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ICARUS/018: Zeitschrift für soziale Theorie, Menschenrechte und Kultur 1/2011


ICARUS Heft 1/2011 - 17. Jahrgang

Zeitschrift für soziale Theorie, Menschenrechte und Kultur



INHALT
Autor
Titel

Kolumne
Wolfgang Richter
Wer war es und wer wird es wieder sein?

Fakten und Meinungen
Horst Schneider
Lorenz Knorr
A.-Eduard Krista
Klaus Georg
Hans-J. Falkenhagen/
Brigitte Queck
Irene Eckert
­140 Jahre Deutsches Reich
"Vertriebene Umsiedler"
"Ich, Dich ehren? Wofür?"
Geistkämpfer

Afghanistan wird ein neues Vietnam für die USA
Uran in Kriegswaffen ächten!

Freundeskreis "Kunst aus der DDR"
Peter Michel
Harald Kretzschmar
Nelson Herrera Ysla
Ernst Jager
Mit Kopf und Herz
Schwarzenberg lebt in Ralf Alex Fichtner
Vielgestaltige bildende Kunst Kubas
Erinnerungen an Jenny Mucchi-Wiegmann

Personalia
Gottfried Ulbricht
Jens Schulze
Gerhard Fischer
Karl Heinz Schulmeister
Zum 50. Todestag Patrice Lumumbas
Der 9. Dezember 1981
Zum Tode von Hanna Behrend
Franz Fühmann

Rezensionen
Maria Michel
Peter Michel
Klaus Georg Przyklenk
Roger Reinsch
Vom großen Wollen
Gegen Geisterbeschwörungen
Der kommende Aufstand
Menschenwürde

Marginalien



Ralf-Alex Fichtner

Echo
PF 2011
Aphorismen
Karikatur
Ausstellungen in der GBM-Galerie 2011

Raute

Kolumne

Wolfgang Richter

Wer war es und wer wird es wieder sein?

Zum zehnjährigen Jubiläum des 11. September

Die USA legen sich mit militärischen Mitteln mit einer Atommacht an. Andere ihrer verbündeten NATO-Staaten wirken mit. Soll man es Krieg nennen? Es ist natürlich ein Angriff auf das Rechtsgut eines anderen Staates, eine Aggression. "Angriffe des CIA mit unbemannten Marschflugkörpern auf grenznahe Ziele in Pakistan zur selektiven Tötung verdächtiger Personen sind inzwischen so sehr Routine, als hätte der Amtswechsel im Weißen Haus gar nicht stattgefunden." (Reinhard Mutz) Diese Entwicklung hat das Europäische Friedensforum, dem die GBM angehört, im März 2009 in Berlin, bereits kurz nach den Präsidentenwahlen in den USA ebenfalls benannt und befürchtet. Sollte man nicht erwarten, dass zum 10. Jahrestag der Sprengung der Twin Tower noch weit mehr Gründe für solche Terroranschläge auf die USA existieren als damals? Schließlich haben die Vereinigten Staaten doch seit der Bush-Administration die moderne neue Hälfte ihrer 860 weltweiten Militärstützpunkte in 90 Ländern erst errichtet. Nichts könnte dringlicher und interessanter sein, als zu erfahren, wer es war, wenn man ein neues entsprechendes Ereignis wie den 11.9. verhindern will. Wie es war, wissen wir indes. Dänische Wissenschaftler haben in einer renommierten naturwissenschaftlichen Zeitschrift diese Frage beantwortet. Sie fanden in Staubproben des eilig weggeschafften Bauschutts der Türme ein hochwirksames Mittel, um bei der Zerstörung der Stahlträger in Sekundenschnelle nicht auf Kerosin angewiesen zu sein: Nanothermit. Das kann eine äußerst exotherme Reaktion auslösen - und das hat es ja sichtbar getan. Bisher kannten wir Widersprüche und Vermutungen, die die offiziellen Versionen als unglaubwürdig und falsch erscheinen ließen. Jetzt kennen wir die Waffe, Nanothermit, die Wissenschaftler, die das beweisen können. Aber wir kennen nicht die Kommandeure des Kommandos. Oder kennen wir sie nicht doch - mit ganz wohlbekannten Namen in höchsten Regierungsämtern? Was war das gesamte geplante Szenario?

Die NATO hat im vergangenen Jahr in Lissabon ihre geostrategischen Parolen erneut bekräftigt, man solle Risiken für die USA und das Bündnis auf Distanz halten und Gefahren für das Bündnis dort bekämpfen, wo sie entstehen. Die Freude der Teilnehmer an diesem Treffen hätte sich allerdings in Grenzen gehalten, wenn jemand verkündet hätte, man habe endlich erreicht, dass alle Staaten der Welt, und seien sie noch so klein und unbedeutend, endlich auch dieser US-Devise zu folgen bereit wären, Risiken für sich auf Distanz zu halten und Gefahren für sie in den Staaten zu bekämpfen, von denen sie ausgehen. Das würde letztlich auf die Rechtfertigung der Zerstörung der USA und anderer NATO-Staaten mit ihren eigenen Argumenten hinauslaufen.

Würde man es glauben, so wären die höchsten Gebäude Deutschlands, in "Bankfurt" z. B., wie nach dem 11.9. schnellstens wieder geräumt, der Rhein-Main-Flughafen geschlossen, der Luftraum über Berlin und anderen Großstädten militärisch verschärft überwacht und die heuchlerische Debatte über zum Abschuss freigegebene zivile Flugzeuge erneut vor den Bundestag gebracht worden und in Karlsruhe auszutragen. Doch die Flugzeuge hatten mit dem Einsturz der Türme gar nichts zu tun. Teuflische Täuschung. Da saß ein Sprengmeister am Werk! Das sei neu? Das ist nicht neu.

Schon wenige Minuten nach dem Zusammensturz des ersten Tower konnte jedem Physiklehrer klar sein, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Und das dritte Gebäude konnte überdies jeder Analphabet am Bildschirm einstürzen sehen, ohne irgendein Flugzeug auch nur in der Nähe gezeigt zu bekommen. Grundlos. Das fällt einem jeden Bildungsgrad auf. Sollte es das Opfer des indes abgeschossenen Flugzeugs gewesen sein? Die ersten zweieinhalb Meter fiel dieses Gebäude Nr. 7 in der Geschwindigkeit des freien Falls in sich zusammen. Wie das? Die Widersprüche in der Darstellung der Ereignisse füllen bald viele Bücher. (Auch der Menschenrechtspreisträger der GBM, Michel Chossudovsky, schrieb eins davon.) Die Frage, wie es wirklich geschah, verdrängte die Frage, wer es war in den Medien. Osama bin Laden! Das sagte man schon lange. Aber wer hat die - ich schreibe mal einfach eine Zahl - hundert Tonnen Nanothermit in das Gebäude geschleust und angebracht?

Wir haben als Delegation der GBM vier Wochen angelegentlich unserer Teilnahme am Tribunal über den Koreakrieg die Tower besucht. Zur gleichen Zeit des Morgens waren Tausende zur Arbeitsaufnahme in sie geströmt. Nicht ohne übliche Mittel von Flughafenkontrollen zu erleben. Doch die gültige Antwort liegt auch hier im Cui bono?

Denn eins wissen wir schon lange: Terroroperationen zur Beeinflussung der Weltmeinung sind bei der CIA ein Standardmittel. Ähnlich, wie Drohnen nach Pakistan zu lenken? Und das Szenario? Präsidentenmord, Shock and awe, Seidenstraßengesetz, Twin Tower, Notstandsregierung, Verstärkung der weltweiten Militärpräsenz im Kampf um die Neuaufteilung der Rohstoffe der Welt, Suche nach Verbündeten, um die Einsatzgrenzen der USA über das traditionelle Gebiet der Mitgliedsstaaten der NATO hinaus auszudehnen (Japan, Neuseeland, Australien, Südkorea), kurz eine beispiellose geostrategische Offensive, wie es sie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ihresgleichen gegeben haben sollte. Das wäre eine Geschichtsschreibung mit einem Mister X als Hauptakteur, der durchaus Klassen- und Großmachtinteressen des Kapitals zu repräsentieren sich einbrachte, der aber zugleich ein Mister no name bliebe, der beliebig oder doch in einer keinen klaren Gesetzen der Zeit mehr genügenden Weise, sozusagen als dauerpräsente Bedrohung durch Mächte, die anders als ein Selbstmordattentäter mit einer Miniatombombe um den Bauch mit seiner Tat etwas Weitgeschichtliches zu bewirken vermöchte, weil gewaltige politische Kräfte hinter ihnen stehen, Staaten, Parteien, politische Verschwörungen, Neocons oder Ähnliches. Und sei es, das neue Feindbild zu repräsentieren, das die NATO so dringend braucht, um ihre Pax americana durch den Kitt des dauerhaft drohenden Infernos zusammenzuhalten. Das Böse muss reichen, um es zu benennen. Die Hölle ist es und nicht der Imperialismus, der und bedroht, wer auch der Satan sein sollte.

Betrachten wir alles einmal aus der Sicht der Paschtunen? Gefahr von sich abwenden nach der NATO-Devise, sie dort zu bekämpfen, wo sie entsteht, hieße genau solche Angriffe auf die USA zu führen, wie diese gegen sie. Der 11.9. inklusive. Oder für Jugoslawien? Irak? Afghanistan? Nordkorea? Iran? Palästina? etc. Zu militärischen Gegenschlägen im großen Stil ist man gegen die Macht, die mit den NATO-Staaten und überseeischen Partnern über 70 Prozent des Militärpotentials verfügt, nicht in der Lage.

Der Terror ist ein verzweifelter Hilfe- und Gerechtigkeitsruf der Schwachen, Gequälten und Ausgebeuteten. Wen hat es wirklich überrascht, dass die USA das Ziel waren? Und wen würde es erneut überraschen?

Raute

Fakten und Meinungen

Horst Schneider

140 Jahre Deutsches Reich

Drei deutsche Kanzler im Vergleich

Am 18. Januar 1871, vor 140 Jahren, fand im Spiegelsaal von Versailles eine denkwürdige und folgenreiche Zeremonie statt. Die deutschen Fürsten proklamierten den preußischen König Wilhelm 1. zum deutschen Kaiser. Otto von Bismarck, der "eiserne Kanzler",nannte den Vorgang eine "schwere Kriegsgeburt". Wilhelm I. hatte sich zunächst geweigert, die Kaiserkrone anzunehmen, weil der Titel ein "Charaktermajor" sei. Wenn schon, dann sollte es "Kaiser von Deutschland" heißen. Der Großherzog von Baden, Wilhelms Schwiegersohn, umging das Problem, indem er bei der Zeremonie das traditionelle Hoch auf Kaiser Wilhelm ausbrachte.(1)

So war die deutsche Einheit hergestellt, aber auf welchem Wege und um welchen Preis?

Wird es im Januar Jubelfeiern für Bismarcks "Reichseinigung" geben, wie wir sie im Oktober 2010 anlässlich des zwanzigjährigen Jahrestages der "Wiedervereinigung" erlebten? Wird es Versuche geben, die gesamten 140 Jahre deutscher Geschichte kritisch aufzuarbeiten? Ehe wir uns solchen Fragen zuwenden, ist eine Begriffsbestimmung nötig.

Für den Vorgang zwischen der Maueröffnung am 9. November 1989 bis zum "Tag der Einheit" am 3. Oktober 1990 setzte sich - von Kohl diktiert und von oben verordnet - der Begriff "Wiedervereinigung" durch.(2)

Das geschah nicht ohne Widerspruch. Der prominenteste Kritiker dieses Begriffs war Willy Brandt, der Anfang 1990 auf drei Kundgebungen in Leipzig, Erfurt und Gotha begründete, warum der Begriff "Wiedervereinigung" untauglich ist und in die Irre führt. Ich wähle das Zitat aus der Gothaer Rede vom 27. Januar 1990 aus. "Manche Leute - auch in Bonn und anderswo, übrigens auch im Ausland sprechen von Wiedervereinigung und melden dagegen ihre Bedenken an. Ich schlage vor, dass wir das 'wieder' mal in die Schublade legen. Nichts wird wieder so, wie es früher war. Und wir wollen ja auch überhaupt nicht, dass wir eine frühere Gewaltherrschaft wiederbekommen. Wir wollen anknüpfen an die guten Abschnitte deutscher Geschichte - nebenbei gesagt, in Thüringen sind einige Blätter einer guten deutschen Geschichte geschrieben worden, ich weiß das wohl - wir wollen daran anknüpfen, und wir wollen Einheit. Übrigens: Auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht nicht Wiedervereinigung, auch wenn ein hohes Gericht dies so ausgelegt hat, sondern es steht drin Selbstbestimmung, und das gilt für die Menschen in der DDR wie für uns in der Bundesrepublik. Von der Selbstbestimmung der Deutschen spricht das Grundgesetz, es spricht von Einheit, und es spricht von Frieden in Europa. Wir wollen eine solche Form der Einheit, die dem Frieden dient und die dem Ausgleich mit unseren europäischen Nachbarn förderlich ist. Deshalb: Glaubt nicht an Zauberformeln, misstraut manchen staatsrechtlichen Finessen, sondern lasst uns miteinander sagen: Einheit wollen wir, Einheit der Menschen, Zusammenrücken der Staaten, einheitliches Wirtschaftsgebiet, einheitliches Währungsgebiet und die ganz schwierige, aber absolut notwendige Angleichung der sozialen Ordnung unserer Staaten."(3)

Inzwischen dürfte kaum zu bestreiten sein, dass der Begriff "Wiedervereinigung" die Tarnformel für die Expansion des (west-)deutschen Imperialismus war. Das "Deutsche Reich", in dessen Kontinuität die BRD nach eigenem Anspruch gestanden hatte, wurde "wiederhergestellt", wenn auch nicht in den Grenzen von 1937, wie es das Grundgesetz gefordert hatte. Damit ist historisch und völkerrechtlich der Bezug auf die "Reichsgründung 1871" hergestellt.

Helmut Kohl hat Bezüge zu Bismarcks Vorbildrolle auch selbst gewollt. Er berief sich mehrfach auf ein Bismarck-Zitat vom "Mantel der Geschichte", der zu ergreifen sei. Zuletzt tat er das 2009.(4)

Der Vergleich (das ist keine Gleichsetzung) mit Bismarck wurde also von Helmut Kohl selbst genutzt und gepflegt, wie das schon der Kanzler des Dritten Reiches getan hatte.

Der Vergleich schließt Unterschiede, vor allem in den objektiven Bedingungen, ein. Er muss die jeweils existierende Situation und die handelnden Personen in dialektischer Einheit betrachten.

1871 wie 1989/90 ging es der Bourgeoisie darum, deutsche "Teilstaaten" zusammenzufügen, für Bismarck ging es um den staatlichen Zusammenschluss deutscher Königreiche und Fürstentümer unter dem Dach des Reiches. Die kapitalistische Entwicklung zwang zum nationalen Markt. Nachdem in der Revolution von 1848/49 das Bürgertum versagt hatte und die demokratische Republik, für die auch Karl Marx und Friedrich Engels gekämpft hatten, nicht entstanden war, wählte Otto von Bismarck den Weg militärischer Gewalt, den Einsatz von "Blut und Eisen". Seine Erfahrung von 1848/49 lautete: "Nicht durch Reden und Parlamentsbeschlüsse werden die großen Fragen unserer Zeit entschieden, sondern durch Blut und Eisen."(5) Mit drei Kriegen (Dänemark 1864, Österreich 1866, Frankreich 1870/71) sicherte er die Vormacht Preußens im deutschen Reich, was den Ausschluss Österreichs und der im Habsburger Staat lebenden Deutschen bedeutete. Die "kleindeutsche" Lösung der "deutschen Frage" war ein Konfliktherd von Anfang an.

Die Kaiserkrönung im eroberten Versailles hatte nicht nur Symbolkraft, wie die spätere Geschichte beweist. Versailles wurde 1918 auch zum Ort der Kapitulation des Kaiserreichs und 1940 Hitlers Ort des Triumphes des Sieges Hitlerdeutschlands über Frankreich. Preußens Militarismus hatte das Kaiserreich und Hitlers Politik entscheidend geprägt. Zwar hatte Bismarck durch ein kompliziertes System von Verträgen versucht, militärischen Konflikten vorzubeugen, aber der deutsche Imperialismus steuerte unter Wilhelm II. sehenden Auges auf den Ersten Weltkrieg zu.

Die Verantwortung Deutschlands für die erste große Kriegskatastrophe ist unbestreitbar.(6) Bismarck hatte im März 1867 im Norddeutschen Reichstag erklärt: "Arbeiten wir rasch. Setzen wir Deutschland so zu sagen in den Sattel. Reiten wird es schon können." Die Frage war nur: Wohin?

Diese Frage stellte sich erneut nach der Novemberrevolution. Nicht nur für die Konservativen wie Feldmarschall von Hindenburg, der sogar Reichspräsident wurde, sondern auch für Teile der Bourgeoisie und beide Großkirchen war die Weimarer Republik ein ungeliebtes Kind. Am deutlichsten war das erkennbar, als alle bürgerlichen Parteien Hitlers Ermächtigungsgesetz zustimmten und Dibelius Hitler in der Potsdamer Garnisonskirche segnete. Die preußische Tradition feierte Urständ.

Das zweite (Kaiser-)Reich fand seine Auferstehung in Gestalt des Dritten, des "tausendjährigen Reiches" der Faschisten.

Die militärische Gewaltanwendung bei der Durchsetzung Imperialistischer Interessen Deutschlands, die für die Weimarer Republik nach dem Versailler Vertrag zeitweilig unmöglich war, wurde unter solchen Losungen wie "Revanche für Versailles" und "Volk ohne Raum" zunächst wieder vorbereitet und dann praktiziert. Bürgerliche Historiker versuchen, die Geschichte des Dritten Reiches mit der Person Hitlers und seinen "dämonischen" Eigenschaften zu erklären.(7) Viele Untersuchungen, hier sei lediglich an die Fritz Fischers und Kurt Pätzolds erinnert(8), beweisen, dass Hitler nicht gegen die ökonomisch Mächtigen an Rhein und Ruhr regiert hat, die ihn an die Macht gehievt hatten, sondern in deren Interesse. Der Versuch, den verlorenen Krieg mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 zu beenden, misslang.

1945 erlebten die meisten Deutschen objektiv die Befreiung von der schlimmsten Katastrophe in der deutschen Geschichte, aber nur eine Minderheit begriff, dass es eine Chance zur Wende zum Guten gab.

In allen wichtigen programmatischen Dokumenten der Nachkriegszeit wurden entscheidende Lehren aus Krieg und Faschismus gezogen, im Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945, im Programm des SPD-Parteitags in Hannover, in Adenauers Ahlener CDU-Programm von 1947: Nie wieder Krieg und Faschismus, Beseitigung des Imperialismus, keine Wiederholung der Fehler der Weimarer Republik.(9)

Als sich im Schatten des kalten Krieges die beiden deutschen Staaten bildeten, war eine der Folgen nicht nur die Spaltung Deutschlands, sondern vor allem die entgegengesetzte Stellung zum Vermächtnis des Antifaschismus und den Lehren der deutschen Geschichte. Die DDR vollzog unter Schmerzen den Bruch mit dem Deutschen Reich, die BRD legte Wert auf die historische Kontinuität und juristische Identität mit dem Dritten Reich. Diese Konstruktion war auch eine der Begründungen für die Bonner Politik der Alleinvertretung (Hallstein-Doktrin).

Die Bilanz der beiden deutschen Staaten ist vor allem daran zu messen, ob und in welchem Maße die Zielstellungen von 1945 und die Potsdamer Normen erfüllt wurden.

Ein Vergleich der Politik beider deutscher Staaten mit dem Dritten Reich einerseits und zwischen ihnen ist unerlässlich. Diesen Vergleich scheut die offizielle bürgerliche Geschichtsschreibung, während sie gleichzeitig die Gleichsetzung der DDR ("Unrechtsstaat DDR") mit dem Dritten Reich propagiert.(10)

Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass Politiker wie Willy Brandt aus guten Gründen den Begriff "Wiedervereinigung" zurückgewiesen haben. Bis zu welchen Verrenkungen die Verwendung dieses Begriffs führen kann, zeigte sich, als am 22. November 2010 - ausgerechnet in Dresden - die "Wiedervereinigung" der Streitkräfte mit großem Zapfenstreich gefeiert wurde. Die Sprecherin des MDR sprach ungeniert von den "wiedervereinten Streitkräften", als hätte es die NVA und den Warschauer Pakt nicht gegeben. Immerhin wird damit zugegeben, welche Bedeutung die Kontinuitätslinie zur Nazi-Wehrmacht für die politische Klasse hat.

1989/90 war es jedoch ein anderer Begriff, der als Brücke zwischen der Politik Hitlers und Kohls diente, das war der Begriff der Selbstbestimmung.

Im Punkt 1 des Naziprogramms wurde das Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen gefordert und der Politik die wichtigste Begründung für die faschistische Aggressionspolitik geliefert: Die fünften Kolonnen Hitlers forderten "Heim ins Reich" und die Wehrmacht erfüllte ihren Wunsch.

Wer die Reden Helmut Kohls von 1989/90 prüft, findet, dass der Begriff Selbstbestimmungsrecht (für die DDR-Bürger) zeitweilig zum Schlüsselbegriff der Politik der "Wiedervereinigung" wurde. Das war vor allem in der Dresdner Rede Kohls vom 19. Dezember 1989 an der Ruine der Frauenkirche der Fall, als der Kanzler die Fanfare zur raschen "Wiedervereinigung" blies.(11)

Seine Standard-Formel, auch in der Bundestagssitzung vom 28. November 1989, war: "Wir werden jede Entscheidung, die die Menschen in der DDR in freier Selbstbestimmung treffen, selbstverständlich respektieren." Nun musste den DDR-Bürgern und später den Politikern in der Umgebung Lothar de Maizières in geeigneter Weise beigebracht werden, was sie wünschen, zuerst natürlich die DM.

Der Kanzler missbrauchte wie Hitler den Begriff der Selbstbestimmung, der nach 1945 eines der wichtigsten Völkerrechtsprinzipien geworden war und am Anfang der Menschenrechtskonventionen steht.(12) Unterschwellig wurde die Losung von 1937/38 wieder lebendig: Ein Volk, ein Reich, ein Führer!

Inzwischen gibt es viele Sichten von Beteiligten auf den Prozess der "Wiedervereinigung", die sich als "Anschluss" der DDR an die imperialistische BRD erwies, von George Bush sen. und Condoleezza Rice, von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow, von Horst Teltschik und Lothar de Maizière, von Joachim Gauck und Christian Führer und Dutzenden Historikern und Publizisten. Die Quintessenz dieser Bücher ist: Der "Umbruch" 1989/90 wird gepriesen und die Autoren ernennen sich selbst zu Helden.

Die Diskrepanz zwischen ihrem Jubel und der rauen Wirklichkeit ist nicht zu übersehen. Bismarck war noch in der Lage, nüchtern Bilanz zu ziehen. Er sah die Zerbrechlichkeit seines Werkes. Zehn Jahre nach der Kaiserkrönung, am 28. November 1881, zog er eine düstere Bilanz:

- Die Parteien und Fraktionen behindern die Vollendung der deutschen Einheit.
- Die Begeisterung des Volkes ist verflogen.
- "Das liegt am Überwuchern des Parteihaders und des Fraktionshasses, wie er dem deutschen Nationalcharakter eigentümlich ist."(13)

Zehn Jahre nach Hitlers "Machtergreifung" hielt der Führer keine Rede mehr. Er versteckte sich in der "Wolfsschanze". Er schickte nach dem Debakel von Stalingrad seinen Paladin Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 vor den "Reichstag".

Die berühmten Sätze lauteten: "Seid ihr bereit, mit dem Führer, als Phalanx der Heimat hinter der kämpfenden Wehrmacht stehend, diesen Kampf mit wilder Entschlossenheit und unbeirrt durch alle Schicksalsfügungen fortzusetzen - bis der Sieg in unseren Händen ist?" Die "Volksvertreter" von damals stimmten mit frenetischem Jubel zu. (Die Zeit des Jubels wurde scheinbar nicht gestoppt.)(14) Zwei Jahre später war es mit dem Dritten Reich zu Ende.

Kann dem "wiedervereinten" Deutschland auch Ungemach blühen?

Anlässlich des 20. Jahrestages der "deutschen Einheit" redete der Bundespräsident über die Ausländer in Deutschland, die Bundeskanzlerin vermied jede Bilanz.

Und die Medien? Ich habe zwei Veröffentlichungen gefunden, die kritisch fragten: "Die Republik hat gesiegt. Seit dem 3. Oktober 1990 ist das ganze Land demokratisch vereint. Ob dieser Sieg der Freiheit aber ein Sieg für immer ist, steht noch dahin."(15)

Wessen und welche Freiheit hat denn gesiegt? Was brachte dieser Sieg den Bürgern, insbesondere den DDR-Bürgern? Mehr Frieden? Mehr Freundlichkeit? Mehr Wohlstand und Gerechtigkeit? Mehr Mitbestimmung?

