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GLEICHHEIT/5452: Italien drängt auf Militärintervention in Libyen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italien drängt auf Militärintervention in Libyen

Von Marianne Arens
3. März 2015


Vier Jahre nachdem ein internationaler Militäreinsatz den langjährigen Staatschef Muammar al-Gaddafi gestürzt hat, drängt die italienische Regierung auf eine neue Militärintervention in Libyen.

Gegenüber der Öffentlichkeit wird dies mit dem wachsenden Einfluss islamischer Terrormilizen begründet, die angeblich auch Italien bedrohen. Tatsächlich geht es aber um die massiven italienischen Öl- und Wirtschaftsinteressen in dem nordafrikanischen Land, in dem Italien auf eine lange und blutige Geschichte der Kolonialherrschaft zurückblickt. Das Säbelrasseln gegenüber Libyen dient der italienischen Regierung außerdem dazu, von den wachsenden sozialen und politischen Spannungen im Innern des Landes abzulenken.

Verteidigungsministerin Roberta Pinotti hatte bereits am 15. Februar erklärt, eine Intervention in Libyen sei "dringend erforderlich". Italien sei bereit, eine Koalition europäischer und nordafrikanischer Länder anzuführen und über fünftausend Soldaten nach Libyen zu schicken, sagte sie der Zeitung Messaggero.

Am selben Tag zog die italienische Regierung ihr gesamtes Botschaftspersonal aus Libyen ab. Zuvor hatten schon Diplomaten und Geschäftsleute aus Großbritannien, den USA und andern westlichen Ländern Tripolis verlassen.

Außenminister Paolo Gentiloni bekräftigte drei Tage später, es werde Zeit für eine "robuste Reaktion" in Libyen. "Wir haben es mit einem Land zu tun, das ein riesiges Territorium hat, und dessen Institutionen gescheitert sind. Das hat potentiell gravierende Konsequenzen." Am Freitag bestätigte Gentiloni im Parlament die italienische Bereitschaft, in Libyen militärisch einzugreifen.

Seit Montag patrouillieren italienische Kriegsschiffe vor der libyschen Küste. Offiziell ist der Einsatz "Offenes Meer" (Mare Aperto) als Übung deklariert. Der zuständige Admiral Pierpaolo Ribuffo sagte, sie stehe nicht direkt in Verbindung mit der Krise in Libyen, fügte aber hinzu: "Die Anwesenheit von Schiffen auf dem Meer bedeutet aber offensichtlich auch Sicherheit und Abschreckung."

["Obviously the presence of ships at sea also means security, deterrence and dissuasion."]

Die italienische Presse berichtet dagegen unter Berufung auf Verteidigungsexperten, die Kriegsschiffe seien bereit, im Notfall einzugreifen und Offshore-Ölanlagen des italienischen Konzerns ENI zu sichern.

Die Medien malen täglich das Schreckgespenst eines Überfalls der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) auf Italien an die Wand. Ein Ableger des IS hatte letztes Jahr in der libyschen Küstenstadt Derna, nahe der ägyptischen Grenze, ein "Kalifat" ausgerufen. Derna befindet sich, wie die italienischen Medien betonen, nur etwa 850 km von Italien entfernt.

Berichten zufolge soll die Miliz in Derna etwa 800 Islamisten umfassen, darunter 300, die zuvor in Syrien gegen das Assad-Regime gekämpft haben. Am 15. Februar bombardierte die ägyptische Luftwaffe die Stadt, nachdem 21 koptische Christen enthauptet worden waren. Inzwischen soll sich die Islamistenmiliz aus Derna zurückgezogen haben.

Am Samstag griffen mehrere italienische Zeitungen ein 64-seitiges Dokument auf, das in italienischer Sprache im Internet zirkulierte und Muslime dazu aufrief, dem "Kalifat" bei der Eroberung Roms und Konstantinopels zu helfen.

Das Anwachsen islamistischer Milizen in Libyen ist das direkte Ergebnis der imperialistischen Intervention vor vier Jahren. Derna liegt in der Region Bengasi, wo der vom Westen geförderte Aufstand gegen Gaddafi im Frühjahr 2011 begann. Um den langjährigen Herrscher des Landes zu stürzen, gaben Frankreich, die USA, Großbritannien und ihre Verbündeten den Aufständischen nicht nur Luftunterstützung, sie bewaffneten und finanzierten sie auch, einschließlich der islamistischen Milizen. Italien stellte seine Militärbasen auf Sizilien zur Verfügung und beteiligte sich mit mehreren Bombenjets am Krieg.

