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INTIFADA/004: Zeitschrift für antiimperialistischen Widerstand Nr. 28/Frühjahr 2009


Intifada Nummer 28 - Frühjahr 2009
Zeitschrift für den antiimperialistischen Widerstand



INHALT
Editorial
KRISE
Zusammenbruch
Osteuropa vor dem Kollaps
Im Angesicht der Krise
Achsen für das Projekt einer antikapitalistischen Opposition
Banken kaputt Anmerkung zum Zustand der österreichischen Finanzwirtschaft
ARABISCHER RAUM
Unbeendeter Krieg, unvollkommener Sieg
Eine Bilanz des Massakers
"Angst rechtfertigt nicht die Auslöschung"
Reflexionen über die Ein-Staaten-Lösung
Das Elend der Palästinenser
Der ILO-Bericht - Teil II
Ein Schritt zur Demokratie?
Versuch der Deutung der irakischen Provinzwahlen
Sudan: Bruchlinie im Weltsystem
Bericht vom Solidaritätsforum in Khartum
Helft Darfur: Unterstützt den Sudan
Eine Erklärung
Frauen im Widerstand
Interview mit Haifa Zangana
INTERNATIONAL
Schließung von Guantanamo?
Über ein Wahlversprechen
Bolivien: Sieg der Mitte
Analyse der Wahlen
Saakaschwili vor dem Sturz?
Die georgische "Rosenrevolution" hat sich verbraucht
EUROPA
Das Ende der Meinungsfreiheit
Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung
Gericht wiederholt Gesinnungsurteile
Der Terrorprozess in zweiter Instanz
THEORIE
Zähes Ringen um die Einheit
Zur Geschichte der arabischen Linken
Nation als Einbildung?
Ein Einspruch
AKTIVISMUS
Sommerseminar 2009
Kärnten 9.-12. Juli 2009
Sumud
Freiwillige Arbeit und Widerstand

Raute

Editorial

Knapp zwei Jahre nach dem Beginn der Finanzkrise im Sommer 2007 ist die Weltwirtschaft in diesem Frühjahr in den freien Fall übergegangen. Wir wollen hier keine Endkrise des Kapitalismus ausrufen. Aber eines lässt sich heute sagen: Das neoliberale Wachstumsmodell, das auf Globalisierung, steigender Ungleichheit, fortwährendem Auftrieb von Vermögenswerten und ständig steigenden Schulden beruht hat, ist ziemlich kaputt. Im Augenblick versucht man eine Stabilisierung mittels stark ausgeweiteter Staatsverschuldung. Das ist nicht vollständig erfolglos. Die Staatsverschuldung wirkt wie eine Herz-Lungen-Maschine. Statt der privaten Verschuldung, die die Weltwirtschaft in den letzten Jahren gestützt hat, verschuldet sich jetzt der Staat. An den grundlegenden Problemen der Verteilung möchte die Oligarchie natürlich nichts ändern, im Gegenteil. In einer Art oligarchischem Keynesianismus kassieren die Spitzen der Bourgeoisie die meisten Aufwendungen aus den staatlichen Hilfspaketen.

Die Grenzen dessen sind freilich offensichtlich, sie liegen in der Finanzierbarkeit der Staatsschuld. Die zu Grunde gelegten Wachstumszahlen sind dabei allerdings völlig unrealistisch, und es wird weiter davon ausgegangen, dass die Banken nicht noch mehr Geld verschlingen werden. Angesichts des Osteuropageschäfts gerade für Österreich eine gewagte Annahme.

Wir sind keine Konjunkturforscher, dennoch eine Prognose: Die gewaltigen Hilfspakete werden Ende 2009, Anfang 2010 eine gewisse Stabilisierung auf niedrigem Niveau bringen. Dann werden massive Sparpakete folgen, die neue Kontraktionen einleiten. Das muss nicht das Ende des Kapitalismus sein, deutet aber auf eine Strukturkrise mit gewaltigen Ausmaßen hin. Es ist Zeit für eine neue antikapitalistische Opposition. Auch in Europa. Und sogar in Österreich.

Stefan Hirsch

Raute

KRISE

Zusammenbruch

Osteuropa vor dem Kollaps

Von Stefan Hirsch

So manche osteuropäische Regierung versteht die Welt nicht mehr. Nachdem man jahrelang den Rezepten der ultraliberalen Hexenmeister gefolgt war, wird man nun verstoßen.


Nachdem die Rating-Agenturen jahrelang die "Offenheit" der osteuropäischen Volkswirtschaften (also den einfachen Zugang für ausländisches Kapital) gefeiert haben, wird ihnen just diese jetzt zum Vorwurf gemacht. Die "Offenheit" des Kapitalmarkts wird als großes Risiko genannt und rechtfertigt reihenweise Rating-Herabstufungen. Mit so etwas ist nicht zu spaßen, denn je schlechter das Rating, desto höher die Zinsen, die für Schulden bezahlt werden müssen.

Die Katastrophe am Beispiel Ungarn: Die Bauwirtschaft ist seit Januar 2008 um 16 Prozent zurückgegangen, der Verkauf von Neuwagen um 44 Prozent gefallen. Die größten Optimisten unter den Volkswirten (zu denen wir nicht gehören) erwarten für 2009 ein Minus der Wirtschaftsleistung um 5 Prozent. Der Forint ist von 230 Forint zu einem Euro im Juli 2008 auf 317:1 am 6. März gerutscht, um sich danach bei knapp 300 zu stabilisieren. Das Problem des Währungsverfalls sind dabei der hohe Anteil von Fremdwährungskrediten, die parallel zur Schwäche des Forint aufwerten, und die steigenden Preise für importierte Waren, die die Bevölkerung verarmen lassen. Der Bankensektor steht vor dem Kollaps, weil die Kredite nicht mehr bezahlt werden können. Am 9. März meinte der Chef der größten Bank (OTP, an zweiter Stelle liegt schon ein österreichisches Institut): "Wenn die Bevölkerung beginnt, ihre Forint in Euro zu tauschen, weil sie einen Verfall der Währung auf 350 oder 400 fürchtet, dann kann nichts mehr das Bankensystem retten." IWF und EU haben Hilfe geschickt, gebunden an die üblichen Auflagen: hohe Zinsen (die in der schweren Rezession die Wirtschaft gänzlich umbringen) und staatliche Ausgabenkürzung (die erledigt den Rest des Massakers).

Im Zentrum der ungarischen Krise steht dabei das Defizit der Leistungsbilanz, das bei 7,5 Prozent des BIP liegt. Mit anderen Worten: Jedes Jahr muss zur Refinanzierung Kapital im Wert von 7,5 Prozent der Wirtschaftsleistung importiert werden - gelingt das nicht, dann stürzt die Währung ab. Und dieser Wert wächst: Lag der Bedarf im ersten Quartal 2007 noch bei etwa 1,5 Milliarden Euro, so sind wir im 3. Quartal 2008 bei 2,2 Milliarden angelangt (jüngere Zahlen hat die Nationalbank noch nicht veröffentlicht).

Üblicherweise wird ein Defizit der Leistungsbilanz durch zu hohe Importe im Verhältnis zu den Exporten erreicht - man könnte also tatsächlich sagen, dass eine Volkswirtschaft "über ihre Verhältnisse" lebt. Das mag in Ungarn und anderen Teilen Osteuropas der Fall gewesen sein, als die internationalen Banken haufenweise Kredite vergaben - heute ist das anders. Tatsächlich waren in Ungarn im Jahr 2008 sowohl die Handelsbilanz als auch die Dienstleistungsbilanz positiv. Die Ungarn produzieren mehr, als sie verbrauchen. Das Defizit der Leistungsbilanz kommt aus dem Schuldendienst und aus den Gewinnen, die die ausländischen Unternehmen aus dem Land schaffen. Die Ungarn leben nicht "über ihre Verhältnisse", sondern die Zinsen für die angesammelten Schulden und die Transfers der Multis ruinieren die Wirtschaft. Das Land wird vom internationalen Kapital rücksichtslos ausgenommen.

Eine ähnliche Geschichte erleben wir heute in Rumänien. Auch hier greift der internationale Währungsfonds ein. Insgesamt 20 Milliarden wurden im März bewilligt, mit den üblichen katastrophalen Auflagen: staatliche Ausgabenkürzungen, Gehaltsverluste für Staatsangestellte. Die 20 Milliarden sollen die Zahlungsbilanz und damit den Wechselkurs stabilisieren. Tatsächlich weist auch die rumänische Leistungsbilanz im Jänner 2009 ein sehr hohes Defizit von 509 Millionen Dollar auf (weniger als die Hälfte noch vor einem Jahr) - aber dieses Defizit wird ausschließlich durch Zinszahlungen und Gewinntransfers verursacht (die im Jänner 565 Millionen Euro betragen haben).

In Staaten wie der Ukraine liegen durchaus auch Bürgerkrieg, ein Zusammenbruch des Staates und der Zerfall des Landes im Bereich des Möglichen.

Letztes Beispiel, die Ukraine, die möglicherweise den schlimmsten Absturz erlebt. Die Schätzungen für das BIP belaufen sich für das Jahr 2009 auf minus 12 Prozent, die Industrieproduktion hat innerhalb eines Jahres (auf Februar 2009) um 34 Prozent nachgegeben, die Bauwirtschaft um über 50 Prozent. Eine Zahlungsbilanzkrise lässt die Währung abstürzen, die in Fremdwährung Verschuldeten stehen vor dem Ruin und im Bankensystem ist die Liquidität völlig ausgetrocknet. Der IWF hat längst die Bühne betreten und fordert Blut. Und wieder: im Herzen der Zahlungsbilanzkrise stehen keine zu hohen Importe, sondern Schuldendienst und Kapitalflucht. Im Februar 2009 lagen die Importe bei etwa zwei Milliarden Dollar, die Exporte bei 2,5 Milliarden.

Osteuropa bräuchte eigentlich eine Erleichterung der Schuldenlast (ein Teil der Schulden muss gestrichen werden, sie sind ohnehin uneinbringbar), oder gleich eine Enteignung der Staatsschulden. Man benötigt Kapitalverkehrskontrollen um die Kapitalflucht zu beenden, die Währung zu stabilisieren und die Liquidität des Kreditsystems sicherzustellen. Das Bankensystem muss nationalisiert werden - die österreichischen und italienischen Raubritter vergeben keine Kredite mehr. Der Staat muss Binnenwirtschaft und regionale Kreisläufe stärken und die Bevölkerung vor den katastrophalen Folgen der Krise schützen.

Zu solchen Maßnahmen ist die osteuropäische Oligarchie aber nicht in der Lage. Rumänien und Ungarn beugen sich dem Diktat des IWF, dessen Finanzhilfen eigentlich ausschließlich den Gläubigern dienen, nicht der Bevölkerung und auch nicht der Volkswirtschaft als Ganzes. (So heißen sie auch: "Zahlungsbilanzhilfe" - sie helfen, den Schuldendienst aufrecht zu erhalten). Und die Regierungen Polens und Tschechiens sind wohl die letzten auf diesem Planeten, die noch die ultraliberalen Phrasen von vor der Krise herauswürgen, inklusive eines Clowns als tschechischer Präsident, der von der Kraft des Marktes schwadroniert und den Klimawandel leugnet.

Das schlimmste Beispiel ist wahrscheinlich die Ukraine: eine herrschende Klasse aus Mafiosi, die gar kein Interesse an eigenständiger Entwicklung haben und sich ausschließlich an den Meistbietenden verkaufen wollen.

In dieser Konstellation wird der ökonomischen und sozialen Katastrophe ein politischer Tsunami folgen, dessen Auswirklungen völlig unklar sind. In Staaten wie der Ukraine liegen durchaus auch Bürgerkrieg, ein Zusammenbruch des Staates und der Zerfall des Landes im Bereich des Möglichen. Vieles ist furchteinflößend: etwa die Pogrome gegen Roma in Ungarn, oder die Tendenz, dass sich oppositionelles Denken allzu oft mit antisemitischen Absurditäten verbindet. Für die Linke gibt es in dieser Situation nur eine Möglichkeit: härteste Opposition gegen die Ausplünderung, den Sozialabbau und den Verrat der Oligarchie. Wer die ungarische sozialdemokratische Regierung (oder deren Reste) als kleineres Übel gegenüber der konservativen Opposition verteidigt, wird mit dieser untergehen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Eine Filiale der Raiffeisen in Moskau. Österreichische Banken haben sich in Osteuropa besonders exponiert.

Raute

KRISE

Im Angesicht der Krise

Achsen für das Projekt einer antikapitalistischen Opposition

Von Wilhelm Langthaler

Der kapitalistische Rausch - genannt Neoliberalismus - ist jäh zu Ende gegangen. Ganz unvermittelt ist das System in seine tiefste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt.


Die Antwort der "Ent-Täuschten" auf diese tiefgreifende Krise mag auf sich warten lassen. Kommen wird sie indes auf jeden Fall. Erste Vorboten zeigen sich schon in den gegenwärtigen Entwicklungen, wie der griechischen Revolte oder der Gründung der Neuen Antikapitalistischen Partei in Frankreich. Das Laboratorium für die Herausbildung einer antikapitalistische Opposition ist also eröffnet. Es wird Zeit, dass wir auch in Österreich initiativ werden. Denn auch andere scharren schon in den Startlöchern, wie der Aufstieg des ungarischen Nationalismus zeigt.

Österreich hielt sich im vergangenen halben Jahrhundert nicht ganz zu unrecht für eine Insel der Seligen. Der Kapitalismus - sozialdemokratisch gezähmt - brachte für die breiten Massen einen enormen sozialen Aufstieg und verlieh so seinen politischen Institutionen eine besondere Stabilität.

Um so tiefer und unglaublicher muss nun der Fall erscheinen, den man nach wie vor nicht so richtig wahrhaben will. Auf einmal soll sich die Renditenbonanza, an dem sich selbst der einfache Arbeiter mit seinen bescheidenden Ersparnissen beteiligen konnte, in ein Milliardengrab verwandeln?! Die Banken und selbst der Staat treiben auf den Bankrott zu - unfassbar.

Die erste Reaktion in guter österreichischer Spießertradition ist es, sich einmal hinter der Großen Koalition zu versammeln. So unerhört die Milliardengeschenke an die Banken erscheinen mögen, auch angesichts der davorliegenden unerbittlichen Sparprogramme, so sehr werden sie als notwendig zur Rettung des Systems akzeptiert. Die außergewöhnliche Krise lässt im ersten Schritt auf Gewohntes, auf Altbewährtes zurückgreifen. Der politische Kredit des Systems ruht auf einem halben Jahrhundert des Aufstiegs und Fortschritts, könnte also größer nicht sein.

Noch wollen die Menschen einfach glauben, dass die Rettungspakete greifen und die Rezession innerhalb weniger Quartale überwunden sein wird. Der von den Banken und den Regimemedien verbreitete Zweckoptimismus entspricht den Wünschen der Mehrheit (anders als in vielen anderen europäischen Ländern, die mit dem Neoliberalismus viel bitterere Erfahrungen machen mussten). Doch auch hierzulande kommen Zweifel auf. Sollten sich die optimistischen Prognosen der Hohepriester des Systems in einigen Quartalen in Nichts auflösen - wovon wir mit guten Gründen ausgehen -, können sich die politische Situation und die Stimmung der Massen schlagartig verändern.

Zumal sind die sozialen Folgen der Krise hierzulande noch wenig spürbar und werden durch staatliche Intervention (wie beispielsweise massive Subventionierung der Kurzarbeit) hinausgezögert. Ebenso versucht man die Austeritätsprogramme zum Abbau der nun angehäuften Staatsschulden auf den erhofften, zukünftigen Konjunkturzyklus zu verschieben.


Antikapitalistische Volksopposition

Unter den beschriebenen Bedingungen bietet sich unmittelbar noch kein Platz für eine Systemopposition. Zu sehr hängt man an der Vergangenheit und will das verlorene Glück verteidigen. Noch scheint der radikale Bruch nicht notwendig. Nächster Schritt wird es wohl sein, dezidierter neoreformistische und keynesianistische Forderungen zu erheben, sei es aus dem Bereich der traditionellen Linken und Sozialdemokratie (beispielsweise die Reichensteuer, wie sie vom steirischen SP-Landeshauptmann Voves vorgeschlagen wurde) oder seitens des Rechtspopulismus.

Dennoch kann und muss eine Systemopposition bereits heute vorbereitet werden. Denn wie die Lehren aus der Geschichte zeigen, erwächst eine solche keineswegs automatisch. Die organische Tendenz des Protests der Unterklassen weist eher in Richtung des Sozialchauvinismus, wie er hierzulande von der FPÖ repräsentiert wird.

Die erste Reaktion in guter österreichischer Spießertradition ist es, sich einmal hinter der Großen Koalition zu versammeln

Ausgangspunkt der Überlegungen muss das Versagen des Kapitalismus als ganzes sein. Die Krise lässt die liberalen Versprechungen von "Wohlstand, Demokratie und Frieden", wie sie von Clinton in den 1990er Jahren der Welt gemacht wurden, in Schall und Rauch aufgehen. Selbst in den Zeiten des Booms gelang die Annäherung an diese Versprechungen nicht. Die globale soziale Kluft vertiefte sich. Auf die Opposition reagierten die Eliten mit Repression und Krieg. Mit der Krise werden sich diese Tendenzen enorm beschleunigen. Kapitalismus wird wieder zum Synonym für die extreme Armut von Milliarden sowie von Diktatur und Krieg.

Es muss daher klar gegenüber der auch bei uns entstehenden Oppositionsbewegung ausgesprochen werden: das globale System des kapitalistischen Imperialismus ist das entscheidende Hindernis nicht nur für das stark verstümmelte und einseitig reduzierte liberale Werteset von "Wohlstand, Demokratie und Frieden", sondern auch für die allen zukommende menschliche Emanzipation, wie sie seit der Aufklärung und der französischen Revolution in vielerlei Varianten und Versuchen formuliert wurde.

Im Gegensatz zur traditionellen Arbeiterbewegung wollen wir nicht zuvorderst bei sozialen Teilforderungen ansetzen, von denen man sich immer erhoffte, dass sie den Weg in ein anderes System ebnen würden. Denn tatsächlich tendieren diese zum genauen Gegenteil, nämlich ihre Anpassung an und Teilverwirklichung im Rahmen des Systems. Der von uns vorgeschlagene Ansatzpunkt geht vom politischen Ganzen aus und zwar gleich von Anfang an. Der Kapitalismus ist ein strukturell unmenschliches System und muss weg.

Dabei geht es nicht um den Kapitalismus als Abstraktum, sondern um die konkrete Herrschaft einer winzigen Elite, die Reichtum und Macht in ihren Händen konzentriert und alle Sphären des Lebens kontrolliert. Wir müssen nicht nur zeigen, dass das der konkrete Kapitalismus ist, sondern dass es gar keinen anderen Kapitalismus geben kann. Dieser tendiert natürlich dazu, sich oligarchisch zu formieren. Die Krise akzentuiert diesen Zug nur noch weiter.

Hier drängt sich automatisch die Frage nach den Alternativen auf. Denn die Geschichte des gescheiterten Sozialismus lastet schwer. Ist eine Alternative überhaupt möglich? Ist sie es wert erkämpft zu werden? Kann sie funktionieren?

Wir glauben nicht, dass auf diese Frage eine fertige Antwort gegeben werden kann und darf, die den Anspruch auf Exklusivität erhebt. Vielmehr geht es in erster Linie darum, die Möglichkeit einer nichtkapitalistischen, stärker auf Gemeinschaft beruhenden und Emanzipation ermöglichenden Gesellschaft darzulegen und glaubhaft zu machen. Gleichzeitig muss aber die größtmögliche Offenheit und Pluralität gewahrt werden, denn es gibt sehr viele unterschiedliche Zielvorstellungen, was angesichts des Scheiterns des Realsozialismus verständlich wird.

Hier die programmatischen Achsen unseres Vorschlags:


1. Verstaatlicht die Banken

Ausgangspunkt der Krise war das Finanzsystem und die Banken, deren Auswirkung nun Schritt für Schritt auch für die Produktion spürbar wird.

Nachdem die kapitalistischen Kernstaaten nun drei Jahrzehnte lang den Rückzug aus der Wirtschaft und den freien Markt als Allheilmittel gepredigt hatten, machten sie innerhalb nur weniger Tage eine 180-Grad-Kehrtwendung. Gewaltige Hilfspakete im Billionenwert wurden und werden dem Bankengroßkapital in den Rachen geworfen, während zuvor jede mickrige Million für Sozialleistungen zehnmal umgedreht und gekürzt wurde.

Diese Maßnahmen mögen im Sinne der Rettung des Systems notwendig und sinnvoll sein. Wir lehnen diese radikalisierte Umverteilung von unten nach oben indes rundweg ab. Die Konsequenz der richtigen Losung "Wir zahlen nicht für eure Krise" muss sein, die sogenannten Rettungspakete abzulehnen. Sie sind nichts als eine Fortsetzung der bisherigen Politik der staatlichen Umverteilung zugunsten des Kapitals.

Es bedarf indes Rettungspaketen. Doch diese müssen zugunsten der Mehrheit und nicht der Elite geschnürt werden. Daher: wenn der Staat Banken rettet, um den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten, dann muss auch die Verfügungsgewalt über diese in die Hand des Staates übergehen.

Doch das reicht noch lange nicht aus. Wir haben gesehen, dass dies in vielen Fällen schon geschah um Totalzusammenbrüche abzuwenden und das kapitalistische System zu retten. Der Staat muss über die verstaatlichten Banken massiv steuernd und regulierend in die Wirtschaft eingreifen. Es geht um eine Wirtschaftspolitik im Interesse der Mehrheit, der globalen Mehrheit wohlgemerkt. Das heißt einerseits, dass die gesellschaftlichen Ressourcen gerechter verteilt werden und andererseits, dass das Entwicklungsmodell überhaupt geändert wird, so dass es der menschlichen Emanzipation dient und ihr nicht entgegensteht.


2. Staatsschulden entwerten und enteignen

Die Verstaatlichung von strauchelnden Banken ändert am System selbst nichts. Im Gegenteil, es ist zu seiner Stabilisierung sogar eine unumgängliche Notwendigkeit. Wenn die verstaatlichten Banken jedoch entsprechend einem politischen Auftrag der Mehrheit mittels gezielter Kreditvergabe und steuernden Zinssätzen eingreifen, denn weist das bereits in eine ganz andere Richtung.

Woher kommt das Geld für die Rekapitalisierung? Im Wesentlichen nimmt es der Staat am Kapitalmarkt auf und muss dafür Zinsen zahlen. Für Tilgung und Zinszahlung werden in der Folge die Mittel- und Unterschichten zur Kasse gebeten werden, wenn auch etwas zeitverzögert, um nicht allzu prozyklisch zu wirken. Die Staatsschuld fungiert also als gewaltige Umverteilungspumpe von unten nach oben. Austeritätsprogramme sind in der Logik des Kapitalismus unvermeidlich. Im Falle von Krediten, die durch internationale Finanzinstitutionen wie IWF etc. vergeben werden, wird diese Umverteilung nach oben sogar direkt zur politischen Bedingung gemacht. Waren traditionell bisher nur Länder der Dritten Welt in der Zwangslage solche Kredite in Anspruch nehmen zu müssen, so ist bereits jetzt halb Osteuropa betroffen. Auch Österreich könnte in die Lage kommen, Unterstützung der internationalen Finanzinstitutionen beanspruchen zu müssen.

Wir wollen diese Pumpe umdrehen. Nicht die Unter- und Mittelschichten sollen für die Staatsschuld aufkommen, sondern die großen Kapitalbesitzer. Das ist einerseits mit einer kontrollierten Geldentwertung möglich, die aber ein gewisses Maß nicht übersteigen darf, um keine Flucht aus der Währung anzustoßen. Das kann in Form von Zwangsanleihen geschehen oder auch durch die schlichte entschädigungslose Streichung ab einem gewissen Vermögensstand.


3. Enteignung der Eliten

Es muss indes aber klar sein, dass die Verstaatlichung von Banken oder die Entwertung oder sogar Annullierung von staatlichen Schuldentiteln von den besitzenden Eliten nur in äußersten Notlagen geduldet wird. Zur Rettung des Gesamtsystems werden sogar ausnahmsweise Eingriffe in das allerheiligste Recht auf Kapitaleigentum in Kauf genommen.

Erweist es sich als absehbar, dass es überhaupt darum geht, die großen Kapitalgruppen unter die Botmäßigkeit des Staates zu zwingen - und zwar eines Staates, der nicht mehr im Interesse dieser Eliten handelt -, werden diese solche Maßnahmen wütend bekämpfen. Treibt man sie dennoch voran, laufen sie auf einen totalen Bruch mit dem System hinaus. Fälle dieser Art sind uns aus der Geschichte bekannt, auch wenn sie sich fast ausschließlich an der Peripherie zutrugen: Kapitalflucht, Verlust des Zugangs zum Kapitalmarkt, Ausschluss aus der internationalen Arbeitteilung, Wirtschaftsblockade oder sogar Krieg.

Die unvermeidliche Folge eines solchen Bruches ist die krisenhafte Kontraktion der Wirtschaft und das Absinken des materiellen Lebensstandards mit allen damit verbundenen politischen Schwierigkeiten. Für eine kleine Volkswirtschaft wie die österreichische, die noch dazu in extremer Weise internationalisiert ist, gilt das noch mehr.

Es geht also um eine richtiggehende Revolution, denn die Eliten werden auch zu Gewalt greifen, wenn sie ihre Herrschaft als gefährdet ansehen. Dass sie das können, haben sie schon mehrfach bewiesen.

Ein solches historisches Projekt eines radikalen Bruches kann daher konkret nur sinnvoll unternommen werden, wenn einige unerlässliche Vorbedingungen gegeben sind: Eine starke politische Hegemonie des revolutionären Subjekts, das den Sturm einer wirtschaftlichen Katastrophe zu überleben vermag. Eine ähnliche Entwicklung in anderen Ländern bzw. eine internationale Bewegung, die auf eine substanzielle Vergrößerung eines neuen, alternativen, nichtkapitalistischen Wirtschaftsraum hoffen lässt, der eine internationale Arbeitsteilung neu etabliert, wenn auch nach anderen Entwicklungskriterien und auf der Basis eines gerechteren Tausches ohne systematischen Werttransfer zugunsten des Zentrums. Die dauerhafte Isolierung jedenfalls bringt den sicheren wirtschaftlichen und in der Folge auch politischen Zusammenbruch.

