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GLEICHHEIT/6469: Hamas erzielt Abkommen mit Fatah


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Hamas erzielt Abkommen mit Fatah

Von Jean Shaoul
17. Oktober 2017


Die ägyptische Militärjunta, die im Geheimen mit Israel zusammenarbeitet, hat Fatah und Hamas ein "Aussöhnungsabkommen" aufgezwungen. Die beiden rivalisierenden palästinensischen Fraktionen kontrollieren das Westjordanland sowie den Gazastreifen.

Indem die Hamas die neue Vereinbarung akzeptiert, signalisiert sie ihre Bereitschaft, gemeinsam mit der Fatah die Palästinenser zu kontrollieren - in Absprache mit Ägypten und anderen arabischen Staaten und unter der Voraussetzung, dass Israel und seine imperialistischen Finanziers und Verbündeten ihr Einverständnis erteilen.

Die Islamisten traten vor allem wegen Israels Wirtschaftsblockade gegen den Gazastreifen an den Verhandlungstisch, die seit mehr als zehn Jahren das von der Hamas geführte Regime lahmlegt. Da aufgrund der Abschaltung der Versorgung nur wenig Strom und Wasser verfügbar ist, sind die Menschen gezwungen, Wasser zu exorbitanten Preisen zu kaufen. Die Lebensbedingungen sind erbärmlich: Fast 50 Prozent der Bewohner von Gaza sind arbeitslos, über 65 Prozent leben in Armut, 72 Prozent leiden an Nahrungsmittelunsicherheit, und 80 Prozent sind von internationalen Hilfsleistungen abhängig.

Die vorgeschlagene Vereinbarung ist Bestandteil umfassender Anstrengungen Ägyptens, die sunnitisch-arabische Achse zu stärken, der auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) angehören. Damit sollen Katar, die Türkei und der Iran neutralisiert werden. Ägypten unternahm bereits zuvor mehrere Versuche, als Unterhändler eine palästinensische Regierung der nationalen Einheit auszuhandeln. Der letzte aus dem Jahr 2014 wurde von Israel zum Scheitern gebracht, als es einen Krieg gegen die Hamas begann.

Azzam Al-Ahmed, Führer der Fatah-Delegation, und Saleh Alarury als Repräsentant der Hamas unterzeichneten die Vereinbarung und lobten zugleich die Rolle Ägyptens. Sie begrüßten die Aussicht auf eine Beendigung der erbitterten Konflikte zwischen den beiden Fraktionen. Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), sagte, der Deal bedeute, "dass die Spaltung beendet ist und Palästina zur nationalen Einheit zurückkehrt."

Die Vereinbarung folgt auf eine Reihe von Versuchen der Hamas, die immer schärfer werdenden Belagerung durch Israel, hinter der geheime Absprachen mit Abbas stehen, zu durchbrechen. Auch Ägypten hält seine Grenzen zum Gazastreifen geschlossen, insbesondere seit der Machtübernahme durch General Abdul Fattah al-Sisi im Jahr 2013. Al-Sisi betrachtet die Hamas als politischen Gegner und einen Ableger der von ihm inzwischen verbotenen ägyptischen Muslimbruderschaft, deren Regierung er gestürzt hatte. Kairo ließ die Tunnel zwischen dem Gazastreifen und der Sinai-Halbinsel zerstören, die für die Enklave ein wirtschaftlicher Rettungsanker waren.

Hamas stimmte Anfang des Jahres einem neuen Vertrag zu und betonte ihre Rolle als nationale Befreiungsbewegung, mied es aber, die Muslimbruderschaft zu erwähnen und leugnete praktisch ihre Verbindungen zu dieser. Zudem verließen offizielle Hamas-Vertreter im Juni Katar, nachdem das von Saudi-Arabien angeführte Bündnis ein Embargo über das Land verhängt und es beschuldigt hatte, Terrorismus zu unterstützen.

