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GLEICHHEIT/4108: Kinderarmut im Ruhrgebiet nimmt zu


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Kinderarmut im Ruhrgebiet nimmt zu

Von Elisabeth Zimmermann
7. März 2012


"Es gibt keinen Anlass zum Jubel. Wir haben in Deutschland nach wie vor eine skandalös hohe Kinderarmut." Mit diesen Worten stellte Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, am 29. Februar in Berlin eine von ihm mitverfasste Studie zum Thema "Arme Kinder, arme Eltern: Familien in Hartz IV" vor.

Die Studie setzt sich insbesondere mit der Behauptung auseinander, die Kinderarmut gehe zurück, die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und die Medien Ende Januar verbreitet hatten.

Bereits damals meldeten der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, und Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Zweifel an. Sie wiesen darauf hin, dass die Zahl von Kindern unter 15 Jahren seit 2006 in Deutschland um 750.000 abgenommen hat. Eine niedrigere absolute Zahl heiße also nicht, dass die Armutsrate gesunken sei.

Nach der neuen Untersuchung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands muss nach wie vor jedes siebte Kind unter 15 Jahren von Hartz IV leben, in Ostdeutschland sogar jedes vierte Kind. Der starke Rückgang der Arbeitslosenquote in den letzten Jahren hatte kaum Auswirkungen auf die Hartz IV-Quote.

Die Studie zeigt am Fall von Berlin, in dem jedes dritte Kind von Hartz IV lebt, wie man die Armutszahlen herunterrechnen kann:

"Auch in Berlin ging die Quote zwar über die Jahre zurück, doch dies ist in erster Linie der erfreulichen demografischen Entwicklung (d.h. dass mehr Kinder geboren wurden) und weniger dem tatsächlichen Abbau von Hartz IV zu verdanken. Die Fallzahlen von Kindern in Hartz IV gingen in Berlin gerade einmal um 2,5 Prozent zurück. Da jedoch die Gesamtzahl der Berliner Kinder gleichzeitig spürbar zunahm (+ 7,5 Prozent), fiel die Armutsquote im Ergebnis um 9,4 Prozent.

Hier wird der Zusammenhang zwischen demografischer Entwicklung und regionaler Armutsentwicklung besonders deutlich: Würden morgen in dem für seine Kinderfreundlichkeit bekannten Berliner Bezirk Prenzlauer Berg noch einmal 1.000 Kinder mehr zur Welt kommen, würde die Armutsquote in Berlin sinken, ohne dass in Berlin-Neukölln auch nur ein Kind aus Hartz IV herausgeholt würde."

Als besondere Problemregion beschreibt die Studie das Ruhrgebiet. Die Hartz-IV-Quote von Kindern liegt mit 25,6 Prozent höher als in den ostdeutschen Bundesländern. In Gelsenkirchen liegt sie bei 34,4 Prozent und damit noch höher als in Berlin.

Es gibt keine einzige Stadt im Ruhrgebiet, in der in der Zeit zwischen 2005 und 2010 ein Rückgang oder wenigstens eine Stagnation zu erkennen wäre. Besonders erschreckend war der Anstieg der Kinderarmut in Mülheim an der Ruhr auf 24,4 Prozent (Stand Dezember 2010) und in Hamm auf 22,7 Prozent. Hinter Gelsenkirchen sind die Städte Essen mit einer Kinderarmutsquote von 31 Prozent, Duisburg mit 29 Prozent und Dortmund mit 28,7 Prozent (jeweils Stand Dezember 2010) am stärksten betroffen.

Kinderreiche Familien (mit drei und mehr Kindern) sind mit 16,1 Prozent und Alleinerziehende mit 39,7 Prozent besonders stark von Armut und Hartz IV-Bezug betroffen. Jedes zweite Kind, das von Hartz IV abhängig ist, lebt in einem Alleinerziehendenhaushalt.

"Alleinerziehend zu sein ist das Armutsrisiko schlechthin", stellt die Studie fest. Und zwar vollkommen unabhängig vom Wohnort und dem wirtschaftlichen Umfeld. Selbst im reichen Bayern zählt die Hartz IV-Quote bei Alleinerziehenden 28 Prozent bei einer Hartz IV-Kinder-Quote von sonst nur 7,3 Prozent, und auch in Baden-Württemberg, wo die Hartz IV-Quote für alle Familien gerade einmal 8,6 Prozent beträgt, lebt jede dritte Alleinerziehende mit ihren Kindern von Hartz IV. In sechs Bundesländern - den ostdeutschen sowie Nordrhein-Westfalen und Bremen - ist sogar jede zweite Alleinerziehende auf Hartz IV angewiesen."

Die Studie bestätigt, dass es unmöglich ist, alle notwendigen Güter des täglichen Bedarfs von Regelsätzen zwischen 219 und 287 Euro zu bestreiten. Hartz IV bedeutet Mangel und Ausgrenzung, weil keine Mittel für Sportvereine, Musikunterricht, Ausflüge und Klassenfahrten oder andere Freizeitgestaltungen vorhanden sind.

Auch auf die erniedrigende Erfahrung vieler Niedriglohnarbeiter wird hingewiesen. Obwohl sie Vollzeit arbeiten, müssen sie ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken, weil es sonst nicht zum Überleben reicht.

"Ein regelrechter Skandal ist in diesem Zusammenhang, dass fast die Hälfte der rund 1,3 Millionen Aufstocker in Hartz IV, über 600.000 Menschen, in Haushalten mit Kindern lebt. 169.000 von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt und arbeiten Vollzeit. Sie haben zusammen rund 200.000 Kinder in ihren Familien; Kinder, die von früh auf lernen, dass ihre Eltern Tag für Tag von morgens bis abends arbeiten, nur damit es am Ende des Monats doch nicht reicht."

Der wachsenden Armut für einen großen Teil der Bevölkerung steht eine schwindelerregende Konzentration von Reichtum an der Spitze der Gesellschaft gegenüber. So ist die Anzahl der Vermögensmillionäre in Deutschland in den letzten Jahren auf 830.000 gestiegen. Laut dem "Global Wealth Report" der Beratungsfirma Boston Consulting gibt es aktuell 839 deutsche "Ultra-high-net-worth-households" mit einem Vermögen von jeweils mehr als 100 Millionen Dollar.

Die Bundesrepublik rangiert damit auf Rang zwei, hinter den USA und vor Saudi-Arabien, wie der Spiegel in seiner Titelstory der vergangenen Woche berichtet.

Weiter heißt es dort: Noch nie waren die Reichsten derart reich wie 2012. Über 100 Milliardäre zählt das manager magazin ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Und: "Noch nie öffnete sich die Kluft zur Normalbevölkerung so breit. Für die unteren 50 Prozent der Bevölkerung hat sich seit Jahrzehnten in puncto Einkommen kaum etwas verändert, wie neue Statistiken des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) belegen. Oben wurde dagegen kräftig dazu verdient."

Zu dieser Polarisierung zwischen Arm und Reich und der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben hat die Politik der letzten eineinhalb Jahrzehnte entscheidend beigetragen. Vor allem die Koalition aus SPD und Grünen hat die Armut durch die Einführung von Hartz IV verschärft und den Reichen durch die Senkung von Einkommens- und Kapitalertragssteuer zu noch mehr Wohlstand verholfen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.03.2012
Kinderarmut im Ruhrgebiet nimmt zu
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/arm-m07.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2012