Im größeren Kontext betrachtet, bleibt die extreme Konzentration des Reichtums, die die exklusive Verfügungsgewalt einer winzigen Gruppe von Kapitaleignern über die Geschicke der Welt in allen Belangen zur Folge hat, das Haupthindernis auf dem Weg zur menschlichen Emanzipation. Ohne in die Details gehen zu wollen postulieren wir, dass die Menschheit dazu fähig ist, ihre produktive Kapazität im Interesse der Mehrheit zu gestalten. Demokratie, Freiheit, Emanzipation sind nur denkbar, wenn der produktive Apparat dem mehrheitlichen Willen der Produzenten folgt. Oder, anders gesagt, Demokratie muss sich auch auf die Sphäre der Wirtschaft ausdehnen, denn sonst bleibt sie Augenauswischerei.


4. Demokratie und Subsidiarität

Der Staat ist das Werkzeug zum politischen Eingriff in die Gesellschaft und damit auch in die Wirtschaft. Damit wird noch nichts über den Charakter des Staates ausgesagt. Tatsächlich spielt der Staat diese Rolle immer schon, auch im liberalsten Kapitalismus. Er sichert dem Kapital den Rahmen, in dem es sich verwerten und anhäufen kann. Die Marktreligion erkor den Staat zu ihrem Feind, insofern er zu Umverteilungsmaßnahmen nach unten gezwungen worden war und diese zurückgefahren werden sollten. Dass der Liberalismus nicht per se antistaatlich ist, zeigt sich retrospektiv nur zu deutlich. Diejenigen, die am lautesten für den freien Markt schrieen, sind es auch, die heute Milliardengeschenke von eben diesem Staat einfordern.

Die westlichen Kernstaaten sind Werkzeuge der kapitalistischen Eliten, die aber über erheblichen Konsens in den Mittelschichten und der Gesellschaft als ganzer verfügen und somit parlamentarische Demokratie spielen können. Droht die Möglichkeit diese Zustimmung zu verlieren, so greifen sie zunehmend zu autoritären Mitteln (siehe den präventiven Abbau demokratischer Rechte).

Wir sehen daher im Eingreifen des Staates keineswegs ein Allheilmittel, noch sind wir einfache Etatisten. Um im Interesse der Mehrheit die Krise zu bekämpfen und in die Wirtschaft einzugreifen, muss der Staat grundlegend verändert, demokratisiert werden. Die Masse der Menschen muss in ihm repräsentiert sein und an ihm teilhaben.

Davon sind wir heute weiter denn je entfernt und hier liegt auch der wirkliche Hund am antikapitalistischen Projekt begraben.

Zwar wird der Staat immer durch eine professionelle Gruppe von Politikern und Verwaltern geführt werden, so wie Arbeitsteilung und Spezialisierung die Voraussetzung von Industrie überhaupt ist. Es geht also nicht darum Repräsentation schlechthin abzuschaffen, wie es Strömungen des historischen Anarchismus sowie der Postmoderne postulierten. Vielmehr handelt es sich darum, die staatlichen Funktionäre auf die Interessen der Mehrheit zu verpflichten, ihre Verselbständigung hinanzuhalten. Die Herrschaft der Mehrheit darf sich nicht wiederum in eine Herrschaft über die Mehrheit verwandeln.

Das entscheidende Mittel dazu ist die aktive politische Beteiligung dieser Mehrheit, der Masse der Bevölkerung an den Entscheidungen des Staates. Dazu bedarf es partizipativer Strukturen, die nicht nur Konsens herstellen können, sondern auch Dissens vertragen und zu artikulieren vermögen. Letztlich erweist sich die Politisierung der Gesellschaft als unerlässliche Vorbedingung zu ihrer Emanzipierung.

Voraussetzung ist allerdings eine umfassende politische Bewegung, eine Massenmobilisierung, die zum Subjekt des Wandel und Umbruchs, der echten demokratischen und sozialen Revolution erwächst. Solange sich diese auch nicht in nuce abzeichnet, müssen die proklamierten Ziele abstrakt bleiben. Die Konkretion ist nur auf der unmittelbaren Ebene wie gegen die Geschenke an das Großkapital, die Streichung der Staatsschuld oder ein Ende des imperialistischen Krieges möglich.

Uns geht es um einen grundlegenden Wandel des Wertesystems und damit auch der gesellschaftlichen Entwicklungsziele.

Um die demokratische Beteiligung und Selbstbestimmung zu fördern, ist indes noch ein anderes Prinzip zu verwirklichen, namentlich jenes der Subsidiarität. Von der EU erfunden, dient es ihr zum genauen Gegenteil des Vorgegebenen. Es bedeutet, politische Entscheidungen auf der tiefstmöglichen Ebene zu fällen. Wir schlagen vor, das auch auf produktive Aktivitäten auszudehnen, denn die Wirtschaft ist zentraler Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens und ihre Demokratisierung uns wesentliches Anliegen.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass Konflikt immer Zentralisierung schafft, denn es geht um Verteidigung bzw. Eroberung gesellschaftlicher Macht. Doch stellt sich nach einem Umsturz eine gewisse Stabilisierung oder gar Normalität ein, so muss diese Macht möglichst nach unten verlagert werden. Wo immer möglich soll Politik direkt von den betroffenen Menschen gemacht werden, die für deren Auswirkungen auch die Verantwortung tragen. Repräsentation soll möglichst vermieden werden, dennoch bleiben entscheidende Bereiche der Politik und Verwaltung, in denen man ohne Vertretung nicht auskommt.


5. Emanzipation als Entwicklungsziel

Der Kapitalismus hat als zentrales Ziel gesellschaftlicher Entwicklung ständiges Wachstum und Mehrung des materiellen Reichtums des Einzelnen etabliert. Letzterer fungiert als Hauptkriterium sozialer Anerkennung. Konsum wird entsprechend als Schlüssel zum Glück betrachtet. Das geht einher mit einem überbordenden Egoismus und dem Verlust jeglicher Gemeinschaftlichkeit. Nur noch die Familie verhindert die völlige Vereinzelung, um gleichzeitig gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse zu reproduzieren. (Nicht umsonst findet sich in ihr die Keimstätte und der Hauptschauplatz sexuellen Missbrauchs.)

Uns geht es um einen grundlegenden Wandel des vorherrschenden Wertesystems und damit auch der gesellschaftlichen Entwicklungsziele. Keineswegs propagieren wir die materielle Armut und für den Großteil der Weltbevölkerung bedarf es noch einer gewaltigen Steigerung des materiellen Reichtums. Doch für den westlichen Mittelstand ist ein Niveau erreicht oder sogar überschritten, wo weiterer materieller Zuwachs die Lebensbedingungen und damit die Voraussetzungen zum Glück keineswegs verbessern. Im Gegenteil, der Konsumismus ist ein Hindernis zu diesem geworden, eine Form der Entfremdung.

Emanzipation, menschliche Entwicklung und Selbstverwirklichung erfordern eine radikale Veränderung. Die gesteigerte Produktivität und der angehäufte Reichtum soll vor allem zur Reduktion der Arbeitszeit, der breiten Entfaltung der Bildung und der Möglichkeit zur vielseitigeren Betätigung des Einzelnen verwendet werden. Damit wird auch die Ursache der Reproduktion sozialer Ungleichheit und damit Herrschaft zurückgenommen. Die tendenzielle Aufhebung der Arbeitsteilung - oder anders gesagt, die Möglichkeit des Einzelnen im Verlauf seines produktiven Lebens viele verschiedene Tätigkeiten ausüben zu können - wirkt dem traditionellen sozialen Schichtenbau und damit auch Herrschaftsverhältnissen entgegen.

Arbeit muss von ihrem Zwangscharakter und ihrer Hierarchisierung befreit werden. Selbstbestimmung bedeutet, dass der Einzelne das Recht und die Möglichkeit hat Ziel, Form und Bedingungen der Arbeit entsprechend seiner Interessen mit zu beeinflussen. Das erfordert nicht nur ausreichend Zeit und Bildung, sondern auch Demokratie in Arbeits- und Wirtschaftsleben.

In der Folge brächte eine solche Entwicklung auch ein Einreißen der strengen Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Produktion und Konsum. Produktivismus und Konsumismus, die den Kapitalismus kennzeichnen, räumen den Platz zugunsten der Selbstentfaltung in der selbstbestimmten Arbeit.

Soziale Anerkennung würde nicht mehr vor allem über materiellen Reichtum, sondern über den Beitrag zur Entwicklung der Gemeinschaft vermittelt werden.


6. Globaler sozialer Ausgleich

Die Kritik am Konsumismus zielt in erster Linie auf die westlichen Mittelschichten, die die Herrschaft der Eliten abstützen. Doch als politisches Phänomen ist der Konsumismus breiter, erfasst auch jene, die nichts zu konsumieren haben. Diese streben oft selbst nach dem Aufstieg ins Konsumparadies bzw. ergeben sich in ihrer Rolle als Subalterne, insofern sie von diesem Konsum ausgeschlossen sind.

Indes leidet die Mehrheit der Weltbevölkerung, vor allem an der Peripherie des Systems, aber auch eine signifikante Minderheit im Zentrum an akutem materiellen Mangel. Im Sinne von Gerechtigkeit, Frieden und Emanzipation bedarf es einer massiven Entwicklung für diese Mehrheit, die ohne sozialen Ausgleich nicht möglich sein wird. Natürlich befindet sich der Haupthebel in der Dienstbarmachung der Ressourcen des Großkapitals. Doch geht es bei der Enteignung der Eliten vor allem darum, den globalen produktiven Apparat umzubauen und auf andere Ziele zu richten. Gleichzeitig muss aber auch der Konsum nicht nur der Eliten, sondern auch wichtiger Teile des westlichen Mittelstands zugunsten der globalen Armut eingeschränkt werden. Das dritte Auto, der unbenutzte Zweitwohnsitz oder die Brustvergrößerung sind nicht akzeptabel, während hunderte Millionen nicht einmal Zugang zu Trinkwasser haben.


7. Nation, kulturelle Differenz und Selbstbestimmung

Der Begriff der Nation ist schwer in Verruf geraten. Zuerst rechnete die Linke mit dem Nationalismus ab - mit berechtigten Argumenten. Dieser diente der Bourgeoisie zur Mobilisierung gegen den vermeintlichen äußeren Feind, sei es nun eine konkurrierende Bourgeoisie, der Sozialismus oder auch um ihre Freiheit kämpfende unterdrückte Völker. Nicht nur mit dem Nationalismus, sondern mit der Nation als solcher würden die inneren Interessensgegensätze verwischt und überspielt.

Dann kam die Wende 1989/91. Der Feind Kommunismus war weggefallen. Die Eliten proklamierten die Globalisierung, der traditionelle Nationalismus schien ihnen nicht mehr zweckdienlich. Gegen jene Kräfte, Völker und Staaten, die sich nicht nach der neoliberalen Decke strecken wollten, gingen die Globalisierer mit "internationalistischen" Argumenten vor. Man subsumierte sie unter die Kategorie der Retro-Nationalisten und damit der Rechten.

Die entstehende Antiglobalisierungsbewegung lehnte sich ausschließlich gegen den ökonomischen Aspekt der Globalisierung auf, die sie synonym mit Neoliberalismus verwendete. Sie sah nicht oder wollte nicht sehen, dass es sich bei der Globalisierung um eine "linke" Tarnung für ein Projekt handelte, dessen Profil erst unter George W. Bush deutlich wurde: das American Empire. Unter dem Titel die Nationen loszuwerden, die Welt zu einem großen und grenzenlosen "global village" zu machen, wurde der Alleinherrschaftsanspruch der USA, ein Nationalismus besonderer Art, transportiert.

Auch wenn Obama die extremsten Auswüchse der amerikanischen Weltherrschaft, die zu Konflikten mit den Partnern führten, zurücknehmen und Europa zurück ins gemeinsame Boot des Westens zu bringen versuchen wird, den losgetretenen permanenten Präventivkrieg kann er nicht stoppen. Die Rückkehr zu Clinton, der diese Kriege noch als globale Polizeiaktionen für die westlichen Werte zu verkaufen vermochte, wird nicht gelingen. Denn ein einmal begonnener Krieg lässt sich nicht so ohne weiters beenden. Er hat vielerorts Widerstand hervorgerufen, dem es um Selbstbestimmung geht.

Voraussetzungen dafür bleibt, dass die globale Oligarchie, die die Welt nach dem einzigen Kriterium des Profits beherrscht, gestürzt wird.

In diesem Umfeld gewinnt das Konzept der Nation neue, veränderte Bedeutung. Das gilt nicht nur für die Länder der Peripherie, in denen der Befreiungsnationalismus durch einen Widerstand beerbt wurde, der nationale, kulturelle und religiöse Identitäten mit einander vermengt. Sondern auch im Westen hat sich die Lage gewandelt.

Die Globalisierung und ihre diversen Institutionen wie die EU, die NATO, der IWF usw. bringen eine massive Entdemokratisierung mit sich. Im Namen des globalen Marktes, auf dem jeder reüssieren könne, wenn er nur tüchtig genug sei, wurden die Nationalstaaten zurückgedrängt, die immerhin der Ort der repräsentativen Demokratie sind. Die Forderung nach der Souveränität des Volkes bleibt - so formal sie ist - dennoch an den Nationalstaat gebunden. Er bleibt Subjekt der Politik, was sich in der Krise neuerlich anschaulich bestätigt. Die "Globalisierung von unten" in den Gegensatz zur Verteidigung des Nationalstaats zu setzen, war ein kolossaler Fehler der Antiglobalisierungsbewegung.

Heute, da sich die Eliten der Staaten zu ihrer Rettung bedienen, ist sonnenklar, dass um diesen Staat gekämpft, er erobert werden muss.

Die Nation als Substrat des Staates ist also nicht automatisch ein Konzept der Eliten. Diese sind vielmehr dem Zentrum USA und seinen Bündnispartnern wie EU etc. loyal. Da die Eliten in der Substanz nicht national handeln, drängt es sich auf, die Nation demokratisch und sozial, letztlich antikapitalistisch, als Herrschaft des Volkes zu interpretieren.

An dieser Stelle könnte der Einwand geltend gemacht werden: und was ist mit den Immigranten? Immerhin stellen sie einen erklecklichen Anteil der Bevölkerung der Metropolen, bilden ihren untersten Rand und werden vom Sozialpopulismus als Sündenbock benutzt. Dient der Begriff der Nation nicht dazu, dieser chauvinistischen Mobilisierung Vorschub zu leisten?

Tatsächlich symbolisiert die Kampagne gegen den Islam die Immigration als ganze, sie macht den Widerstand gegen die westliche Vorherrschaft und Ausbeutung zu etwas Fremden, das als Gefahr für die Anmaßung der überlegenen westlichen Werte droht. Die Islamfeindlichkeit dient so zur Identitätsstiftung für den Westen über alle soziale Schichten und politisch-kulturelle Demarkationen hinweg. Innere Widersprüche werden überdeckt und auf einen äußeren Feind gelenkt.

Doch das ist mehr kulturchauvinistisch als im klassischen Sinn nationalistisch. Es konstituiert eine westliche oder europäische Gemeinschaft, in die alte Feinde, wie die christlichen Slawen, sogar eingemeindet werden.

Die Linke sieht diese Suche nach einer Identität nach dem Zerfall der Klassendichotomie als gänzlich reaktionär an. Und zweifellos gibt es ein massives, reaktionäres Moment, nämlich insofern als Sündenböcke etabliert werden, Schuld zugewiesen und diskriminiert wird. Vor allem nimmt dieser Kulturchauvinismus, der bisweilen auch offen rassistische Aspekte aufweist, die Eliten aus der Pflicht.

Doch bedeutet das, dass man mit den Eliten offene Grenzen, einen globalen Arbeitsmarkt, den freien Verkehr der Ware Arbeitskraft fordern muss?

Das Bedürfnis und die Suche nach einer Identität selbst ist noch nicht reaktionär. Es geht darum, sie zu gestalten im Sinne des Andersseins gegenüber der globalen Herrschaft, des amerikanistischen Kapitalismus. Doch wo man dieses Recht auf Differenz in Anspruch nimmt, da muss man es auch den anderen zugestehen, sprich den Immigranten. Deren Recht sich nicht zu integrieren und zu assimilieren muss verteidigt werden. Das Recht anders zu sein, eine abgegrenzte kollektive kulturelle und nationale Identität zu äußern, bildet Teil der Selbstbestimmung. Es soll mit der Einschränkung gelten, dass es niemand anders diskriminiert. Das funktioniert in letzter Konsequenz nur im Interessensausgleich zur Bildung einer gemeinsamen Front gegen die Herrschaft der Eliten.


8. Solidarität und Gemeinschaft

Der Kapitalismus tendiert dazu, das völlig ungebundene, nackte Individuum herzustellen, der Mensch als des Menschen Wolf. Wir glauben hingegen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das sich nur in Kooperation, in Solidarität und Gemeinschaft mit anderen entfalten und verwirklichen kann. Emanzipation, insofern sie allen zukommt, ist an Gemeinschaftlichkeit gebunden, hat sie zur Voraussetzung.

Die globale Polis, die weltumspannende Gemeinschaft, in der die Allgemeininteressen mit jenen der Individuen in eins fallen, wie sie sich als Motiv durch die Aufklärung zieht, bleibt ein unerfüllbarer Wunschtraum. Vielmehr muss es darum gehen, den verschiedensten Gemeinschaften möglichst viel Selbstbestimmung einzuräumen und zwischen ihnen den Interessensausgleich zu organisieren. Dabei kommt dem Nationalstaat als Forum dieses Ausgleichs weiterhin eine entscheidende Rolle zu, auch wenn es zahlreiche darunterliegende und auch einige darüberliegende Ebenen geben muss. Voraussetzung dafür bleibt, dass die globale Oligarchie, die die Welt nach dem einzigen Kriterium des Profits beherrscht, gestürzt wird.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Eine Aktivistin der Neuen Antikapitalistischen Partei auf einer Demonstration in Straßburg.
- Das gelbe "M" von McDonalds symbolisiert für viele das kapitalistische System schlechthin.

Raute

KRISE

Banken kaputt

Anmerkungen zum Zustand der österreichischen Finanzwirtschaft

Von Stefan Hirsch

Nachdem hektische Reiseaktivitäten der österreichischen Bundesregierung stattgefunden hatten um ein "Osteuropa-Hilfspaket" zusammenzustellen, gab es einen Beruhigungs-Parcours. Raiffeisen und Erste Bank durften erklären, dass es ihnen bestens geht.


Grund genug, einen kleinen Blick in die Bücher der Ersten zu werfen, als Beispiel für das österreichische Banksystem, und weil Vorstandsvorsitzender Treichl (der eine knappe halbe Million pro Monat nach Hause nimmt) gar so sympathisch ist. Der Blick in die Bücher beschränkt sich auf die Veröffentlichungen der Ersten, wie sauber diese bilanziert wissen wir nicht. Aber etwa eine halbe Stunde reicht für die Fragestellung: Ist die Erste eigentlich Pleite, oder tatsächlich bei bester Gesundheit? Wie wahrscheinlich ist es, dass die Finanzkrise das österreichische Bankensystem liquidiert?

Im Zwischenbericht des 3. Quartals 2008 finden wir: Forderungen an Kunden: 125 Mrd., davon 21 Mrd. gegenüber anderen Banken. Forderungen an ausländische Kunden: 66 Mrd. Ausländische Kunden befinden sich natürlich in Osteuropa. Verhältnismäßig sichere Ausleihungen an Privathaushalte in Osteuropa sind dabei mit 27 Mrd. gegenüber riskanteren Unternehmenskrediten in der Minderheit. Der öffentliche Sektor spielt als Kreditnehmer fast keine Rolle. Wie viel in Osteuropa als Fremdwährungskredit vergeben wurde (Euro, Dollar, Franken oder Yen, die auf Grund der Währungsabwertungen in Osteuropa um bis zu 50 Prozent jetzt die Schuldner erdrücken) wissen wir nicht. Angeblich etwa 50 Prozent.

Für diese 125 Mrd. wurden im 3. Quartal 3,6 Mrd. als Risikovorsorge in der Bilanz auf die Seite gelegt, im 4. Quartal wurde diese Risikovorsorge gemäß Pressemitteilung erhöht, allerdings wissen wir nicht um wie viel. Um Verluste abzudecken gibt es neben der Risikovorsorge natürlich noch das Eigenkapital - die Eigenmittel der Bank, die sie sich nicht von Kunden oder anderen Banken ausgeborgt hat und die grundsätzlich den Aktionären gehören. Ohne jetzt zu tief in den Bankjargon zu gehen, gibt es etwa 10 Mrd. an Eigenkapital. Das kann man durchbrennen, bevor die Bank tatsächlich insolvent ist (mehr Schulden hat, als Vermögen).

Auf der anderen Seite finden wir im Vermögen der Bank auch sagenhafte 5 Mrd. "immaterielle Vermögenswerte". Diese Bewertung beruht auf den Preisen, die man bei der Übernahme osteuropäischer Banken für diese Firmen bezahlt hat, und verkörpert Dinge wie den Kundenstock. Sieht gut aus, in der Bilanz, ist aber lächerlich. Man müsste nur versuchen die rumänische Tochter der Ersten zu verkaufen, samt Kundenstock und den aushaftenden Krediten, um festzustellen, dass die niemand haben will. Die "immateriellen Vermögenswerte" wären realistisch also mit null anzusetzen, nicht mit 5 Mrd.

Milchmädchenrechnung: 4 Mrd. Risikovorsorge + 10 Mrd. Eigenkapital - (zumindest) 5 Mrd. kreative Bilanzierung = 9 Mrd. Der Spielraum für Kreditverluste liegt also bei 9 Mrd. Keine zehn Prozent der vergebenen Kredite.

In der schwersten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren, wäre das auch für Österreich nicht besonders viel. Aber Osteuropa steckt in einer massiven Zahlungsbilanzkrise. Lateinamerikanische Schulden sind Ende der 80er Jahre mit 30 Cent für den Dollar gehandelt worden - wir wollen hier keinen solchen Wert vorhersagen, aber das ist durchaus im Rahmen des Möglichen.

Schlussfolgerung: aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Erste Pleite. Und mit der Ersten wohl das gesamte österreichische Bankensystem, weil die anderen Banken ähnliche Bilanzen aufweisen und sie sich alle gegenseitig Geld geborgt haben. Falls kein gigantisches Osteuropapaket von IWF und EU kommt, bleiben die Schulden im österreichischen Budget hängen. Dafür sorgt das Bankenhilfspaket.

Raute

ARABISCHER RAUM

Unbeendeter Krieg, unvollkommener Sieg

Eine Bilanz des Massakers

Von Mohammad Aburous

Wie erwartet, artete die israelische Offensive im Gazastreifen in einem Massaker an der Zivilbevölkerung mit 1.300 Toten sowie in einer sinnlosen Zerstörung von über 14.000 Wohneinheiten aus.


Israel stellte plötzlich den offiziellen Angriff ein, und die palästinensischen Organisationen verkündeten aus Damaskus eine "einwöchige Einstellung der militärischen Aktionen". Beide Seiten gaben sich daheim als Sieger: Die israelische Regierung definiert ihren Sieg über die angeblichen Tötungen von vielen Hamas-Aktivisten und über die tatsächliche Einstellung des Raketenbeschusses aus Gaza. Hamas sieht ihren Sieg im Standhalten der Widerstandskräfte gegen einen wuchtigen israelischen Angriff. Die Regierung von Hamas konnte nicht gestürzt werden. Im Gegenteil: ihre Herrschaft über Gaza und ihr Rückhalt in der Bevölkerung wurden durch den Angriff gefestigt.

Was das Kriegsziel Israels betrifft, nämlich den Raketenbeschuss zu stoppen und die Hamas zu vernichten bzw. substantiell zu schwächen, so konnte Israel weder den Raketenbeschuss aufhalten, noch konnte man der Hamas bedeutende Verluste zufügen (abgesehen vom ersten Überraschungsangriff auf die Polizeischule, wobei es sich hier bei den Toten um neue Rekruten für die Polizei handelte). Auf der anderen Seite konnte Hamas der israelischen Armee ebenfalls keine sichtbaren Verluste zufügen. Weder ließ die israelische Militärzensur Informationen durch, noch konnte Hamas die eigenen Angaben über hohe Verluste bei den Angriffen beweisen. Einen Sieg wie den von Hizbullah im Libanon-Krieg, wo die israelische Armee eine Militärblamage erleben und eingestehen musste, konnte die Hamas nicht vorweisen. Somit war der Krieg für die israelische Regierung vertretbar in der israelischen Öffentlichkeit, die traditionell mehrheitlich hinter der Armee steht und erst gegen diese protestiert, wenn die Verluste zu hoch sind.


Ein wackeliger Waffenstillstand

Der angekündigte Waffenstillstand wurde durch ägyptische, türkische, dann wieder ägyptische Vermittlung verlängert und offiziell gemacht. Er wurde auch von den palästinensischen Organisationen eingehalten. Gestört wird der Waffenstillstand durch israelische Bombenangriffe, die manchmal von den Palästinensern erwidert werden. Auf der palästinensischen Seite sieht man deutlich ernsthaften Willen, einen Waffenstillstand aufrecht zu erhalten. Dies nützt Israel aus, um die Angriffe mit niedrigerer Intensität fortzusetzen. Die Blockade des Gazastreifens wurde kaum gelockert.

Die Blockade, die von Israel über den Gazastreifen verhängt wurde, machte schon den sechsmonatigen Waffenstillstand zunichte, den die Hamas letztes Jahr akzeptiert hatte. Damals hatte Hamas auch die Forderung bekräftigt, dass dieser künftig auf das Westjordanland ausgedehnt und die politische und physische Blockade durch diplomatische Bemühungen aufgehoben wird. Hingegen benützte die israelische Regierung ihre Verfügungsgewalt über alle (Über-)lebensmittel (Nahrung, Wasser und Energie), um mehr Druck auf Gaza auszuüben. Das Ergebnis dieser Blockade war eine humanitäre Katastrophe, die schon lange vor dem intensiven israelischen Angriff begonnen hatte. Das war der Grund, warum Hamas im Dezember eine Verlängerung des Waffenstillstands ablehnte. Dieser Eskalation folgte der Krieg.

