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GRASWURZELREVOLUTION/1239: Die Bakuninhütte in Meiningen


graswurzelrevolution 366, Februar 2012
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"... ein Stück praktischer Solidarität"
Die Bakuninhütte in Meiningen


1920 erwarben Meininger Anarchosyndikalistinnen und Anarchosyndikalisten ein 0,64 Hektar großes Stück Land auf der Hohen Maas, einem Berg in der Nähe vom thüringischen Meiningen.(1)


Dabei folgten sie dem Kropotkin'schen Gedanken der Gegenseitigen Hilfe, "für die erwerbslosen Genossen Kartoffeln, Gemüse usw. anzubauen. Es war dies ein Stück praktischer Solidarität im Kampf um das tägliche Brot", schreibt die Wochenzeitung 'Der Syndikalist' im Jahr 1931.(2)

Das Geld für das Grundstück, 21.000 Reichsmark, konnte gemeinschaftlich durch Spenden und Darlehen aufgebracht werden, und bereits 1922 waren alle offenen Schulden zurückgezahlt oder erlassen. So berichtet Fritz Scherer, der zeitweilig Hüttenwart der Bakuninhütte war und durch seine Aufzeichnungen zu einem "Hüttenchronisten" wurde.

Bis 1925 wurde auf dem Acker Gemüse angebaut, danach ließ man die Fläche brach liegen und errichtete ab 1926 auf dem Grundstück in gemeinschaftlicher Leistung eine erste Hütte. Es wurde der Siedlungsverein "Gegenseitige Hilfe" e.V. als Trägerverein gegründet, in Bezugnahme auf Kropotkin. Wie es in der Vereinssatzung heißt, war es Vereinszweck, "vor allem darauf bedacht zu sein, auf die Mitglieder erzieherisch im Sinne der gegenseitigen Hilfe einzuwirken". Im Jahr 1927 wurde mit einem ersten Ausbau die Hütte erweitert, welche zu Pfingsten 1928 feierlich eingeweiht wurde.

Die Bakuninhütte entwickelte sich zu einem vitalen Treffpunkt und Veranstaltungsort von Wander- und Naturbegeisterten, von Familien aller Strömungen der deutschen Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung und nicht zuletzt Erholungsort und Bildungsstätte für die anarchosyndikalistische Bewegung.

Für den Namensgeber Michail Bakunin, für Francisco Ferrer oder auch für Sacco & Vanzetti wurden Gedenksteine auf dem Grundstück errichtet. In der Hütte selbst war eine Gedenktafel mit dem Hüttenspruch eingelassen:

Freies Land und freie Hütte
Freier Geist und freies Wort
Freie Menschen, freie Sitte zieht
mich stets zu diesem Ort."

Im Frühjahr 1930 besuchte auch Erich Mühsam die Bakuninhütte, und im Sommer fand dort das erste Reichsferienlager der Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands statt. Die Bakuninhütte erwies sich für derartige Veranstaltungen als zu klein. Es wurde ein Erweiterungsbau beschlossen. Eine Bauzeichnung wurde angefertigt und eine Spendenkampagne initiiert.


"Heimstätte der Bewegung"

Um "das begonnene Werk zu fördern", wurde im 'Syndikalist' zum Vertrieb der Baufondskarten durch die Genossen aufgerufen: "Trotz der schweren wirtschaftlichen Lage muß es jeder Genosse als seine Pflicht betrachten, wenigstens zwei Baufondskarten abzusetzen! - Wir wissen alle, was die Parteischulen und Heime für die gegnerischen Organisationen bedeuten - wohlan, schaffen wir uns daher aus eigener Kraft mit der Bakuninhütte eine Heimstätte der Bewegung. Jeder helfe tatkräftig mit das begonnene Werk zu vollenden!"(3)

Hilfe bekam der Verein auch durch Menschen von außerhalb: Bis 1933 kamen Arbeiterinnen und Arbeiter von nah und fern, um die Bauarbeiten an der Hütte zu unterstützen, so aus Heinrichs, Goldlauter und sogar mit dem Fahrrad aus Erfurt und Sömmerda, der thüringischen Hochburg des Syndikalismus der damaligen Zeit. Alle halfen nach ihren Kräften bei dem Bauvorhaben mit.

Viele Baumaterialien wurden von den Helferinnen und Helfern selbst an die Hütte gebracht. Zement und Sand im Rucksack und sogar die Steine wurden einzeln auf den Berg getragen; manchmal wurde natürlich auch angeliefert.

