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GRASWURZELREVOLUTION/1516: "Duck and Cover" - Ducken und Bedecken


graswurzelrevolution 403, November 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Duck and Cover" - Ducken und Bedecken
Schutzpropaganda, Zivilverteidigung und Atomkrieg im Filme

Von Elmar Klink


Im 70. Gedenkjahr des ersten Atombombeneinsatzes gegen die beiden japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde vielerorts zurecht des Ereignisses gedacht und an die weit über 250.000 Menschen erinnert, die dabei entweder sofort, innerhalb von Wochen umkamen oder über Jahre an den schleichenden Verstrahlungsfolgen als sog. Hibakuschas erkrankten und den Krebstod starben. Noch immer leiden, erkranken und sterben Menschen in nachfolgenden Generationen aufgrund erblich weitergegebener Genschädigungen vor Erreichen einer normalen Lebensspanne.


Die Atombombenabwürfe der USA gegen Japan stehen in ihrem Ausmaß singulär in der Geschichte da und markieren ein beispielloses Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit. Bis heute ist es weder Völkerrechtlich geahndet noch als zu verantwortende Kriegstat gesühnt.

Im Folgenden soll es aber nicht um die Beleuchtung und Einordnung der Hintergründe für die Einführung der Atomwaffe ins das moderne Kriegsbild oder die weltweite Atomrüstung gehen, hierzu sei auf die vorliegende, kritische Literatur verwiesen.

Von Interesse ist in diesem Beitrag -, wie einerseits von offiziellen Stellen der betroffenen Bevölkerung in z. T. grotesk anmutender Weise vorgemacht und eingetrichtert wurde, es gäbe auch gegen atomare Waffen so etwas wie "wirksamen Zivilschutz" und private Abwehrmöglichkeit.

Andererseits werden hier ausgewählte Beispiele kommentiert, wie das bedrängende Thema abgehandelt wurde. Wie kein anderes Beispiel kann für die eine Seite die Kampagne "Duck and Cover" (Ducken und Bedecken) in den USA besonders nach 1946 und während der 1950er Jahre angeführt werden: mit kurzen, in Lehrfilmen nachgestellten, realen Szenen für Erwachsene und Schulkinder, in Zeichentrickspots für die Kleinen unter Einsatz beliebter Disney-Figuren wie Micky Maus, Donald Duck und Goofy.

Wo immer sich Menschen gerade befanden, wenn ohne Vorwarnung der Atomblitz die nahezu zeitgleich damit erfolgende Atomexplosion ankündigte, sollten spontan und instinktiv die nächste irgendwie noch "Schutz" bietende Örtlichkeit aufgesucht oder Möglichkeit ergriffen werden. sich in Haus, Büro und Schule unter Tische und Bänke, auf der Straße in Hauseingänge, Mauernischen oder unter Brücken zu flüchten. Und wenn das alles fehlte, zur Not sich mit Akten- oder Schultasche oder einer Zeitung provisorisch wenigstens überm Kopf zu bedecken. Wenn auch das fehlte: sich flach zu Boden werfen, die Hände über den Kopf legen und nie in Richtung des Infernos blicken, man würde unrettbar sofort erblinden. Man trainierte die Bevölkerung mit solch lächerlichen Methoden bis zur Ermüdung, Spielfilme, Sport- oder Kindersendungen im Fernsehen wurden immer wieder mit Duck and Cover-Spots unterbrochen und massenwirksam genutzt.

Die eingeübte automatische Sofortmaßnahme sollte die Illusion nähren, es gäbe in solchen Situationen für einige so etwas wie eine Überlebenschance. Nicht die Atomwaffe oder der Atomkrieg wurden so problematisiert, sondern die simulierte Möglichkeit vorgegaukelt, sich dagegen als unvermeidbarem Ereignis reaktionsschnell zu schützen.

Ducken und Bedecken - hat etwas von der Symbolik der drei berühmten chinesischen Affen, die nichts hören - sehen - sprechen. Ducken und Bedecken - das könnte man auch als passives politisches Nichthandlungsprinzip ansehen.

