Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3861: Volkswagenwerk in Tennessee setzt neuen Niedriglohnstandard


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Volkswagenwerk in Tennessee setzt neuen Niedriglohnstandard

von Andre Damon
1. Oktober 2011


Das neue Volkswagen-Werk in Chattanooga (Tennessee) machte in diesem Jahr Schlagzeilen: als erstes US-amerikanisches Auto-Montagewerk führte es für alle Fabrikationsbeschäftigten als untersten Einstiegslohn 14,50 Dollar pro Stunde ein, den niedrigsten Einstiegslohn aller US-Autoarbeiter.

Doch inzwischen hat das Werk damit begonnen, neu eingestellten Betriebsarbeitern nur noch zwölf Dollar Stundenlohn zu zahlen, wie Arbeiter sagten. Damit wird die Messlatte für die Löhne von Autoarbeitern noch niedriger gesetzt.

Um Landes-, Bundes- und kommunale Subventionen mitnehmen zu können, stellte Volkswagen im Jahr 2008 in Aussicht, vor Ort 2.000 "Volllohn"-Arbeitsplätze zu schaffen. Als aber die Produktion auf die volle Kapazität hochgefahren wurde, wurden alle neuen Produktionsarbeiter über Aerotek, Volkswagens hauseigenen Zeitarbeitsvermittler, zu einem Stundenlohn von zwölf Dollar angestellt. Neben der Stammbelegschaft in der Produktion beschäftigt die Fabrik über 500 Zeitarbeiter, teilten uns Arbeiter mit.

"Die Aerotek-Arbeiter in der Montage erledigen die gleichen Arbeiten wie die VW-Arbeiter. Sie arbeiten lediglich für eine andere Firma", sagt Josh, ein Zeitarbeiter. "Bei der Einführung wurde uns gesagt, dass wir VW-Arbeitern gleichgestellt würden, und man erwartet von uns, dass wir genau wie sie arbeiten."

Während die Disziplin für Volkswagen-Mitarbeiter bereits straff ist, trifft es die Aerotek-Arbeiter noch schlimmer. "Wenn du in der ersten oder zweiten Woche fünf, sechs Minuten zu spät kommst, fliegst du", sagt Josh. "Wenn du in den ersten anderthalb Monaten einen Tag frei nehmen musst, schmeißen sie dich raus", berichtet er.

"Wer über 'verwöhnte amerikanische Arbeiter' quasselt, liegt schwer daneben", schloss er.

Das Werk produziert den Volkswagen Passat, eine Mittelklasse-Limousine, die speziell für den US-Markt bestimmt ist. Durch die Verlagerung der Produktion nach Chattanooga konnte Volkswagen den Preis des Basismodells um 7.000 Dollar senken und es für 20.000 Dollar anbieten. Zusätzlich wurde das Auto wesentlich vergrößert und um diverse Funktionen wie eine Zwei-Zonen-Klimaanlage und eine Freisprechfunktion ergänzt.

Trotz beispielloser Niedriglöhne hatte das Werk keine Schwierigkeiten, die Stellen mit örtlichen Arbeitern zu besetzen. Die wirtschaftlichen Katastrophen der letzten zehn Jahre, als große Fabriken dicht machten, haben in Chattanooga Zehntausende erfahrener und qualifizierter Industriearbeiter in die Arbeitslosigkeit geworfen.

"Das sind die bestbezahlten Arbeitsplätze in ganz Chattanooga", sagte ein Volkswagen-Arbeiter, der uns bat, seinen Namen nicht zu nennen. "Du bist bereit, alles zu tun, weil du weißt, dass es Dutzende Leute da draußen gibt, die gerne deine Arbeit machen, wenn du sie nicht willst."

Auf die erste Ausschreibung von 1.500 Arbeitsplätzen erhielt Volkswagen über 35.000 Bewerbungen. Tausende Bewerber kommen kontinuierlich hinzu. Beim morgendlichen Schichtwechsel mischen sie sich in den Strom der uniformierten Volkswagen- und Aerotek-Arbeiter vor den Werkstoren.

"In den vergangenen drei Monaten haben 48 Arbeiter täglich ein achtstündiges Produktionssimulationsprogramm abgeleistet, weil sie hofften, einen Job im Werk abzukriegen", sagte Josh. "Das sind mehr als viertausend Menschen, die einen ganzen Tag verschwenden, um 500 Stellen zu besetzen", sagte er.

Zusätzlich zu den Hunderten Vertragsarbeitern von Aerotek erledigen Arbeiter weiterer Vertragspartner Service- und Bewirtungsdienste, welche noch niedriger bezahlt werden als die Zeitarbeiter in der Produktion; in einigen Fällen mit weniger als acht Dollar pro Stunde.

