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GLEICHHEIT/3934: Berlusconis Rücktritt ermöglicht Banken, Technokratenregierung einzusetzen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Berlusconis Rücktritt ermöglicht Banken, Technokratenregierung einzusetzen

Von Stefan Steinberg
15. November 2011


Samstagabend gab Silvio Berlusconi seinen Rücktritt bekannt, nachdem beide parlamentarischen Kammern Hals über Kopf die von den Banken diktierten Sparmaßnahmen gebilligt hatten. Der Rücktritt des Regierungschefs ermöglicht eine so genannte Technokratenregierung unter Führung des Wirtschaftswissenschaftlers Mario Monti. Dies entspricht dem Diktat hoher Finanzkreise und ihrer Gremien, der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds.

Berlusconi hatte seinen Rücktritt vergangenen Dienstagabend angekündigt, nachdem er bei einer Abstimmung im Abgeordnetenhaus seine Mehrheit verloren hatte. Er nannte jedoch keinen Termin, sondern erklärte, er würde erst zurücktreten, wenn das italienische Parlament die von den Gläubigern geforderten Sparmaßnahmen verabschiedet hätte. Dies nährte Spekulationen, er könne eventuell noch bis zu vorgezogenen Neuwahlen im kommenden Februar im Amt bleiben.

Die internationalen Finanzmärkte reagierten sofort negativ. Am Mittwoch kletterten die Zinsraten auf italienische Staatspapiere auf über sieben Prozent, die kritische Marke, jenseits derer das Land seine Schulden nicht mehr zurückzahlen kann.

Unter starkem Druck von EU und IWF erzwang Staatspräsident Giorgio Napolitano daraufhin eine pauschale Zustimmung des italienischen Parlaments zu einem gewaltigen Sparpaket.

Es besteht grob gesagt in Stellenstreichungen, Kürzungen der Sozialleistungen und einer massiven Beschneidung des Arbeitsrechts. Schon am Freitag stimmte der Senat dem Paket mit 156 zu zwölf Stimmen zu. Am Samstag folgte die Abgeordnetenkammer, welche die Vorschläge mit 380 gegen 26 Stimmen guthieß. Daraufhin reichte Berlusconi seinen Rücktritt beim Präsidenten ein und verließ dessen Amtsitz durch einen Seitenausgang, um einer wütenden Menschenmenge aus dem Weg zu gehen. Bei der Nachricht seines Rücktritts brachen die Versammelten in Jubel aus.

Kurz vor diesem Schritt zu einer so genannten Technokratenregierung in Italien wurde vergangenes Wochenende schon in Griechenland eine ähnliche Regierung eingesetzt. Damit folgen diese zwei Länder dem Beispiel von Irland, Portugal, Spanien und der Slowakei, die alle ebenfalls im Laufe dieses Jahres die Regierung ausgetauscht haben. Jedes Mal erfolgte der Regierungswechsel aufgrund starken Drucks der Banken und führender europäischer und internationaler Finanzhäuser. Sie wollen Regimes an der Spitze dieser Länder sehen, die in der Lage sind, brutale Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Wie schon in Griechenland, gingen dem Abgang des italienischen Regierungschefs zahlreiche hektische Meetings voraus. Sie alle hatten nur ein einziges Ziel: das Vertrauen an den Börsen wiederherzustellen, ehe diese am Montagmorgen die Tore öffneten. Auf die Nachricht von Berlusconis Rücktritt reagierten führende Unternehmer, Finanziers, Politiker und Redakteure mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung. Seither lamentieren viele Kommentatoren der internationalen Presse und jener italienischer Zeitungen, die nicht direkt Berlusconi gehören, über zwei verlorene Jahrzehnte. Sie beschuldigen den Ex-Premier, er habe Italien diskreditiert und die politische Kultur des Landes in den Dreck gezogen.

Schon ein flüchtiger Bilck auf Berlusconis Karriere zeigt jedoch, dass er weniger die Ursache als das Ergebnis eines tiefen politischen Fäulnisprozesses war. Er verkörpert ein korruptes System, das zutiefst verkommen ist.

Berlusconi konnte nur deshalb Italien länger als jeder andere italienische Nachkriegspremier regieren, weil ihn konservative wie sozialdemokratische Politiker ganz Europas und der ganzen Welt so lange tolerierten.

Wenn der Milliardär Berlusconi seine eigenen Geschäftsinteressen und jene der Konzern- und Finanzelite seines Landes rücksichtslos auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung durchsetzte, dann handelte er lediglich nach der Maxime, die jede Regierung in Europa befolgt. Deshalb kamen die Politiker letztlich mit dem Mann, der jetzt in manchen Zeitungen als Europas "Clown-Prinz" tituliert wird, in jeder Hinsicht gut zurecht.

Berlusconis Partei war zunächst wenig mehr als ein Wurmfortsatz seines Geschäftsimperiums. Er konnte nur deshalb nach der Macht greifen, weil die offiziellen "Links"-Parteien und Gewerkschaften rasch zerfielen, - ein Prozess, der bei weitem nicht nur in Italien, sondern in ganze Europa und weltweit zu beobachten war.

In den 1970er Jahren machte sich Berlusconi als skrupelloser Geschäftsmann einen Namen, als er als Immobilienspekulant zu Reichtum kam. Schon damals galt er als Mensch mit Mafia-Verbindungen und bewegte sich in rechtsextremen Kreisen.