In dem satirisch angelegten Film "The Atomic Cafe" werden anschauliche Beispiele von Duck and Cover vorgeführt.

Zivilverteidigung, Kriegsszenarien ...

Ihre Entsprechung fand die Duck and Cover-Ideologie in allen von Atomkriegsszenarien betroffenen Ländern auch in Europa und speziell in Westdeutschland. Zivilschutz (früher: Gebäude- und Bevölkerungsschutz) im Rahmen des Konzepts von Zivilverteidigung wurde großgeschrieben, hatte eigene Titel mit bestimmten ausgewiesenen Summen in den Haushaltsentwürfen der Bundesregierungen, während man heute Vergeblich nach ihnen suchen würde. Immer wieder überarbeitet und aktualisiert, wurden die Konzepte an die jeweiligen Erfordernisse der "atomaren/Kriegs-Bedrohungslage" in der Welt angepasst.

Für die deutsche Bundesregierung und ausgewählte politische RepräsentantInnen aus Parteien, Opposition und öffentlichem Leben wurde in der von Bonn aus nahe erreichbaren Eifel bei Ahrweiler ein Regierungsbunker für den atomaren Kriegs- und "V"-Fall bereitgehalten, in ähnlicher Weise geschah dies auf Länderebene auch für Länderregierungen. Die Bevölkerung, die dort jedoch draußen bleiben musste, wurde von Zeit zu Zeit bundesweit mit ohrenbetäubenden Sirenenübungen für den Fall von A-B-C-Alarmen traktiert, um sich zu merken, wann Schutzräume aufgesucht werden mussten. Ein Atomkrieg konnte demnach jederzeit "ausbrechen", so wurde es der Bevölkerung eingeschärft. Dass es dabei aber immer noch möglich sein müsste, aus der gegenwärtigen politischen Lage und Entwicklung mindestens rechtzeitig absehen und entnehmen zu können, wie groß eine solche Gefahr wirklich war, wurde von der Politik und verantwortlichen Stellen nicht in Betracht gezogen. Kritisches Nachdenken über Kriegsvorbereitung und Kriegsgefahr war nicht angesagt. Diese wurde ausschließlich aus dem kommunistischen "Osten" kommend erwartet. Die gleichzeitig vortäuschende Botschaft war: es ist möglich, im sog. Ernstfall kurzfristig vorgewarnt geschützt werden zu können, Grundvoraussetzung dafür, auch nur im Ansatz in der Bevölkerung Akzeptanz zu erzeugen, sich dieser Logik ohne einen öffentlichen Massenaufstand angesichts vorbereiteter Massenvernichtung zu fügen. Der Cartoonist Loriot machte sich 1981 über Zivilschutzabsurditäten mit seinem Sketsch "Persönlicher Bunker" lustig, wo sich Menschen, in gebückter Sitzhaltung auf engstem Raum zusammengedrängt, in der privaten Bunkerkiste im eigenen Garten näherkommen könnten.

... und Verweigerung

Bis weit in die 1980er Jahre wurde zivilschutzlogistisch deutlich die Brücke zu Militär, Kriegsmedizin und -Psychiatrie hergestellt und analog von Zivil-Militärischer Zusammenarbeit gesprochen, sogar mit eigenen dazu abgehaltenen Teil-Manövern wie Wintex-Cimex. Das sollte nicht verwechselt werden mit dem, was diese Bezeichnung sinngewandelt dann ab 2001 im Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan bedeuten sollte, während die Atombedrohungs-Thematik im Zuge des Wandels des nuklear bestimmten Kalten Kriegs zum asymmetrischen, konventionellen Weltordnungskrieg gegen Terrorismus aller Orten eher etwas in den Hintergrund trat. Es gab ein eigenes Zivilschutz-Gesetz, ein Bundesamt für Zivilschutz, Erste-Hilfe- und Wohlfahrtsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK), der Malteserhilfsdienst (MHD), die Johanniter-Unfallhilfe (JUH) oder der Arbeiter-Samariterbund (ASB) waren als aktive Elemente und Institutionen gesetzlich fest eingeplant. Sogar der Zivildienst staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer war mit in die Planungen einbezogen.

