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GLEICHHEIT/3831: Klaus Ernst und Nichi Vendola bieten der EU ihre Hilfe an


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Klaus Ernst und Nichi Vendola bieten der EU ihre Hilfe an

von Johannes Stern
7. September 2011


In der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren steht die Linkspartei bereit, die Europäische Union, den Euro und den europäischen Kapitalismus zu retten. Dies war die Hauptbotschaft einer Veranstaltung der Linkspartei am Sonntag in Berlin.

Hauptredner auf dem Treffen der Linkspartei Kreuzberg, zu dem sich etwa hundert Personen (größtenteils Parteimitglieder) einfanden, waren der Vorsitzende der deutschen Linkspartei Klaus Ernst und Nichi Vendola, der Präsident der italienischen Region Apulien und Führer des Parteienbündnisses Sinistra Ecologia Libertà (SEL).

Im Mittelpunkt ihrer Redebeiträge stand die Warnung, dass "die offiziellen Regierungen der Krise in Europa nicht gewachsen" seien (Klaus Ernst) und deshalb eine starke neue europäische Linke notwendig sei, um Europa zu retten und wieder zu begründen (Nichi Vendola).

Das Treffen von Ernst und Vendola in Berlin ist von nicht geringer Bedeutung. Beide sind erfahrene Politiker, die jetzt gebraucht werden, um die von den Finanzmärkten geforderte Kürzungspolitik gegen die Bevölkerung durchzusetzen.

Klaus Ernst war hochrangiger Funktionär der Gewerkschaft IG Metall und von 1974 bis 2004 Mitglied der SPD, bevor er die WASG mitbegründete, um den Widerstand gegen die Hartz-IV-Reformen der rot-grünen Schröder-Regierung in harmlose Kanäle zu lenken. Seit 2007 ist er Mitglied der Linkspartei und seit 2010 deren Vorsitzender.

Ernst und die Linkspartei bereiten sich nun darauf vor, auch auf Bundesebene Regierungsverantwortung zu übernehmen und eine rechte Kürzungspolitik durchzusetzen. In Berlin, wo die Linkspartei als Partner der SPD seit zehn Jahren mitregiert, hat sie gekürzt und gestrichen wie keine andere Landesregierung.

Nichi Vendola ist als Sparpolitiker mindestens genauso erfahren wie Ernst. Er wurde 2005 Präsident von Apulien, als er der Mitte-Links-Koalition Romano Prodis beitrat und die Vorwahlen gewann.

Seine politische Laufbahn hatte Vendola 1972 im Jugendverband der stalinistischen Kommunistischen Partei (KPI) Italiens begonnen, deren Zentralkomiteemitglied er 1990 wurde. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung der KPI, der er sich bis zuletzt widersetzt hatte, gründete Vendola zusammen mit anderen Stalinisten Rifondazione Comunista.

Rifondazione wurde schnell zum Sammelbecken für alle möglichen Ex-Linken auf einer völlig prinzipienlosen Grundlage. Ihren wahren Charakter zeigte die Gruppierung, als sie 2006 in die Regierung Romano Prodis eintrat und dessen Kürzungs- und Kriegspolitik unterstützte. Nur zwei Jahre später wurde sie deshalb von den Wählern abgestraft und verpasste den Wiedereinzug ins Parlament.

Vendola reagierte auf diese Entwicklung mit einer weiteren Rechtswende. Er trat aus Rifondazione Comunista aus, um die SEL als Koalition aus Christdemokraten, Stalinisten, Umweltschützern und Ex-Radikalen zu gründen. Seitdem er in Apulien an der Macht ist, hat er weitgehende soziale Kürzungen durchgesetzt und gerade auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien, die Ausbeutung der Region durch einheimisches und internationales Kapital vorangetrieben. Vendolas Regierung vertritt so offen die Interessen der Wirtschaft, dass Emma Marcegaglia, die Präsidentin des Unternehmerverbandes Confindustria feststellte: "Vendola ist der beste Gouverneur in Süditalien, Apulien ist die Region mit dem besten Management."

Vendola wird als konsequenter Interessenvertreter der italienischen Bourgeoisie bereits als möglicher Nachfolger des aktuellen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gehandelt, dem die Durchsetzung der heftigen Sozialkürzungen immer weniger zugetraut wird.

Die Forderungen, die Ernst und Vendola in Berlin zur "Überwindung der Eurokrise" aufstellten, sind die konsequente Fortsetzung ihrer bisherigen Politik. Die schlugen Maßnahmen vor, die von allen bürgerlichen Parteien diskutiert und von der Finanzelite gefordert werden. Mit linker oder gar sozialistischer Politik haben sie nichts zu tun.

Ernst und Vendola sind nicht für eine Lösung der Krise im Interesse der Arbeiter und Jugendlichen, die die Enteignung der Banken und großen Konzerne und eine Demokratisierung der Wirtschaft zur Voraussetzung hätte. Ihnen geht es um den Erhalt der bestehenden Verhältnisse.

So forderte Ernst die Einführung einer europäischen Wirtschaftsregierung, die Ausgabe von Eurobonds und für hoch verschuldeter Staaten die Möglichkeit, sich Geld direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) zu leihen, um zahlungsfähig zu bleiben. Die Linkspartei und die europäische Linke seien "die einzige Kraft, die hinbekommen kann, dass Europa wieder funktioniert". Eine Voraussetzung für die Verwirklichung der angestrebten Politik seien "starke Gewerkschaften". Wegen der tiefen Krise gelte es nun sehr schnell zu handeln, "um das irgendwie in den Griff zu bekommen".