In der jetzigen Version des Waffenstillstands, die von der ägyptischen Regierung ausgehandelt wurde, bleibt die Blockade praktisch aufrecht: Israel kontrolliert indirekt über ägyptische und eventuell internationale Sicherheitsapparate den Personen- und Güterverkehr über die Grenzen und behält die Kontrolle über Luft und Wasser. Die ägyptische Regierung garantiert die Zufuhr von lebenswichtigen Gütern in den Gazastreifen (Hamas machte den Fehler, darauf einzugehen und über die Kapazitäten zu verhandeln, für die die Grenzübergänge für Güter und Personen geöffnet werden).

Hamas akzeptierte diese Rahmenbedingungen als Verhandlungsbasis und verzichtete praktisch auf die bedingungslose Totalaufhebung der Blockade. Gleich wurde der israelische Ton härter und die Regierung Ehud Olmerts versuchte den Waffenstillstand mit der Freilassung des gefangenen israelischen Soldaten zu verknüpfen.

Wie auch immer die Waffenstillstandsverhandlungen ausgehen, wird sich Hamas erneut verpflichten müssen, die eigenen militärischen Aktionen einzustellen und jene der anderen Organisationen zu verhindern.


Wiederaufbau als Schleichweg für Oslo

Die "Palästinensische Behörde" in Ramallah (PNA), hatte zum Beginn des israelischen Angriffes Schwierigkeiten gehabt, den israelischen Angriff scharf genug zu verurteilen. Sie machte auch Hamas und die Aktionen des Widerstands für den israelischen Angriff schuldig. Einer der Regierungssprecher beglückwünschte sogar die Bevölkerung von Gaza zur "baldigen Rückkehr der legitimen Regierung". Diesmal wurden nicht nur in den arabischen Hauptstädten, sondern auch in den Städten im Westjordanland die Protestdemonstrationen brutal niedergeschlagen. Die Polizei der PNA schloss sich bei der Unterdrückung der Proteste praktisch der israelischen Armee an. Es wurde auf Demonstranten geschossen. Alle Symbole von Hamas wurden von der PNA verboten. Die Rolle von Abbas und seiner Behörde war bei diesem Krieg deutlicher erkennbar denn je zuvor.

Am 2. März fand im ägyptischen Badeort Scharm El Scheikh eine internationale Konferenz von Geldgebern zum "Wiederaufbau" von Gaza statt. Die Konferenz war prominent besetzt, mit niemand Geringerem als der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton, dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und weiteren Staatsoberhäuptern aus Europa und dem Nahen Osten. Eine Summe von etwa drei Milliarden Euro wurde von den USA, Europa und den arabischen Golfstaaten versprochen, die jedoch ausschließlich an die PNA in Ramallah fließen sollen. Die Hamas-Regierung wurde selbstverständlich von allen Geberkonferenzen ausgeschlossen.

Gleichzeitig konfiszierte die ägyptische Regierung jede Geldsumme, die direkt für Gaza bestimmt war und übergab sie der PNA. Auch der Personenverkehr ist weiterhin strikt eingeschränkt und nur in Koordination mit Israel und mit der Behörde von Ramallah möglich.

Nun wird der "Wiederaufbau" von Gaza politisch instrumentalisiert, um die PNA und die Vormundschaft des ägyptischen Regimes über Schleichwege nach Gaza zurück zu bringen. Die katastrophale Situation in Gaza wird von den arabischen Regimes und der PNA benützt, um Hamas politisch in Schach zu halten.

Die Souveränitätsfrage wird in eine humanitäre Frage umgewandelt, bei der es darum geht, Wohnungen, Nahrung und Medikamente für das isolierte Gebiet zu beschaffen.

Israel und Ägypten kontrollieren die Güterzufuhr. Um das Milliardengeschäft des Wiederaufbaus raufen schon die Unternehmer, die großteils palästinensische Politiker aus Ramallah sind.

Um Gaza wiederaufzubauen, muss Hamas mit der PNA und Abbas verhandeln. Abbas wird dadurch seine Legitimität als Präsident bestätigen, nachdem seine Amtszeit und somit in den Augen von Hamas auch seine Akzeptanz als Präsident am 9. Jänner abgelaufen war.


Ende von "Dauerlösungen"

Der israelische Angriff auf Gaza war der Höhepunkt einer Konfrontation, die mit dem Wahlsieg von Hamas begonnen hatte.

Was Israel von den Palästinensern fordert, ist schlicht die totale Kapitulation: Bedingungslose Anerkennung Israels (was für die Palästinenser eine Legitimierung der Katastrophe von 1948 bedeutet, durch welche ihre Lebesgrundlage für Generationen zerstört wurde), Eingliederung in den Oslo-Prozess und Annahme der Kollaborationsrolle, welche der PNA zustehen soll.

Die Hamas fordert hingegen die Aufhebung der Blockade als Basis für einen ernsthaften, beidseitigen Waffenstillstand. Die politische Forderung ist auch die Anerkennung der gewählten Regierung und ihrer Souveränität. Hamas ist auch zu einem dauerhaften Waffenstillstand bereit, falls Israel aus den im Jahr 1967 besetzten Gebieten abzieht.

Israel hat längst seine Vorstellung von einer Dauerlösung der Palästina-Frage aufgegeben, die von einer schwachen palästinensischen Führung diktiert wird. Das Minimum der PLO-Forderungen wäre ein souveräner Staat im Westjordanland und in Gaza. Diese Möglichkeit wurde nach dem Oslo-Abkommen von den israelischen Bulldozern und unter den israelischen Siedlungen und Mauern begraben. Der Tod von Arafat bedeutete auch das Ende dieser Phase.

Die israelische Führung hat sich nun auf eine Dauerkonfontation mit den Palästinensern eingestellt, wo systematisch Tatsachen geschaffen werden, um die Palästinenser dauerhaft in einem minimalen Teil des Landes unter Kontrolle zu halten. Für diesen Zweck wird abwechselnd verhandelt und mit Gewalt verfahren. Die israelische Politik behält dabei denselben Charakter.


Noch keine Sieger, weil der Krieg noch läuft

Das abrupte Ende dieser Offensive kann auf die objektive Unmöglichkeit zurückgeführt werden, eine schnelle militärische Entscheidung (vor dem Amtsantritt Obamas?) zu erreichen. Wo jetzt unter dem neuen US-Präsidenten global eine Deeskalierung erwartet wird, verfolgt Israel nun seine Ziele über andere Wege, zumindest bis das Vorhaben der neuen US-Administration deutlicher wird, und um bis dahin weitere vollendete Tatsachen zu schaffen.

Der Widerstand, der sowohl militärisch als auch politisch unter extrem widrigen Umständen agiert, hat einen Sieg errungen, indem er trotz des gewaltigen Angriffes die von ihm befreite und regierte Zone behalten konnte. Auch da wird der Kampf politisch weiter geführt.

Inwiefern das Ringen um politische Anerkennung politische und vor allem programmatische Entbehrungen mit sich bringt (sprich: wie weit Hamas bereit ist, sich im regionalen Regime zu integrieren) ist noch offen. Auch wenn Hamas dazu bereit wäre, ist es sehr fraglich, ob Israel dies zulassen würde.

Die fragile Autonomiebehörde wird im Westjordanland künstlich am Leben erhalten, um den Widerstand zu unterdrücken. Es ist trotzdem fraglich, wie lange sie dazu in der Lage sein wird.

In Gaza hingegen, wo die hierarchischen Behördenstrukturen durch die israelischen Bombardierungen dem Boden gleich gemacht wurden, steht die Widerstandsbewegung gerade auf diesem Boden, näher zu ihren Massen denn je.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Bedrohung gehört zur täglichen Realität für die Palästinenser.

Raute

ARABISCHER RAUM

"Angst rechtfertigt nicht die Auslöschung"

Reflexion über die Ein-Staat-Lösung

Von Avigail Abarbanel

Die einzige gerechte Lösung ist ein demokratischer und säkularer Staat für beide Völker einschließlich des Rechts auf Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge.


Vor kurzem konnte ich bei einem von einer australischen pro-palästinensischen Aktivistengruppe organisierten Abendessen Ali Abunimah sprechen hören. Abunimah, ein Autor und Mitbegründer der "Electronic Intifada", tritt für die Ein-Staat-Lösung in Palästina/Israel ein - so wie ich das auch tue. Die einzige gerechte Lösung für den nun schon lange andauernden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist ein demokratischer und säkularer Staat für beide Völker einschließlich des Rechts auf Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge. Abunimah sieht optimistisch in diese mögliche Zukunft. Ich wünschte ich könnte seinen Optimismus teilen, aber es gelingt mir nicht so recht.

Ich bin in Israel aufgewachsen und dadurch ist mir die israelisch-jüdische Psyche sehr vertraut. Teil meiner frühesten Erinnerungen ist es, dass uns in Israel immer gesagt wurde, dass Juden nirgendwo anders hingehen könnten, weil sie nirgends sonst auf der Welt willkommen seien. Als mein früherer Mann und ich vor siebzehn Jahren nach Australien emigrieren wollten, waren die meisten unserer Bekannten bestürzt über unsere Entscheidung. Viele sagten mir, das wäre ein großer Fehler. Der Herzchirurg meines Vaters beispielsweise war geschockt, als er die Nachricht über die Emigration hörte und sagte, dass er nicht verstehe, wie ich nur diesen Gedanken fassen konnte, und dass er nie irgendwo leben könnte, wo auch nur ein Antisemit sein könnte. So wie viele andere glaubte er, dass Juden nur in Israel in Sicherheit leben könnten.

Diese Vorstellung, dass Israel der einzig sichere Ort für Juden ist, ist entscheidend für ein Verständnis der Wurzeln des palästinensisch-israelischen Konflikts als auch der gegenwärtigen israelischen Politik und Perspektiven. In der Frage des Zusammenlebens misstraut die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Nichtjuden. Seit jeher ist die Botschaft ihrer Erfahrungen und ihres kulturellen Verständnisses, dass Herrscher, Regierungen und Bevölkerungen sich ohne Vorwarnung Juden gegenüber feindlich verhalten können. Es gehört zum jüdischen Selbstverständnis, dass sich die Verhältnisse über Nacht gegen die Juden wenden können, unabhängig davon, wie lange sie irgendwo lebten oder wie unauffällig und wohl integriert sie waren oder wie viel sie zur Entwicklung einer Gesellschaft beitrugen.

Angesichts der Geschichte von Verfolgungen in Europa, Pogromen, diskriminierenden Gesetzen, Vertreibungen, Ghettos und schließlich des systematischen Plans der totalen Auslöschung kann man es Menschen nicht verdenken, dass sie sich unsicher fühlen.

Sie glauben wirklich daran, dass mit der Aufgabe eines exklusiv jüdischen Staates alle Juden in der ganzen Welt einem neuen möglichen Holocaust ausgeliefert wären.

Israel ist nicht erst 1948 oder wegen des Holocaust entstanden. Seine Wurzeln sind der Zionismus, die jüdische nationale Bewegung, die im späten 19. Jahrhundert geboren wurde. Das Projekt des Zionismus sollte der prekären Situation der europäischen Juden durch die Schaffung eines ausschließlich jüdischen Staates ein Ende setzen. Die Logik war einfach: Wenn es für die Juden in den Ländern, in denen sie lebten, nicht möglich war sicher zu leben oder bedingungslos willkommen zu sein, dann brauchten sie ihren eigenen Staat. Das bedeutet einen Staat, der ausschließlich von Juden regiert wird und Nichtjuden möglichst ausschließt. Zuerst wurde debattiert, wo diese "jüdische nationale Heimstätte" sein sollte, aber dann einigte sich die gesamte zionistische Bewegung auf Palästina wegen seiner spirituellen Bedeutung für die Juden. Es war bekannt, dass Palästina besiedelt war, und wurde von den Führern der zionistischen Bewegung auch offen gesagt. Dies wurde zwar bedauert, änderte aber nichts an dem Plan eine nationale Heimstätte für die jüdischen Menschen zu schaffen, weil sie diese bitter nötig hätten.

Im zionistischen Projekt rechtfertigen die schon beschriebenen Ängste ethnische Säuberung. Ideen bezüglich eines Transfers der ansässigen nichtjüdischen Bevölkerung von Palästina - also der Palästinenser - irgendwo anders hin, um Raum für einen exklusiv jüdischen Staat zu schaffen, existierten lange vor 1948. Das Wort "Transfer" ist im modernen Hebräisch ein Euphemismus für "ethnische Säuberung", für die Idee oder den Plan, die Palästinenser massenweise und so weit weg wie möglich von den Grenzen Israels zu vertreiben.

Der Prozess der ethnischen Säuberung Palästinas begann 1948 unter dem Vorwand des Krieges, wurde jedoch nicht abgeschlossen. Er findet noch ständig statt und israelische Gelehrte wie Ilan Pappe glauben, dass die Situation eskaliert. Die zionistische Ideologie ist die Charta, an der sich das heutige Israel orientiert. Dies zu verstehen ist essentiell für das Verständnis der Dynamik des palästinensisch-israelischen Konflikts und für die Analyse des Verhaltens Israels.

Israels Charta ist einfach, da sie von der grundlegenden Überzeugung ausgeht, dass Juden nur in einem exklusiv jüdischen Staat sicher leben können und folglich muss Israel so aufrecht erhalten werden, dass es der sichere Hafen für alle jüdischen Menschen bleibt. Ausgehend von ihren Erfahrungen und ihrem nationalen und religiösen Kontext sind sie fest davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann sich die Verhältnisse wieder gegen die Juden wenden werden. Dass es passieren wird, steht außer Frage und dann wird es den Staat Israel geben, der sie aufnimmt und rettet. Ich spreche von "sie" und nicht von "wir", denn ich persönlich habe diesen Vorstellungen den Rücken gekehrt und bin nicht bereit, mein Leben im Schatten dieses Konzeptes zu leben. Viele Israelis sehen dies als naiv oder sogar verrückt an. Ich habe jedoch für mich beschlossen, aus diesem Gedankengefängnis auszubrechen und meine Chancen in der Welt zu ergreifen, denn ich glaube nicht, dass ich in einem permanenten Zustand der Angst ein lebenswertes Leben führen und meinen Beitrag in der Welt leisten kann.

Die Entwicklung des Staates Israels und sein Agieren in der Region entsprechen voll und ganz seinen grundlegenden Satzungen. Israel geht davon aus, dass es möglichst viel Land und natürliche Ressourcen (wie zum Beispiel Wasser, das in der Region knapp ist) an sich reißen muss, um für die 13 Millionen Juden, die unter den Bedingungen neuerlicher Judenverfolgungen aus allen Teilen der Welt nach Israel strömen werden, Zufluchtsort zu sein. Israel müsste eine funktionierende Wirtschaft, Infrastruktur und Wohnraum bieten können. Es müsste ein moderner Staat sein, in dem sich die Juden aus der westlichen Welt - gewöhnt an Technologie, Kapitalismus und Wohlstand - wohl fühlen könnten.

Wenn man also die grundlegenden Aspekte des israelischen Staates versteht, wird einem klar, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinensern eine logische Folge der Charta ist. Es überrascht mich, dass ich keine politische Analyse kenne, wo dies offen diskutiert wird.

Im Wesentlichen geht es bei dem palästinensisch-israelischen Konflikt also nicht um Wirtschaftliches, nicht um Öl oder den "Kampf gegen den Terror", nicht um religiöse oder regionale Loyalitäten, sondern es geht um eine uralte Geschichte von Verfolgungen und den Kampf ums Überleben. Dieser werden alle anderen Überlegungen untergeordnet. Israels Loyalitäten sind praktischer Natur und lassen kaum Raum für Sympathien mit anderen Völkern oder Ländern. Die Sichtweise der Israelis orientiert sich daran, was für Juden gut oder schlecht ist, und aus diesem Blickwinkel wird die Welt rundherum genauestens beobachtet. So wie ich mit dieser Sichtweise aufwuchs, tun es alle israelischen Kinder - die Welt wird aus diesem engen Blickwinkel beurteilt.

Wenn wir dieses Konzept verstehen, können wir begreifen, warum Verhandlungen mit Israel so wenig bedeuten, warum Israel den Siedlungsbau auf palästinensischem Land nie aufgegeben hat und sein Territorium ständig erweitert, warum es das Leben der Palästinenser innerhalb und außerhalb Israels so unendlich schwer macht, warum es die Palästinenser so brutal auf immer kleiner werdende Gebiete zurück drängt und warum es auf den palästinensischen Widerstand mit solch unverhältnismäßiger Gewalt reagiert. Für Israel ist es entscheidend den palästinensischen Widerstand zu brechen, nicht nur wegen des Leidens, das der bewaffnete Widerstand in Israel verursacht, sondern um jegliche Bestrebungen und Hoffnungen der Palästinenser auf Rückkehr in ihr Heimatland zunichte zu machen. Das ist für das Bestehen eines exklusiv jüdischen Staates notwendig.

Wegen seiner Charta und der Art und Weise wie es entstand, ist Israel ein Land, das auf rassistischen Prinzipien aufgebaut ist. Die Ein-Staat-Lösung würde Israel in ein Land wie viele andere verwandeln, wo Juden mit Nichtjuden zusammen leben. Das würde bedeuten, das Konzept der sicheren Heimstätte für Juden aufzugeben und es gäbe keine Garantie, dass der neue pluralistische Staat Juden, die Sicherheit vor Verfolgung bräuchten, aufnehmen würde. Israelische Juden und viele Zionisten in der ganzen Welt sind der Ansicht, dass das Ansinnen mit dem palästinensischen Volk zusammen zu leben gleichbedeutend wäre mit der Aufforderung sich wieder in einen Zustand der Unsicherheit und der potentiellen Opferrolle zu begeben. Das ist für sie einfach unvernünftig und sie würden nie freiwillig einer Lösung zustimmen, die die Idee ihrer sicheren Heimat aufs Spiel setzen würde. Das ist einer der Gründe, warum die Zionisten jede Art von Kritik an Israel mit den ständigen Vorwürfen, dies sei Antisemitismus, abschmettern. Sie glauben wirklich daran, dass mit der Aufgabe eines exklusiv jüdischen Staates alle Juden in der ganzen Welt einem neuen möglichen Holocaust ausgeliefert wären.

Für mich ist klar, dass diese auf Angst gegründete, rassistische und unmoralische Ideologie überwunden werden muss, wenn Gerechtigkeit für die Palästinenser erreicht werden soll, denn die Angst eines Volkes rechtfertigt in keinster Weise die Auslöschung eines anderen. Ich glaube aber nicht, dass die Palästinenser warten können, bis sich die jüdische Psyche ändert und sich die Juden so sicher in der Welt fühlen, dass sie die Idee eines exklusiv jüdischen Staates fallen lassen.

Ich glaube, dass starker internationaler Druck auf Israel notwendig sein wird (oder es findet tatsächlich ein Gesinnungswandel auf der Seite der Israelis statt), damit eine Ein-Staat-Lösung Realität werden kann. Ich wäre gern optimistisch und würde gern an den Gesinnungswandel glauben, aber es fällt mir schwer. Meine Zweifel sind in meinen Erfahrungen begründet - letztendlich war das ja mein ideologischer Hintergrund. So muss also die Weltöffentlichkeit in diesem Konflikt entschieden auftreten - so wie es auch in der Frage Südafrika der Fall war - um das palästinensische Volk zu retten. Andernfalls geht der Prozess weiter, wo ein Volk für ein anderes geopfert wird.

Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Lindner-Riegler. Erstmals erschienen auf electronicintifada.net.
[Der Schattenblick veröffentlicht den Beitrag mit der freundlichen Genehmigung der Autorin.]


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Wohnhäuser im Gazastreifen, die während des Angriffs der israelischen Armee im Januar 2009 zerstört wurden.

Raute

ARABISCHER RAUM

Das Elend der Palästinenser

Der ILO-Bericht - Teil II

Von Peter Melvyn

Auszüge aus dem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation über die "Lage der AbeiterInnen in den besetzten arabischen Gebieten", Internationale Arbeitskonferenz, Genf, 97. Sitzung, 2008.


In seinem Vorwort betont der Generaldirektor der ILO, Juan Somavia, die sich verschlechternde Beschäftigungssituation. Mit der beinahe totalen Abriegelung des Gazastreifens und den weiteren Behinderungen der Bewegungsfreiheit von Menschen und Gütern im Westjordanland und in Ostjerusalem, ist das wirtschaftliche und politische Leben weitgehend zersplittert. Nur eine von drei Personen hat eine Anstellung. Unternehmen schließen oder arbeiten weit unter ihrer Kapazität. Ungefähr die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung ist von internationaler Lebensmittelhilfe abhängig. Die Arbeitslosigkeit ist hoch in der qualifizierten jüngeren Generation, insbesonders unter Frauen. Durch wiederholte israelische Militärangriffe und mangelnde Bewegungsfreiheit wächst die wirtschaftliche und soziale Notlage. Seit der Konferenz in Annapolis gibt es zwar Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern, doch teilten zahlreiche Gesprächspartner die Besorgnis des ILO-Teams hinsichtlich der tiefen Kluft zwischen den Verhandlungen, die bislang keine Fortschritte zeigten, und den "facts on the ground" wie Sperren, Barrieren, die Trennungsmauer, militärische Angriffe, Bau und Ausbau von Siedlungen, Erweiterung des "Nur für Siedler" Straßensystems, die Trennung Ostjerusalems von den besetzten Gebieten.

Das dichte Netz der Siedlungen und die sich daraus ergebende Zersplitterung palästinensischen Territoriums haben schwerwiegende Folgen für den Zugang der Palästinenser zu Produktionsmitteln und Arbeitsplätzen. Ende 2006 lebten 450.000 Israelis in diesen Siedlungen, einschließlich Ostjerusalem, und weitere 17.000 im besetzten syrischen Golan. Bau von und in Siedlungen wurde 2007 und 2008 fortgesetzt, trotz wiederholter Aufrufe der internationalen Gemeinschaft dem Bau ein Ende zu setzen.


Verhandlungen

Nach Meinungsumfragen im März 2008 befürworten 60% der palästinensischen Bevölkerung Friedensverhandlungen, Normalisierung der Beziehungen mit Israel, Ende der Besatzung und Errichtung eines palästinensischen Staates. Gleichzeitig sind 80% der Meinung, dass die Verhandlungen erfolglos enden würden. Obwohl 68% die gewalttätige Machtübernahme der Hamas ablehnen, unterstützen 49% eine nationale Einheitsregierung unter der Führung des Hamas Premiers Haniyeh, im Gegensatz zu den 38%, die die Fatahregierung des Premiers Fayyad bevorzugen.


Die Arabische Liga

Auf ihrer Konferenz in Damaskus im März 2008, erklärten die Mitgliedstaaten, dass sie die Arabische Friedensinitiative an Israel von 2002 neu erwägen würden, angesichts seines mangelnden Willens den Bedingungen nachzukommen. In seiner Rede während der Konferenz drückte der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas seinen Pessimismus über die Verhandlungen mit Israel aus, angesichts des fortgesetzten Siedlungsbaus und der täglichen militärischen Aktionen.


Beschränkung der Bewegungsfreiheit

Wie bereits im Bericht von 2007 aufgezeigt, verhindern Kontrollpunkte, Straßenbarrieren, Metallabriegelungen, Erdhügel, Schranken u.a. die Bewegungsfreiheit. Dazu kommt noch der Bau der Trennungsmauer. Gaza ist vom Rest der Welt abgeriegelt. Laut der israelischen Regierung sind diese Behinderungen für Israels Sicherheit erforderlich, doch stehen diese Maßnahmen nach Ansicht der Palästinensischen Behörde, den Vereinten Nationen, Menschenrechtsorganisationen u.a. in keinem Verhältnis zu einer angeblichen Bedrohung und kommen Kollektivbestrafungen gleich. Die Kommission für die Abschaffung rassischer Diskriminierung der Vereinten Nationen drückte über diese Maßnahmen und Praktiken ihre tiefe Besorgnis aus. Sie stehen auch in keiner Weise im Einklang zu internationalem Recht, mit den Verpflichtungen einer Besatzungsmacht gegenüber der Bevölkerung in den von ihr besetzten Gebieten. Im Jahre 2008 haben sich trotz der Friedensverhandlungen die Sperr- und Isolierungsmassnahmen intensiviert, insbesondere in Hebron und Nablus. In Hebron waren 1.829 Unternehmen und Geschäftslokale gezwungen zu schließen.


Die Trennmauer

Die geplante Länge der Mauer beträgt 723 km, von denen 57% zu Jahresbeginn fertig gestellt waren. Der Internationale Gerichtshof rief in einem Urteil vom 9. Juli 2004 zu einer sofortigen Beendigung des Mauerbaus auf, das in der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 20. Juli bestätigt wurde. Nur 20% der Mauer folgen der "Grünen Linie", der ursprünglichen Grenze, 9,5% liegen in einer sogenannten "Nahtzone", auf fruchtbarem, von palästinensischen Bauern bearbeiteten Boden und auf Wasserressourcen zwischen der Grünen Linie und der Mauer, und ist vom Westjordanland abgeschnitten. 80% aller israelischen Siedler werden zu dieser Nahtzone gehören und mit Israel verbunden. Alle Palästinenser über 16 Jahre, die in dieser Zone wohnen, werden eine spezielle Genehmigung brauchen, um dort (in ihrem eigenen Land!) leben zu dürfen.