Ins Gästebuch der Bakuninhütte, dem sogenannten Hüttenbuch, schrieb Herbert Levy, über seinen Aufenthalt nieder: "Weilte hier oben 3 schöne sonnige Tage, half nebenbei beim Bau der neuen Bakunin-Hütte. Schaufelte Steine und Sand, Mensch das war allerhand. Doch für die Anarcho-Syndikalisten würde ich auch ein Stall ausmisten. " [sic!]

Doch auch dieses praktische Projekt gelebter gegenseitiger Hilfe fand 1933 ein jähes Ende. Es folgte die Enteignung durch die Meininger SS, die die Hütte in den folgenden Jahren "SS-Hütte" nannte und für ihre Zwecke missbrauchte.

Ungefähr 1936 wurde die Hütte an einen Privatmann verkauft, bis 1945 die Liegenschaft der Sowjetischen Militäradministration Deutschland (SMAD) übertragen wurde. Bemühungen von Mitgliedern des Siedlungsvereins, die Hütte wieder zurück zu bekommen, scheiterten. Zuerst wurde die SED Eigentümerin, dann durchlief die Bakuninhütte eine Phase mit wechselnden Eigentümern als FDJ-Ferienstätte, Ferien- und Freizeitstätte für Betriebe, Forschungsstation für junge Naturforscherinnen und -forscher. Ab 1970 wurde sie als Übungsgelände der Bereitschaftspolizei der DDR genutzt. Mit der Wende fiel die Bakuninhütte letztlich dem Bundesvermögensamt zu.(4)


"Ja, das ist die Paganini-Hütte"

Dank Fritz Scherer wussten auch 1990 junge Menschen, dass es die Bakuninhütte gab. Sie machten sich auf die Suche nach der Hütte und fanden diese. Ein Schäfer, der dort auf der Hohen Maas seine Schafe hütete, räumte die letzten Zweifel aus: "Ja, das ist die Paganini-Hütte." Die SED hatte offensichtlich kein Interesse an dem ursprünglichen Namen, die Bakuninhütte wurde zur Touristenstation "August Bebel", lediglich im Volksmund überlebte der Name oral tradiert als "Paganini-Hütte".

Um den FAUD-Altgenossen Hans Spaltenstein aus Hannover, der selbst auf einen mehrmonatigen Aufenthalt in Meifingen zu Beginn der 1930er Jahre zurückblicken konnte, bildete sich u.a. ein Kreis von Unterstützerinnen und Unterstützern, jung und alt, um die Bakuninhütte rückübertragen zu bekommen. Es wurden Anträge von mehreren Interessengruppen gestellt, doch alle Bemühungen, auch die kurzzeitige Besetzung der Hütte durch junge Meininger/-innen (es war gerade die Hochphase der Hausbesetzungen in der ehemaligen DDR nach der Wende), scheiterten: Die Bakuninhütte gehörte weiterhin zu dem Bestand der Bundesanstalt für Immobilien, einer Nachfolgerin der Treuhand. Diese machte verschiedene Anläufe, die beiden historischen Flurstücke in einem Paket mit einem Gesamtvolumen von über 40 Hektar zu veräußern, es fand sich jedoch kein Käufer, zu hoch waren die Erlöserwartungen.

2003 gelang es dem Kreis der Wander- & Naturfreunde Meifingen C. V., ein Gebot abzugeben und in Gespräche mit der Eigentümerin zu treten.

Wie auch schon in den 1920er und Anfang der 1930er Jahre war es 2004 dem Einsatz Vieler zu verdanken, dass es zum Kauf einer Fläche von ca. 7 Hektar, bebaut mit der Bakuninhütte, kommen konnte: Etliche Menschen hatten gespendet, viele gaben Direktkredite mit langen Laufzeiten. Heute, 2012, ist nur noch ein Viertel der Kaufpreissumme offen, der Verein hat die Raten regelmäßig getilgt. Doch der Reihe nach:


Der Wanderverein Bakuninhütte

2006 wird der Wanderverein Bakuninhütte e. V. mit Sitz in Meifingen als Nutzer- und Unterstützerverein gegründet. Ein Hörfunkfeature im SWR II über die Geschichte der Hütte wird ausgestrahlt. Der Wanderverein gibt die beiden historischen Postkarten, darunter auch die Baufond-Postkarte und den historischen Stocknagel, wieder heraus. Intensive Recherche nach Zeugnissen aus der Zeit der Erbauerinnen und Erbauer zeitigen Erstaunliches: So werden im Sommer 2008 bei Angehörigen des Kassierers aus dem ehemaligen Siedlungsverein auch Zeitschriften und Bücher aus der Bibliothek der FAUD-Ortsgruppe gefunden. Darunter auch drei Werke von Peter Kropotkin: "Kommunismus und Anarchismus", "Die Eroberung des Brotes" und "Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt", aber auch Mitgliedsausweise, der Stempel des FAUD-Ortsvereins. Musikinstrumente, die damals oben auf der Hütte erklangen, Splitter der bei der Enteignung 1933 zerstörten Gedenktafel mit dem Hüttenspruch werden gefunden. Diese Funde bilden zusammen mit über 200 Fotos, etlichen Dokumenten und Interviews mit Zeitzeugen den Grundstock für das Vereinsarchiv, welches in einer eigens programmierten Archivsoftware erfasst wird und somit an die Geschichte dieses einzigartigen Kulturdenkmals erinnert.


