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GRASWURZELREVOLUTION/1333: "Hannah Arendt bleibt in unserem Gedächtnis"


graswurzelrevolution 379, Mai 2013
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Hannah Arendt bleibt in unserem Gedächtnis"

Gerti Kösslin im Gespräch mit der Filmproduzentin Bettina Brokemper und der Kuratorin Rivka Steinitz



"Sie war unsere Heldin", das sagte Pam Katz, die mit Margarethe von Trotta das Drehbuch für den Film "Hannah Arendt" geschrieben hatte, über Bettina Brokemper, die Produzentin des Films. Brokemper war die erste der Produzent/innen, mit denen von Trotta und Katz Kontakt aufgenommen hatten, die überhaupt schon einmal von Hannah Arendt gehört hatte. Sie hatte sie gelesen und wollte einen Film über diese große politische Denkerin des 20. Jahrhunderts machen. So entstand "Hannah Arendt", ein Film über die Jahre 1960 bis 1964, in denen Arendt dem Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem beiwohnte, darüber eine Artikelserie für den New Yorker schrieb, und u.a. durch ihre Thesen von der "Banalität des Bösen" eine Kontroverse auslöste (s. Filmbesprechung in GWR 378). Am 26. April 2013, bei der Verleihung der Lolas in Berlin, erhielt "Hannah Arendt" den Deutschen Filmpreis in Silber. Barbara Sukowa wurde für die Beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet. Der Film war außerdem nominiert in den Kategorien Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bestes Szenenbild und Bestes Maskenbild.


GRASWURZELREVOLUTION: Sie hatten nach der Vorstellung Ihres Films beim Lola Festival Berlin gesagt, dass man anlässlich der Finanzkrise eigentlich noch mal bei Hannah Arendt nachschlagen sollte.

BETTINA BROKEMPER: Ja, richtig. Hannah Arendt bezog ihre Thesen auf totalitäre, politische Systeme. Aber wenn man sich anguckt, wie sehr wir von den Finanzmärkten regiert werden, wie die ganze Welt auf einmal von dem Auf und Ab des Marktes regiert wird, eine Welt, in der Menschen an Computern sitzen, die überhaupt nicht wissen, welche Auswirkungen die Geschäfte haben, die sie durchführen, dann kann man schon in gewisser Weise von einem totalitären System sprechen.

Gut, das ist keine Herrschaft in dem Sinne, aber warum müssen in der Tagesschau oder unmittelbar davor zuerst die Börsennachricht kommen? Nur mal so als Beispiel. Seit wann ist es so wichtig, dass ganz Deutschland als wichtigste Nachricht weiß, ob der DAX rauf oder runter ist? Ich glaube, das begann, als alle Telekomaktien gekauft hatten. Dieser Komplex ist ein Thema, zu dem Hannah Arendt vermutlich einiges zu sagen gehabt hätte.

Auch die Menschen in der Finanzbranche haben Einfluss auf das System, in dem wir leben, auch sie müssen jeden Tag moralische Entscheidungen treffen, tun es aber oft genug nicht. Und wir tun es auch nicht. Deshalb fände ich es spannend, wenn man jetzt noch einmal nachliest, was Hannah Arendt geschrieben hat, nämlich dass jeder selbst verpflichtet ist, zu denken und zu hinterfragen, was er tut.

GRASWURZELREVOLUTION: Ihr Film hat Anfang April in den Kinos die 400.000 Zuschauer/innenmarke überschritten und wurde für den Deutschen Filmpreis nominiert, u.a. in der Kategorie Bester Film. Das brachte eine 250.000 Euro-Prämie.

BETTINA BROKEMPER: Ja. Die Nominierung ist dafür gedacht, den Leuten, die nach Votum der Akademie (1) einen ausgezeichneten Film gemacht haben, ein weiteres Projekt zu ermöglichen. Das heißt, die Prämien sind Referenzgelder für ein künftiges Projekt, und können nicht für die Rückfinanzierung des letzten Films verwendet werden. Aber was die Bedingungen sind, werde ich noch herausfinden, es ist ja für mich das erste Mal.

GRASWURZELREVOLUTION: Es war auch Ihre erste Zusammenarbeit mit Margarethe von Trotta, aber nicht ihre erste Produktion. Sie haben seit 2003 eine eigene Produktionsfirma, die Heimatfilm GmbH + Co KG. Warum dieser Name?