Die einzelnen Sicherstellungsgesetze der Notstandsverfassung (Bereiche Wasser, Energie, Ernährung, Gesundheit) zeigten zudem die "Lücken" auf, wo als zwangsverpflichtetes Personal z. B. auch Zivildienstleistende im Kriegsfall Verwendung finden würden, nämlich dort, wo sie in der Regel auch schon in kriegsbedeutsamen zivilen Bereichen Zivildienst geleistet hatten.

Es war Anfang der 1980er Jahre während des Höhepunktes der Antiraketen-Friedensbewegung die Zeit, da engagierte Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende diese Konzepte und Einplanungen genauer recherchierten und die wirkliche Einplanung Hunderttausender von Kriegsdienstverweigerern in einen nächsten Krieg über den "Zivildienst im Ernstfall" offenlegten. Fakten um Fakten und verstreute Details ließen sich zuletzt wie ein stimmiges Mosaik ergänzen und zusammensetzen. Die Prämisse laut Zivildienstgesetz hieß lediglich, dass der Zivildienst in Friedenszeiten vorrangig im sozialen Bereich stattfinden solle. Und im Notstandspassus zum Grundgesetz-Artikel 12a, Satz 2 wird hinsichtlich des Einsatzes von Kriegsdienstverweigerern ergänzend ausgeführt: "Das Nähere regelt ein Gesetz, das (...) auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muss, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht".

Die Betonung liegt auf dem Wörtchen auch und vom Ausschluss Ziviler Verteidigung ist da nicht die Rede. Nicht zuletzt hatten seit etwa 1974 vermehrte Beispiele von Totalverweigerungen von Kriegs- und Zivilersatzdienst wesentlich mit dazu beigetragen, die Diskussion über den paramilitärisch angelegten und am Befehl- und Gehorsamsprinzip orientierten Zivildienst und die Kritik an dessen surrogatärer Caritasfunktion im sozialen Bereich weit hinein in KDV-Organisationen, pazifistische Verbände und zu KDV und Zivildienst arbeitenden kirchlichen Arbeitsgemeinschaften zu tragen und damit neue Sensibilität erzeugt.

An nicht wenigen Orten erklärten Kriegsdienstverweigerer im Zivildienst oder als Ehemalige gegenüber den zuständigen Bundesbehörden, dass sie im militärischen "Ernstfall" für eine kriegsunterstützende Verwendung im Zivildienst nicht zur Verfügung stehen und diesen verweigern würden.

Der Terminus "Gewissen im Ernstfall" wurde geprägt. Der Friedensforscher Egbert Jahn von der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt lieferte schon früh kritische Argumente gegen einen kriegsbedeutenden Zivildienst (siehe sein Beitrag "Hat der Zivildienst eine Funktion für die Friedensbewegung?"; HSFK 1976, veröffentlicht in der Reihe ami-paper). Öffentliche Verweigerungsaktionen wurden nicht selten mit feuerbedingter Vernichtung von Wehrpässen, Zivildienstausweisen und Einberufungsbescheiden unterstrichen. Die Bewegung war zwar klein, konnte aber letztlich auf eine bleibende Wirkung setzen, sogar rechtliche Schutzverbände der Kriegsdienstverweigerer, Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsgegner/innen (DFG-VK) und kirchliche Arbeitsgemeinschaften übernahmen mehr und mehr einzelne Argumente aus der kritischen Analyse des Zivildienstes und dem antimilitaristischen Widerstand gegen jedwede zivil-militärische Instrumentalisierung.

Atomkrieg in Literatur und Film

Eine nicht minder bedeutende Rolle bei Sensibilisierungen der Menschen und der Ausbildung von Protest und Widerstand gegen Atombewaffnung und Atomkrieg spielten deren fiktive Darstellung und Erörterung mit künstlerischen Mitteln und Motiven, wie sie hier an einigen markanten Beispielen aus Literatur und Film verdeutlicht werden sollen. Vorweg sei der Hinweis auf zwei dokumentarisch angelegte Spielfilmproduktionen gegeben, die sich sowohl mit dem amerikanischen Manhattan-Projekt zum Bau der US-Atombombe als auch mit dem gescheiterten Versuch deutscher Wissenschaftler befassen, für Nazideutschland am Ziel einer Uranbombe zu arbeiten: Fat Man and Little Boy, USA 1989 von Roland Joffe (dt.: Die Schattenmacher) und Ende der Unschuld von Frank Beyer, Deutschland 1991.