Gaza

Nach der Machtübernahme durch die Hamas im Juni 2007 - nach ihrem Wahlsieg im Januar 2006 - intensivierte Israel die wirtschaftliche Blockade, erklärte Gaza zu einem "feindlichen Gebilde" und erschwerte beträchtlich jegliche Bewegungsfreiheit von Menschen, z.B. von Studenten mit Auslandsstipendien und von Kranken, wie von Waren, außer den allernötigsten humanitären Gütern. Die Folgen dieser totalen Sperre waren und sind weiter verheerend. Laut der Weltbank mussten von 3.900 industriellen Unternehmen, die es noch im Juni 2005 gab und 35.000 Arbeiter beschäftigten, 96% schließen. Im März 2008 waren es nur noch 130 mit 1.200 Beschäftigten. Die 100 Baufirmen mit 41.000 Arbeitern, die für Zement und anderen Waren völlig von Israel abhängen, mussten ihre Bauvorhaben einstellen. Davon sind auch die Entwicklungsprogramme der Vereinten Nationen betroffen. Ebenso sind alle Exporte aus Gaza unmöglich geworden wie Möbel, Textilien, landwirtschaftliche Produkte, Schnittblumen. Diese Situation führte zu Gewalttätigkeiten auf beiden Seiten - häufigen Luft- und Landangriffen Israels, Qassamraketen seitens der Hamas auf israelische Ortschaften, mit 296 palästinensischen und 11 israelischen Todesopfern in den ersten Monaten des Jahres 2008.

Doch stehen diese Maßnahmen in keinem Verhältnis zu einer angeblichen Bedrohung und kommen Kollektivbestrafungen gleich.



Immer mehr israelische Siedler

Die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten nutzen Land, Wasser und andere Ressourcen, die palästinensischen Bauern, Arbeitern und Unternehmen nicht zugänglich sind. Über 89% der Siedlungen sind ganz oder teilweise auf palästinensischem Land errichtet. Der Internationale Gerichtshof und die UN-Vollversammlung haben wiederholt auf die Illegalität der Siedlungen in den besetzten Gebieten und in Ostjerusalem hingewiesen, da sie gegen internationales Recht verstoßen und ein Hindernis zu Frieden und zu wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung darstellen. Nichtsdestoweniger gehen die Siedlungstätigkeiten weiter. Laut des palästinensischen statistischen Zentralamts bestehen 144 Siedlungen, davon 26 in Ostjerusalem, mit einer Bevölkerung von 476.760, - 16% der Gesamtbevölkerung des Westjordanlandes, 44% der Bevölkerung von Ostjerusalem. Dazu kommen noch 195 sogenannte "Outposts", bestehend aus temporären Wohneinheiten, die selbst die israelischen zivilen und militärischen Autoritäten für illegal erklären. Der einer israelischen Juristin 2005 in Auftrag gegebene Bericht darüber blieb ohne Folge. 38% des Westjordanlandes sind gegenwärtig von Siedlungen oder militärischen Sperrgebieten in Besitz genommen. Dies führt zu einer Aufsplitterung in isolierte palästinensische Wohngebiete, die durch Straßensperren voneinander getrennt sind.


Der besetzte syrische Golan

Die syrischen Staatsbürger der besetzten Golanhöhen bewirtschaften seit Generationen ihre Ländereien und Obstplantagen. Ihr Lebensunterhalt ist zunehmend bedroht durch Landenteignung, Entwurzelung und Zerstörung von Bäumen und Sämlingen, Diskriminierung hinsichtlich Zugang zu Wasser und Baugenehmigungen durch Israel. Den jüdischen Siedlern werden 750 m3 Wasser per Dunam Land zugeteilt, den arabischen Bauern 150 m3. Als Folge dieser ungleichen Zuteilung können die arabischen Bauern Äpfel nicht in gleicher Qualität und Quantität produzieren wie die jüdischen Siedler. Diese Praktiken verstoßen gegen die Standards und Prinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation wie auch gegen internationales Recht.


Beschäftigung

Die palästinensischen Arbeitskräfte sind von einer tiefen Beschäftigungskrise betroffen. Die Hauptursache ist die bereits erwähnte Beschränkung an Bewegungsfreiheit. Das palästinensische Durchschnittseinkommen war 2006 in Israel 19mal größer als in den besetzten Gebieten. Die Arbeitslosenrate lag bei 18%, in Gaza 30%, doch darf nicht übersehen werden, dass die meisten Arbeitnehmer nicht vollzeitlich beschäftigt sind. Die Arbeitslosenrate ist am höchsten bei den 15 - 24jährigen, 30% im Westjordanland und 60% in Gaza. Die Mehrheit der Arbeitslosen und Teilzeitbeschäftigten sowie 37% der Beschäftigten leben unterhalb der Armutsgrenze.


Demographische Aspekte

Laut dem Zensus von 2007 beträgt die Gesamtbevölkerung der besetzten Gebiete 3,8 Millionen, - 45% unter 14 Jahren. Das Bildungsniveau ist relativ hoch mit 84% in Grundschulen und 64% im Sekundärbereich. 11.000 studieren an Universitäten, ein Drittel aller Jugendlichen über 15 befindet sich in Ausbildung.


Zur Lage der Gewerkschaften

Der Mangel an Bewegungsfreiheit erschwert erheblich jegliche gewerkschaftliche Tätigkeit. Besonders schwierig ist die Lage in Gaza, da seit Juni 2007 das Islamic Workers Committee der Hamas die Lokale der palästinensischen Gewerkschaften (PGFTU) besetzt hält, wogegen die International Trade Union Federation als Verstoß gegen gewerkschaftliche Grundrechte Einspruch erhob. Zusätzlich wurde im Februar 2008 das 5-stöckige Gewerkschaftszentrum der PGFTU, das in Gaza mit Hilfe der norwegischen Gewerkschaften errichtet wurde, von der israelischen Luftwaffe zerstört. Das ILO-Team erörterte dies mit den israelischen Behörden. Trotz aller Schwierigkeiten setzt die PGFTU ihre Arbeit im Westjordanland fort, schloss Kollektivverträge in mehreren Sektoren ab und verwaltet weiterhin die Arbeiterkrankenversicherung.


Schlussfolgerungen

Die ILO-Mission fand in den besetzten Gebieten im April 2008 eine äußerst desolate Situation in den Arbeits-, Beschäftigungs- und Sozialbereichen, einen über die Jahre gesunkenen Lebensstandard, einen hohen Grad an Armut und eine Verschlechterung in der Qualität der Beschäftigungen. Die sich ausbreitende Beschäftigungskrise verdeutlicht sich in einer systematischen Missachtung der Grundrechte der palästinensischen ArbeiterInnen auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Diskriminierung in Bewegungsfreiheit und in Zugang zu Arbeit und Ressourcen sind weit verbreitet. Das System der Sperren und Genehmigungen im Westjordanland, die Isolierung des Gazastreifens und die zunehmende Abgrenzung Ostjerusalems trägt nichts zur Sicherheit von Israelis und Palästinensern bei. Die Bewegungsmöglichkeiten von Personen und Gütern ist äußerst begrenzt, wenn nicht oft völlig unterbunden. Die Bevölkerung überlebt mit internationaler Hilfe und von unregelmäßiger Arbeit. Die palästinensische Autonomiebehörde erhielt neuerlich finanzielle Zuwendungen vom "Quartett" und der internationalen Gemeinschaft, was ihr Defizit vermindern konnte. Neuerliche Zahlung von Beamtengehältern und Geldmittel für Investitions- und Infrastrukturprojekte haben die Wirtschaft einigermaßen zu beleben begonnen. Die Annapolis-Konferenz versprach neue Hoffnung, doch unter der Oberfläche herrscht Verzweiflung, Frustration und Wut. Die desolate Lage der Bevölkerung nährt Zweifel, dass die Verhandlungen zu einer Änderung in ihrem Leben führen könnten. Unter diesen Umständen versucht die Internationale Arbeitsorganisation durch Arbeitsbeschaffungs- und Ausbildungsprojekte zur Verbesserung der Lage in den besetzten Gebieten beizutragen.


INFO

Internationale Arbeitsorganisation

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen Sie wurde im Jahre 1919 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Genf. Die ILO verfügt über eine dreigliedrige Struktur, die im UN-System einzigartig ist: Die 182 Mitgliedsstaaten sind durch Repräsentanten sowohl von Regierungen, als auch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Organen der ILO vertreten. Schwerpunkte der ILO sind die Formulierung und Durchsetzung internationaler Arbeits- und Sozialnormen, insbesondere der Kernarbeitsnormen sowie die Schaffung von menschenwürdiger Arbeit als einer zentralen Voraussetzung für die Armutsbekämpfung.

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ARABISCHER RAUM

Ein Schritt zur Demokratie?

Versuch der Deutung der irakischen Provinzwahlen

Von Wilhelm Langthaler

"Die Provinzwahlen vom 31. Januar sinnvoll zu interpretieren" schreibt der ehemalige CIA-Agent Reuel Marc Gerecht im Zentralorgan der Neokonservativen, dem Weekly Standard, "ist nicht einfach". Wie Recht er hat.


"Es ist aber sicher wahr, dass sie einen enormen Erfolg für den Irak und für die USA bedeuten." Gerecht hält ostentativ am unpopulär gewordenen neokonservativen Ideologem, nach dem die USA die Demokratie mit Waffengewalt exportieren müssten, fest. Das mag Propaganda sein, doch die vergangenen Wahlen scheinen ihm auf den ersten Blick Recht zu geben. Ein zweiter Blick lohnt sich daher.

Auf die Quintessenz gebracht meint Gerecht: Was alle Iraker wollen, ist zu wählen, mit zu bestimmen, und das habe einzig und allein die US-Intervention ermöglicht. Im Übrigen dürfe man ob des iranischen Einflusses nicht nervös werden, denn die schiitischen Iraker streben selbst danach, eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der persischen Hybris zu erlangen. Die strategische Entscheidung, auf die Schiiten zu setzen, wäre richtig gewesen und man dürfe nicht den kurzsichtigen Fehler machen, wieder die Sunniten zu stützen. Diese seien nach 1.500 Jahren Gewaltherrschaft erledigt. Jedenfalls eine starke Ansage, die nicht einer gewissen politischen Intelligenz entbehrt.


Malikis Sieg, Hakims Niederlage

Malikis Erfolg, der in fast allen mehrheitlich schiitischen Provinzen relative Mehrheiten erzielte und sowohl in Bagdad als auch in Basra an der 40%-Marke kratzte, ist unbestreitbar, genauso wie Hakims Niederlage, der oft über wenige Prozentpunkte nicht hinauskam. Die gängige Erklärung dafür ist, dass Maliki einerseits entschieden gegen den von Hakim repräsentierten schiitischen Föderalismus auftrat, als auch gegen die Mahdi-Milizen Muqtadas mit harter Hand vorging. Insgesamt hat er die religiöse und konfessionelle Rhetorik stark zurückgenommen. Weniger oft hört man, dass das SOFA-Abkommen von vielen als Erfolg gegen die US-Besatzer interpretiert wird. In erster Lesung ist es das auch, was man daran sehen kann, dass die US-Militärs intensiv damit beschäftigt sind, Strategien zu seiner Umgehung zu entwickeln.

Maliki repräsentiert die schiitische Ober- und Mittelschicht, die sich sowohl mit den USA als auch mit dem Iran arrangieren wollen und deren wichtigstes Ziel Stabilität ist.

Maliki repräsentiert die schiitische Ober- und Mittelschicht, die sich sowohl mit den USA als auch mit dem Iran arrangieren wollen und deren wichtigstes Ziel Stabilität ist. Diese haben gleichzeitig verstanden, dass mit dem extrem proiranischen und konfessionalistischen Kurs Hakims, der paradoxerweise zusätzlich auch noch am stärksnte proamerikanisch ist, kein Staat zu machen ist.

Hinzu mag noch die Tatsache kommen, dass bis vor kurzem die Öleinnahmen noch üppig flossen und Maliki als Premier bestens positioniert war, diese klientelistisch zu verteilen.

Der Wahlerfolg des bisher unbekannten Habboubi in der Provinz Karbala (17%), der sowohl die Listen Malikis (8%) als auch Hakims (8%) hinter sich ließ, zeigt auch gegenläufige Tendenzen auf. Habboubi war bereits unter Saddam Vizegouverneur der Provinz und somit Baathist, was vor wenigen Jahren noch einem Todesurteil gleich gekommen wäre, vor allem im schiitischen Bereich. Dabei wären Karbala und Nadschaf mit den höchsten schiitischen Heiligtümern und als Hauptsitz des Klerus geradezu prädestiniert in die Hand derjenigen Parteien zu fallen, die ihnen am nächsten stehen. Oder auch in die von Muqtada as Sadr. Der Erfolg Habboubis kann als Signal für die Abnutzungserscheinungen des schiitischen politischen Islams gewertet werden, genauso wie die signifikant gesunkene Wahlbeteiligung.


Muqtada abgestürzt?

Muqtada as Sadr hatte keine eigene Liste gebildet, sondern unabhängige Kandidaten unterstützt, was an sich schon als Zeichen der politischen Defensive und Schwäche gelten kann. Das gilt auch für den kolportierten Fall, dass er an der direkten Teilnahme gehindert wurde. Besonders miserabel schnitten jedenfalls seine Kandidaten in Basra (5%, in Bagdad 9%) ab, in seiner ehemaligen Hochburg, aus der er von Maliki mit Waffengewalt vertrieben wurde. Das Wahlergebnis zeigt, dass die militärische Niederlage auch gleichzeitig eine politische war.

Die opportunistische Taktik der Sadristen, Maliki gegen Hakim, und damit das ganze von den USA eingesetzte Regime zu stützen, erwies sich zumindest seit der Schlacht um Basra als Bumerang. Insgesamt scheinen die vollmundigen Ankündigungen des Widerstandes gegen die Besatzer und ihre Handlanger, die immer wieder mit taktischen Rückziehern endeten, ihren Preis zu fordern. Zudem gehörten seine Milizen zu den Hauptakteuren im konfessionellen Bürgerkrieg und transformierten sich vielerorts zu simplen Räuberbanden.

Doch im Gegensatz zur Formation Hakims wäre es verfrüht, Muqtada tot zu sagen. Nicht nur ein Damoklesschwert hängt über Malikis Projekt. Wie sehr ist dem amerikanischen Versprechen des Rückzuges zu trauen? Wie steht es mit dem Konflikt zwischen den USA und dem Iran? Und wie wird sich die Drittelung des Ölpreises auf die bereits jetzt prekäre soziale Lage breiter Teile der Bevölkerung auswirken? In dem Maße, in dem Malikis Stabilisierung scheitert, könnte Muqtada wie ein Phönix aus der Asche steigen.


Der sunnitische Bereich

Zuerst muss die massive sunnitische Wahlbeteiligung bemerkt werden, welche die Kehrseite des Misserfolges des bewaffneten Widerstandes darstellt. Um der politischen Marginalisierung zu entkommen, haben die Sunniten indirekt das politische System akzeptiert.

In diesem Licht erscheint die gesunkene Wahlbeteiligung gerade bei den Schiiten noch dramatischer und zeigt die Relativität und Brüchigkeit von Malikis Erfolg an. Aber auch die Tatsache, dass in Kirkuk, auf das die kurdische Führung Anspruch erhebt, nicht gewählt werden konnte, kündet von den Schwierigkeiten.

Die Islamische Partei, die mit den sunnitischen Muslimbrüdern verwoben ist, wurde zwar zurückgestutzt, aber nicht in gleicher Weise geschlagen wie der schiitische Hohe Rat des Islamischen Widerstandes (SCIRI) Hakims. Besonders in Mosul (Al Hadba 48%), aber auch in Anbar (Mutlaq 18%), machten arabisch-nationalistische Kräfte das Rennen, die auf die eine oder andere Weise dem sunnitischen Widerstand nahe stehen.

Doch trotz dieses elektoralen Erfolges bleibt der Widerstand in einer strategischen Sackgasse gefangen. Für ihn, wie für große Teile der sunnitischen Bevölkerung, handelt es sich um eine iranische Verschwörung und Besatzung, die sich der Parteien des schiitischen politischen Islams bedient. Er ist nicht in der Lage einem schiitischen Antiimperialismus die Hand zu reichen bzw. ihn zu fördern. Das würde voraussetzen, das Ziel der Demokratie, wenn auch nicht nach westlichem Vorbild, sondern von unten, in welcher Ausprägung auch immer, zu akzeptieren und damit die schiitische Mehrheit anzuerkennen. In diesem Sinn bedarf es einer klaren Distanz zu Saddam, wenn auch sein antiimperialistisches Moment anerkannt werden muss. Die dafür geeignete politische Plattform wäre ein explizit irakischer Nationalismus, der im schiitischen Bereich in Abgrenzung zu Teheran immer stärker wird. Das zu starre Insistieren auf einen arabischen Nationalismus kann von schiitischer Seite nur argwöhnisch als versteckter sunnitischer Herrschaftsanspruch betrachtet werden, für den sunnitischen politischen Islam gilt das noch mehr. Genau an dieser Stelle muss aber das versöhnliche Signal zuerst von sunnitischer Seite kommen, so dass die antiimperialistischen Schiiten ihrerseits nachziehen können. Die zunehmende Ablehnung des Föderalismus, wie er vom SCIRI forciert wird, indiziert die Möglichkeiten dafür. Ob der Widerstand in der Lage ist über seinen historischen Schatten zu springen, steht allerdings auf einem anderen Blatt.


Geostrategische Unwägbarkeiten

Wenn die USA tatsächlich abziehen, könnte Reuel Marc Gerechts Rezept einer schiitischen Herrschaft - mit Einschränkungen - aufgehen, auch wenn die Sunniten allemal ein gewisser Unruheherd bleiben würden. Doch absolute Voraussetzung dafür ist die Fortsetzung des bisherigen amerikanisch-iranischen stillschweigenden Abkommens, das von keiner der beiden Seiten eingestanden wird. Gerecht räumt das indirekt ein, wenn er seiner Regierung rät "den Irak nicht zu einem antiiranischen Schlachtfeld zu machen, wo wir unsere Freunde nach dem Grad ihrer Feindschaft zu den Teheraner Mullahs aussuchen." Aber das soll er einmal seinen Generälen und noch mehr seinen neokonservativen und israelischen Freunden erklären!

Wiewohl ein Krieg gegen den Iran gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung steht, hat sich der Konflikt keineswegs entspannt. Die globale Vorherrschaft der USA ist mit dem regionalen Machtanspruch des Iran unvereinbar, zumindest solange dort Mullahs sitzen, die den antiimperialistischen Widerstand in der Region als Spielbein benutzen. Wenn es darum geht den Iran niederzuringen, bleiben taktische Erwägungen über die Stabilität eines US-freundlichen Regimes in Bagdad sekundär - um nicht zu sagen Kleinkram.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Ein Paar Schuhe für jeden toten amerikanischen Soldaten.

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ARABISCHER RAUM

Sudan: Bruchlinie im Weltsystem

Bericht vom Solidaritätsforum in Khartum

Von Sebastian Baryli

Im März fand in Khartum das International Youth Forum of Solidarity with Sudan statt. Ziel des Forums war, die Solidarität mit dem Land nach den jüngsten politischen Angriffen zu diskutieren und die praktischen Möglichkeiten auszuloten.


Konkret wurde die Gründung einer internationalen Plattform beschlossen, auf deren Grundlage Solidaritätsarbeit in Zukunft geleistet werden kann. Gleichzeitig wurde damit ein Netzwerk geschaffen, das Afrika, den arabischen Raum und Europa umspannt.

An dem Forum nahmen Delegationen der Hamas, der Hisbollah, der PFLP sowie Vertreter von Jugendorganisationen aus Uganda, Somalia, Südafrika, Zentralafrika, Dschibuti, Marokko, Libyen, Syrien und Ägypten teil. Auch die Antiimperialistische Koordination nahm mit einer Delegation an dem Forum teil.

An der Zusammensetzung der Teilnahme lässt sich die strategische Bedeutung der Sudan-Frage ermessen. Das Land bildet gewissermaßen eine Drehscheibe zwischen der arabischen Welt und Afrika. Diese strategische Bedeutung des Landes könnte sich auch in der Solidaritätsarbeit widerspiegeln. Die Herausbildung eines Netzwerkes etwa zur Frage des ICC-Haftbefehls könnte eine Brücke schlagen zwischen Afrika, dem arabischen Raum und Europa.

Im Rahmen des Forums wurden Treffen mit der politischen Führung des Landes organisiert. Höhepunkt bildete dabei ein kurzes Zusammentreffen mit dem Präsidenten Omar al-Bashir. Außerdem gab es im Rahmen des Forums die Möglichkeit zur Debatte mit Ibrahim Ghandour (Parteisekretär der Nationalen Kongress-Partei, Mitglied der Nationalversammlung und Vorsitzender der sudanesischen Arbeiter-Gewerkschafts-Föderation), Amin Hassan Omar (Minister für Kultur, Jugend und Sport), Gazi Salahedin (Minister für Information), Osman Khalid Madawi (Sekretär für auswärtige Beziehungen der Nationalversammlung) sowie Gazi Suleiman (Sudanesische Kommunistische Partei).

Inhaltlicher Dreh- und Angelpunkt des Solidaritätsforums bildete der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Präsident al-Bashir. Nachdem der Chefankläger Luis Moreno-Ocampo im Juli einen Antrag gestellt hatte, wurde dieser vom Gericht bestätigt. Zur Anklage stehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die ursprünglich von Moreno-Ocampo beantragte Anklage auf Genozid wurde damals vom Gericht aber nicht aufgenommen. Dennoch löste der Haftbefehl einen Sturm der Entrüstung aus. Es war das erste Mal, dass gegen einen amtierenden Präsidenten ein Haftbefehl erlassen wurde. Sowohl die Afrikanische Union als auch die Arabische Liga wiesen den Haftbefehl entschieden zurück.


Imperialistischer Angriff

Diese jüngste politische Attacke reiht sich ein in eine Serie von Angriffen auf verschiedenen Ebenen: politisch, ökonomisch und militärisch. Der Sudan steht schon seit längerer Zeit im Kreuzfeuer imperialistischer Interessen. "Es handelt sich hierbei um einen Stellvertreter-Krieg um ökonomische Interessen", wie Ibrahim Ghandour ausführte. Zwischen China und den USA ist ein neues "Spiel um Afrika" ausgebrochen, wobei die Ausbeute der Erdölreserven im Sudan einen wichtigen Stellenwert hat. Das Erdöl wird zurzeit von einem sudanesisch-chinesischem Konsortium gefördert. Die USA erhoffen sich mit einem politischen Wandel Zugang zum Erdöl.

Aber nicht nur auf einer ökonomischen Ebene steht der Sudan im Widerspruch zu den USA. Auch einige politische Elemente bilden wesentliche Bruchpunkte mit der amerikanischen Weltordnung. "Die unerschütterliche Haltung des Sudans zur Palästina-Frage ist den USA ein Dorn im Auge", bringt das Parlamentsmitglied Osman Khalid Madawi die Problemstellung auf den Punkt. Sudan war eines der wenigen Länder, die den Oslo-Friedensprozess zunächst nicht unterstützt hatten.

Der Haftbefehl gegen Präsidenten al-Bashir wurde in den Gesprächen mit den sudanesischen Vertretern allgemein als politischer Angriff auf den Sudan gewertet. "Es gibt direkte und indirekte Formen der imperialistischen Dominanz. Während etwa Palästina, Afghanistan und der Irak unter direkter Fremdherrschaft stehen wird der Sudan mit politischen Mittel - wie etwa dem Haftbefehl - unter Druck gesetzt", analysierte Madawi die Situation.


Krise in Darfur

Die Krise in Darfur gilt dem ICC als wesentlicher Vorwand für die Attacke gegen al-Bashir. Dabei wird dieser Konflikt - in klassischer Weise - instrumentalisiert, um den imperialistischen Großmächten, insbesondere den USA, ein Einfallstor zu öffnen. "Die Krise in Darfur ist ein ernst zu nehmender Konflikt", meinte dazu Ghandour. "Doch wir haben in einem Akt der nationalen Anstrengung einen Friedensprozess in Gang gebracht, der durch den ICC nun gefährdet ist." Diese Analyse teilten auch die Arabische Liga und die Afrikanische Union. Sogar UN Generalsekretär Ban Ki-Moon äußerte sich kritisch zum Haftbefehl.

Die SPLA wurde 2005 in die Regierung integriert und stellt seither den Vizepräsidenten. In der Ministerverteilung der Regierung der nationalen Einheit erhielt sie jedoch bloß das Außenministerium. Dennoch wurde damit ein wesentlicher Schritt unternommen, um eine nationale Integration zu vollziehen. Die Frage der Haltung zum ICC bildet jedoch einen neuerlichen Punkt der Desintegration. Während sich große Teile des Sudans hinter den Präsidenten stellen, wittert die SPLM eine Möglichkeit, die Karten neu zu mischen. So äußerte der Generalsekretär der SPLM, Pagan Amum Okiech, jüngst in einem Interview mit der Sudan Tribune die Forderung, al-Bashir solle mit dem ICC kooperieren.

Auch die Kommunistische Partei äußerte sich in einer Stellungnahme positiv zum ICC. Aufgrund ihrer oppositionellen Haltung gegenüber den Präsidenten begrüßt die Partei in gewisser Weise den Druck, der nun auf al-Bashir ausgeübt wird. Dennoch gibt es auch kommunistische Kräfte, die sich nun um den Präsidenten scharen. Dies ist eine typische Spaltungstendenz, wie man sie aus anderen Regionen kennt.

Insgesamt war in den Gesprächen nur eine sehr untergeordnete Tendenz bemerkbar, den Konflikt in Darfur zu leugnen. Der Konflikt wird tatsächlich als Problem wahrgenommen, das jedoch im nationalen Rahmen gelöst werden muss. Die Intervention von außen wird hingegen als Gefahr wahrgenommen. Obwohl sich die USA und der ICC selbst als Friedensstifter in der Darfur-Frage sehen, stellen sie die eigentlichen Brandstifter dar.

Jüngst wurde von den USA die Ausweisung von NGOs aus Darfur kritisiert. Die Auswirkung auf die humanitäre Situation in Darfur bleibt jedoch von diesem Schritt unberührt. Tatsächlich wurden von 118 in der Region operierenden NGOs lediglich 13 ausgewiesen. Grund dafür waren politische Einflussnahmen, die von den NGOs ausgegangen sind.


ICC und Doppelstandards

Die juristische Grundlage des Strafgerichtshofes wurde in den Gesprächen allgemein in Frage gestellt. "Die völkerrechtliche Grundlage des ICC ist das Abkommen von Rom", legte Amin Hassan Omar die Situation dar. "Der Sudan ist diesem Abkommen jedoch nicht beigetreten und im Wiener Übereinkommen ist deutlich festgelegt, dass nur unterzeichnende Staaten zur Erfüllung von Verträgen verpflichtet sind."