In der Flut der Veröffentlichungen anlässlich des 20. Jahrestags der "deutschen Einheit" fiel eine durch ihre kritische Bilanz auf. Sie heißt "Einheit in Zwietracht. 20 Jahre deutsch-deutsches Dilemma - eine alternativlos ehrliche Bilanz."(16)

Die dort abgedruckten Recherchen lohnen eine Prüfung und einen Streit. Der Leser findet:

- "Schlussstrich ohne neuen Anfang?" (Gerd Sudholt)
- "Wie die deutsche Wirtschaft verhökert, verspielt und verludert wird" (Peter von Stubbe)
- "Rückgabe vor Entschädigung - schreiendes Unrecht gegen den Osten" (Manfred Hermann)
- "Die Treuhand verscherbelte rigoros und risikolos die Industrie eines Landes" (Gustav von Trump)
- "DDR-Kunst soll als hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunsten" (Dr. Peter Michel)
- "Knabes zehnter Kreis der Hölle" (Gustav von Trump)

Die Bilanz des Bismarck- und des Hitlerreiches ist bekannt und eine Mahnung. Es ist an der Zeit, eine Gesamtbilanz der Kohlschen "Wiedervereinigung" zu versuchen. Vorarbeiten mit erschreckenden Teilbilanzen gibt es.(17)


Anmerkungen:

1) Sudhold, Gert: Schlussstrich ohne neuen Anfang, in Deutsche Geschichte, Sonderheft, Inning 2010, S. 4 f.
2) Kohl, Helmut: Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung - Meine Erinnerungen, München 2010
3) Brand, Willy: ... was zusammengehört, S. 90
4) Kohl, Helmut, a.a.O., S. 331
5) Ullrich,Volker, Macht geht vor Recht, in: ZEIT-Geschichte, Die Deutschen und der Nationalstaat, Hamburg 2010, S. 91
6) Fischer, Fritz: Griff nach der Weltmacht, Hamburg 1989
7) Ein aktuelles Beispiel: Böhnisch, Georg: Das böse Genie, in DER SPIEGEL 47/2010, S. 76
8) Fischer, Fritz: Hitler war kein Betriebsunfall, München 1992
9) Kühnl, Reinhard/Spoo, Eckart (Hrsg.): Was aus Deutschland werden sollte, Heilbronn 1995
10) Schneider, Horst: Hysterische Historiker, Berlin 2009
11) Schneider, Horst: Das Treffen zwischen Ministerpräsident Hans Modrow und Bundeskanzler Helmut Kohl, Dresden 2009
12) Menschenrechte, Dokument und Deklaration, 3. Aufl. Bonn 1999, S. 52f.
13) Deutsche Geschichte, Sonderheft, Inning 2010, S. 40
14) Bönisch, Georg: a.a.O., D. 77
15) Erenz, Benedikt: Die Deutschen und die Nation, ZEIT-Geschichte, 2010, S. 20
16) Deutsche Geschichte, Sonderheft, Inning 2010
17) Siehe auch: Hartmann, R; Blessing, K.; Huhn, K.; Blessing/Mechler


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Zeitgenössische Karikatur
- Titelblatt Magazin: Deutsche Geschichte: Einheit in Zwietracht

Raute

Fakten und Meinungen

Lorenz Knorr

"Vertriebene" Umsiedler

Die Sudetendeutsche Landsmannschaft

Das Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 enthält die Konsequenzen, die aus der faschistischen Schreckensherrschaft sowie aus den Raub- und Vernichtungskriegen NS-Deutschlands nach dem 8. Mai 1945 zu ziehen waren. Dieses Vertragswerk gehört zu den bedeutungsvollsten internationalen Vereinbarungen der drei große Siegermächte der Anti-Hitler-Koalition, unterzeichnet von C. Attlee (der auf Churchill als Verhandlungspartner folgte), J.W. Stalin und H.S. Truman. Sie handelten stellvertretend für die gesamte Koalition contra faschistisches Deutschland. Erklärtes Ziel war die Schaffung einer dauerhaften friedlichen Nachkriegsordnung von Staaten unterschiedlicher Sozialstruktur, die Verurteilung des Krieges sowie das Recht der Völker auf Selbstbestimmung und demokratische Gestaltung ihrer eigenen Angelegenheiten. Die Realisierung der Rechte und Pflichten der Völker, nicht nur die der Siegermächte, sondern auch die des vom Faschismus befreiten deutschen Volkes, stand auf der internationalen Tagesordnung. Die entscheidende Rolle der Völker beim Kampf gegen den Faschismus gehörte zum Inhalt des Potsdamer Abkommens. Alles, was künftig den Weltfrieden gefährden könnte, wollte man ausschalten. In Deutschland sollten die völkerrechtlichen Grundlagen für die restlose Überwindung von Faschismus und Militarismus wirksam werden. Zur Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage gehörte die Zerschlagung konzentrierter wirtschaftlicher Macht als potentielle Gefahr nach innen und außen.

Bereits nach dem Treffen der Großen Drei in Jalta am 11.2.1945 konnte man den Kommentaren von BBC und Radio Moskau entnehmen, dass künftig alle Deutschen in einem zunächst zu kontrollierenden Staat zusammengefasst würden. Die territoriale Unversehrtheit Polens und der CSR würde gewahrt bleiben. Folgerichtig enthielt das Potsdamer Abkommen in Art. XIII die Fixierung einer Überführung Deutscher aus Polen, der CSR und Ungarn nach Deutschland. Ziel dieser Transfers war, die Unruheherde auszuschalten, die zur Auslösung des Zweiten Weltkrieges beigetragen hatten. In diesem Zusammenhang war es unwesentlich, ob Unruhen von Berlin aus gesteuert wurden oder nicht; ausschlaggebend blieb, dass einige Nachbar-Staaten Deutschlands destabilisiert wurden und staatliche sowie internationale Unsicherheit zu dominieren begann.

Der geplante und auch realisierte Transfer sollte dem Weltfrieden und der europäischen Sicherheit dienen. Es war und blieb nüchternes Kalkül mit längerfristiger Perspektive ohne jedwede Emotion - obwohl der Transfer selbst, auch wenn er geordnet durchgeführt würde, zweifellos menschliches Leid und anhaltende emotionale Wallungen mit sich bringen musste. Das übergeordnete weitgesteckte Ziel war die Ausschaltung von Faktoren, die eine den Frieden destabilisierende Wirkung produzieren konnten.

Diese realen Ursachen und Voraussetzungen der Transfers dürfen niemals ausgeklammert werden. Selbst, wenn das koexistentiell entstandene Potsdamer Abkommen von der US-Führung nach Erosion der Anti-Hitler-Koalition und der folgenden System-Konfrontation ignoriert wurde und die Adenauer-Regierung in Bonn es wegen ihrer machtpolitischen Begrenzungen ablehnte: für den Fall der Transfers bleibt es bedeutsam.

Nicht alle Transfers verliefen so, wie in Potsdam geplant. Die vom Faschismus und vom Zweiten Weltkrieg ausgelöste Barbarisierung sowie der Abbau individueller Hemmschwellen wirkten auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der durch faschistischen Terror entstandene Hass auf alles Deutsche, den oft auch aktive Antifaschisten zu spüren bekamen, erschwerte zunächst geregelte Transfers. Die wahren Ursachen inhumanen Verhaltens gegen Deutsche in der CSR und in Polen lagen in den Okkupations- und Kriegspraktiken der deutschen Faschisten. Da sollte niemand Ursache und Wirkung verwechseln. Wo es versucht wurde und auch heute noch wird, standen und stehen unlautere Ziele Pate bzw bewusste Ablenkung von eigener Schuld.

1950 lebten 8 Millionen Menschen in der BRD, die durch Transfers oder eigenmächtigen Wechsel des Staates als "Neubürger" wirkten. Man sprach bis 1950 von "Flüchtlingen" und "Umgesiedelten". Zu bedenken ist dabei, dass von faschistischen Akteuren zur Flucht genötigte Menschen aus einstigen deutschen Ostgebieten mit der Begründung die Heimat verlassen mussten, dass "deutsches Blut nicht in Feindeshand gelangen" durfte.

Auch wenn die Integration der Neubürger trotz aller Anfangsprobleme relativ schnell erfolgte, Gedanken an die "alte Heimat" blieben wach, ebenso Bestrebungen, sich mit Bekannten aus der Zeit vor der Umsiedlung zu treffen.


Sonderfall - Deutsche aus der CSR

Soweit es die Deutschen aus der CSR betrifft, bleibt eine Spezifik anzumerken. Bereits vor den Münchener Abkommen vom 29.9.1938 wirkte der von Berlin aus angeleitete und kräftig forcierte "Volkstumskampf" nach dem Motto "Das Deutsche Reich reicht soweit die deutsche Zunge reicht" höchst fanatisch auf die Anhänger Hitlers und Henleins, des Vorsitzenden der faschistischen Sudetendeutschen Partei.

Der geschürte Hass bei den "Sudetendeutschen Heimatfrontlern" auf tschechische und deutsche Antifaschisten führte zu skrupellosen Angriffen: 108 deutsche und tschechische Antifaschisten ermordete man vom Sommer 1938 bis 1.10.1938; über 2000 verschleppte man über die Grenze; nur die Hälfte meldete sich nach 1945 wieder.

Im "Reichsgau Sudetenland", wie der deutsch besiedelte Teil Böhmens und Mährens nun genannt wurde, verzeichnete die NSDAP die mit Abstand höchste Zahl an Parteimitgliedern gemessen an der Gesamtbevölkerung.

Die fanatische Vorprägung endete keineswegs mit dem 8.5.1945: unter veränderten Bedingungen wirkte sie weiter, wenn auch eingeschränkt. Viele sahen sich zur Anpassung an veränderte Bedingungen genötigt, aber manche wollten nach Möglichkeit "Flagge zeigen".

Es war ein allgemeines Phänomen, dass Ausgesiedelte organisierte Zusammenschlüsse realisierten. Obwohl die Sieger- und Besatzungsmächte solche Organisationen höchst kritisch bewerteten, kam es in Bayern bis Ende 1948 zur Bildung von ca. 50 Ortsgruppen der "Sudetendeutschen Landsmannschaften" (SL). Der Hauptverband der SL bildete sich 1950.

Politischer Zweck der Gründung war, "den Rechtsanspruch auf die Heimat und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen". Obwohl die SL nie mehr als 20 Prozent der aus der CSR ausgesiedelten Deutschen vereinte, machte sie sich mit Erklärungen und Aktionen deutlich bemerkbar. Man betonte die Opferrolle und verschwieg die Täterzeit. Der Anspruch auf Wiedergutmachung erlittenen Unrechts wurde lauthals und auch mit Flugblättern erhoben. Man ließ die Geschichte ab 1945 beginnen und blendete alles aus, was vorher geschah. Der "Kampf ums Geschichtsbild" bestimmte die folgende Zeit. Erwähnt wurde, was der SL diente.

Den politischen Spezifikationen gemäß bildeten sich innerhalb der SL die CDU-nahe Ackermann-Gemeinde, die SPD-orientierte Seliger-Gemeinde sowie der rechtslastige Witiko-Bund. Letzterer war die kleinste, aber die aktivste und lautstärkste Gruppe. An ihrer Spitze standen von Anfang an höhere und mittlere Funktionäre der NSDAP bzw. deren Gliederungen. Das erste Treffen dieser Nazis fand am 9.11.1947 in Waldkraiburg statt: Rupert Glass, ehemaliger Gauamtsleiter der NSDAP, Konstantin Höss, Kreisleiter der NSDAP, und Karl Krauß, SS-Obersturmbannführer waren die prominentesten Repräsentanten. In Stuttgart gründete man 1950 diesen Bund der Witikonen. Die geistige Orientierung lieferte der Österreicher Othmar Span: er lehrte die Unterordnung des Niederen unter das Höhere sowie: "das Beste soll herrschen", gemeint waren die Edelsten der Germanen. Walter Becher, einst NS-Funktionär, wirkte als 1. Vorsitzender; ihm folgten höhere Führer der Hitler-Jugend.

Das Organ des Witiko-Bundes, der Witiko-Brief, fördert revanchistisches Gedankengut und fordert auf: "Bauen sie für alle Vertreibungsgebiete eine oder mehrere Mahn- und Gedenkstätten nach der Art des Yad Vashem in Jerusalem."


"Umsiedlung" oder "Vertreibung"?

Bis 1949 war der Begriff "Vertreibung" nicht bekannt. Die neutralen Termini "Flucht" oder "Umsiedlung" finden sich in Dokumenten und waren im Sprachgebrauch üblich. Mit dem Beginn der allseitigen Konfrontation, vor allem auf deutschem Boden, taucht zuerst bei Umsiedlern, vorwiegend von Ex-NS-Funktionären forciert, der Begriff "Vertreibung" auf.

Dieser mit negativer Wertsetzung gefüllte Begriff ist mit einer direkten oder indirekten Schuldzuweisung verbunden. Und dies gegen die Regierungen von Staaten, in denen man einst sesshaft war; vor allem gegen die CSR richteten sich Vorwürfe. Der mit Emotionen aufgeladene Begriff Vertreibung lenkt indirekt ab von den realen Ursachen der Transfers - das ist seine Funktion - und stellt das natürlich vorhandene Leid in den Mittelpunkt. Die Verkehrung der Täter/Opfer-Rolle geht mit diesem Begriff einher und wird besonders betont. Aufschlussreich ist dabei, dass es den Promotern gelang, diesen Begriff im gesellschaftlichen Bewusstsein der Westdeutschen zu verankern. Und dies mit all seinen Implikationen: die "bösen Vertreiber" und die "armen Opfer". Betont wird stets das "Unrecht der Vertreibung", deren Ursachen bleiben stets verschwiegen. Laut wird das "Recht auf Heimat" betont. Dieses Recht ist jedoch im geltenden Völkerrecht nicht zu finden. Es ist ihm jedoch ein hoher emotionaler Wert eigen. In vielen Verlautbarungen der "Aussiedlerverbände", bewusst als "Vertriebenen-Verbände" bezeichnet, taucht dieses "Recht auf Heimat" immer wieder auf. Die permanente Wiederholung des "Rechts auf Heimat" verknüpft man stets mit "erlittenem Unrecht".

Zwar wird nicht immer direkt ausgesagt, dass eine Revision der Nachkriegsgrenzen einzufordern ist, oder dass ein Eingriff in die Souveränität Polens bzw. der Tschechischen Republik erfolgen soll, aber der über Jahrzehnte wachgehaltene und immer wieder betonte Passus "Recht auf Heimat" und Aktionen mit dieser Losung produzieren Unsicherheit in diesen Staaten. Völlig normalisierte Staatsbeziehungen können nicht entstehen, solange eine sich laut artikulierende Gruppe das "Recht auf Heimat" einfordert.

An dieser Stelle sei mir ein Einschub gestattet: Tausende Algerien-Franzosen, die nach der schwer erkämpften Souveränität dieses nordafrikanischen Staates nach Frankreich umsiedeln mussten, bekamen von niemandem ein "Recht auf Heimat" zugesprochen. Die Algerien-Franzosen lebten sich in Frankreich ein. Viele dürften Erinnerungen an ihre frühere Heimat gepflegt haben. Revanchistische Ideen entfalteten sich ebenso wenig wie derartige Praktiken. Das Kapitel Algerien war für diese Franzosen abgeschlossen. Politische Angriffe gegen die Regierung Algeriens bzw. Schuldzuweisungen blieben ausgeschlossen. Dieser Vergleich scheint mir wesentlich zu sein.

Mitte 1947 gründete sich die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL). Walter Becher, ein NS-Aktivist, und Rudolf Lodgmann von Auen, der Hitler ein Ergebenheitstelegramm geschickt hatte, waren die Sprecher der SL. In der "Eichstätter Erklärung" vom November 1949 fasste man die "Grundsätze einer sudetendeutschen Europapolitik" zusammen. Das SPD-Vorstandsmitglied Wenzel Jaksch, einst Vorsitzender der DSAP der CSR vor 1938, wirkte dabei mit bekannten NS-Aktivisten zusammen: mit E. Lemke, NS-Nationalismusforscher, mit S. Brehm, SS-Sturmbannführer, mit W. Hergl, SS-Hauptsturmführer, und W. Becher. "Rückgabe der Heimat" war der Tenor ihrer Erklärung. Obwohl alle machtpolitischen Voraussetzungen für diese Forderung fehlten, erhob man sie folgend immer wieder. "Unser Recht auf Heimat darf nicht vergessen werden", wiederholte man in Wort und Schrift in vielerlei Variationen.

Die SPD-Führung versprach sich offenbar zusätzliche Wählerstimmen, wenn einer ihrer Spitzenpolitiker zusammen mit hochgestellten Ex-NS-Amtswaltern derartige Forderungen präsentierte. Ausgeklammert blieb in Berichten der SPD-Presse, dass der später von der SPD-Leitung verurteilte Revanchismus dadurch Auftrieb erhielt. Erkannte man die politischen Folgen nicht, die von solchen Verbrüderungen und Forderungen ausgingen? Schon damals konnte man wissen - und manche erklärten dies auch -, dass es eine totale Fehlbewertung von Jaksch war, wenn er durch sein Engagement mit Ex-NS-Amtswaltern für das "Recht auf Heimat" eintrat und davon deutlichen Nutzen für die SPD ankündigte. Die Basis der SL und auch des BdV war vom faschistischen Deutschland vorgeprägt. Das wirkte erkennbar deutlich nach. All diese Leute hängten sich opportunistisch ein demokratisches Mäntelchen um, reagierten jedoch als brave oder aggressive Mitläufer der Ex-NS-Akteure. Sie unterstützten nicht Jaksch, wie zu erkennen gaben, sondern ihre bekannten Führungspersonen von einst. Das alte Dilemma der SPD, nach Wählern zu jagen und am Bewusstsein der Menschen kaum etwas im Sinne des demokratischen Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit zu verändern, wirkte sich aus.

Im Januar 1950 bekräftigte der inzwischen konstituierte Bundesverband der SL in der Detmolder Erklärung das "Ziel der Wiedergewinnung der Heimat". Bewusst knüpfte man an die quasi-faschistische Tradition der "sudetendeutschen Avantgarde des Volkstumskampfes" an. Diese Erklärung wirkte bis in die jüngste Zeit. Förderung des "Heimatbewusstseins" blieb Verpflichtung. Die Bundesversammlung der SL verstand sich als "Exilparlament", das mit dem leitenden "Sudetendeutschen Rat" kooperierte. Der Freistaat Bayern übernahm die Schirmherrschaft bzw. die Patenschaft für die SL. Man erklärte die ausgesiedelten Deutschen der CSR zum "vierten Volksstamm Bayerns" neben Franken, Schwaben und Alt-Bayern. Die "Sudetendeutsche Zeitung" ist das Sprachrohr der SL. Erklärtes Ziel der SL ist, "die Verjährung des Völkermordes und Vertreibungsunrechts zu verhindern". Anlässlich des Sudetendeutschen Tages verleiht man jährlich in Aachen den Karlspreis. Der bayrische Ministerpräsident Stoiber stellte 800.000 DM für ein "Zentrales Denkmal für Flucht und Vertreibung" zur Verfügung.

Es ist aufschlussreich, wenn auch folgerichtig, dass die SL zusammen mit dem Bund der Vertriebenen (BdV) die neue Ostpolitik von Bundeskanzler Brandt heftig attackierte. Ebenso aufschlussreich ist, dass dieser Protest schnell abflaute, als Brandt wissen ließ, dass die Staatsgelder für eine Gruppierung gesperrt würden, die sich gegen die Regierungspolitik wendet.

Gleichwohl flammte der Protest gegen die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 erneut auf, als das Ziel der "guten Nachbarschaft" fixiert wurde. Jede Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen zu einem "Vertreiberstaat" versuchten SL und BdV zu blockieren. Die alte Parole "Rückgabe oder Entschädigung" begleitete auch diesen Akt staatlicher Abkehr von der riskanten Konfrontation.

Der "Kampf um die Heimat" galt und gilt als identitätsstiftend. Einer enge Gemeinsamkeit der Ausgesiedelten sollte politische Kampfesgrundlage bleiben. Die Fortexistenz des heimatlichen Brauchtums wollte man sicherstellen, auch durch demonstratives Tragen heimatlicher Trachten und durch die Pflege heimatlicher Sitten. Die Kultur der einstigen Siedlungsgebiete lebendig zu halten und in die Zukunft zu retten erkannte und erkennt man als ständigen Auftrag.

Unter den Ewig-Gestrigen entstand da und dort eine aggressive Grundstimmung. Mit verbalen Protesten waren viele nicht zufrieden. Das weitverbreitete "Ostpreußenblatt" z. B. vermittelt knallharte rechtsextreme Positionen. Es erscheint in einem rechtsextremen Verlag. Schreiber der Neuen Rechten polemisieren dort gegen das Potsdamer Abkommen, obwohl dieses allgemein kaum erwähnt wird. Es hindert daran, den konzentrierten Hass auf "die" Tschechen und auf "die" Polen zu lenken.


Politik des Bundes der Vertriebenen (BdV)

Alle Landsmannschaften, die SL, die Schlesische und die Pommersche sind im Bund der Vertriebenen (BdV) vereinigt. Der "Zentralverband der vertriebenen Deutschen", 1949 von L. Kather als Dachverband gegründet, ab 1954 "Bund der vertriebenen Deutschen" benannt, fasste ab 1957 die vereinigten Landsmannschaften und Landesverbände zusammen. Kather, Ex-NS-Aktivist, erklärte, dass der BdV ab 1951 ca. 90 Prozent aller organisierten Vertriebenen vereine. Im Zenit seines Einflusses stand der BdV von 1951 bis 1954 durch seine Mitarbeit am Lastenausgleichsgesetz. 1950 plante der BdV zusammen mit dem "Verband Ostdeutscher Landsmannschaften" (VOL) für 1950 einen "Tag der Heimat". Mit der "Charta der Heimatvertriebenen" gab man sich an diesem Tag ein "Grundgesetz". Es wurde am 5.8.1950 in Stuttgart verkündet. Zwar verzichtete man offiziell auf Rache und Vergeltung, was angesichts der internationalen Machtverhältnisse kein besonderes Zugeständnis war. Es kam ihm nur propagandistischer Wert zu, betonte aber das "Recht auf Heimat". In der Folge forderte man dies vehement ein. Es blieb bis heute eine zentrale Aufgabenstellung.

Vor allem in Polen und in der Tschechischen Republik erkennt man diese Forderung als Bedrohung. Einer zwischenstaatlichen Normalisierung steht diese Forderung stets entgegen. "Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen und der vom Leid der Zeit am schwersten Betroffenen empfinden ... Das Schicksal der Heimatvertriebenen ist ein Weltproblem, dessen Lösung" anstehe, heißt es in der Charta.

Aufschlussreich ist, dass auch diese Charta die Opferrolle der Ausgesiedelten betont und die vorausgegangene Täterschaft verschweigt. Diese Charta gilt als ein Angriff auf das Potsdamer Abkommen.

Der BdV erklärt sich als "Schicksalsgemeinschaft": "Die Heimat ist nicht verloren, solange wir in Treue zu ihr stehen!" Dies wird in Wort und Schrift immer wieder betont.

In diesem Sinne trat der BdV in der Folgezeit immer wieder an die Öffentlichkeit. Als 1998 Frau Steinbach als Präsidentin des BdV gewählt wurde, bestand unter politischen Beobachtern Übereinstimmung, dass nun mit härteren Bandagen um das Schicksal der Aussiedler, sowie ihrer Kinder und Enkel gefochten würde. Die in jüngster Zeit verschärfte Aggressivität des BdV wird Frau Steinbach zugerechnet.

Die so genannte "Erlebnisgeneration" der Ausgesiedelten ist nur noch eine kleine, aber radikale Minderheit. Die Nachgeborenen jedoch, die die alte Heimat ihrer Eltern kaum kennen, bleiben aktiv als "Bekennergeneration". Einige von ihnen treten in der Öffentlichkeit ebenso aggressiv auf wie die Personen der "Erlebnisgeneration".

In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der Status "Vertriebener" vererbbar ist. Das ergibt sich aus dem Vertriebenengesetz von 1953, an dem die Funktionäre des BdV beachtlichen Anteil haben. Der angemeldete Anspruch auf Rückkehr in die alte Heimat betrifft also nicht nur die so genannte "Erlebnisgeneration", sondern auch deren Nachfahren, die "Bekenntnisgeneration". Vermittelt durch Verlautbarungen des BdV und der Landsmannschaften heißt es immer wieder: "Für die Heimat gibt es keinen Ersatz!" Und dies, obwohl viele der Nachfahren der erwachsenen Aussiedler längst einen gesicherten Platz in der deutschen Gesellschaft fanden.

Zum "unsichtbaren Fluchtgepäck" gehört nach Bekundungen des BdV und der Landsmannschaften nicht nur das Kulturgut der verlorenen Heimat, das es zu bewahren gilt, sondern auch der permanent zu erhebende Anspruch auf Rückkehr. "Der Kampf um den deutsche Osten wird nicht aufgegeben!", wird immer wieder erklärt und geschrieben. Es gibt keinen "Totalverzicht", sondern nur ein vorläufiges Abfinden mit der Aussiedlung. Die Heimat ist und bleibt Lebensphilosophie. Jugendgruppen des BdV sollen "die zweite Schlacht um den deutschen Osten gewinnen" helfen. "Tausend Jahre Deutschtum in den östlichen Ländern werden verspielt, wenn keine geschulte und einsatzbereite junge Generation nachwächst!" heißt es in Texten des BdV. Heimweh sei zwar nicht vererbbar, Heimat sei jedoch nicht nur eine geografische Größe, sondern ein Kulturkomplex, der vererbbar sei. Ich wiederhole: Heimat sei ein Kulturkomplex, der vererbbar sei. Insofern sei Heimat ein Phänomen, das nicht auf jene Generation begrenzbar sei, die dort lebte und ausgesiedelt, in der Sprache des BdV "vertrieben", wurde. Solche Bekundungen sind zwar höchst spekulativ, aber diese Spekulation wird als Realität angesehen und ständig weitergegeben.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Eine offizielle Verlautbarung der Bundesregierung benutzt den Begriff Vertreibung: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 1958

- Ausriß aus der Zeitung DER SCHLESIER: "Wir ... verzichten auf Rache und Vergeltung." Auch auf Rückgabe? Und ist es das Jahrzehnt, das Leid gebracht hat? Waren da nicht Leidbringer mit Namen und Gesicht?

- Aktuelles Schriftgut einer Landsmannschaft: aus "Der Schlesier" vom 3.9.2010

- (Foto) 19. September 1939, so heimatlich war Gdansk damals noch

Raute

Fakten und Meinungen

A.-Eduard Krista

"Ich, Dich ehren? Wofür?"