Auch Vendola zeigte sich beunruhigt über das Ausmaß der Krise und mahnte zum zügigen Aufbau "einer neuen Linken", die für Europa eine "Notwendigkeit" sei. Die Krise in Europa habe zu einem "Ende der alten Konzepte geführt". Das Modell des europäischen Sozialstaats, das nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert worden sei, fliege "in die Luft". Hörbar beeinflusst von postmodernen philosophischen Konzepten zeichnete Vendola die Zukunft Europas in apokalyptischen Bildern. Die "Erzählung Europas" verkehre sich in ihr Gegenteil, die Zukunft sei "nur noch eine Drohung" und Europa stünde vor "der Explosion".

Die derzeit Herrschenden seien "die am wenigsten geeignete Führungsklasse, die wir je hatten". Vendola fragte: "Wo ist ein Adenauer, wo ist ein Brandt? Wo sind die christ- und sozialdemokratischen Traditionen Europas?" Die traditionellen Kräfte Europas hätten ihr Eintreten für ein vereintes Europas aufgegeben, deshalb sei lediglich eine "neue politische Linke" in der Lage, dieses Projekt voranzutreiben, betonte Vendola.

Beide Politiker machten deutlich, dass diese "neue Linke" bereit ist, mit allen möglichen politischen Kräften zusammenzuarbeiten.

So verkündete Vendola: "Unsere Parteien werden nicht ausreichen, um unsere Politik voranzubringen." Ernst wies darauf hin, dass nun alle Parteien, auch die Konservativen, die Konzepte der Linkspartei aufgriffen. Bei einem Treffen zwischen ihm und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die Kanzlerin seine Standpunkte geteilt. Dies sei zwar "mit Vorsicht zu genießen", aber prinzipiell ein "Riesenfortschritt", sagte Ernst. Die Linkspartei habe "Durchschlagskraft in alle Schichten", und es gelte nun, ihre "Positionen in allen anderen Parteien weiter zu verankern".

Die Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsregierung und einer Stärkung der EU-Institutionen werden von der Mehrheit der Wirtschaftsvertreter und bürgerlichen Parteien in Europa unterstützt. So betonte Hans-Peter Keitel, der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung, dass der BDI ein "vehementer Verfechter der europäischen Integration" sei. Die Währungsunion dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden, auch wenn das viel Geld koste.

Am Montag sprach sich auch der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, vor 200 Bankern gegen Eurokritiker aus und forderte einen klaren pro-europäischen Kurs. "Wir müssen den Bürgern klar sagen, dass alle europäischen Staaten ohne die Europäische Union in einigen Jahren politisch wie wirtschaftlich nur noch Randfiguren in der Weltpolitik wären." Er vermisse in der "öffentlichen Diskussion bisweilen die größere Perspektive, die sich nicht nur auf die Aufrechnung von Hilfspaketen mit eingesparten Geldwechselgebühren beschränkt".

Die Haltung Keitels und Ackermanns unterscheidet sich ihrem Inhalt nach kaum von der Ernsts und Vendolas. In seiner Rede bekannte sich Ackermann sogar zu einigen kosmetischen Korrekturen der Finanzmärkte. Er stellte die "Sinnhaftigkeit manch moderner Finanzprodukte" in Frage. Die Bankenbranche müsse ihre "gesamte Tätigkeit" daraufhin prüfen, ob sie ihrer "genuinen Aufgabe als Diener der realen Wirtschaft gerecht" werde.

Eine europäische Wirtschaftsregierung wäre nichts weiter als ein Mechanismus zur Durchsetzung der von den Finanzmärkten geforderten Kürzungen. Sie würde verheerende Sparmaßnahmen, wie sie in Griechenland, Irland und Portugal bereits beschlossen wurden, auf ganz Europa ausdehnen und den einzelnen EU-Mitgliedern ihre Haushaltspolitik diktieren. Für die arbeitende Bevölkerung wäre dies ebenso verheerend, wie die von offen nationalistischen Kreisen vertretene Aufgabe des Euro.

Die deutsche Regierung wurde in den letzten Wochen massiv kritisiert, weil sie sich nicht konsequent für den Erhalt des Euro einsetze, Es gilt als unsicher, ob die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP bei der Abstimmung über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF am 23. September im Bundestag eine eigene Mehrheit erhält.Vor diesem Hintergrund wird in den Medien bereits über ein mögliches Scheitern der Koalition und eine Rückkehr von SPD und den Grünen an die Macht spekuliert.

Beide Parteien treten für eine europäische Wirtschaftsregierung ein - verbunden mit einem strikten Sparkurs. Die Linkspartei ist bereit, diesen Kurs zu unterstützen und falls nötig einer solchen Regierung beizutreten.

Erst vor wenigen Tagen erklärte Gregor Gysi, einer der führenden Köpfe der Linkspartei, in einem Sommerinterview mit der ARD, es sei ein Problem, "noch nie in der Bundesregierung gewesen" zu sein. Die Linkspartei habe so noch nicht nachweisen können, dass sie die Kompetenz habe, "gemachte Vorschläge auch umzusetzen".

Am Ende der Veranstaltung in Berlin gab Vendolas Antwort auf eine Publikumsfrage darüber Aufschluss, wie man solche "Vorschläge" praktisch umsetzt. Ein Mitglied der Linkspartei wollte wissen, wie er als Präsident von Apulien mit dem "Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Bewegung" umgehe. Die Linkspartei in Berlin sei wegen ihrer Regierungsverantwortung ebenfalls mit diesem Problem konfrontiert.

Vendola antwortete kurz und knapp, dass er nie versuche, alle soziale Bewegungen zu zwingen, seine Entscheidungen mitzutragen. Er benötigt sie, als linken Deckmantel. "Es wäre mein Untergang, wenn soziale Bewegungen aufhören würden, mich zu kritisieren." Die Berliner Linkspartei quittierte diese Antwort mit tosendem Applaus.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.09.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2011