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GRASWURZELREVOLUTION/1456: Castorexporte in die USA?


graswurzelrevolution 396, Februar 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Castorexporte in die USA?
Von der Kunst Sachzwänge zu konstruieren.
Teil 2. Fortsetzung aus GWR 395

von Peter Bastian (Gruppe Sofa/Sofortiger Atomausstieg)


Die Räumungsverfügung

Als das Forschungszentrum Jülich (FZJ) durch den Wirtschaftsminister Duin im Juli 2014 eine Räumungsanordnung erhielt, sah alles nach Dramatik aus. Man war wieder in die Schlagzeilen geraten. Wie konnte es soweit kommen?

Nachdem das FZJ 1985 in Konkurrenz zum Brennelemente-Zwischenlager (BEZ) Ahaus noch damit geworben hatte, die Hallenlagerung der Graphitbrennelemente für die Hälfte der "Ahauser" Kosten zu gewährleisten, erhielt man den Zuschlag. Es herrschte die Auffassung, um jeden Preis eine Weitererforschung der AVR-Technik, benannt nach dem Atomkraftwerk AVR Jülich (Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich), zu erreichen. Der Preis dafür war eine Billighalle, von der man im Voraus schon wusste, dass sie ernsthaften Prüfungen für die Langzeit nicht standhalten würde. Jetzt ist man in Jülich nicht mehr an den hochstrahlenden Graphitkugeln interessiert. Ein schlechtes Image für die "moderne Wissenschaftsforschung". Der Verdacht liegt nahe, dass man es in Jülich extra soweit hat kommen lassen. Auf einmal ist scheinbar nur noch eine Handlungsoption möglich.

Nachdem diese Art der Billiglagerung 2013 einen. Stresstest nicht bestand, erfolgte Anfang Juli dann die Räumungsanordnung des Wirtschaftsministerium NRW. In dieser Zeit war das FZJ den geforderten Nachbesserungskonzepten nicht nachgekommen.

Die US-Option "Rücknahme" von atomwaffenfähigem Müll?

Als dann plötzliche Bedenken des Forschungszentrums wegen möglicher Erdbebenunsicherheit aufkamen (nach vierzig Jahren!), kam es wie gerufen, dass die US-Regierung eine Rückholung des zuvor in den USA hochangereicherten waffenfähigen Uranmülls in Erwägung zog. Man bezog sich auf Proliferationsabkommen aus den Zeiten des Kalten Krieges.

Erste Kontakte zwischen FZJ und dem DOE (Departement of Energy) gab es schon Ende 2011. Nicht nur die Rückholung des AVR Mülls ist angedacht, auch hunderttausende Graphitbrennelemente in den 303 Castoren des Thoriumhochtemperaturreaktor (THTR) Hamm stehen laut DOE zur Diskussion. Dies wird allerdings von deutscher Seite vehement verneint.

SRS watch - Infotour durch Deutschland

Nachdem deutlicher wurde, dass die Castorexporte in die USA mit aller Macht durchgesetzt werden sollten und Ende September das FZJ ein erstes Grobkonzept zur Lösung des Problems dem Wirtschaftsministerium NRW vorlegen musste, entstand in der deutschen Anti-Atom-Bewegung die Idee, den Aktivisten Tom Clements von der Nichtregierungsorganisation SRS watch (Savannah River Site) zu einer Infotour durch Deutschland einzuladen.

Die Infotour mit Start in Jülich und Ende in Berlin fand vom 21. bis 27. September statt und wurde von verschiedenen Antiatominitiativen organisiert.

Einen Schwerpunkt der Reise bildete die Teilnahme an der Landespressekonferenz der Antiatombewegung in Düsseldorf. Zusammen mit Rainer Moormann, der als Fachwissenschaftler lange in Jülich gearbeitet hatte und an der Aufdeckung der "Beinahe-Katastrophe" des Jülicher Reaktors beteiligt war (vgl. GWR 395), nahmen Dr. Michael Harengerd (BUND NRW) und Tom Clements an der Pressekonferenz teil. Das Presseecho war gut.