Prometheus, Joh. W. v. Goethe

Am 29.9.2010 prangte dicker als dick auf der Titelseite einer deutschen Tageszeitung, die uns ständig im "Bild" lässt, die unmissverständliche Hassparole "Die Ostdeutschen sind undankbar". Wer dem heimtückischen Gesäusel von den lieben Brüdern und Schwestern noch nicht erlegen war, der weiß es jetzt genau. Nach Bahring sind die Ostdeutschen in Neufünfland ohnehin verzwergt, dumm, faul, zu nichts zu gebrauchen. Jetzt auch noch undankbar. Der Ostdeutsche ist nach Meinung der Befreier immer noch seinem Unrechtsstaat verbunden und zieht zu oft Vergleiche zwischen gestern und heute. Zwanzig Jahre nach der Einvernahme der DDR durch westdeutsches und internationales Kapital, nach dem Einmarsch der Befreier durch das Brandenburger Tor ist trotz ideologischen Trommelfeuers ein bedeutender Teil der Ostdeutschen immer noch nicht gleichgeschaltet. Und so fahren diese Brüder und Schwestern, assistiert von Ministranten wie Gauck und Eppelmann, Meckel und Eckardt, Knabe und Birthler und vieler anderer aus der Riege der Gewendeten und Korrumpierten, wie de Maizière, Krause, Schnur, die schwersten Geschütze psychologischer Kriegsführung auf. Irgendwann, so hoffen sie, wird das Ostvolk gleichgeschaltet, unmündig gemacht sein. Wer in der Geschichte belesen und kundig ist, wer sogar die Zeit ab 1933 selbst miterlebt hat, wird sich des propagandistischen Trommelfeuers gegen Kommunisten, Demokraten, Andersdenkende und gegen Juden und Roma erinnern. Bald folgten Kristallnacht, Schutzhaft und schließlich das Fast-Ende jeglicher Zivilisation im Zweiten Weltkrieg.

Die Vergleiche mit der Gegenwart drängen sich auf. Seit mehr als zwanzig Jahren überbieten sich die Medien des Kapitals - insbesondere natürlich die hochwirksamen elektronischen Massenmedien - mit der Verteufelung der untergegangenen DDR und der Menschen, die sie geschaffen haben.

"Sonderauftrag Mord", so flimmerte es am 28.9.2010 von den Bildschirmen. Ein Stück Hasspropaganda, schmutzig und primitiv. Progromhetze in der Tradition mittelalterlicher Ketzerverfolgung und des "Stürmers", aber exakt zur rechten Zeit, zur Stimmungsmache am 3. Oktober.

Wer die geheimdienstlichen und medialen Fälscherwerkstätten, in denen so was zusammengebraut wird, nicht kennt, der wird aber diesen inquisitotischen Verleumdungen glauben. Die Geschichte der Geheimdienste als Werkzeuge des Kapitals weiß aber objektiv zu berichten: Dokumente kann man fälschen, Zeugen kann man kaufen wie Politiker und Tränen der Rührung kann man mit Zwiebeln hervorbringen.

Suchte man Killerkommandos, hätten die Filmemacher und die journalistischen Hilfswilligen in den Archiven von CIA und Mossad, bei NSA und MI 5 fündig werden können. Und da die Herrschaften ja lesen können, hätten sie auch die Enthüllungen von Retyi "Zum Schweigen gebracht" und "Denn sie wussten zuviel" zur Hand nehmen können. Dort fänden sie mannigfaltigen Filmstoff. Wer z. B. waren die Steuerleute bei den mysteriösen Todesfällen der Möllemanns, Rohwedders, Bubak und Barschels, des Vatikanbankers Amschel Rothschild oder der Terroranschläge im italienischen Bologna?

Sind denn hochqualifizierte Kriminalisten, denen eine Technik von außerordentlicher Qualität zur Verfügung steht, sind die Untersuchung führenden Staatsanwälte wirklich nicht in der Lage, Ursachen, Umstände und Täter zu ermitteln?

Warum befassen sich die besoldeten Medienmacher z. B. nicht mit dem Schicksal des ehemaligen Berufssoldaten Florian Pfaff, der sich als katholischer Christ im März 2003 weigerte, bei der logistischen Unterstützung des US-Angriffs auf den Irak mitzumachen?

Untersuchung in der Psychiatrie, Bedrohung mit Gefängnishaft, Degradierung und Entlassung aus dem Dienst wurden sein Schicksal. Dabei handelte er gesetzestreu, sind doch Angriffskriege durch das Grundgesetz verboten. Gehören nicht eher die deutschen Vasallen, die Unterstützer und Befürworter der Kriege gegen Jugoslawien, gegen den Irak und Afghanistan vor ein Gericht, vor ein Kriegsverbrecher-Gericht?

Ja, wir Ostdeutschen sind sehr undankbar, wenn wir solche Fragen stellen.

Kehren wir die Fragestellung um und fragen, wofür wir dankbar sein sollen.

Dankbar für Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Sozialhilfe, Hartz IV?

Dankbar für Kinderarmut, Altersarmut, Suppenküchen, Obdachlosigkeit?

(Nach einem Bericht der letzten Kohlregierung von 1997 lebte jedes vierte Kind in Armut.)

Dankbar für die Vergesslichkeit der Steuerhinterzieher Koch, Kohl, Kiep, Kanther, Schäuble und Zumwinkel?

Dankbar dafür, dass Bankaktionäre Gewinne selbst dann einstecken können, wenn sie keine gemacht haben?

Dankbar für die Praktiken des Überwachungsstaates? (In den letzten Jahren wurden 50 Sicherheitsgesetze in Kraft gesetzt.)

Dankbar für die Sicherheitspolitik der EU nach dem Diktat der USA? Für die europaweite Durchsetzung der US-amerikanischen "Patriot Act" mit ihren weitreichenden Befugnisse zur Einschränkung der Bürger- und Menschenrechte?

Dankbar für die Milliarden Kriegslasten für die Bundesrepublik aus den Kriegen gegen andere Völker?

Dankbar für die Zerstörung der deutschen Sprache durch verstümmelndes "Denglisch"?

Dankbar für gewaltverherrlichende und sexistische Medien?

Dankbar den Medienmogulen, den Springers, Burdas, Mohns, Holtzbrinks, Kirch und Haim Sabam, die ihre Meinungsmacht zur herrschenden Meinung machen?

Dankbar schließlich auch für die am Beginn stehende Wahlhilfe und die unverhüllte Einmischung zur Volkskammerwahl am 18. März 1990?

Dankbar für die Flurbereinigung, der DDR-Kunst und -Kultur geopfert werden und mit ihnen auch ein großer Personenkreis von Künstlern und Kulturschaffenden?

Dankbar für die gigantische Enteignung der Bevölkerung der DDR durch die Treuhand?

Dankbar für die Selbstprivilegierung einer Kaste von Politfunktionären, Beamten, Managern, Beratern, die diesen Raubzug steuerten?

Dankbar für die verlogene Politik der versprochenen blühenden Kohlfelder?

Dankbar auch für das, was der "Freitag" 1993 so resümierte: "Die Alternative, für die sich die Bundesrepublik entschieden hat, ist die Fortsetzung des Bürgerkriegs mit den Mitteln des Strafrechts, der öffentlichen Diffamierung und der beruflichen und gesellschaftlichen Diskriminierung."?

Dankbar für die Diskriminierung der Ostdeutschen bei Lohn und Gehalt?

Wir? Euch ehren? Wofür?

Danke sagen wir uns selbst, unseren eigenen Leistungen.

Warum aber sollten wir Inquisitoren, Mitläufern im Tross der "Befreier" und ihren medialen Wortverkündern danken. Sie, die von sich selbst zynisch und englisch sagen: "Have a lie and stick to it. - Lüg drauf los und bleib dabei!", werden uns auch nicht die Wahrheit über uns selbst bringen.

Da stimmt es optimistisch, wenn in einem kostenlosen Sonntagsblatt in Thüringen am 16.1.2011 zu lesen ist: "Warnung: Bundespräsident Christian Wulff hat vor einer Verklärung der Diktatur der DDR gewarnt. Es sei erschreckend, wie verklärend heute viele die Menschenrechtsverletzungen und die Unfreiheit einfach ausblenden ..."

Als ob es nicht unsere Menschenrechte sind, die heute und hier verletzt werden.

Raute

Fakten und Meinungen

Klaus Georg

Geistkämpfer

Da waren zwei vor unserer Tür. Zwei von der Wachtturmgesellschaft, ging es mir durch den Kopf. Die Zeugen kommen auch immer zu zweit. Dabei sahen sie gar nicht so aus. Irgendwie nicht so weitfern. Der Kleinere von beiden war deutlich noch dreißig Jahre weit weg von meinem Alter. Der andere keine zehn Jahre mehr. Und beide mit Krawatte. Also von einer Firma, die Wert auf das gepflegte Erscheinungsbild ihrer Mitarbeiter legt. Da schieden die Wachttürmer aus.

Ich muss nicht sehr freundlich ausgesehen haben, als ich die Tür geöffnet hatte.

"Einen schönen guten Tag. Ja, haben Sie denn den Brief von der Hausverwaltung nicht gelesen?"

"Doch, doch, bloß richtig verstehe ich nicht, was Sie hier praktizieren wollen. Exorzismus?

Ich weiß nicht recht, was Sie da ausgerechnet bei mir wollen. Ich bin doch nicht katholisch.

Glauben Sie wirklich, dass Sie bei mir richtig sind?"

"Na, ja, so ganz unrecht haben Sie ja nicht, aber wir sind nun einmal im Haus. Da gehen wir zu allen Parteien rein, Mietsparteien natürlich. Sie haben doch nichts dagegen? Na dann, Dominus vobiscum." Da habe ich verblüfft nur gemurmelt: "et cum spiritu tuo" und hab sie reingelassen. Ich war mal katholisch.

Der Jüngere hatte keinen Aktenkoffer, nur so eine glänzende Blechdose in der Rechten. Ein Hightech-Gerät. Jedenfalls blinkte immer kreisum obenauf ein Kranz blauer Funken.

Ich zeigte drauf: "China?" Der Büchsenhalter reagierte lächelnd: "Irgendwie schon. Die Idee stammt vom Dalai Lama, aber gebaut haben das die Leute von Siemens. Ist eine Gebetstrommel. Aber miniaturisiert. Dreißigtausend Umdrehungen in der Minute. Alles mit Solarzelle."

Da nickte ich, 21. Jahrhundert eben.

Wir waren inzwischen in unserem Wohnzimmer. Ich hatte ihnen die Sessel angeboten und sie saßen beide so, dass sie die Bücherwand im Blick hatten. Der mit dem Aktenkoffer hatte den abgestellt, stand dann langsam auf und trat ans Regal. Seine Augen wanderten die Bücherrücken entlang. "Ah", sagte er da, "Knabe." Ergriff nach dem Buch. Es war "Des Knaben Wunderhorn" von Arnim und Brentano. Als er das dann selbst bemerkt hatte, stellte er es enttäuscht in die Reihe zurück und setzte sich wieder.

"Sie werden jetzt hier ihren Dienst machen wollen", versuchte ich den Fortgang des Geschehens zu befördern.

"Ja, hier auch, aber eigentlich fangen wir immer im Schlafzimmer an".

Das traf mich überraschend. Wenn der böse Geist ausgetrieben werden soll, habe ich den irgendwie selbstverständlich und zuallererst in den Büchern erwartet, nicht unbedingt in den Betten. Genau so muss ich auch ausgesehen haben, denn es hieß gleich: "Ja, das ist nun mal so. Sie machen sich ja gar keine Vorstellung davon, was die Bürger so alles in den Kleiderschränken aufheben. Der alte Herr unter ihnen, der hatte sogar noch eine Uniform im Schrank."

"Aber der war doch sein Leben lang bei der Reichsbahn?" "Eben, der hatte die Reichsbahneruniform auf dem Bügel, dazu noch mit allen seinen Aktivistenmedaillen."

Sie fingen im Schlafzimmer an, machten die Schränke auf. Als sie meine Tschapka für den Winter bemerkten, runzelten sie die Stirnen, sagten aber nichts. Der Jüngere nahm die Hightechdose, hielt sie kurz so, wie ein Polizist den Pfefferspray gebraucht, und hat wohl irgendwie eine Taste gedrückt. Nichts zu hören. Ruckzuck war der Schrank exorziert. Dann waren die beiden Nachttische dran.

"Ist wegen der vergessenen Tabletten. Bei manchen steht auf den Schachteln gar noch VEB drauf".

Wieder ein kurzer Tastendruck, auf den sich im Innern der Dose die ewige Botschaft 30.000 mal um sich selbst drehte.

Das Wohnzimmer kam ganz zuletzt dran. Nach Küche, Korridor und Bad. Nur im Arbeitszimmer hatte es ein wenig mehr Umstände gemacht.

"Haben Sie denn keine Ordner mit Briefen und so?" "Doch, doch," sagte ich, "aber den gebe ich ihnen natürlich nicht. Sie haben ja keine Hausdurchsuchung zu machen." Ich war nicht direkt feige, so zu antworten.

"Um Gottes Willen, nein. Wir wollen ja auch gar nicht lesen. Nur unschädlich machen. Da genügt es vollkommen, wenn wir auf drei Meter Distanz unsere Trommel rühren." Ich hab dann auf ein Schreibtischfach mit meinen Briefschaften gedeutet, und sie haben wirklich nur aus drei Metern ihre Mühle angeworfen.

Als sie den Raum schon verlassen wollten, warf ich ein: "Und der Computer? Den nicht auch?"

Da war es an ihnen, mich mit wohlgefälligem Großmut ihre Überlegenheit spüren zu lassen: "Nein, den nicht. Da gibt es schon Verfahren, bei denen wir uns nicht extra herbemühen müssen."

Dann im Wohnzimmer: Vor der Bücherwand vollzog der oberste Gebetsmüller so etwas wie einen Kameraschwenk mit der Dose. Aber das war es dann noch nicht. Die Fächer und Schubladen in der Schrankwand kamen alle einzeln dran. Sie klärten mich auch auf, warum.

"Ja, in so einem Meter Schrankwand ist eine unvorstellbare Dichte des Bösen konzentriert. Allein die Fotos. Die sind gar nicht allemal selbst böse aber manchmal versteckt sich im Foto lieber Menschen noch im Hintergrund der Betriebsname des Kombinats. Oder es gibt Urkunden, auf den Stempeln Hammer, Zirkel und Ährenkranz lauern. Und dann die Reiseandenken. Sie wissen ja, der Teufel steckt im Detail." Über seinen letzten Satz musste er selbst lächeln. Ein Wissender, der genau wusste, was er sagte.

Schließlich doch noch die Bücher. Selbst die lustigen, über die wir alle lachen können. "Wussten sie eigentlich, dass der, der den braven Soldaten Schwejk geschrieben hat, ein Roter war, sogar mit Rotarmistenuniform und rotem Stern am Käppi?" "Hasek? Der mit dem Bier 'im Kelch' um 12 Uhr nach dem Krieg?" "Sehen Sie, genau der. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein. Aber wir machen eben alles clean."

"Das heißt, wir sind jetzt fertig bei mir?"

"Ja, sicher. Nur noch die Frage. Plattenspieler ist ja nicht mehr. Haben Sie die alten Platten alle entsorgt?" Nein, hatte ich natürlich nicht. Die waren mit dem Plattenspieler zusammen nach Zumdorf gekommen, in unsere Datsche. Aber warum sollte ich denen das sagen? Geantwortet habe ich: "Freilich. Oder sehe ich so aus, als könnte ich mich der Neuzeit verweigern? Ich hab schließlich Handy und Internet." "War ja nur so eine Frage. Ist noch viel gefährliches Zeugs drauf. Ernst Busch singt Tucholsky oder gar Theodorakis. Ist eben nicht alles so unbedenklich wie Dagmar Frederic. Also okay, das war's. Und im Keller waren wir ja schon mit dem Hausmeister."

Das hatte nur etwas mehr als eine halbe Stunde gedauert. Mit Exorzismus hatte ich vollkommen überzogene Vorstellungen verbunden. Mehr so Beschwörung, auch ein wenig Angst vor dem Auspeitschen. Alles halb so schlimm. Da war wohl doch der Fortschritt ins Land gezogen. Keine brennenden Kerzen mehr, die ich ins Fenster stellen sollte. Keine singende und betende Menschenkette durchs ganze Treppenhaus. Nichts wurde eingesammelt. Und nirgendwo auf dem Hof wurden Bücher aufgeschichtet, um angezündet zu werden. Eine schlichte, prophylaktische Maßnahme, die die Staatsmacht zu meiner eigenen Gesunderhaltung durchgeführt hatte. Und alles gewaltfrei.

Nun war auch mein technisches Interesse wach geworden und als wir schon wieder im Korridor standen, wagte ich die Frage: "Was ist das eigentlich für ein Spruch, der da 30.000 mal in der Minute rotiert?"

"Das ist eine gute Frage. Da steht nichts drauf, was uns der Dalai Lama hätte sagen können.

Wir sind einfach schon weiter. Auf unserem Chip ist originäres abendländisches Kulturgut, wie man bei uns in München zu sagen pflegt. Das geht auf christliche Wurzeln zurück. Und doch ist es semantisch genau, mundartlich von einem Leipziger Pfarrer eingesprochen. Eine Koryphäe. Und dann natürlich digitalisiert und komprimiert: 'Schdasi naus' Und das 30.000 mal in der Minute. Das wirkt."


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Nachbau des zum Einsatz gekommenen Geräts nach einem detaillierten Gedächtnisprotokoll des Autors

Raute

Fakten und Meinungen

Hans-J. Falkenhagen/Brigitte Queck

Afghanistan wird ein neues Vietnam für die USA

Der iranische Parlamentspräsident, Ali Larijani, hat in Erinnerung an die amerikanische Militärpräsenz in Afghanistan diese mit einer solchen Situation verglichen, die die USA in Vietnam und Indochina durchgemacht haben, und darauf hingewiesen, dass Afghanistan für die USA ein neues Vietnam werden könnte.

Afghanistan wird für die USA zum neuen Vietnam, sagte der Präsident des iranischen Parlaments voraus. Ali Larijani schätzt ein, dass die USA die gleichen Irrtümer und Fehler begehen wie damals.

In einem Gespräch mit dem rätoromanischen Schweizer Fernsehen reagierte Larijani damit auf die Internationale Konferenz über Afghanistan in Kabul und versicherte, "dass die Amerikaner in Afghanistan den selben Misserfolg wie in Vietnam erleiden werden". Vor Jahren hätte die Sowjetunion genau den gleichen Irrtum begangen. Es hätte enorm viele Tote, gegeben und sie musste sich schließlich zurückziehen. Russland hätte aber gelernt. Die Geschichte wiederhole sich. "Wir Iraner kennen uns in Afghanistan aus. Wir wissen, dass sich Afghanistan nie fremden Armeen unterwerfen wird!", fügte All Larijani hinzu.

Der Präsident des iranischen Parlaments, der sich in Genf auf der Weltkonferenz der Parlamentspräsidenten aufhielt, die von der Interparlamentarischen Union organisiert wurde, hat sich im Übrigen auch scharf gegen die neuen Sanktionen gewandt, die vom UNO-Sicherheitsrat im Juni gegen den Iran beschlossen wurden. Er kritisierte insbesondere ausdrücklich die Doppelzüngigkeit, das zweierlei Maß, das vom Westen bezüglich des iranischen Atomprogramms praktiziert wird, da er nicht gegen die Nuklearsprengköpfe Israels und seine Weigerung, den Nichtverbreitungsvertrag (TNP) zu unterzeichnen, vorgeht.

Der Westen behaupte auf der einen Seite, dass er den Terrorismus bekämpfen will, auf der anderen Seite paktiere er hinter den Kulissen mit den Terroristen. In der Konsequenz setze der Westen diese bekannte Politik des zweierlei Maßes in Hinblick auf verschiedene Fragen der Welt fort. "Das führt zu nichts, es programmiert die totale Niederlage vor!" schlussfolgerte Ali Larijani.

Er sagte, dass zudem vorgesehen ist, dass Teheran Retorsionsmaßnahmen im Falle von Inspektionen von Schiffen und Flugzeugen ergreifen wird. Wenn ein iranisches Schiff oder Flugzeug durch ein anderes Land inspiziert wird, muss es erwarten, dass wir Gegenmaßnahmen oder ähnliche Maßnahmen zu ihrer Entgegnung ergreifen, erklärte er.

Diese Meldung bestätigt nochmals, dass die Zerstörungen und das Abschlachten von Menschen in Afghanistan gleiche Dimensionen wie in Vietnam erreichen. Doch die Ressourcen an Menschen, die aus tiefem Glauben an eine gerechte Sache zum Kampf entschlossen sind, sowie auch die materiellen Kampfressourcen der Afghanen und anderer islamischer Nationen, die im Befreiungskampf stehen oder mitwirken, sind unerschöpflich. Großmächte wie Russland und die VR China suchen klugerweise ihre Beziehungen zum Islam, zu allen islamischen Nationen, weiter zu verbessern und zum Nutzen beider Seiten immer effizienter zu gestalten. In dieser Richtung äußerte sich gerade wieder der Patriarch von Moskau und Gesamtrussland, Kirill, nicht nur als religiöses Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, sondern auch im Namen von Russland während seines kürzlich erfolgten Besuches in der Ukraine. Die USA und der Westen verlieren jegliche Sympathien unter den islamischen Nationen und in der Welt durch anhaltenden Mord in Afghanistan oder durch Sanktionen und Kriegsdrohungen gegen den Iran. Das führt die USA und ihre Verbündeten in die unausweichliche Katastrophe, wenn nicht schnell zu einer Politik des Friedens und der Kooperation übergegangen wird. Das heißt auch Abzug aller ausländischen Militärstreitkräfte aus Afghanistan und den Beginn eines umfassenden international organisierten Aufbauwerks in Afghanistan. Das heißt das Ende aller Sanktionen und jeglicher Kriegspolitik.

Das heißt auch schnelle befriedigende Lösung des Palästinaproblems. In dieser Richtung muss ein Umdenken seitens der Politiker des Westens erfolgen. Die Frage heißt nicht Sieg oder Niederlage, sondern Nutzen und Wohlstand für alle und friedliche Entwicklung dieser Welt.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- "Platz für alle hat die Erde" - nach US-amerikanischer Lesart Fotomontage: Klaus Georg

Raute

Fakten und Meinungen

Irene Eckert

Uran in Kriegswaffen ächten!

Bericht über eine Tagung des soldatischen Arbeitskreises "Darmstädter Signal"

Eichstätt-Wasserzell Ende November 2010. Es ist wohl der letzte schöne Herbsttag im Altmühltal. Fern von den umtriebigen Metropolen, am Rande der "kleinsten Universitätsstadt Europas", nahe der barocken Bischofsresidenz im schönen Bayernland, tagte vom 19.-21. November 2010 ein Fähnlein aufrechter Bundeswehrsoldaten.

Friedensbewegte Hoffnungsschimmer dringen im Angesicht der bis dato tabuisierter Gefahren aus den Uranbomben herauf aus dem katholischen Süden. Sie blinken Signale aus Kreisen, in denen man wohl zuletzt danach suchen würde. Sie senden über einen wenig erfreulichen und nur scheinbar marginalen Gegenstand. Es geht um "Depleted Uranium", um abgereichertes Uran, das im Irak, in Afghanistan, aber auch auf dem Balkan und möglicherweise sogar im Nahen Osten seit 1991 immer wieder in großen Mengen "erprobt" wird. Beteiligt an dessen Verwendung sind nicht nur die Amerikaner und Briten und möglicherweise auch die Israelis. Nein, die DU-Geschosse sind eine in Deutschland entwickelte Technologie, eine Erfindung der Rüstungsschmiede Rheinmetall und Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB).(1) Die als Panzerbrecher "erfolgreich" eingesetzte DU-Waffe gefährdet nicht nur das Leben und das Erbgut der in den kontaminierten Gebieten eingesetzten Soldaten. Sie wirkt unterschiedslos gegen Kombattanten und Zivilisten und tötet vor allem Kinder, die der Gefahr des Uranstaubes mangels Vorwarnung und Schutzkleidung völlig hilflos ausgesetzt sind. Noch schlimmer, der "schmutzige Staub" wird über Winde und das Grundwasser in die Welt hinausgetragen. Doch während zumindest die Briten und Italiener ihren vom sogenannten "Golfkriegssyndrom" gesundheitlich ruinierten Veteranen inzwischen Entschädigung zahlen, wird die Gefährdung deutscherseits dank Ex-Verteidigungsminister Scharping und der von ihm in Auftrag gegebenen Theo-Sommer-Studie (2001) beharrlich geleugnet, beziehungsweise verharmlost.(2) Deswegen ist es gut und stimmt hoffnungsfroh, wenn sich dagegen nun entschlossener, sachkundiger Einspruch anmeldet, Einspruch gegen die verhängnisvolle und folgenreiche Verwendung abgereicherten Uraniums etwa in Panzerabwehrgeschossen.

Ginge es nach dem Willen der "Signalblaser" aus Darmstadt und aus der ganzen Republik, so würden Atomwaffen generell geächtet. Laut einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs von 1996 dürfen die mit dem humanitären Völkerrecht nicht vereinbaren Massenvernichtungsmittel auch ohne explizite Ächtung gar nicht eingesetzt werden. Die Signaler beharren aber darauf, dass unter diesen die tückisch-toxischen, weit in die Welt und die Zukunft hinein zerstörerischen DU-Geschosse ein besonderer Bannstrahl treffen muss. Die mit großem Sachwissen argumentierenden Mitglieder des Arbeitskreises Darmstädter Signal, kurz AKDS, prangern darüber hinaus Bundeswehreinsätze an, die nicht mit dem Grundgesetz kompatibel sind, sondern laut Weißbuch, Köhler und Guttenberg wirtschaftlichen Zielen gewidmet. Der Initiator und Moderator der turnusmäßigen Arbeitstagung der "Signaler", Diplompädagoge und Oberstleutnant a. D. Jürgen Rose, ist einer der Hoffnungsträger für eine künftige friedlichere Welt. Der Autor des jüngst im Ossietzkyverlag erschienen Buches "Ernstfall: Angriffskrieg" ist einer der verfassungsrechtlich bewussten Bundeswehrangehörigen, die sich der Beteiligung an Angriffskriegen klipp und klar verweigern. Seine argumentative Waffe ist das humanitäre Völkerrecht: die Genfer Konvention, die Haager Landkriegsordnung, die universale Erklärung der Menschenrechte, die UN-Charta. Der "Fall Rose" erreichte 2007 ein gewisses Medienecho, nachdem der Offizier vom mustergültigen Befehlsempfänger zum mitdenkenden, verantwortungsbewussten Bürger in Uniform mutiert war. Nach seines Kollegen Major Pfaffs "Nein" zur Beteiligung am Irakkrieg 2003 verweigerte Rose vier Jahre später eine gleichgerichtete Beteiligung an den nun sogar vom Parlament abgesegneten "Tornado-Aufklärungseinsätzen" in Afghanistan. Wie seine Berufskollegen vom AKDS ist der Absolvent der Bundeswehrhochschule ein profunder Kenner der verfassungs-, völker- und strafrechtlichen Implikationen seiner Arbeit, die vorbildlich genannt werden kann. So ist es nicht erstaunlich, dass die von ihm geleitete und von der Bundeszentrale für Politische Bildung geförderte Tagung auch auf Grund exzellenter Referenten ein hohes Maß an Kompetenz zu vermitteln vermochte. Damit einher ging ein Zugewinn an Motivation unter allen Teilnehmern, sich nun auch in Sachen Uranmunition friedenspolitisch zu engagieren.

