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IMI/556: Syrien - UN-Giftgasbericht als Interventionsvorwand?


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkt 2013/052 vom 17. September 2013

Syrien: UN-Giftgasbericht als Interventionsvorwand?

von Jürgen Wagner



Gestern wurde der langerwartete UN-Bericht [1] über die mutmaßlichen Giftgasangriffe am 21. August in Syrien veröffentlicht. In einem Punkt sind sich die Inspektoren einig, nämlich dass ein solcher Einsatz tatsächlich stattgefunden hat. Die Urheberschaft bleibt aber weiter unklar (dies zu ermitteln war allerdings auch nicht der Auftrag der UN-Inspektoren). Alle diesbezüglichen Angaben sind allenfalls vage: der Spiegel [2] sieht etwa in der Richtungsangabe, aus der die Raketen kamen, ein mutmaßlich unter Regierungskontrolle stehendes Gebiet, einen klaren Beweis für die Täterschaft von Regierungstruppen. Auch die Süddeutsche Zeitung [3] ist sich sicher: "Der Bericht weist keiner der Seiten in dem Bürgerkrieg die Verantwortung für den Angriff zu, das ließ das Mandat auch nicht zu. Er liefert aber starke Indizien dafür, dass Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad die Urheber sind."

Diesen Behauptungen hält Clemes Ronnefeldt vom Versöhnungsbund entgegen (via Mail): "Nach intensiver Lektüre des Dokumentes konnte ich keinen Satz oder Abschnitt im UN-Dokument finden, der meines Erachtens die Interpretation rechtfertigt, dass Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad die Urheber sind. Auch wenn die Raketen vermutlich russischer Bauart sind und die Raketen 'aus Nordwesten' flogen wo 'von der Regierung kontrollierte Gebiete' 'in dieser Richtung liegen' (SZ, 17.9.2013): Dies lässt m.E. noch keinen Rückschluss zu, dass die Truppen von Präsident Baschar al-Assad 'die Urheber' sind." Trotz der zumindest dürftigen Beweislage sehen sich die allseits bekannten Hardliner wie die amerikanische UN-Botschafterin Susan Rice [4] oder der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant [5] durch den UN-Bericht in ihrem ohnehin feststehenden Urteil bestätigt, dass es die Regierungstruppen gewesen seien, die den Angriff verübt hätten. Wie nicht anders zu erwarten war, kommen russische Vertreter wie UN-Botschafter Vitaly Churkin [6] zu einer gegensätzlichen Bewertung, nämlich dass die Urheberschaft durch den Bericht keineswegs bestätigt wäre.

Kaum Beachtung finden unterdessen die Recherchen von Dale Gavlak, Korrespondentin der US-Nachrichtenagentur AP. Nach Befragung zahlreicher Personen vor Ort gelangt sie zu dem Ergebnis, die Giftgasangriffe seien mit hoher Wahrscheinlichkeit von Rebellenseite verübt worden. Dass sie dazu in der Lage wären, steht außer Frage: Berichten [7] zufolge wurden Rebellengruppen von Angestellten des US-Verteidigungsministeriums im Umgang mit chemischen Waffen unterrichtet. Der Mannheimer Morgen [8] fasst jedenfalls Gavlaks Rechercheergebnisse folgendermaßen zusammen: "Nach Aussagen der befragten Rebellen seien diese von einem Saudi, der unter dem Decknamen Abu Ayesha ein Bataillon von Rebellen gegen Assad anführt, beauftragt worden, verschiedene Waffen, die die 'Form von Rohren' und riesigen Gasflaschen gehabt hätten, in Tunnels zu verwahren. Sie seien nicht informiert worden, worum es sich bei diesen Waffen gehandelt hätte, noch wie man sie einsetzen würde. Dale Gavlak ist eine seriöse Journalistin, die seit zwei Jahrzehnten aus dem Mittleren Osten für AP, das amerikanische 'National Public Radio' und BBC berichtet. AP allerdings weigerte sich diesmal, ihren Beitrag zu veröffentlichen. Der Artikel erschien erstmals im unabhängigen, im amerikanischen Minnesota stationierten Internetportal 'Mint Press'."

Ausgeschlossen ist ein solches Szenario jedenfalls keineswegs, hatte doch selbst Carla del Ponte [9], Mitglied der UN-Sonderkommission für die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Syrien, mit Bezug auf vorherige Fälle mutmaßlicher Giftgaseinsätze angegeben, vieles spreche dafür, dass diese von Aufständischen verübt worden seien. Von "glasklaren Beweisen" für eine Urheberschaft der Assad-Regierung kann jedenfalls auf Grundlage des nun veröffentlichten UN-Berichts keine Rede sein. Dass nun die üblichen Verdächtigen dennoch auf ein UN-Mandat nach Kapitel VII drängen, um Syrien gewaltsam "entwaffnen" zu können, sagt viel über die eigentlichen Motive dieser Personen aus.


Anmerkungen

[1] http://www.un.org/disarmament/content/slideshow/Secretary_General_Report_of_CW_Investigation.pdf
[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/uno-inspekteure-bestaetigen-den-giftgaseinsatz-in-syrien-a-922606.html
[3] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1494636
[4] http://www.spiegel.de/politik/ausland/uno-inspekteure-bestaetigen-den-giftgaseinsatz-in-syrien-a-922606.html
[5] http://www.spiegel.de/politik/ausland/uno-inspekteure-bestaetigen-den-giftgaseinsatz-in-syrien-a-922606.html
[6] http://rt.com/news/churkin-un-chemical-report-938/
[7] http://news.antiwar.com/2012/12/10/us-defense-contractors-training-syrian-rebels-to-handle-chemical-weapons/
[8] http://www.morgenweb.de/nachrichten/welt-und-wissen/wer-steckt-wirklich-hinter-dem-giftgasangriff-1.1188811
[9] http://de.ria.ru/security_and_military/20130506/266058068.html

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Quelle:
IMI-Standpunkt 2013/052 vom 17. September 2013
Syrien: UN-Giftgasbericht als Interventionsvorwand?
URL: http://www.imi-online.de/2013/09/17/syrien-un-giftgasbericht-als-interventionsvorwand/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2013