Etikettenschwindel

Rainer Moormann betonte neben der ominösen Entstehungsgeschichte des Jülicher Zwischenlagers die Strategie des Forschungszentrums, der Landes- sowie Bundesregierung der Umbenennung des Leistungs- und Versuchsreaktors Jülich in einen vermeintlichen "Forschungsreaktor".

Dies sei falsch und diene nur dazu, den Weg freizumachen, nicht nur die 152 Jülicher Castoren in die USA zu schaffen, sondern auch die 303 THTR Kugelhaufen-Castoren gleich mit. Der AVR sei immer schon als kleiner Leistungsreaktor geplant gewesen und sollte nach kurzer Zeit vom leistungsstärkeren THTR in Hamm abgelöst werden. Der AVR gehörte einem Konsortium von 15 Stadtwerken, die mit der Stromerzeugung Geld verdienen "wollten. Ein Forschungsreaktor diene aber eindeutig als Neutronenquelle und eben nicht zur Energieerzeugung.

Diese Richtigstellung zerstört das Argument, dass der hochstrahlende Uranmüll seiner starken Anreicherung wegen über ein Proliferationsabkommen mit den USA von diesen zurückgenommen werde. Dies gilt nur, wenn es Atommüll aus Forschungsreaktoren ist. Bei diesem Verfahren ist die Menge des hochangereicherten Atommülls viel kleiner.

Am 28.6.2013 war in letzter Sekunde noch ein Passus in das Standortauswahlgesetz (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Stand AG) eingefügt worden, der das Abschieben von Atommüll ins Ausland von Forschungsreaktoren ermöglichen soll. Michael Harengerd sprach dann auch von einem von langer Hand vorbereiteten Plan, der auf den US-Export abzielen würde. Ein vorn BUND NRW in Auftrag gegebenes Gutachten weißt neben den nicht gegebenen Eigenschaften eines "Forschungsreaktors" darauf hin, dass "eine solche Entsorgung [...] schon grundsätzlich keine schadlose Verwertung im Sinne des Atomgesetzes darstellt." Es gibt weltweit kein Verfahren zum Abtrennen des Graphits.

Atomwaffenfähig?

Moormann machte darauf aufmerksam, dass die Argumentation des FZJ nur für waffenfähiges Atommaterial aus "Forschungsreaktoren" gelte.

Zum einen sei der AVR nun mal kein Forschungsreaktor, zum anderen ist die Atomwaffenfähigkeit der Jülicher Graphitkugeln gar nicht gegeben. Zitat aus der Pressekonferenz: "Wie sogar eine vom FZJ veröffentlichte Bilanz ausweist, liegt das Uran in den Jülicher Castoren im Mittel jetzt deutlich unter der Schwelle von 20% Spaltstoff, ab der Restriktionen wegen Proliferationsgefahr greifen."

Der Atommüll in Ahaus aber ist dem gegenüber durchaus noch waffenfähig. Da der THTR seiner andauernden Störfälle wegen nicht lange lief, sind die Graphitkugelbrennelemente immer noch stark angereichert. Nach Ansicht Moormanns brauche es aber keinesfalls zur Beseitigung der Waffenfähigkeit eine umweltschädigende Wiederaufarbeitung im Ausland.

Ihre Anwendung auf Atommüll aus kommerziellen deutschen Reaktoren sei ohnehin unzulässig. Eine interne Entwicklung zur Beseitigung der Waffenfähigkeit sei möglich gewesen, aber leider unterblieben.

Hintergründe

Die geplante Entwicklung dieser neuen Art der Wiederaufarbeitung der Graphitkugelbrennelemente in den USA, die mit immensen Kosten verbunden sei (laut Spiegel 1 Mrd. US-Dollar), diene den Interessen der Nuklearlobby auf beiden Seiten des Atlantiks. Gelänge dieses angestrebte neue Verfahren, wäre eine Lücke im Erklärungsmythos des Nuklearkreislaufs geschlossen. Denn auch die USA besitzen Graphitbrennelemente, wenn auch in Kubusform.