Während in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon am gleichen Wochenende an einer neuen NATO-Strategie gebastelt wurde, die ein Beharren auf Atomwaffen impliziert und deren völkerrechtswidrigen Präventiveinsatz ins Auge fasst, machten sich verantwortungsbewusste Offiziere, einfache Soldaten und Ehemalige, zusammen mit einer friedenspolitisch interessierten Öffentlichkeit ihre eigenen Gedanken. Der 1983 in Gegnerschaft zu neuen Atomraketen ins Leben gerufene "Arbeitskreis kritischer Soldaten" ist so jungdynamisch, dass man es sich zutraut, das wahrlich "heiße Eisen" Uranmunition anzufassen. Über 30 interessierte Betroffene und Experten waren dem Ruf der Signaler diesmal gefolgt. Während eines langen Intensiv-Wochenendes arbeiteten sie sich in die schlimme Materie vertiefend ein. Die Teilnehmer vergegenwärtigten sich mit Hilfe von ausgewiesenen Kennern der radioaktiven und chemisch-toxischen Wirkung der DU-Geschosse. Professor Dr. Dr. Lengfelder vom Otto-Hug-Strahleninstitut München demonstrierte die weitreichenden gesundheitlichen und erbschädigenden Wirkungen der panzerbrechenden Waffe. Daraus ergeben sich klare Forderungen. Nicht nur der Einsatz dieser "Massenvernichtungswaffe" müsse unmöglich gemacht werden, sondern bereits deren Entwicklung, Herstellung und selbstredend ihre Weitergabe. Bemerkenswert ist dabei das Ethos, von dem sich die anwesenden Soldatinnen und Soldaten leiten lassen. Sie, die persönlich von Einsätzen in durch Uranmunition kontaminierten Gebieten, wie etwa in Afghanistan betroffen sind und die vom Schicksal ihrer am "Golfkriegsyndrom" erkrankten Kollegen wissen, haben nicht nur ihre persönliche Zukunft vor Augen, sondern sie sorgen sich auch um die der DU-Munition völlig schutzlos ausgelieferte Zivilbevölkerung in den "Konfliktzonen", um das Erbgut künftiger Generationen und um die umweltverheerende Tatsache einer unkontrollierten Weiterverbreitung der hochgefährlichen "schmutzigen" Nanopartikel, in die das abgereicherte Uran (Depleted Uranium/DU) bei Verbrennung zerfällt.(3)

Wie gefährlich bereits die Befassung mit der schmutzigen Kriegswaffe DU ist, wurde sichtbar am Umgang mit dem einst preisgekrönten WDR Journalisten Frieder Wagner, der seinen Film "Todesstaub" den Seminaristen vorstellte. Für diese einstige Auftragsarbeit recherchierte Wagner für seinen Sender u. a. im Irak, wo laut WHO Sonderberater Dr. Ahmad Hardan die amerikanischen Streitkräfte schon 1991 über 300 Tonnen DU-Munition eingesetzt haben. Bei der alliierten Invasion 2003 sollen es allein in Bagdad noch einmal 200 Tonnen gewesen sein. Wagner und die ihn begleitenden Experten betraten die kontaminierten Zonen ohne Schutzbekleidung, ohne Handschuhe und Masken, weil das nach Aussage von Wagner ihre Arbeit auffällig gemacht und die "Sicherheitskräfte" auf den Plan gerufen hätte. Der so entstandene, aufwendig recherchierte Dokumentar-Streifen wurde schließlich nur einmal am Tschernobyl-Tag 2004 (26. April) vom WDR 3 ausgestrahlt und zwar ohne die sonst übliche vorherige Ankündigung und Bewerbung und verschwand daraufhin aus dem Deutschen Fernsehen. Neue Aufträge erhält der mehrfache Grimmepreisträger seither nicht mehr. Die Glaubwürdigkeit seiner Experten, zu denen auch der vormalige Professor für Radiologie und Nuklearmedizin, Dr. Asaf Durakovic von der Georgetown University, Oberst der US-Armee (a. D.), gehört, wird von seinen Arbeitgebern heute angezweifelt.

Durakovic hatte u. a. gesagt: "Die Behörde für Veteranen in der US-Regierung forderte mich auf zu lügen, was die Risiken einer Aufnahme von DU in den menschlichen Körper betrifft". Jetzt lebt der Wissenschaftler in Kanada, wo er das Uranium Medical Research Centre leitet. Aber auch der als Referent geladene Physiker Dr. Sebastian Pflugbeil hält Wagners Recherchen für unseriös. Er fordert zum Beispiel die gestiegene Kinderkrebsrate in Deutschland mit Todesfolgen mit jener im Irak zu vergleichen, weil diese hierzulande deutlich alarmierender sei. Auch die persönlichen, jahrelangen Aufzeichnungen ihrer Untersuchungsergebnisse von deformierten, krebskranken Kindern, die die irakische Ärztin Dr. Jenan Hassan vorlegt, lässt der Physiker nicht gelten. Man müsse US-amerikanische Expertisen zur Kenntnis nehmen, wonach die schlimmen Folgen etwa der am so genannten "Golfkriegssyndrom" erkrankten US-Veteranen ganz andere Ursachen haben könnten. So etwa sei vorstellbar, dass sie auf Kontamination durch Dibromethan, einen Kraftstoff also, zurück zu führen seien. Frieder Wagner lässt sich aber nicht beirren. Weit über 200 Mal hat er seinen Film schon einem interessierten Publikum vorgeführt und Rede und Antwort gestanden. Er weiß aus eigener entsetzlicher Anschauung und fundierter Recherchearbeit, wovon er spricht. Sein ziviles Engagement gegen die Uranmuniton ist gut begründet und er hat einen langen Atem.

Am darauffolgenden Wochenende wird er in der Technischen Universität Berlin anlässlich eines Antikriegskongresses genau wie sein Kollege Rose wieder die Trommel rühren, getreu dem Motto "... und fürchte Dich nicht".

Der Pflugbeilsche Beitrag wurde demgegenüber allgemein als der eines das Bewusstsein schärfenden "Advocatus Diaboli" aufgenommen. Zu mehr Klarheit verhalf dann der Mediziner, Strahlenbiologe und Physiker Professor Edmund Lengfelder, der über "Die Verwendung von Uran und DU in Kriegswaffen und die Folgen für Mensch und Umwelt" referierte. Sein Vortrag ließ hinsichtlich der weitreichenden Gefährlichkeit der DU-Waffe keinen Zweifel mehr zurück. Der international renommierte Dozent, schon früh aktiv in der Hilfe für Tschernobyl, führte zunächst aus, warum das abgereicherte Uran sich aus der Sicht der Kriegsindustrie so hervorragend eignet. Es sei vor allem kostengünstig, denn es entstehe als Abfallprodukt der Kernindustrie. Das Uran-Thema dürfe nicht "hochkochen", denn es handele sich um einen Markt, auf dem Milliardenprofite erzielt würden. Laut Institut für Strahlenschutz München existiert derzeit etwa 1 Million Tonnen abgereichertes Uran weltweit und es wird täglich mehr. Urangeschosse sind 1,7 mal dichter als Blei, sie können auch besser als das viel teurere Wolfram etwa Stahlwände wie Butter durchdringen und vier Panzer auf einmal samt Insassen "erledigen". Die Urangeschosse entzünden sich beim Aufprall und verbrennen Mensch und Material. Dabei entstehen Uranfeinstpartikel, auch Nanopartikel genannt, die hochtoxisch und radiologisch sind.

Lengfelder berief sich unter anderem auf den "Sandia-Report 2005", der den Einsatz von Uran-Munition auf der Arabischen Halbinsel seitens der Briten und Amerikaner untersucht hat. Bei Sandia handelt es sich um einen Militärkonzern, der sich in Sachen Uranmunition perfekt auskenne. Jedes Detail sei bekannt, wie der tödliche Staub entstehe, wie er sich ausbreite und selbst die Wirkung auf unschuldig spielende Kinder im Umfeld sei bedacht. DU-Nanostaub sei nicht abwischbar, er verteile sich in alle Winde. Besonders relevant sei die chemische Toxizität der gelösten, fein dispersierten Uranbestandteile. Die Aufnahme der Nanopartikel erfolge über die Atmung, über Verletzungen und über Haut- und Riechepithele. So gelangten sie direkt ins Gehirn, ins Nervensystem, in die Lungenbläschen. Die Biologie habe keinen Widerstand gegen die Kleinstteilchen, sie kenne diese nicht einmal. Laut Keith Baverstock, dem Hauptexperten für Strahlung und Gesundheit bei der WHO, lagern 16 Berichte über DU-Munition unter Verschluss in den "Giftschränken" des UN-Gremiums. In einem dieser internen Berichte von 2001 werde aufgezeigt, dass bei Uran-Nanopartikeln die nicht mit Strahlung verbundene Toxizität in den Vordergrund rücke.

Die wissenschaftliche Wahrheit sei nun keine Frage der Mehrheit, wohl aber seien Wissenschaftler anfällig für pekuniäre Anreize und diversen Druckmechanismen unterworfen. Sie stünden nicht außerhalb des gesellschaftlichen Gefüges, meint Professor Lengfelder. Das sei einer der Gründe dafür, warum WHO-Dokumente etwa nur selektiv an die Öffentlichkeit gelangten oder "Gefälligkeitsgutachten" erstellt würden. Immerhin gibt der UN-Gesundheitsexperte der WHO Dr. Keith Baverstock selber zu, dass ein von ihm vorgelegter Bericht "Über das Krebsrisiko für Zivilisten im Irak durch Einatmen von kontaminiertem Uranstaub" absichtlich unterdrückt wurde.(4)

Professor Lengfelder resümiert: DU-Munition wirke über Nano, Nano sei von Übel und fordere die Kritik an der offiziell geförderten Nanotechnologie heraus, was auf Grund wirtschaftlicher Interessen aber nicht erwünscht sei.

Ein Teufelskreis?

Immerhin, die EU sehe in der Nanotechnologie und Nanowissenschaft ein "riesiges Potential" von Nutzanwendungen. Aber es gäbe auch EU-interne Bedenken wegen langfristiger nichtethischer Anwendung von Nano in der Kriegswaffentechnologie.

Die offizielle Leugnung des Einsatzes von DU-Munition etwa in Afghanistan oder das Vertuschen seiner Gefährlichkeit für deutsche Soldaten beim Einsatz auf dem Balkan lässt auch hoffnungsvolle Rückschlüsse zu. Man fürchtet die Öffentlichkeit. Die Bundeswehr hält ein internes Handbuch unter Verschluss, in dem der Einsatz von DU-Munition in Afghanistan nicht ausgeschlossen wird und Vorsichtsmaßnahmen angemahnt werden.(5) Während NATO-Generalsekretär George Robertson am 7. Februar 2000 einräumte, dass während des 78-tägigen Krieges gegen Jugoslawien 31.000 DU-Geschosse abgefeuert wurden, mithin ca. 10,5 Tonnen, lässt der damalige Verteidigungsminister Scharping eine Studie anfertigen, deren Ergebnis lautet: Die im Kosovo eingesetzte Uranmunition ist für unsere Soldaten ungefährlich. Der vorher völlig gesunde, 24-jährige Soldat Andre Horn, der die DU-verstaubten Militärfahrzeuge reparierte, musste daher wohl an Grippe bzw an einer Meningo-Kokken-Infektion erkranken und plötzlich daran versterben. Muss da etwas geleugnet werden,was nicht sein darf? Hat der Rüstungskonzern Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB), heute EADS, die Technologie nicht 17 Jahre lang in Schrobenhausen südlich von Eichstätt getestet, bevor eine Bürgerinitiative zur Einstellung zwang? Der Tod darf kein Meister aus Deutschland mehr sein und wenn doch? Da wo Bundesregierung, der Bundestag und selbst das Bundesverfassungsgericht vielleicht versagen, da ist die kritische Öffentlichkeit gefordert, menschen- und völkerrechtliche Aspekte geltend zu machen.(6) Aufklärung tut daher Not, meinen die Signaler.

Deswegen schlug auch die Tagung einen großen Radius. Einleitend nahm der ehemalige Berufsoffizier, Spezialist in Sachen Atomwaffen, Dr. Lothar Liebsch das große Rahmenthema der Atomwaffenrüstungskontrolle auf und fragte nach Realisierungsmöglichkeiten für eine atomwaffenfreie Welt. Die Verteilung des derzeitigen Atomwaffenarsenals auf die Staaten der Erde wurde demonstriert. Eine klare Forderung ging daraus an den einzigen Staat hervor, der solche Verheerungsmittel außerhalb des eigenen Staatsgebietes gelagert hat, an den Staat, der als erster und einziger derartige Massenvernichtungswaffen zum Einsatz gebracht hat und der sie als letzter gedenkt abzuschaffen: Die Vereinigten Staaten von Amerika müssten ganz im Gegensatz zu ihrem "Basteln an einer neuen, auch den Präventiveinsatz vorsehenden Nukleardoktrin dem Atomwaffenteststoppvertrag von 1996 beitreten. Sie sollten es unterlassen, andere Staaten zu nötigen, die genau dieses bereits getan haben und die gemäß dessen Vorschriften handeln. Gemeint sind Staaten, denen der Besitz von Atomwaffen nur unterstellt wird, allen voran der Iran. Die Welt müsste aufhören, doppelte Standards im Umgang mit Atom-Staaten oder atomaren Habenichtsen an den Tag zu legen und vor allem Schluss machen mit der Sonderstellung, die Israel eingeräumt werde. Die "einzige Demokratie im Nahen Osten" werde offiziell nämlich weiterhin als "atomarer Habenichts" gehandelt und von ihm verlange man nicht, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, während das Land im Besitz des gesamten Nuklearspektrums sei, was Regierungschef Olmert dankenswerter Weise eingeräumt habe. Auch das Pochen auf der besonderen "Gefährlichkeit einer islamischen Bombe" sei nicht glaubwürdig, solange die nuklear bestückte "Islamische Republik Pakistan" als treuer Verbündeter der USA behandelt werde.

Die "Amerikaner" verfügten über 18 U-Boote der Ohio-Klasse, von denen 4 bis 6 ständig unterwegs seien und quasi jeden Punkt der Erde atomar bedrohen könnten. Überhaupt verkörpere die Tendenz, Atomwaffen auf U-Boote zu verlagern eine neue Gefahr. Nicht nur die USA unterstützen Israel in seiner falschen Politik. Die Bundesrepublik beteilige sich führend an dessen Atomstrategie. Allein 2010 seien drei atomar bestückbare U-Boote an den Staat Israel geliefert worden, zwei davon als 800 Millionen Euro-Geschenk des deutschen Steuerzahlers.

Aber auch auf deutschem Boden lagerten weiterhin nukleare Bestände. Im rheinland-pfälzischen Büchel befänden sich noch 22 "taktische" US-Atomwaffen. Deren Präsenz fände die Zustimmung der deutschen Bundesregierung, auch wenn der Außenminister sich öffentlich anders äußere. Unter Verweis auf die NATO-Oberhoheit werde die Verantwortung für deren Abzug von sich gewiesen. Als Gefahr wurde auch der Aufbau einer europäischen Armee mit nuklearer Komponente benannt.

Die Öffentlichkeit müsse eine Atomwaffenächtungskonvention(7) fordern, die es derzeit nicht gibt. Eine atomwaffenfreie Welt rücke nur dann in den Bereich des Möglichen, wenn der politische Wille dahin gehend geformt werde. Die Politik, nicht das Militär, habe darüber zu befinden. Die Aufklärung der Öffentlichkeit wird damit zur Schlüsselaufgabe für jeden verantwortungsbewussten Bürger. Als Voraussetzung für politisches Handeln im Interesse des Gemeinwohls fordern die Seminaristen daher akkurate Information über anstehende Problemfragen. Ihre handlungsleitenden normativen Prinzipien sind der Kantsche kategorische Imperativ und ihre ethische Grundlage das humanitäre Völkerrecht. Unterstützung fanden die Tagungsteilnehmer auf dieser Ebene beim geladenen Kenner des Internationalen Rechts, Professor Manfred Mohr, der mittels der von ihm unterstützten Koalition ICBUW/International Coalition for the Ban on Uranium Weapons(8) bis hinauf zu den Vereinten Nationen einen gewissen Erfolg vermelden konnte, einen Erfolg auf dem Wege zur Ächtung der besonders gefährlichen Uranmunition.(9) Mohr nennt eine solche Ächtung den Idealfall, betont aber, dass es gegenwärtig um einen pragmatischen Umgang mit den Einsatzfolgen von Uranwaffen zu gehen habe, die ja leider bereits Anwendung gefunden haben. Die DU-Waffe widerspricht demnach den Anforderungen des Völkerrechts, denn der dort enthaltene Grundsatz der "nicht unterschiedslosen Wirkung" dürfe keinesfalls aufgeweicht werden. Solches zuzulassen bedeute das Ende des Kriegsvölkerrechts. Wo etwas nicht mehr kontrollierbar und begrenzbar sei, höre das Recht auf.

Auch im Kriege sei der Grundsatz der Proportionalität zu beachten, man könne eben nicht alles als "notwendig im Sinne der Kriegsführung" hinstellen.

Zu diesem Aspekt entzündete sich am Ende der anspruchsvollen Tagung angesichts des realiter fortgesetzten Völkerrecht- und Kriegsrechtsbruchs noch eine interessante Debatte um die Frage nach der Bedeutung solcher Rechtsfragen. Keinesfalls dürfe man den Rechtsstandpunkt aufgeben, darin waren sich die Experten einig. Man würde ja auch nicht wegen der Häufung von Strafrechtsdelikten das Strafrecht abschaffen und die Täter ungeschoren davonkommen lassen nach dem Motto: Hilft ja eh nichts. Um so wichtiger sei die Berufung auf die ethischen Normen des alle Staaten und Nationen bindenden humanitären- und Kriegsvölkerrechts, denn heute gehe es um den Fortbestand des Lebens überhaupt, um den Schutz der Lebensgrundlagen. Ganz deutlich war es für diesmal allen geworden: Es hilft, wo Gefahr ist, nur ein Ausweg: Präzise Information der betroffenen Öffentlichkeit als einzige Grundlage für den erforderlichen starken Druck auf die politischen Entscheidungsträger. Auf solcher Grundlage kann dann das Rettende auch wachsen.


Anmerkungen:

1) "... am 19. Januar 2001 berichtete dann die "Süddeutsche Zeitung", daß von den Firmen Rheinmetall und Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) in den 70er Jahren Versuche mit uranhaltiger Munition durchgeführt worden seien. Demnach habe Rheinmetall von Anfang der 70er Jahre bis 1978 im Auftrag des BMVg auf dem firmeneigenen Schießplatz in Unterlüß (Kreis Celle, Niedersachsen) verschiedene Versuche mit DU-Munition durchgeführt." Zit. nach antimilltarismusinformation 2. Februar 2001, S. 37 "Uranmuniton - die toxische Versuchung der Bundeswehr", demzufolge sei "auch MBB sei an den Versuchen in den frühen siebziger Jahren beteiligt gewesen, so die "Süddeutsche" weiter. Das Raumfahrt- und Rüstungsunternehmen EADS (in der MBB 1990 aufging) erklärte am 19. Januar, daß auch auf dem Spreng- und Schießplatz von MBB in Schrobenhausen (Oberbayern) 17 Jahre lang, von 1979 bis 1996, DU-Munition getestet wurde. Vor Jahren schon machte eine örtliche Bürgerinitiative in Schrobenhausen darauf aufmerksam, daß in der Gegend in den 80-er Jahren besonders viele Erkrankungen aufgetreten seien". Ebd. S. 39

2) Siehe hierzu Frieder Wagner (Hrsg.) Uranbomben - die verheimlichte Massenvernichtungswaffe, Kai Homilius-Verlag Berlin 2010

3) Die Soldatinnen vertrat sozusagen Frau Hauptfeldwebel Christiane Ernst-Zettel, die ihre Erfahrungen aus vielen Auslandseinsätzen als Sanitätern mitbrachte und die für ihr humanitäres Beharren schon mehrfach "abgestraft" worden war.

4) F. Wagner (Hrsg.), Uranbomben a.a.O., S. 19

5) Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, VS nur für den Dienstgebrauch: Leitfaden für Bundeswehrkontingente in Afghanistan, S. 25 Gefährdung durch DU-Munition!!

6) Siehe dazu Antwort der Bundesregierung auf die jüngste kleine Grünen Anfrage im Bundestag zur DU-Munition BT-Drucksache 17-3281 vom 12. Oktober 2010

7) Die Anwendnung von Atomwaffen sind in jedem Fall ein schweres Kriegsverbrechen im Sinne des humanitären Völkerrechts, sagt Prof. Mohr und verweist auf das Rechtsgutachten der IALANA von 1976 und auf das IGH-Urteil von 1996, indem es heißt: "Die geltende Nuklearstrategie der NATO ist ..., mit dem Völkerrecht nicht (mehr) vereinbar und muss schon deshalb dringend revidiert werden", zit. nach Dieter Deiseroth in Friedensforum 1/2005

8) Näheres siehe www.bandepelteduranium.org und www.ICBUW.org

9) Im Dez. 2010 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Thema Uranmunition eine weitere wichtige Entschließung. Es handelt sich um eine "Verfahrensresolution", d. h. man muss sich alle zwei Jahre damit befassen. Neu aufgenommen ist die Forderung nach Transparenz hinsichtlich der DU-Einsatzgebiete. Manfred Mohr verwies auch auf den für den Umgang mit DU-Waffen wichtigen Rechtsgrundsatz der "Precaution" im Umweltrecht, wonach die Beweislast umgekehrt sei. Nicht der Betroffene müsse die Schädlichkeit einer eingesetzten Substanz nachweisen, sondern umgekehrt der Anwender deren Unschädlichkeit! Darüberhinaus wurde auf eine Studie des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes aufmerksam gemacht, deren Regel Nr.44 (IKRK Gewohnheitsrechtsstudie) laute "The lack of scientific certainty does not absolve a party", mit anderen Worten: Fehlende wissenschaftliche Gewissheit würde eine Parteigängerin nicht entschulden.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Auf solchen Bildern vom Krieg sind Opfer keine Menschen mehr und Täter sind ohne Gesicht. Giftiger Staub ist ohnehin nicht zu sehen.

Raute

Freundeskreis "Kunst aus der DDR"

Peter Michel

Mit Kopf und Herz

Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Nils Burwitz - Homo politicus" am 4. Februar 2011 in der GBM-Galerie

1986, während eines Gesprächs m der Redaktion der Zeitschrift "Bildende Kunst" stelltest Du, lieber Nils, mir die Frage nach einem Ausspruch von Brecht, an dessen Wortlaut wir uns beide nicht genau erinnern konnten. Nach einem Blick in Brechts Schriften schrieb ich Dir damals einen Brief, in dem ich jene gesuchten Sätze wiedergab, die Brecht in seiner Rede auf dem Völkerkongress für den Frieden in Wien formuliert hatte: "Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden." 1952, als Brecht diese Worte sprach, ging der Korea-Krieg gerade zu Ende. Vietnam, Jugoslawien, der Irak und Afghanistan standen noch bevor. Brechts Worte sind heute nach fast sechzig Jahren so aktuell wie damals. Dein Dank für diese Zitaten-Hilfe bestand in einer großformatigen Graphik, in der du meinen Brief collagehaft mit einer zweifachen Schwurhand und der roten spanischen Inschrift "Nie wieder Krieg!" vereinigt hattest. Die Schwurhand bezog sich auf das bekannte Blatt von Käthe Kollwitz, das sie 1925 für den Internationalen Friedenskongress in Leipzig schuf. Diese geätzte Zinkographie bewahren wir auf als ein Zeugnis unserer Übereinstimmung. Im Jahr 2000 schenktest Du drei weitere Varianten dieses Blattes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, dem Bund der Antifaschisten für eine Graphikmappe und für Versteigerungen.

In einem Beitrag für die "Bildende Kunst" stelltest Du im Zusammenhang mit der Arbeit an deinem Blatt "Ignis Fatuus" ("Irrlicht") die Frage: "Wie viel mal kann ein Christ die andere Wange hinhalten?(1) Ich glaube, das ist eine Schlüsselfrage zum Verständnis deiner Haltung, deines Lebensweges und deiner Kunst.

Uns fällt z. B. der Zugang zu deinem Bild "Las Meninas de Josep Renau" (vgl. Titelbild, d. Red.) nicht allzu schwer. Der große Maler Diego Velázquez hatte sein mehr als drei Meter hohes Bild "Las Meninas" ("Die Hoffräulein") 1656 für den Hof König Philipps IV. von Spanien gemalt. Es gehört zu den bedeutendsten und meistdiskutierten Gemälden der Kunstgeschichte und hängt seit langem im Prado-Museum in Madrid. Dein Bild "Las Meninas de Josep Renau", lieber Nils, zeigt die Verpackung und Sicherung des Velázquez-Werkes während der faschistischen Belagerung Madrids im spanischen Bürgerkrieg. Das geschah auf Anordnung von Josep Renau, der damals als Kunstbeauftragter der republikanischen Regierung nicht nur für den Kunstschutz zuständig war, sondern auch Aufträge an Picasso und Juan Miró zur Schaffung von Werken für die Pariser Weltausstellung 1938 übermittelte; so entstanden zwei Monumentalbilder: Picassos "Guernica" und Mirós "Katalanischer Bauer im Aufstand", bekannter vielleicht unter dem Namen "Der Schnitter". Josep Renau fand - wie u. a. auch Nuria Quevedo - in der DDR Zuflucht vor dem Franco-Regime. Eine Foto-Serigrafie aus seiner Folge "The American Way of Life", eine Anklage gegen die Drohung mit einem Atomkrieg, veröffentlichten wir als Titelbild des Heftes 3/2005 unserer Zeitschrift ICARUS. Renaus quasi-gezeichnetes Porträt als alter Mann blickt uns auf dem Gemälde eindringlich und nachdenklich an; im Bildhintergrund wird - auftauchend aus dem Nebel der Erinnerung - das Velázquez-Bild geborgen. Man sieht es nicht, aber man spürt die behutsame Anstrengung der Museumsleute. Zwischen Velázquez und Burwitz gibt es - wie wir sehen können - nicht nur inhaltliche, sondern auch formale Bezüge.