Besonders in den 1950/60er Jahren, später noch mal den 1980er Jahren, bekamen Atomkriegs-Szenarien und ihre Folgen eine größere Bedeutung und lieferten den Stoff für z. T. weitsichtig angelegte Visionen.

So geht es in George Orwells düsterer Utopie 1984 zum einen um die Darstellung und Kritik staatstotalitärer Praktiken der Manipulation, Indoktrination, Feindbildverinnerlichung, Gleichschaltung und Folter (Big Brother is watching you: Big Brother loves you/der 'Große Bruder' sieht dich, der 'Große Bruder' liebt dich), die der Sozialist Orwell durchaus für die ganze zivilisierte Welt und nicht nur kommunistische Staaten zutreffend meinte, wie fälschlicherweise immer missinterpretiert wird. Zum anderen beschreibt er daneben auch ein angenommenes Kriegsbild in naher Zukunft, das mit gegeneinander im Dauerkrieg liegenden drei Weltzonen (Ozeanien, Eurasien, Ostasien) von der seit längerem bestehenden Realität fortgesetzter Kriege begrenzter Art unserer Tage gar nicht mal so weit entfernt zu sein scheint. Der permanente Krieg in 1984 tobt um territoriale Einflusszonen, Bodenschätze, Machtstellungen, Rasseideologien. Orwells Roman entwickelte eine geniale Sicht auf die heutige Weltlage. Die beiden kongenialen Verfilmungen 1953 und das Remake 1984 trugen dazu bei.

Nevil Shutes stille Warnung

Der Roman Das letzte Ufer (On The Beach, 1958) des australischen Schriftstellers Nevil Shute, hat anderes im Sinn. Kurz erzählt sei hier die sinnschwere Handlung nach dem gleichnamigen Hollywood-Film von 1959: Der weltweite Atomkrieg hat stattgefunden, nur noch der davon verschont gebliebene australische Kontinent scheint von den radioaktiven Wolken und Niederschlägen unberührt geblieben zu sein. In dieser Situation steuert ein einziges übriggebliebenes US-Atom-U-Boot die Küstenstadt Melbourne an und der Kommandant und die Mannschaft erkunden die Lage vor Ort.

Die Menschen gehen ihrer Arbeit nach und führen noch weitgehend ein normales Alltagsleben. Als von der amerikanischen Westküste doch noch seltsame Morsezeichen zu ihnen gelangen, entscheidet man sich zu einer Tauchfahrt dorthin, um das Phänomen aufzuklären, das sich als eine in einer Rolloschnur festhängende Glasflasche erweist, die vom Wind bewegt an eine Morsetaste anschlug.

Das U-Boot fährt auf Periskoptiefe getaucht die Küste ab und man findet überall dasselbe Bild menschenleerer, doch nicht zerstörter Städte. Kein Lebenszeichen mehr, nirgends. Man kehrt nach Australien zurück, wo inzwischen die Versorgungslage knapper geworden ist, nur noch wenige Verkehrsmittel unregelmäßig in Betrieb und Benzinvorräte streng rationiert sind.

Am nahegehenden Schicksal einiger Menschen werden die Auswirkungen der sich abzeichnenden Katastrophe geschildert. Radioaktiv verseuchte Luftmassen und Fallout bewegen sich nun auch unaufhaltsam auf Australien zu. Sie werden auch dort absehbar alles Leben auslöschen. Man trifft Vorkehrungen, der Staat verteilt Medikamente unter der Bevölkerung, mit denen, vorher eingenommen, sich die Menschen einen qualvollen Strahlentod ersparen sollen. Andere nehmen sich auf dramatische Art das Leben und ersticken sich mit Autoabgasen. Das Ende naht.

