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GRASWURZELREVOLUTION/992: Luftiger und unterirdischer Protest gegen Landewahn


graswurzelrevolution 337, März 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Luftiger und unterirdischer Protest gegen Landewahn

Hüttendorf und direkte gewaltfreie Aktionen gegen die neue Fraport-Startbahn


Am 18. Februar wurde das Waldcamp im Kelsterbacher Wald bei Frankfurt/M. geräumt. Der folgende Artikel beschreit den Alltag und die Motivationen der AktivistInnen. (GWR-Red.)


"Lieber in Bäumen wohnen, als Wälder roden", das stand am 20. Januar 2009 auf einem Transparent, das eine Kletteraktivistin direkt oberhalb von dutzenden PolizistInnen in der Luft schwenkte. Derweil buddelten die BeamtInnen einer Spezialeinheit für Höhen und Tiefen in der Erde. Nach zehn Stunden Handarbeit gelang es ihnen, einen Aktivisten aus einem Erdbunker heraus zu schaffen. Im Bunker hatte er sich an Betonklötzen festgemacht. Zeitgleich wurde das Hüttendorf von Fraport eingezäunt. Die Szene spielte sich bei Frankfurt/M. am Hüttendorf im Kelsterbacher Wald ab.

Dort ließen sich zig AktivistInnen am 28. Mai 2008 im Wald nieder, um gegen den Flughafenausbau zu protestieren (vgl. GWR 332). Der Wald soll einer neuen Landebahn weichen. Dies wollen sich die AktivistInnen nicht gefallen lassen.

Etwa 20 von ihnen hatten sich in luftiger Höhe in Baumhäusern, Plattformen, Hängematten oder in einer Badewanne gemütlich niedergelassen. Weitere BesetzerInnen nächtigten unter der Erde oder in der "BI-Hütte"; einem Holzhaus, das von den Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau errichtet und gespendet wurde.


Freie Bahn für Fraports Kahlschlag?

Fraport hat angefangen, Tatsachen zu schaffen. 250 Hektar Bannwald sollen gerodet werden. Nach der gewaltsamen Durchsetzung der Startbahn West in den 80er Jahre wurde versprochen, es würden für den Flughafenausbau keine weiteren Bäume mehr fallen. Gegen Fraports Baupläne wurden zahlreiche Klagen eingereicht.

Trotzdem wurde Fraport mit Wirkung vom 12. Januar mit der Begründung, die Klagen hätten keine Aussicht auf Erfolg, eine vorläufige Besitzeinweisung erteilt. Der Kelsterbacher OB Orkel ließ sich daraufhin auf eine Verhandlung mit Fraport ein.

Für 30 Mio. Euro soll der Wald verkauft werden. Im Gegenzug zieht die Stadt ihre Klagen gegen Fraport zurück. Die umliegenden Kommunen sowie zahlreiche BürgerInnen reagierten empört. Bei der Abstimmung über den Verkauf am 9. Februar 2009 demonstrierten Hunderte, was zu Chaos führte. Nun werden Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt. Noch kann der Verkauf verhindert werden.

Währenddessen schaffte die Staatsgewalt im Wald Tatsachen. Das Hüttendorf wurde am 20. Januar eingezäunt. Ein- und Ausgänge wurden seitdem kontrolliert, persönliche Daten gespeichert, es wurde abgefilmt und -fotografiert. BesucherInnen durften nur ohne Ausrüstung wie Schlafsack ins Camp hinein. Die Polizeiführung erklärte immer wieder, das Camp sei ein öffentliches Gelände; die BeamtInnen behinderten jedoch immer wieder die Presse und fragten nach einer Akkreditierung von Fraport.

Der Zaun wurde rund um die Uhr von "Securities" bewacht. Die BesetzerInnen wollten die Rodungen rund um das Camp nicht ohne Protest hinnehmen. Sie setzten auf kreative Aktionen, um auf das Desaster aufmerksam zu machen: Besetzung von Bäumen in der Innenstadt, Straßentheater und Clownarmy in der überfüllten Fußgänger-Einkaufs-Zone, ...


