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GLEICHHEIT/6566: Der Rückzug von Martin Schulz


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Der Rückzug von Martin Schulz

Von Peter Schwarz
10. Februar 2018


Nur zwei Tage nachdem der SPD-Vorsitzende Martin Schulz angekündigt hat, den Parteivorsitz an Andrea Nahles abzugeben und in der Großen Koalition das Amt des Außenministers zu übernehmen, hat er am Freitag auch auf dieses Amt verzichtet. Die Umstände seines Rückzugs zeigen, dass in Berlin heftige Macht- und Richtungskämpfe toben, über deren wirklichen Inhalt die Öffentlichkeit aber weitgehend im Dunkeln gelassen wird.

Diese Kämpfe beschränken sich nicht auf die SPD oder die CDU, wo die Kritik an Bundeskanzlerin Merkel wächst. Am Donnerstag wurde auch der einflussreiche Herausgeber des Handelsblatts, Gabor Steingart, vom Verleger und Mehrheitseigner Dieter von Holtzbrinck gefeuert, weil er Schulz in seinem "Morning Briefing" vom Mittwoch heftig angegriffen hatte. Gabors Entlassung konnte Schulz allerdings nicht mehr retten.

Offiziell begründete Schulz seinen Rückzug damit, dass er die Zustimmung der SPD-Mitgliedschaft zum Koalitionsvertrag nicht gefährden wolle, den er maßgeblich mit ausgehandelt hat. "Durch die Diskussion um meine Person sehe ich ein erfolgreiches Votum gefährdet", schreibt er in seiner Rücktrittserklärung.

Schulz' Entscheidung, als Außenminister in die Große Koalition einzutreten, hatte in der SPD Irritationen und Ärger ausgelöst. Schulz selbst hatte noch vor wenigen Wochen versichert, er werde niemals einer Regierung von Angela Merkel beitreten. Zudem verdrängte er mit seiner Entscheidung den amtierenden Außenminister Sigmar Gabriel, der inzwischen - zumindest in den Umfragen - zum beliebtesten SPD-Politiker avanciert ist.

Einige Medien, allen voran das Handelsblatt, feuerten die Stimmung gegen Schulz gezielt an. Steingart warf Schulz im "Morning Briefing" vor, er wolle Gabriel "zur Strecke bringen und an dessen Stelle im Ministerium Quartier beziehen".

"Der Tathergang wird in diesen Tagen minutiös geplant", schrieb er. "Der andere soll stolpern, ohne dass ein Stoß erkennbar ist. Er soll am Boden aufschlagen, scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Wenn kein Zucken der Gesichtszüge mehr erkennbar ist, will Schulz den Tod des Freundes aus Goslar erst feststellen und dann beklagen." Er plane "nichts Geringeres als den perfekten Mord".

Auch Gabriel, der die SPD sieben Jahre lang geführt hatte, bevor er den Vorsitz im vergangenen März an Schulz abtrat, meldete sich zu Wort und warf Schulz Wortbruch vor. "Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt", sagte er in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe.

Aus den Landes- und Ortsverbänden häuften sich Meldungen, die Verärgerung über Schulz' Verhalten könnte den Ausschlag für eine Ablehnung des Koalitionsvertrags in der Mitgliederbefragung geben. Offenbar setzte auch der Parteivorstand Schulz unter Druck, bis dieser am Freitagmittag schließlich seinen Rückzug erklärte. Weniger als ein Jahr zuvor war er noch als Retter der SPD gefeiert und inmitten eines Medienhypes mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt worden.

Der rasante Aufstieg und Fall von Schulz lässt sich nicht durch persönliche Rivalitäten erklären. Dass es dabei um politische Fragen geht, zeigt auch die Entlassung Steingarts, die beim Handelsblatt eine heftige Krise ausgelöst hat.

