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GLEICHHEIT/6325: China startet "One Belt, One Road"-Initiative


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

China startet "One Belt, One Road"-Initiative

Von Nick Beams
17. Mai 2017


Am Wochenende fand in Beijing das zweitägige internationale Forum der "Belt and Road"-Initiative (BRI) statt. Das Ereignis macht Veränderungen und Konflikte deutlich, die sich aus dem Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ergeben.

Das Forum fand in den Medien zwar nur wenig Aufmerksamkeit, aber die Tatsache, dass die USA bei dieser Wirtschaftskonferenz nur eine untergeordnete Rolle spielten, unterstreicht den historischen Niedergang ihrer wirtschaftlichen Position. Immerhin werten viele Beobachter die Initiative als das Äquivalent im 21. Jahrhundert zum Marschallplan der Nachkriegszeit.

An dem Forum nahmen Staats- und Regierungschefs aus 28 Ländern und Vertreter von insgesamt einhundert Ländern teil. Es war der internationale Startschuss des sogenannten "One Belt, One Road"-Projekts, das der chinesische Präsident Xi Jinping im Jahr 2013 angestoßen hatte.

Die BRI knüpft historisch an die Seidenstraße des Mittelalters an. Sie beinhaltet Planungen für den Bau einer ganzen Reihe von Häfen, Eisenbahnlinien und Straßen, die die großen Wirtschaftszentren Chinas mit Europa verbinden sollen.

Das Forum fand im Norden Beijings in einem supermodernen Komplex statt, der eine Milliarde Dollar gekostet hatte, und ging mit einer massiven Öffentlichkeitskampagne der chinesischen Regierung einher.

Beim Konferenzempfang am Sonntag verfolgte Xi zwei Ziele: Erstens will er internationale Unterstützung für die BRI mobilisieren, um die globale Position Chinas zu stärken. Ihre Planung umfasst Infrastrukturprojekte im Umfang von mehr als einer Billion Dollar. Zweitens will er kurz vor Beginn seiner zweiten Amtszeit die innenpolitische Position seines Regimes festigen.

"Die alten Seidenstraßen umspannen tausende Meilen und Jahre, sie verkörpern den Geist des Friedens und der Kooperation, der Offenheit und der Integration, des Voneinander-Lernens und des allgemeinen Nutzens", sagte Xi, der die Initiative als "Jahrhundertprojekt" bezeichnete.

"Wir müssen eine neue Art von internationalen Beziehungen fördern und in der Zusammenarbeit eine Win-Win-Situation herbeiführen. Und die Partnerschaften, die wir eingehen, sollten den Dialog und nicht die Konfrontation verstärken und eher der Freundschaft als neuen Bündnissen dienen."

Angesichts des wachsenden Drucks auf Russland und China von Seiten der Vereinigten Staaten erhielt Präsident Wladimir Putin bei der Zeremonie einen Ehrenplatz unter den internationalen Gästen zugewiesen.

Xi sagte zu seinem russischen Amtskollegen, ihre beiden Länder seien die "Schwergewichte" der weltweiten Stabilität. Doch gibt es hinter all dem freundlichen Getue und Händeschütteln auch Spannungen zwischen den zwei Mächten. Mit seiner Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) verfolgt Russland seine eigenen Pläne, seinen Einfluss über Zentralasien und die ehemaligen Sowjetrepubliken auszudehnen. Es befürchtet nun, dass die BRI sein eigenes Projekt in den Schatten stellen könnte.

Xi und Putin bemühten sich, das Thema diplomatisch zu umschiffen. Putin betonte, das chinesische und das russische Projekt seien gut miteinander kompatibel, und die eurasische Integration sei "ein Zivilisationsprojekt für die Zukunft".

Xi erklärte, die BRI habe nicht die Absicht, die Initiativen anderer Länder zu durchkreuzen. Außer Russland mit seiner EEU hat jedoch auch die Türkei eigene Pläne: Sie will die Turk-sprachigen Länder in einem so genannten "Mittleren Korridor" zusammenzuschließen.

Xi versicherte, dass das chinesische Projekt bestehende Partnerschaften keineswegs ersetzen werde. "Belt and Road hat nicht die Absicht, das Rad neu zu erfinden. Es geht vielmehr darum, dass die Entwicklungsstrategien der Partnerländer einander ergänzen."