Die U-Boot-Besatzung, entscheidet sich zur Rückkehr in die USA, um dort in der Heimat zu sterben. Eindrucksvoll ist die letzte Einstellung des Films: man sieht die verlassene Straße einer Innenstadt, ein im Wind um ein Schild safety zone (Sicherheitszone) herumflatterndes Stück Papier, ein stehen gebliebener Straßenbahnwagen, gespenstische Stille.

Schließlich taucht im Bild ein Transparent an einem Platz auf, wo vor kurzem noch Menschen versammelt waren, mit der warnenden Aufschrift: There is still time ..., brother (Es ist noch nicht zu spät, Bruder).

Wie heikel damals Stanley Kramers Regiearbeit war, zeigt sich daran, dass sowohl das US-Verteidigungsministerium als auch die US-Marine der Filmproduktion die Kooperation Verweigerten und man auf britische Militärhilfe zurückgriff.

Der Tag danach, Malevil, War Game

Mit solchen besonders an Emotionen rührenden und Moral appellierenden Sätzen, Bildern und Szenen arbeiteten dieser und ähnliche Romane und Filme, etwa der 1983 in die Kinos gelangte Streifen The Day After über die Folgen eines Atomraketenangriffs auf das mittelwestliche Kernland der USA nahe Kansas City.

Gezeigt werden aus der Sicht eines Arztes die detonierenden Einschläge, das Chaos und Durcheinander der unmittelbaren Zeit danach, die Panik unter der herumirrenden Menschen, die schrecklichen Zerstörungen, die Toten überall, das Leiden der Bevölkerung an der Strahlenkrankheit usw.

US-Präsident Reagan soll sich den Film mehrmals angesehen und davon beeindruckt gezeigt haben. Die Rede ist gar von Depressionen, die der Filminhalt bei ihm ausgelöst haben soll.

Nicht zuletzt dadurch soll dieser Präsident, während dessen Amtszeit es gerade im Jahr 1983 zu den bedrohlichsten West-Ost-Konfrontationen am Rand eines Atomkriegs kommen sollte, zur Initiative gelangt sein, 1987 zusammen mit dem sowjetischen Staatschef Gorbatschow atomare Abrüstungsverhandlungen einzuleiten.

Ähnliches an Szenario passiert im französischen Roman Malevil, die Bombe ist gefallen von Robert Merle (1972), verfilmt BRD/F 1981, wo es nach einem Atomschlag um die Begegnungen desorientierter Überlebender und einzelner zusammengerotteter Gruppen geht und Versuche, sich in gegenseitigem Tausch sozial neu zu organisieren, aber auch mit Gewalt erneut um verbliebende Ressourcen zu kämpfen.

Der Urfilm zu solchen Themen-Adaptionen aber ist die englische Produktion von Peter Watkins The War Game (Kriegsspiel) aus dem Jahr 1965, von KDV-Organisationen und Friedensgruppen häufig bei Veranstaltungen bewusst eingesetzt zu schockierenden Aufklärungszwecken.

Er dokumentiert ähnlich wie The Day After fiktiv in bestechender, unter die Haut gehender drastischer Echtinszenierung das beklemmende Geschehen bei einem Atomangriff auf den Großraum der englischen Stadt Rochester, zeigt die Opfer, ihre furchtbaren Verletzungen, die Hilflosigkeit von Sanitätshelfern und Ärzten, das Durcheinander bei der Zwangsevakuierung, der Orientierungsverlust der Menschen, Hunger, Plünderungen, blutige Auseinandersetzungen mit der Polizei usw. Man muss dennoch an diesem Film wie an The Day After kritisieren, dass "natürlich" die angreifende Seite stets die kommunistische aus dem Osten ist.

Die Wolke, Dr. Seltsam und ein Zwischenfall im Atlantik

Die selbst im hessischen Schlitz lebende Autorin Gudrun Pausewang hatte mit ihrem Jugendroman Die Wolke (1987), verfilmt 2006, ähnlich wie schon zuvor im Vorgänger Die letzten Kinder von Schewenborn (1983) über Begebenheiten nach einem Atomkrieg ein beklemmend stimmiges, fiktives literarisches Zeugnis abgegeben.

