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GLEICHHEIT/4470: US-Präsidentschaftswahlen - Enttäuschte und unzufriedene Wähler


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

US-Präsidentschaftswahlen:
Enttäuschte und unzufriedene Wähler

Von Joseph Kishore
9. November 2012



Eine erste Analyse der Wahlen vom Dienstag zeigt, dass diese US-Präsidentschaftswahlen eins gemeinsam haben, was jedoch in den amerikanischen Medien kaum beachtet wird: Das ist der erstaunliche Rückgang der Wahlbeteiligung, besonders bei Präsident Barack Obamas Wählern. Mehr als sonst irgendetwas drückt die Abstimmung die Tatsache aus, dass die Wählerschaft tief desillusioniert ist und sich vom gesamten Zweiparteiensystem immer stärker abwendet.

Die Medien und besonders die liberalen und "linken" Anhänger der Demokratischen Partei stürzten sich sofort auf die Wiederwahl Obamas und bejubelten sie als einen großen Triumph. Die Wahlanalyse der International Socialist Organisation beginnt zum Beispiel mit den Worten: "Barack Obama wurde dank einer starken Beteiligung der Kerntruppen der Demokratischen Partei überall dort wiedergewählt, wo es darauf ankam."

Tatsache ist aber, dass Obamas Gesamtstimmenzahl überall deutlich zurückgegangen ist. Millionen Amerikaner gingen erst gar nicht zur Wahl. Von dem Enthusiasmus von 2008, als Obama auf einer Welle von Feindschaft gegen die Bush-Regierung ins Amt gespült wurde, ist nicht viel übrig geblieben.

Obama hat 2012 insgesamt etwa neun Millionen Stimmen oder 13 Prozent weniger bekommen als 2008, 60,5 Millionen statt 69 Millionen Stimmen. Romney erhielt nur 57,5 Millionen Stimmen, 2,5 Millionen weniger als John McCain 2008. D.h. Obama erhielt diesmal nur knapp mehr Stimmen als sein Republikanischer Gegner vor vier Jahren.

Die Wahlen waren vom Einsatz massiver Geldmittel bestimmt. Die Wähler wurden neun Monate lang mit endlosen Wahlwerbespots und Medienkommentaren berieselt. Die Zahl der Wahlberechtigten hat in den letzten vier Jahren deutlich zugenommen, aber die Zahl der tatsächlichen Wähler ist um elf Millionen zurückgegangen. Besonders auffällig war die Entwicklung in Kalifornien, einer Bastion der Demokratischen Partei, wo die Zahl der abgegebenen Stimmen von 13,2 Millionen auf nur noch 9,2 Millionen in 2012 fiel und Obama dieses Jahr über eine Million weniger Stimmen erhielt, als der Demokratische Kandidat John Kerry 2004.

Laut einem Beobachter, Curtis Gans vom American University´s Center for the Study of the American Electorate, ging die Wahlbeteiligung in allen Bundesstaaten zurück. "Das war national ein deutlicher Rückgang", merkte er an.

Der scharfe Rückgang der Stimmenzahl für Obama bei seiner Wiederwahl ist fast ohne Beispiel in der Geschichte der amerikanischen Politik. Es ist tatsächlich außerordentlich selten, dass ein Präsident bei seiner Wiederwahl weniger Stimmen bekommt als bei seiner ersten Wahl. George W. Bush erhöhte seine Stimmenzahl zum Beispiel von 50 Millionen 2000 auf 62 Millionen 2004. Clinton erhöhte seine Stimmenzahl von 45 Millionen 1992 auf 47,5 Millionen 1996. Reagan erhöhte seine Stimmenzahl von 44 Millionen 1980 auf 54,5 Millionen 1984.

Das letzte Mal, als ein Präsident bei seiner Wiederwahl weniger Stimmen erhielt, war 1944 und 1940, als Franklin D. Roosevelt zum dritten und vierten Mal kandidierte, und sein riesiger Vorsprung auf seine Republikanischen Herausforderer von 1932 und 1936 ein wenig abschmolz.

Der Vergleich mit Franklin Delano Roosevelt (FDR) ist noch aus einem anderen Grund lehrreich, um das Ausmaß und die Bedeutung des Einbruchs Obamas zu verstehen. 1936 wurde Roosevelt mitten in der Großen Depression für eine zweite Amtszeit wiedergewählt, sieben Jahre nach dem Wall Street Krach von 1929. Bei der Wahl erhöhte FDR seine Stimmenzahl von 23 Millionen auf 28 Millionen. Sein Republikanischer Gegenkandidat Alf Landon bekam nur 36,5 Prozent der gesamten Stimmen und errang mit seinen Siegen in nur zwei Bundesstaaten nur acht Wahlmänner. Bei den nächsten beiden Wahlen gingen die Stimmen für Roosevelt auf 27,3 Millionen und dann auf 25,6 Millionen zurück.

