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GRASWURZELREVOLUTION/1428: Qual der Wahl?! Fehlende Legitimation und Rechtsruck bei Ost-Wahlen


graswurzelrevolution 392, Oktober 2014
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Qual der Wahl?!
Fehlende Legitimation und Rechtsruck bei Ost-Wahlen

von Elmar Klink



Bei den Landtagswahlen am 31. August in Sachsen und am 14. September in Brandenburg und Thüringen sind markante Zeichen gesetzt worden, den einen gewiss Anlass zum Jubeln, den anderen wohl eher zur Besorgnis und Gefahranzeige gereichend.


Mit amtlich gemeldeten Wahlbeteiligungen von 49,2 % in Sachsen, 47,9 % in Brandenburg und 52,7 % in Thüringen kann von demokratischer Legitimation einer Mehrheit bei diesen Veranstaltungen nicht mehr gesprochen werden. Umgerechnet auf 100 % aller Wahlberechtigten reduzieren sich aktuelle Stimmanteile z. B. für die beiden bisher koalierenden Regierungsparteien in Thüringen, CDU und SPD mit zusammen 45,9 %, absolut auf gerade mal 24,18 %. Und auch einer möglichen Konkurrenzkoalition aus Linkspartei, SPD und Grünen im Erfurter Landtag erginge es mit 24,4 % nicht anders.

Ähnlich stellen sich die Relationen in den anderen beiden Ländern dar. In Brandenburg etwa sank am auffallendsten die Wahlbeteiligung von 2009 noch 67 % drastisch auf den jetzigen Wert ab, fast um 20 Prozent. Ins Groteske überspitzt könnte gefragt werden: Wann scheitert die Wahlbeteiligung an der 5 %-Hürde?

Wir nähern uns damit weiter US-amerikanischen Verhältnissen an, wo es schon längst gängige Praxis ist, sich indirekt bei Wahlbeteiligungen von deutlich unter 50 Prozent "wählen" zu lassen. Man muss hier mehr von "bestimmen" statt von wählen sprechen und wer dabei dort bestimmt, ist auch klar: es ist die Minderheit der weißen mittleren bis oberen wohlhabenden Schichten, also im Grunde die herrschende politische Klasse.

Wer auch immer solch bedenkliche Wahlergebnisse wie jüngst für sich als "Sieg" oder "Niederlage" verbuchen kann oder muss, die wirkliche Verliererin ist die Demokratie.

Der WählerInnen-Verdruss über formelhaftes leeres Geschwätz von PolitikerInnen und opportune Taktikschwenks aller Parteien wächst weiter.

2009 im Brandenburg-Wahlkampf etwa zog die Linkspartei noch gegen den weiteren Ausbau des Braunkohletagebaus im lausitzschen Welzow-Süd zu Felde, danach als Koalitionspartnerin der SPD trugen ihre vier Minister das umstrittene Projekt selbstverständlich mit.

Um das Skandal-Projekt Großflughafen BER südöstlich von Berlin mit brandenburgischer Beteiligung machten alle Parteien im Wahlkampf vorsorglich einen weiten Bogen.

Der frustrierte Flügel des Wahlvolks freilich erteilt seine "Quittungen" vorläufig noch überwiegend als Protest- und Denkzettelvotum zugunsten der sich neu formierenden Rattenfängerpartei "Alternative für Deutschland" (AfD).

In Brandenburg mit kaum mehr als einigen hundert Mitgliedern erzielte sie aus dem Stand 12,2 Stimmprozente und errang 11 Sitze im Landtag. In Thüringen 10,6 % und ebenfalls 11 Sitze, in Sachsen 9,7 % und 14 Sitze.

In allen drei Ländern verkörpern die neuen RechtspopulistInnen in summa mit den Voten für die rechtsextreme braune NPD ein rechtes Potential von 14 bis 15 % der abgegebenen Stimmen.

Ein wichtiges Thema in den Gesprächsrunden der TV-Medien und ersten Statements der sich meist selbst bespiegelnden PolitikerInnen war dies jedoch nicht. Wir erinnern uns an das feindselige diffamierende Geifern der bürgerlichen Parteien seinerzeit gegen das Erstarken der nacheinander in die Parlamente drängenden Grünen in den 1980er Jahren. Die Töne gegenüber der AfD sind da heute schon merklich moderater.

Koalitionen werden selbstverständlich allseits kategorisch ausgeschlossen - noch. Da ohne eine AfD dauerhaft über 10 % aber auch bei uns die sog. "Österreichisierung" droht, also nichts anderes mehr als große Koalitionen drohen, wird es hier nach Prüfung von gegebenen "Schnittmengen" (wie z.B. beim Thema innere Sicherheit mit der CDU) vermutlich schneller denn je zu Annäherungen kommen.

Man ist vereint mit den meinungssteuernden Medien schließlich auch mit der unerfahrenen Piratenpartei "fertig" geworden und wolle sich, so erste Stimmen aus dem Parteienlager, mit dieser neuen Partei auseinandersetzen.

Kanzlerin Merkel will ihr gar mit dem Beispiel "guter Regierungsarbeit" entgegentreten, was auch immer das Schlechtes verheißen mag. Dietmar Woidke, der brandenburgische SPD-Ministerpräsident, faselte von der AfD wunderlich als derzeit sich noch darstellender "black box" (wann merkt der Mann was?).