In Die Wolke, entstanden unter dem Eindruck des Tschernobyl-GAUs 1986, schildert sie dies für einen vorausgesetzten Atomstörfall im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld bei Schweinfurt und dessen Folgen für die osthesssische Region und ihre Bevölkerung um Schlitz, Bad Hersfeld, Herleshausen, wohin die radioaktive Wolke driftet.

In satirischer Weise geht es hingegen in Stanley Kubricks genialem Film-Meisterwerk aus dem Jahr 1964 Dr. Seltsam oder: wie ich lernte, die Bombe zu lieben zu, basierend auf dem Roman Red alert von Peter Bryant.

Angeregt wurde Kubrick durch das Buch On Thermonuclear War (1960) des amerikanischen Futurologen Herman Kahn (keine Übersetzung aber als spätere Schrift von ihm auf dt. noch nachfolgend: Nachdenken über den Atomkrieg, 1983).

Der "Thinktank"-Spezialist von der RAND-Cooperation und Mitbeteiligte am Bau der Wasserstoffbombe, Kahn, vertrat die rüde These, dass ein Atomkrieg führbar und zu gewinnen sei, auch wenn dies bis zu 100 Mio. Tote kosten sollte.

Die Menschheit, vor allem ihr amerikanischer Teil, würde weiterleben. Kubricks im Kontrast dazu beißend inszenierte Bloßstellung der morbiden militärisch-politischen Logik hinter dem atomaren Wahn wartet mit vielerlei politischen und zeitgeschichtlichen Anspielungen und Verweisen auf Personen und Ereignisse auf. Berühmt wurde die ironische Schlusssequenz, bei der musikalisch untermalt von dem schmalzigen Song "We'll meet again" Aufnahmen von atmosphärischen Atomexplosionen der Pazifiktests gezeigt werden.

Ähnlich gelagert, aber nicht so brillant und hintergründig inszeniert ist die Thematik in Sidney Lumets Fail-Safe (1964; dt.: Angriffsziel Moskau), der mit der Rolle des Nuklearkriegstheoretikers Professor Groeteschele auf jenen eben erwähnten Kahn Bezug nimmt. Auch hier kann wie in Dr. Seltsam ein irrtümlich in Marsch gesetzter Atombomberverband auf dem Flug in die Sowjetunion jenseits des Fail-Safe-Punktes (Warteraum in der Luft bis zum Einsatzbefehl) nicht mehr zurückgeholt werden. Bis auf eine Maschine werden alle mithilfe der von den Amerikanern gelieferten Positionsangaben durch die russische Flugabwehr abgeschossen, diese jedoch erreicht Moskau und löst das unvermeidliche Atominferno aus.

Genannt sei auch noch der Hollywood-Film The Bedford Incident (dt. Zwischenfall im Atlantik) von 1965, in dem es in einem strategisch bedeutenden Seegebiet am Polarkreis um das nervenaufreibende Katz-und-Maus-Spiel zwischen einem US-Zerstörer und einem sowjetrussischen U-Boot geht, erzählt ausschließlich aus der Perspektive der US-Seite, wie es unzählige Male in Wirklichkeit auf offener See im Kalten Krieg über und unter Wasser stattgefunden haben mag. Das Kriegsschiff USS-Bedford belauert und beschattet wie ein scharfer Spürhund in enger Fühlungnahme seiner Sonarsensoren über viele Stunden das sowjetische Unterseeboot.

Schließlich kommt es in der angespannten Situation zu einer argumentativen Konfrontation zwischen dem fanatisch eingestellten und seine ermüdete Mannschaft antreibenden US-Kommandanten und einem Teil seiner Crew und mitfahrenden Beobachtern, in deren Verlauf der diensthabende Soldat am Feuerleitstand eine erregte Äußerung des Kapitäns als Befehl missversteht und den Knopf zum Atomraketenabschuss drückt. Auch das U-Boot hat darauf seinerseits atomare Raketen abgefeuert und so nimmt das Inferno seinen Lauf. Wer zuerst schießt stirbt als zweiter, die absurde Logik in solcher Lage.

