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GLEICHHEIT/7046: Trotz Coronavirus-Risiko - Julian Assanges Freilassung auf Kaution abgelehnt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Trotz Coronavirus-Risiko: Julian Assanges Freilassung auf Kaution abgelehnt

Von Thomas Scripps
27. März 2020


Die britische Richterin Vanessa Baraitser lehnte am Mittwoch einen Antrag des WikiLeaks-Gründers Julian Assange auf Entlassung auf Kaution rundheraus ab. Assange befindet sich immer noch in Untersuchungshaft im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo er auf den Abschluss seiner Auslieferungsanhörung warten muss. Er soll an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden, wo ihm lebenslange Haft wegen des Vorwurfs der Spionage droht.

Die Entscheidung der Richterin ist ein weiterer Beweis dafür, dass die britische Regierung und die amerikanische Trump-Regierung den weltberühmten Journalisten lieber tot als lebendig sehen würden. Assanges Anwälte hatten den Kautionsantrag mit dem "sehr realen und potenziell tödlichen" Risiko begründet, das die Coronavirus-Pandemie für seine angeschlagene Gesundheit darstellt.

Baraitser traf ihre Entscheidung, obwohl der Ruf nach Assanges Freilassung immer lauter wird. Der Gefangene von Belmarsh ist tatsächlich in großer Gefahr, da die überfüllten britischen Gefängnisse auf die Coronavirus-Krise völlig unvorbereitet sind.

Laut Allan Hogarth von Amnesty International (Großbritannien) müssen ältere Häftlinge und solche mit gesundheitlichen Problemen, die "keine Bedrohung für sich oder für die Gesellschaft" darstellen, "sofort" für eine Freilassung in Betracht gezogen werden. Auch der Gefangenenberatungsdienst fordert, alte oder gebrechliche Menschen und alle Personen, die keine Bedrohung darstellen, jetzt unverzüglich freizulassen.

Kurz vor der Anhörung im Februar hatten über 17.000 Menschen eine Petition an Innenministerin Priti Patel unterzeichnet, in der sie "die Freilassung von Julian Assange aus dem Belmarsh-Gefängnis fordern, bevor sich COVID-19 ausbreitet".

Aufgrund des Shutdowns in Großbritannien war das Gericht am Dienstag nur spärlich besucht, und mehrere Anwälte nahmen online teil. Vor Ort anwesend waren Baraitser selbst, ein Gerichtsdiener, Assanges führender Verteidiger Kronanwalt Edward Fitzgerald, fünf Journalisten und sechs WikiLeaks-Anhänger.

Baraitser informierte das Gericht zunächst darüber, dass Belmarsh Assange nur 15 Minuten Zeit für eine Zuschaltung über Videolink gewährt hatte. Der Rest der Anhörung müsse in seiner Abwesenheit stattfinden. Doch Assange konnte praktisch gar nicht teilnehmen, da er technische Probleme hatte, sich mit seinen Anwälten fernmündlich abzusprechen. Er sagte an einer Stelle: "Ich kann nicht die Hälfte von dem hören, was sie sagen."

Unter solchen Bedingungen eines eklatant fehlerhaften Verfahrens brachten die US-Ankläger eine Salve von Lügen vor, um zu rechtfertigen, dass der WikiLeaks-Gründer im Gefängnis bleiben müsse.

Rechtsanwältin Clair Dobbin sagte zunächst, es sei nicht Sache des Gerichts, einzelne Gefangene freizulassen, sondern des Justizministeriums. Das Gericht, so sagte sie, "kann der Regierung nicht vorgreifen". Aber es war Richterin Baraitser, die im September 2019 verfügte, dass Assange weiter in diesem Hochsicherheitsgefängnis bleiben müsse, obwohl die Haftzeit wegen "Kautionsflucht" abgelaufen war.

Dobbin wiederholte die inzwischen doppelt absurde Begründung der Staatsanwaltschaft, Assange müsse in Untersuchungshaft verbleiben, weil bei ihm "eine unwiderlegbare Fluchtgefahr" bestehe. Dies sagte sie von dem berühmtesten politischen Gefangenen der Welt - in der jetzigen Situation der nationalen Abriegelung, wo der gesamte internationale Reiseverkehr unterbrochen ist.

"Es gibt konkrete Beweise für Fluchtpläne", behauptete sie. "Er wurde schon geprüft und hat nicht bestanden."

Dies bezieht sich darauf, dass Assange 2012 sein Recht auf Asyl nutzte, um in der ecuadorianischen Botschaft Unterschlupf zu finden und einer internationalen Hetzjagd zu entgehen, die das mörderische US-Regierung gegen ihn eingeleitet hatte. So nutzen Assanges Verfolger ihr früheres kriminelles Verhalten als Rechtfertigung für ihre heutigen Verbrechen.

Dobbin behauptete daraufhin, Assange gehöre "nicht zu den Hochrisikogruppen für Coronaviren", und sie deutete an, dass ohnehin nur ein geringes Infektionsrisiko bestehe, "denn wie bekannt, werden Besuche von Familienmitgliedern in den Gefängnissen nicht mehr zugelassen".

Assange hat ein chronisches Lungenleiden und ist stark geschwächt infolge der brutalen Behandlung in den letzten zehn Jahren, die psychologischer Folter gleichkommen. Am Dienstag twitterte die Unterstützergruppe Doctors4Assange: "Medizinisch, rechtlich, ethisch und moralisch muss Assange morgen auf Kaution freigelassen werden."

