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GLEICHHEIT/4141: Haushalt in Großbritannien - Umverteilung von Unten nach Oben


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Haushalt in Großbritannien
Umverteilung von Unten nach Oben

Von Julie Hyland
28. März 2012



Der Haushalt der konservativ-liberaldemokratischen Koalition zielt eindeutig darauf ab, das oberste Prozent auf Kosten aller anderen zu bereichern.

Zwei Jahre nach den härtesten Sparmaßnahmen seit den 1930er Jahren, die den Lebensstandard in den Keller gedrückt haben, kündigt Schatzkanzler George Osborne an, dass der Spitzensteuersatz von 50 auf 45 Prozent gesenkt werden soll.

Der Spitzensteuersatz von 50 Prozent gilt nur für die Einkommen über 150.000 Pfund (180.000 EUR) pro Jahr, d.h. nur für ein Prozent der Bevölkerung. Er war von der Labour-Partei im Jahr 2010 als vorübergehende Maßnahme eingeführt worden, und hatte zum großen Teil zum Ziel, die Aufmerksamkeit von der Bankenrettung in Höhe von vielen Milliarden Pfund abzulenken, mit welcher die Vermögen der Superreichen auf Kosten der Gesellschaft gerettet wurden.

Zum größten Teil haben die britischen Reichen es wie gewohnt geschafft, nicht mal annähernd soviel Steuern zu zahlen, wie sie hätten zahlen sollen, was vom Nachrichtensender Channel 4 News als "legale Steuervermeidung" bezeichnet wird. Trotzdem sind sie gegenüber jeder Verletzung ihres staatlich geschützten Reichtums äußerst empfindlich eingestellt und fordern seine zügige Rücknahme.

Osborne berief sich zynisch auf die umfangreiche Steuerflucht als Beweis dafür, dass der Spitzensteuersatz wertlos sei und weit weniger als die erwarteten 2,6 Milliarden Pfund eingebracht habe und deshalb abgeschafft werden sollte.

Er tat dies, obwohl Meinungsumfragen zeigen, dass zwei Drittel der Befragten für die Beibehaltung des Spitzensteuersatzes sind. Tatsächlich waren mehr als 90 Prozent dafür, dass die Reichen einer stärkeren Besteuerung unterliegen sollten.

Die Entscheidung der Regierung, der Meinung der Bevölkerung zu trotzen, veranlasste die Medien dazu, die Steuersenkung als "mutig" und "kühn" zu beschreiben.

Von noch größerer Bedeutung, wenn es um die weitere Bereicherung der Reichen geht, ist die Ankündigung Osbornes, die Unternehmenssteuer bis 2015 auf 23 Prozent zu kürzen. Das wäre eine Gesamtreduktion von 5 Prozentpunkte seit die Koalition ins Amt kam. Ein Steuersatz von 20 Prozent, der nun in greifbare Nähe rückt, könnte ein Magnet für ausländische Investoren sein, die sonst Irland oder Singapur den Vorzug geben könnten.

Gemäß Felicity Lawrence vom Guardian, wird das Finanzamt aufgrund dieses Schrittes zusammen mit größeren Änderungen bei der Besteuerung von im Ausland anfallenden Gewinnen von Tochtergesellschaften der multinationalen Unternehmen mit Sitz in Großbritannien, in den nächsten drei Jahren 20 Milliarden Pfund (24 Milliarden EUR) verlieren.

Die neuen Richtlinien sind der Beweis, falls überhaupt einer gebraucht wurde, wie stark die Politik von der Wirtschaft diktiert wird. Die multinationalen Konzerne haben die steuerlichen Änderungen selbst ausgestaltet, schrieb Lawrence. Unter der Labour-Regierung bestand eine Arbeitsgruppe zum Thema Unternehmenssteuerreform "fast ausschließlich aus Steuerverantwortlichen von Unternehmen mit einer großen Zahl von Offshore-Tochtergesellschaften", darunter Vodafone, Shell, GlaxoSmithKline und die Barclays Bank.

Die Koalition macht nun dort weiter, wo Labour aufgehört hat. Sie engagierte Robert Edwards, einen hohen Angestellten bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit Verantwortung für die Beratung "multinationaler Konzerne bei steuereffizienter grenzüberschreitender Finanzierung und Restrukturierung", für das Finanzministerium, um bei der Entwicklung der neuen Regeln zu helfen.

Steuersenkungen für die Superreichen werden von der Arbeiterklasse bezahlt werden müssen, insbesondere den Schwächsten, Rentnern und Sozialhilfeempfängern.

Unter dem Deckmantel der Vereinfachung der Renten, sagte Osborne, dass die altersbedingten Zulagen, die an die Hälfte der britischen Senioren bezahlt werden, eingefroren werden. Der als "Oma-Steuer" bezeichnete Vorschlag, von dem fünf Millionen Menschen betroffen sind, spart fünf Milliarden Pfund (sechs Milliarden Euro) ein und wird Rentner 60 bis 200 Pfund (70 bis 240 EUR) pro Jahr kosten.

Die Sozialhilfe wird bis ins Jahr 2016 ebenfalls um weitere zehn Milliarden Pfund (zwölf Milliarden EUR) gekürzt werden, was voraussichtlich einem geschätzten durchschnittlichen Verlust von 500 Pfund (600 EUR) pro Jahr für die achtzehn Millionen Menschen bedeutet, die Leistungen beziehen.

Diese Sparmaßnahmen kommen zu den bereits angekündigten achtzehn Milliarden Pfund im Sozialbereich hinzu. Schon vor dem letzten Haushalt hat die Regierung Pläne zur Kürzung der gesamten öffentlichen Ausgaben um 5,3 Prozent vorbereitet, ein weit höherer Betrag als es die konservative Thatcher-Regierung in den 1980er Jahren versucht hatte.