Bei der SPD-Bundesspitze sieht man es als vorrangiges Problem der CDU an, auf die AfD jetzt zu reagieren und CSU-Chef Seehofer versicherte, rechts von der Union keinen Platz zu lassen in getreuem bayerischem Wiederkäuen der einstigen Strauß-Phrase rechts von der CDU/CSU gebe es nur die Wand. Dabei ist unübersehbar an den WählerInnenwanderungen, dass die AfD in allen Parteilagern professionell zu räubern verstand.

Am Beispiel Brandenburgs wird ersichtlich, dass die AfD massiv Stimmenanteile von 11.000 (SPD), 17.000 (FDP), 18.000 (CDU) bis 19.000 (Die Linke) abziehen, ja sogar 12.000 Stimmen von den NichtwählerInnen mobilisieren konnte, was auch daran liegen dürfte, wie austausch-, instrumentalisier- und popularisierbar bestimmte vorherrschende Positionen der Parteien sind.

Der langjährige Leiter der hessischen CDU-Staatskanzlei zu Zeiten des Ministerpräsidenten Wallmann, inzwischen CDU-Renegat nach 40 Jahren Parteizugehörigkeit und Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg, Alexander Gauland, erwies sich offenbar als taktisch geschickter Manager bei der Themenbesetzung im Wahlkampf sogar mit linksparteilichen Anleihen wie keine Sanktionen gegen Russland im Ukrainekrieg und DDR-nostalgischen Anklängen, während der AfD-Vorsitzende Lucke sich dazu verstieg, die bessere innere Sicherheit zu DDR-Zeiten zu preisen.

Insgesamt können diese drei Wahlen im Blick auf die Auswirkung der Politik der Großen Koalition in Berlin und selektiv beschworene "gute Wirtschafftsdaten" (jenseits vollständiger Fakten) unter dem Aspekt der Bestätigung des bürgerlichen Parteienlagers gewertet werden, allerdings mit deutlich destabilisierendem Ruck am Rand nach rechts, auch wenn in Sachsen der NPD am Ende einige hundert Stimmen zum erneuten Parlamentseinzug fehlten. Durch die Prozentsperre für die Rechtsnationalen erhielt die CDU dort noch eine zusätzliche Option für eine kleine Koalition mit den schwächelnden Grünen, die darauf ohnehin bereits opportunistisch spekulierten.

Ob hinsichtlich der einhelligen Beteuerungen der Koalitionsverweigerung mit der AfD in der CDU das letzte Wort hinter den Kulissen an der konservativ-rechten Basis dieser Partei gesprochen ist, bleibt offen.

Die aus allen drei Länderparteien geflogene FDP sieht sich, so die Parteispitze, vor einer längeren "Durststrecke", durch die man hindurch müsse. Von einer Grunderneuerung ist bei den zunehmend von Grünen und AfD beerbten Liberalen kaum noch die Rede.

Erstmals wählten in Brandenburg auch rund 38.000. 16- und 17-Jährige, etwa 50 % davon gingen zur Wahl. Über Durchschnitt wurden von diesen kleinere Parteien, darunter die AfD, bevorzugt. Die Linkspartei steht in Thüringen und Sachsen quasi mit "leeren Händen" da, wurde selbstredend sogar in Brandenburg als der schwächere Koalitionär in der Regierung mit der SPD für deren Fehler und Versäumnisse prozentmäßig sichtbar abgestraft.

Eine rot-rot-grüne Koalition in Thüringen mit dem Westimport Bodo Ramelow als erstem Ministerpräsidenten der Linkspartei ist wohl gegen einen starken rechten SPD-Parteiflügel um Herrn Matschie trotz signalisiertem grünem Licht der Ökoliberalen eher unwahrscheinlich. Die SPD, in Sachsen und Thüringen von ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel besorgt im 12 %-"Stimmenghetto" verortet (man bedenke die Begriffswahl "Ghetto"!), spielt als Verliererin und nur drittstärkste Kraft in Thüringen dennoch Zünglein an der Waage bei der Koalitionsbildung.

Sollte es zur Entscheidung durch eine Mitgliederbefragung bei der SPD für eine mögliche Koalition mit der Linkspartei und den Grünen und damit einer Regierungsbildung kommen, wäre ein weiteres undemokratisches Menetekel geschaffen: Eine schwache Basis von nur etwa 4.500 SPD-Mitgliedern des dortigen Landesverbands würde bei mehrheitlicher Zustimmung quasi an die Stelle des Votums Zehntausender von WählerInnen treten.

Gabriels Vorschläge, Hürden bei der schwindenden Wahlbeteiligung etwa dadurch abzubauen, dass Wahlen auf die Dauer einer ganzen Woche ausgedehnt werden, mögen uns erspart bleiben.


Literaturtipp zum Thema:
Auch nach 20 Jahren noch aktuell: Graswurzelrevolution-Sonderheft "Parlamentarismuskritik" (2. Aufl. 1994, 99 Seiten). Bestellen bei GWR-Vertrieb:
abo@graswurzel.net

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Quelle:
graswurzelrevolution, 43. Jahrgang, Nr. 392, Oktober 2014, S. 10
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2014