Ähnlich wie FDR wurde Obama inmitten einer tiefen Wirtschafts- und sozialen Krise gewählt und übernahm das Amt von dem verhasstesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte, George W. Bush. Im Gegensatz zu FDR ist es ihm jedoch gelungen in vier Jahren fast den gesamten Vorsprung zu verspielen, den er gegenüber seinen Republikanischen Gegenspielern hatte.

Der wesentliche Grund für die unterschiedlichen Wahlergebnisse der beiden Kandidaten ist der, dass FDR damals bedeutsame Sozialprogramme auf den Weg brachte. Getrieben wurde er dabei von der Furcht vor sozialer Revolution, und die Umsetzung ermöglichten die damals noch beträchtlichen Möglichkeiten des amerikanischen Kapitalismus. Im Gegensatz dazu hat Obama die vier Jahre im Amt damit zugebracht, die rechte Politik seines Vorgängers noch auszuweiten und zu verschärfen.

Infolgedessen war Obama gerade noch knapp in der Lage, einen Republikanischen Kandidaten zu besiegen, der die Gier der Finanzaristokratie, die für die größte Wirtschaftskrise seit der Großen Depression verantwortlich ist, besonders krass und offen repräsentiert.

Das Wahlergebnis ist nicht nur Ausdruck des politischen Bankrotts der Obama-Regierung, sondern der Krise des gesamten Zweiparteiensystems. Beide Parteien fühlen sich den Interessen einer winzigen Finanzaristokratie verpflichtet, die der amerikanischen Bevölkerung nichts zu bieten hat als Austerität, Krieg und Zerstörung demokratischer Rechte.

Wer von beiden jetzt gewählt worden ist, spielt keine Rolle: So oder so wird die gleiche Politik fortgesetzt. Obama führt Bushs Politik fort, und Romney hätte in allen wesentlichen Punkten die Politik Obamas fortgesetzt, wenn er gewählt worden wäre.

Seit der Wahl beherrscht ein Thema die Medien und das politische Establishment, angefangen mit Obama. Das ist die Forderung nach "parteiübergreifender Zusammenarbeit", was eine gemeinsame Offensive beider Parteien gegen die Arbeiterklasse bedeutet. Das Wahlergebnis beinhalte ein "Mandat" für Demokraten und Republikaner, zusammenzukommen und "die Probleme des Landes zu lösen".

Am Dienstagabend erklärte Obama: "Ich freue mich darauf, mit den Führern beider Parteien zusammenzuarbeiten, um die Herausforderungen anzunehmen, die wir zusammen lösen können". Das beginnt mit der Notwendigkeit, "das Defizit zu senken". Obama erklärte, ganz oben auf seiner Liste stehe eine Vereinbarung zur Kürzung von Billionen Dollar bei Medicare, Medicaid und anderen Sozialprogrammen, um die "Haushaltsklippe" am Ende des Jahres zu meistern. Am Mittwoch versicherten auch führende Republikaner, sie seien entschlossen, zu einer Übereinkunft zu kommen.

Entsprechend der offiziellen Interpretation der amerikanischen Politik, wie sie die "Linken" wie die Rechten teilen, unterscheidet sich die Bevölkerung nach Kriterien wie Hautfarbe, Geschlecht, Ethnizität und sexueller Orientierung. Obama hat nach seiner eigenen Analyse die Wahl gewonnen, weil er die "Stimmen der Frauen" oder "die Stimmen der Hispanics" gewonnen hat. Die Klassenzugehörigkeit wird nie erwähnt. Dabei ist sie die entscheidende Frage.

Von größter Bedeutung bei der Wahl vom Dienstag war die Erkenntnis, dass die Arbeiterklasse sich immer stärker vom gesamten Politikbetrieb abwendet. Und das aus gutem Grund. Enorme gesellschaftliche Spannungen bauen sich in den Vereinigten Staaten auf, die ihre Ursachen in einer sozialen Ungleichheit haben, wie es sie seit den 1920er Jahren nicht mehr gegeben hat. Aber diese Spannungen können sich im Rahmen der Wahlen nicht entladen.

Wenn in den kommenden Monaten Kämpfe der Arbeiterklasse ausbrechen, dann werden sie zunehmend in Konflikt mit dem gesamten politischen System geraten, unter anderem auch mit den liberalen und pseudolinken Organisationen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, die politische Vorherrschaft der Demokratischen Partei zu retten. Die Opposition wird und muss eine andere Form annehmen: die Form einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 09.11.2012
US-Präsidentschaftswahlen: Enttäuschte und unzufriedene Wähler
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2012