Lissa Johnson, eine Sprecherin der Gruppe, twitterte: "Wenn Julian Assange am Mittwoch keine Kaution gewährt wird und er Covid-19 im Gefängnis erliegt, wird sein Tod eine politisch motivierte, staatlich sanktionierte Tötung durch vorsätzliche medizinische Vernachlässigung sein."

Der Fall Assange, so die Doctors4Assange, stelle im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ein "deutlich erhöhtes Todesrisiko inmitten der Covid-19-Pandemie" dar. Die Gruppe zitierte die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation und die Warnung der Präsidentin der Vereinigung der Gefängnisdirektoren, dass Gefängnisse 'fruchtbarer Nährboden' für das Coronavirus seien, sowie auch die Warnung von Professor Richard Coker von der London School of Hygiene and Tropical Medicine, der vor einem "erheblichen Risiko einer besonders schnellen Verbreitung des Virus in den Gefängnissen" gewarnt hatte.

Diese Warnungen könnten schneller bestätigt werden als gedacht. Bereits am letzten Dienstag waren 4.300 Gefängnismitarbeiter (12 Prozent der Gesamtbelegschaft) nicht auf die Arbeit gekommen, weil sie erkrankt oder in Selbstisolation waren. Das Justizministerium hat bekannt gegeben, dass 19 Gefangene in zehn Gefängnissen positiv getestet worden seien, dazu kommen vier Gefängniswärter in vier Gefängnissen und drei Mitarbeiter des Häftlingsbegleitdienstes. Das Belmarsh-Gefängnis befindet sich in London, dem britischen Epizentrum der Pandemie.

Assanges Kronanwalt Fitzgerald kommentierte die Behauptung der Anklage, dass Assange ein Fluchtrisiko darstelle, mit den Worten: "Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass er den Rechtsstreit, in dem er sich befindet, jetzt aufgeben würde." Er schilderte die strengen Auflagen für eine Freilassung auf Kaution, auf die sich die Verteidigung öffentlich eingelassen hatte, um Assange in Sicherheit zu bringen. Sie beinhalten Hausarrest bei seinem Partner und Vater, eine Fußfessel, welche die Behörden alarmieren würde, wenn er auch nur das Innere des Hauses verließe, und 12 Bürgschaften für eine Kaution.

Zu den Risiken für Assanges Gesundheit und Leben erklärte Fitzgerald, die medizinische Expertin Dr. Sondra Crosby sei "der Ansicht, dass er besonders gefährdet ist, sich an Coronavirus anzustecken. Wenn das geschehen sollte, würde dies bei ihm zu sehr schweren Komplikationen führen."

Crosby habe betont, sollten bei Assange kritische Symptome auftreten, "wäre es sehr zweifelhaft, dass Belmarsh damit fertig werden könnte".

Assange, so Fitzgerald weiter, "wird unter Umständen, auf die er keinen Einfluss hat, weiterhin in Haft behalten". Die Gefahr werde noch verschärft durch "das Risiko für seine psychische Gesundheit und für seinen menschlichen Umgang" aufgrund der Sperrbestimmungen. Zum Beispiel werden die strengen Corona-Bestimmungen Assanges ohnehin schon minimale Kontaktzeit mit seinen Anwälten weiter einschränken.

Auf die Behauptung der Staatsanwaltschaft, Assange laufe kaum Gefahr, mit dem Virus in Kontakt zu kommen, erklärte Fitzgerald: "Als wir uns um Zugang zu Belmarsh bemühten, wurde uns mitgeteilt, dass 100 Mitarbeiter aufgrund des Coronavirus krank seien. Es heißt also nicht, dass es in Belmarsh kein Coronavirus-Problem geben würde."

Baraitser reagierte mit der Erklärung, dass "die globale Pandemie ... kein Grund für Assanges Freilassung" sei. Sie habe "keinen Grund", den Anweisungen der Regierung zum Schutz der Gefangenen vor dem Virus "nicht zu vertrauen", denn sie seien "sowohl auf Erfahrung gegründet als auch zuverlässig und angemessen".

Nach dem Urteil twitterte der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer: "Keine Überraschung. Würde sich Großbritannien um Assanges Gesundheit, Gerechtigkeit oder [die] Rechtsstaatlichkeit kümmern, dann würde er nicht zum Zweck der Unterdrückung der Pressefreiheit verfolgt, inhaftiert und gefoltert, und er würde nicht an ein Land ausgeliefert werden, das totale Straffreiheit für Folter und Kriegsverbrechen in Anspruch nimmt."

Im Namen der Doctors4Assange sagte Dr. Stephen Frost der World Socialist Web Site: "Wir sind erstaunt, dass Julian Assange die Kaution verweigert wurde, obwohl dem Gericht medizinische Gutachten vorlagen, die die Freilassung gegen Kaution dringend empfehlen. Nach den vorliegenden Beweisen müssen die Ärzte davon ausgehen, dass Assange angesichts des fehlenden Zugangs zu angemessener medizinischer Versorgung seit 2012 in jedem Gefängnis, besonders aber in einem Gefängnis wie Belmarsh, als stark immungeschwächt und daher einem stark erhöhten Risiko ausgesetzt ist, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und daran zu sterben. Jeder zusätzliche Tag, an dem Assange im Gefängnis Belmarsh eingesperrt ist, stellt eine erhöhte Bedrohung für sein Leben dar."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.03.2020
Trotz Coronavirus-Risiko: Julian Assanges Freilassung auf Kaution abgelehnt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2020

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