Italienische Kolonialherrschaft

Italien beging auf diese Weise den hundertsten Jahrestag seiner Kolonialherrschaft über das Land. 1911 waren italienische Truppen in die damaligen Cyrenaika und in Tripolitanien eingefallen und hatten diese Regionen zu italienischen Kolonien gemacht. Während des Ersten Weltkriegs verlor Italien seine Kontrolle aber weitgehend wieder.

Der faschistische Diktator Mussolini eroberte dann das Kolonialgebiet zurück und dehnte es auf das ganze heutige Libyen aus. Mehr als hunderttausend Einheimische starben damals an Hunger, Terror, Pogromen, Verschleppungen und Giftgas-Angriffen. In ganz Nordafrika fielen eine halbe Million Menschen dem imperialistischen Terror zum Opfer, der erst mit der italienischen Niederlage von 1943 endete.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg in Libyen Öl entdeckt wurde, war der italienische Agip-Konzern (Vorläufer und heute Teil von ENI) ganz vorne mit dabei und sicherte sich ab 1959 die Förderrechte. Libyen besitzt die größten nachgewiesenen Rohölreserven von ganz Afrika und seit über sechzig Jahren, seit der Gründung des italienischen Energiekonzerns ENI, ist Italien in Libyen führend an der Ausbeutung der Ressourcen beteiligt.

Die Verstaatlichungen und Enteignungen unter Gaddafi, der 1969 durch einen Offiziersaufstand gegen den von den Briten eingesetzten König Idris an die Macht gelangte, unterbrachen vorübergehend diese Bonanza. Doch ab 2008 gelang es der Regierung von Silvio Berlusconi, enge Beziehungen zum Gaddafi-Clan zu knüpfen, der seine Gelder nicht nur in ENI, sondern auch in den Rüstungskonzern Finmeccanica, den Fussballclub Juventus und zahlreiche weitere italienische Unternehmen investierte. Bis 2011, als Gaddafi gestürzt wurde und das Land in rivalisierende Milizen zerfiel, förderte Italien in Libyen täglich 300.000 Barrel Rohöl und Erdgas.

Italien beteiligte sich am Nato-Krieg gegen Gaddafi, um seine Stellung, Produktions- und Förderanlagen auch unter den neuen Bedingungen zu verteidigen. Rasch bemühte sich die italienische Regierung um eine enge Zusammenarbeit mit dem Übergangsrat in Bengasi. ENI war der erste internationale Konzern, der seine Produktion in Libyen wieder aufnahm und ausdehnte, und bald bezog Italien wieder bis zu fünfzehn Prozent seines Bedarfs an Erdgas über "GreenStream", die 516 Kilometer lange Pipeline vom libyschen Mellitah nach Sizilien. Verträge mit der neuen libyschen Regierung sollten diese Projekte bis zum Jahr 2047 garantieren.

All dies hat der jüngste Bürgerkrieg in Libyen nun aufs Neue in Frage gestellt. Die Ölproduktion ist praktisch zum Erliegen gekommen. So holte Italien am 15. Februar zusammen mit seinen Diplomaten auch die Belegschaften mehrerer italienischer Tochterfirmen, vor allem der ENI-Zweigstellen, aus Libyen zurück.

Regierung Renzi

Neben den imperialistischen Interessen Italiens ist die innenpolitische Krise des Landes ein Grund für die Kriegsvorbereitungen gegen Libyen. Militarismus, Terrorangst und Ausländerfeindlichkeit sollen von den sozialen und politischen Spannungen ablenken.

Seit der damals 39-jährige Matteo Renzi vor einem Jahr das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, treibt er energisch den Abbau sozialer Rechte und die Deregulierung des Arbeitsmarkts voran. Das Land ist mit über 2 Billionen Euro (135 Prozent des BIP) hoch verschuldet und befindet sich seit Jahren in der Rezession, mit verheerenden Folgen. 28 Prozent der Bevölkerung sind armutsgefährdet, im Süden sogar 46 Prozent.

Um den Widerstand gegen seinen Sparkurs in Schach zu halten, hat Renzi, zwischen unterschiedlichen Flügeln der Bourgeoisie manövriert, um sie für seine Zwecke einzuspannen. Anfangs hatten ihn die Gewerkschaften und die Partei SEL (Sinistra, Ecologia, Libertà) von Nichi Vendola mit in den Sattel gehoben. Einmal Regierungschef, führte er die von seinem Vorgänger Enrico Letta geschlossene Koalition mit der Neuen Rechten Mitte (NCD) von Angelino Alfano fort, einer Abspaltung der Partei Silvio Berlusconis.