Die völkerrechtliche Grundlage des ICC steht somit auf tönernen Füßen. Denn seiner Ausgestaltung nach ist er eine gewöhnliche Internationale Organisation, die jedoch Anspruch auf universelle, strafrechtliche Verfolgung erhebt. Der ICC ist auch kein Teil der UNO, obwohl ein Kooperationsabkommen vorliegt. Die Verfolgung al-Bashirs durch den ICC entbehrt daher jeglicher völkerrechtlicher Grundlage. Diese Ansicht teilen auch die Afrikanische Union und die Arabische Liga. Mit seinen Auslandsbesuchen und vor allem seiner Teilnahme in Doha hat Präsident al-Bashir versucht, diese Staaten als Verbündete in der ICC Frage zu gewinnen.

Doch nicht nur das Gericht selbst, sondern auch die Anklage entbehrt seriöser Grundlagen. Die Vorwürfe, die darin formuliert wurden, stützen sich auf dubiose Quellen. Die UNO ist 2005 in einer Untersuchung zu der Erkenntnis gekommen, dass zwar Menschenrechtsverletzungen in Darfur stattgefunden hatten. Diese wurden jedoch von beiden Seiten begangen und ethnische Säuberungen konnten nicht nachgewiesen werden. Nichts desto trotz wurde 2006 vom damaligen US-Präsidenten Bush ein Darfur-Gesetz unterzeichnet, in dem der Vorwurf des Völkermords festgeschrieben wurde. Somit wurde diese Behauptung für die Weltöffentlichkeit in Blei gegossen und auch der ICC orientierte sich daran.

Der antiimperialistische Kampf des Sudan reiht sich ein in die Serie militärischer Widerstandspole weltweit.

Von besonderem Interesse ist auch die Tatsache, dass die USA selbst gar nicht Teil des ICC sind. Zwar waren sie maßgeblich an der Initiierung beteiligt, doch haben sie im letzten Moment die Ratifizierung zurückgezogen. "Es ist ein typisches Phänomen imperialistischer Weltordnung, dass doppelte Standards für mächtige und unterdrückte Länder eingeführt werden", meinte Amin Hassan Omar. "Jene Bestimmungen, die für uns gelten sollen, werden von den mächtigen Staaten übergangen." Nicht Darfur sollte vor dem ICC verhandelt werden, sondern die Verbrechen der Besatzungsmächte in Afghanistan, Irak und Palästina.

Gerade dieser Doppelstandard verdeutlicht, wie sehr es hier nicht um juristische Fragen geht, die ja alle in gleicher Weise betreffen würden, sondern um politische. Der ICC ist ein probates Mittel der Vereinigten Staaten, um nach eigenem Ermessen in verschiedenen Regionen zu intervenieren. Die größten Kriegsverbrecher jedoch, die Vereinigten Staaten und Israel, müssen eine Verfolgung durch den ICC keinesfalls fürchten.


Antiimperialismus

Die politischen Angriffe gegen den Sudan vonseiten der USA haben den Kampf um die nationale Souveränität auf die Tagesordnung gesetzt. Der antiimperialistische Kampf des Sudan reiht sich ein in die Serie militärischer Widerstandspole weltweit: Afghanistan, Irak und Palästina. Diese Front wird auch von der politischen Führung des Landes - zumindest teilweise - reflektiert.

Aus europäischer Perspektive ist dieser Kampf des Sudans um nationale Souveränität jedenfalls zu unterstützen. Die Solidarität hier kann dazu dienen, einen wesentlichen Bruchpunkt in der amerikanischen Weltordnung zu verstärken. Dennoch muss man eingestehen, dass die Bedingungen für eine Solidaritätskampagne schwierig sind. Das Bild des Sudans, das in den westlichen Medien ständig produziert wird, entspricht der Propaganda der US-Regierung. Außerdem hat die Solidaritätsbewegung mit diesem Land keinerlei Tradition, wie etwa mit Palästina. Schließlich gibt es auch kaum Kräfte, die aus einer europäisch-säkularen Tradition das Regime in Khartum unterstützen wollen. Auch hier ist die Stellung zur Islam-Frage ein bedeutendes Hindernis.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Anklage gegen den Präsidenten al-Bashir rückt den Sudan ins Zentrum des antiimperialistischen Kampfes.

Raute

ARABISCHER RAUM

Helft Darfur: Unterstützt den Sudan

Eine Erklärung

Von der Antiimperialistischen Koordination

Gegen die imperialistische Einmischung und die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes!


1. Die Antiimperialistische Koordination unterstützt grundsätzlich das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstregierung in Bezug auf Länder, Menschen und Gemeinschaften.

2. Dennoch kann sich das Spezielle nicht vor dem Allgemeinen durchsetzen. Diese Rechte sind weder heilig noch unantastbar, sie sind vielmehr Teil des generellen egalitären, demokratischen Programms, also des antiimperialistischen Kampfes gegen jede Form von Unterdrückung, Kolonialismus und Ausbeutung.

3. Es gehört zu den imperialistischen Herrschaftstechniken, dass Großmächte ihre vorrangigen Interessen mit der "Teile und herrsche" Politik verfolgen oder behaupten, Verteidiger der Menschenrechte, Demokratie und Freiheit gegenüber der Tyrannei zu sein.

4. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben, stets von der Europäischen Union unterstützt, immer eine Vorreiterrolle bei der Verschleierung ihrer neokolonialen Politik gespielt indem sie schöne Phrasen über Freiheit und Demokratie verbreiteten. Gerade im Namen von Freiheit und Demokratie greifen sie Menschen an, metzeln ganze Nationen nieder und unterstützen das völkermörderische israelische Regime. Und nun verhalten sie sich in Bezug auf den Sudan ebenso.

5. Um die patriotische sudanesische Regierung zu stürzen, wurde der Sudan zuerst in die schwarze Liste der "Schurkenstaaten", die den Terrorismus unterstützen, aufgenommen (und es wurden Sanktionen verhängt), dann wurde die Frage des sogenannten "Völkermords in Darfur" erhoben. Zum Schluss brachten die USA den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag - während sie selbst seine Legitimität nicht anerkennen, wenn es um ihre Verbrechen geht und dem es sogar an der Unterstützung durch die Vereinten Nationen mangelt - dazu, einen Haftbefehl wegen "Völkermord" gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir auszustellen.

Das Gericht hat bereits Slobodan Milosevic wie auch andere jugoslawische und serbische Patrioten verurteilt und ihn schließlich getötet. Es bleibt gegenüber den unbeschreiblichen Verbrechen der USA im Irak, in Afghanistan, Pakistan und anderswo blind, und dasselbe Gericht krümmt den Köpfen des zionistischen Regimes kein Haar. Nun veröffentlicht es einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten.

6. Zusammen mit den Menschen im Sudan, den arabischen Menschen und den Antiimperialisten weltweit drücken wir unsere feste Verurteilung dieser Entscheidung und unsere Solidarität mit der Regierung in Khartum und den populären Kräften, die nun innerhalb und außerhalb des Sudan mobilisieren, aus.

7. Der Internationale Strafgerichtshof hat keine Legitimität, weder politisch noch juristisch, über Omar al-Bashir zu richten oder ihn zu verurteilen. Dieses Gericht ist ein Werkzeug in den Händen der wichtigen imperialistischen Kräfte, ein "legales" Mittel um ihre illegale und neokoloniale Politik zu rechtfertigen. Der antiimperialistische Widerstand wird nicht vor Gericht gestellt!

8. Der Konflikt erschüttert Darfur seit 2003 als innersudanesischer Konflikt und muss mit friedlichen Grundsätzen von den Sudanesen gelöst werden, mit der Perspektive eines demokratischen, gerechten und föderalen Systems in sozialer, institutioneller und rechtlicher Hinsicht.

9. Die Lösung beinhaltet die Anerkennung der unveräußerlichen Rechte der nicht-arabischen Gemeinschaften von Darfur, darunter die Rechte über ihr Eigentum, das fruchtbare Land sowie das Recht auf Selbstverwaltung.

10. Der Konflikt zwischen der sesshaften Mehrheit und der arabischen Nomadenminderheit (die sich als überlegen sehen und von denen die Janjaweed-Milizen der letzte Ableger sind) hat alte Wurzeln. Durch die Wüstenbildung der Sahelzone hat er sich verschärft, da eine Immigrantenbewegung zu dem fruchtbaren Land Darfur (von Mauretanien, Mali, Niger und Tschad) einsetzte. Kritisch wurde dies aufgrund der letzten Einmischungen imperialistischer Länder wie Frankreich und den USA.

11. Die Rohstoffe Darfurs, einschließlich Uran, sind genau wie die Entdeckung wichtiger Ölfelder in Darfur (deren Rechte von der sudanesischen Regierung den westlichen Ölmultis entzogen und China zugesichert wurden) ein Grund für die genannten Mächte zu versuchen, diese Ressourcen an sich zu reißen.

12. Hierfür wurde, nachdem ein Embargo gegen den Sudan für eine nicht existente Terrorismusunterstützung verhängt worden war, die Politik der Destabilisierung durch das Anstiften eines Bürgerkrieges in Darfur angeheizt, indem die fragwürdigen Guerillabewegungen SLA, JEM und MNRD bewaffnet und unterstützt wurden. Sie haben nicht nur ihre hetzerische Propagandakampagne über einen nicht existierenden Völkermord in Darfur gestartet, sondern den Konflikt auch internationalisiert, indem benachbarte Länder - vor allem Tschad und die Zentralafrikanische Republik - als anti-sudanesische Hochburgen benutzt wurden. Der Gürtel um den Sudan besteht nun auch aus Ägypten, Libyen, Äthopien und Eritrea.

13. Die empörende Entscheidung des ICC gießt, genauso wie die Ziele der imperialistischen Länder - vor allem der USA und Frankreich - Öl in die Flamme und erhöht die Gefahr, dass der Konflikt international wird und in einen regionalen Krieg mündet, der jedes Nachbarland gegen den Sudan mit einbezieht.


Nein zum Haftbefehl gegen Präsidenten al-Bashir!
Nein zur imperialistischen Einmischung im Sudan und Afrika!
Alle ausländischen Truppen, gleich welche Uniform sie tragen, raus aus dem Sudan!
Volle Rechte für die Gemeinschaften in Darfur in einem unabhängigen, vereinten, souveränen und antiimperialistischen Sudan!


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Im Sudan laufen nicht nur die Nilarme zusammen. Das Land ist ein Knotenpunkt zwischen Afrika und dem arabischen Raum.

Raute

ARABISCHER RAUM

Frauen im Widerstand

Interview mit Haifa Zangana

Haifa Zangana ist eine kurdisch-irakische Schriftstellerin, Journalistin und Malerin. 1979 emigrierte sie als Kritikerin des Baath-Regimes unter Saddam Hussein und lebt heute in England. Sie hat sich als Feministin und scharfe Gegnerin der US-geführten Besatzung ihres Heimatlandes einen Namen gemacht.


intifada: Wie sehen Sie als Frau den Zusammenhang zwischen der Besatzung und der Frauenfrage?

Zangana: Vor dem Einmarsch der US-Truppen in den Irak wurde die Frauenfrage benutzt, um den Angriff zu rechtfertigen. Sie haben dabei nicht nur mit den Massenvernichtungswaffen argumentiert, sondern auch immer wieder die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte vorgebracht. Das war eine wesentliche Stütze für die Argumentationskette der USA. Die Angreifer haben sich so als Befreier dargestellt, die vor allem auch Frauenrechte installieren würden.

Diese moralische Rechtfertigung war für die amerikanische und britische Regierung notwendig, da zu diesem Zeitpunkt eine Welle des Protestes der Anti-Kriegsbewegung Druck ausübte. Diese Rechtfertigung war vollkommen absurd, da jeder weiß, dass die ersten Opfer eines Krieges Frauen sind.

intifada: Wie konnte diese Argumentation dennoch aufrechterhalten werden?

Zangana: Leider gab es eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen manchen irakischen Frauen und den imperialistischen Mächten. Immer wieder wurden Geschichten über die Unterdrückung der Frau in den westlichen Medien lanciert. Nach dem Einmarsch folgte auch prompt die Belohnung für diese Frauen. So waren im ersten Kabinett unter der Besatzung sieben Frauen vertreten. Diese hohe Zahl war die Abgeltung für jene Frauen, die den Krieg aktiv unterstützt hatten. Die Zahl wurde jedoch schnell wieder reduziert. Die Idee der Frauenbefreiung war damit erledigt.

intifada: Wie ist die Rolle der Frau in der irakischen Gesellschaft aus historischer Perspektive zu beurteilen?

Zangana: Die Frauen haben in der Geschichte des Iraks immer eine bedeutende Rolle gespielt. Seit der Revolution gegen den britischen Kolonialismus in den zwanziger Jahren waren sie aktiv am gesellschaftlichen Geschehen und am Aufbau beteiligt. Die Frauen hatten zum Kampf sowohl intellektuell als auch militärisch beigetragen.

In der irakischen Revolution wurden einige Zielsetzungen der Frauenbewegung erreicht. Dennoch ging der Kampf um Frauenrechte weiter. An diesem spezifischen Kampf nahmen jedoch in hohem Maße auch Männer teil. Übertrieben formuliert sagen wir daher, dass die ersten Feministen im Irak Männer waren. Es gab sowohl in den marxistischen Strömungen als auch bei den Konservativen Auseinandersetzungen über die Frauenfrage.

"Die Frauenfrage wurde benützt, um den Einmarsch in den Irak zu rechtfertigen."

Es gab beispielsweise eine lebhafte Diskussion in den konservativen Familien, ob man den Hijab (das islamische Kopftuch, Anm. d. Red.) abnehmen soll oder nicht. Die Frauen wurden ermutigt, sich Bildung anzueignen und auch Aufgaben im öffentlichen Leben wahrzunehmen. So gab es schon in den dreißiger Jahren allein in Bagdad vier Frauen-Zeitschriften.

intifada: Wie veränderte die Revolution von 1958 die Rolle der Frau in der Gesellschaft?

Zangana: Mit der Revolution, in der wir uns der von den Briten eingesetzte Monarchie entledigt hatten, setzte ein rascher Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse ein. Innerhalb von drei Jahren konnten wir das erreichen, was zuvor in dreißig Jahren nicht möglich war. Die gesamte intellektuelle Situation des Landes blühte auf: Eine neue Poesie entstand, Übersetzungen ausländischer Literatur florierten und das öffentliche Leben wurde von diesem neuen Aufschwung mitgerissen.

In den siebziger Jahren konnte man noch die Früchte dieses Aufschwungs ernten. Selbst die UNESCO musste feststellen, dass der Irak zu den Spitzenreitern im Bereich der Bildung in der Region gehörte. Auch im Bereich der Frauenrechte wurde eine unvergleichbare Position erreicht. Sowohl bei der Gleichstellung vor dem Gesetz als auch bei der Gleichstellung bei der Entlohnung von Frauen konnte sich der Irak sogar mit europäischen Ländern messen.

intifada: Setzte sich dieser Aufschwung weiter fort?

Zangana: Leider nein. Die erste große Katastrophe, die über das Land hereinbrach, war der iranisch-irakische Krieg. In Folge dieses Krieges setzte ein unerhörter Niedergang unseres Landes ein. Obwohl ich nicht viel Gutes über das Regime zu diesem Zeitpunkt sagen kann, so muss ich doch festhalten, dass sowohl im Bereich der Bildung als auch im Sozialsystem für die Witwen der gefallenen Soldaten einiges getan wurde.

Die zweite Katastrophe war die Invasion Kuwaits, die jahrelange Sanktionen mit sich brachte. Diese stellten unser Land vor eine ungeheure Belastungsprobe. Diese Sanktionen verübten einen Genozid an der Bevölkerung unter den Augen der Vereinten Nationen. Die Blockade hatte vor allem die Bevölkerung des Landes geschwächt, jedenfalls überhaupt nicht das Regime.

intifada: Wie wirken sich die Sanktionen konkret auf Frauen aus?

Zangana: Die Auswüchse der Sanktionen waren absurd. Ich wollte einmal meinen Nichten und Neffen in Bagdad ein Paket senden. Ich hatte ihnenBleistifte, Buntstifte und etwas Papier eingegepackt, damit sie zeichnen könnten. Das Paket kam retour mit dem Vermerk: "Aufgrund der Sanktionen können wir das Paket nicht zustellen." Ich habe das Paket als Erinnerung aufgehoben.

Mit den Sanktionen wurde der Irak zu einem Bettler degradiert. Zu diesem Zeitpunkt verließen die Menschen das Land nicht wegen des Regimes, sondern aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen. Der Alltag war für die meisten nur schwer zu bewältigen.

intifada: Manche argumentieren, dass die Sanktionen notwendig gewesen seien, um das Regime zu stürzen.

Zangana: Einer der größten Mythen im Zusammenhang mit den Sanktionen war, dass sie eingesetzt wurden, um Saddam Hussein zu stürzen. Zwar wurde er nach dem Einmarsch der US-Truppen tatsächlich gestürzt, doch es ist eine grundlegend falsche Herangehensweise, eine Besatzung zu akzeptieren, um von einem repressiven Regime befreit zu werden.

Mit dem zweiten Tag der Besatzung, den die USA den "Fall von Bagdad" nennen, begannen die Aktivitäten des Widerstandes. Seit diesem Tag bis zum jetzigen Zeitpunkt werden die Operationen fortgesetzt, sei es gegen amerikanische, britische oder sogenannte "multinationale" Truppen.

intifada: Welches Verhältnis haben Sie zum irakischen Widerstand?

Zangana: Es gibt gute Gründe, den Widerstand zu unterstützen. Bei den im Irak stationierten Truppen handelt es sich um klassische Besatzungsmächte. Es ist ein international anerkanntes Recht, dass man Besatzungsmächte bekämpfen darf. Das ist nicht nur ein Naturrecht, sondern auch in einer UN-Resolution verankert. Dort wird deutlich ausgesprochen, dass der Widerstand gegen Besatzungsmächte mit allen Mitteln legitim ist. Das beinhaltet auch den bewaffneten Widerstand. Der irakische Widerstand realisiert somit nur das ihm zustehende Recht.

Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen der Besetzung des Südlibanons, der Besetzung Palästinas und dem, wie ich es nennen, Genozid im Irak: Das ist die koloniale Gewalt, die versucht die Völker zu kontrollieren. Aufgrund dieser gemeinsamen Herausforderung kann man auch von der Einheit des Widerstandes sprechen.

All das, was wir 2003 im Irak erlebt haben, war die Generalprobe für das, was noch kommen sollte. All das, was wir nun bei der Blockade und beim Bombardement des Gazastreifens sehen können, wurde zuvor dem irakischen Volk angetan. Wer weiß, welches Land als nächstes unterworfen wird? Solange es eine Supermacht in der Weltordnung gibt, droht eine Gefahr für Kriege.

Das Interview führte Sebastian Baryli.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Haifa Zangana spricht auf einer Veranstaltung anlässlich des Frauentages am 6. März 2009 in Wien.

Raute

INTERNATIONAL

Schließung von Guatánamo

Über ein Wahlversprechen

Von Gunnar Bernhard

"Obama schließt Guantánamo", oder präziser: "Obama kündigt Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers in Guantánamo an" - mit solchen Schlagzeilen ist man nicht erst seit Amtsantritt des neuen US-Präsidenten in aller Regelmäßigkeit konfrontiert.


Von Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes als Folterlager bezeichnet und wegen der Inhaftierung von Jugendlichen und Kindern ins Gerede geraten, dürfte das Wort "Guantánamo" tatsächlich immer wieder sogar bei denjenigen etwas Unbehagen ausgelöst haben, die ansonsten die illegale Inhaftierung von Menschen aufgrund deren religiöser, politischer und/oder nationaler Zugehörigkeit schlichtweg als "notwendiges" Übel im "Antiterrorkrieg" akzeptiert hatten. So wurde das Wort "Guantánamo" weltweit zum Synonym für die Substanzlosigkeit jeglicher Bezugnahme auf Freiheit, Demokratie und Menschenrechte seitens der US-Regierung.

Die angekündigte Schließung des Lagers und die Reaktionen darauf sind in vielerlei Hinsicht ein Sinnbild der anbrechenden Ära Obama.

Weltweit wurde die Schließung zunächst in nahezu vollkommener Einhelligkeit von sämtlichen politischen Führungsgremien begeistert begrüßt und zum Anlass genommen zu verkünden, die finsteren Bush-Jahre seien nun vorüber, das "gute" Amerika sei wieder auferstanden, und jegliche Zusammenarbeit mit der Supermacht müsse nun wieder mindestens die Intensität der Zeit vor Bush erreichen. Schließlich ist den europäischen und sonstigen zum Westen zu zählenden Eliten völlig bewusst, dass auch die eigenen imperialistischen Ambitionen ohne militärische Absicherung durch die USA nur in eher begrenztem Ausmaß umsetzbar sind. Obamas Amtsantritt wurde somit zum Anlass, die von beiden Seiten herbeigesehnte offizielle Beilegung jeglicher Unstimmigkeiten zu demonstrieren.

Daher gilt es offenbar auch, nach besten Kräften den Mantel des Schweigens über die Tatsache zu breiten, dass die neue US-Regierung keinen Zweifel daran gelassen hat, dass das Gefangenenlager auf der Bagram Air Base im Nordosten Afghanistans weiterhin in Betrieb bleiben wird. In diesem von den Massenmedien weitgehend totgeschwiegenen amerikanischen Militärgefängnis waren bereits Anfang 2008 zweieinhalb Mal so viele Menschen inhaftiert wie in Guantánamo (1), was auch damit zu erklären ist, dass schon die Bush-Regierung aufgrund wachsender Kritik erklärte, es würden keine weiteren Gefangenen nach Guantánamo gebracht werden. Zieht man Obamas mehrfache Ankündigung, in Afghanistan verstärkt Krieg führen zu wollen, in Betracht, so wird dieses Lager wohl auch noch längerfristig bestehen bleiben und weiteren Zuwachs an Insassen (die ebenso vollkommen ohne rechtlichen Status sind wie es die Häftlinge in Guantanamo die längste Zeit waren) bekommen. Darüber hinaus stellt sich aufgrund der quantitativen Stärke des afghanischen Widerstandes auch die Frage, ob dieses eine Lager den Zwecken der US-Armee und ihrer Verbündeten auf Dauer genügen wird. Obamas Ankündigung, nicht nur Guantánamo sondern auch diverse, weltweit bestehende und ebenso völkerrechtswidrige Geheimgefängnisse der CIA schließen zu wollen, könnte jedenfalls auf diese Weise in noch höherem Ausmaß zur Augenauswischerei geraten, als das ohnehin schon der Fall ist.

Verschiedene europäische Länder haben bereits "positiv" auf die amerikanische Bitte, ebenfalls das Truppenkontingent in Afghanistan aufzustocken, reagiert. Deutschland will beispielsweise 600 zusätzliche Soldaten schicken, Italien 500. Bereitwillige europäische Unterstützung des intensivierten US-Krieges in dem Land, in dem ein Militärgefängnis steht, das deutlich mehr Insassen als Guantánamo aufweist und in dem noch wesentlich schlechtere Bedingungen herrschen (2) - so sieht die außenpolitische Realität aus, die der als humanitäre Offenbarung angekündigten und bisher nur aus Worten bestehenden "Schließung von Guantanamo" gegenübersteht.

Außerdem zeigt sich, dass die dank bereitwilliger Unterstützung durch Europas Politiker aufgegangene Saat der "Terror"-Propaganda den USA nunmehr bei der Bewältigung des zum politischen Klotz am Bein gewordenen Problems "Guantanamo" im Weg steht.

Da gegen die meisten Gefangenen keine Anklage erhoben wird, sollen sie nun zwar freigelassen werden, aber man weiß nicht, wohin mit ihnen. In ihren Herkunftsländern drohen ihnen häufig Folter oder Todesstrafe aus politischen Gründen. In Europa ist die Aufnahme entlassener Guantánamo-Häftlinge, um die US-Vizepräsident Biden hochoffiziell ersucht hat, ein umstrittenes Thema. Einerseits wollen die EU und nationale Regierungen zwar fast durchwegs Solidarität mit Obama demonstrieren (wenn auch die Gründe dafür kaum humanitärer Art sein dürften), weshalb man sich hin und wieder zum einen oder anderen Appell zur Aufnahme der Insassen durchringt. Andererseits ist die von Europa selbst mitbetriebene Terrorismus-Propaganda eben doch so weit gediehen, dass die Vertreter des Rechtspopulismus - regierende (z.B. Schäuble) wie oppositionelle (z.B. Westenthaler) - relativ leichtes Spiel dabei haben, die Verantwortlichen in dieser Frage vor sich her zu treiben und darüber hinaus auf die Verantwortung der USA hinzuweisen (letzteres völlig zu Recht). Dass es sich eigentlich um Personen handelt, die sogar nach Auffassung der US-Justiz unschuldig sind und keine Gefahr darstellen, scheint dabei kein Widerspruch zur Forderung "sich nicht den Terror ins Land zu holen" zu sein.

In den USA selbst scheint man der eigenen Rechtssprechung ebenfalls nicht so weit zu trauen, dass man bereit wäre, sich selbst im gebührenden Ausmaß der Verantwortung für das am eigenen Mist gewachsene Problem zu stellen und Guantánamo-Häftlinge aufzunehmen.

Die angekündigte Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo stellt nur einen Tropfen auf den heißen Stein der weltpolitischen Katastrophe namens "Antiterrorkrieg" dar und ihre Begleitumstände zeigen deutlich die Verfahrenheit der Situation. Zu lösen wäre diese nur durch eine sofortige Beendigung dieses permanenten Krieges und der begleitenden Propaganda. Ein Blick nach Afghanistan reicht um zu erkennen, dass darauf keinerlei Aussicht besteht. Der militärische Widerstand in den betroffenen Ländern ist daher auch weiterhin ebenso gerechtfertigt wie der politische Widerstand weltweit - und vor allem auch im Westen in der Gegenwart und Zukunft nicht weniger notwendig als in der Vergangenheit.