Trotz Xis schöner Worte über die Notwendigkeit von mehr Offenheit und Zusammenarbeit, der Herstellung einer Win-Win-Situation und seiner Zurückweisung von Protektionismus sind die internationalen Spannungen mit Händen zu greifen.

Japan, die zweitgrößte Wirtschaft in Asien, hat das Forum insgesamt boykottiert, weil es die Initiative als ein Instrument Chinas betrachtet, seine regionale und globale Macht zu vergrößern.

Auch Indien blieb dem Forum wegen angeblicher "Souveränitäts-Fragen" fern.

Der Grund ist die Route von Xinjiang zum Hafen von Gwadar, die durch Teile des indisch beanspruchten und von Pakistan besetzten Kaschmir führen wird. China bezeichnet dieses 50 Milliarden Dollar teure Projekt als chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC). Die chinesische Regierung hat beträchtliche Energie darauf verwendet, Indiens Teilnahme sicherzustellen, und hat versprochen, die internationalen Regelungen zum Kaschmirkonflikt zu respektieren.

Indiens außenpolitischer Sprecher, Gopal Baglay, erklärte jedoch, der CEPC werde zurzeit als Kernstück von "One Belt, One Road" beworben, und er sagte: "Kein Land kann ein Projekt akzeptieren, dass seine zentralen Anliegen in der Frage der Souveränität und territorialen Integrität ignoriert." Hinter dem offiziellen Grund steht Indiens Befürchtung, dass chinesische Investitionen seinen Rivalen Pakistan wirtschaftlich stärken könnten.

Die Staats- und Regierungschefs, die an dem Treffen teilnahmen, kamen aus den schwächer entwickelten Ländern. Die Großmächte hatten zweitrangige Vertreter geschickt. Darin drücken sich die Bedenken aus, ob das Projekt tatsächlich in Gang kommen werde. Gleichzeitig wollen sich die Politiker jedoch eine gute Ausgangsposition sichern, um wirtschaftliche Möglichkeiten zu nutzen, sollten sie sich tatsächlich ergeben.

Deutschland ist für die Initiative ein Hauptakteur, denn es ist die größte europäische Volkswirtschaft am andern Ende der Seidenstraße. So nahm Wirtschafts- und Energieministerin Brigitte Zypries am Forum teil, und mit ihr reiste eine größere Delegation deutscher Unternehmensvertreter nach China.

Aber Zypries äußerte sich zurückhaltend zu dem Projekt. Sie erklärte, Deutschland werde vorerst keine gemeinsame Erklärung unterzeichnen, solange nicht bestimmte Garantien auf dem Gebiet des Freihandels und des Umgangs auf Augenhöhe erfüllt seien.

"Deutschland will teilnehmen, aber es erwartet, dass die Ausschreibungen jedem offenstehen; nur dann werden deutsche Unternehmen teilnehmen", sagte sie. Außerdem müsse klar sein, was tatsächlich aufgebaut werde. "Das ist im Moment noch nicht klar."

Sie erklärte, auch chinesische Auflagen für ausländische Firmen, die in China investieren wollten, seien ein Problem. "Wir erwarten, dass deutsche Unternehmen in China in der gleichen Weise operieren können, wie chinesische Unternehmen in Deutschland." Aber bisher gibt es für den Abbau von Beschränkungen noch keinen Zeitplan.

Am Ende weigerte sich Deutschland, wie auch andere europäische Mächte, ein Kommuniqué zu Handelsfragen zu unterzeichnen, weil Bedenken über Transparenz in Beschaffungsfragen sowie zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards nicht ausgeräumt worden seien. Europäische Vertreter kritisierten auch den zunehmenden chinesischen Einfluss in Mittel- und Osteuropa.

Großbritannien unterstützte das Projekt im Großen und Ganzen, wobei es, wie andere europäische Länder, noch Vorbehalte über die konkrete Funktionsweise äußerte. Philip Hammond, Schatzkanzler der May-Regierung, leitete die britische Delegation, auch er in Begleitung zahlreicher Vertreter der britischen Banken und Finanzindustrie.

Im März 2015 hatte sich die Regierung von David Cameron dem Druck der USA und ihrer eigenen Sicherheitsdienste widersetzt und beschlossen, der von China geförderten Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank beizutreten. Die Entscheidung war den Interessen der City of London geschuldet, die die Möglichkeiten nutzen wollte, die sich hier boten.