BETTINA BROKEMPER: Es sollte eine Heimat für Kreative sein. Und ich wollte, nachdem ich lange in anderen Städten und Ländern gelebt und gearbeitet hatte, wieder zurück in meine Heimat Köln. Außerdem war der klassische Heimatfilm das Genre im deutschen Film, das am erfolgreichsten war, finanziell erfolgreich im Sinne von "ein Film bezahlt für den nächsten". Ich fand es eine spannende Idee, eine moderne Übersetzung von Heimatfilm zu finden. Und damit meine ich nicht, dass man das Erfolgsrezept von damals 1:1 übersetzt, also die heile Welt auf der Alm und ähnliche Inhalte, sondern dass man Geschichten erzählt, die einen bestimmten Ort, eine Heimat haben, und die nur da, wo sie auch entstehen, vorkommen können. Das habe ich auch versucht, mit Filmen wie z.B. "Unter Dir die Stadt" von Christoph Hochhäusler, oder "Gegenüber" von Jan Bonny. Das hat beim Publikum noch nicht ganz funktioniert, aber wir hatten auch andere Filme, die besser funktionierten, wie z.B. "Bal - Honig". Ich habe Lars von Triers Filme koproduziert und Filme wie "Lemon Tree" oder "Die Syrische Braut".

GRASWURZELREVOLUTION: Bei denen Eran Riklis Regie führte. Beide Filme wurden in Israel gedreht, genau wie nun teilweise "Hannah Arendt". Wie wurde Ihr Film dort aufgenommen?

BETTINA BROKEMPER: Wir haben ihn zunächst im November auf dem Frauenfilmfestival in Rehovot gezeigt, wo der Film sehr gut ankam bei drei ausverkauften Vorstellungen. Anfang April gab es nun den offiziellen Kinostart, wir waren bei der Premiere in Jerusalem, das lief sehr gut, mit vollem Haus und aufgeschlossenem Publikum.

Eigentlich hatten wir mit Kritik in Israel gerechnet, aber da kam nichts. Es war eher mein Eindruck, dass die Israelis eigentlich dachten: "Gut, dass da jetzt mal drüber geredet wird, sie wurde so lange totgeschwiegen hier". Wobei das so extrem ausgedrückt nicht stimmt, aber lange Zeit war es um Hannah Arendt doch recht still.

Das ist vor dem historischen Hintergrund betrachtet verständlich. Für Menschen in Israel war das damals, als sie über den Prozess berichtete, eine sensible Geschichte, und sie hat ja auch nicht gesagt, dass die Judenräte die Bösen waren, sondern das Dilemma geschildert. Aber der Ton, den sie damals wählte, war ironisch und wurde als kalt empfunden und der Zeitpunkt, als sie das schrieb, war so früh, dass es niemand ertragen konnte.

Bei unserem Film hatten wir deshalb immer mit einer neuen Kontroverse gerechnet, die aber ausblieb. Das hat mir wieder einmal gezeigt, dass manches in Israel selbst wesentlich harmloser gesehen wird als von außen, und dass diese übervorsichtige Verteidigungshaltung gegenüber Israel, die hier manchmal herrscht, stärker ist, als die Haltung der Israelis selber. Das ist überhaupt so eine Sache, die in Israel immer wieder toll ist: da gibt es einen großen demokratischen Freiraum für alle Meinungen. Ich habe Israel immer als ein freies Land empfunden, mit all den Problemen, die es da gibt, aber ich finde es immer irritierend, wie das hier gesehen wird, wie schlimm manche Berichterstattungen zu Israel sind, denn sie geben nicht wieder, wie es tatsächlich ist.

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Eindrücke aus Israel liefert die Kuratorin Rivka Steinitz (Rehovot).

RIVKA STEINITZ: Der Filmkritiker Uri Klein schrieb nach der Jerusalemer Kinopremiere am 8. April in der Haaretz eine positive Kritik: es sei schwer, einen Film über eine Philosophin zu machen, aber in ihrem Film sei es von Trotta mit Hilfe der Schauspielerin Barbara Sukowa - gelungen, ein glaubwürdiges Portrait zu kreieren: direkt, konkret, sachlich. Wenn Hannah Arendt in einem Film sein müsste, würde sie es auf diese Weise wollen. Er lobte den direkten und trockenen Stil der zweiten Hälfte des Films und hob die Szene im Unihörsaal am Ende hervor, weil sie nicht hollywood-like gemacht war. Klein empfiehlt diesen Film und sagt "Hannah Arendt bleibt in unserem Gedächtnis".

