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GRASWURZELREVOLUTION/1082: Für die Verteidigung des Koalitionsrechts


graswurzelrevolution 347, März 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Für die Verteidigung des Koalitionsrechts
Aufhebung des Verbots gewerkschaftlicher Betätigung für die FAU Berlin!

Appell an alle Mitglieder und Funktionäre der Gewerkschaften, an alle Anhänger/innen des Grundrechtes zur Bildung freier und unabhängiger Interessenorganisationen der abhängig Beschäftigten


In der GWR 346 haben wir über den Kampf um das Berliner Babylon-Kino und den Versuch der Geschäftsleitung die betriebliche Arbeit der anarchosyndikalistischen FAU Berlin zu unterbinden berichtet. Nun hat sich ein Solidaritätskomitee für gewerkschaftliche Freiheit gebildet, das aus einem breiten UnterstützerInnen-Kreis vor allem von DGB-Mitgliedern besteht. Die Graswurzelrevolution solidarisiert sich mit den GenossInnen der FAU und unterstützt den - inklusive UnterstützerInnenliste - auf www.graswurzel.net zu findenden Appell.
(GWR-Red.)


In den letzten Jahren haben deutsche Arbeitsgerichte immer wieder versucht, das eh schon beschränkte Koalitionsrecht in Deutschland weiter einzuengen. 2007 traf es die Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GdL), der wegen der "enormen Schadenshöhen" Streiks im Fern- und Güterverkehr verboten wurden. Und wer hat noch den Überblick über all die Fälle, bei denen Unternehmer mit gerichtlichem Segen versucht haben, durch sog. Verdachtskündigungen die gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb zu ersticken?

Diese unternehmergefällige Arbeitsrechtsprechung hat jetzt einen neuen Höhepunkt erreicht: Gerichte in Berlin haben massiv in einen Tarifkonflikt im Berliner Filmtheater "Babylon" eingegriffen. Zuerst untersagte das Landesarbeitsgericht der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union Berlin (FAU) den Aufruf zu einem Boykott ihres Unternehmers, des Kinobetreibers Neue Babylon GmbH. Hierzu hatten sich die Belegschaftsvertreter im Kampf gegen ihre Hungerlöhne entschlossen, nachdem der Geschäftsführer des Kinos jegliche Verhandlungen ablehnte. In einer Einstweiligen Verfügung erklärten die Richter, dieses gewerkschaftliche Kampfmittel stehe der FAU Berlin nicht zur Verfügung, da sie keine Tarifmächtigkeit besitze. Die Einstweilige Verfügung des LAG wurde dann in einer neuen Einstweiligen Verfügung auf Antrag des Kinos noch weiter verschärft. Darin verbot das Landgericht der FAU Berlin sich weiterhin Gewerkschaft oder Basisgewerkschaft zu nennen und sprach damit faktisch ein Verbot. gewerkschaftlicher Betätigung gegen sie aus. Für den Fall, dass die FAU Berlin nicht in allen ihren Publikationen den Eindruck beseitige, sie mache gewerkschaftliche Arbeit, drohen ihren Sekretären ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro oder sechs Monate Haft. Die Berliner Arbeitsrechtsentscheide betreffen nicht nur die FAU. Sie gehen alle an.

Nach ILO-Leitlinien und gemäß der Sozialcharta der EU ist eine Organisation eine Gewerkschaft, wenn sie von abhängig Beschäftigten freiwillig gebildet wurde, Gegner frei und sozialmächtig ist. All dies trifft für die FAU im Konflikt um den Haustarifvertrag im Kino Babylon zu. Eben deshalb hat das Unternehmen auch die Gerichte bemüht. Wegen fehlender Sozialmächtigkeit auf überbetrieblicher Ebene stellt das Gericht jedoch die Gewerkschaftseigenschaft der FAU Berlin in diesem Haustarifkonflikt nun in Frage. Würde eine solche Argumentation zu europäischem Recht, wären wichtige Teile der real existierenden Gewerkschaften in Italien und Großbritannien illegal. Auch alle in Branchen organisierten Gewerkschaften, die nur in bestimmten Betrieben tatsächlich handlungsmächtig sind, werden nun bedroht, weil sie auf Branchenebene faktisch nicht durchsetzungsfähig sind. Und die Bildung neuer Gewerkschaften in gewerkschaftlich nicht organisierten neuen Branchen im Kampf von Betrieb zu Betrieb wird damit völlig verhindert. Ebenso die Bildung allgemeiner Gewerkschaften, deren Tariffähigkeit vielleicht nur in anderen, als den umkämpften Branchen besteht.

In einer Zeit, in der Arbeitsverhältnisse immer prekärer werden, der gewerkschaftliche Schutz und die Tarifbindung in vielen Branchen oder Regionen schwindet, brauchen die abhängig Beschäftigten jedoch mehr denn je verlässliche Rechte, um sich dieser Entwicklung kollektiv zu widersetzen. Das Recht, sich in Gewerkschaften eigener Wahl zusammenzuschließen ist dafür von fundamentaler Bedeutung. Die aktuelle Arbeitsrechtsprechung erweist sich immer mehr als Versuch, dieses grundlegende Recht einzuschränken, seine Ausübung zu erschweren und letztlich zu vereiteln.

In Deutschland besteht das Gros der arbeitsrechtlichen Normen aus Richterrecht statt aus gesetzlich fixierten Normen, d. h. das Arbeitsrecht entwickelt sich ständig und ist beeinflussbar. Deshalb appellieren wir an die Mitglieder und Funktionäre, an die gewerkschaftlichen Gliederungen und Vorstände der Gewerkschaften und besonders der DGB-Gewerkschaften; deshalb appellieren wir an alle Anhänger/innen des Grundrechtes zur Bildung freier und unabhängiger Interessenorganisationen der abhängig Beschäftigten: Verhindert, dass aus dieser Einstweiligen Verfügung endgültiges Recht wird -. Übt Solidarität, auch wenn ihr mit der gewerkschaftspolitischen Orientierung der FAU nicht einverstanden seid. Es geht um gemeinsame Grundrechte, die nur gemeinsam verteidigt werden können. Unterschreibt und verbreitet diesen Aufruf, mobilisiert eure gewerkschaftlichen Gremien, meldet euch in Unternehmen, in Medien und in der Politik zu Wort. Skandalisiert die Urteile der Berliner Gerichte.

Solidaritätskomitee für gewerkschaftliche Freiheit,
Berlin, 14.02.2010


Kontakt:
koalitionsfreiheit@googlegroups.com
Bisherige UnterzeichnerInnen siehe:
http://www.labournet.de/diskussion/geschwerkschaft/real/fausoli.pdf


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, GWR 347, März 2010, S. 2
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2010