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GLEICHHEIT/6093: Deutsche Medien im Kriegsmodus


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Deutsche Medien im Kriegsmodus

Von Peter Schwarz
18. Oktober 2016


Nach der Verschärfung des militärischen Konflikts in Syrien haben die deutschen Medien auf Kriegsmodus geschaltet. Leitartikler überbieten sich in moralischer Entrüstung, rufen nach militärischem Eingreifen und fordern "Härte gegen Russland". Hemmungslose Demagogie mischt sich dabei mit der Ausblendung elementarer Tatsachen und offenen Lügen.

Liest man einige dieser Kommentare, könnte man glauben, der Nahe Osten sei ein Paradies des Friedens gewesen, bevor sich Moskau vor einem Jahr entschloss, militärisch auf der Seite des verbündeten Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen.

Die verheerenden Kriege der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan, Irak und Libyen, die Millionen Opfer forderten und weitere Millionen in die Flucht trieben, werden ebenso ignoriert, wie die Unterstützung dschihadistischer Gruppen durch die US-Verbündeten Saudi-Arabien, Katar und Türkei. Die USA selbst stützten sich sowohl in Libyen wie in Syrien auf Al-Kaida-nahe Milizen, um einen Regimewechsel herbeizuführen. Vor dem Irak- und dem Libyenkrieg hatte es weder im Irak noch in Syrien islamistische Terrorgruppen gegeben.

Für das Scheitern des letzten, zwischen den USA und Russland vereinbarten Waffenstillstands machen die deutschen Medien allein Moskau verantwortlich, obwohl die Vereinbarung scheiterte, weil amerikanische Kampfflugzeuge einen Stützpunkt der syrischen Regierung bombardierten [1] und dabei über 60 Soldaten töteten, und weil die sogenannten "gemäßigten Rebellen" nicht bereit waren, sich vom syrischen Al-Kaida-Ableger, der kürzlich in Dschabhat Fatah asch-Scham umbenannten Al-Nusra-Front, zu trennen, die die stärksten Kampfverbände unter den Assad-Gegnern stellt.

Eine ähnliche Lügen- und Desinformationskampagne in den deutschen Medien hatte es zuletzt im Frühjahr 2014 gegeben, als sie die führende Rolle faschistischer Milizen im sogenannten Euromaidan leugneten, den Putsch gegen den gewählten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch als "demokratische Revolution" verherrlichten und seinen Nachfolger, den korrupten, prowestlichen Oligarchen Poroschenko, als Verkörperung der Demokratie darstellten.

Ein geifernder Leitartikel in der jüngsten Ausgabe des Spiegel vergleicht Aleppo mit Srebrenica, wo während des - ebenfalls von den USA und Deutschland geschürten Bosnienkriegs - ein brutales Massaker verübt wurde. "Das Srebrenica von heute heißt Aleppo. Es ist nur viel größer", schreibt Clemens Höges, der seit über 25 Jahren für das Nachrichtenmagazin tätig ist. "Können Europa und die USA wieder zuschauen, wenn diesmal schiitische Söldner aus Iran die sunnitischen Zivilisten im Rebellengebiet Aleppos abschlachten, sobald Putin und Assad ihnen den Weg freigebombt haben?"

Verlogener geht es nicht! Das Schüren des Gegensatzes zwischen Sunniten und Schiiten gehört zu den wichtigsten Werkzeugen der westlichen Mächte, seit diese begonnen haben, den ölreichen Nahen Osten militärisch zu unterwerfen. So bombten die USA im Irak ein schiitisches Regime an die Macht, dessen rücksichtsloses Vorgehen gegen die sunnitische Minderheit maßgeblich zum Anwachsen des Islamischen Staats beitrug. In Libyen arbeiteten sie dagegen mit sunnitischen Terrormilizen zusammen, um das Gaddafi-Regime zu stürzen. Diese zogen danach teilweise nach Syrien weiter, wo sie die Opposition gegen das alawitische Assad-Regime verstärkten.

Aber das lässt die Moralapostel in den deutschen Medien ebenso kalt, wie das Abschlachten von schiitischen Houthi-Rebellen durch die saudische Luftwaffe im Jemen. Die Schlacht um Mosul, die diese Tage begonnen hat, feiern sie als "Befreiung", obwohl Beobachter mit über einer Million Flüchtlingen rechnen und mit dem Einsatz schiitischer und kurdischer Milizen gegen die vorwiegend sunnitische Stadt eine Welle ethnischer Säuberungen droht.

Beschwor Kaiser Wilhelm vor dem blutigen Kolonialfeldzug gegen China einst deutsche Größe und Ehre, führt Höges nun nichts geringeres als die "Ideale des Westens, mehr noch: die Ideale der modernen Zivilisation" ins Feld, um seine Kriegshetze und den Ruf nach "neuen, erweiterten Sanktionen gegen Russland, vielleicht auch gegen den Iran", zu rechtfertigen.

Drei ostdeutschen Ministerpräsidenten, die sich mit Rücksicht auf die Agrarexporte aus ihrer Region gegen weitere Sanktionen ausgesprochen hatten, wirft er höhnisch vor: "Wenn sie nicht einmal mehr bereit sind, auf Käseexporte zu verzichten, verraten sie ihre Ideale, sichtbar für die ganze Welt."