The Fate of Earth, Stalker und Briefe eines Toten

Eine Studie, die Beginn der 1980er Jahre weit verbreitet gelesen wurde und die Friedensgemüter von Menschen erregte, aber auch ermutigte, war 1982 Jonathan Schells The Fate of Earth (dt. 1982: Das Schicksal der Erde. Gefahr und Folgen eines Atomkriegs).

Sie formuliert die Gegenposition zur kalten Kriegslogistik-Strategie eines H. Kahn.

Der US-Historiker, Publizist und Redakteur des Magazins "The New Yorker" nimmt darin philosophisch und moralisch-ethisch anhand der Fakten und Zusammenhänge gegen die Atombombe Stellung, denn "Kernwaffen sind Teile einer geschichtlichen Entwicklung, aber sie haben die Macht, diese ein für allemal zu beenden. Menschen haben sie erdacht - aber sie Vermögen die Menschheit auszulöschen, sind imstande, einen Abgrund aufzureißen, der die ganze Welt verschlingt". (S. 7)

Schell belässt es nicht bei der Kritik des Status quo, sondern erörtert aus seiner Sicht auch ausführlich die Alternativen.

Der russische Avantgarde-Filmer Andrej Tarkowski hat mit seinem z. T. kryptisch verschlüsselten Katastrophenfilm Stalker (1978/79) ein Meisterstück an ästhetischer Filmkunst abgeliefert. Vordergründig geht es bei der Handlung um folgendes: zwei Reisende, der "Professor" und der "Schriftsteller", wollen aus unterschiedlichen Motiven mithilfe eines Stalkers als ortskundigem Führer und Kundschafter einen geheimen "Raum der Wünsche" in einer abgeriegelten und militärisch bewachten, verbotenen "Zone" erreichen. Unklar bleibt, was dort früher seltsames vorgefallen ist, ob es der Besuch einer außerirdischen Zivilisation war, ein Meteoriteneinschlag, was ein Hinweis auf das Tunguska-Ereignis von "1908 in Zentralsibirien sein könnte, oder etwas anderes. Der Weg durch unwirtliches Terrain voller Tücken und Fallen führt sie schließlich an den erstrebten Ort, der sich aber nicht als das erweist, was sich die Protagonisten erhofften.

Der Dichter ersehnte sich die verlorene Inspiration zurück, der Gelehrte will den Ort vor Missbrauch bewahren und zerstören, der Stalker ist auf der Suche danach, den Menschen Glück zu bringen. Immer mehr geraten die Geführten in die Lage, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, ihre Hoffnungen, aber auch ihre inneren Ängste und Zweifel, labilen Lebensgewissheiten etc., was zu einer Reise ins Innere ihres Selbst wird und zu Selbstreflexionen in langen Filmszenen führt, die die Zeit noch zusätzlich anspannend dehnen. Am Ende kehrt nur. der Stalker wieder zurück und erlebt, wie seine kranke Tochter sich plötzlich telekinetischer Fähigkeiten erweist und Dinge im Raum schweben lassen kann.

Vieles ist über Sinn und Absicht des Films spekuliert und gemutmaßt worden, zumal er selbst alles irgendwie in einer magischen Schwebe und vielseitigen Deutbarkeit hält. Eine mögliche symbolische Aussage könnte diese sein: Mensch, sei gewarnt vor den Orten (und Taten), von denen du dir bestimmte Wünsche nach Allmacht oder Beherrschung der Welt versprichst. Dies könnte die Anspielung auf die "Zone" als abgeriegeltem Ort sein, etwa wie die vielen in der Sowjetunion/Russland gesperrten Regionen, wo Atomtests stattfanden oder Industrieunfälle mit schlimmen Kontaminationen geschahen. Oder auch auf eine Zone wie die "Area 51" im Südwesten der USA, wo Militär und Wissenschaftler mit allen möglichen, geheim gehaltenen "Wunschmaschinen" experimentierten, fliegenden Untertassen, unsichtbaren Flugzeugen, Antigravistationsapparaturen u. a. m. Geradezu prophetisch erwies sich der Stoff aus Stalker für den nur wenige Jahre später erfolgenden Supergau des AKWs in Tschernobyl/Ukraine, um das einschließlich einer ganzen Stadt und einer Reihe von Dörfern hinterher eine 30 km durchmessende evakuierte Zone gezogen wurde, in der heute niemand mehr lebt, außer der radioaktiv verstrahlten wilden Tiere und Pflanzen.