Vergangenen Monat erklärte sich die Hamas einverstanden, die Zivilverwaltung im Gazastreifen an die Regierung im Westjordanland zu übergeben, welche von Abbas' Fatah-Fraktion kontrolliert wird. Letzte Woche fuhr Rami Hamdallah, der Vizepräsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, in den Gazastreifen, um ein symbolisches Kabinettstreffen abzuhalten.

Von besonderer Bedeutung war die Anwesenheit des einflussreichen palästinensischen Millionärs Mohammed Dahlan bei den in Kairo stattfindenden Gesprächen. Dahlan dient dem Kronprinzen der VAE, Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan, als Sicherheitsberater.

Der ehemalige Sicherheitschef der Palästinensischen Autonomiebehörde, der im Jahr 2006 einen Bürgerkrieg gegen die Hamas führte, wird vielerorts als israelischer Agent angesehen. Im Jahr 2011 warf Abbas Dahlan aus der Fatah. Er behauptete, dieser sei in Korruption und den Mord am PLO-Führer Yasser Arafat verwickelt gewesen. Da Dahlan enge Beziehungen zu Israel und den Vereinigten Staaten unterhält, wird er von diesen als bevorzugter Kandidat für die Nachfolge des 82-jährigen Abbas angesehen.

In den Monaten vor den Gesprächen übten sowohl die VAE als auch Ägypten Druck auf die Hamas aus, eine Führungsposition für Dahlan zu akzeptieren. Versüßt wurde dies mit dem Verspechen der Emirate, die anscheinend Katars Rolle als Mäzen der Hamas übernehmen, 100 Millionen Dollar für ein Elektrizitätswerk und weitere humanitäre Hilfen zur Verfügung zu stellen.

Diese Entwicklungen bereiteten den Weg für die Gespräche, die im Hauptquartier des ägyptischen Geheimdienstes Muchabarat stattfanden. Von Ägypten unter großen Druck gesetzt, erklärte sich Hamas mit folgenden Punkten einverstanden:

• Die Fatah übernimmt in einer vorübergehenden Einheitsregierung mit der Hamas, bestehend aus "Technokraten", ab Dezember die vollständige Kontrolle über den Gazastreifen.

• Beginnend mit dem 1. November sollen Abbas' Präsidentengarden die Grenze des Gazastreifens mit Ägypten beaufsichtigen. Die Oberaufsicht soll die europäische Kontrollmission European Union Border Assistance Mission (EUBAM) erhalten.

• Die Polizeieinheiten im Gazastreifen sollen umstrukturiert werden, wobei 3.000 zusätzliche Fatah-Sicherheitsbeamte in die Polizei aufgenommen werden.

• Im Gegenzug werde Abbas die Treibstoffsanktionen beenden, die seine Regierung vergangenen Frühling verhängt hatte und die die Stromversorgung des Gazastreifens auf zwei Stunden am Tag einschränken.

Die ägyptischen Geheimdienste werden die Vereinbarungen gemeinsam mit Israel überwachen. Israel entsandte eine Delegation zu den Gesprächen in Kairo. Ägypten wird somit in die Lage versetzt, die Bewegung der Dschihadistengruppen von der Sinai-Halbinsel in den Gazastreifen und zurück unter Kontrolle zu halten.

Laut der in London ansässigen arabischsprachigen Tageszeitung Asharq al-Awsat erklärte sich die Hamas zudem bereit, jegliche Handlungen zu unterlassen, die Israel zu Vergeltungsmaßnahmen provozieren könnten.

Nächsten Monat werden sich die palästinensischen Führer erneut in Kairo treffen, um Vorkehrungen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu treffen, die innerhalb eines Jahres stattfinden sollen. Sollte der Deal Realität werden, dann wird Abbas erstmals seit dem Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 den Gazastreifen betreten dürfen. Die Hamas siegte damals aufgrund ihrer Opposition gegen die illegale Okkupation palästinensischer Territorien durch Israel.