Quellen:
(1) Independent online, 8.1.2008 und Asia Times online, 16.1.2008
(2) New York Times online, 8.1.2007

Raute

INTERNATIONAL

Bolivien: Sieg der Mitte

Analyse der Wahlen

Von Gernot Bodner

Nach einem umkämpften Jahr 2008, das Bolivien mehrfach an den Rand des Bürgerkrieges gebracht hatte, konnte Präsident Evo Morales im Januar mit der Annahme der neuen Verfassung einen wichtigen Etappensieg einfahren.


Die Wahl von Evo Morales an der Spitze seiner Partei MAS (Bewegung zum Sozialismus) zum Präsidenten Boliviens im Dezember 2005 bedeutete eine doppelte Zäsur: Erstmals wird der verarmte Andenstaat nicht von der traditionellen weißen Elite regiert, sondern von einem Vertreter der indigenen, bäuerlich-proletarischen Mehrheitsbevölkerung. Der zweite Einschnitt mit der Wahl Morales' war das vorläufige Ende des Protestzyklus von 2000-2005, Jahre der Streiks und Straßenblockaden gegen Privatisierung von Wasser und Ausverkauf der Erdgasressourcen. Mit dem Amtsantritt von Evo Morales wechselten die sozialen Bewegungen von der Straße in die Institutionen.

Ein erstes Wahlversprechen löste der neue Präsident zügig ein: Im Mai 2006 wurden die Erdöl- und Erdgasvorkommen nationalisiert. Entgegen der Erwartungen löste dieser Schritt jedoch weder international noch national größere Proteste aus. Schon Vorgängerpräsident Carlos Meza hatte im Mai 2005 ein Verstaatlichungsgesetz erlassen, das die Staatsanteile an gemeinsamen Unternehmungen mit dem Ausland sowie die Abgaben internationaler Konzerne an den Staat erhöhte. Nur war dieses Gesetz nie umgesetzt worden. Das neue Dekret steigerte nun die Abgaben auf bis zu 82 %. Dennoch handelt es sich in keiner Weise um eine Enteignung oder ein Hinauswerfen ausländischer Firmen. Das Ausland schien darüber hinaus beruhigt, dass der andauernde Straßenkampf der letzten Jahre nun in geordnete institutionelle Bahnen zu münden begann.

Auch von den inneren Gegnern der MAS kamen nur unbedeutende Reaktionen auf diese erste Maßnahme der neuen Regierung. Ihre bisherigen Machtinstrumente, die traditionellen Oberschicht-Parteien MNR, ADN, MIR und UCS, waren durch die Wahlniederlage kurzfristig handlungsunfähig.


Die Strategie der Autonomie

Nach einer ersten Schrecksekunde reorganisierte sich die alte politisch-ökonomische Elite jedoch Schritt für Schritt und konzipierte eine Gegenoffensive. Strategische Idee dafür wurde die Forderung nach Autonomie für die östlichen Tieflandprovinzen. Die östlichen Landesteile hatten sich nach dem Niedergang des Bergbaus (Zinn, Kupfer, Silber) im westlichen Andenhochland zum wirtschaftlichen Motor des Landes aufgeschwungen (Erdgas, Eisenerz, Landwirtschaft). Diese wirtschaftliche Macht instrumentalisierten die Regierungsgegner nun, um Evo Morales unter Druck zu setzten. Statt auf die geschwächten Altparteien setzte die Oligarchie vor allem auf die Präfekten der oppositionell regierten Ost-Provinzen Pando, Beni, Santa Cruz und Taricha (genannt "Media Luna"), unterstützt von den ebenfalls oppositionellen DepartamentosChiquisaca und Cochabamba. Unter dem Dach der CONALDE (Nationaler Demokratischer Rat) formierte sich eine Oppositionsfront um die Präfekten im Bund mit den geschwächten Altparteien im Parlament in La Paz. Auf der Straße ergänzen rechtsradikale Bürgerkomitees diese Achse der Gegenmacht. Insbesondere das Bürgerkomitee von Santa Cruz, geführt von dem Großgrundbesitzer Branko Marinkovic, und die Union der Jugend von Santa Cruz (UJC) wurden zur Speerspitze des Anti-Regierungs-Radikalismus: Politisch, militärisch und selbst kulturell bereiteten sie die Abtrennung von der Zentralregierung vor; Separatismus der reichen Landesteile als Mittel der Destabilisierung - ein altbewährtes Rezept.

Als Evo Morales sein zweites strategisches Vorhaben, eine neue Verfassung, lancierte, war die Opposition also bereits neu aufgestellt. Im Juli 2006 wurde ein Verfassungskonvent auf Grundlage der Parteienrepräsentanz gewählt - die sozialen Bewegungen hatten entgegen ihrer Hoffnung keine eigene Stimme. Als die MAS-Mehrheit den Rechtsparteien eine Zweidrittelmehrheit für alle Artikel, die in den Verfassungsentwurf aufgenommen würden, zugestand, gab sie der oppositionellen Minderheit eine starke Waffe. Diese konnte nun ihre neue Strategie ausspielen: Von außen heizten die Präfekten des "Media Luna" die separatistische Stimmung auf, von innen zwang die rechte Minderheit die linke Mehrheit im Verfassungskonvent zu langwierigen Diskussionen und schwerwiegenden Kompromissen, um die inszenierten Spannungen im Land abzubauen.

Mit einem halben Jahr Verspätung übergab die Versammlung schließlich am 14. Dezember dem Kongress den Verfassungsentwurf. Bis zum Referendum sollte aber noch mehr als ein Jahr vergehen, in dem Opposition und Regierung zu einem entscheidenden Kräftemessen antraten.


Das Kampfjahr 2008

Innerhalb der Regierungsopposition war die radikale Rechte auf dem Vormarsch. Ihr Ziel war nicht der Kompromiss, sondern eine Situation der Unregierbarkeit herbeizuführen und Evo Morales zu Fall zu bringen. Zu diesem Zweck setzten die Präfekten parallel zu dem vom Parlament für den 4. Mai festgelegten Verfassungsreferendum gleichzeitig abzuhaltende Autonomiereferenden in ihren Provinzen an. Die Zentralregierung antwortete auf den Übergang der Opposition zu außer-institutionellen und extralegalen Mitteln jedoch institutionell: Der Nationale Wahlrat verschob zunächst sowohl das Verfassungs- also auch die Autonomiereferenden mit unbestimmtem Datum. Die radikalen Spitzen der Oligarchie in Santa Cruz zogen ihre Autonomieabstimmung dennoch durch, die sie wie vorherzusehen mit 81 Prozent Zustimmung in einem Klima von Einschüchterung und Verfolgung von Regierungsanhängern gewannen. Im Juni folgten die Referenden in Pando und Taricha. Damit war Bolivien faktisch zweigeteilt, die Regierung hatte die Macht über den Osten verloren. Evo Morales stand vor einem Dilemma: Sollte er das Militär und/oder das Volk gegen die Sezessionisten mobilisieren und damit einen Bürgerkrieg riskieren? Mehrere Faktoren sprachen dagegen: Die Einheit des Militärs hinter dem linken Präsidenten war und ist zweifellos prekär. Eine offene Klassenkonfrontation zwischen den Armen des Andenhochlandes und den alten Eliten des Ostens würde diese vor eine Zerreißprobe mit unsicherem Ausgang stellen. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass die Mehrheit der institutionellen Vertreter der MAS - von denen nur wenige Figuren wie Evo Morales eine Geschichte des sozialen Kampfes hinter sich haben - einer gewaltsamen Auseinandersetzung skeptisch gegenüberstanden. Während auf der Rechten der radikale Flügel hegemonial war, traf dies auf der linken nicht zu. Das Kabinett Morales war fest auf einen friedlichen Reformprozess eingeschworen. Die Kampfbereitschaft der MAS-Basis, verarmte Proletarier und Bauern, die im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu verlieren haben als ihre Ketten, steht zwar außer Zweifel. Doch im Gegensatz zum Zyklus 2000-2005 stellt das Projekt der MAS seit 2006 klar die Führung der sozialen Bewegungen.


Abgewendeter Bürgerkrieg

Die Umkehr der Kräfteverhältnisse begann mit dem Referendum um die Fortsetzung der Amtsführung der politischen Spitzen des Landes am 10. August 2008. Dieses Referendum sollte ein Zeichen des Rückhalts für die MAS-Führung des Landes setzen und auch die Legitimität der Präfekten prüfen. Schon im Vorfeld kam es zu Differenzen zwischen dem radikalen und dem institutionellen Flügel der Opposition um die Frage des Boykotts: Die parlamentarisch wichtigste Rechtspartei PODEMOS (ex-ADN) spaltete sich, die CONALDE wechselte mehrfach ihre Position. Es ist wahrscheinlich, dass auch von Seiten der US-Botschaft Druck gegen das Lostreten eines Bürgerkriegs kam. Für einen solchen Schritt, der die lateinamerikanische Linke neuerlich von den Urnen in den Straßen- und bewaffneten Kampf drängen würde und auch unabsehbare geopolitische Folgen mit sich brächte, geht dem US-Imperialismus wohl der Machtverlust am Kontinent noch nicht weit genug. Das Referendum bestätigte Evo Morales mit 67 Prozent der Stimmen, doch auch die Macht der Präfekten blieb in ihren zentralen Provinzen vorerst ungebrochen. Sie verloren jedoch Cochabamba (Manfred Reyes, AUN, Allianz für die Einheit Cochabambas) und La Paz (José Paredes, PODEMOS).

Damit ist jedoch nicht nur der Separatismus und Putschismus aus Santa Cruz vorerst an den Rand gedrängt, sondern auch die radikale Linke und alle Erwartungen eines revolutionären Bruches durch die Regierung Morales.

Im September nach dem Referendum schien der Bürgerkrieg noch einmal unabwendbar: in Santa Cruz wurden Vertretungskörperschaften der Zentralregierung gestürmt und ihre Vertreter von bewaffneten Banden vertrieben. Dagegen startete eine regierungstreue Volksmobilisierung aus dem Hochland einen Marsch in Richtung Santa Cruz, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Ein Massaker an Bauern in Pando, die sich auf dem Weg nach Santa Cruz befanden, spitzte die Lage weiter zu. Der Befehl zum Stopp der Rückeroberung vor den Toren von Santa Cruz durch Präsident Morales stieß in der sozialen Bewegung auf hörbare Kritik: Man wollte die Demütigung durch die oppositionellen Eliten gegen das Volk und seine Regierung nicht mehr hinnehmen.

Dieses Aufbäumen des Radikalismus konnte jedoch den Vormarsch der Kräfte des Kompromisses nicht mehr aufhalten. Die lateinamerikanischen Union UNASUR gab den Präfekten klar zu verstehen, dass sie eine Spaltung Boliviens nicht hinnehmen würde. Die Unterstützung des US-Imperialismus für ein weiteres Vorpreschen der Separatisten wurde in dieser Konstellation noch unwahrscheinlicher. Die eher unbedeutenden diplomatischen Konsequenzen der Ausweisung des US-Botschafters Philip Goldberg aus Bolivien am 12. September wegen Verschwörung mit den Präfekten weist darauf hin, dass es sich dabei vor allem um einen symbolischen Akt handelte, während alle Seiten bereits auf eine Verhandlungslösung hinarbeiteten. Auch die Verhaftung des Präfekten von Pando, Leopoldo Fernandez, am 16. September wegen Verwicklung in das erwähnte Massaker und die Verhängung des Ausnahmezustandes in der Provinz führten zu keiner Gegeneskalation durch die CONALDE mehr. Die Mehrheit der Akteure hatte durch einen Bürgerkrieg nur zu verlieren; die radikalen Minderheiten in der Opposition verloren ihre vorübergehende Hegemonie.

Am 20. Oktober einigten sich Regierung und Opposition auf einen Kompromiss - nachdem 140 der 411 Artikel des Verfassungsentwurfes faktisch über Nacht geändert worden waren, gab es endlich grünes Licht für das Referendum über die neue Verfassung und die daraus folgenden Neuwahlen. Am 25. Januar wurde die neue Magna Charta zur Volksabstimmung gebracht und mit 61,4 Prozent klar angenommen. Trotz dem mehrheitlichen Nein der östlichen Provinzen gab es diesmal keine Unruhen. Der Konflikt war gewonnen, die Regierung Morales stabilisiert und ihre Regierungsfähigkeit zurück gewonnen.


Derzeit wenig Platz am linken Rand

Die bolivianischen Ereignisse bedeuten einen Sieg der institutionellen Mitte über den Radikalismus. Damit ist jedoch nicht nur der Separatismus und Putschismus aus Santa Cruz vorerst an den Rand gedrängt, sondern auch die radikale Linke und alle Erwartungen eines revolutionären Bruches durch die Regierung Morales. Bolivien steuert nun auf die "Mühen der Ebene" zu, auf pragmatische Probleme einer "good governance" mit Sozialreform, maßvoller Umverteilung und effizienter Regierungsführung. Gegner werden in nächster Zeit weniger die radikale Rechte (oder Linke), sondern vielmehr die Folgen der Wirtschaftskrise und des Preisrückgangs der bolivianischen Rohprodukte, die den Spielraum der Regierung einschränken. Die "Agenda de Octubre" - das Programm der blutigen Oktobertage 2003, die den Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada zu Fall brachten und den ersten Schritt zur Präsidentschaft von Evo Morales markierten - ist begraben: Es war ein radikales Programm der sozialistischen Volksmacht, der Enteignung des internationalen Kapitals, der umfassenden Landverteilung und der antiimperialistischen Souveränität. Seine Träger, die revolutionäre Gewerkschaftszentrale COB, die Aymarabewegung um Felipe Quispe, die Minenarbeiter der FSTMB oder die trotzkistischen Lehrer, die Protagonisten der Straße, wurden durch den institutionellen "Proceso de Cambio" zurückgedrängt. 2008, besonders mit dem Marsch aus Santa Cruz, kündigte sich leise ihre Rückkehr an, ihr Terrain des Kampfes, die Straße, schien wieder den durch die Rechte versperrten institutionellen Weg zu verdrängen. Doch Präsident Morales hat es geschafft, die Kräfteverhältnisse noch einmal herumzureißen. Die radikale Geschichte Boliviens, das unüberwundene Elend seiner Arbeiter, Bauern und städtischen Armen, der Rassismus seiner Eliten, deren Macht nicht gebrochen ist, und nicht zuletzt die weltweite Wirtschaftskrise lassen jedoch vermuten, dass die Grundlagen dieses Etappensiegs rasch erodieren können. Der heute isolierte Schützengraben der Revolution in der Armenmetropole El Alto, die am Rande der Hauptstadt La Paz im Andenhochland der Aymara Tag für Tag wächst, wird früher oder später neue bolivianische Oktobertage erleben.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Evo Morales, Präsident von Bolivien
- Evo Morales besuchte im März 2009 Wien. Fotos und Berichte finden Sie auf www.intifada.at.

Raute

INTERNATIONAL

Saakaschwili vor dem Sturz?

Die georgische "Rosenrevolution" hat sich verbraucht

Von Temur Pipia

Vor zwanzig Jahren, am 9. April 1989, wurden Proteste der Opposition vor dem Regierungsgebäude in Tiflis vom sowjetischen Militär gewaltsam unterdrückt. An diesem Tag begann der schleichende verfassungsfeindliche Umsturz.


Zwanzig Jahre danach, am 9. April 2009, [Anm. d. Übersetzerin: der Text wurde einige Wochen vor den Protesten verfasst], sollen nach Plan der heutigen Opposition andauernde Proteste in ganz Georgien beginnen. Im Zentrum von Tiflis ist eine Demonstration mit Tausenden von Teilnehmern geplant, deren wichtigste Forderung die Absetzung von Präsident Saakaschwili sein soll. Demonstrationen und Protestmärsche sollen auch in anderen Regionen des Landes stattfinden. In allen georgischen Regionen wurden Widerstandskomitees ins Leben gerufen, die dazu aufrufen, die örtlichen Machthaber zu stürzen.

Die wichtigsten politischen Kräfte des Landes treten einstimmig für die Absetzung des Präsidenten, für die Änderung des Wahlrechts und darauf folgende außerordentliche Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein. Als erste und unmittelbare Aufgabe wurde jedoch die Absetzung Saakaschwilis proklamiert.

Im Jahr 2003 wurde die Volksbewegung, getragen von einer Welle der Unzufriedenheit in der Bevölkerung, von den prowestlichen Kräften abgefangen, die nach einem verfassungswidrigen Umsturz erneut an die Macht kamen. Die "Rosenrevolution" brachte neue Gesichter an die Macht. Diese angeblich neuen Gesichter waren jedoch auch schon in der vorherigen politischen Führung des Landes präsent gewesen. Sie spielten schon in den Machtstrukturen unter Schewardnadse eine Schlüsselrolle, wechselten jedoch in einem günstigen Moment zur Opposition. Diese "Revolutionäre mit Rosen" wurden sowohl finanziell, als auch moralisch und politisch von den USA unterstützt und konnten so den Umsturz organisieren. Hier muss auch die nicht unwesentliche diplomatische Rolle Russlands erwähnt werden, das für die Entspannung der Lage sorgte und den friedlichen Übergang der Macht von Schewardnadse zu Saakaschwili gewährleistete. Dadurch wurde das Gesicht des Regimes zwar ausgetauscht, das Regime selbst blieb jedoch bestehen und es gab keinerlei Veränderungen in der Innen- und Außenpolitik des Landes. Mehr noch - die Versuche, Georgien in die Strukturen der NATO zu integrieren, wurden intensiviert, die Militarisierung des Landes beschleunigt und gefährliche gewaltsame Schritte gegen die politischen Führungen in Südossetien und Abchasien unternommen. Die Beziehungen zur Russischen Föderation verschlechterten sich drastisch.

Im August letzten Jahres gab Tiflis Russland einen Anlass, Südossetien und Abchasien, die zur ehemaligen Sozialistischen Sowjetrepublik Georgien gehört hatten, sich jedoch sofort nach dem Zerfall der UdSSR von Georgien lösten, zu besetzen. Der abenteuerliche Versuch Saakaschwilis, auf militärischem Weg "die verfassungsmäßige Ordnung in Südossetien wieder herzustellen", wurde für das Land zur Tragödie. Das Resultat dieses Abenteuers waren mehr als 60.000 Flüchtlinge, zwölf abgebrannte Dörfer und mehrere hundert gefallene Soldaten und Zivilisten. Außerdem verlor man zwei de jure bereits anerkannte separate Republiken, sowie zusätzliches Territorium, das sowohl an Abchasien als auch an Südossetien grenzt. Russland erhielt das Recht, Militärbasen hinter dem kaukasischen Kamm zu positionieren und stärkte somit seine militärisch-strategische Position in der Kaukasus-Region. Der Korridor für den Energietransport, der über georgisches Gebiet verläuft, wird vom Westen schon nicht mehr als Alternative für die Energiezufuhr nach Europa betrachtet. Es gibt ernsthafte Befürchtungen, dass die politische Führung Georgiens, als sie den verhängnisvollen Entschluss fasste, Militär auf südossetisches Gebiet zu schicken, eigentlich das Ziel verfolgte, das milliardenhohe Kriegsbudget, das eigentlich gar nicht für militärische Zwecke ausgegeben wurde, abzuschreiben. Außerdem handelte Tiflis bewusst im Interesse der oligarchischen Regierung Russlands, die eine juristische Grundlage für die Stationierung ihrer Truppen in Abchasien und Südossetien brauchte. So oder so, Georgien zerfiel de jure und stand vor der Gefahr, ganz von der Landkarte zu verschwinden. Somit traf die derzeitige georgische politische Führung nach geltender Verfassung eine verräterische Entscheidung und beging Hochverrat. Die Perspektiven eines weitgehenden Friedens, einer Rückkehr der Flüchtlinge und der Wiederherstellung der territorialen Einheit Georgiens rückten in weite Ferne. Sie beging ein schweres Verbrechen gegen das ossetische und georgische Volk, die es geschafft hatten, die zuvor von außen gesäte Feindschaft zu überwinden und in den Konfliktzonen bereits in Frieden und Freundschaft lebten. Das war nur möglich, weil die Regierung die immer noch lebhaften Erinnerungen an das brutale Blutvergießen Anfang der 1990er unterdrückte. Vor diesem Hintergrund erscheint die jüngste Bombardierung der Stadt Zchinwali auf Befehl der Regierung in Tiflis, der Hunderte von Bewohnern der südossetischen Hauptstadt zum Opfer fielen, besonders brutal und barbarisch.

Vor dem Hintergrund der katastrophalen sozialen Situation beschleunigte der militärisch-politische Zusammenbruch im August die Krise in Georgien. Die Zeit nach den Ereignissen im August war eine Zeit der Unruhen, in die verschiedenste politische Parteien und Organisationen involviert waren, eine Zeit, in der sich Blöcke und Bündnisse gegen die Regierung bildeten. Die derzeitige Regierung ist nicht mehr in der Lage, die politischen Prozesse und die Massenmedien - vor allem die Presse - zu kontrollieren. In Georgien ist eine große Mehrheit der Zeitungen kritisch gegenüber den Machthabern eingestellt. Diese Position nehmen auch einige Fernsehsender ein, die jedoch leider nur in Tiflis und Umgebung empfangen werden können.

Die strenge Kontrolle aller Gebiete des öffentlichen Lebens, die von der Regierung sofort nach der Machtübernahme eingeführt wurde, erzielt nicht mehr den gewünschten Effekt. Der repressive Polizeiapparat arbeitet heute unter äußerster Anspannung und die ersten Resultate dieser Arbeit sind bereits sichtbar. Viele dachten, dass das Innenministerium nicht in der Lage sei, so offensichtlich repressiv zu handeln, wie es während der Ereignisse im August und unmittelbar danach der Fall war, als man ohne triftigen Grund als Agent oder Verräter abgestempelt werden konnte. Jetzt, wo der 9. April naht, herrscht wieder eine Atmosphäre der Hexenjagd und die Verfolgungen wurden wieder aufgenommen. Vor kurzem wurden Mitglieder einer Oppositionspartei verhaftet und beschuldigt, einen bewaffneten Umsturz vorzubereiten. Eine breite Kampagne wurde losgetreten, in der man vor der Gefahr eines bewaffneten Aufstands warnte. Überall wird die Spur Russlands verfolgt, was bedeutet, dass die von der Regierung kontrollierten Medien wieder die bereits gut erprobte "Spionagekarte" ausspielen. Auf der anderen Seite beteuert die unabhängige Presse, dass Massenverhaftungen von Protestteilnehmern geplant sind und auch führende Personen politischer Parteien verhaftet werden sollen. Erneut gab es Meldungen darüber, dass die Sondereinheiten die Verfolgung von Oppositionsvertretern, darunter auch führende Personen, wieder aufgenommen haben sollen. "Besuche" in Wohnungen standen genauso wieder an der Tagesordnung wie Verhöre in den Abteilungen des Innenministeriums, nicht sanktionierte Festnahmen, Überfälle von unbekannten maskierten Personen auf führende Oppositionspolitiker etc. Kürzlich kam es zu zwei Terroranschlägen vor Polizeistationen in Tiflis, was die Behörden zur Kriminalisierung der Oppositionsbewegung nutzten. Abhörungen wurden verstärkt, um Informationen über die Protestvorbereitungen zu erhalten, aber auch, um kompromittierende Tatbestände zu konstruieren.

Zusammengefasst deutet alles darauf hin, dass sich das Innenministerium, zu dem auch die Strukturen der Staatssicherheit (Geheimdienst, Spionageabwehr usw.) gehören, aktiv auf eine gewaltsame Niederschlagung der Demonstrationen vorbereitet.

Bis zum 9. April sind es noch ein paar Tage und die Atmosphäre im Land wird immer angespannter. Auf politischer Ebene tragen vor allem folgende Parteien und Verbände dazu bei: die politische Bewegung des ehemaligen Vertreters Georgiens bei der UNO, Alasanija; die "Demokratische Bewegung Vereintes Georgien" die von der ehemaligen Parlamentspräsidenten Burdschanadse angeführt wird, sowie das "Nationale Forum" und die georgische Arbeiterpartei.

Alasanija kann als Ziehsohn der USA betrachtet werden. Er tauchte erst vor ein paar Monaten aktiv in der politischen Arena auf und wird von proamerikanischen Parteien rechter Ausrichtung unterstützt, die vom Westen finanziert werden.

Burdschadnadse war eine der Organisatorinnen der "Rosenrevolution" und seit Schewardnadse ständige Vorsitzende des Parlaments. Sie hatte zweimal während Übergangszeiten den Präsidentenposten inne und sicherte zweimal - 2004 und 2008 - nach gefälschten Wahlen die Legalität der gegenwärtigen Regierung und des gegenwärtigen Präsidenten. Auch sie kann als amerikanische Erfindung angesehen werden, auch wenn es in ihrem Lebenslauf einen dunklen Fleck gibt, der den Westen offensichtlich beunruhigt: Ihre Universitätsausbildung, einschließlich der Dissertation, schloss sie in Moskau ab.

Das so genannte Nationale Forum ist ebenso eine rechte politische Bewegung. Im Gegensatz zu den anderen vertritt das "Forum" jedoch eine auf die außenpolitische Neutralität Georgiens ausgerichtete Position.

Ein weiterer wichtiger Akteur in den gegenwärtigen politischen Prozessen ist die Arbeiterpartei, die ebenso gegen die Positionierung ausländischer Militärbasen auf georgischem Territorium auftritt.

Die georgische Bevölkerung sah mit eigenen Augen, dass jeder Schritt Georgiens in Richtung NATO die Destabilisierung des Landes nach sich ziehen kann.

Überhaupt ist die Idee des NATO-Beitritts Georgiens nach den Ereignissen von August unbeliebt geworden und wird von der absoluten Mehrheit der georgischen Bevölkerung abgelehnt. Der militärische Konflikt hat ganz klar gezeigt, dass die NATO keine Garantie für die Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens darstellt. Die georgische Bevölkerung sah mit eigenen Augen, dass jeder Schritt Georgiens in Richtung NATO die Destabilisierung des Landes nach sich ziehen kann.