Durch direkte gewaltfreie Aktionen wurden (und werden) die Rodungsarbeiten der Fraport behindert:

Treibjagdstörung: Kurz nach Erlass des Beschlusses über die vorläufige Besitzeinweisung, wurden die ersten Waldtiere im Auftrag von Fraport erschossen. Manche Tiere wurden lebend gefangen, um der Presse ein schönes Bild zu zeigen. Durch Waldspaziergänge wurde diese Treibjagd gestört.
Harvesterbesetzungen: Immer wieder gelang es AktivistInnen, auf Harvester zu klettern und diese für Stunden zu besetzen.
Baumbesetzungen: Direkt am Rodungsgelände wurden Bäume erklommen und besetzt. Die Räumung durch das SEK dauerte im Schnitt 5 Stunden an.

Fraport und die Staatsgewalt antworteten darauf mit Repressalien und Willkür: Behinderung der Presse, die zum Teil nicht filmen oder fotografieren durfte, Ingewahrsamnahme und stundenlanges Einsperren - zum Teil gefesselt - in engen Einzelzellen von Gefangenentransportern. Einige mussten sogar ihre Notdurft im Fahrzeug verrichten, ärztliche Versorgung und die Benachrichtigung von Verwandten oder eines Rechtsbeistands wurden verweigert. Die Beteiligten erhielten jeweils eine pauschal formulierte Aufenthaltsverbotsverfügung bis zum 28. Februar - über Umwege schafften es aber viele AktivistInnen wieder ins Camp.

Mit der Formulierung "das bei Ihnen in der Vergangenheit festgestellte Verhalten" wurden auch Menschen diskreditiert, die zuvor in ihrem Leben nie polizeilich erfasst wurden!

Bei Verstoß gegen die Verfügung wurden sie vorgeführt. 6 Tage Gewahrsam wurden meist beantragt. Die richterlichen Entscheidungen fielen zwar milder aus, blieben aber willkürlich. Die präventive Maßnahme wurde als Ersatzbestrafung angewendet. Eine Aktivistin musste sogar über 24 Stunden in Haft bleiben, obwohl sie angegeben hatte, sie wolle auf Grund von beruflichen Terminen die Stadt sowieso verlassen. Ihr politischer Lebenslauf spielte hier eine wesentliche Rolle, sie ist zwar nicht vorbestraft, gilt aber als besonders engagiert.

Zudem wurden Fraport die Daten der AktivistInnen von der Polizei übermittelt. "Flughafenverbote" wurden reihenweise verschickt. Trotz der Repression und auch jetzt, nach der Räumung: Die Landebahn ist längst nicht gebaut!


Widerstand hat viele Gesichter

Die heutige Bewegung ist in ihrer Größe noch nicht mit der Startbahnbewegung der 80er zu vergleichen. Der Widerstand ist aber gut organisiert und effektiv. Vor 30 Jahren spielte sich das Ganze überwiegend auf dem Boden ab.

Heute wird, gesichert durch Seile, auch in luftiger Höhe protestiert. Eine neue Generation junger AktivistInnen ist da. Einige haben bereits Erfahrungen gesammelt; sie blockieren Atomtransporte, besetzen Genfelder, kämpfen gegen Kohlekraftwerke oder setzen sich für Tierrechte ein. Für andere ist das die erste politische Erfahrung. "Alte Hasen", die den Kampf gegen die Startbahn West miterlebt haben, sind auch dabei. Sie sind überwiegend im Bündnis der Bürgerinitiativen aktiv, beteiligen sich an Demos und unterstützen das Dorf.

Das Medienecho zu den Widerstandsaktivitäten ist mit zahlreichen Beiträgen in Tageszeitungen, Rundfunk und Fernsehen überwiegend positiv. Eine Ausnahme ist die FAZ, die ständig gegen das "Chaotencamp" hetzt.

Die BesetzerInnen würden gerne die ganze Bäckerei erkämpfen, aber sie sind sich bewusst, dass der Widerstand das Fraport-Monster behindern, vielleicht aber nicht mehr stoppen kann.

Sie wollen Selbstbestimmung erleben, aufrütteln, Sand im Getriebe sein, ein Zeichen setzen, gegen immer mehr Umweltverschmutzung, gegen Profitgier, gegen die Abschiebepolitik. Und für eine andere Welt.

Eichhörnchen


Weitere Infos:
www.waldbesetzung.blogsport.de
Voraussichtlich in der nächsten GWR erscheint ein Interview mit den Ex-WaldbesetzerInnen.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 337, März 2009, S. 7
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint 10 Mal im Jahr.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2009