Wie bei Velázquez vollziehen die Figuren geschwungene, wellenartige Bewegungen, während der Raum durch horizontale und vertikale Linienführung stabilisiert wird; Velázquez teilt sein Gemälde durch eine horizontale Mittelachse, bei Burwitz verläuft diese Achse vertikal.

Dass Du gerade dieses Bild für unsere Exposition ausgewählt hast, dafür sind wir dir dankbar; stellt es doch auch eine Beziehung zu unserer eigenen Vergangenheit her. Wir lernten dich und deine vielschichtigen Arbeiten im Zusammenhang mit der INTERGRAFIK kennen, und es wird - das sei hier angemerkt - höchste Zeit, dass das geistige Erbe dieses weltweiten Forums engagierter Grafik durch uns zusammengetragen und gewertet wird, ehe es andere tun, die mit Halbwahrheiten, Lügen und Weglassungen zum x-ten Male nachweisen wollen, wie "schlimm" das alles war. Der Dienst an der eigenen Geschichte muss Objektivität wahren, darf Probleme nicht verbergen, muss aber deutlich machen, wie hoch der Verlust ist, der durch den Wegfall solcher internationaler Künstlertreffen entstand, und das sind wir nicht nur uns schuldig, sondern auch den vielen Künstlerfreunden auf der ganzen Welt, die eng mit uns verbunden waren und z. T. noch sind. Ich denke dabei nicht nur an die INTERGRAFIK, sondern z. B. auch an die Ostseebiennale in Rostock, die Quadriennale des Kunsthandwerks in Erfurt und andere. Alles das ist entweder verschwunden oder in bedeutungsloser Provinzialität versunken.

Die künstlerischen und publizistischen Beiträge von Nils Burwitz stehen für den hohen Anspruch der INTERGRAFIK. Seit 1976 beteiligte er sich daran. Das war in jenem Jahr, als er Südafrika verließ und in Valldemossa im Hochgebirge von Mallorca eine neue, endgültige Heimat suchte. Die schlimmen Erfahrungen unter dem Apartheid-Regime wirkten noch nach, und Brechts Frage, die auch das Motto dieser INTERGRAFIK war - "Wie soll die Kunst die Menschen bewegen, wenn sie selber nicht von den Schicksalen der Menschen bewegt wird?" -, provozierte ihn zu drei im Siebdruck vervielfältigten Bildkommentaren: zu einem Blatt mit dem Titel "Was nun? Schwelende Kunst", weil es ihm fraglich erschien, "Stilleben, Großwildbilder oder Abstraktes" zu einer Entwicklung beizusteuern, die "das Rad der Zivilisation um Jahrtausende zurückzudrehen"(2) drohte. Eine weitere Arbeit nannte er "Irrlicht". Dargestellt ist ein Autoreifen, der als brennende "Haiskrause" zum Mordinstrument mutierte. Winnie Mandela hatte sich im Eifer des Gefechts mit der Befürwortung dieser Lynchtechnik zur Bestrafung von "Verrätern" und Spitzeln vergriffen. Nils schrieb damals dazu: "Heute kommen wir nicht weiter mit simplen ideologischen Floskeln ... Wir müssen für alle Beteiligten das Irrsinnige an unserer Situation neu ausleuchten, ein gegenseitiges Vertrauen, das auf einem Selbstbewusstsein aller fußt, auf Dauer aufbauen."(3) Wer diese Sätze heute in Deutschland liest, mag sie vielleicht utopisch finden. Doch was dann in Südafrika später mit der Wahrheits- und Versöhnungskommission unter der Leitung von Bischof Tutu möglich war, kann diesem "demokratischen Rechtsstaat" nur zum Vorbild dienen. Auch ein drittes Blatt mit dem Titel "Die zeitlose optische Täuschung der Liebe", das dem einst innigen Verhältnis zwischen Nelson und Winnie Mandela gewidmet ist, hing damals im Ausstellungszentrum am Fernsehturm.

Schon in den Sechzigerjahren - also in einer Zeit, als es für Künstler aller Bereiche am riskantesten war, die Stimme gegen die Apartheid zu erheben - entstanden die ersten Protestbilder. Man müsste hier über vieles sprechen, was uns die Kunst des Nils Burwitz so wertvoll macht: über seine Zusammenarbeit mit Schriftstellern und Theaterleuten; über die von ihm entwickelte Technik der mehrschichtigen Harzgravur, mit der er u. a. die schlimmen Auswüchse der Rassentrennung anprangerte - z. B. in der Arbeit "Umgehungsstraße Nr. 4" -; über den Einschluss der Fotografie in seine Siebdrucke, mit der es - wie im doppelseitigen Blatt "Namibia: Kopf oder Zahl" möglich wurde, die eindringliche Symbolik z. B. eines zerschossenen Verbotsschildes wie ein Fanal der Grausamkeit zu lesen; über seine vielen Experimente, die Bild und Schrift verbinden; über seine farbigen Glasfenster; über die wunderbaren Landschaftsaquarelle und Porträtzeichnungen; über seine dreidimensionalen Objekte und Installationen, die durch einfaches Zurschaustellen von Gegenständen - z. B. einer Kinderschaukel vom Strand von Herolds Bay mit dem Doppelverbotsschild "Nur für Weiße unter 12 Jahren" schockieren und uns an kleine Schildchen an Parkbänken erinnern: "Für Juden verboten". Nicht zuletzt dienten solche Environments auch als Anregung für junge Künstler in der DDR, u. a. für den Dresdener Dieter Bock, der im Berliner Dom ein erschütterndes begehbares Kunstwerk installierte, das der Vernichtung der Berliner Juden gewidmet war. Dein bisheriges Lebenswerk, lieber Nils, ist so reich, dass es nicht möglich ist, hier auch nur annähernd darauf einzugehen.

Nun lebst du mit deiner Familie dort, wo dein Schaffen mehr und mehr von der mallorquinischen und spanischen Gesellschaft und Kultur geprägt wird. So ist es nur logisch, dass du dem Komponisten Frédéric Chopin und der Schriftstellerin George Sand, die gemeinsam den Winter von 1839/40 in Valldemossa verbrachten, eine Mappe gewidmet hast. Der britische Dichter Robert Ranke Graves schrieb dafür den Begleittext. Mit ihm und Joan Miró verband und verbindet dich eine tiefe Freundschaft. Durch deine Vermittlung konnten wir in der Zeitschrift "Bildende Kunst" deinen Artikel über Joan Miró mit Abbildungen illustrieren, ohne dass uns Urheberrechtskosten entstanden. Miró ging es übrigens ähnlich wie einem unserer kürzlich verstorbenen Künstlerfreunde. Der konservative Stadtrat von Palma, der Miró gerade als Ehrenbürger vorgeschlagen hatte, brandmarkte ihn gleich danach als den "Roten" und ließ ihn fallen wie eine heiße Kartoffel.

Vor wenigen Jahren wiederholten sich in Eisenhüttenstadt solche Vorgänge. Andersdenkende - wie Walter Womacka - dürfen heute wie damals nicht mit Toleranz rechnen.

Deine Verehrung für Miró schlug sich in deiner bibliophilen Edition mit dem Namen "Der unsichtbare Miró" nieder. Darin illustrierst du mit 20 Radierungen Texte, die von 20 Freunden und Wegbegleitern Mirós geschrieben wurden. Für dich als homo politicus sind - wie für Miró - Kunst und Politik unzertrennlich. Und deshalb steile ich ein Wort Mirós an das Ende dieser Laudatio auf dich, unseren Freund: "... mit dem Herzen mögen sie malen, ja mit dem Herzen. Leidend und kämpfend mögen sie malen. Mit dem Kopf mögen sie malen, aber möge der Kopf sich durch die Kraft, die jedes feinfühlige Herz besitzt, beherrschen lassen."(4)


Anmerkungen:

1) Nils Burwitz: Kunst im Notstand, in Bildende Kunst 10/1988, S. 447
2) Ebenda
3) Ebenda
4) Pera A, Serra: Miro i Mallorca, Barcelona 1984


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- 1984 in Soweto - Nils Burwitz (Sechster von rechts) bei der Eröffnung des Furda Art Center
- 1991 in Johannesburg - Nelson Mandela und der Künstler
- "Ignis Fatuus (Irrlicht)", 1987, Siebdruck, 84 x 71 cm - "Nie wieder Krieg", Zinkografie, 48 x 39,7 cm
- "Namibia: Kopf oder Zahl" 1979, beidseitig gedruckte Serigrafie, 84 x 71 cm


Raute

Eratum:

In Heft 4/2010 hat sich auf Seite 25 in der Vita Walter Womackas ein falscher Geburtsmonat eingeschlichen: Walter Womacka wurde am 22. Dezember 1925 geboren.

Raute

Freundeskreis "Kunst aus der DDR"

Harald Kretzschmar

Schwarzenberg lebt in Ralf Alex Fichtner

Eröffnungsrede zur Karikaturenausstellung in der GBM-Galerie

Es ist mal wieder wie im Bilderbuch. Schwarzenberg im Erzgebirge, unscheinbare Kleinstadt mitten in den Wäldern am Rande des Vogtlandes, muss immer irgendwie auffallen. Es ist nicht erst durch die Texte von Stefan Heym und Volker Braun zur zeitweiligen "Republik Schwarzenberg" verklärt worden. Tatsächlich war der damalige Landkreis von Anfang Mai bis Ende Juni 1945 vorläufig von Besatzungstruppen ausgespart. So konnten die Bewohner ganz selbständig und unbeeinflusst Arbeiterselbstverwaltung und Entnazifizierung in Gang setzen. Hinterher staunten nicht nur die oben genannten Dichter über die näheren Umstände, wie das vor sich ging. Andernorts hatte man bis zu den letzten Bluts- und Schweißtropfen das grauenhafte Hitlerregime verteidigt. Hier ging man ganz selbstverständlich zur Tagesordnung über. Und die hatte eben nun mal sozialistische Vorzeichen.

Für den 1952 in Aue geborenen und kurz danach nach Schwarzenberg gekommenen Ralf Alex Fichtner war das bereits Geschichte. Irgendwie muss diese Mentalität ihn doch geprägt haben. Dass er jedenfalls unverwechselbar einer aus dem "Arzgebirch" ist - man hört es mühelos an seiner Sprache und sieht es an seinem Auftreten. Der Hang zum Eigensinn paart sich bei denen dort meist mit wahrer Naturleidenschaft. Man ist im wahrsten Sinn des Wortes auf dem Heimatboden zuhause. Mit den Jahren wurde aus dem Sohn eines Modellbauers und Enkel eines Malermeisters ein eigenwilliger Künstlermensch. Nach dem Abitur ging er zwar erst einmal unter die Werkzeugmacher und Plakatmaler. Da sie ihn bei den verschiedenen Studienrichtungen nicht haben wollten, lebte er halt erst mal davon. In der Armeedienstzeit aber fing er im Wettbewerb mit einem Kameraden an zu schreiben.

Glücklicherweise kam er danach auf die Idee, seine Geschichten in Bildern zu erzählen. Da es bald so viele waren, machte er das jeweils in zwei oder drei oder bis zu zwölf Phasen. Nicht mehr. Also keine ganzen Comic-Bücher ohne rechten Anfang und so lala auslaufend wie andere. Bei ihm gibt es immer einen Knalleffekt, eine Pointenzündung. Das brachte ihn zu den Cartoonisten. Und trieb ihn in meine Arme.

1980 bekam er beim Satiricum in Greiz als karikierender Laienschaffender einen Preis. Da lief er Gefahr, in dieser Kategorie seine sozialistische Zuordnung zu finden. Davor konnte ich ihn bewahren. Denkwürdiger Moment, als wir in der Hegelallee in Potsdam nahe dem Nauener Tor auf einer Parkbank beieinander saßen und er das Füllhorn seiner komischen und kritischen Einfälle ausschüttete. Da sah ich: Das dort ist es doch - mit diesen Bildgeschichten bist du endgültig würdig, Mitglied des Künstlerverbandes zu werden.

Und so kam es denn 1984. Ralf Alex nahm an unserer Seite Platz. Er wurde immer mal im Eulenspiegel gedruckt. Im wesentlichen aber war er dem verpflichtet, was wir freiweg Ausstellungskarikatur nannten. Das hieß, ohne Zweckbestimmung für ein sehr eingeengtes Pressespektrum seine künstlerisch-kritischen Aussagen an die Öffentlichkeit bringen zu können. Mit den etwa zeitgleich von mir entdeckten jungen Talenten Nel Cozacu, Werner David, Paul Pribbernow, Andreas Prüstel und Milen Radev hatte RAF gemeinsam, dass neben der Originalität der Einfälle eine solide zeichnerische Qualität geboten wurde. Ja, und zu der Zeit schon signierte Ralf Alex provozierend mit RAF - was bei seinen späteren Ausflügen in westliche Gefilde doch den Schock einer Verwunderung auslöste.

Dem Start dorthin ging aber erst einmal ein bronzener Satyr als Preis der Biennale des Greizer Satiricums in der sich gerade verabschiedenden DDR voraus. Bei dem dreiteiligen Streifen ging es nach Fichtnerart genau um das Thema - der Staat verschwand im Hades. Dann war kein Halten mehr. Der legendäre Eulenspiegel-Jahrgang 1990 präsentiert ihn mit prachtvollen Blättern. Das Wilhelm-Busch-Museum Hannover lädt ihn 1991 zu einer großangelegten Überschau "Europäische Karikatur" mit 62 Namen aus 22 Ländern ein. Neben Cleo Petra Kurze und Klaus Vonderwerth vertritt er das bereits nicht mehr mitgezählte untergegangene Land. 1993 entdecke ich das Kürzel RAF unversehens bei einem München-Trip in der Galerie ETCETERA. In dem beigegebenen Text liefert das Galeristenpaar Meisi und Helmut Grill gleich die passende Neudeutung des Phänomens Fichtner.

Da durfte ich lesen: "Ralf Alex Fichtner ist ein einsamer Kämpfer in einer einsamen Gegend im Erzgebirge. Gegen die Windmühlen der sozialistischen Bürokratie hat er sich nach drei angefangenen Studien und ohne Anerkennung im eigenen Land internationale Beachtung mit unheimlichen Bildgeschichten und Satiren verschafft. Seine Aquarellarbeiten sind Perlen, die an Caspar David Friedrichs Visionen und an Edgar Allan Poes oder Kafkas düsteren Geschichten orientiert sind." Die Anerkennung im nun vereinigten Gesamtland machte sich dann allerdings weniger im flächendeckenden Gedrucktwerden als in einsamen Höhepunkten fest. Etwa 1995 beim 3. Preis im Faber Castell Cartoon-Award oder 2000 im Hauptpreis des Cartoonwettbewerbs zur EXPO Hannover. 2002 der Remenbering Award kam dann schon aus dem fernen Kyoto in Japan. Die Windmühlen der kapitalistischen Marktwirtschaft lassen jedenfalls im Comic-Wirbel Namen und Begriff RAF kaum zur Beachtung kommen.

Ich tröstete mich seinerzeit damit, dass ich nach Rückkehr aus München die bei ETCETERA erworbene Flasche Rotwein Marke Wolfsblut auf Ralf Alex' Wohl leerte. Die geleerte Buddel ziert nun meine Sammlung. Denn sie ist mit einem von RAF gestalteten Etikett verziert. Dargestellt ist ein sich unter unendlich hohen erzgebirglichen Bäumen am Wolfsblut labendes Rotkäppchen. Der Wirkungskreis des Zeichners RAF ist nun ganz und gar auf das heimische Schwarzenberg zentriert. Hier engagiert er sich politisch in einer linken Bürgerinitiative - und geht kritisch gegen das Etablieren ultrakonservativer Strukturen im Freistaat an. Hier ist das Wirken im "Schwarzenberger Kultur- und Kunstverein" oder in der Künstlergruppe "Zone" genauso wichtig wie das als Stadtrat im Gemeindeparlament. Hier verewigt er zeichnerisch auf einer großen "Sächsischen Bierkarte" die Brauereistandorte genauso wie organisatorisch als Inspirator das Entstehen witziger Kinder-Graffiti für die Auer Stadtwerke.

Ralf Alex Fichtner nun in der GBM-Galerie. Der Name ist den Leserinnen und Lesern des IKARUS von den bissigen grafischen Randnotizen dort auf der vorletzten Seite schon länger bekannt. Nun also der ganze Fichtner an den Wänden. Ein Jahrgang 1952 ist ja für GBM-Verhältnisse ein geradezu jugendlicher Jahrgang. Der Altersdurchschnitt der hier zur Geltung kommenden Künstlerpersönlichkeiten ist dadurch relativ hoch, weil hier in erster Linie an zu Unrecht in Vergessenheit geratende Kunst aus DDR-Zeiten erinnert wird. Es steht der Galerie aber gut an, die erst spät im einstigen Kunstbiotop zur Wirkung gekommenen originellen Temperamente nun auch zu hegen und zu pflegen. Was hier nun auf den ersten Blick nur gespenstisch romantisierend erscheint, entpuppt sich auf den zweiten Blick oft genug als handfeste Gesellschaftskritik im fabulös-poetischen Gewand. Was hat es mit den Pointen des Ralf-Alex Fichtner auf sich?

In der Regel wird bei seinen Bildfolgen auf eine mittlere Katastrophe zugesteuert. Diese Debakel erscheinen jedoch meist gar nicht so schicksalhaft. Richtig erschreckend wirken sie dadurch, weil sie die Antwort auf Illusionen sind. Vorsicht - vorhersehbare Gefahr! So mahnt der Zeichner zwischen den Zeilen - Verzeihung, zwischen den Bildern. Und er fügt hinzu: Seid nicht so gutgläubig angesichts des schönen Scheins. Heilserwartungen pflegende Gesellschaftsordnungen schmücken sich gern damit. Rennen ins Unglück als bevorzugte Fortbewegungsart - bloß weil ein leuchtendes Zukunftsideal blendet und verblendet? Soll es das wirklich sein? So fragt er. Wie aktuell. Insofern haben wir es hier mit einem heimlichen oder sogar unheimlichen Philosophen zu tun. Bitteschön - Naturphilosophen ...


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Ausstellungseröffnung in der GBM-Galerie: Ralf Alex Fichtner, Irene Schmidt von der Arbeitsgruppe Kunst und der Laudator Harald Kretzschmar
- Ralf Alex Fichtner, der weltläufige "Arzgebirchler"

Raute

Freundeskreis "Kunst aus der DDR"

Nelson Herrera Ysla

Vielgestaltige bildende Kunst Kubas

Die kubanische bildende Kunst bildet heute eines der farbigsten Szenarien der Gegenwartskultur im Lande. Wenn sie seit den 60er Jahren, als große Künstler sich durchsetzten, neue Erscheinungsformen entstanden, Ereignisse und Ausscheide stattfanden und die sehr wichtige Nationale Schule der Künste gegründet wurde, eine Konstante war, so gab es aber auch Zeiten, in denen das schöpferische Suchen die Kontinuität verhinderte, Kontinuität im Bewahren von Traditionen, die durch Zeit und Geschichtsschreibung geheiligt waren, in denen aber kaum Raum war für notwendige Brüche und Risse, weil sie nur spärliche Variationen über die immer gleichen Themen zuließen.

Hätten wir sagen können, dass es sich um einen natürlichen Vorgang handelte, wenn es sich doch um Ruhe, um Stillstand gehandelt hätte?

Jetzt gibt es nicht nur eine große Zahl von Künstlern, überwiegend junge, die sich neuen und komplexen ästhetischen Aufgaben widmen, sondern auch eine große Zahl von Galerien im ganzen Land, Einrichtungen, Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Kritiker und Kuratoren, die die unzähligen Wege in den vergangenen Dekaden unserer Kunstentwicklung sichtbar machen und die das Neue, Andere begründen.

Die bildende Kunst besetzt heute ungewöhnliche Räume, die früher von anderen spezifischen Äußerungen der Kultur getrennt schienen, als diese noch präzise in unverwechselbarer Erscheinung begrenzt waren und man in gewissem Grade von Reinheit sprechen konnte, was Theater, Tanz, Literatur, Film, Musik, Architektur oder Kunsthandwerk war. Und man konnte noch darüber hinausgehen, um zu bestimmen, was Kunst war und was nicht.

Nach dem wichtigen Aufblühen während der 60er Jahre und einer relativ ruhigen Periode der 70er Jahre ist es zu Beginn der 80er zu einem Prozess tiefgreifender Transformation gekommen: In allem, was man als System der Kunst kennt - von der Gestaltung bis zur Zirkulation und Kommerzialisierung jedes Werkes.

Die so genannte Postmoderne kehrte sich von zahlreichen Schemata und fast von allem, was während der ganzen Kunstgeschichte, besonders aber der des 20. Jahrhunderts, sanktioniert worden war, ab. Sie verschärfte die Prozesse der Entfremdung, schwächte die Erkennbarkeit der Grenzen von Kunst ab und erzeugte ein Gefühl von Inklusivität, von der Künstler vorher niemals träumen konnten. Sie nahmen kritisch das Vermächtnis und den Einfluss bedeutender europäischer Schöpfer und Denker an, studierten ihre Theorien, die von Hand zu Hand zirkulierten, und verstanden sie, mit Intelligenz auf bestimmte politische und praktische Erscheinungen in der kubanischen Kultur anzuwenden. Sie waren Teil einer internationalen Entwicklung, weil die ständigen Reisen unserer Künstler und Experten ins Ausland und weil zahlreiche internationale Austauschveranstaltungen innerhalb und außerhalb Kubas organisiert waren. Unser Streben zu wissen, was sich in anderen Regionen der Welt abspielte, war immens. Kurz "Nichts in der Kunst war uns fremd."

Diese Gier, im Einklang mit dem Universum der zeitgenössischen Kunst zu leben, mit der Kunst, wo immer sie sich zeigt, war es und ist es, was dazu beigetragen hat, dass unsere gegenwärtige Kunstszene so unüberschaubar und kompliziert erscheint.

Wenn wir das gegenwärtige Schaffen analysierten, sähen wir Künstler, die fortfahren, vitale und herzhafte Gemälde zu schaffen. Es sind die Künstler der Altersgruppe zwischen vierzig und fünfzig Jahren. Ihnen folgen eng die neuen Jahrgänge, die kaum die 30 Jahre überschritten haben. Obgleich differenziert, versuchen sie in der Hauptsache aus laienhaftem Streben Herren des Handwerks zu werden. Während die Älteren sich für einen Stil mit langer historischer Tradition entscheiden, Personen und Tiere vereint in einer traumhaften Landschaft, in surrealistischen Bildfindungen und in akademischen Kompositionen zu gestalten, stellen die Jüngeren dem die Lobpreisung des Volkstümlichen, des Weltlichen, ja selbst des grotesk Schillernden entgegen. Das ist oft unehrerbietig, gibt fast ein parodistisches Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ist allem Pomp abgeneigt und allem was irgendwie eine Spur von "politisch korrekt" sein könnte.

Dieser Haltung nah, doch gleichwohl von beiden Tendenzen geschieden, gewinnt die Gruppe der Abstraktion jeden Tag mehr Jünger und setzt sich mit Macht in der Malerei fest. Aber in anderer Art, als in den 50er Jahren. Zur Verwunderung vieler sprengen die Abstrakten der Grenzen er Gattung bis zu unvorstellbaren Extremen auf. Sie machen Zugeständnisse, bieten ungewöhnliche Mischungen ihrer historischen Vorbilder. Eine Tendenz, die sich so auch in anderen nationalen Kunsträumen zeigt, 2010, einhundert Jahre, nachdem die Abstraktion in die europäische Kunst trat.

Andererseits ist zum ersten Mal ein Homoerotismus mit weichen Linien, manchmal mit sadomasochistischen und gewalttätigen Akzenten deutlicher Aggressivität ins Bild gesetzt.

Alle diese Strömungen verringern aber nicht den Beitrag und die Bedeutung einer naiven Malerei, die weiterhin im ganzen Land geschaffen wird. Ihre wichtigsten Vertreter und auch ihre Verehrer findet sie in den westlichsten kubanischen Provinzen.

Die Palette der kubanischen Malerei ist groß.

Die Bildhauerkunst in Kuba hat die Höhe der Malerei zweifellos noch nicht erreicht. Nachdem sie die Tradition der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlassen hatte, tendieren heute die bekannten Bildhauer zur Abstraktion, besonders zu deren konstruktiven oder geometrischen Varianten. Sie bevorzugen als Material das Metall. In Holz wird kaum gearbeitet. Marmor und anderer Stein wird nur gewählt bei besonderen, meist prächtigen Aufträgen. Plastiken für Innenräume, seien es Galerien, Ausstellungszentren oder Museen, bestimmen damit auch Ausmaße und Formate. Es ist jedoch interessant zu beobachten, dass in den letzten Jahren immer häufiger versucht wird, den öffentlichen Stadtraum wieder zu besetzen. Diese systematischen Anstrengungen sind löblich, weisen sie doch darauf hin, dass die Rolle der bildenden Kunst bei der Gestaltung der Umwelt unserer Städte und Dörfer begriffen wird und damit die Architektur und der Städtebau als Elemente einer ganzheitlichen Kultur. Aber dieser Weg ist nicht leicht. Unverständnis ist noch reichlich vorhanden und bessere materielle Bedingungen, diese Projekte zu realisieren, sind allemal nötig.