Ende der 1970er Jahre weitete er seine Geschäftsinteressen auf die Medien aus und gründete seine Mediengruppe Fininvest, die mehrere große TV-Sender und Tageszeitungen schluckte. Wie 1981 ruchbar wurde, war Berlusconi Mitglied der geheimen Freimaurerlooge P2, eine Verschwörung führender Italiener aus Politik, Armee und Polizei, die in Italien ein autoritäres Regime an die Macht bringen wollten.

Bei seinem Aufstieg genoss Berlusconi die tatkräftige Unterstützung des Generalsekretärs der italienischen Sozialistischen Partei und zeitweiligen Ministerpräsidenten Bettino Craxi. Die Craxi-Regierung verabschiedete 1984 ein Gesetz, das es Berlusconi ermöglichte, sein Medienimperium zu einem Großkonzern auszubauen. So erlangte er schließlich das faktische Monopol über das italienische Fernsehen.

Unter Craxis schützender Hand trat Berlusconi in die Politik ein, um sein Unternehmensimperium zu stärken und auszuweiten. Unter Einsatz staatlicher Subventionen sowie Schmiergelder stellte er sicher, dass die erforderlichen Gesetze verabschiedet wurden, die ihm den nötigen Freiraum für seine Geschäfte gewährten.

Berlusconis Aufstieg zum Premierminister war schließlich möglich als Ergebnis einer Kampagne der frühen 1990er Jahre, die den Namen "Mani Pulite" (Saubere Hände) trug. Die Kampagne unter Führung des Staatsanwalts Antonio Di Pietro richtete sich in erster Linie gegen die Korruption in Craxis Sozialistischer Partei, weitete sich aber schnell auf die gesamte italienische Nachkriegspolitik aus.

Die Kampagne, deren erklärtes Ziel darin bestand, den italienischen Augiasstall auszumisten, gipfelte schließlich im Aufstieg des unbestritten korruptesten und am meisten kompromittierten Nachkriegspolitikers von ganz Italien. Berlusconi führte zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg die italienischen Neofaschisten an die Macht, indem er sie 1994 zu seinen Koalitionspartnern machte.

Diese erste Berlusconi-Regierung dauerte kaum sieben Monate. Sie kollabierte nach einer Protestwelle gegen seine Maßnahmen und wegen Differenzen mit einem weiteren Koalitionspartner, der ausländerfeindlichen Lega Nord.

Später profitierte Berlusconi davon, dass die "Links"-Parteien der Opposition ständig weiter nach rechts gingen. Das waren die Parteien, die aus dem Kollaps der KPI entstanden waren, die Demokratischen Sozialisten (DS), ab 2001 die Demokratische Linkspartei, die sich ab 2009 in Demokratische Partei (PD) umbenannte, sowie Rifondazione Comunista (PRC), die eher ein Sammelbecken der stalinistischen Hardliner war.

1995-96 unterstützten diese Organisationen die arbeiterfeindliche Politik der Technokratenregierung des Wirtschaftsexperten Lamberto Dini. Darauf tolerierte Rifondazione die Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi (1996-98), an der sich die DS beteiligte, und die eine rechte Innen- und Außenpolitik verfolgte. Immer wieder behaupteten Rifondazione-Funktionäre, es sei nötig, die unsozialen und militaristischen Maßnahmen der Prodi-Regierung zu unterstützen, um eine Rückkehr von Berlusconi an die Macht zu verhindern.

Aber 2001 führte gerade die Enttäuschung über die rechte Politik der Prodi-Regierung und ihrer "linken" Unterstützer dazu, dass Berlusconi an die Macht zurückkehren konnte. Ein ähnlicher Verrat ermöglichte Berlusconi schließlich 2008 erneut die Rückkehr an die Macht.

Im gleichen Jahr wurde der frühere KPI-Funktionär Giorgio Napolitano zum 11. Staatspräsidenten erkoren. Er sollte während Berlusconis gesamter Amtszeit eine wichtige Mittlerrolle hinter den Kulissen spielen. Napolitano war 1945, direkt nach dem zweiten Weltkrieg, der KPI beigetreten.

Napolitano war es auch, der jetzt Berlusconis Rücktritt durchsetzte und der als neuen Regierungschef Mario Monti ernannte. Am Sonntag warnte Napolitano die Italiener, die Probleme könnten nur überwunden werden, wenn sie bereit seien, "Opfer" zu bringen. Er appellierte an alle Parteien, zusammenzustehen und die Maßnahmen der neuen Regierung zu unterstützen.

Berlusconi fiel bei der internationalen Politik- und Bankerwelt nicht deshalb in Ungnade, weil sein Reichtum zweifelhaften Quellen entsprang oder weil seine Politik gegen die Bevölkerung gerichtet war. Ganz im Gegenteil bestand sein Problem darin, dass er weder fähig noch willens war, der arbeitenden Bevölkerung jene Art brutaler Sparmaßnahmen aufzuzwingen, welche die Banken und Großinvestoren vor den Konsequenzen der europäischen Schuldenkrise bewahren soll.

Laut der Zeitung Corriere della Sera will Monti als Finanzminister Guido Tabellini in sein neues Kabinett aufnehmen. Tabellini (55) ist Wirtschaftsprofessor an der Bocconi-Universität, der Monti als Präsident vorsteht. Selbst der Posten eines Außenministers wird vielleicht einem Bankier anvertraut. Die Zeitung berichtet, neuer Außenminister des Landes werde Giuliano Amato werden, ein ehemaliger Premierminister, der heute als Berater der Deutschen Bank tätig ist.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.11.2011
Berlusconis Rücktritt ermöglicht Banken, Technokratenregierung einzusetzen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2011