Um die Arbeitsmarktreform Jobs Act sowie die Verfassungs- und Wahlreformen im Parlament durchzubringen, schloss Renzi dann mit Silvio Berlusconi den so genannten Nazarener Pakt (benannt nach der Adresse von Renzis Demokratischer Partei (PD) am Largo Nazareno). Der Pakt hielt bis Ende Januar 2015, als Renzi gegen Berlusconis Widerstand den Verfassungsrichter Sergio Mattarella, einen alten Christdemokraten, als neuen Staatspräsidenten durchsetzte.

Renzis politische Manöver haben zu heftigen Spannungen geführt. Die Nerven vieler Politiker liegen blank. So kam es am 13. Februar nach einem scharfen Wortwechsel zwischen SEL- und PD-Abgeordneten zu einer Schlägerei im Parlament, bei der zwei SEL-Abgeordnete leicht verletzt wurden. Die SEL fühlte sich vorgeführt, weil die Regierungsmehrheit ohne Rücksicht auf die Opposition in nächtlichen Marathonsitzungen lang die Verfassungs- und Wahlrechtsreform durchs Parlament peitschte.

Nach der Schlägerei verließen sämtliche Oppositionsparteien das Parlament und boykottierten die Abstimmungen über die Verfassungsänderungen, die die Regierungsparteien mit 309 gegen zwei Stimmen vor halbleeren Bänken beschlossen. Gemeinsam mit den rechten Parteien Lega Nord und Forza Italia, den neofaschistischen Fratelli d'Italia und Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) gab die SEL anschließend eine Pressekonferenz, auf der sie die Regierung verurteilte.

Bei den Kriegsvorbereitungen gegen Libyen steht die SEL nun wieder voll hinter der Regierung. Sie begründet dies mit der drohenden islamistischen Gefahr. Nichi Vendola hat erklärt, die Zeit sei gekommen, in der ein großes Land wie Italien Europa beeinflussen und eine Rolle spielen könne. "Der Kampf, ISIS und den irrsinnigen Entwurf eines Kalifats zu besiegen", sei eine gigantische Verpflichtung und werde mehrere Jahre dauern.

Die SEL arbeitet eng mit der Syriza des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras zusammen. Im Mai 2014 war sie als "Liste Tsipras" zur Europawahl angetreten.

Sowohl die SEL wie Regierungschef Renzi wollen einen italienischen Militärseinsatz in Libyen international absichern, indem sie sich um ein UN-Mandat und eine möglichst breite Koalition bemühen. So erklärte Renzi am 18. Februar im Fernsehen, die UN müssten sicherstellen, dass "alle Players, die lokalen Stämme, die Länder der Afrikanischen Union und die arabischen und europäischen Länder" in eine solche Intervention einbezogen würden.

Begleitet werden die Kriegsvorbereitungen gegen Libyen von einer fremdenfeindlichen Propaganda, die immer schriller wird. In italienischen Häfen landen Tausende verzweifelte Menschen, die vor Krieg, Terror und dem blankem Elend fliehen, das die imperialistischen Interventionen im Nahen Osten und Nordafrika hervorgerufen hat. Nun bemüht sich die Regierung, diese Flüchtlinge mit eingeschleustem Terrorismus in Verbindung zu bringen.

Äußerste Rechte profitiert

Das Zusammenrücken von SEL und Regierung und die von der Regierung geschürte Fremdenfeindlichkeit geben ultrarechten Kräften Auftrieb.

Am Samstag beteiligten sich mehrere zehntausend Menschen aus ganz Italien an einer Großkundgebung in Rom, zu der die Lega Nord aufgerufen hatte, an der sich aber auch offen faschistische Gruppierungen wie die Fratelli d'Italia und Casa Pound beteiligten.

Die Lega Nord, die ursprünglich für die Abspaltung des reichen italienischen Nordens eingetreten war, versucht sich als nationale Partei neu zu positionieren, seit der 42-jährige Matteo Salvini die Führung übernommen hat. Als Vorbild dient der französische Front National unter Marine Le Pen.

Die Kundgebung vom Samstag stand unter dem Motto "Renzi nach Hause!" Salvini denunzierte den Regierungschef als "albernen Sklaven der EU" und Freund des Großkapitals, während er selbst auf der Seite der kleinen und mittleren Betriebe stehe, um die sich niemand kümmere. Er griff den Euro, Brüssel und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel an und beschimpfte Immigranten als "Zecken".

Marine Le Pen sprach über eine Videoschaltung zu den Demonstranten in Rom. Vom Chef der rechtsextremen österreichischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, wurde eine Grußbotschaft verlesen. In den Umfragen liegt die Lega Nord inzwischen bei 15 Prozent und damit vor Silvio Berlusconis Forza Italia. Bei der letzten Wahl 2013 hatte sie noch 4 Prozent erhalten.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.03.2015
Italien drängt auf Militärintervention in Libyen
http://www.wsws.org/de/articles/2015/03/03/ital-m03.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2015

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