Fast jede zehnte Person hat ihre Arbeit seit der im Jahre 2008 ausgebrochenen Finanzkrise verloren. Hunderttausende von Arbeitsplätzen sind im öffentlichen Dienst verschwunden. Am Donnerstag wurde berichtet, dass der Personalstand im staatlichen Gesundheitswesen (National Health Service) von 2010 bis 2011 um fast 20.000 gesunken ist. Die Reduktion, die Teil der Pläne der Regierung zur Beschleunigung der Privatisierung des Gesundheitswesens ist, schließt den Verlust von 3.500 Arbeitsplätzen in der Krankenpflege mit ein.

Die Arbeitslosigkeit nähert sich der drei Millionen-Marke, mehr als eine Million der 16- bis 25-jährigen sind arbeitslos. Osborne nennt den Anstieg der Sozialkosten, der das Ergebnis der Sparpolitik der Regierung ist, als Rechtfertigung für noch größere Einschnitte bei den Sozialleistungen

Gemäß dem Institut für Finanzhaushaltsstudien (Institute for Fiscal Studies IFS), werden die Maßnahmen den durchschnittlichen Haushalt im nächsten Jahr mit 160 Pfund (190 EUR) weniger Einkommen belasten. Es schätzt, dass die Steuer- und Sozialreformen, die in den Jahren 2012-2013 umgesetzt werden, zu einer "Netto-Belastung in Höhe von etwa 4.1 Milliarden Pfund (4,9 Milliarden EUR) ... und für die Jahre 2013-14 auf etwa 9,8 Milliarden Pfund (370 £ pro Haushalt) anwachsen wird (11,7 Milliarden EUR, 442 EUR pro Haushalt)."

Das kommt zu den Kosten der indirekten Steuererhöhungen, wie dem Anstieg der Mehrwertsteuer (von 15,5 Prozent auf 20 Prozent) im vergangenen Jahr hinzu, "die im Ganzen über 12,8 Milliarden Pfund (15,3 Milliarden EUR) pro Jahr ausmachen".

"Die größten durchschnittlichen Einkommensverluste aus den Reformen für die Jahre 2012-13 als Prozentsatz des Einkommens werden diejenigen in der unteren Hälfte der Einkommensskala zu tragen haben", wobei Familien mit Kindern die am stärksten Benachteiligten sind, schrieb das IFS.

Die Liberaldemokraten stehen voll hinter den Maßnahmen, wie sie es bereits in allen anderen Fällen getan haben. Da im Mai Wahlen anstehen, behauptet die Partei, sie würde gegen die Steuersenkungen der Konservativen für die Superreichen opponieren, wobei sie einen Ausgleich verlange, der der arbeitenden Bevölkerung zugute kommt. Am Ende bot die Koalition als Beruhigungspille eine Steuer von sieben Prozent auf Häuser, die mehr als zwei Millionen Pfund (2,4 Millionen EUR) kosten und eine Anhebung des Mindestlohns, ab dem Steuern bezahlt werden müssen auf 9.250 britische Pfund (10.912 EUR). Solche Maßnahmen haben einen vernachlässigbaren Einfluss.

Noch bedeutsamer war die Ankündigung bezüglich der Arbeitslöhne. Die Vergütungen im öffentlichen Sektor sollen "lokalisiert" werden, so dass die Gehälter die "lokale Wirtschaft" reflektieren, bestätigte Osborne.

"Einige Abteilungen haben die Wahl, bei den Beamten auf lokale Löhne überzugehen, deren Lohnstopp Ende dieses Jahres abläuft", sagte er. Die neuen Tariflöhne könnten für 140.000 Beamte bereits im April und für die Gesamtheit des öffentlichen Sektors innerhalb von zwölf Monaten eingeführt werden.

Am Montag sagte Vince Cable, der Wirtschaftsminister der Liberaldemokraten, dass der nationale Mindestlohn für 16- bis 20-Jährige eingefroren werden soll. Der Mindestlohn für 18- bis 20-Jährige bleibt bei 4,98 Pfund (5,95 EUR) pro Stunde und in der Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen bleibt er bei gerade mal 3,68 Pfund (4,40 EUR). Die Bezüge bei so genannten Jugend-Lehrstellen werden um fünf Pence auf 2,65 Pfund (3,17 EUR) pro Stunde erhöht.

Die Maßnahmen der Regierung sind provokativ. Aber sie kann damit fortfahren, da sie weiß, dass sie keine ernsthafte Opposition von der Labour Partei oder den Gewerkschaften zu befürchten hat. In der Tat konnte Osborne argumentieren, dass die Fragmentierung der Löhne im öffentlichen Dienst ursprünglich von der Labour-Regierung vorgeschlagen wurde. Zwar äußerte die Labour Partei Kritik an Aspekten des Staatshaushalts, aber sie weigerte sich zu sagen, ob sie den 50-prozentigen Spitzensteuersatz wiederherstellen würde.

Der Haushalt wurde nur wenige Tage nach der vollständigen Kapitulation der Gewerkschaften in ihrem angeblichen Kampf gegen den Angriff auf die Renten im öffentlichen Sektor bekanntgegeben. Es wird am 28. März keinen landesweiten Streik geben, wie es zuvor von den beteiligten Gewerkschaften angedroht worden war, nachdem eine nach der anderen einen Deal mit der Regierung ausgehandelt hat.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 28.03.2012
Haushalt in Großbritannien - Umverteilung von Unten nach Oben
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2012