Heute ist offensichtlich, dass die Annäherung an die NATO Georgien von der Normalisierung der Situation in den Konfliktgebieten, von der Lösung der Flüchtlingsfrage und von der Wiederherstellung der territorialen Integrität entfernt. Mehr noch: Zieht man die angespannte Lage in jenen Regionen Georgiens, in denen Armenier und Aserbaidschaner leben, in Betracht, so ist jeder Schritt in Richtung NATO eine Gefahr, durch welche die Jahrhunderte alte Staatlichkeit zerstört werden könnte. Außerdem könnte ein solcher Schritt die Zerstörung der ursprünglichen, einzigartigen und reichen georgischen Kultur und ihrer Trägerin - der georgischen Nation allgemein - bedeuten. Was die Souveränität betrifft, so ist diese de facto längst nicht mehr vorhanden. Seit dem Moment des Zerfalls der UdSSR, in dem Georgien die staatliche Unabhängigkeit erhielt, wird das Land von einer amerikanisch kontrollierten Marionettenregierung regiert.

Derzeit werden unter den oppositionellen Kräften die Innen- und Außenpolitik, der Staatsaufbau und die sozialen Umstrukturierungen in Georgien seit der Rosenrevolution diskutiert. Jedoch sind in den politischen Programmen der Opposition keine grundlegenden Veränderungen gegenüber der jetzigen Situation bemerkbar und von diesem Standpunkt aus betrachtet kann man die Opposition nicht wirklich als solche bezeichnen. Eines kann man jedoch mit Sicherheit sagen: Egal, welche Regierung nach Saakaschwili in Georgien an die Macht kommen wird - sie wird gegenüber Russland einerseits und gegenüber der NATO andererseits eine weitaus gemäßigtere politische Linie verfolgen müssen. Das bedeutet eine vernünftigere Außenpolitik aufgrund neuer Realitäten und objektiver Fakten.

Das leidgeprüfte Georgien und das georgische Volk stehen vor einer Zerreißprobe.

Aus dem Russischen von Julija Schellander.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Eine Demonstration der Opposition in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

Raute

EUROPA

Das Ende der Meinungsfreiheit

Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung

Von Hannes Hofbauer

In der Europäischen Union gehen neue Gesetzesinitiativen zunehmend in die Richtung, Gesinnung strafbar zu machen. Früher oder später wird sich das Meinungsdiktat gegen die Linke wenden.


"Der Kampf um Sarajevo Anfang der 1990er Jahre war Teil des bosnischen Bürgerkrieges, die Armee des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladic hat mitnichten Völkermord an den Muslimen betreiben wollen und auch nicht betrieben."

"Beim Massaker von Srebrenica hatte der französische Geheimdienst seine Finger im Spiel. Die Zahl von 8000 Ermordeten ist um ein Vielfaches zu hoch gegriffen, als Völkermord kann man dieses Massaker unabhängig von der Täterschaft nicht bezeichnen."

"Beim Zusammenbruch des Osmanischen Reiches bildeten die Führer der Armenier die fünfte Kolonne Moskaus, die von türkischen Nationalisten durchgeführte Vertreibung und Umsiedlung Zehntausender Armenier ist vor diesem Hintergrund zu erklären und fällt nicht unter die Kategorie Völkermord."

"Die Hungerkatastrophe in der Ukraine im Winter 1932/33 war eine Spätfolge des Bürgerkrieges in der Sowjetunion und keinesfalls eine von Stalin vorsätzlich betriebene Vernichtung des ukrainischen Volkes."

Vier Sätze, die jeder für sich den Verfasser ins Gefängnis bringen können. Geht es nach dem Willen der Europäischen Union, sind noch im ersten Halbjahr 2009 drei dieser vier Sätze in ganz EU-Europa strafwürdig. Historische Wahrheiten werden ab 2009 staatlich bzw. suprastaatlich verordnet und dürfen nicht mehr hinterfragt werden. Passiert dies doch, treten automatisch Staatsanwälte in Kraft. Von Gesetzes wegen haben sie keine andere Möglichkeit, als mindestens ein bis drei Jahre Haft zu verhängen. "Leugnung, Billigung oder Verharmlosung" von Völkermord bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit lauten die Delikte. Proteste gegen diese Art von zukünftiger Gesinnungsjustiz waren bislang im deutschen Sprachraum nicht zu vernehmen.


Der EU-Rahmenbeschluss

Am 19. April 2007 haben sich die Justizminister der 27 EU-Staaten nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Rahmenbeschluss zur Kriminalisierung von Rassismus, Antisemitismus und Leugnung von Völkermord geeinigt. Dabei geht es nicht um tatsächlich ausgeführte rassistische, antisemitische oder völkermörderische Taten, die freilich in allen nationalen Gesetzeswerken strafbar sind, sondern um mündliche oder schriftliche Äußerungen in der Öffentlichkeit. Binnen zwei Jahren muss dieser Beschluss in nationales Recht umgesetzt werden. Noch vor dem Sommer 2009 dürfte es also EU-weit zu diesbezüglichen Strafverfolgungen kommen.

Schon 2001 war auf einen Vorstoß Deutschlands versucht worden, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nach dem Muster antisemitischer bzw. den Holocaust leugnender Äußerungen überall in der Europäischen Union strafbar zu machen. Die griechische Präsidentschaft sowie vielfache Gegenstimmen aus Italien, Dänemark und später - aus gänzlich anderen Gründen - dem Baltikum hatten die Gesetzeswerdung verzögert, bis die deutsche Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im Frühjahr 2007 einen Durchbruch vermelden konnte: "Wir wollen mit diesen Verboten nicht warten, bis es wieder zu Taten kommt, um dann die Täter zu verfolgen und gegebenenfalls zu verurteilen, sondern uns liegt daran, schon im Vorfeld Maßnahmen ergreifen zu können, dass diese Verbrechen erst gar nicht geschehen können", meinte die SPD-Politikerin anlässlich einer Konferenz der Vorsitzenden der innenpolitischen Ausschüsse der nationalen Parlamente Anfang Mai 2007 in Berlin. Schon bevor Verbrechen geschehen, so die deutsche Justizministerin, wird kriminalisiert. Die Haltung ist bedenklich, ja für einen Rechtsstaat bedrohlich. Doch bleiben wir vorerst bei der politischen Dimension der strafrechtlichen Verfolgung von Meinungen.

Nicht die Innen- und Justizminister, die sich immer neue Technologien gegen verzweifelt um Aufnahme suchende Asiaten und Afrikaner ausdenken, sind im Visier der neuen Rechtsvorschriften.

Auf den ersten Blick wirkt der EU-Rahmenbeschluss zur Verfolgung von Rassismus, Antisemitismus und Leugnung von Völkermord für den unbedarften Demokraten vernünftig. Rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen sollen Straftatbestände sein, sobald sie den "öffentlichen Frieden gefährden". Begründet wird dies mit einem "Verstoß gegen europäische Werte", wie sie die Herabwürdigung von Menschen aufgrund anderer Hautfarbe, Religion oder Abstammung darstellen. Im Mittelpunkt steht das "Verbot der öffentlichen Aufstachelung zu Gewalt und Hass" gegenüber anderen. Dem könnte ohne Wenn und Aber zugestimmt werden, wenn parallel dazu nicht die rassistische Einwanderungspolitik der Europäischen Union in den Sinn käme, der Jahr für Jahr an den Außengrenzen - insbesondere im Süden - Tausende Schwarze zum Opfer fallen. Mauern und Stacheldraht im nordafrikanischen Sabta (Ceuta), die schwarze Hungerleider von den vergleichsweise gut gefüllten Töpfen in EU-Europa abhalten sollen, sind zu in den Massenmedien weitgehend verschwiegenen Symbolen dieses suprastaatlichen Rassismus geworden; desgleichen EU-europäische Marinesoldaten und Rückführabkommen mit afrikanischen und asiatischen Staaten, mit denen Jagd auf Schwarze im Mittelmeer gemacht werden ... und die letztlich die Basis und Legitimation für den allerorts aufkeimenden Rassismus im Inneren der Festung bilden.

Doch der EU-Rahmenbeschluss wurde nicht gegen diese Art von strukturellem Rassismus gefasst. Nicht die Innen- und Justizminister, die sich immer neue Technologien gegen verzweifelt um Aufnahme suchende Asiaten und Afrikaner ausdenken, sind im Visier der neuen Rechtsvorschriften. Eher schon islamische Imame in den Moscheen zwischen Bradford und Köln, denen einmal ein "die Weißen sind schuld am Unglück in Palästina" oder ein Wortschwall gegen Juden entschlüpft, können mit dem antirassistischen Gesetz ohne viele Umstände vor den Kadi gezerrt werden. Auch das wäre akzeptabel, mag sich der Demokrat denken. Immerhin sind Hassprediger einer offenen Gesellschaft nicht würdig. Der Einsatz des Strafrechtes zur Regulierung von Meinung ist indes der falsche Weg, weil er Positionen tabuisiert und Diskussionen einer staatsanwaltlichen Kontrolle unterstellt.


Die Einzigartigkeit des Holocaust

Ein einziger Bereich in Deutschland und Österreich kennt seit Jahrzehnten den Tatbestand einer strafbaren Gesinnung. Es ist dies die Leugnung bzw. Verharmlosung des Holocaust und der nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden und Roma. Unabhängig vom politischen Willen, z. B. eine Nachfolgeorganisation der NSDAP gründen zu wollen, was als "Wiederbetätigung" verfolgt wird, macht sich in Deutschland (nach § 130 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) und Österreich (1992 verschärft) jeder strafbar, der beispielsweise öffentlich die Existenz der industrielle Vernichtungsmaschinerie von Hitlers Schergen leugnet oder sie verharmlost. Diese Gesinnungstäterschaft beschränkt sich auf die Gräuel, die das "Dritte Reich" im Inneren (vornehmlich gegen Juden) angerichtet hat und gilt beispielsweise nicht für die Aggression nach außen, also z. B. die Leugnung oder Verharmlosung der Tötung von Millionen Sowjetbürgern im Russlandfeldzug.

Auf EU-Ebene wird Holocaustleugnung Anfang 2009 in neun (von 27) EU-Staaten juristisch verfolgt. Diese strafwürdige Leugnung unterstreicht die Einzigartigkeit der Menschenvernichtung unter den Nationalsozialisten. Die Unvergleichbarkeit des in seiner industriellen Form betriebenen Verbrechens war eines der wesentlichen Argumente dafür, "Leugnung" oder "Verharmlosung" desselben gerichtlich zu verfolgen. Es gab und gibt jedoch gewichtige Stimmen, die sich auch in diesem Fall gegen eine Gesinnungsjustiz aussprechen. Sie tun das mit nachvollziehbarer Begründung, denn staatsrechtlich verordnete Tabus, und nichts anderes ist die Strafwürdigkeit der Holocaustleugnung, drängen historische und politische Argumente gegenüber juristischen Paragraphen in den Hintergrund. Niemand kann seriöser Weise behaupten, dass während des "Dritten Reiches" Juden nicht systematisch verfolgt, enteignet und massenhaft ermordet worden wären. Ein Verbot der Behauptung des Gegenteils macht indes aus Nazipropaganda oder Dummheit Märtyrer gerade in jener Szene, die jenseits jeder Vernunft gesellschaftlich provozieren will. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben Antifaschisten wie der bekannte Politologe Eugen Kogon schon in den 1950er Jahren gefordert, das "Recht auf Dummheit" zuzulassen und dem Thema damit seine angebliche politische Brisanz zu nehmen. Eine solche Brisanz ist angesichts der historischen Fakten, die eindeutig sind, nicht gegeben, wird indes durch gerichtliche Verbote quasi künstlich erzeugt. Gegen gesetzliche Maßnahmen bei der Leugnung der Judenvernichtung sprechen sich auch heute namhafte Historiker wie NS-Forscher Götz Aly und Eberhard Jäckel aus. "Was mich daran stört", meinte Jäckel am 1. Februar 2007 in einem Interview bei Deutschlandradio Kultur, "ist, dass der Holocaust metahistorisiert wird; das heißt, man nimmt ihn aus der Geschichte als konkretes Ereignis heraus, er wird philosophisch, theologisch behandelt, um eine gegenwärtige politische Moral zu begründen, und dadurch wird Holocaustleugnung so etwas wie eine Gottesleugnung."

Ein Verbot der Behauptung des Gegenteils macht indes aus Nazipropaganda oder Dummheit Märtyrer gerade in jener Szene, die jenseits jeder Vernunft gesellschaftlich provozieren will.

"Für die Freiheit der historischen Forschung" sprachen sich auch angesehene links stehende italienische HistorikerInnen und PhilosophInnen aus, als sie in einem offenen Brief vom 22. Januar 2007 gegen die geplante Einführung eines Straftatbestandes der Leugnung des Holocaust in Italien Stellung nahmen. Carlo Ginzburg, Marcello Flores, Claudio Pavone und andere warnten in ihrem Aufruf davor, "an Stelle von kultureller Beeinflussung, Erziehung und moralischem Druck zur Anerkennung der Wahrheit der Schoah die Drohung durch das Gesetz zu stellen". Damit, so die WissenschaftlerInnen weiter, biete man "den Leugnern, wie es schon geschehen ist, die Gelegenheit, sich als Verteidigung der Meinungsfreiheit aufzuspielen". Die italienischen Intellektuellen sehen allein in der "Zivilgesellschaft" jene Kraft, "die durch ständigen kulturellen, ethischen und politischen Kampf die Antikörper gegen die Leugner bilden kann." Sie schließen mit der Aufforderung: "Der Staat sollte die Zivilgesellschaft unterstützen und sich nicht mit einem Gesetz, das womöglich nutzlos oder - schlimmer noch - kontraproduktiv ist, an ihre Stelle setzen."

Wie immer man zum Thema Kriminalisierung eines - wenn auch völlig inakzeptablen und verqueren - Geschichtsbildes steht, mit der inhaltlichen Weiterentwicklung der Strafbarkeit von Meinungen durch den EU-Rahmenbeschluss vom April 2007 ist jedenfalls das Argument der Einzigartigkeit des Holocaust in der juristischen Aufarbeitung entkräftet. Politisch-historisch mag die Judenverfolgung Mitte des 20. Jahrhunderts unvergleichlich gewesen sein, in den Gerichtssälen der Europäischen Union wird sie sich demnächst neben rassistische Aussprüche gegen Ostasiaten oder Afrikaner und Leugnung von Völkermorden in Armenien, Ruanda und Darfur einreihen.


Kulturelles Schweigen

Das seit 1995 von einem durch die EU gestellten Kolonialverwalter geführte Bosnien-Herzegowina ist mutmaßlich jenes Land in Europa, das Gesinnungsjustiz als erstes auf die Spitze getrieben hat. Ausgehend von der strukturellen Schwierigkeit, aus den zwei durch den Friedensvertrag von Dayton hervorgegangenen Gebilden - der kroatisch-muslimischen Föderation und der serbischen Republik - einen gemeinsamen, multinationalen Staat machen zu wollen, stehen nationalistische Äußerungen zwischen Sarajevo, Mostar und Banja Luka unter ständiger Beobachtung des "Hohen Repräsentanten der internationalen Staatengemeinschaft". Immer wieder führen missliebige Stellungnahmen von Serben oder Kroaten (weniger von Muslimen) zu Parteienverboten, Medienschließungen und - für den einzelnen - zum Verlust der Bürgerrechte. Hunderte serbische Politiker wurden auf Basis diverser Gesinnungsparagraphen seit 1995 vom Kolonialverwalter ihrer Ämter enthoben, eine kroatische Bank wegen Verdachts der Finanzierung einer nationalistischen Partei geschlossen, ehemaligen muslimischen Kämpfern ihre Staatsbürgerschaft entzogen, manche von ihnen nach Guantánamo verschleppt.

Der Fall des Zoran Zuza gibt uns Aufschluss darüber, wie weit Gesinnungsjustiz gehen kann. Er ist auch insofern interessant, als dass diese über EU-Instanzen passiert, welche die Büros des "Hohen Repräsentanten" kontrollieren. An den Rändern der Europäischen Union, die - wie Bosnien und Kosovo - direkt von ihr verwaltet werden, ist Strafbarkeit von Meinung unter dem Deckmantel der Multikulturalität ausprobiert worden. Dort soll sie ihre Feuerprobe bestehen, um später im Zentrum Platz zu greifen.

Zoran Zuza war Sprachlehrer, bevor er sich Anfang der 2000er Jahre um einen Posten im serbischen Parlament von Banja Luka bewarb. Vom Pressesprecher stieg er bald zum Kabinettschef des Parlamentspräsidenten Dragan Kalinic auf. Am 30. Juni 2004 endete seine Karriere abrupt. Der damalige "Hohe Repräsentant der internationalen Staatengemeinschaft", der Brite Paddy Ashdown, entließ auf einen Schlag 59 führende Regierungs- und Parlamentsmitglieder sowie Beamte der Republika Srpska. Parlamentspräsident Dragan Kalinic war das prominenteste Opfer dieser Maßnahme. Auch Zoran Zuza wurde seines Amtes enthoben, verlor gleichzeitig seine Bürgerrechte und erhielt Berufsverbot für den staatlichen Dienst. Was warf Ashdown dem 37-Jährigen Zuza konkret vor? Die offizielle Begründung für den Hinauswurf aus Amt und Partei, so der frühere Journalist und Lehrer gegenüber dem Autor, lautete "kulturelles Schweigen". Mit dieser Formel zielt die "internationale Gemeinschaft" in Person des Hohen Repräsentanten auf alle, die sich weigern, Radovan Karadzic und Ratko Mladic öffentlich als Kriegsverbrecher zu geißeln. Dass der frühere bosnisch-serbische Präsident und sein Armeekommandant bis zu Redaktionsschluss dieses Textes noch von keinem Gericht der Welt verurteilt worden sind, spielt für den Tatbestand des "kulturellen Schweigens" keine Rolle.

Schweigen als Tatbestand - das war neu in der internationalen Rechtssprechung. Oder vielmehr: Es wäre neu gewesen; denn von Rechtssprechung kann in den zahlreichen Fällen, in denen die bosnischen Kolonialverwalter Westendorp, Petritsch oder Ashdown ihre auf dem Dayton-Vertrag fußende Allmacht ausspielten, nicht die Rede sein. Es gibt keine Einspruchsmöglichkeit gegen derlei Entscheide von ganz oben. Ashdown agierte gottähnlich. Dass sich Zuza politisch mit der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) und Dragan Kalinic eingelassen hat, reichte dem "Hohen Repräsentanten" für die Zwangsdemission. Und diese zieht folgenreiche Konsequenzen nach sich, denn einerseits ist Zuza mit offiziellem Berufsverbot für alle staatlichen Angelegenheiten belegt, er kann nicht einmal in seinen erlernten Beruf als Sprachlehrer zurück; und andererseits ist sein Name bei so gut wie allen bosnisch-herzegowinischen Zeitungen und Fernsehstationen in Misskredit geraten.

Dass der seit 15 Jahren mit juristischen Mitteln geführte Kampf gegen in EU-Europa als nationalistisch empfundene Äußerungen ein besseres, multikulturelles Bosnien-Herzegowina geschaffen hätte, kann indes getrost verneint werden. Den eigenen Anspruch hat die Gesinnungsjustiz also nicht erfüllt.


Der Fall Thomas Stricker

Die Schweiz kennt wohl europaweit die restriktivste Jurisdiktion, wenn es um freie Meinungsäußerung geht. Hier ist bereits seit langem ein Paragraph in Kraft, der Rassismus strafbar macht. Dieses Antirassismusgesetz hat auch der Vorstand des Instituts für Computersysteme an der ETH Zürich, Thomas Stickler, zu spüren bekommen. Bereits im Wintersemester 2000 hatte der Informatikprofessor mit seinen Studenten im Rahmen eines Projektes genau dieses Gesetz ironisieren wollen, indem er zeigte, wie leicht mittels Verlinkung auf Webseiten verwiesen werden kann, die abscheulich oder - wie im vorliegenden Fall - kriminell sind. In zwei Verlinkungsschritten konnten den Studenten von Professor Stricker mühelos rassistische und neonazistische Homepages vorgeführt werden. Stricklers Versuch, begleitet von einer Selbstanzeige, war auf die Beweisführung ausgelegt, wie einfach ein Link oder ein Verweis auf der eigenen Internetseite zu Inhalten führen kann, die man selbst ablehnt. Dies passiert einfach durch die Tatsache, dass die Verbindungen in der virtuellen Welt extrem dicht verwoben sind. So haben Wissenschaftler der US-amerikanischen Universität Notre Dame errechnet, dass zwei beliebig ausgewählte Webseiten im weltweiten virtuellen Netz durchschnittlich 19 Klicks voneinander entfernt liegen.

Ein Schweizer Bezirksgericht hat jedenfalls dienstbeflissen Klage gegen den Informatiker Stricker erhoben. Vier Jahre dauerte der Prozess, im Zuge dessen der Informatiker nicht nur juristisch verfolgt, sondern auch u.a. in Kommentaren in der Neuen Zürcher Zeitung als "Rassist" beschimpft wurde und mundtot gemacht werden sollte. Schließlich konstatierte das Gericht, dass ein "Link zu einem Link zu einem Link auf eine rassistische Hompage nicht als absichtliche Unterstützung rassistischer Propaganda unter das Schweizerische Antirassismus-Gesetz fällt." Nach vier Jahren Kampf gegen ein kafkaeskes Rechtssystem und gegen Verleumdungen, so schreibt Stricker, habe er "allen Glauben in die Justiz verloren". Bedient sich zukünftig die Europäische Union ähnlicher Rechtsvorschriften für die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, wie sie der EU-Rahmenbeschluss durchaus ermöglicht, so bedeutet dies auch das Ende der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit beispielsweise zur Soziologie von Rassismus. Denn rassistische oder rechtsradikale Homepages in den USA oder anderen Teilen der Welt, die aufgrund einer auf Meinungsfreiheit beruhenden Rechtsprechung oder anderer Gesetze ohne Einschränkungen ins Netz gestellt werden können, werden dann Nutzern in der EU zum Verhängnis, selbst dann, wenn dies nur zu Studienzwecken passieren sollte.

Ende 2008 scheiterte in der Schweiz ein Versuch der rechts stehenden "Volksinitiative der Schweizer Demokraten" zur Aufhebung des Antirassismus-Paragraphen im Strafrecht. Mit 75.000 Unterschriften blieben die Proponenten der Initiative unter den für die Abhaltung eines Referendums benötigten 100.000 Unterstützungserklärungen.


Völkermörder oder Freiheitskämpfer?

Wie untauglich juristische Mittel im Kampf um politische Meinung sind, ja wie sehr diesbezügliche Kriminalisierung als Teil eines neuen Zensurregimes angesehen werden können, mag der italienisch-kroatische Streit um die Einschätzung titoistischer Kampfmittel gegen den italienischen Faschismus verdeutlichen. In so genannten "Foibe-Massakern" waren vor allem im karstigen Inneren der Halbinsel Istrien italienische Faschisten oder solche, die von den Partisanen der Kooperation mit Italien bezichtigt wurden, in tiefe Karsthöhlen (fojba, fossa) geworfen worden, wo sie den Tod fanden. Historiker schätzen die Opferzahl zwischen 5000 und 15.000. In den vergangenen Jahren wurde aufgrund der Regierungsbeteiligung der Postfaschisten in Italien der 10. Februar zum feierlichen Gedenktag an die Opfer der "jugoslawischen Kriegsverbrechen" ausgerufen worden, wie dies auf Italienisch lautet. Als nun der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano im Februar 2007 ausgerechnet den von jugoslawischen Partisanen liquidierten Chef der faschistischen italienischen Polizei von Zara/Zadar, Vincenzo Serrentino, posthum mit einem hohen Orden auszeichnete, sanken die kroatisch-italienischen Beziehungen wieder einmal auf einen Tiefpunkt. Für unser Thema von Interesse sind die inhaltlichen Begleitumstände der zwei weit auseinander liegenden historischen Wahrheiten.

Vincenzo Serrentino diente Mussolini als Speerspitze gegen die titoistischen Partisanen. Als diese seiner habhaft wurden, fand er den Tod in den Karsthöhlen. Italiens amtierender Staatspräsident Napolitano rechtfertigte die Ehrung des Faschisten mit den Kriegsverbrechen der "slawischen Barbarei" und den "ethnischen Säuberungen", mit denen die Tito-Partisanen sich der istrischen Italiener entledigt hätten. Umgekehrt kritisierte der kroatische Präsident Stjepan Mesic in einer Replik auf Napolitano den "Rassismus" der Aussagen des römischen Präsidenten.

Beider Vorwürfe sind bei gutem bzw. schlechtem Willen nach dem EU-Rahmenerlass zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit strafwürdig. Da es sich dabei um ein noch zu erläuterndes Weltrechtsprinzip handelt, kann und muss jeder Staat in der Europäischen Union juristisch aktiv werden, wenn es im Mutterland des Täters zu keiner Anklage kommt. Stehen demnächst die beiden Präsidenten Italiens und Kroatiens - nach dessen feierlichem EU-Beitritt - gemeinsam (zum Beispiel in Deutschland) vor dem Kadi und fassen jeder ein Jahr Gefängnis aus?


Der französische Negationismus

"Négationnisme" heißt der französische Fachbegriff für die Leugnung von Völkermord. Bereits im Jahre 1990 wurde in Paris ein Strafgesetz verabschiedet, das Leugnung, Verharmlosung oder sogar Relativierung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Gesinnung unter Strafe stellt. In der Schweiz erfüllt der Antirassismusparagraph eine ähnliche Funktion. Virulent wurde diese Gesetzgebung im Oktober 2006, als die französische Nationalversammlung unter der Führerschaft der Sozialistischen Partei in erster Lesung ein Gesetz beschloss, das ganz konkret die Leugnung des türkisch-osmanischen Genozids an den Armeniern im Jahr 1915 als Verbrechen brandmarkt. Die Kernaussage dieses Gesetzesvorhabens: Wer immer in Frankreich darauf beharrt, dass die Vertreibung und Verfolgung der Armenier während des Ersten Weltkrieges kein Völkermord, sondern beispielsweise ein notwendiger Akt der Selbstverteidigung gegen von Moskau instruierte armenische Eliten war, muss mit einem Jahr Gefängnis oder mit einer hohen Geldstrafe rechnen. Obwohl von den insgesamt 577 französischen Abgeordneten nur 106 für die Annahme dieses staatlichen Wahrheitsparagraphen votierten, waren die Verfechter der Kriminalisierung in der Mehrheit, weil die meisten Abgeordneten der bürgerlichen Parteien der Abstimmung fernblieben. Die formelle Gesetzwerdung hängt seither an noch ausstehenden Beschlüssen des Senats und des Präsidenten.

