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GLEICHHEIT/6761: Wohnungsnot verschärft soziale Ungleichheit


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Wohnungsnot verschärft soziale Ungleichheit

Von Sonja Bach
12. November 2018


Immer mehr Menschen müssen immer tiefer ins Portemonnaie greifen, um sich eine Wohnung leisten zu können. Steigende Mieten auf der einen Seite und Reallohnverluste auf der anderen Seite führen dazu, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriftet.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Humboldt-Universität Berlin in Kooperation mit dem University College in London. Die Wissenschaftler Christian Dustmann, Bernd Fitzenberger und Markus Zimmermann haben untersucht, inwieweit die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland zur sozialen Ungleichheit beiträgt. Grundlage ihrer Untersuchungen waren die Daten von über 100.000 Menschen aus einer Einkommens- und Verbraucherstichprobe der Amtlichen Statistik im Zeitraum zwischen 1993 und 2013.

Ihre Ergebnisse bestätigen, was Millionen Menschen tagtäglich spüren. Mussten Haushalte mit geringerem Einkommen (die unteren 20 Prozent gemessen am Nettoeinkommen) im Untersuchungsjahr 1993 noch 27 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Wohnungskosten aufbringen, so sind diese Kosten im Jahr 2013 auf 39 Prozent gestiegen. Für Haushalte mit besonders hohen Einkommen (die oberen 20 Prozent) sind diese Kosten dagegen gesunken, von 16 Prozent im Jahr 1993 auf 14 Prozent im Jahr 2013.

Gleichzeitig sind die Reallöhne für Geringverdiener im selben Zeitraum gesunken. Die unteren 10 Prozent verdienten 2013 durchschnittlich 10 Prozent weniger als 1993, während die oberen 10 Prozent der Gesellschaft einen Zuwachs von 7 Prozent verbuchen konnten.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die drastische Erhöhung der Mieten seit den 1990er Jahren, eine Veränderung der Wohnverhältnisse (mehr Einzelhaushalte und starker Zuzug in die Großstädte) und die Senkung des Reallohnes zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit in Deutschland geführt hat.

Eine weitere aktuelle Studie kommt zu einem ähnlichen, teils noch drastischeren Ergebnis. Der Soziologe Stephan Junker wertete in einem Kurzgutachten für den Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD) zahlreiche Untersuchungen und Statistiken aus, um den Zusammenhang von Mietbelastung, sozialer Ungleichheit und Armut herauszuarbeiten.

Das Ergebnis: Geringverdiener mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1300 Euro müssen sogar 46 Prozent ihres Einkommens für die Mietkosten ausgeben. Dadurch rutschen viele unter das Existenzminimum. Der Autor stellt fest: "Die Miete macht ueine Million Haushalte in Großsta so arm, dass ihr Einkommen nach Miete unter dem Regelsatz von Hartz IV liegt." Besonders betroffen sind Rentner, Einpersonenhaushalte, Alleinerziehende sowie Menschen mit Migrationshintergrund.

Wohnungsnot und zunehmenden Armut sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen Politik der Privatisierung und Umverteilung, die die Handschrift sämtlicher Parteien von der CDU/CSU bis zur Linkspartei trägt. Seit den 1990er Jahren hat sich der Staat zunehmend aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen. Häuser und Grundstücke in öffentlicher Hand wurden privatisiert und die Subventionen für Sozialwohnungen gestrichen.

Die Folge ist, dass von den fast 4 Millionen Sozialwohnungen im Jahr 1987 im Jahr 2017 nur noch ca. 1,2 Millionen übrig sind. Diese Zahl wird in den folgenden Jahren noch weiter sinken, da jährlich ca. 100.000 weitere Sozialwohnungen aus der Sozialbindung herausfallen und die Eigentümer dann Mieten zu marktüblichen Preisen verlangen können. Schätzungen zufolge fehlen schon heute über 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen in den Großstädten.

Der überwiegende Teil der kommunalen Wohnungen wurde an private Finanzinvestoren verkauft. Ihr Geschäftsmodell zielte auf maximale Rendite ab. Sie sanierten die Wohnungen notdürftig, erhöhten die Mieten und verkauften sie dann gewinnbringend weiter.

Eine besonders zynische Rolle bei den Privatisierungen spielt die Linkspartei. Während sie in ihrem Programm für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum eintritt, treibt sie überall dort, wo sie Einfluss in Regierung und Parlamenten ausübt, die Privatisierungspolitik voran.