Für die neue Generation von Reaktoren in den USA, der NGNP (Next Generation Nuclear Plant) oder den mit (erst jetzt eingestellter) Jülicher Entwicklungsunterstützung entstehenden chinesischen HTR-PM Reaktoren, wäre eine enorme Hilfe.

Auch aus diesen Gründen sollte SRS Watch in seinen Bemühungen, den Castorexport in die USA zu verhindern unbedingt unterstützt werden. Nötig sei neben dem Neubau eines sicheren Zwischenlagers in Jülich ein Gesamtkonzept, das zum weiteren Umgang mit diesem hochproblematischem Graphitmüll entwickelt werden müsse.

South Carolina - Kein Entsorgungsplatz für deutschen Atommüll

Tom Clements kam schnell zum Thema: Die Pläne des DOE, den deutschen Atommüll nach South Carolina zu bringen, seien inakzeptabel und illegal. Sie würden von der dortigen Bevölkerung abgelehnt. SRS sei kein Atommülllager und keine Deponie für die Abfälle von kommerziell betriebenen Atomreaktoren. "Deutschland muss sich schon zu Hause um eine Atommülllagerung kümmern und die Probleme nicht an uns abschieben."

Savannah River Site - Umweltgefährdung und Kosten

Savannah River Site ist eine ausgedehnte Nuklearwaffen-Produktionsstätte, die in den 50er Jahren eingerichtet wurde. Sie ist über 800 Quadratkilometer groß. Hier wurden 36 Tonnen waffenfähiges Plutonium und auch Tritium in bis zu fünf Reaktoren produziert.

Als "Nebenprodukt" fielen ca. 140 Millionen Liter hochradioaktive flüssige Substanzen an. Sie sind in 51 vor sich hin rostenden Metalltanks gelagert.

In einem aufwendigen Verfahren wird dieser Müll nach und nach verglast. Allein die Atommüllentsorgung in SRS wird bis mindestens 2040 anhalten und jedes Jahr gut 1,5 Milliarden US Dollar verschlingen.

Wir haben viele Gründe uns zu widersetzen

Von den zehn sich in den USA befindenden "Nuclear Sites" ist SRS die am stärksten Belastete. Die Öffentlichkeit ist gegen die Pläne, SRS in eine Langzeit-Atommülldeponie auf kommerzieller Basis zu verwandeln. Alle wichtigen regionalen Zeitungen haben sich einhellig gegen dieses neue Projekt ausgesprochen. Nach US-Gesetzgebung müssen hochradioaktiver Müll sowie hochradioaktiver Müll sowie abgebrannte Brennelemente in geologisch sichere Schichten untergebracht werden. SRS liegt hingegen auf sandigem Küstenuntergrund. Daher ist es als Atommülllager ungeeignet.

Black Box

Die dringend erforderliche Sanierung von SRS wird durch die neuen "Exportpläne" des DOE, die noch nicht einmal die Atomaufsicht stellen, gefährdet.

Durch die geplante Wiederaufarbeitung des hochradioaktiven Graphit-Mülls, mit dem es keine Erfahrung gibt, wird noch mehr Atommüll für eine langfristige Lagerung erzeugt. Dies wäre eine weitere unkontrollierte Lagerung in leckenden Tanks.

Tom Clements: "SRS ist eine Militäranlage, eine Black Box. Wenn da erst etwas drin ist, gibt es keine öffentliche Kontrolle mehr."

Es gibt zwar Kugelbrennelemente, die noch hochangereichertes, waffenfähiges Uran aus den USA enthalten, dies gilt aber für die Ahauser Kugeln nicht und sie stellen somit auch hinsichtlich ihrer Waffenfähigkeit keine Bedrohung mehr dar.

Statement of Intent

Sowohl Deutschland als auch die USA gingen bis 2011 noch davon aus, dass einer lokalen Endlagerung aus Proliferationssicht nichts entgegensteht.