"Die Löhne sinken überall; in Detroit ist das der Fall und hier ist das auch der Fall", sagt Josh. "Doch was kann man machen? Zwölf Dollar die Stunde ist in dieser Gegend noch ein ziemlich guter Job."

Die Löhne in dieser Gegend sanken, weil die hohe Arbeitslosigkeit die Arbeiter zwingt, jede verfügbare Arbeit anzunehmen. "Für die Unternehmer ist das ein gutes Geschäft", meint Josh.

Josh hatte bei einem ansässigen Elektrounternehmen für 11,50 Dollar die Stunde gearbeitet, dann aber die Suche nach einer anderen Arbeit aufgenommen, als er erfuhr, dass seine Abteilung geschlossen würde. "Ich wusste, dass weitere Entlassungen kommen würden, also begann ich frühzeitig mit der Arbeitssuche", sagt er. "Ich musste mit ansehen, wie meine Kollegen zu Dutzenden entlassen wurden."

Josh sagte, dass zwei von den sieben Aerotek-Arbeitern aus seinem Team bei General Motors in Detroit entlassen wurden, wo sie 28 Dollar pro Stunde oder mehr verdienten. Sie zogen nach Chattanooga um als Zeitarbeiter mit zwölf Dollar die Stunde anzufangen.

Viele, die durch das mühsame Einstellungsverfahren von Volkswagen durchkommen, können die geistige und körperliche Erschöpfung, die der Produktionsprozess ihnen aufzwingt, nicht aushalten. "Zwanzig bis vierzig Leute pro Woche gehen wieder" sagt Josh. "Es ist ein sehr harter Job."

Während die Lackier- und Karosseriewerkstätten, wo viele der Zeitarbeiter anfangen, schon ordentliche Schwerarbeit verlangen, ist die Montage die härteste Abteilung des Werkes, erklären die Arbeiter. "Ich bin seit Anfang August hier und ich habe noch keine Autokarosserie berührt", sagt Josh. "Sie stellen sicher, dass du bereit bist, denn die Montagearbeiten sind absolut irrsinnig."

Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die Arbeit in der Fabrik suchen, wird abgewiesen. Einer von ihnen war John Mayo, 57, der derzeit als Service-Leiter in einem lokalen Jachthafen arbeitet. Mayo sagte, dass er im Hafen dreizehn Dollar die Stunde bekommt und sich bei Volkswagen wegen der Sozialleistungen beworben hatte.

"Sie schauten mich an und sagten 'er kann's nicht zwanzig Jahre lang machen'. Sicher, sie haben meine Erfahrung übersehen, aber so laufen die Dinge", ergänzte er.

Mayo nahm sich auf der Arbeit einen freien Tag, um an dem Bewerbungsverfahren, das fast den ganzen Tag beanspruchte, teilnehmen zu können. Fünf seiner Kollegen vom Jachthafen bewarben sich erfolglos um Arbeit im Werk. "Ich bin nicht auf der Suche nach Almosen - ich möchte nur einen anständigen Job", sagte er.

Mayo akzeptierte seine jetzige Arbeit trotz des "lächerlich geringen Lohns", weil er seinen früheren Job als Wartungs-Leiter in einem Bootsverkaufshaus verloren hatte und zum ersten Mal in seinem Leben arbeitslos war.

Daryl Okolley, der in einem einfachen lokalen Restaurant in der Nähe des Werks kellnert, versteht, warum die Leute von Volkswagen niedrige Löhne akzeptieren: "Es ist schwer, irgendwo hier in der Gegend eine menschenwürdige Arbeit zu finden."

Okolley war im Jahr 2001 einer von über tausend Arbeitern, die ihren Arbeitsplatz verloren, als Wheland Foundry, eine Automobil-Bremsstranggießanlage am südlichen Stadtrand von Chattanooga, geschlossen wurde. "Eines Tages wurden alle in die Aula gerufen und wir erfuhren, dass wir schließen. Etwa eine Woche später bekam ich einen Abschlussscheck über 161 Dollar, und das war's. "

Bevor er seine jetzige Arbeit antrat, arbeitete er zum Mindestlohn in einem Kentucky-Fried-Chicken-Restaurant. Zuvor hatte er in der Gießerei einen Dreizehn-Dollar-Stundenlohn. Er sagt weiter: "Es war eine ganz schöne Umstellung, um es gelinde zu sagen". Zum Gießereilohn sagt er: "Damals war es ein anständiger Job. Aber eine Familie kann man jetzt davon nicht mehr ernähren."


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2011 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 01.10.2011
Volkswagenwerk in Tennessee setzt neuen Niedriglohnstandard
http://www.wsws.org/de/2011/okt2011/vw-o01.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Oktober 2011