Weniger komplex und schwer deutbar ist Briefe eines Toten von Konstantin Lapuschanski, UdSSR 1986 (dt. Erstaufführung: DDR 1987 unter dem Titel Briefe eines toten Mannes) mit klarer Protestbotschaft.

Nach einem versehentlich durch einen Computerfehler ausgelösten Atomkrieg sieht man die Überlebenden in den staatlich kontrollierten Bunkern und Schutzräumen einer Stadt.

Handelnde Personen werden nur mit der Professor, der Pater, der Arzt, der Pessimist, der Humanist, die Sekretärin etc. bezeichnet.

Der humanistisch eingestellte Professor, selbst an fragwürdigen wissenschaftlichen Experimenten beteiligt, ist zentrale Handlungsfigur und lebt in einem einstigen Museum dem Bücherbestände als Brennmaterial dienen. Er schreibt Briefe an seinen vermissten Sohn, stellt darin Fragen nach der Zukunft, dem Ausmaß des Atomkriegs usw. Er nimmt sich auch einer Gruppe von Kindern an, die nach dem Tod des Paters alleine dastehen und lehrt sie Werte, Sinn für Gemeinschaft.

Als er am Weihnachtsabend stirbt, mahnt er die Kinder, dass nicht alles verloren wäre, noch Hoffnung bestünde, und sie woanders hin gehen sollten.

Sie brechen daraufhin ins Ungewisse auf. Der Film besticht durch seine ehrliche Botschaft und verwendet ähnlich wie Tarkowski in Stalker verfremdende Farbeffekte für verschiedene Szenen je nach Schweregrad äußerer Lebensbedingungen in gelblich-braun, blau-kalt oder gelb-braun mit Rotstich.

The Atomic Cafe

Sehr gelungen ist die dokumentarische US-Produktion The Atomic Cafe, eine kollektive Regiearbeit von Loader/Rafferty aus dem Jahr 1982. Wer von den etwas älteren GWR-LeserInnen hat Atomic Cafe damals nicht mindestens einmal gesehen!

Als so gewitzte wie geschickte Collage von verschiedenem Material aus Bilddokumenten, Werbe- und Propagandafilmen (Duck and Cover), vermittelt der Film eine entlarvende Gesamtperspektive auf die öffentliche Wahrnehmung und Darstellung der Atombombe und ihre "Gefahren" in den USA in den 1940er und 50er Jahren.

Das Spektrum reicht dabei von den Atombombenversuchen im Pazifik auf den Atollen Bikini und Eniwetok über Interviews mit ZeitzeugInnen bis hin zur Selbstbauanleitung für einen Atombunker, Schutzmaßnahmen und Notfallübungen.

Fazit

Bücher und Filme wie die vorgestellten sind Beispiele, die Thema Atomkrieg literarisch und vom Massenmedium Film bearbeitet und eingesetzt wurde, um sowohl propagandistische Effekte zu erzielen als auch bestehende Problematiken und ihre Hintergründe aufzuzeigen. Diejenigen mit aufklärendem Ziel haben ihre alarmierenden Wirkungen zum Teil nachhaltig erzielt. Für die Bewusstwerdung gegen den "atomaren Wahnsinn" und die Mobilisierung von Menschen zu politischem Protest hatten sie besonders in den 1980er Jahren eine Bedeutung und Wirkung.


Literatur undQuellen:
wikipedia; Tobias Nanz/Johannes Pause; Hg;
Das Undenkbare filmen. Atomkrieg im Kino. Bielefeld 2013

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Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 403, November 2015, S. 18-19
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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