Die Chefredakteure und Geschäftsführer der Verlagsgruppe zeigten sich in einem Brief an den Verleger Dieter von Holtzbrinck "schockiert und fassungslos" und protestierten gegen den Eingriff in die innere Pressefreiheit: "Dies ist aus unserer Sicht ein verheerendes Signal an die Redaktionen und das gesamte Haus: die Bestrafung für eine - wenngleich unbequeme - Meinung ist die sofortige Entlassung."

Um welche politische Fragen es sich handelt, lässt sich nur vermuten. Über die Absprachen und Pläne, die während dem wochenlangen Gezerre über eine neue Regierung hinter dem Rücken der Öffentlichkeit getroffen wurden, dringt kaum etwas nach außen.

Sicher ist, dass Gabriel als Außenminister so deutlich wie kein anderes Regierungsmitglied für eine interessenorientierte deutsche Großmachtpolitik und eine Abkehr von den USA eintrat. In dieser Frage stimmt er mit Steingart überein, unter dessen Führung das Handelsblatt eine betont USA-kritische Linie einnahm.

Anfang Dezember hatte Gabriel beim Forum Außenpolitik der Körber-Stiftung in Berlin eine Grundsatzrede [1] gehalten, in der er die USA "als Wettbewerber und manchmal sogar als Gegner" bezeichnete. Er betonte, dies gehe "nicht auf die Politik eines einzelnen Präsidenten [Donald Trump] zurück" und werde sich "auch nach der nächsten Wahl nicht grundlegend ändern". Deutschland müsse seine Interessen künftig selbstbewusster vertreten, folgerte er. Es könne "es sich nicht leisten, auf Entscheidungen in Washington zu warten oder bloß darauf zu reagieren".

Dass Deutschland militärisch aufrüsten und eine eigenständige Großmachtpolitik verfolgen muss, darüber sind sich alle Vertreter der herrschenden Klasse mit Gabriel einig. Das ist der Kern des Koalitionsvertrags [2], auf den sich SPD, CDU und CSU geeinigt haben. Aber über die Frage, wie weit ein Bruch mit den USA oder eine mögliche Annäherung an Russland und China gehen sollen, gibt es Differenzen.

Darüber wird nicht öffentlich gesprochen, aus Angst, dass die massiven Aufrüstungs- und Kriegspläne der Regierung bekannt werden und auf Widerstand stoßen. Deshalb stellen die Medien die Auseinandersetzungen innerhalb der SPD ausschließlich als Machtkampf zwischen Individuen dar.

Die Sozialistische Gleichheitspartei hat gestern eine Erklärung [3] veröffentlicht, die zur Ablehnung des Koalitionsvertrags aufruft und die Offenlegung aller geheimen Absprachen fordert.

Die Arbeiterklasse und die 450.000 SPD-Mitglieder, die über den Koalitionsvertrag abstimmen, haben "ein Recht zu wissen, was die Große Koalition im Schilde führt", heißt es darin. "Das gilt nicht nur für den Koalitionsvertrag, dessen wirklicher Inhalt von Medien und Parteien gezielt beschönigt, vertuscht und verfälscht wird, sondern auch für die weitreichenden Absprachen und Vereinbarungen, die hinter den Kulissen getätigt wurden. Die SGP fordert deshalb, dass alle geheimen Protokolle und Teilnehmerlisten der Koalitionsgespräche veröffentlicht werden."

Die Machtkämpfe innerhalb der SPD, die Intrigen hinter den Kulissen, die Art und Weise, wie führende Politiker an einem Tag zum Minister gekürt und am nächsten abgeschossen werden, bestätigen die Wichtigkeit dieser Forderung. Es darf nicht zugelassen werden, dass eine Verschwörung von Politikern, Wirtschaftsvertretern, Medien und Militärs die rechteste Regierung seit dem Sturz des Nazi-Regimes an die Macht bringt.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2017/12/06/gabr-d06.html
[2] https://www.wsws.org/de/articles/2018/02/08/grok-f08.html
[3] https://www.wsws.org/de/articles/2018/02/09/pers-f09.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.02.2018
Der Rückzug von Martin Schulz
http://www.wsws.org/de/articles/2018/02/10/schu-f10.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2018

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