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GLEICHHEIT/5307: EU will Frankreichs Haushalt 2015 zurückweisen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU will Frankreichs Haushalt 2015 zurückweisen

Von Kumaran Ira und Alex Lantier
22. Oktober 2014



Am Montag fuhren der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und Finanzminister Michel Sapin nach Berlin, um über deutsche Unterstützung für den französischen Haushaltsplan 2015 zu diskutieren. Dieser Haushalt sieht für das kommende Jahr ein Defizit von 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor und überschreitet damit die von der europäischen Union gesetzte Grenze. Dem Haushaltsentwurf droht eine mögliche Ablehnung durch die Europäische Kommission.

Paris legte vergangenen Mittwoch der Europäischen Kommission den Haushalt zur Genehmigung vor. Obwohl die Regierung der Sozialistischen Partei darin Sozialkürzungen (darunter Radikalstreichungen bei Familienleistungen und Kommunalausgaben) in Höhe von 50 Milliarden Euro plant, könnte die Europäische Kommission ihn ablehnen und weitere Kürzungen fordern, um ihn mit den Defizitgrenzen der EU abzustimmen. Bis Ende Oktober wird die Kommission entscheiden müssen, ob der Haushalt akzeptiert wird, oder falls nicht, ob Frankreich Strafen auferlegt oder der Entwurf zur Korrektur nach Paris zurückgeschickt werden soll.

Bemühungen um eine vereinte französisch-deutsche Initiative beim Berliner Gipfel sind gescheitert. Macron rief Berichten zufolge Deutschland zu einem Investitionsprogramm in Höhe von 50 Milliarden Euro auf, um die Wirtschaft anzuregen und Frankreichs 50-Milliarden-Euro-Kürzung auszugleichen. Die beiden Länder einigten sich lediglich darauf, Anfang Dezember ein Wirtschaftspapier herauszugeben.

"Wenn Frankreich und Deutschland zusammenarbeiten, profitiert ganz Europa", kommentierte Sapin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.

Deutsche Beamte allerdings sagten Euro News, dass sie sich auf keine "Extravaganzen" hinsichtlich Frankreichs Anfragen einlassen würden.

Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete, dass Frankreich und Deutschland hinter verschlossenen Türen an einem Deal arbeiten würden, um das Einverständnis der Europäischen Kommission zum französischen Haushalt sicherzustellen. Diese Vereinbarung basiert auf Plänen zu intensivierten, langfristigen Austeritätsmaßnahmen gegen die französische Arbeiterklasse.

Gemäß dem Spiegel arbeiten die beiden Regierungen an "schriftlichen Absprachen", in denen Frankreich sich "auf bestimmte Sparanstrengungen verpflichtet oder auf klar benannte Strukturreformen, etwa auf dem Arbeitsmarkt." Im Gegenzug erhielte Frankreich "weiteren Aufschub in Sachen Haushaltsdefizit", außerdem würde "sich die Bundesregierung selbstverständlich gegen mögliche Bußgelder stellen (...), die Frankreich drohen könnten."

Deutsche und französische Amtspersonen wiesen den Spiegel-Bericht zurück. Doch Paris und Berlin arbeiten eindeutig an geheim gehaltenen Plänen, die weitere Angriffe der zutiefst unpopulären französischen Sozialisten-Regierung unter Präsident François Hollande auf die Arbeiterklasse vorsehen, unabhängig davon, ob die EU-Kommission auf Grundlage dieser Pläne dem französischen Haushalt zustimmen wird oder nicht.

Macron sprach vor seiner Abreise nach Berlin mit RTL und kündigte an, dass die Europäische Kommission den Haushalt nicht ablehnen werde. "Beim jetzigen Stand bin ich total sicher", sagte er, "dass es keine negative Antwort der Kommission geben wird, weil wir uns nicht selbst in diese Situation begeben. Die Kommission wird entscheiden, aber Frankreich ist ein großes Land, das die Debatte anführen muss."

Macron meint, dass Frankreich in seiner Position Unterstützung von den großen Banken und Finanzinstitutionen erhalten werde, weil diese zu befürchten hätten, dass eine Politik strikter Austerität in ganz Europa wirtschaftlichen Zusammenbruch und Bankrotte herbeiführen würde. "Wir führen eine Debatte, die auch an anderen Orten geführt wird, etwa beim Internationalen Währungsfond. Diese Debatte dreht sich um die Situation in der Eurozone. Der Zone geht der Saft aus," sagte Macron.