Das sind nur zwei Beispiele: In Dresden spielte die Linkspartei im Jahr 2006 als zweitstärkste Kraft im Stadtrat eine Schlüsselrolle beim spektakulären Ausverkauf des gesamten Bestands an kommunalen Wohnungen - gesammelt in der Wohnungsbaugesellschaft Woba mit 48.000 Wohnungen, 1300 Gewerbeeinheiten und 492 Mitarbeitern - an die US-amerikanische Investorengruppe Fortress.

Aufgrund des Abschlusses einer sogenannten Sozialcharta, die unter anderem Luxussanierungen ausschloss und einen Kündigungsschutz für Mieter über 60 Jahren vorsah, stellte sie den Deal als sozialverträglich dar. Beim Weiterverkauf der Wohnungen wurde diese Sozialcharta jedoch weitgehend ignoriert und nicht in die neuen Verträge übernommen.

Heute gehören die Wohnungen zu Vonovia, dem größten privaten Wohnungsunternehmen Deutschlands. Das DAX-Unternehmen mit einem Börsenwert von ca. 24 Milliarden US-Dollar ist berüchtigt dafür, Mieterhöhungen durch überflüssige Modernisierungen zu erwirken. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis für eine Wohnung in Dresden liegt mittlerweile bei 8,25 Euro. 2011 waren es noch knapp 6 Euro.

Besonders zugespitzt ist die Situation in Berlin. Hier ist die Linkspartei Regierungspartei und hat bereits in der Zeit des rot-roten Senats von 2001 bis 2011 zusammen mit der SPD den Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau vorangetrieben. 2004 verkaufte das Land ihr größtes Wohnungsbauunternehmen GSW mit 66.000 Wohnungen an die Immobilienspekulanten Cerberus und den zu Goldman Sachs gehörenden Whitehall-Fonds. Der Kaufpreis betrug 405 Millionen Euro und war damit mit ca. 6000 Euro pro Wohnung lächerlich gering. Bereits wenige Jahre später konnten die Investmentunternehmer einen satten Gewinn von 477 Millionen Euro einstreichen, als sie einige der Wohnungen zu je 15.000 Euro weiterverkauften.

Nachdem sich die Finanzinvestoren den größtmöglichen Gewinn aus der GSW gezogen hatten, verscherbelten sie das Wohnungsunternehmen mit der erneuten Hilfe des Berliner Senats an der Börse. 2015 wurde es schließlich nach dem Kauf durch die Deutsche Wohnen AG endgültig abgewickelt. Für die Linkspartei hatte neben anderen auch die heutige Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, dem Börsengang als damalige Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz zugestimmt.

Die Folgen dieser Politik im Interesse der Banken und Spekulanten sind für Millionen von Menschen katastrophal. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt in Berlin mittlerweile bei 12,37 Euro (Mietspiegel 2018). In manchen Bezirken wie Mitte muss man zwischen 14 und 15 Euro pro Quadratmeter zahlen. Doch der Mietwucher betrifft nicht nur die zentralen Bezirke. Eine Wohnkarte der Berliner Morgenpost zeigt die durchschnittliche Erhöhung der Mieten in ganz Berlin. Danach hat sich beispielsweise die Miete an bestimmten Orten in Neukölln seit 2009 um 144 Prozent auf 12,22 Euro erhöht. Auch im Wedding, ein klassischer Arbeiterbezirk im Norden Berlins, ist der Quadratmeterpreis um über 100 Prozent auf 10, teilweise auf 13 Euro gestiegen.

Diese Zustände, die auch in anderen deutschen Großstädten und weltweit existieren, zeigen, dass die Wohnungskrise nicht im Rahmen des kapitalistischen Systems gelöst werden kann. Letztlich kann das Recht auf einen guten und bezahlbaren Wohnraum nur in einer Gesellschaft gesichert werden, in der die Bedürfnisse der Menschen höher stehen als die Profitinteressen der Wirtschaft. Das erfordert ein sozialistisches Programm. Die großen Vermögen, Banken und Konzerne - inklusive aller Immobilienhaie - müssen enteignet und unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.11.2018
Wohnungsnot verschärft soziale Ungleichheit
www.wsws.org/de/articles/2018/11/12/wohn-n12.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2018

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