Über die Fotografie: Nach einem bereichernden Wachstum in den 90er Jahren, das sich der seit den 60er Jahren vorherrschenden Tradition der dokumentarischen Fotografie entgegen setzte, befindet sie sich in einem Zustand, in dem sie verschiedene Richtungen anvisiert, ohne dass man jedoch dominante Tendenzen einschätzen kann. Die wichtigsten Fotografen der 90er Jahre sind noch aktiv, die Mehrheit im Reifeprozess ihrer individuellen Gestaltungskunst. Sie sehen jetzt neue Autoren an ihrer Seite, die andere Themen suchen: In der Architektur, in den psychologischen durchdrungenen Porträts individueller Zeitgenossen, in Straßenszenarien oder im Mediamix mit Theater, Mode, Video. Sie bieten eine Fotografie an, die dem alltäglichen Heroismus, dem epischen Gesellschaftlichen und der Zugehörigkeit zur nationalen Kultur entgegensteht. Sie sind frei von politischen Zusammenhängen, verweisen aber auf kulturelle Tendenzen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Grafik bewegt sich in zwei Bewegungsströmen. Die eine verfolgt nationale und internationale Traditionen, wie sie seit den 60er Jahren mit Holzschnitt und Lithografie an Kraft gewann. Die andere versucht die Druckgrafik in Experimenten mit neuen Materialien, Formaten und Themen zu entwickeln. In vorderster Linie dieser Bewegung befinden sich junge Leute, die aus der Kunsterziehung des Landes hervorgegangen sind. Ständig überschreiten sie die Grenzen, die der Druckgrafik traditionell mit der Druckauflage und der Zweidimensionalität des Papiers gesetzt sind.

Zur Performance. Sie ist eines der Felder, die nicht von kubanischen Künstlern besetzt ist.

Anders das Genre des Videofilms. Diese neue Technik wurde anfänglich der 60er Jahre schüchtern genutzt, hat aber zahlreiche, in unserem Land ausgebildete Künstler fasziniert. Ihnen scheint der Videofilm als ein geeignetes Instrument, bestimmte Erscheinungen des täglichen Lebens in ihren gesellschaftlichen Dimensionen anzusprechen, in erster Linie wohl wegen des breiten Spektrums der Bild- und Tongestaltung, in zweiter Linie aber auch wegen der unbegrenzten Möglichkeiten der Nachbearbeitung des Materials. Es werden schon nicht mehr nur Fakten registriert, sondern es werden Fiktionen, Metaphern oder Parodien produziert, wo sich Künstler, ihre Freunde und auch Schauspieler einbringen.

Der Impuls, der der Videoproduktion bei uns gegeben wurde, kommt besonders aus der Werkstatt für Kunsterziehung der Kunsthochschule, die unter der Leitung von Tania Bruguera steht.

Diese Werkstatt ist eine der interessantesten, auch der umstrittensten Erscheinungen der vergangenen Jahre, gleich anderer pädagogisch geprägter Einrichtungen wie die Galerie DUPP (Rene Francisco Rodriguez), die Gruppe ENEMA (Lazaro Saavedra) und das Dezernat der Öffentlichen Intervention (Ruslan Torres). Alle Einrichtungen wurden von Lehrkräften der Kunsthochschule geleitet. Von diesem Komplex ungeschriebener pädagogischer Praktiken sind bemerkenswerte Projekte und Künstler beeinflusst worden.

Hat sich bis in die 90er Jahre die Entwicklung der bildenden Kunst auf der Basis starker Traditionen entwickelt, so hat sich das Panorama in den letzten Jahren bedeutend geweitet. Die größere Bewusstheit von der Rolle der Kunst im Leben der Gesellschaft und auch die Einbeziehung neuer technischer Gestaltungsmöglichkeiten sind Ursache dafür. Die "net art", Kunst im Netz, tritt auf kollektiven Ausstellungen in Havanna in Erscheinung, ungeachtet dessen, dass die Künstler nur über die geringsten Voraussetzungen verfügen, sich in den internationalen Kommunikationssystemen zur Geltung zu bringen. Wichtig ist ihnen, die Schranken, die Ausstellungsräume und Galerien ihnen setzen, zu überwinden. Zu den Künstlern gesellen sich Laien, die versuchen, Parks, Straßen, Häusermauern zu gestalten. Sie nutzen den öffentlichen Raum, eigene und kollektive Vorstellungen zu präsentieren.

Die kubanischen bildenden Künste werden durch eine Vielzahl komplizierter Situationen gekennzeichnet. Eine besondere Rolle spielen die Ausstellungsmacher, die Kuratoren. Sie organisieren Ausstellungen unterschiedlichen Niveaus, diskutieren in einer wachsenden Zahl von Kulturzeitschriften wie Arte Cubana, Fotografia Cubana Arte por Excelencia und Noticias. Auch Verlage, die Bücher zu Kunsttheorie und -kritik veröffentlichen, und ein gewisser Anstieg der Zahl von Beiträgen in Funk und Fernsehen haben das Informationsniveau über die Kunst angehoben.

Dennoch folgen die Fragen, die die Leute zur Kunst stellen, auf dem Fuß. Jetzt, wo in unserem Lande alles schwerer geworden ist, gilt es, sichere Definitionen für Kunst zu finden, ihre Schöpfer zu assimilieren und zu verstehen. Vom Schriftsteller, Kunstwissenschaftler, Historiker bis zum Philosophen, Soziologen und Politiker reicht die Spanne derer, die die Vielgestaltigkeit künstlerischen Ausdrucks zu erkunden suchen. In den Bildungsernrichtungen, in der Presse, ja sogar in den Volksvertretungen wird erregt diskutiert, wenn bestimmte Werke konventionelle Rahmen sprengen, wenn durch Jahrhunderte geheiligte Traditionen missachtet werden. Gewohnt, die Kunst nur innerhalb bekannter Kriterien als Kunst zu erkennen, stürzen wir uns in einen Alarmzustand, wenn jemand diese übertritt, sie infrage stellt, sie verdammt oder ruiniert.

Aber die Veränderung der Realitäten dieser Welt, Kriege, soziale Auseinandersetzungen, Krisen, Hunger und Klimawandel sind allgegenwärtig. Sie verändern selbstverständlich auch Kultur und Kunst. Welcher Art die Veränderungen sein werden, kann nicht voraus gesagt werden.

In Kuba hat der größte Teil der Künstler die Art des Schaffens geändert.

Alfredo Sosavravo z. B. Er begann, in italienischen Fabriken mit Glas zu arbeiten, fantasievolle Gebilde.

Manuel Mandive, wie Ever Fonseca, eigentlich als Maler bekannt, schaffen Skulpturen. Auch Roberto Fabelo, Pedro Pablo Oliva und Eduardo Roca verlassen die Zweidimensionalität ihres bisherigen Schaffens und führen die Grafik in die räumliche Gestaltung über Andere verbinden ihr malerisches Schaffen mit Videoinstallationen oder Objekten.

Sandra Ramos zieht es jetzt vor nach einem langen Schaffen als Grafikerin Ausstellungen mit Objekten, Montagen, Fotografien und Videos zu besetzen. Die Liste der noch zu nennenden Künstler, die diese Tendenz bestätigen, ist sehr lang.

Heute lebt man nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft der Gründungsdekade, nicht mehr mit dem Schock der versagten ökonomischen Solidarität der 90er. Heute gibt es welche, die den ideellen Wert eines guten Teils des nationalen Kunstschaffens unter dem Druck kommerzieller Zwänge bezweifeln. Andere wollen diesen kämpferischen Geist vergangener Kunst wach halten. Die einen wie die anderen haben in gewisser Weise Recht, obwohl nur wenige die Zusammenhänge zwischen Kunst und Gesellschaft erkennen.

Der kubanische Künstler lebt in enger Verbindung mit seiner Umwelt. Nur wenig entgeht seiner Wahrnehmung. Er sieht verschiedene Täuschungen, sieht Zynismus, sieht ideologisches Tänzeln, sieht Kokettieren mit importierten Tendenzen und Technologieanbetung. Und er hat die Fähigkeit, das zum Ausdruck zu bringen.

Deshalb haben es einige vorgezogen, sich ganz dem Markt zu unterwerfen, sind eingetreten in die Suche nach Galeristen, Käufern und Sammlern, die ihnen die Befriedigung ihrer Wünsche ermöglichen sollen. Andere wollen sich im öffentlichen Raum der Ausstellungen, Debatten, der internationalen Veranstaltungen, der Lehre, der Polemik und der Kunstkritik behaupten. Zwischen beiden Tendenzen gibt es freilich auch weitverbreitet - wie auf der ganzen Welt übrigens - die Pendelhaltung. Die Produktion, die nicht auf den Markt ausgerichtet ist, erlebt gegenwärtig einen Aufschwung. Das liegt wohl daran, dass an unseren Schulen und Akademien Information, Diskussion und ständige Übung von einem umsichtigen Lehrkörper verdienstvoll geleistet worden sind.

Um aus den vielen Erscheinungen der gegenwärtigen kubanischen Kunst Schlüsse zu ziehen, muss man aber eine Reihe anderer Gründe anführen. Zweifellos sind immer einige besorgt, wenn eine neue Tendenz im nationalen Kunstpanorama in Erscheinung tritt. Dann erscheint einer Erklärung, angeheizt von Leidenschaft oder Naivität, sofort, dafür oder dagegen zu sein. Das ist Folge einseitigen Denkens, das nicht anerkennen will, dass die Welt, in der wir leben, voller Unterschiede und Bruchstücke ist.

Ich bekenne, das es nicht leicht ist, allen Kunsterscheinungen beizupflichten. Die Aufgabe ist es, auf alles aufmerksam zu achten, sich ständig der Analyse der Werke und den Absichten ihrer Autoren zu widmen. Das gestattet keine Ruhe, kein abschließendes Resümee.

Es ist schwer, vorauszusagen, welches Gesicht die Kunst in naher Zukunft haben wird.

Aus dem Spanischen: Heinz Langer


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Servando Cabrera Moreno (1923-1981), o. Titel, 1967, Tuschezeichnung 75 x 55 cm
- Wilfredo Lam (1902-1982), seinen Namen trägt das Zentrum für Gegenwartskunst in Havanna
- Roberto Fabelo "Mutter aus der dritten Welt"
- Eduardo Roca "Guerilleros", 1975, Öl/Lw.
- Wilfredo Lam "Maske", 1982 Pastell
- Jose Lopez Alvarez (*1924) "das Tal von Havanna", 1970 Öl/Lw. 64 x 85 cm

Raute

Freundeskreis "Kunst aus der DDR"

Ernst Jager

Erinnerungen an Jenny Mucchi-Wiegmann

Eine außergewöhnliche Lesung

Der Cellist und Sänger Wilfried Staufenbiel gehört dem Berliner Rundfunkchor an. Am 12.11.2010 las er Texte aus der Autobiografie des Malers, Graphikers und Architekten Gabriele Mucchi mit dem Titel "Verpasste Gelegenheiten. Ein Künstlerleben in zwei Welten". Sicher war es ein Novum in den Galerieräumen der GBM, dass ein Sänger mit seinem Cello ausgewählte Texte las. Herzliche Begrüßungsworte galten Susanne Mucchi, der zweiten Ehefrau von Gabriele Mucchi, und Sohn Gabrio Mucchi, dem sein Vater diese Autobiografie gewidmet hatte.

Zu Beginn sang Wilfried Staufenbiel im "Duett" mit seinem Cello ein von ihm selbst verfasstes und komponiertes Stück "Kristallene Stunde" - für mich eine Interpretation schöner Erinnerungen und Erlebnisse und der Ruhe nach einem bewegten Leben, ganz zutreffend für die Jahre Gabriele Mucchis mit seiner Frau Jenny. Meine Gedanken gingen zur Plastik "La terra II" (Die Erde), von Jenny geschaffen, die seid 2010 vor der GBM-Galerie in Lichtenberg ihren Platz hat. Die GBM hatte diese Plastik als ständige Leihgabe erhalten. So bleibt Jenny für mich lebendig; sie ist für mich ein Beispiel, für ein würdevolles Leben einzutreten. Staufenbiel verwies auf die Einweihung dieser Plastik; der Maler und Graphiker Ronald Paris hatte aus diesem Anlass gesagt: "Dass Jenny mit dieser Plastik mich zu den schönsten Erinnerungen veranlasst und dass sie in diesem Werk selbst lebendig bleibt, dafür sei der Familie, besonders Susanne und Gabrio auf das herzlichste gedankt"(1)

Der Cellist hatte mit viel Engagement bemerkenswerte Texte aus Mucchis Autobiografie ausgewählt: Wir erfahren z. B., was Gabriele Mucchi über seine Mutter Lucia schrieb: "Der Zeichenunterricht, den mein Vater Anton-Maria der jungen Frau erteilte, beflügelte Amor in einem raschen Flug zu einer Ehe, die für meine Mutter lebenslange Hingabe wurde, nicht ohne Schatten und Opfer". Am 25. Juni 1899 wurde Gabriele als erster Sohn geboren. Später kamen noch eine Schwester und zwei Brüder dazu.

Gabriele war inzwischen 28 Jahre alt. Eines Sommers kam das befreundete Ehepaar Müller auf Motorrädern zu Besuch. Ein Treffen in Verona und Reisen in Norditalien waren ausgemacht. Zwischen den dreien entstand eine aufrichtige Freundschaft. Aber zwischen Gabriele und Jenny schwang bald eine leise, unerwartete Zärtlichkeit mit. Während dieses Aufenthalts modellierte Jenny eine Madonna mit Kind. Das Material war eine Mischung aus Zement und Sand. Nach der Erhärtung war die Bearbeitung mit dem Meißel schwer. In den folgenden Monaten begann zwischen den beiden ein Gefühl des Begehrens. Es war vor allem von Achtung und Solidarität getragen, die gleichen ideellen Interessen entsprang, auch der reinen Freude, die beim gemeinsamen Genuss von Kunstwerken oder in der leidenschaftlichen Diskussion über beider Arbeiten empfunden wurde. Noch war Jenny sichtlich unlösbar an ihren Mann gebunden. Doch das Zusammenleben mit Müller wurde schwieriger. Jenny und Gabriele kämpften gegen die Tabus der bürgerlichen Gesellschaft an. An einem Tanzabend, eng umschlungen, bemerkten sie nicht, dass die Musik längst zu Ende war. Es war Liebe. Von da an sollte beide nur noch der Tod scheiden. Jenny verließ ihren Mann. In Paris richteten sie sich ein gemeinsames Heim ein. Es begann ein hartes Künstlerleben. Mahlzeiten mussten ausfallen, und wenn es einmal Fleisch gab, dann das billigste: Ochsenschwanz. Aber sie vertrauten einander, kritisierten einander, halfen sich und wurden immer mehr zu einem unauflöslichen Lebensbund. Wichtige Kunstwerke im Dienst am Menschen entstanden. Die Genialität der Künstlerin hatte Kostbares hervorgebracht.

1943 zerstörte der Krieg ihr wichtigstes Werk. Mitfühlend und voller Abscheu vor dem Krieg unterbrach Wilfried Staufenbiel jetzt seine Lesung und wählte für seinen Musikbeitrag einen Text von Christian Morgenstern: "Das Knie", ein Antikriegslied, mit leidenschaftlicher, Betroffenheit provozierender Dramatik vorgetragen - "nur ein Knie" bewegt sich noch auf dem Schlachtfeld.

Jenny widmete sich später der Treibarbeittechnik. Als Meisterin in dieser Kunst wurde sie in den Fünfzigerjahren an die Werk- und Kunstgewerbe Schule Umanitaria in Mailand berufen. Ihr Lehramt erfüllte sie mit Begeisterung. Ihre wichtigste und wegen ihres Umfangs einzigartige Treibarbeit entstand 1957-59; es waren fünf jeweils dreieinhalb Meter hohe Figuren für das Monumento ai caduti partigiani (Denkmal für die gefallenen Partisanen). Eines Tages fiel Jenny bewusstlos zu Boden. Grund war der entsetzliche Lärm ihrer Schüler beim Hämmern für die Treibarbeiten auf den Blechen.

Am 10. Juni 1940 war Italien in den Krieg eingetreten, nicht gegen die Feinde der Kultur und des Humanismus im eigenen Land, sondern gegen Frankreich, das die Nazis schon in die Knie gezwungen hatten. Das Künstlerpaar hat das infantile Aufstampfen Hitlers, das überall in den Kinos zu sehen war, und die Stimme des Duce, die aus dem Lautsprecher dröhnte, nie vergessen. Sie fühlten Scham und Schmerz. Es war nicht zu ertragen, als sie ansehen mussten, wie Frauen hysterisch schreien: "Es lebe der Krieg! Es lebe der Duce!".

Sie ahnten nichts von den Schrecken und der Trauer, die ihnen bevorstanden. Gabriele malte eine Frau, die die Hände vors Gesicht schlägt. Jenny stellte diese Gestalt in einer Bronzeplastik dar. Es sind Arbeiten, die Verzweiflung und Schmerz zum Ausdruck bringen, eine Stimmung, die das Künstlerpaar damals empfand: eine Anklage. Wilfried Staufenbiel unterbrach seine Lesung in dieser Passage musikalisch mit seiner Komposition "Klage", die das damalige Geschehen mit seinen Mitteln verdeutlichte: eine Aneinanderreihung von Lauten, die ein Weinen und Klagen wiedergaben und die auch die Zuhörer mit Schmerz erfüllten.

Szenenwechsel. Bei geheimen Treffen kam Jenny oft mit einem Führer der KPI zusammen. Mit dem Fahrrad und einem Korb auf dem Gepäckständer beförderte sie neben Einkäufen auch Dokumente, Befehle und Nachrichten für die Partisanen, manchmal Waffen. Ein listiges und gefährliches Spiel. Einmal fragte eine faschistische Patrouille, was da transportiert wird? "Eine Bombe", antwortete Jenny lachend. Sie machte den Korb auf, ein Blumenkohl lag drin. "Ein schönes Mittagessen, diese Bombe, was, Fräulein?". So konnte die im doppelten Boden versteckte Pistole an Partisanen übergeben werden. Bei Entdeckung hätte das auf der Stelle Jennys Leben gekostet. Trotz dieser Unsicherheiten waren Gabriele und Jenny sehr aktiv und produktiv. Es mussten neue Unterkünfte und Verstecke gefunden werden. Jenny machte sie aus. Es war eine Zeit des Fieberns, des unerschrockenen Handelns, des Liebens und Schaffens.

Im August 1950 fand in Nizza ein Jugendfestival statt. Jenny und Gabriele waren dabei. Auf einem Lastwagen voller junger Leute sang Gabriele über ein Mikrofon "Bella ciau", ein Partisanenlied, das vor seiner weltweiten Verbreitung hier seinen Anfang nahm. Der Sänger Staufenbiel stimmte dieses Lied an:

Una mattina mi son alzato, o bella ciao, ...
Una mattina mi son alzato e bo trovato l'invasor

Eines Morgens in aller Frühe, o bella ciao, ...
Eines Morgens in aller Frühe trafen wir auf unsern Feind.
Partisanen, nehmt mich mit euch, o bella ciao, ...
denn ich fühl', der Tod ist nah.
Wenn ich sterbe, oh Genossen, o bella ciao, ...
bringt mich dann zur letzten Ruh.

Das Künstlerpaar lebte mit einem Heimatgefühl, das ihnen gemeinsam war, in einer Osmose der Gefühle ihrer Kulturen, der Wanderungen zwischen Nord und Süd, West und Ost. Sie lebten in einem bewussten Internationalismus, in einer Haltung gegen jegliche Formen des Nationalismus. Mit der Bestallung Gabrieles als ordentlicher Professor in der DDR begann ein Leben in zwei Städten, die 1200 km voneinander entfernt lagen. Jenny, die Nazi-Deutschland verlassen hatte, fand sich künstlerisch und menschlich leicht in die neue Welt ein. Beide sahen in der Gründung der DDR ein neues Deutschland mit den Grundsätzen einer Philosophie, die sie auch in Italien vertraten.

In den letzten Lebensjahren verschlechterte sich Jennys Gesundheitszustand. Oft musste sie ins Krankenhaus. Dennoch arbeitete sie weiter. Wichtige und engagierte Werke entstanden in diesen Jahren. Ihr Lebenswille war stark, der Drang tätig zu sein, zu schaffen, zu lieben. Später überfiel sie ein seltsames Unwohlsein. Eine Krankheit bahnte sich an, die ihr Leben bedrohte. Sie modellierte noch die "Große Schwimmerin". Am 6. Mai 1969 fuhren Gabriele und Jenny wieder in die DDR, um Jenny in die Klinik Berlin-Buch zu bringen. Von dort sollte sie nicht mehr zurückkehren. Es war Krebs.

Bald war sie nicht mehr ansprechbar. Am 27. Juni öffnete sie plötzlich die Augen und sagte: "Ich habe zwei Partisanen gesehen". Am 2. Juli 1969 starb sie. Ihre Asche wurde auf Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Lichtenberg beigesetzt. Das Grab befindet sich neben der letzten Ruhestätte von Käthe Kollwitz.

Wilfried Staufenbiel beendete seine Lesung mit einem persönlichen Schlussgedanken: "'Ich habe zwei Partisanen gesehen', waren Jennys letzte Worte. Vielleicht sah sie in diesen beiden Partisanen Gabriele und sich selbst. Und vielleicht war es ihr das Wichtigste, am Ende eines schönen, bewegten und entbehrungsreichen Lebens in dem Bewusstsein zu sterben, ihre ganze Kraft gemeinsam mit Vertrauten für eine bessere und gerechtere Welt eingesetzt zu haben."

Diese musikalische Lesung, die oft von Beifall unterbrochen wurde,war ein Höhepunkt der Kulturarbeit der GBM. Sie war beeindruckend, ging ans Herz und machte gleichzeitig die Schönheit der Sprache in Gabriele Mucchis Autobiografie zum Erlebnis. Jenny Mucchis Leben und Werk wurde uns auf wunderbare Weise näher gebracht. Wir werden ihr Andenken in Ehren halten. Auch Susanne Mucchi dankte im Namen der Familie der GBM für die Einladung, für das Zustandekommen der Lesung und überreiche Wilfried Staufenbiel Blumen und eine signierte Autobiografie.


Anmerkung:

1) Ronald Paris: Für Genni, in: ICARUS, Heft 3/2010, S. 41


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Wilfried Staufenbiel, Cellist und Sänger
- Jenny Mucchi-Wiegmann auf einem Foto aus dem Jahr 1936
- "La terra II", die Plastik von Jenny Mucchi-Wiegmann in der Weitlingstraße vor der GBM, eine Bleistiftzeichnung des Autors

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Personalia

Gottfried Ulbricht

Zum 50. Todestag Patrice Lumumbas

"Der Mord an Patrice Lumumba trennt zwei Epochen der zeitgenössischen afrikanischen Geschichte: jene der Hoffnung und des siegreichen Kampfes für die nationale Befreiung und das Entstehen unabhängiger, vom Recht und der Sorge um die Wohlfahrt der Bürger bestimmten Staaten, von jener anderen - die wir heute erleben der Unterdrückung, der Korruption, der menschenverachtenden Ausbeutung durch die westlichen Konzerne und des gesellschaftlichen Zerfalls.

Patrice Lumumba war der erste Märtyrer in einer langen Reihe von Führern von Befreiungsbewegungen, die von den westlichen Geheimdiensten systematisch ermordet wurden: Amilcar Cabral (1973), Thomas Sankara (1987), Barthelemy Boganda (1962), Ruben Umnoye (1963), Felix Moumier (1965), Mehdi Ben Berka (1965) u. a.

Die lebendige Erinnerung an den Kampf und an das Werk von Patrice Lumumba, erster frei gewählter Premierminister der Republik Congo, ist der fruchtbare Boden, auf dem die Blumen der Hoffnung sprießen.

Im Canto general schreibt Pablo Neruda von unseren Feinden:
Sie können alle Blumen abschneiden, aber nie werden sie den Frühling beherrschen.

In Solidarität und Freundschaft
Jean Ziegler"

Grußwort des Soziologen und Politikers zur Einweihung des Lumumba-Denkmals vor dem Herder-Institut in Leipzig am 15.1.2011


Am 17. Januar 1961 wurde der erste frei gewählte Ministerpräsident des unabhängigen Kongo Patrice Lumumba ermordet. Bereits im November 1961 wurde in Leipzig ein Lumumba-Denkmal errichtet. Die Stele mit der vom Leipziger Bildhauer Rudolf Oelzner geschaffenen Büste Lumumbas befand sich vor dem ehemaligen Herder-Institut, wo auch zahlreiche Afrikaner die deutsche Sprache erlernten - als Vorbereitung auf ein Studium in der DDR. Die Erinnerung an den Freiheitskämpfer und Märtyrer wurde an einem würdigen Ort gepflegt. Das Denkmal wurde 1997 geschändet und die Büste gestohlen. Der Fall konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Gegen die Bemühungen vor allem engagierter Leipziger - besonders von der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft (DAFRIG) - um die Wiederherstellung des Denkmals gab es viele Widerstände. Schließlich stimmte auch die Universität Leipzig zu, auf deren Gelände sich das Denkmal befand.

Da für die gestohlene Arbeit von Oelzner keine Vorlage mehr existierte, musste möglichst kurzfristig eine andere Lösung gefunden werden. Auch auf Vorschlag von Mitgliedern der GBM einigte man sich mit der Universität Leipzig auf eine Lumumba-Büste aus dem Nachlass der deutsch-italienischen Bildhauerin Jenny Mucchi-Wiegmann (1895-1969).

Genni, so ihr Künstlername, hatte diese Arbeit noch zu Lumumbas Lebzeiten begonnen. Es ist eine Vorarbeit zu einer lebensgroßen sitzenden Figur nach dem weltbekannten Foto des gefesselten Gefangenen. Das Original dieser Plastik befindet sich in der Kunstsammlung der Akademie der Künste in Berlin. Mit folgenden Worten äußerte sich die Künstlerin zu diesen beiden Arbeiten: "Als Lumumba unter Duldung der UNO von dem Verräter Mobuto am Flughafen von Leopoldville festgenommen und in das Gefängnis von Thysville verschleppt wurde, ging es mir wie allen, die diesen großen Kämpfer für die Freiheit seines Landes liebten: ich war um sein Schicksal besorgt. In dieser Zeit sah ich ein Foto, auf dem er während seiner Überführung mit gefesselten Händen auf der Erde saß. Mich beeindruckten sein klares Gesicht und seine stolze Haltung. Ich dachte an die Worte, die er einige Tage vor seiner Festnahme einem Journalisten gesagt hatte: Eines Tages werden Sie nach dem Kongo zurückkehren. Sie werden ein freies Land sehen, reich, blühend, ohne Zeichen von Unterdrückung. Den festen Glauben daran las man noch in seinem Gesicht. Man sah aber auch die Spuren der Leiden, die er ertragen musste. Er stand vor mir nicht nur als der bekannte Staatsmann, sondern als ein Mensch in Not und Kampf. Diese Leiden, diese Haltung wollte ich in meiner Plastik ausdrücken. Ich machte mich an die Arbeit. Sie war schon ziemlich fortgeschritten, als ich die Nachricht erhielt, dass Lumumba ermordet worden war. Mit bewegtem Herzen vollendete ich die Plastik."