Wenn die Sozialisten-Regierung die Situation so präsentiert, als habe sie alles unter Kontrolle und die Zustimmung der EU-Kommission sei durch Frankreichs Rolle als "großes Land" sichergestellt, dann handelt sie in betrügerischer Absicht. Paris bereitet verheerende Austeritätsmaßnahmen vor, während es zugleich mit der europäischen Wirtschaft weiter abwärts geht und die Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich vor ihrer Entladung stehen.

Die Prognosen zum Wirtschaftswachstum und zur Inflation in Europa werden rapide gesenkt. Deutschland berichtete, dass seine Exporte im August um 5,8 Prozent gefallen sind und löste damit einen Schock auf den Finanzmärkten aus. Die Bundesbank, veröffentlichte vor zwei Tagen einen Bericht, der der führenden Wirtschaft der Eurozone für das zweite Halbjahr wenig oder gar kein Wachstum prophezeit.

Die Zinssätze für Staatsanleihen in Griechenland, Spanien, Portugal und Italien stiegen sprunghaft an und schreckten das Gespenst einer neuen europäischen (potenziell schlimmeren als 2010) Schuldenkrise auf. Vergangene Woche steigerte sich Griechenlands 10-Jahres-Verzinsung auf knapp unter neun Prozent, der gewaltigste Sprung seit dem Jahr 2012.

Die ukrainische Ökonomie, die von dem Bürgerkrieg ruiniert wird, welcher auf den vom Westen instruierten und von Faschisten angeführten Februar-Putsch in Kiew folgte, wird um acht Prozent zurückgehen, wie die Weltbank mitteilt.

Vorgestern beschloss die Europäische Zentralbank (EZB) eine umstrittene Maßnahme: sie weitete das Geldvolumen um eine Billion Euro aus und nutzte die frischgedruckten Banknoten zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen. Dies ist ein verzweifeltes Manöver, mit dem Bargeld in die europäischen Banken gespült werden soll.

Die Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland destabilisieren diese zum Zerreißen angespannte Situation noch weiter. Die Hollande-Regierung diskreditierte sich durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch und die steigende Arbeitslosigkeit, die eine Folge ihrer Austeritätspolitik ist. Ganze 84 Prozent der französischen Bevölkerung und 75 Prozent der Wähler der Sozialistischen Partei wollen nicht, dass er 2017 zur Wiederwahl antritt. Im August war er gezwungen, zwei Minister seiner Partei zu entlassen, weil diese öffentlich seine Sparpolitik kritisiert und Berlin dafür verantwortlich gemacht hatten.

Der Hauptnutznießer des Zusammenbruchs der Sozialistischen Partei ist der rechtsextreme Front National (FN), der dafür eintritt, dass Frankreich mit dem Euro und der EU bricht und sich einer von Berlin unabhängigen Politik zuwendet.

Die deutsche Bourgeoisie selbst ist zutiefst darüber gespalten, ob man sich mit den französischen Forderungen anfreunden solle, um gute Beziehungen zu Frankreich und die "französisch-deutsche Achse" aufrechtzuerhalten, die das Fundament der EU ist, oder ob man weiter Druck ausüben solle, um die Austeritätspolitik zu erzwingen.

Mehrere deutsche Vertreter vermuteten, dass eine Art Übereinkunft mit Paris erreicht werden würde. Der Spiegel zitierte ein hochrangiges Mitglied der deutschen Regierung, das sagte, eine Zurückweisung des französischen Haushalts würde "das deutsch-französische Verhältnis massiv belasten."

"Das kann man mit Frankreich einfach nicht machen, nicht mit Frankreich," sagte ein deutscher EU-Diplomat. "Es würde so dargestellt, als wären wir mit unserem Sparwahn schuld daran."

Auf der anderen Seite intensiviert Berlin seine Austeritätsappelle, die tiefergehende Haushaltskürzungen für Frankreich bedeuten. Am Mittwoch sagte Kanzlerin Angela Merkel: "Alle - ich betone an dieser Stelle noch einmal: alle Mitgliedsstaaten müssen die gestärkten Regeln des [EU-]Stabilitäts- und Wachstumspakts voll respektieren."

"Wenn wir hier für Paris eine Ausnahme machen, dann stellen wir den gesamten Stabilitätspakt infrage," sagte Gunther Krichbaum (CDU), der Chef des Europaausschusses im Bundestag.

"Das haben Frankreich und Deutschland schon einmal gemacht," bemerkte er in Anspielung auf die Missachtung der Drei-Prozent-Defizitgrenze durch Deutschland und Frankreich in den Jahren 2003 und 2004. "Wir sollten es nicht wiederholen."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 22.10.2014
EU will Frankreichs Haushalt 2015 zurückweisen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2014