Ähnlich aggressiv schreibt Richard Herzinger in der Welt. Für ihn stehen in Syrien nicht nur moralische Fragen auf dem Spiel, sondern "die weltpolitischen Folgen eines Sieges Putins". Der russische Präsident nutze "Syrien als Testfeld dafür, wie weit er in seiner Mobilmachung gegen den Westen gehen kann". In Syrien demonstriere Moskau, "dass es dabei Völkerrecht und internationale Regeln für sich nicht gelten lässt".

Herzinger begnügt sich nicht mit der Forderung nach "Sanktionen gegen Moskau", sondern tritt auch für "die Belieferung der eingeschlossenen syrischen Rebellen mit Luftabwehrwaffen" und "exemplarische Schläge gegen Stellungen des Assad-Regimes" ein - ein Rezept für die Entfesselung eines dritten, nuklearen Weltkriegs.

Gegen die Vorbehalte, die es in breiten Teilen der Bevölkerung und selbst in einigen politischen Kreisen gegen einen solchen selbstmörderischen Kurs gibt, schreibt er wütend: "In Deutschland herrscht indes weiter eine Grundstimmung der Beschönigung dieser akut größten Gefahr für die Freiheit vor. ... Ein Äquidistanzdenken greift um sich, das ohne faktische Grundlage die USA und Russland gleichermaßen für die syrische Katastrophe verantwortlich macht."

Als Beispiel für den "großen Erfolg der Subversionsstrategie des Kreml, der - in alter sowjetischer Tradition - auf die Abkoppelung Europas von Amerika zielt", führt Herzinger die "Massendemonstrationen gegen die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und Ceta auf deutschen Straßen" an.

Wo die Welt hetzt, darf die Frankfurter Allgemeine nicht zurückstehen. Rainer Hermann wirft dem "kriegsmüden (sic!) Amerika" vor, es bringe "nicht die Kraft auf, parallel zu den ergebnislosen Verhandlungen kleinere militärische Interventionen zu erwägen". Sanktionen gegen Russland hält er nicht für ratsam, mit der bemerkenswert ehrlichen Begründung: "weil sie dann auch gegen Saudi-Arabien wegen dessen Kriegsverbrechen im Jemen verhängt werden müssten".

Sein Kollege Reinhard Veser sieht das allerdings anderes. Er wirft dem Westen "Hilflosigkeit" vor, auf die der Kreml baue, und drängt deshalb auf "neue Sanktionen gegen Russland".

Am schärfsten hetzt in der FAZ die Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, zum Krieg. Auch sie vergleicht die syrisch-russische Offensive zur Rückeroberung Aleppos mit den Massakern in Srebrenica und Ruanda.

Dann ruft die Grünen-Politikerin, die sich als ehemalige Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Fragen der Doppelmoral besonders gut auskennt, ausgerechnet im Namen der "mehr als 350.000 syrischen Geflüchteten und Millionen Ehrenamtlichen, die ihnen hier helfen" zur Eskalation des Kriegs in Syrien auf. Durch sie sei Deutschland "unmittelbar mit dem Leiden in Syrien verbunden", erklärt sie. "Was dort passiert, kann uns nicht nur aus moralischen Gründen nicht egal sein."

Es folgt ein langer Katalog der politischen und militärischen Eskalation: Sanktionen gegen Russland, eine gemeinsame Syrien-Strategie der Europäischen Union, mehr Druck auf Assad und Putin, eine Flugverbotszone und die Anklage Assads wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Ähnliche Forderungen erhebt der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir in einem Interview mit SpiegelOnline.

Er wirft Assad "schwersten Kriegsverbrechen" und Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht vor. Putin wolle "einen Massenverbrecher, der eigentlich vor das Weltstrafgericht in Den Haag gehört, an der Macht halten" und dem Westen und Washington deren "Handlungsunfähigkeit demonstrieren". Deshalb müsse die EU "ihre Wirtschaftssanktionen gegen Russland ausweiten".

Özdemir verlangt "eine umfassende internationale Androhung einer Flugverbotszone", notfalls auch ohne Uno-Mandat, und unterstützt die Kriegspolitik der USA auch rückwirkend: "Ich bin kein Radikalpazifist. Ich finde es nach wie vor falsch, dass sich Deutschland bei der Libyen-Intervention enthalten hat und habe dem Militäreinsatz in Afghanistan zugestimmt."

Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die ehemaligen grünen Pazifisten heute zu den schärfsten Kriegstreibern zählen und dass neben den konservativen Blättern FAZ und Welt auch liberalere, wie der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung, für Krieg hetzen. Letztere veröffentlichte am Montag einen Kommentar "Gegen Putin hilft nur Härte". Sie sprechen für wohlhabende Mittelschichten, die angesichts wachsender nationaler und sozialer Spannungen in Europa scharf nach rechts rücken.


Anmerkung:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2016/09/20/syri-s20.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 18.10.2016
Deutsche Medien im Kriegsmodus
http://www.wsws.org/de/articles/2016/10/18/krie-o18.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2016

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