Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/4142: DGB-naher Arbeitsrechtler greift Spartengewerkschaften und Streikrecht an


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

DGB-naher Arbeitsrechtler greift Spartengewerkschaften und Streikrecht an

Von Johannes Stern
28. März 2012



Am vergangenen Samstag veröffentlichte die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung Süddeutsche Zeitung (SZ) einen Kommentar von Professor Bernd Rüthers, der "neue Regeln" für den Arbeitskampf fordert. Rüthers greift in seinem Artikel nicht nur die kleineren "Spartengewerkschaften" an, sondern stellt offen deren Streikrecht in Frage.

Rüthers ist ein emeritierter Professor für Zivilrecht und Rechtstheorie an der Universität Konstanz, der in seiner Karriere unter anderem für die Bundesregierung gearbeitet hat, sowie für einige Jahre Mitglied des arbeitsrechtlichen Beraterkreises beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) war.

Ausgangspunkt für Rüthers Argumentation sind Streiks von "Funktionseliten", die in den letzten Jahren "spektakuläre Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen" erzielt hätten. Er beklagt, dass die kleinen Gewerkschaften der Lokführer (GdL), des Cockpitpersonals (Cockpit) oder jüngst die Vorfeldmitarbeiter des Frankfurter Flughafens (GdF) in der Lage seien, "die Arbeitgeber zum Nachgeben [zu] zwingen."

In Wirklichkeit gab es in keinem der Arbeitskämpfe, auf die sich Rüthers bezieht "spektakuläre Verbesserungen." Die eher konservativen Berufsverbände, die die Streiks der Lokführer oder Vorfeldlotsen organisierten, wurden jedes Mal von der Regierung, von Gerichten und von den DGB-Gewerkschaften heftig attackiert und gaben sich mit sehr moderaten Ergebnissen zufrieden. Keine dieser Kleingewerkschaften war bisher bereit, der Sparpolitik der Regierung entschlossen entgegen zu treten.

Für Rüthers ist jedoch schon die Tatsache, dass diese kleinen Gewerkschaften in einen "Konkurrenzkampf" mit den DGB-Gewerkschaften treten und deren Tarifkartell in Frage stellen, inakzeptabel. Die Tarifhoheit des DGB dient seit Jahren dazu, Kürzungen gegen die Arbeiter durchzusetzen und ihnen Knebelverträge aufzuzwingen. Allein der Gedanke, dass Arbeiter diese Zwangsjacke der DGB-Gewerkschaften durchbrechen und durch einen Streik ihre Interessen durchsetzen, ist aus Sicht des Professors unzulässig. Er fragt: "Gesellschaft und Staat sind erpressbar. Was kann man dagegen tun?"

Ganz Jurist fordert Rüthers eine gesetzliche Regelung. Die Gesetzgebung könne "nicht untätig zusehen" wenn Spartengewerkschaften öffentliche Arbeitgeber oder unbeteiligte Dritte schädigen.

Er greift das Bundesarbeitsgericht an, das das Streikrecht gelockert und so "mutwillige Streiks" erleichtert habe. Vor anderthalb Jahren hatte das Gericht kleineren Gewerkschaften die Existenzberechtigung zugesichert und mehr Aktionsfreiheit eingeräumt.

Aus Sicht des Professors zwinge die Erfahrung mit den Spartengewerkschaften jedoch zur Frage, "ob für den Bereich der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und die Sicherung fundamentaler Bürgerrechte im Bereich der Daseinsvorsorge der Arbeitskampf noch ein geeignetes Mittel der Tarifautonomie ist." Es sei zu prüfen, "ob der Arbeitskampf durch andere Formen des Interessenausgleichs abzulösen ist". Als "Ersatz" schlägt er "gesetzlich eingerichtete, von den Tarifparteien paritätisch besetzte Schlichtungsausschüsse" vor, "deren Spruch für beide Parteien bindend wäre."