Dieselben Interessen waren auch auf dem BRI-Forum deutlich zu sehen. Sherry Madera, die Sonderberaterin für Asien der City of London, sagte, London könne bei der Finanzierung der Initiative eine Schlüsselrolle spielen.

Sie sagte, während Großbritannien über den Brexit rede, rede Asien über das Geschäft.

"Wir waren schon immer ein globales Finanzzentrum. Banken und Investoren aus den USA, dem Nahen Osten und Asien sind alle nur einen Fußweg voneinander entfernt. Das ist der Wirtschaftskosmos mit Namen London. Das macht London zum bei weitem wichtigsten globalen Finanzzentrum, weit vor Hongkong oder New York."

Die Vereinigten Staaten hatten ursprünglich beschlossen, nur einen nachrangigen Vertreter zum Forum zu schicken, aber angesichts der Größe der Versammlung und der Tatsache, dass Länder aus ganz Südostasien teilnahmen, entschieden sie, ihre Delegation aufzuwerten. So schickten sie Matt Pottinger, den Ostasiendirektor beim Nationalen Sicherheitsrat.

Mächtige Teile des politischen Establishments der USA sehen in China und seinen ökonomischen Initiativen eine ernste Bedrohung der globalen Position der Vereinigten Staaten.

Diese Ansicht kam in einem Kommentar von John Moody auf Fox News über das Forum zum Ausdruck. Der Artikel trägt die Überschrift: "Chinas seidene Bedrohung für die amerikanische Führung."

Er handelt von dem hochrangigen Treffen, das China ausrichtet, während die sonntäglichen Talk-Shows in Amerika sich über Trump und den entlassenen FBI-Chef James Comey das Maul zerreißen. Das Treffen werde "zur größten Herausforderung der Geschichte für Amerikas Platz in der Weltwirtschaft führen". Die Initiative sei "ein dreister Versuch, den Vereinigten Staaten die weltweite ökonomische Führungsrolle zu entreißen" und neue Handelspartner an Beijing zu binden, "das ihnen Zugang zum gigantischen chinesischen Konsumentenmarkt verschaffen" werde.

Das Xi-Regime ist nicht nur mit internationalen Konflikten konfrontiert, sondern kämpft auch mit Problemen in der chinesischen Wirtschaft selbst.

In den herrschenden Kreisen gilt das Projekt nicht nur als Möglichkeit, die globale Position Chinas zu stärken, sondern auch als Markt für überschüssige industrielle Kapazitäten.

Aber ob die chinesischen Firmen und Geldinstitute bereit sind, in Projekte zu investieren, die vielleicht keine auskömmlichen Margen abwerfen oder gar Verluste bringen, ist eine andere Frage.

Wie die Financial Times am Vorabend des Forums berichtete, sind Investitionen in BRI-Projekte letztes Jahr zurückgegangen. "Das wirft Zweifel auf, ob kommerzielle Unternehmen sich auf eine Strategie für eine neue Seidenstraße einlassen, die mindestens so sehr von geopolitischen Überlegungen wie von Profiterwägungen bestimmt ist."

Dem Artikel zufolge sind ausländische Direktinvestitionen aus China in Ländern, die offensichtlich Teil der BRI sind, 2016 um zwei Prozent zurückgegangen, und dieses Jahr sind sie bisher um weitere 18 Prozent gefallen. Der Artikel beruft sich auf Banker und Vertreter von Staatskonzernen, die sich beschweren, dass die Regierung ihnen BRI-Projekte aufzwinge, die nicht profitabel seien.

Diese Entwicklung weist darauf hin, dass die chinesische Regierung, die das Projekt im Interesse ihrer innenpolitischen und internationalen Ziele voranbringen möchte, mit der Logik der Märkte in Konflikt geraten könnte. Diese bevorzugen Investitionen in stärker entwickelten Volkswirtschaften.

Es steht außer Frage, dass es wirtschaftlich von großem Vorteil wäre, die eurasische Landmasse durch die modernsten Transportsysteme zu integrieren.

Aber in einer sozioökonomischen Weltordnung, die vom Streben nach privatem Profit beherrscht wird, und in der die Nationalstaaten und imperialistischen Großmächte einander feindlich gegenüberstehen, stellt das Projekt schon heute eine Schlangengrube gegensätzlicher Interessen dar.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.05.2017
China startet "One Belt, One Road"-Initiative
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2017

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