Die Fatah weigerte sich, den Wahlausgang zu akzeptieren, und führte damit einen Bürgerkrieg zwischen den beiden bürgerlichen Fraktionen herbei, der zur politischen Loslösung des Westjordanlandes vom Gazastreifen führte.

Seit dieser Zeit hat die Feindschaft gegen Abbas und der Fatah stetig zugenommen. Abbas verspielte auch die Reste seiner politischen Glaubwürdigkeit, als er sich auf die Seite Israels gegen die Hamas stellte, was auf Kosten der palästinensischen Bevölkerung ging. Israel führte in den Jahren 2008-2009, 2012 und 2014 brutale Kriege gegen den Gazastreifen. Der Sicherheitsapparat der Autonomiebehörde ist wegen seiner drakonischen Maßnahmen, die auf Anweisung Israels verhängt wurden, verhasst.

Da es also keine Sicherheit gibt, dass die Fatah in einer zukünftigen Wahl die Mehrheit gewinnen würde, wird die Autonomiebehörde die Wahlen immer weiter verschieben und solange eine nicht gewählte "Interimsregierung" stützen, die faktisch von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel eingesetzt wurde.

Doch die fragile Übereinkunft könnte noch an zahlreichen heiklen Fragen zerbrechen. Zu diesen zählen die Jobs von 40.000-50.000 Angestellten der Hamas-Regierung, die nach 2007 eingestellt wurden, die Integration der Hamas in die Verwaltung der Autonomiebehörde sowie die Auflösung der 25.000 Mann starken Militärkräfte der Hamas sowie ihre Entwaffnung. Diese ist eine der drei Bedingungen, die vom Nahost-Quartett (USA, Russland, Europäische Union und Vereinte Nationen) gestellt wurden. Außerdem soll Hamas Israel anerkennen und die bisherigen Vereinbarungen zwischen der Autonomiebehörde und Israel akzeptieren.

Al-Sisi hat versucht, die Isolation der Hamas und die schreiende humanitäre Krise auszunutzen, um Ägyptens eigene politische Probleme zu lösen und islamistische Gruppen, darunter einige, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben und seine Herrschaft auf der Sinai-Halbinsel bedrohen, daran zu hindern, einen sicheren Zufluchtsort im Gazastreifen zu finden.

Er befürchtet zudem, dass die Fortsetzung der ägyptischen Blockade des Gazastreifens einen neuen Krieg zwischen Israel und der Hamas auslösen könnte. Dann würde, auch unter den Bedingungen wachsender Unzufriedenheit in Ägypten, seine eigene Rolle als Komplize Israels deutlich werden.

Die Reaktion der Palästinenser im Gazastreifen auf den Versöhnungsdeal war verhalten. Ein paar Hundert Personen versammelten sich auf den Hauptplätzen und forderten von der neuen Regierung die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Beendigung der humanitären Krise in Gaza.

Washington begrüßte "die Bemühungen, mit denen Bedingungen für die Palästinensische Autonomiebehörde geschaffen werden, ihre Verantwortlichkeit für den Gazastreifen vollständig auszuüben". Das sei entscheidend für die Verbesserung der dortigen humanitären Situation.

Trotz der verdeckten Beteiligung Israels hat sich Premierminister Benjamin Netanjahu seiner rechten Unterstützerbasis gebeugt und die Vereinbarung öffentlich zurückgewiesen. Er sagte, Israel werde die "betrügerische Versöhnung" nicht akzeptieren, die "auf Kosten unserer Existenz" herbeigeführt wurde. Er verlangte, die Einheitsregierung müsse den militärischen Flügel der Hamas auflösen, und beharrte auf einer Auflösung der Beziehungen der Hamas zum Iran.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.10.2017
Hamas erzielt Abkommen mit Fatah
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2017

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