Die Bakuninhütte - ein Wallfahrtsort?

Der Verein ist bis heute auf 80 Mitglieder angewachsen. Seit 2008 nimmt die Bakuninhütte regelmäßig an dem Tag des offenen Denkmals teil.

Der Verein veranstaltet Vorträge, organisiert Wanderungen und gab 2010 eine Gedenkschrift über den ehemaligen Hüttenwart Fritz Scherer heraus. Es wird begutachtet, geplant und repariert, bis ein erster wohlwollender Artikel in der Lokalpresse erscheint, der auch über die Fortschritte bei der Sanierung berichtet.

Diesen Zeitungsbeitrag nimmt die zuständige Untere Bauaufsichtsbehörde zum Anlass, einen Bescheid zu erlassen, der dem Verein sogar den Aufenthalt in der Hütte untersagt und die Einstellung sämtlicher Reparaturarbeiten wegen Nichtgenehmigungsfähigkeit verlangt. Dem Widerspruch des Vereins vor dem Amtsgericht Meiningen wird nicht stattgegeben, der Verein zieht vor die höchste verwaltungsrechtliche Instanz Thüringens, dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Weimar.

In dem eskalierenden Rechtsstreit wird deutlich, dass das Bauamt Angst davor hat, die Bakuninhütte könnte zum Wallfahrtsort werden. Das Landratsamt fordert den Abriss des Gebäudes. Vermittlungsversuche durch den thüringischen Landes-Wanderverband und Ortstermine mit Vertretern des Landratsamtes zur gütlichen außergerichtlichen Einigung scheitern an dem Unwillen der Amtsvertreter, auch des Landrats: Man wolle den Kollegen vom Bauamt nicht in den Rücken fallen!

Im März 2011 kommt es vor dem OVG Weimar zur Einigung: Die Hütte darf wieder genutzt werden, allerdings darf keine Gastronomie betrieben und es darf nicht übernachtet werden. Mit diesen Einschränkungen wurde die zweite Baugenehmigung von 1937 explizit wiederhergestellt.

Dieser Rechtsstreit kostete den Verein mehr als 5.000 Euro. Die regionale und überregionale Presse begleitete den Rechtsstreit wohlwollend. Im Juni 2011 berichtete sogar das MDR-Fernsehen im "Thüringen-Journal" über die Bakuninhütte und den Wanderverein.

Jetzt ist der Weg für eine abschließende Sanierung der Bakuninhütte frei! Wie auch in der Vergangenheit bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung, dieses einzigartige Kulturdenkmal wieder der Öffentlichkeit zur Nutzung übergeben zu können:


"Jede/-r helfe tatkräftig mit das begonnene Werk zu vollenden!"

Die grundsätzlichen Sanierungsmaßnahmen sind bereits abgeschlossen, jedoch müssen Fenster eingesetzt, die Wände verputzt und die Fußböden saniert werden. Besonders wichtig ist dabei der Fenstereinbau, da dieser den Übergang vom Rohbau zum Trockenbau einleitet.

Wie bisher wird der Verein auch in Zukunft darauf Wert legen, dass die jeweiligen Reparaturabschnitte von HandwerkerInnen des jeweiligen Gewerks begleitet werden, um professionelle Ergebnisse zu erzielen.

Zusammen mit Architekten schätzt der Verein den Bedarf auf 15.000 bis 20.000 Euro, je nach Anteil der Eigenleistung. Über alle Möglichkeiten zur Unterstützung informiert der Wanderverein gerne: Jede helfende Hand, ob gelernt oder ungelernt, ist willkommen.


Weitere Informationen:
www.bakuninhuette.de/hilfmit
kontakt@bakuninhuette.de


Anmerkungen:

(1) Siehe: Bakuninhütte sucht Tradition und neues Leben, Artikel von Uwe Flurschütz, in: Graswurzelrevolution Nr. 351, September 2010, S. 16

(2) Der Syndikalist, Beilage, Jahrgang 13, Nr. 27 vom 4.7.1931.

(3) Ebenda.

(4) Laut Aktenlage des Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Bestand : Land Thüringen.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 366, Februar 2012, S. 13
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2012