Rüthers versucht seine Thesen juristisch vorsichtig zu formulieren. Im Kern ist seine Argumentation jedoch ein Frontalangriff auf die Spartengewerkschaften und auf das Streikrecht im Allgemeinen. "Schlichtungsausschüsse" würden aus der Arbeitgeberseite und den ihnen hörigen Vertretern der DGB-Gewerkschaften bestehen und den Arbeitern die Kürzungen diktieren. Arbeiter sollen gesetzlich verpflichtet werden, das Lohndiktat zu akzeptieren. Streiks dagegen wären verboten.

Die Großgewerkschaften und die Arbeitgeber arbeiten seit längerem daran, genau dies durchzusetzen. Im vorletzten Absatz seines Kommentars bezieht sich Rüthers explizit auf die vom DGB und der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BVDA) gemeinsam geforderte "Tarifeinheit".

Einen ersten Gesetzentwurf zur "Tarifeinheit" hatten der DGB-Vorsitzende Michael Sommer und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt im Juni 2010 präsentiert. Sommer machte damals unmissverständlich deutlich, dass die gemeinsame Initiative das Ziel verfolgt, möglichen Widerstand gegen die Folgen der Wirtschaftskrise und die damit verbundenen sozialen Angriffe im Keim zu ersticken.

Sommer bezeichnete die angestrebte Tarifeinheit als "Stabilitätsanker" und betonte: "Die Gewerkschaften und die Arbeitgebervertreter übernehmen Verantwortung in der Krise. Sie arbeiten zusammen, wo dies möglich und nötig ist." Hundt ergänzte, dass die Tarifeinheit "unverzichtbar" sei, "weil wir uns nicht mehrfach und dauernd Tarifkonflikte in den Betrieben leisten können."

Als erfahrener Jurist weiß Rüthers, dass der Gesetzentwurf von Hundt und Sommer in scharfem Gegensatz zu gesetzlich verbrieften demokratischen Grundrechten steht.

Das Recht auf Koalitionsfreiheit und Streik wird von der UNO, der europäischen Menschenrechtskonvention und dem Grundgesetz zugesichert. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gewährt ausdrücklich und für jedermann das Recht, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden", die ihrerseits das Recht haben, "Arbeitskämpfe zu führen."

Rüthers beendet seinen Kommentar mit dem Hinweis, dass bisher gerade der DGB und die Arbeitgeberverbände eine gesetzliche Regelung des Arbeitsrechts verhindert haben. Er warnt davor, dass die Stärkung der Großverbände auch "die verfassungsmäßige Grundordnung durch den Einsatz von Verbandsmacht in Frage stellen" könne. Er ist für starke Gewerkschaften als Ordnungsmacht, aber gegen Gewerkschaften als Interessenvertretung der Beschäftigten.

Rüthers Kommentar in der SZ ist Bestandteil einer intensiven Kampagne gegen die Spartengewerkschaften und das Streikrecht. Neben den bürgerlichen Medien und den Arbeitgeberverbänden ist der DGB dabei die treibende Kraft.

Beim Streik der Vorfeldbeschäftigten am Frankfurter Flughafen organisierte Verdi eine Hetzkampagne gegen die streikenden Arbeiter. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warf den in der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) organisierten Lotsen vor, den Betriebsfrieden zu gefährden und ging so weit, die Fraport-Geschäftsleitung aufzufordern, "den überzogenen Forderungen der GdF keinesfalls nachzugeben." Verdi drohte damit selbst zu streiken, falls Fraport dem Druck der Streikenden nachgeben sollte.

Die Offensive des DGB, der Arbeitgeberverbände und ihrer Unterstützer in Medien und Politik für eine gesetzliche Einschränkung des Streikrechts ist Bestandteil der Vorbereitung auf massive soziale und politische Angriffe. Jeder Kampf zur Verteidigung von Löhnen, Sozialstandards und demokratischen Rechten soll unterdrückt und kriminalisiert werden.

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2012 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 28.03.2012
DGB-naher Arbeitsrechtler greift Spartengewerkschaften und Streikrecht an
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/stre-m28.shtml
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2012