Neben vielen Einzelspenden ermöglichten die Harald-Breuer-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung die kurzzeitige Wiedererrichtung des Denkmals - rechtzeitig zu Lumumbas 50. Todestag.

Am 15. Januar 2011 wurde das Lumumba-Denkmal mit einer bewegenden Zeremonie wieder eingeweiht. Mehr als 250 Gäste, darunter viele Afrikaner, waren gekommen, um des unvergessenen Märtyrers zu gedenken. Patrice Lumumba zu Ehren sprachen Clementine Shakembo Kamanga, die Botschafterin der Demokratischen Republik Kongo in Deutschland, Frau Dr. Quart und Herr Dr. Kunze von der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft und ein Vertreter der Universität Leipzig. Afrikanischer Gesang und afrikanische Musik gaben der denkwürdigen Veranstaltung den festlichen Rahmen.

Jean Ziegler hatte der Veranstaltung eine Grußbotschaft übermittelt.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Es werden nicht die einzigen Blumen sein, die an dieser Stelle niedergelegt werden
- Die Vertreterin der Demokratischen Republik Kongo Frau Clementine Shakembo Kamanga an der Lumumba-Stele
- "Patrice Lumumba" Porträtbüste von 1961 von Jenny Mucchi-Wiegmann
- Ein Klang aus Afrika

Raute

Personalia

Jens Schulze

Der 9. Dezember 1981

Jenes Jahr 1981, welches mit dem Eintritt Griechenlands in die Europäische Gemeinschaft begann und mit dem Attentat auf den damaligen Präsidenten der USA Ronald Reagan im März das Frühjahr einläutete, endete mit der Festnahme eines ehemaligen Black Panthers. In Europa spitzte sich die Situation im "Kalten Krieg" weiter zu und für Blicke nach den USA war wenig Spielraum. Mumia Abu-Jamal, geboren als Wesley Cook, war zu diesem Zeitpunkt siebenundzwanzig Jahre alt und bereits mit 14 Jahren Mitglied der "Black Panther Party" geworden. Die Ortsgruppe Philadelphia der Black Panther wählte ihn zum Pressesprecher, kraftvoll ging er öffentlich gegen den permanenten Rassismus in seiner Heimatstadt vor. Er sympathisierte mit dem "Schwarzen-Kollektiv MOVE" und stand seit diesen Jahren auf der staatlichen Abschussliste. Im Dezember 1981 war die Zeit aus Sicht seiner Gegner gekommen: im Zusammenhang mit dem Tod eines Polizisten wird er als Hauptverdächtiger verhaftet. Trotz deutlich manipulierter "Beweismittel", abgewiesener Zeugenaussagen und Beweismittel der Verteidigung wird er bereits nach 15 Prozesstagen im Juli 1982 zum Tode verurteilt. Die Jury bestand aus neun "Weißen" und drei "Schwarzen", 75 Prozent der ursprünglich vorgesehenen Jurymitglieder, natürlich "Schwarze", wurden ohne Nennung von Gründen abgelehnt.

Der 1954 geborene Wesley wurde geprägt von der Ermordung Martin Luther Kings und dem brutalen Vorgehen gegen die Black Panther Bewegung bis in die Siebzigerjahre Allein zwischen 1967 und 1970 wurden 40 Mitglieder ermordet und über 85 schwer verletzt. Diese Jahre sind auch in Europa durch die Verhaftung von Angela Davis in den USA und den Kampf um ihre Freilassung geprägt. Eine bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannte Solidaritätsbewegung nahm ihren Lauf. Auch für Mumia Abu-Jamal, Mumia - Vater des Jamal, begann eine Welle der Solidarität in seiner Heimatstadt. Jamal ist der Name seines erstgeborenen Sohnes. Die lokale Unterstützung weitete sich im Verlauf der Jahre auf globale Solidarität aus. Diese führte zweimal zur Verhinderung seiner Hinrichtung. Auch wenn es nicht zur Freilassung, wie im Falle Angela Davids kam, ein wesentlicher Schritt war getan!

Die Zuspitzung der Situation in der Antirassismusbewegung in den USA der Siebzigerjahre ging mit einer akuten Verschärfung der Methoden der Polizei einher. Das FBI arbeitete verstärkt mit Infiltration der Bewegung, Provokateuren, der Manipulation von Mitgliedern, über gefälschte Dokumente bis hin zur Versorgung von Mitgliedern mit Drogen. Vor allem Unklarheiten über den Weg zur Veränderung führte bei den Aktivisten zu Spaltungen in Gruppen: in jene mit der Idee der bürgerlichen Einflussnahme durch die Arbeit in den Stadtteilen, und in andere Gruppen, die sich deutlich für den bewaffneten Kampf und eine klare Entscheidung aussprachen. Dieses grundlegende Zerwürfnis führte unter anderem um 1980 zur Selbstauflösung der Bewegung bzw. des Versinkens in die Unbedeutsamkeit.

Dem einen oder anderen werden jetzt Parallelen zum Europa der Siebzigerjahre im Kopf umhergehen und nicht zuletzt zur Gesamtsituation und zu Unklarheiten über einen gangbaren Weg nach den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Gerade nach den Diskussionen im vergangenen Januar um den Begriff des Kommunismus, der spätestens nach dem letzten Jahrhundert in der linken Bewegung klar sein sollte, müssen wir uns selber die Frage stellen: Wann verschwinden wir in der Bedeutungslosigkeit und was können/müssen wir dagegen tun? Friedrich Wolf hat es mit den folgenden Worten ausgedrückt: "Aus Eurer Feigheit wird der Gegner sich neue Waffen schmieden. Denn kein größeres Verbrechen gibt es als nicht kämpfen wollen, wo man kämpfen muss!". Nun ist der Begriff des Kampfes sicher sehr weit gefächert, nicht ohne Grund, stammt aus dem selbigen Munde der Ausspruch: "Kunst ist Waffe!".

Mumia Abu-Jamal ist gegenwärtig einer der bekanntesten politischen Gefangenen in der Welt des Kapitals und auch nach fast dreißig Jahren ungebrochen. Er wurde Ehrenbürger von Paris, zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, Gruppen und Einzelpersonen, über die Erde verteilt, setzen sich permanent für seine Freilassung ein. Auch in deutschen Großstädten finden regelmäßig Kundgebungen, Demonstrationen und Aktionen(1) für seine Unterstützung statt. Über das Berliner Bündnis "Freiheit für Mumia Abu-Jamal" im Haus der Demokratie in der Greifswalder Straße in Berlin können aktuelle Informationen abgerufen werden.

Mumia ist trotz anhaltender Repressalien und der drohenden Hinrichtung direkt aus der Todeszelle politisch aktiv und nutzt jede Möglichkeit der Verbindung zur politischen Welt. Seine schonungslosen Analysen zu Zuständen in den USA finden sich u. a. jeden Samstag in der "Jungen Welt".


Anmerkung:

1) Termine und Kontakte sind im Internet unter http://www.mumia-hoerbuch.de oder http://stressfaktor.squat.net

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Personalia

Gerhard Fischer

Zum Tode von Hanna Behrend

Hanna Behrend lebt nicht mehr. Im vorigen ICARUS-Heft konnten wir von ihr noch einen Artikel lesen, der auf ihren Beitrag bei einem GBM-Kolloquium im April 2010 zurückging. Als er im Druck erschien, ist sie im Alter von 88 Jahren für immer von uns gegangen. Ein bewegtes Leben hat sich vollendet. In ihrer Autobiographie hat sie sich selbst eine "Überleberin" genannt und ihren Weg durch die Zeiten in sechs Abschnitte eingeteilt, von denen sie fünf unter ganz unterschiedlichen Umständen "überlebte".

Der erste war ihre Kindheit im bürgerlichen Österreich - einem Land, das damals noch stark von der "k.-u.-k."-Vergangenheit, aber auch von heftigen sozialen und politischen Auseinandersetzungen zwischen gegensätzlichen Klassenkräften geprägt war. Der zweite begann mit dem "Anschluss" dieses Staates an das Nazi-"Reich", der die junge Hanna ob ihrer "rassischen" Abkunft in die Emigration zwang: zunächst ins französische, dann ins britische Exil. Wie es ihr seinerzeit erging, lässt sich in dem erwähnten ICARUS-Beitrag nachlesen.

Periode Nr. 3 nahm ihren Anfang mit der Übersiedlung in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands, in der demokratische Umgestaltungen der Gesellschaft auf der Tagesordnung standen. In diese Prozesse wuchs Hanna Behrend an der Seite ihres ersten Ehemannes, eines bewussten Antifaschisten, auf dem Weg in die DDR hinein.

Dem folgten in ihrem vierten Lebensabschnitt viele erfüllte Jahre mit ihrem zweiten Partner, einem Gesellschaftswissenschaftler - eine lange Zeit erfolgreichen Wirkens vor allem in Forschung und Lehre als Anglistin und Amerikanistin. Namentlich Absolventen der Berliner Humboldt-Universität wissen zu würdigen, was sie beispielsweise für die Darstellung der englischsprachigen Arbeiterliteratur geleistet hat.

Kapitel 5 ihres Lebensweges wurde durch die "Wende" 1989/90 eingeleitet. Hatte sie bis dahin den Sozialismus konstruktiv-kritisch mitgetragen, so gehörte sie nun mit neuer Hoffnung zu den Gründerinnen des Unabhängigen Frauenverbandes, der allerdings das 41. Jahr der DDR nicht mehr wesentlich beeinflussen konnte.

Bald nach der Herstellung der staatlichen Einheit riefen wir - Wissenschaftler, die durch die damit zusammenhängenden Ereignisse großenteils ihr vormaliges Wirkungsfeld verloren hatten - das Gesellschaftswissenschaftliche Forum ins Leben. Dem Vorstand dieses Vereins gehörte Dr. Hanna Behrend bis zu ihrem Tode an; in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg fanden unsere Vorstandssitzungen statt; hier sammelte sie in einer Veranstaltungsreihe - von ihr "Berliner Salon" betitelt - Interessierte zu lebhaftem Gedankenaustausch um sich, und unterstützt vom Gesellschaftswissenschaftlichen Forum gab sie die Schriftenreihe "Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft" heraus, insbesondere femininen Themen zugewandt.

Auch der GBM wusste sie sich verbunden. Sie half, die Aktivität der Gesellschaft im englischsprachigen Raum bekannt zu machen. Im Berliner Alternativen Geschichtsforum trat sie zweimal als Referentin auf: sie stellte ihre Selbstbiografie, ein zeitgeschichtlich bemerkenswertes Zeugnis, einer aufmerksamen Zuhörerschaft vor, und vordem hatte sie gemeinsam mit ihrem Mann, Dr. Manfred Behrend, einen Sammelband mit dessen wichtigsten Artikeln zu politischen Problemen vornehmlich der Nach-Wende-Entwicklung präsentiert, den die edition Ost verlegt hatte.

Die Jahre nach Manfreds Tod bedeuteten für Hanna den sechsten Lebensabschnitt. Es wurde ihr letzter; aber ihr Engagement ließ nicht nach. Natürlich gehörte sie, die von den Nazis Verfolgte, der Berliner VVN-Bund der Antifaschisten an, und wenn ich sie bat, jungen Menschen ihre Erlebnissen in der Emigration zu erzählen und ihnen Erkenntnisse für Gegenwart und Zukunft zu vermitteln, versagte sie sich nicht, ungeachtet ihres hohen Alters. Auch in der Bewegung "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten" hatte sie ihren geachteten Platz. Durch Teilnahme an der Gender-Forschung der Humboldt-Universität behielt sie Kontakt zum akademischen Leben.

Am 6. Januar nahmen wir auf dem Städtischen Friedhof in Berlin-Weißensee letzten Abschied von Hanna Behrend. In der weltlichen Trauerfeier hielt ein evangelischer Gemeindegeistlicher, mit dem sie gut bekannt war, für sie - die Jüdin und Atheistin die Traueranspache. Das bezeugt vielleicht am besten ihre Menschenfreundlichkeit und die Weite ihres Horizonts. So behalten wir sie in Erinnerung.


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Hanna Behrend, das richtige Porträtfoto. Durch ein redaktionelles Versehen zeigt das im ICARUS 4/2010 veröffentlichte nicht sie.

Raute

Karl Heinz Schulmeister

Franz Fühmann

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Rezensionen

Maria Michel

Vom großen Wollen

Max Zimmering: "Zwischen Ende und Anfang. Max Zimmering 100 zum 100. Ausgewählte Gedichte 1929-1973",
hrsg. von Guliko Zimmering, Edition Freiberg 2010, 160 S., fester Kartoneinband mit einem umfangreichen Foto-Anhang,
ISBN 978-3-9812513-7-1, 15,90 €.
Bei Bestellungen an Heinz Freiberg, Heinrichstraße 13, 01139 Dresden (Tel./Fax: 0351/45 19 203,
Mail: heinz.freiberg@edition-freiberg.de); 11,18 € (Erstauflage 300 Expl.)


Der Kinderbuchklassiker von Max Zimmering "Die Jagd nach dem Stiefel" ist vielen bekannt. In sieben Sprachen übersetzt, verfilmt, als Hörbuch oder Theaterstück wurde er in der ganzen Welt publik. Nun liegt ein Gedichtband zum 100. Geburtstag des Schriftstellers vor. Seine Tochter Guliko wählte 100 Gedichte aus und widmete das Buch ihren Eltern - liebevoll, in großer Verehrung und Dankbarkeit. Als Titel des Bandes wählte sie das 1945 geschriebene Gedicht "Zwischen Ende und Anfang", das mit der Verszeile endet: "Am Anfang muss ein großes Wollen sein". Dieses große Wollen ist das Anliegen des Dichters, die Bitte an die Menschen, die Zukunft gut und friedlich aufzubauen.

Von 1933 bis 1946 musste Max Zimmering mit vielen das bittere Los der Emigration teilen. Er fand Asyl in Frankreich, Palästina, in der Tschechoslowakei, England und Australien. Im Roman "Die unfreiwillige Weltreise" ist darüber nachzulesen. Als erster Sekretär des Deutschen Schriftstellerverbandes und Direktor des Instituts für Literatur "Johannes R. Becher" in Leipzig setzte er sich als Agitator, Mahner und Bekenner unermüdlich für den Aufbau des ersten sozialistischen Staates ein.

In Pirna geboren, Sohn eines Uhrmachers, lag ihm das grauenhafte Schicksal Dresdens besonders am Herzen. Der Roman "Phosphor und Flieder" macht das Los der geliebten Stadt unvergessen; in vielen Gedichten ("Dresdner Tagebuch") setzte er Dresden ein Denkmal. Seine ganze Kraft widmete er dem Neubeginn. Die Gedichtbände "Das Maß der Zeit" und "Wir lieben unsere Zeit", herausgegeben von seiner Frau Zora, künden davon. Mit Eindringlichkeit verurteilte er das sinnlose Töten im Krieg. Die Ballade "Der Toten Zwiegespräch" erschüttert und überzeugt mit wenigen Worten:

"Sie lagen tot beieinander; der eine ein Roter Soldat, der andere ein deutscher Krieger. Sie fielen vor Leningrad ..."

Schlicht und bildhaft ist die Sprache, wenn er im Gedicht "An Berlin" schreibt:

"Und jetzt ist der ganze Schlamassel vorüber,
Der Führer ist hin und der Himmel kaputt ..."

Und in anderen Versen warnt Zimmering:

"Es darf nicht sein, dass es erneut beginnt,
dass wiederum die Nächte Feuer fangen ..."

Als sensibler Chronist seiner Zeit bewegt ihn das Weltgeschehen, leidet er mit dem geschundenen Vietnam. Wer erinnert sich nicht an die Verse:

"Es beginnt erst der Mensch,
wo die Ausbeutung endet,
wo das Brot, das du isst, keinen würgt,
wo die Frau ihren Pfennig nicht tausendmal wendet,
wo das Leben das Leben verbürgt."

Oder auch an die wunderbaren, schlichten und bildhaften Zeilen in "Beim ersten Schnee":

"Sieh, die Flocken schweben nieder
hüllen in ein weißes Mieder
Haus und Garten freundlich ein,
und sie decken alle Narben,
alle Blumen, die verdarben,
decken Strauch und wilden Wein."

Seine Natur- und Liebesgedichte sind von tiefer Sensibilität. Feinfühlig erfasst er die Stimmungen und Gedanken seiner Leser, zeigt er seine Liebe zum Leben, zur Natur und zum Menschen.

Jetzt wäre Max Zimmering mehr als 100 Jahre alt und soll nicht vergessen sein. Er bekleidete zahlreiche gesellschaftliche Funktionen: sein Schaffen wurde mehrfach mit Preise gewürdigt, z. B. dem Heinrich-Heine-Preis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Nationalpreis der DDR und vielen anderen. Fest überzeugt war er davon, dass "das große Wollen" eine friedliche Zukunft sichern wird. Davon zeugt das vorliegende Bändchen, das hervorragend gestaltet und lektoriert wurde. Die Wahl verschiedener Schriftarten und eines schwarzen Hintergrundes für besonders eindringliche Verse faszinieren. Beigefügt ist am Ende des Bandes ein Fototeil, der Zimmering mit Schriftstellern und Künstlern, u. a. mit seiner Cousine Lea Grundig, zeigt. Rundum ein gelungenes Werk, zu dem man gerne greift. Dank an Guliko Zimmering, Dank der Edition Freiberg. Ich mag diese Gedichte. Hier trifft jedes Wort, ergreift und lässt Raum für eigene Gedanken.

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Rezensionen

Peter Michel

Gegen Geisterbeschwörungen

Bruno Flierl: "Berlin - Die neue Mitte. Texte zur Stadtentwicklung seit 1990",
hrsg. von Thomas Flierl in der Edition Gegenstand und Raum, Verlag Theater der Zeit Berlin 2010,
247 S. mit zahlreichen meist farbigen Abb., brosch., ISBN 978-3-940737-75-5, 22,00 €


Der Autor gehört zu jenen kritischen Sozialisten, die zwar mit dem vorwärts weisenden Anspruch ihrer Vorschläge, Einwände und Forderungen die Verehrung vieler Fachkollegen erwarben, jedoch vor und nach 1989 damit ihre Schwierigkeiten hatten. Vor 1989 ging das bis zu schlimmen Reglementierungen, als Bruno Flierl sich kritisch mit Stadtgestaltungs- und Raumaneignungsfragen auseinandergesetzt hatte und deshalb 1964 als Chefredakteur der Zeitschrift "Deutsche Architektur" abgelöst wurde, oder 1982, als man ihn aus dem Präsidium des Bundes der Architekten nach seiner Kritik am extensiven Plattenbau bei Vernachlässigung der innerstädtischen Bereiche ausschloss. Das brachte ihm nicht nur berufliche, sondern auch gesundheitliche Schäden; doch sein Engagement blieb ungebrochen: In der Arbeitsgruppe "Architektur und bildende Kunst" des Verbandes Bildender Künstler der DDR setzte er sich bis zum Ende dieser umfassenden Künstlerorganisation für eine vernünftige und qualitätvolle Einheit von Städtebau, Architektur und bildenden Künsten ein. Dafür sind ihm viele Kollegen heute noch dankbar. Die kritische und konzeptionelle Begleitung der sozialen und städtebaulichen Neuformierung der deutschen Hauptstadt blieb auch nach 1989 der Schwerpunkt seiner Arbeit als Architekturtheoretiker. Nun kann er alles öffentlich sagen und schreiben. Seine Schwierigkeit heute besteht darin, dass diese Mühen meist folgenlos bleiben. Er gehörte zu jenen, die sich jahrelang vehement gegen die Schließung des Palastes der Republik wehrten, und bezeichnete den schließlichen Abriss treffend als "Racheakt". Wir alle sind uns einig mit ihm und begreifen - auch in der Zukunft - diese restlose Vernichtung als Symbol des verfehlten Einigungsprozesses in Deutschland.

So begrüßt uns auf dem Titel seines neuen Bandes "Berlin - Die neue Mitte" das trostlose Foto der begrünten, mit Bretterwegen ideenlos gegliederten riesigen Fläche, auf der der Palast der Republik stand - wie eine Wunde im städtebaulichen Raum, die nicht zu kaschieren ist: leer geräumte Geschichte. Versammelt sind in Bruno Flierls Buch kritische Analysen und Kommentare zur Entwicklung und Gestaltung der Berliner Innenstadt. Sie entstanden von 1990 bis 2010 und geben allen Interessierten die Möglichkeit, die gegenwärtigen Debatten in größere historische Zusammenhänge zu stellen. Nach 1990 stellte sich die Frage nach dem Zentrum der Stadt neu, denn zuvor war nach dem Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in der in vier Sektoren geteilten Stadt die alte Stadtmitte dem Ostteil Berlins zugeordnet; im Westteil entwickelte sich das Gebiet um den Kurfürstendamm als "zweite Mitte". Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte: "Suche nach der neuen Mitte im vereinten Berlin", "Neuaneignung des Areals Mitte Spreeinsel" und "Vom Schloss-Bild zum Schloss-Bau als Humboldt-Forum". In den Jahren 2001 und 2002 hatte Bruno Flierl als Mitglied der Internationalen Expertenkommission Historische Mitte Berlin eigene kritische Überlegungen zum Schlossbau erarbeitet, die aber in den Abschlussbericht nicht aufgenommen wurden, weil sie - wie er formulierte - das "stimmige Resultat der Kommissionsmehrheit nur getrübt" hätten (S. 168); ein Beispiel neuer "Demokratie" also, in der es darum ging, ein "Humboldt-Forum" durchzusetzen, nicht um neue Urbanität zu gestalten, sondern - um es zurückhaltend zu formulieren - wegen höherer Interessen.

Die Titel der einzelnen Aufsätze des Buches verdeutlichen seinen Anspruch: "Wessen Mitte ist die Mitte der Stadt?", "Privat oder öffentlich? Zur Vermarktung öffentlicher Räume der Stadt", "Vorgreifende Erpressung", "Realwelten - Scheinwelten", "Vorwärts in die Vergangenheit", "Barock für die Globalisierung" usw. Gegen Ende des Bandes wird wie in einem Brennglas das Anliegen des Autors deutlich. In einem fiktiven Interview unter dem Titel "Das Schloss als Verheißung ..." beschreibt er seine Reflexionen über den Umgang mit dem Areal Mitte Spreeinsel Berlin, die er auch in einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung getragenen Wanderausstellung verdeutlicht hatte: "Mein Ziel war es, eine kritische Auseinandersetzung mit den historischen Vorgängen der baulich-räumlichen Organisation und der symbolischen Selbstdarstellung wechselnder Gesellschaften auf der Spreeinselmitte vom Mittelalter bis in unsere Tage - einschließlich der DDR - zu befördern, nicht zuletzt durch eine Kritik an der aktuellen Inszenierung der Bundesrepublik an diesem Ort seit 1990, und dabei insbesondere die ins Spiel gebrachten Legenden - die großen Erzählungen - vom Schloss als der angeblichen Mitte und dem unverzichtbaren originären Identitätskern der Stadt, instrumentalisiert als Rechtfertigung zum Abriss des Palastes der Republik, infrage zu stellen." Eine dieser Fragen lautet: "Und wie kommt es gegenwärtig zuerst zum neuen alten Schloss, dann zum Humboldt-Forum im Schloss und schließlich auch noch zu einem Freiheits- und Einheitsdenkmal vor dem Humboldt-Schloss? Allesamt als eine neue nationale Verheißung ... und als Super-Inszenierung. ... Ganz eindeutig, es war und ist eine Art Geister-Beschwörung. Anstatt nach dem historisch eingetretenen Doppelverlust von Schloss und Palast - Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und des ihm folgenden Kalten Krieges mit der Teilung Deutschlands und Berlins - eine zukunftsorientierte Sinnstiftung für das historisch so bedeutende Areal ... anzustreben, wurden und werden noch immer Werte der Vergangenheit beschworen. Statt der Gewinnung einer neuen gemeinsamen Zukunft werden Vergangenheiten ausgetauscht." (S. 231/232) Und zum geplanten Denkmal, das auf dem Fundament des ehemaligen Wilhelminischen Nationaldenkmals aufgestellt werden soll: "Zum Humboldt-Forum passt ein solches Denkmal überhaupt nicht. ... Mit dem Schloss ergänzt es sich ... zum Siegesdenkmal über die DDR und beschädigt dadurch den universalistischen Kern des Humboldt-Forums. ­... Warum sollte ich also ein Freiheits- und Einheitsdenkmal als neues Nationaldenkmal der Bundesrepublik mit solchen falschen Prämissen wollen? Lasst uns Deutsche aus Ost und West erst einmal zu uns selber und anders zur Welt kommen, um falschen Beschwörungen einer neuen deutschen Verheißung in der Mitte von Berlin nicht aufzusitzen. Machen wir erst einmal mehr Freiheit und Einheit, bevor wir uns ein Denkmal setzen." (S. 233/234)

Der Sammelband liest sich im Ganzen wie eine hoch qualifizierte Kampfschrift. Interesse für Architektur- und Städtebaugeschichte ist beim Lesen ebenso nötig wie die Einsicht in ökonomisch-politische Hintergründe. Wem das gegeben ist, der wird sein intellektuelles und ästhetisches Vergnügen haben.

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Rezensionen

Klaus Georg Przyklenk

Der kommende Aufstand

Nautilusflugschrift - Unsichtbares Komitee: "Der kommende Aufstand",
Hamburg 2010, ISBN 978-3-89401-732-3, 124 S., brosch.


