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GRASWURZELREVOLUTION/1598: "Schlussakkord dem Drohnenmord"


graswurzelrevolution 412, Oktober 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

"Schlussakkord dem Drohnenmord"
Lebenslaute und die Kampagne zur Abschaffung von Kampfdrohnen

Von Flora vom Gysenberg


Die Gruppe Lebenslaute, die seit nunmehr dreißig Jahren klassische Musik mit Aktionen Zivilen Ungehorsams verbindet, stellte ihre diesjährige Sommeraktion unter den Titel: "Schlussakkord dem Drohnenmord".


Ort: die "Kelley Barracks", eine US-Kaserne in Stuttgart-Möhringen, in der das sogenannte Africom (U.S. Africa Command) seine Verwaltung hat. Dieses Kommando koordiniert die militärischen Aktionen der USA für den afrikanischen Kontinent. Die Erstellung von "Todeslisten" für den Einsatz von Kampfdrohnen ist nicht seine einzige Aufgabe, aber eine, die besonders viel Empörung hervorruft. Lebenslaute will auf die Verstrickungen der bundesdeutschen wie der örtlichen Politik mit den Kriegsverbrechen der US-AmerikanerInnen aufmerksam machen. Denn sowohl der bündnisgrüne Oberbürgermeister von Stuttgart, Fritz Kuhn, wie der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, haben ihre herzlichen Beziehungen zu den US-amerikanischen Militärs öffentlich bekundet.

Alle Tore waren von den achtzig Chor- und Orchestermitgliedern drei Stunden lang blockiert, auf der Einfahrtsstraße bildete sich ein kilometerlanger Stau. Im Konzert erklangen Teile des Requiems von Wolfgang Amadeus Mozart, die "Corinna"-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven sowie der "Totentanz" von Camille Saint-Saens. Gesänge aus Afghanistan und Afrika erinnerten an die Opfer der US-amerikanischen Drohnenangriffe.

Nachdem die Polizei sich entsprechend vorbereitet hatte, wurde die Blockade am Tor 2 geräumt. Das erste Mal seit vielen Jahren werden sich die Lebenslaute-AktivistInnen Bußgeldforderungen für das Wegtragen ausgesetzt sehen. Das wird ihnen Gelegenheit geben, die Öffentlichkeit weiter über den Skandal der Geheimaktivitäten in Stuttgart auf dem Laufenden zu halten. Die Aufmerksamkeit der Medien war aber auch zur Aktion schon vorhanden: Fernsehen und Printmedien berichteten ausführlich über die Blockade, die vollständigste und längste, der sich die zivilen und militärischen Angehörigen der Kaserne jemals ausgesetzt sahen. Schon im Vorfeld verdienten verschiedene weitere Aktionen zum Thema Kampfdrohnen Aufmerksamkeit (siehe Kasten).

Neue Aufmerksamkeit auf das Thema Kampfdrohnen

Bis zum 14. August 2016 lief im "Dortmunder U", einem Wahrzeichen der Stadt, die Ausstellung "Whistleblower & Vigilanten. Figuren des digitalen Widerstands". Sie dokumentierte einige erschütternde Filme zum Thema Kampfdrohnen.

In Herford, nördlich von Bielefeld, ging am 5. Juni 2016 eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst zu Ende, die den Titel trug: "Magie und Macht - Von fliegenden Teppichen und Drohnen." Kurz vor Abschluss der Ausstellung trafen sich auf dem Platz vor dem Museum etwa ein Dutzend Mitglieder der politisch-musikalischen Aktionsgruppe "Lebenslaute", um mit Musik und einem dialogisch vorgetragenen Text auf den Skandal von Kampfdrohnen hinzuweisen.

Die Reaktionen aus dem Museum und in der Presse waren durchweg freundlich. Mit ihrer Kleidung und Accessoires in schwarz-pink wiesen die Musizierenden hin auf die Aktionen der US-amerikanischen Gruppe "Code Pink", die sich auch in Stuttgart schon gegen Kampfdrohnen engagiert und ihre Festnahme provoziert hat.

In Ramstein (Rheinland-Pfalz) gab es vom 10. bis zum 12. Juni 2016 eine Menschenkette zum Thema Kampfdrohnen.


Das Problem

Seit dem Jahr 2000 gibt es wahrscheinlich kein Produkt auf der Welt, das mit so einer Geschwindigkeit und mit so viel Forschungsgeld entwickelt wurde wie Kampfdrohnen - ein Milliardengeschäft. Drei Länder setzen Drohnen für gezielte Tötungen ein: die USA, Großbritannien und Israel. 50 Staaten haben Interesse daran. Auch der deutsche Staat will Kampfdrohnen. Gemeinsam mit drei weiteren europäischen Ländern ist Deutschland an der Entwicklung einer Kampfdrohne beteiligt. Sie soll 2025 einsatzbereit sein. Die deutsche Regierung beabsichtigt, in zwei Jahren eine "bewaffnungsfähige Aufklärungsdrohne" des israelischen Typs Heron TP zu leasen.

Die Schaltzentrale der US-Drohneneinsätze befindet sich im rheinland-pfälzischen Ramstein. Auf diese Weise gehen sämtliche Drohneneinsätze der USA von deutschem Boden aus. Der amerikanische Stützpunkt Africom in Stuttgart trägt die Verantwortung für alle Drohneneinsätze in Afrika. Hat die Bundeswehr irgendwelche Informationen in Afghanistan, gibt sie diese an die USA weiter mit der Handlungsempfehlung "Festnahme". Dass die USA diese Informationen für gezielte Tötungen verwendet, dürfte klar sein.

Völkerrecht ignoriert

Alle diese Einsätze sind völkerrechtswidrig. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärten die USA den "Krieg gegen den Terror". Begründung: das Recht der USA auf Selbstverteidigung. Nicht gegen einen Staat, wie es im Völkerrecht vorgesehen wäre, sondern allgemein gegen Al Qaida-Kämpfer weltweit. Es geht sogar soweit, dass jeder wehrfähige Mann, der in einem Gebiet lebt, in dem die USA Drohnen einsetzen, automatisch als Kämpfer definiert wird, sofern keine ausdrückliche Meldung vorliegt, die beweist, dass der Betroffene unbeteiligt ist. Im Buch "Drohnenkrieg" von Medea Benjamin heißt das: "Damit findet eine Uminterpretation des humanitren Völkerrechts statt." Denn die Genfer Abkommen verbieten "jederzeit und überall Angriffe auf das Leben" von Personen, "die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen".(1) Außerdem gilt der Schutz der Genfer Konvention für die Zivilbevölkerung.(2)

Es handelt sich bei den gezielten Tötungen durch Drohnen also um extralegale Hinrichtungen, ganz zu schweigen von den unzähligen Menschen, die zufällig oder fälschlicherweise umgebracht werden - so ein Teil einer Hochzeitsgesellschaft in Pakistan, bei der 20 Männer, Frauen und Kinder "aus Versehen" ums Leben gekommen sind. Die Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 kennt dafür im Artikel 23 den Begriff "meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres", die selbstverständlich verboten ist.


Anmerkungen:

(1) Medea Benjamin: Drohnenkrieg, Laika-Verlag 2013, S. 10., Vorwort der deutschen Ausgabe von Sebastian Range.

(2) Zusatzprotokoll vom 8.6.1977 zu den Genfer Abkommen vom 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 412, Oktober 2016, S. 4
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2016

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