GRASWURZELREVOLUTION: Am 17. April erschien in der Galeria, der Kulturbeilage der Haaretz, ein Interview von Nirit Anderman mit Margarethe von Trotta: "Deutsche Regisseurin greift Hannah Arendt auf, minus der Banalität", das neugierig auf den Film macht. (2) An anderer Stelle bewertete der Filmkritiker Jehuda Stav den Film mit 3 Sternen und empfahl ihn Menschen, die sich für Geschichte und Philosophie interessieren. Das heißt, dass die Kontroverse um Hannah Arendt ausblieb, und eher inhaltliches und filmisches Interesse vorherrschte?

RIVKA STEINITZ: Ja genau. Für die Generation, die sie in den 60er Jahren erlebt hatte, war es schwierig, sie wollten Hannah Arendt nicht haben. Aber die jüngeren Leute wollen sie verstehen. Wir haben ihre Bücher gelesen, natürlich erst auf Englisch. Ihre Rehabilitation hat vor ein paar Jahren begonnen. Es dauerte eine Weile, bis die Bücher auf Hebräisch rauskamen. Auch ihre Biographie ist erst vor 2, 3 Jahren in Israel erschienen.

Heute gibt es wieder ein größeres Interesse an ihr, auch in der Forschung.

GRASWURZELREVOLUTION: Du hast den Film gesehen?

RIVKA STEINITZ: Ja, schon letzten November auf dem Frauenfilmfestival in Rehovot. Da gab es zum 70. Geburtstag von Margarethe von Trotta eine kleine Filmreihe, die mit "Hannah Arendt" begann.

Ich hatte den Eindruck, dass von Trotta angespannt war, aber es war dann deutlich, dass viel Interesse und viele Fragen kamen, und dann am zweiten und dritten Tag, bei den anderen Filmen, konnte ich sehen, dass sie locker war, ein bisschen wie eine Israeli (sie lacht). Mir hat der Film sehr gut gefallen, er war europäisch, beeindruckend, nicht amerikanisch. Ich habe auch ein paar Fakten gelernt, obwohl ich schon viel von Hannah Arendt gelesen hatte.

GRASWURZELREVOLUTION: Was war für Dich neu?

RIVKA STEINITZ: Die Sache mit Kurt Blumenfeld. Ich hatte nicht gewusst, dass sie sich so nahe standen. Die Szene im Film ist etwas anders als in Wirklichkeit, das erzählt von Trotta in dem Interview mit Nirit Andersen. In Wirklichkeit wollte er sie im Krankenhaus nicht mehr sehen, sie konnte also nicht kommen und ihn sehen, und sich von ihm verabschieden, das hatte sie sehr gekränkt.

GRASWURZELREVOLUTION: So wie es im Film war, war es aber auch schon sehr traurig, wie er sich so von ihr wegwendet im Krankenbett, und mit ihr gar nicht mehr spricht.

RIVKA STEINITZ: Ja, aber im echten Leben war es noch schlimmer.


Dass Hannah Arendt alles andere als gefühlskalt war, belegt auch abschließend die Einschätzung von Bettina Brokemper:

RIVKA STEINITZ: Hannah Arendt war keine Feministin, und das ist ihr vielleicht auch ein bisschen zum Verhängnis geworden. Es hatte die 68er geärgert, dass sie nicht dem neuen Frauenbild entsprach. Zu Hause war sie die klassische Frau, sie hat gekocht, ihre Leute bewirtet, und alle hatten immer gesagt sie war ein großes Genie der Freundschaft, aber das ist dann nicht akzeptabel. Auf der einen Seite eine kalte Denkerin sein und auf der anderen eine Ehefrau, die die Suppe macht, so etwas ist für viele unvereinbar, also darf es nicht sein.


Interviews: Gerti Kösslin


Anmerkungen:

(1) Die Mitglieder der Deutschen Filmakademie stimmen über die Nominierungen und auch über die Preisträger/innen ab.

(2) Anderman hatte bereits im November 2011 unter dem Titel "50 Jahre nach dem Eichmann Prozess kehrt Hannah Arendt nach Israel zurück" einen ausführlichen Artikel über das Filmprojekt und die Dreharbeiten in Israel geschrieben.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 379, Mai 2013, S. 19
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2013