratischen und gesellschaftlichen) Rechte, und stellen in vieler Weise ein Hindernis für den menschlichen Fortschritt dar" (Hervorhebungen von WSWS hinzugefügt)

Es spricht von "unveräußerlichen Wahrheiten", und kritisiert das Wirtschaftssystem und "die politische Klasse, die uns nicht zuhört". Es schließt mit einem Aufruf zu einer "ethischen Revolution".

Romero fährt fort: "Wir haben sehr gute Beziehungen zu den nicht-sektiererischen autonomen Strömungen, die in der Bewegung sehr präsent sind. Im Allgemeinen ist es notwendig, sehr klug und zurückhaltend aufzutreten, insbesondere was die Selbstdarstellung angeht: Fahnen, Aufkleber usw."

Ihre "sehr guten Beziehungen" zu den "nicht-sektiererischen autonomen Strömungen" gründeten sich darauf, die eigene Identität und sein politisches Programm zu verschweigen.

Ultimatives Ziel dieses politischen Betruges waren jedoch die breiten Massen spanischer Arbeiter und Jugendlicher.

Sie sollten den Eindruck gewinnen, die von der M-15-Bewegung praktizierte "Autonomie" repräsentiere eine grundlegend neue Form der "demokratischen Selbstorganisation" und nicht einen Deckmantel für die Aktivitäten der verrotteten und korrupten Organisationen des politischen Establishments.

Die IA unterstützte mithilfe der französischen Pablisten die verschiedenen Internet-Kampagnen, über die die spanischen Medien ausgiebig berichteten.

Wer auch immer innerhalb dieser Bewegung die aufrichtige Absicht hatte, sich der PSOE entgegenzustellen, wurde durch das Verbot jeglicher Diskussion über politische Perspektiven und Programme daran gehindert.

An anderer Stelle in dem Interview sagt Romero: "Für unsere Strömung (jung, nicht sektiererisch, nicht doktrinär, eng mit den gesellschaftlichen Bewegungen verbunden) ist das eine Chance."

Im politischen Vokabular der Pablisten sind "nicht-sektiererisch" und "nicht-indoktriniert" klare Bekenntnisse: Sie zeigen, dass sie eine sozialistische und revolutionäre Bewegung gegen den Kapitalismus ablehnen und nicht bereit sind, die Parteien des Establishments und die Arbeiterbürokratie zu diesem Zweck zu bekämpfen.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2011 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 24.06.2011
Die Rolle der Ex-Linken in der spanischen Los-Indignados-Protestbewegung
http://www.wsws.org/de/2011/jun2011/span-j24.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2011