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GRASWURZELREVOLUTION/1031: Solidarische Ökonomie in Kamerun


graswurzelrevolution 341, September 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Solidarische Ökonomie in Kamerun
Selbstorganisation als Antwort auf soziale Probleme

Von Markus


In Deutschland wurden in diesem Jahr hunderte Milliarden Euro in die Rettung der Banken gepumpt, um einen Kollaps des gesamten Wirtschafts- und möglicherweise auch des Gesellschaftssystems zu verhindern. Zumindest letzteres Scheint dabei gelungen:

Der brave Bürger zahlt sein sauber Erspartes weiterhin auf sein Bankkonto ein, mit der festen Überzeugung, dass sein Geld dort sicher aufgehoben ist und sich im besten Fall ein wenig vermehrt. Statt das eigene Handeln in Bezug auf das globale Wirtschaften zu überdenken, wird im Stile des "Weiter So" hierzulande alles dafür getan, den "Casino-Kapitalismus" aufrecht zu erhalten und die nächste Wirtschaftskrise vorzubereiten. Auch bei sozialen Schwierigkeiten und jeglicher Art verlässt mensch sich lieber auf Vater Staat, als selbst aktiv zu werden.

In vielen afrikanischen Ländern haben die anhaltenden sozialen, aber auch wirtschaftlichen Probleme dagegen zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den meist hochgradig korrupten Staaten und den Banken geführt. Statt darauf zu warten, dass sich Kirchen, internationale NGOs oder Behörden um sie kümmern, haben die Menschen vielerorts ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen und dabei ein komplexes Netzwerk von Strukturen Solidarischer Ökonomie aufgebaut. Zwar geht es dabei (noch) nicht um den Kuchen oder die ganze Bäckerei (soziale Revolution), wohl aber darum, jeder und jedem auch in Zeiten finanzieller Notstände die tägliche Scheibe Brot und ein Stück Handlungsfähigkeit zu sichern.


Selbstbestimmt, basisdemokratisch und kulturell integriert.

Beispielhaft hierfür gilt der Norden Kameruns, wo sich seit ca. 15 Jahren ein großer Teil der Bevölkerung in "Sparklubs" (Tontine) oder einer Art Bürgerinitiative (groupement d'initiative communautaire) organisiert, um lokale Probleme gemeinsam anzugehen.

Das Prinzip ist ebenso simpel wie genial: Da die/der Einzelne mit den individuell zur Verfügung stehenden Mitteln etwas teurere, aber dringend nötige Investitionen nicht tätigen und sich Kredite nicht leisten kann, werfen alle Mitglieder einer Gruppe einen bestimmten Betrag in die Gemeinschaftskasse, von der schließlich alle profitieren.

Eine Tontine funktioniert folgendermaßen: Bei den regelmäßigen (meist wöchentlich) stattfindenden Treffen gibt jedes Mitglied der Tontine einen vorher festgelegten Betrag in die Kasse, die dann der Reihe nach jede Woche einem Mitglied der Gruppe zugeteilt wird. Die oder der Begünstigte hat dann (zinsfrei) auf einmal einen Haufen Geld zur Verfügung (je nach Höhe der Beiträge und Anzahl der Mitglieder) und kann damit größere Investitionen tätigen. Bei einigen Tontines wird nicht alles Geld auf diese Weise ausgezahlt, sondern es fließt immer auch ein kleiner Prozentteil in die Gemeinschaftskasse, womit dann z.B. Kulturveranstaltungen finanziert werden.

Bei den meisten dieser Gruppen wird das Geld dieser Gemeinschaftskasse auch dafür verwendet, den Mitgliedern im Fall von Krankheiten, Tod von Familienmitgliedern, Geburtstagen oder Geburten finanzielle Unterstützung zu bieten.