Dies änderte sich erst mit einer gegenseitigen Absichtserklärung: Dem Statement of Intent. Unterzeichner auf deutscher Seite:

Das Wissenschaftsministerium des Bundes und das NRW-Wissenschaftministerium. - Ein Schelm, wer nichts Böses dabei denkt.

Proliferationsrisiko

SRS entwickelt zurzeit eine neue Rückgewinnungstechnik für das Uran aus der Graphithülle. Hier liegt das eigentliche Proliferationsrisiko. Deutschland wird die Kosten dieser neuartigen Entwicklung tragen.

Das DOE hat es abgelehnt, eine Gefahrenanalyse zu den Risiken der Proliferation und der neuen Wiederaufarbeitungsmethode zu erstellen.

Keine Kontrolle und Dokumentation

Die in Frage kommende Wiederaufarbeitungsanlage im SRS, die "H-Canyon", isteine militärische Anlage. Sie steht nicht unter der Aufsicht der IAEA.

Eine unabhängige Dokumentation wie Behandlung des abgetrennten Urans und des entstehenden Atommüll wird es nicht geben. Da auch das DOE nicht von der "US Nuclear Regulatory Commission" beaufsichtigt wird, ist auch hier keine öffentliche Kontrolle und Regulierung der Wiederaufarbeitung und der Castortransporte gegeben.

Import von Atommüll aus kommerziellen AKW ist beispiellos

Einen solchen Import von kommerziellem Atommüll hat es so noch nicht gegeben. SRS hat in der Vergangenheit Atommüll von Forschungsreaktoren angenommen, auch aus Deutschland. Dieses Programm wird aber bald enden. Die Versuche beider Länder, den AVR und den THTR klammheimlich als Forschungsreaktoren umzudeklarieren werden scheitern, da es hierfür keine faktische wie rechtliche Basis gibt,

Resümee

Bei diesem Deal geht es von US-Seite um viel Geld für die privaten Auftragnehmer von SRS.

Der deutsche Staat hingegen hofft darauf, sein gravierendes Atommüllproblem den Menschen eines anderen Landes zuschieben zu können.

Die ganze Tour

Auf weiteren Stationen der Inforeise, wie der Begehung des Forschungszentrums und des AVR-Geländes in Begleitung von örtlichen AntiatomaktivistInnen und auf Initiative des grünen MdB Oliver Krischer, gelang ein guter Austausch zum Thema. Dass die eingeladenen VertreterInnen des FZJ sowie der Landes- und Bundesregierung nicht zur Infoveranstaltung kommen würden, war fast zu erwarten. Auch dass zu einer von den Piraten eingeladenen Fraktionsanhörung im Düsseldorfer Landtag keine der anderen Fraktionen erschien und schon gar nicht die Grünen in Regierungsverantwortung; macht eher die Brisanz des Themas deutlich. Neben einer Pressekonferenz mit AntiatomaktivistInnen aus Ahaus fand in Hamburg eine von "Ausgestrahlt" ausgerichtete Abendveranstaltung statt.

Hier kam es zu einem regen Austausch mit VertreterInnen von Greenpeace, die zwei Wochen zuvor ebenfalls eine Studie zum Thema der Castorexporte in Berlin vorgestellt hatten. In Berlin ging die Infotour mit einem Pressefrühstück und einem Fachgespräch im Bundestag zu Ende.

Ausblick

Im Frühjahr 2015 findet in South Carolina zum Thema des Castorexports eine Umweltverträglichkeitsprüfung statt.

Über eine zu diesem Zeitpunkt von den atompolitischen SprecherInnen der Grünen und Linken geplante Reise nach South Carolina, einer Doppelmahnwache des Bündnisses in Jülich und Bonn zur Aufsichtsratssitzung des FZJ, 20 Jahren Sonntagsspaziergang in Ahaus und das neue Detailkonzept des FZJ - mehr in der nächsten GWR.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 396, Februar 2015, S. 10
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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Internet: www.graswurzel.net
 
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Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2015

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