"Sichtbar zu sein, bedeutet, ohne Deckung zu sein, das heißt vor allem verwundbar. Wenn die Linksradikalen aller Länder ihre Sache ständig sichtbar machen (...), in der Hoffnung, dass sie übernommen wird, dann machen sie genau das Gegenteil von dem, was sie machen müssten." Also ganz selbstverständlich, der Autor der Schrift macht sich unsichtbar. Nicht ganz, denn welcher Text könnte je verbergen, was für ein Mensch da gedacht, gehofft, geliebt, gehasst und gesprochen hat. Eins ist sicher, das Herkunftsmilieu - und Milieu ist hier so gebraucht, wie es im Text gebraucht, weil der das Wort Klasse nicht kennt, ist das der "Intelligenzia". Der französischen Intelligenzia. Vor dem Leser breitet sich eine Textstruktur von hohem literarischem Anspruch. Wie im Gefolge Dantes, der die Höllenkreise in der "Göttlichen Komödie" durchmisst, folgen wir dem unsichtbaren Komitee durch die Kreise unserer Hölle, durch den Kreis der Medien, den der Arbeitswelt, der Umwelt und dem der großen Städte.

Diese Beschreibungen sind Literatur von der Kraft bildreicher Worte, satirischer Schärfe und von glühender Überzeugung.

Einkaufszentren, "... das von Part-Dieu in Lyon. Der Ausdruck brandneu beinhaltet ihre ganze Bestimmung". (S. 37) Stellen wie diese gelten den Geheimdiensten, die bei den Signalwörtern "unsichtbar", "Komitee" und "Aufstand" den Rasterfahndungsmechanismus in Betrieb gesetzt haben, wohl schon als hinreichender Beleg, bei der Schrift handele es sich um eine terroristische Handreichung zum Sturz der bürgerlichen Ordnung und aller ihrer zugeordneten Dienstbarkeiten.

Das könnte auch der Leser meinen. Die Befürchtung wird durch den Text aber nicht gerechtfertigt. Was hier Aufruhr genannt wird, ist nicht Aufruhr, sondern ist die normale Existenzweise des Staates. Und der wird gar nicht mal als bürgerlich, oder gar als kapitalistisch, gekennzeichnet: sondern der "Westen, das ist diese Zivilisation, die alle Prophezeiungen ihres Untergangs durch eine eigenartige List überlebt hat ... Der Westen heute, das ist ein GI, der an Bord eines Abraham-M1-Panzers auf Falludscha zurast und dabei in voller Lautstärke Hard Rock hört. Das ist ein in den Weiten der Mongolei verirrter, von allen verhöhnter Tourist, der sich an seine Kreditkarte wie an seinen einzigen Rettungsanker klammert ... Das ist ein Schweizer Menschenrechtsaktivist, der sich an alle Ecken und Enden der Welt begibt und mit allen Revolten solidarisch ist, vorausgesetzt, sie wurden niedergeschlagen."

Wenn das die gegenwärtige Ordnung ist, was wäre davon im künftigen Aufstand noch zu zerstören. Was bitte soll aufrührerisch sein, wenn wir nicht Zeugen der "Krise einer Gesellschaft, sondern des Erlöschens einer Zivilisation" (S. 71) seien.

Worin also offenbart sich das Subversive dieser Schrift, das den Ruf nach ihrer Konfiszierung laut werden ließ? Ganz offensichtlich ist der "Kommende Aufstand" keine Planungsgrundlage einer künftigen Revolution.

Hoffnung ist das Wort, das im Zentrum des Bändchens steht. Und daneben stehen viele böse Wahrheiten über systemimmanente Opposition und grüne Gutmenschen. Auch das Wort Kommunismus kommt vor: "Schon jetzt also, sich materiell organisieren, um zu überleben, sich materiell organisieren, um anzugreifen, damit überall eine neue Idee des Kommunismus Gestalt annimmt. ... Kommunismus: Wir wissen, dass dies ein Begriff ist, den man mit Vorsicht gebrauchen muss. Nicht aus dem Grund, dass er in der großen Wörterschau nicht mehr in Mode ist, sondern weil unsere schlimmsten Feinde ihn verbraucht haben und es weiter tun. Wir bestehen darauf. Bestimmte Wörter sind wie Schlachtfelder, deren Sinn ein revolutionärer oder reaktionärer Sieg ist - notwendigerweise in erhabenem Kampf gewonnen."

Lesen! Unbedingt!

Obwohl jetzt natürlich dem Pamphlet Stephane Hessels "Empört Euch!", das dieser Tage in deutscher Ausgabe erscheint, und das wohl den gleichen Zustand beschreibt, die größere Aufmerksamkeit gelten wird.

Raute

Rezensionen

Roger Reinsch

Menschenwürde

Aus "Der weite Weg zur Würde" edition bodoni, Berlin 2009,
ISBN 978-3-940781-05-5, 154 S. brosch. 16,00 €

Viele reden von Würde - aber was meinen sie? Von Würde zu reden ist in unseren Tagen sehr üblich, klingt gut und lässt aufhorchen. Leicht aber ist es möglich, diesen wichtigen Begriff unserer Zeit völlig falsch anzuwenden. Dabei bleibt er unklar, verwaschen, seine Bedeutung geht verloren und es besteht die Gefahr, dass sein Inhalt, der noch ganz verschieden aufgefasst wird, sich uns überhaupt nicht erschließt.

Wie weit die Vorstellungen über den Inhalt dieses Begriffs auseinander gehen, zeigen zwei Beispiele aus jüngster Zeit.

In einer der Rechtsentscheidungen des europäischen Gerichtshofes, in der dieser sich (wie schon bei etlichen vorangegangenen Entscheidungen) einschränkend gegen gewerkschaftliche und Arbeiterrechte und bevorzugend für Unternehmerrechte aussprach, ist von der "Ausübung" der Menschenwürde die Rede. Das ist einfach Unsinn. Niemand kann Menschenwürde "ausüben". Was sollte das für eine Tätigkeit sein? Kein einzelner und keine Gemeinschaft kann Menschenwürde ausüben. Es sei denn, man will damit zum Ausdruck bringen, die Menschenwürde völlig außer acht zu lassen, sie gar nicht zu üben. Das allerdings wäre die Selbstentlarvung, menschenfeindlich zu sein.

Im zweiten Fall wirbt ein Senioren- und Therapiezentrum so für seine Pflegeeinrichtung: "Unser wichtigstes Ziel ist, die Würde des Menschen zu achten, die uns anvertraut sind." Auch das ist keine treffende Verwendung des Begriffs. Es geht wohl den Mitarbeitern dieses Hauses darum, die Würde der Menschen, die ihnen zur Betreuung anvertraut sind, immer zu achten.

Es soll ein Prinzip der Betreuung sein, ständiger Anspruch an Verhalten gegenüber den Bewohnern des Hauses. Aber es ist als Ziel zuwenig. Das wichtigste Ziel der Betreuung muss ein anderes sein. Ein Ziel zum Beispiel ist wohl, Gesundheit zu erhalten und Beweglichkeit, damit noch Lebenszeit ist, die Freude bereitet und die Geselligkeit möglich macht. Bei solchem Ziel muss würdige Behandlung stattfinden und gesichert sein. Aggressive Bevormundung und Beschimpfung darf nicht sein. Mit der Starrsinnigkeit alter Menschen, mit ihren Sonderwünschen, mit zum Teil unsinnigen Forderungen muss man in würdiger Weise umgehen können. Die Würde zu achten soll die stetige Art des Umgangs sein, nicht das Ziel.

Die Menschenwürde ist also in vieler Munde. Auch die folgenden Beispiele geben darüber Auskunft.

Der baskische Schriftsteller und Historiker Injaki Eganja äußerte sich 2007 so: "Es gab seit den Tode Francos 1976 beziehungsweise seit der Verabschiedung der neuen Verfassung 1978 keine Möglichkeit die Namen der Toten, geschweige denn ihre Würde zu retten."

Und weiter zur Aufhebung der Urteile der Militärgerichte per Dekret oder Gesetz: "Es würde nicht nur die Erinnerung an jene Menschen, sondern auch ihre Würde und die ihrer Familien wieder herstellen. "

Und aktuell dazu findet sich in einem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" vom 30. März 2009 die Frage: "Ist der Bürgerkrieg in Spanien verarbeitet?" Antwort Walther Benecker: "Solange die Würde der Toten nicht wiederhergestellt ist, ist die Verarbeitung nicht abgeschlossen."

Das Bundestreffen der in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen - und Sozialhilfegruppen e.V. organisierten Initiativen vom Mai 2008 stand unter dem Motto "Menschenwürde statt Verwaltung".

Die streikenden Angestellten von Gate Gourmet auf dem Londoner Flughafen im August 2005 hatten lange Zeit am Streikzelt ein Transparent mit dem einzigen Wort "Menschenwürde" hängen. Was haben sie gemeint?

Beim Frauenplenum der Linkspartei-Arbeitsgemeinschaft LISA in Hannover 2007 gab es eine Erklärung mit dem Titel "Würde und Solidarität".

Tim Kox, Fraktionsvorsitzender der Sozialistischen Partei der Niederlande äußerte, dass "ihr" Sozialismus durch drei Dinge gekennzeichnet sei: Menschenwürde, Gleichwertigkeit und Solidarität.

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) formuliert in einem Entwurf ihres Grundsatzprogramms: "Wir wollen unser Leitbild einer Gesellschaft, die sich an Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit orientiert, zur Richtschnur einer praktischen Politik des wirtschaftlichen Fortschritts machen."

Streikende Arbeiterinnen und Arbeiter bei IKEA in Eching bei München schrieben auf ihr Transparent "Menschenwürde am Arbeitsplatz sichert unser Tarifvertrag".

Dr. Eugen Drewermann, Theologe aus Paderborn, sagte in einer Rede am 4. April 2007 zur Protestwanderung in der Ruppiner Heide gegen deren Nutzung als Bombodrom: "Wir führen am Ende Krieg unter den ewigen Begriffen Gerechtigkeit, Fortschritt, Freiheit, Menschlichkeit, und was wir anrichten ist in jedem Punkt das Gegenteil: Es verbreitet sich im Kampf gegen den Terrorismus auf diese Art der Terror. Es verbreitet sich auf diese Art beim Fortschritt für Demokratie Zwang und Diktatur. Es verbreiten sich bei dieser Art von Menschlichkeit Unmenschlichkeit und Würdelosigkeit."

Der Volksbund der deutschen Kriegsgräberfürsorge meldet sich 2003 mit einer Postwurfsendung, erbat Geld und schrieb: "Bitte tun Sie etwas für die Bewahrung der Menschenwürde unserer Kriegstoten."

Die Berliner Sängerin Lyambiko singt in einem Titel: "Nehmt, was ihr wollt, aber lasst uns unsere Würde."

Die Kanzlerin der BRD, Angela Merkel, fragt in einer Rede auf dem DGB-Kongress im Mai 2006: "Menschenwürde, (...) soziale Marktwirtschaft, (...) haben diese Worte noch etwas mit unserer heutigen Realität zu tun?"

Raúl Castro, Präsident der Republik Kuba, sprach von der Bastion der Würde und Gerechtigkeit, die sein Land heute darstellt.

Der Ruf, die Würde der Menschen zu achten, ertönte auch schon vor hundert Jahren. Maxim Gorki lässt in seinem Roman "Die Mutter" den vor Gericht stehenden Arbeiter Pawel Wlassow in seiner Verteidigungsrede erklären:

"Wir, die Arbeiter, sind diejenigen, durch deren Arbeit alles geschaffen wird, von riesigen Maschinen bis zum Kinderspielzeug, wir sind diejenigen, die man des Rechts beraubt hat, für ihre Menschenwürde zu kämpfen, uns will und kann jeder in ein bloßes Werkzeug verwandeln, um seine Zwecke zu erreichen."

Und bedeutungsvoll und interessant ist sein Ruf nach Menschenwürde, wenn er sich an die Richter wendet:

"Sie sind doch immerhin Menschen, und es tut uns stets leid, Menschen zu sehen, die zwar Feinde unserer Ziele sind, aber in so schimpflicher Weise gezwungen werden, der Gewalt Dienste zu leisten und in diesem Maße das Bewusstsein ihrer Menschenwürde verloren haben."

Im Dezember 1972 sagte Salvador Allende in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung: "Wir sind Opfer von fast nicht wahrnehmbaren Aktionen, eingekleidet in Sätze und Deklarationen, die den Respekt vor der Souveränität und der Würde unseres Landes preisen."

Seit dem 17. Mai 1992 ist durch Verfassungsformulierer und schließlich durch die Schweizer Volksabstimmung der Begriff "Würde der Kreatur" in die Sprache und in die Literatur und in das Verfassungsrecht eines Volkes gebracht worden.

Die philosophischen Autoren der Schrift "Menschenwürde vs. Würde der Kreatur", die sich deshalb nun mit diesem Begriff beschäftigen, nehmen ihn also, wie er in die Welt gesetzt ist und philosophieren darüber. Ich wende mich aber der Menschenwürde zu.

Doch greife ich gern den Gedanken auf, der in der Arbeit über die Würde der Kreatur in Bezug auf das Verständnis von Menschenwürde herausgearbeitet wurde. Die von den Verfassern so bezeichnete "Minimalkonzeption" besagt: "Die Menschenwürde ist etwas, das verletzt wird, wenn eine Person erniedrigt wird. Dabei wird durch die Erniedrigung kein physisches Gut, sondern vielmehr ein Anspruch verletzt, den Personen haben (...)" Und weiter schreiben die Autoren: "Der Begriff der Erniedrigung lässt sich am besten durch den Begriff der Selbstachtung erläutern. Jemand ist erniedrigt, wenn er sich in Umständen befindet, in denen er sich nicht selbst achten kann."

Diesen Gedanken über die Würde aufgegriffen und mitgenommen bleibt doch noch offen, die weitere Frage zu stellen: Gibt es nun einen praktische, juristischen, jeden Bürger unseres Landes moralisch ansprechenden und betreffenden Begriff der Würde des Menschen?

Haben wir einen solchen durch seine Verwendung im Grundgesetz?

Raute

Marginalien

Echo


Post aus den Niederlanden

Im holländischen Fernsehen erklärte Anfang Dezember eine Dame sächsischer Zunge (holländisch untertitelt), dass sie sich die deutschen Volksmärchen von ihrer Großmutter erzählen lassen musste, weil in der DDR Märchen und Märchenbücher verboten waren. Welcher holländische Zuschauer sollte an der Aussage einer Zeitzeugin zweifeln? Hier kennt keiner die als "Schönstes Buch des Jahres" ausgezeichnete und von Prof. Werner Klemke liebevoll illustrierte Prachtausgabe von Grimms Märchen oder die ungezählten Märchenfilme aus den DEFA-Studios.

Hans Walde, Breda, NL


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Zu den Gedanken von Frau Gesine Lötzsch

Wer im Namen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Alt- und Neonazis gewähren und ihnen obendrein noch verfassungsgemäß Schutz angedeihen lässt, hat kein Recht, gegen die Idee des Kommunismus und dessen Verfechter zu hetzen. Ein geifernder Antikommunist ist keinesfalls Demokrat, denn beides schließt sich gegenseitig aus. Ganz abgesehen davon, dass es Demokraten und Demokratie an sich nicht gibt. Beides wird durch die herrschenden Klassen und durch die herrschende Gesellschaftsordnung determiniert.

Weltweit haben vor allem Kommunisten die meisten Opfer im Kampf gegen den Faschismus, ein Kind des Kapitalismus, gebracht. Europa und die übrige Welt sähen heute grundsätzlich anders aus, hätte der deutsche Faschismus sein Ziel erreicht und gesiegt. Da hilft auch keine antikommunistische Zahlen- und Begriffsrabulistik auf "Schwarzbuch"basis.

Siegfried Wunderlich, Plauen i.V.


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PF 2011

Aus dem Gästebuch der Ralf-Alex-Fichtner-Ausstellung


Die besten Wünsche zum Neuen Jahr, Gesundheit, Glück und Kraft, den Unbilden des weiteren Sozialabbaus zu widerstehen, für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.

Prof. Dr. Wolfgang Richter, Wandlitz


Die besten Wünsche für ein gutes Jahr 2011. Wir wollen zuversichtlich und mit gutem Gewissen im Kampf für soziale Gerechtigkeit unseren 20. Jahrestag der GBM im Jahr 2011 begehen - 20 Jahre im Zeichen der blauen Rose.

Ernst Jager, Panketal


­... 2011, aber achtet darauf, dass es Euch nicht nach links trägt. Merke: Der brave Bürger treibt es in der Mitte. Also, seid nicht brav.

Klaus Georg, Woltersdorf


Ein ertragreiches Jahr 2011

Prof Erhard Schmidt, Berlin


Miss Liberty beim Anbaden 2011 Collage nach dem Gemälde "Die Woge" von W.-Adolphe Bouguereau (1896)

Peter Felix, Berlin


Bitterböse! Wunderbar! Es war mir ein Vergnügen, den berühmten RAF persönlich kennenzulernen. Lieber Ralf-Alex-Fichtner, viel Erfolg und zeichnen, malen Sie noch viele Bildergeschichten.

Karin Rabe


Die RAF-Ausstellung - eine Klasse-Idee. Es lohnt sich, zweimal hinzuschauen.

Herzlichst

(Unterschrift)
Rechtsanwalt in Berlin-Hobenschönbausen Berlin, Januar 2011


Angesichts manch bitterer Pille, die nicht nur schwarze Schafe auftischen: 2011 Mutige Entscheidungen, Durchsetzungskraft und manchmal auch ein dickes Fell.

Prof Rudolf Grüttner, Oranienburg


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Aphorismen

Hofft! Hofft! Hofft, Ihr Elenden! Keine unendliche Trauer, keine unheilbare Leiden, keine ewige Hölle!
Victor Hugo

Menschen haben Spätzündung. Sie begreifen alles erst in der nächsten Generation.
Jerzy Lec

Es ist schwer, Wünsche zu verbergen, vielleicht ist es das Schwerste überhaupt.
Siegfried Lenz

Lachen ist eine Macht, vor der die Größten dieser Welt sich beugen müssen.
Emile Zola

Täglich zu sehen, wie die Leute zum Namen Genie kommen wie die Kellerassel zum Namen Tauendfuß, nicht weil sie so viele Füße haben, sondern weil die meisten nicht bis auf vierzehn zählen können.
Georg Christoph Lichtenberg

Nimm dir auch Rosse, Silber, Gold!
Gib deinen Mannen reichen Sold,
dass sie dein Dienst erfreue.
Das festigt ihre Treue.
Gottfried von Straßburg

Es ist für des Menschen Rechtfertigung hinreichend, wenn er so gelebt hat, dass er seiner Tugenden wegen Vergebung für seine Fehler verdient.
Georg Christoph Lichtenberg

Mir tut es allemal weh, wenn ein Mann von Talent stirbt, denn die Welt hat dergleichen nötiger als der Himmel.
Georg Christoph Lichtenberg

Von dem Ruhm der Berühmtesten gehört immer etwas der Blödsinnigkeit der Bewunderer zu.
Georg Christoph Lichtenberg

Das Aufgerufene, Verlorene, Verdrängte, das Uneingelöste wird zum Treibsatz der konkreten Utopie.
Volker Braun

Ein Experte ist ein gewöhnlicher Mann, der, wenn er nicht zu Hause ist, Ratschläge erteilt.
Oscar Wilde

Die Profitgier ist die älteste Religion, hat die besten Pfaffen und die schönsten Kirchen.
Traven


Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Ralf Alex Fichtner, Finelinerzeichnung, laviert, 14,8 x 21 cm

Raute

2011 Ausstellungen in der GBM-Galerie Berlin

4.2. bis 26.3.
Nils Burwitz
Engagierte Kunst aus Spanien

Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- "Meeresbucht", 2008, Aquarell 21 x 28,6 cm


8.4. bis 27.5.
Hans Vent
Berliner Malerei

Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der
Originalpublikation:


- "Strandbild", 1974 Öl/Lw.


10.6. bis 22.7.
Sommergalerie
Ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Arbeitskreis Solidarität


5.8. bis 7.10.
Ronald Paris
Neue Arbeiten

Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Nicht in der Ausstellung, aber wieder öffentlich zugänglich im DDR-Museum: "Lob des Kommunismus", 1969, 200 x 870 cm


21.10.2011 bis 6.1.2012
Rolf-Felix Müller
Gebrauchsgrafik, Buchgestaltung, Illustrationen und Karikaturen

Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der
Originalpublikation:


- Ausstellungsplakat 1972

Raute

Icarus

Wir sind im Himmel - meine Damen und Herren - auf dem Olymp, 2885 m über dem Meeresspiegel. Unser Himmel ist freilich etwas defekt. Wie das möglich ist? Wenn sie sich aufmerksam umschauen, werden Sie feststellen, dass diese Scherben, auf denen verschiedene Szenen aus dem Leben der alten Griechen festgehalten sind, ursprünglich größer waren. Hätten wir alle Scherben beisammen, und würden wir Scherbe an Scherbe fügen, stünden eine Oinochoe, ein Skyphos, ein Lutrophorus und ein Alabastron vor uns - also ein Weinkrug, ein Töpfchen, eine große Grabvase, eine kleine Grabvase und andres Geschirr. Doch bewegte Zeiten haben uns dieser Prachtstücke beraubt. Wenn die Geschichte aus lauter Raufereien und Krawallen besteht, so hat es keinen Sinn, den Brunnen zuzudecken, wenn das Kind hineingefallen ist, und man darf sich allerdings nicht wundern, dass in der Küche der Geschichte nur ein Haufen Henkel, Bäuche und Beine von Dreifüßen, Krügen, Bechern und Töpfen übriggeblieben ist...

Radovan Kratky im Vorwort zu "Antike in Scherben"

Im Schattenblick nicht veröffentlichte Abbildungen der Originalpublikation:
- Neprakta "Ikarus hat eine Wohnung gefunden", 1961. Aus der Karikaturenfolge "Antike in Scherben" ARTIA Prag

Raute

Unsere Autoren:

Irene Eckert - Studienrätin i. R., Berlin
Hans-Jürgen Falkenhagen, Dr. - Übersetzer, Potsdam
Gerhard Fischer, Prof. Dr. - Historiker, Berlin
Klaus Georg - Autor, Berlin
Ernst Jager - Bauingenieur, Panketal
Lorenz Knorr - Publizist, Frankfurt/M.
Harald Kretzschmar - Karikaturist, Autor, Kleinmachnow
Adolf-Eduard Krista - Jurist, Worbis
Maria Michel - Kunsterzieherin, Berlin
Peter Michel, Dr. - Kunstwissenschaftler, Berlin
Klaus Georg Przyklenk, Dr. - ICARUS-Redakteur
Brigitte Queck - Staatswissenschaftlerin, Potsdam
Roger Reinsch - Philosoph, Berlin
Wolfgang Richter, Prof. Dr. - Philosoph, GBM-Vorsitzender, Wandlitz
Horst Schneider, Prof. Dr. - Historiker, Dresden
Karl-Heinz Schulmeister, Prof. Dr. - ehem. Kulturbundvorsitzender
Jens Schulze - Dipl. Ing., Berlin
Gottfried Ulbricht, Dr. - Ökonom, Berlin
Nelson Herera Ysla - Kunstwissenschaftler, Autor, Havanna


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Titelbild:
Nils Burwitz "Las Meninas de Josep Renau", Öl/Lw.
2. Umschlagseite:
Ronald Paris, Ikarus, 1995. Federzeichnung
Rückseite des Umschlages:
Neprakta "Ikarus" aus "Antike in Scherben", Praha 1962, bemalte und fotografierte Keramikscherbe

Abbildungsnachweis:
Archiv Michel, S. 4, 24, 25, 26, 27, 3.US.
Archiv Przyklenk, S. 8, 9, 10, 11, 16, 17, 20, 30, 31, 32, 33, 34, 51, 3.US.
Artia-Verlag, 4. US.
Archiv Schulze, S. 42
Nils Burwitz, Titel und 3.US.
Dietzverlag, S. 6
Peter Felix, S. 51
Ralf-Alex Fichtner, S. 29, 52
Rudolf Grüttner, S. 51
Ernst Jager, S. 36, 37
Erhard Schmidt, S. 51
Gabriele Senft, S. 28, 36, 43
Gottfried Ulbricht, S. 39, 40


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Impressum

Herausgeber: Gesellschaft zum Schutz von
Bürgerrecht und Menschenwürde e.V.
Weitlingstraße 89, 10317 Berlin
Telefon: 030/5578397
Fax: 030/5556355
Homepage: http://www.gbmev.de
E-Mail: gbmev@t-online.de
V.i.S.d.P.: Wolfgang Richter
Begründet von:
Dr. theol. Kuno Füssel,
Prof. Dr. sc. jur. Uwe-Jens Heuer,
Prof. Dr. sc. phil. Siegfried Prokop,
Prof. Dr. sc. phil. Wolfgang Richter

Redaktion:
Dr. Klaus Georg Przyklenk
Puschkinallee 15A, 15569 Woltersdorf
Tel.: 03362/503727
E-Mail: annyundklausp@online.de

Layout: Prof. Rudolf Grüttner
Satz: Waltraud Willms
Redaktionsschluss: 10.2.2011

Verlag:
GNN Verlag Sachsen/Berlin mbH Schkeuditz
ISBN 978-3-89819-357-3

Die Zeitschrift ICARUS ist das wissenschaftliche und publizistische Periodikum der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V.; sie erscheint viermal jährlich und kann in der Geschäftsstelle der GBM, Weitlingstraße 89, 10317 Berlin abonniert bzw. gekauft werden. Ihr Bezug ist auch unter Angabe der ISBN (siehe weiter oben) über den Buchhandel möglich. Der Preis beträgt inkl. Versandkosten pro Heft 4,90 EUR für das Jahresabonnement 19,60 EUR.

Herausgeber und Redaktion arbeiten ehrenamtlich. Die Redaktion bittet um Artikel und Dokumente, die dem Charakter der Zeitschrift entsprechen. Manuskripte bitte auf elektronischem Datenträger bzw. per E-Mail und in reformierter Rechtschreibung. Honorare können nicht gezahlt werden. Spenden für die Zeitschrift überweisen Sie bitte auf das Konto 13 192 736, BLZ 100 500 00 bei der Berliner Sparkasse. Helfen Sie bitte durch Werbung, die Zeitschrift zu verbreiten.


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Quelle:
ICARUS Nr. 1/2011, 17. Jahrgang
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2011