Die GICs sind ähnlich organisiert wie die Tontines, mit dem kleinen Unterschied, dass sie offiziell in einem Register eingetragen sind und im weitesten Sinne ökonomische Ziele verfolgen. Der Vorteil der Organisationsform einer solchen Gruppe besteht darin, dass die Mikrokreditinstitute eher bereit sind, einer GIC kleine Darlehen zu geben, als Einzelpersonen. Mit diesem Geld können die Aktiven dann ihre Projekte mitfinanzieren. Welche Aktivität eine solche Gruppe im Endeffekt wirklich ausführt, variiert dabei ebenso stark wie die Anzahl der Mitglieder.

Manche ähneln in ihrem Tätigkeitsfeld stark den hiesigen Genossenschaften. In ihnen vereinigen sich die Bauern eines Viertels, um ihre Arbeitswerkzeuge auszutauschen und mit dem gesammelten Geld neue Gerätschaften zu kaufen. Andere wiederum übernehmen hauptsächlich kulturelle Aufgaben, organisieren religiöse Feste oder betreiben gemeinsam ein Gemeinschaftszentrum.

Einige unter ihnen verwenden die gemeinsame Kasse, um Lernmittel für die Schulkinder eines Viertels anzuschaffen oder kostenfreien (Nachhilfe-)Unterricht anzubieten, während andere Aids- und HIV-Aufklärung sowie Hilfe organisieren. Ob Behindertengruppen, InformatikerInnen, die eine öffentlich zugängliche Bibliothek eingerichtet haben, oder SchülerInnen, die sich gegenseitig mit Büchern oder Heften aushelfen: überall finden sich Menschen meist aller Altergruppen, Ethnien und Religionen zusammen, um die alltäglichen Probleme gemeinsam und solidarisch anzugehen.

Als beispielhaft für einen solchen Zusammenhang kann die Tontine ASFALUCOP (Assoziation von Frauen, die gegen die Armut kämpfen), gelten, in der Mme Aïssatou (Name geändert) organisiert ist.

Im Jahre 2003 hat sie sich mit 40 anderen Frauen des Stadtteils zusammengeschlossen, um die Schwierigkeiten des Alltags gemeinsam anzugehen. "Alle Frauen hatten anfangs große finanzielle Probleme. Wir hatten weder Geld, um Handel zu treiben, noch genug, um unsere Kinder ordentlich zu ernähren."

Seitdem hat sich die Lage für alle verbessert, berichtet Aïssatou weiter: "Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben richtig viel eigenes Geld und bin dadurch finanziell unabhängiger geworden." Die Frauen treffen sich wöchentlich, die Tontine beträgt umgerechnet etwa 300 Euro (ein Brot kostet ca. 40 Cent). Getauscht wird längst nicht mehr nur Geld: auch Teller, Teppiche, Seifen oder andere Haushaltsgegenstände wechseln - je nach Bedarf - die Besitzerin.

Die GICs und Tontines spielen nicht nur ökonomisch eine wichtige Rolle für die Entwicklung einer Region, sondern sind häufig auch zentraler Bezugspunkt im sozialen Leben der Mitglieder geworden. Neben den finanziellen Beihilfen, die fast jede dieser Gruppen ihren Mitgliedern im Fall von Krankheiten, Tod von Familienmitgliedern, Hochzeiten oder Geburtstagen gewährt, unterstützen sich die Mitglieder auch moralisch. "Im Laufe der Jahre sind wir wie eine große Familie geworden, wir lachen zusammen und wir weinen zusammen", fasst Aïssatou die Stimmung innerhalb der Tontine zusammen.

Was vor knapp 20 Jahre als kleine, familieninterne Sparklubs begann, hat sich im Laufe der Jahre zu einer wichtigen Struktur Solidarischer Ökonomie entwickelt. Gruppen von mehr als 50 Personen sind längst keine Seltenheit mehr und dementsprechend haben sie auch wirtschaftlich enorm an Bedeutung gewonnen.

Obwohl wissenschaftliche Publikationen diesbezüglich kaum vorhanden sind, geht mensch davon aus, dass - je nach Region - über 20 % der Bevölkerung in diesen Gruppen organisiert sind.


Markus (23) ist Student der Sozialwissenschaften und erforscht derzeit mit Studenten aus Maroua (Nordkamerun) die Strukturen Solidarischer Ökonomie vor Ort.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 341, September 2009, S. 5
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2009