Mit der abstrusen juristischen Form zur Durchsetzung dieser angeblich unhinterfragbaren historischen Wahrheit hat Frankreich auf die türkische Gesetzgebung reagiert, die für ihre Bürger genau das umgekehrte Verhalten juristisch vorschreibt. Dort wird die Bezeichnung des schrecklichen Schicksals der Armenier als "Völkermord" juristisch verfolgt. Folgerichtig klaffen auch die Zahlen der Toten auseinander, die die Armenier zwischen 1915 und 1917 zu beklagen hätten. Während in französischen Quellen von 1,5 Millionen die Rede ist, nennen türkische Historiker durchwegs die Zahl 300.000. Die staatlich verordnete Leugnung des Völkermords an den Armeniern in der Türkei war es auch, die den Pariser Philosophen Bernard-Henri Lévy zu einem der Einpeitscher für die Einführung einer juristischen Handhabe zur Wahrheitsfindung machte. Er replizierte direkt auf die türkische Zensur und forderte in Hinblick darauf eine adäquate französische Antwort.

Ganz anders der armenischstämmige Journalist Hrant Dink, der bis zu seiner Ermordung durch türkische Nationalisten im Januar 2007 unter großen Mühen in Istanbul die Wochenzeitung Agos herausgab. Wie viele andere Intellektuelle hat er die Irrationalität der sich gegenseitig aufschaukelnden Meinungsparagraphen erkannt. In einem Interview mit der Zeitschrift Spiegel empörte er sich über die unmittelbaren Folgen des französischen Gesetzeswerks für eine offene Debatte: "Wie sollen wir künftig gegen ein Gesetz argumentieren, das uns verbietet über einen Genozid zu reden", meinte er in Anspielung auf die türkische Zensur, "wenn Frankreich nun umgekehrt dasselbe tut?" Tatsächlich können mittels Rechtssprechung verabreichte Wahrheiten den Inhalt der jeweiligen Wahrheit wohl kaum transportieren. Dem Staat geht es um die Form. Diesbezüglich haben sich in der Armenierfrage die Türkei und Frankreich angeglichen.

Proteste gegen Frankreichs Position waren freilich auch von staatlichen türkischen Stellen zu hören: "Eine Lüge bleibt eine Lüge, auch wenn ein anderes Parlament etwas anderes beschließt", ließ sich wenig originell der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vernehmen. Geistesgegenwärtiger war da der - nicht angenommene - Antrag aus der Fraktion der islamisch orientierten Mehrheitspartei AKP, im Gegenzug zur französischen Kriminalisierung der Völkermordsleugnung an den Armeniern ein Gesetz gleichen Strickmusters zum französischen Völkermord in Algerien zu erlassen. Wo einmal die juristischen Schleusen zur Bewältigung von Vergangenheit geöffnet sind, gibt es bald kein Halten mehr.

Radikaler als in Frankreich agiert die Schweizer Staatsanwaltschaft. Dort läuft eine ganze Reihe von Verfahren gegen Völkermord-Leugner. So hat beispielsweise das Bezirksgericht in Winterthur drei Türken wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen, weil sie den osmanisch-türkischen Völkermord an den Armeniern als "große Lüge" bezeichnet und damit geleugnet hatten. Verurteilt wurde in der Schweiz auch der bekannte links-nationale türkische Politiker Dogu Perinçek, der unter der Junta jahrelang im Gefängnis gesessen war. Am 24. Juli 2005 hatte Perinçek in Lausanne auf einer Kundgebung erklärt, dass der Völkermord an den Armeniern eine "imperialistische Lüge" sei. Für diese Leugnung ist er zwei Jahre später zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Damit war erstmals auch ein Politiker, dessen Arbeiterpartei (Isçi Partisi) in der Türkei immer wieder vom Verbot bedroht ist, einem westeuropäischen Gesinnungsparagraphen juristisch zum Opfer gefallen.


Erinnerungspolizei in Multikulti-Gewand

Anders als in Deutschland und Österreich protestieren gerade in Frankreich bekannte Schriftsteller, Historiker und Philosophen gegen staatlich verordnete Wahrheiten. Im "Appel de Blois", benannt nach der Stadt, in der sich die Initiatoren des Protestschreibens erstmals versammelt hatten, sprechen sich Erstunterzeichner wie Jacques Le Goff, Eric Hobsbawm und Timothy Garton Ash ganz generell gegen "Erinnerungsgesetze" aus. Es sei "nicht die Angelegenheit irgendeiner politischen Instanz, geschichtliche Tatsachen festzustellen oder die Freiheit des Historiker durch Strafandrohung einzuschränken", heißt es in dem Appell klar und unmissverständlich. Der französische Staat ließ sich davon nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Paris erließ ein noch weiter gehendes Gesinnungsgesetz, in dem Lehrer und Schüler verpflichtet werden, die "positive Rolle Frankreichs in Übersee" zur Zeit des Kolonialismus, "besonders in Nordafrika", zu lehren bzw. zu lernen. Am 23. Februar 2005 erließ die Nationalversammlung eine entsprechende Unterrichtsleitlinie. Wohlgemerkt: keine schulische Richtschnur, sondern ein staatliches Gesetz. Der Sturm der Entrüstung darüber, der kurzfristig Lehrer und Universitäten erfasst hatte, hat sich zwischenzeitlich wieder gelegt. Dies mag auch daran liegen, dass bisher kein Strafrahmen beim Überschreiten des Gesetzes vorgesehen ist. Bemerkenswert bleibt dennoch, mit welcher Kaltschnäuzigkeit der französische Staat gleichzeitig eine positive Sicht der eigenen Kolonialgeschichte auf der einen Seite und die Unterstrafestellung der Leugnung von Völkermord an den Armeniern auf der anderen Seite betreibt. Als ob Frankreichs Kolonialsoldaten und Kolonialverwalter nicht von dieser Welt gewesen wären.


Was ist Völkermord?

Die "Gattung dahinmetzeln", so könnte man den griechisch-lateinischen Mischbegriff Genozid holprig ins Deutsche übersetzen. Das griechische "génos" steht dabei für Gattung, Volk, Geschlecht, während das lateinische "caedes" so viel wie Gemetzel, Blutbad bedeutet.

Am 12. Januar 1951 trat die UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord in Kraft. In Artikel II wird das Verbrechen als "Tötung von Angehörigen einer Gruppe" oder "Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen einer Gruppe" definiert, wenn damit die Absicht verbunden ist, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören." Die Absicht eines Völkermordes steht im Zentrum der entsprechenden Paragraphen. Es müssen also nicht besonders viele Menschen eines Volkes oder einer religiösen Gruppe ermordet werden, um die Tat als "Völkermord" bezeichnen zu können; die Absicht der Untat muss sich jedoch auf möglichst viele Mitglieder der entsprechenden Gruppe richten.

Bis zu den Massakern in Ruanda und dem Morden im jugoslawischen Zerfallsprozess in den 1990er Jahren war das Thema "Völkermord" in der juristischen Praxis weitgehend abwesend. Erst die 800.000 Toten in der ruandischen Tragödie und die Brutalität der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien haben den Völkermord als politische und juristische Kategorie ins allgemeine EU-europäische Bewusstsein gebracht. Dies sicherlich nicht wegen der Schwere der Massaker, obwohl im Falle Ruandas eine zuvor kaum vorstellbare Dimension erreicht war, sondern vielmehr wurde der Vorwurf des Völkermords als politisch brauchbar erkannt: einerseits von den entsprechenden Konfliktparteien, die dem jeweiligen Gegner Genozid vorwarfen, andererseits aber auch von auswärtigen Interessen. Am Auffälligsten geschah dies im jugoslawischen Völkermorden mit anschließender Nato-Intervention. Deutschland, die EU und die USA stellten sich nach und nach an die Seite all jener Kräfte, denen an einer Zerschlagung Jugoslawiens gelegen war. Eine daraus resultierende antiserbische Politik gipfelte in der von keinem UNO-Mandat legitimierten und darum völkerrechtswidrigen Angriff der 19er-Allianz auf Jugoslawien am 24. März 1999. Spätere Rechtfertigungen dieser Aggression brachten in vollständiger Umkehrung der Verhältnisse den Begriff "Völkermord" gegen Belgrad in eine ideologische Position, in der er sich bis heute über das zweifelhafte Jugoslawien-Tribunal in Den Haag (ICTV) gehalten hat. Die Ausstellung eines Haftbefehls dieses Tribunals gegen Slobodan Milosevic mitten im Bombenhagel der Nato am 22. Mai 1999 war eher Teil des illegitimen Nato-Krieges als ein Akt einer unabhängigen Jurisdiktion.

Würde man "Völkermord" als objektivierbares Gräuel außer jeden (geo-)politischen Streit stellen, so müsste nicht nur längst die Hauptstadt der USA umbenannt werden - immerhin trägt sie den Namen eines Mannes, der am mutmaßlich größten Genozid in der Geschichte der Menschheit, der Ausrottung der nordamerikanischen Indianer, als General und Staatsmann führend beteiligt war -, sondern müsste auch so manch ein noch lebender US-amerikanischer, britischer oder französischer Verantwortlicher für Völkermorde in Korea, Vietnam, im südlichen Afrika oder in Algerien seinen Lebensabend hinter Gittern verbringen. Zaghafte Schritte zur Objektivierbarkeit der Tatbestände "Völkermord" oder "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" wurden im Juli 1998 auf einer Konferenz der Vereinten Nationen mit der Gründung des "Internationalen Strafgerichtshofs" in Den Haag (nicht zu verwechseln mit dem Jugoslawien-Tribunal) gesetzt. Dieser Gerichtshof will neben Völkermord und Kriegsverbrechen auch das "Verbrechen der Apartheid" (Artikel 7j) sowie das "Verbrechen der Aggression" (Artikel 5d) ahnden. Unter anderem deshalb und mit dem Verweis auf eine notwendige Immunität der weltweit im Einsatz befindlichen US-Soldaten haben die USA ihre Teilnahme zurückgezogen und sprechen dem Gerichtshof jede Zuständigkeit ab. Nicht ratifiziert wurden die internationalen Dokumente - das "Rom-Statut" - bisher auch von Israel, Russland, China, Indien, Pakistan und Iran.


Leugnung von Völkermord wird strafbar

Der "EU-Rahmenbeschluss" vom April 2007 lässt keinen Zweifel daran, dass künftighin überall im Einflussbereich Brüssels die Leugnung von gerichtlich festgestellten historischen Wahrheiten, sollten sie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit betreffen, einen Straftatbestand darstellt. Vorbild dafür gibt der § 130 Absatz 3 des deutschen Strafgesetzbuches ab, der das seit 30. Juni 2002 in Kraft befindliche "Völkerstrafgesetzbuch" inkludiert. Dort heißt es: "Mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung eine Handlung im Sinne von § 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches billigt, rechtfertigt, leugnet oder verharmlost, die 1.) unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft oder 2.) unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft (...) begangen wurde." Die Erläuterungen beseitigen dann jeden Zweifel über die Absicht, dem Strafgesetzbuch gerichtlich verordnete historische Wahrheiten zur Seite zu stellen, auf dass niemand darüber diskutieren dürfe: "Zum Beispiel: Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien." Das "Weltrechtsprinzip" stellt zudem sicher, dass die Strafbarkeit überall gegeben ist, nicht nur dort, wo die Tat - also z. B. das Leugnen - stattgefunden hat. Deutschland oder Spanien, das eine lange Tradition relativ skurriler Anklageerhebungen gegen irgendwo in der Welt vorgefallene Unrechtstaten aufweist, könnten eine ganze Rechtsindustrie aufbauen, um Verharmlosern bzw. Leugnern von Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord beizukommen.

Voraussetzung für diese Art der Gesinnungsjustiz ist laut EU-Rahmenbeschluss, dass eine "rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts" vorliegt, das eine Untat als Völkermord eingestuft hat. Gerade im Fall der südslawischen Bürgerkriege ist beispielsweise mehr als zweifelhaft, ob diese Voraussetzung gegeben ist. Der Internationale Strafgerichtshof hat eine diesbezügliche Klage von Bosnien-Herzegowina gegen Serbien abgewiesen. Gleichzeitig wird aber in der Begründung das Massaker von Srebrenica aus dem Jahr 1995 als Völkermord bezeichnet, für den allerdings Serbien nicht verantwortlich gemacht werden könne. Andererseits verurteilte das Jugoslawien-Tribunal eine Reihe von militärisch oder politisch Verantwortlichen wegen Völkermords oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit - zumindest in erster Instanz -, zum Beispiel den serbisch-bosnischen Generalstabschef Radislav Krstic. In zweiter Instanz wurde dann der Tatbestand des Völkermordes wieder aus der Liste seiner Verfehlungen gestrichen. Gerade das großteils von privaten Sponsoren wie dem ungarischstämmigen Spekulanten George Soros finanzierte Jugoslawien-Tribunal ist streng juristisch gesehen ohne jede Autorität. Es wurde zwar von der UNO im Mai 1993 initiiert, hat sich aber aus der Umklammerung durch die US-Politik niemals lösen können. Seinen Völkermord-Definitionen haftet der Geruch geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen wie kaum sonst einer rechtlichen Einrichtung an.

Sollte sich die Lesart des deutschen Justizministeriums unter sozialdemokratischer Führung durchsetzen, wonach im ehemaligen Jugoslawien ein von serbischer Seite betriebener Völkermord an muslimischen Slawen verübt worden sei, dann könnten schon demnächst ein Dutzend Buchautoren, Journalisten und Historiker juristisch zur Rechenschaft gezogen werden. Leugnen ist Straftat.


Vom Sudan bis nach Galizien

Staatlich verordnete Diskussionsverbote können Einschätzungen überall auf der Welt betreffen. Sobald ein vom deutschen oder einem anderen EU-Justizministerium anerkanntes Gericht offiziell "Völkermord" konstatiert, darf daran nicht mehr gezweifelt werden, zumindest nicht öffentlich. Die Gedanken bleiben frei, ihre Äußerung wird strafbar. Sollte der internationale Gerichtshof in Den Haag beispielsweise den Krieg in Darfur als von Islamisten verübten Völkermord an Schwarzafrikanern beurteilen, wofür es gelegentlich Indizien gibt, neben anderen Interpretationen, so endet allein die Leugnung dieses Genozids im Gefängnis. Man stelle sich dies konkret vor: Im ARD wird ein bekannter Islamforscher danach gefragt, wie man den Völkermord in Darfur beenden könnte. Seine mögliche Antwort, dass die Sache komplizierter sei und wohl kein Völkermord vorliegen würde, brächte den Wissenschaftler vor den Kadi. Ein zweiter zweifelnder Islamkundler würde im Fernsehen oder sonst wo nicht mehr auftreten.

In Kenntnis des Charakters der herrschenden Gesellschafts- und Rechtsordnung darf sich die Linke von ihrer antirassistischen Tarnung nicht täuschen lassen.

Auch wer die Politik der Roten Khmer im Kambodscha der 1970er Jahre nicht auf den Willen zur Vernichtung des eigenen Volkes reduzieren will, kann in Deutschland oder Österreich bald Schwierigkeiten mit der Justiz bekommen. Der gerichtlich festgestellten Wahrheit, nach der die Evakuierung der städtischen Bevölkerung auf das Land ein Völkermord gewesen sei, darf nicht mehr entgegen getreten werden. Wer danach fragt, ob die Führung der Maoisten unter Pol Pot und Ieng Sary unter dem Bombenhagel der US-Flugzeuge vielleicht zu dieser drastischen Maßnahme gezwungen waren, bewegt sich bereits im Graubereich der Illegalität.

Noch weiter fortgeschritten ist die Bestrafung von Gesinnung in der postsowjetischen Ukraine. Dort hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, nach dem es verboten ist, den Holodomor der Jahre 1932/33 nicht als sowjetisch-kommunistische Verschwörung zu bezeichnen. Wer also in Kiew behauptet, die große Hungersnot der Zwischenkriegszeit sei vor allem den Folgen des Bürgerkriegs um die Herrschaft in der Sowjetunion und einer katastrophalen Ernte geschuldet, geht ins Gefängnis. "Die Kommunistische Partei und die Sowjetregierung haben absichtlich Hunderttausende Ukrainer verhungern lassen": Dies ist die einzig zulässige Wahrheit. Der Wahnsinn dieser offiziell verordneten Gesinnung macht auch außerhalb der ukrainischen Grenzen nicht halt. So hat das Europaparlament eine Resolution ganz im Sinne der orange Kiewer Eliten verabschiedet, welche die ukrainische Tragödie als "Völkermord" bezeichnen. Was in seriösen Historikerkreisen als - brutale - Folge der Kollektivierung der Landwirtschaft gilt, hat die postsowjetische, nationalistische Elite in der Ukraine zu einem "Völkermord an Ukrainern" uminterpretiert. Das wäre weiter nicht schlimm, könnten sich Historiker oder Journalisten mit dieser Interpretation weiterhin auseinandersetzen. Doch jeder Debatte darüber wurde bei Strafandrohung, einen Völkermord zu leugnen, ein Riegel vorgeschoben.


Verrechtlichte Wahrheit

Ein überall auf der Welt wirtschaftlich immer sichtbarer als Diktatur des Kapitals auftretendes Gesellschaftssystem wird mit der Durchsetzung von Gesinnungsjustiz politisch und rechtlich nachjustiert. Damit kehrt eine Totalität nach EU-Europa zurück, die seit 1945 gebannt schien. Ökonomisch beruht diese auf Kapitalverwertung und Konkurrenz als einzig zulässigem und überall stattfindendem Prinzip; politisch-gesellschaftlich beginnt sie, sich über vermeintlich antirassistische, friedensgesinnte und multikulturelle Gesetzgebungen in unser Leben einzuschleichen. Als treibende Kraft fungieren einzelne Nichtregierungsorganisationen, politisch versuchen vor allem die Sozialdemokratie und die Grünen darüber Profil zu gewinnen. Warnende Stimmen kommen in erster Linie von Historikern und Liberalen, auch Teile der Linken erkennen die Sprengkraft, sprich: die politische Instrumentalisierbarkeit von verrechtlichter Wahrheit. "Geschichte ist keine Religion. Geschichte ist nicht Moral. Geschichte akzeptiert kein Dogma." Und: "Geschichte ist kein Objekt der Rechtssprechung." Mit diesen einfach zu verstehenden Kernsätzen appellierten am 13. Dezember 2005 bekannte französische Historiker an die politisch Verantwortlichen in Paris, Gesinnungsparagraphen und vorgeschriebene Wahrheiten aus den Gesetzbüchern zu streichen. Sie taten das in der Gewissheit, dass es der wohl schlechteste Weg ist, Vergangenheit aufzuarbeiten, indem man gesetzliche Vorschriften über ihre Erforschung und Rezeption erlässt. Auf diese Weise wird Geschichte im Dienste des aktuellen politischen Bedarfs instrumentalisiert. Sie wird zum Druck- und Repressionsmittel gegenüber Forschern und Intellektuellen, aber auch gegenüber politisch anders Denkenden. Der britische Historiker Timothy Garton Ash hat die Kritik seiner Zunft am "EU-Rahmenbeschluss" in einem Kommentar in der Zeitung The Guardian unter dem Titel "Freiheit der historischen Debatte von Gedankenpolizei attackiert" zusammengefasst: "Der Vorschlag der deutschen Justizministerin riecht nach übervorsorglichem Staat. Er spricht im Namen der Freiheit, aber er traut den Menschen nicht zu, sie auszuüben." Diese liberale Position ließe sich von links ergänzen, denn Gesinnungsjustiz ist als Herrschaftsinstrument instrumentalisierbar. In Kenntnis des Charakters der herrschenden Gesellschafts- und Rechtsordnung darf sich die Linke von ihrer antirassistischen Tarnung nicht täuschen lassen.

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EUROPA

Gericht wiederholt Gesinnungsurteile

Der Terrorprozess in zweiter Instanz

Von Gunnar Bernhard

Auf den Tag genau 75 Jahre nach dem 12. Februar 1934 gedachte Österreichs Justiz auf höchst eigentümliche Art der damaligen Ereignisse.


Der Gesinnungsparagraph 278 des StGb hat wieder zugeschlagen: In der am 12.2.2009 zu Ende gegangenen Neuauflage des im März 2008 als "Terrorprozess" berühmt gewordenen Scheinverfahrens gegen Mohamed M. und Mona S. wurden die damaligen Urteile (4 Jahre bzw. 22 Monate Haft, jeweils unbedingt) schablonenhaft wiederholt.

In der ersten Auflage des Prozesses war Mohamed M. angeklagt gewesen wegen angeblicher Beteiligung an der Produktion und Veröffentlichung eines Drohvideos, mit dem Österreich und Deutschland zum Abzug ihrer Soldaten aus Afghanistan gebracht werden sollten, außerdem wegen der angeblichen Verbreitung von Plänen für Anschläge während der Fußball-EM und wegen weiterer terroristischer Texte. Beide, Mohamed M. und Mona S., wurden wegen Übersetzungen von Texten terroristischer Vereinigungen angeklagt. In allen Anklagepunkten hatte es Schuldsprüche gegeben, obwohl in keinem einzigen Punkt ein Schuldbeweis erbracht wurde. Die Verurteilungen waren bei Mohamed M. wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (§ 278b), Beteiligung an einer kriminellen Organisation (§ 278a), Aufforderung zu Straftaten sowie Nötigung und versuchter Nötigung der Republik Österreich erfolgt, bei Mona S. wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation.

Die konkreten Delikte waren diesmal größtenteils nicht mehr Prozessgegenstand. Zu klären war nur die Frage, ob die beiden Angeklagten als Einzeltäter oder als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation gehandelt hatten. Diese Frage war nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs im ersten Prozess nicht ausreichend geklärt bzw. die entsprechenden Fragen an die Geschworenen falsch gestellt worden.

Da Mona S. von Anfang an nichts anderes als die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung bzw. kriminellen Organisation vorgeworfen worden war, hätte es für sie daher einen Freispruch bedeutet, wenn diese Frage dahingehend beantwortet worden wäre, dass die beiden als Einzeltäter gehandelt hatten. Zur Debatte stand also nicht mehr und nicht weniger als der gesamte Vorwurf des Terrorismus gegen beide Angeklagten. Ein Freispruch in diesem Punkt hätte für Politik und Behörden eine Katastrophe bedeutet, da den verschiedenen Überwachungs- und Ermittlungsgesetzen dadurch eine wesentliche Rechtfertigung entzogen worden wäre.

Als umso notwendiger wurde es von politischer Seite daher offensichtlich erachtet, die Angeklagten von Anfang an wieder als Staatsfeinde darzustellen. Mona S. wurde erneut vom Verfahren ausgeschlossen, da sie weiterhin nicht bereit war, ihren Gesichtsschleier abzunehmen. Dass der Ausschluss schon im ersten Verfahren von Experten des Justizministeriums als ungerechtfertigt bezeichnet worden war, dürfte für Richterin Michaela Sanda dabei deutlich weniger Gewicht gehabt haben als der offensichtliche politische Druck, den Eindruck, Mona S. sei eine unzivilisierte und terroristische Wilde, um jeden Preis aufrecht zu erhalten.

Auch der weitere Prozessverlauf zeigte, dass ein Freispruch von Seiten des Gerichts von vornherein zu keiner Zeit in Frage kam. Der Vorwurf der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gründete sich ja vor allem darauf, dass die beiden Texte von al-Kaida sowie irakischen und afghanischen (und nicht einmal namentlich genannten) Widerstandsgruppen, die im Internet kursierten, übersetzt und veröffentlicht hatten. Verteidiger Lennart Binder wies darauf hin, dass die Übersetzung und Veröffentlichung von Texten von al-Kaida und anderer als terroristisch eingeschätzter Gruppierungen ja auch von verschiedensten anerkannten Medien betrieben werde, ohne dass diese deshalb als Mitglieder von al-Kaida gelten. Sogar der ORF bringe Auszüge aus Reden von Osama Bin Laden, und es gebe bei renommierten Verlagen Bücher, die komplette Reden von Bin Laden und anderen "Top-Terroristen" enthielten. Binders Antrag, diese Bücher als Beweise zuzulassen, wurde von der Richterin selbstverständlich abgeschmettert, wobei diese so tat, als wisse sie überhaupt nicht, welche Relevanz der Antrag für das Verfahren haben könnte.

Aus Deutschland wurde erneut der Zeuge Ali Sadr, Mitarbeiter des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) eingeflogen, um über die Rolle der Globalen Islamischen Medienfront (GIMF) zu referieren, auf deren Internetseite die Texte, die die Angeklagten übersetzt hatten, zum Teil veröffentlicht worden waren. Als Zeuge der Anklage schien er die Aufgabe zu haben, die GIMF als verlängerten Arm von al-Kaida darzustellen, tatsächlich musste er aber zugeben, dass keinerlei direkte Kontakte zwischen al-Kaida und GIMF beobachtet worden waren. Des weiteren war Sadr im Zuge seiner längeren Beobachtung der GIMF kein einziges Mal auf die beiden Angeklagten gestoßen, außerdem konnte er auch nicht umhin einzugestehen, dass die GIMF nach der Verhaftung der beiden Angeklagten völlig unverändert so weiter agiert habe.

Obwohl diesmal nur die Frage der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation zu klären war, wurden sämtliche Belastungszeugen aus dem ersten Prozess wieder vernommen, auch wenn sie zu dieser Frage nicht das Geringste zu sagen hatten. Stellte hingegen Mohamed M. bzw. Verteidiger Binder Beweisanträge, die nicht direkt mit dieser Frage zu tun hatten, wurden diese sofort mit der Begründung "nicht verfahrensrelevant" abgelehnt - ein Grund dafür, dass Mohamed M. am 19. Dezember 2008 in den Hungerstreik trat und diesen auch bis zum Ende des Prozesses fortsetzte.

Es zeigte sich bei der Einvernahme der polizeilichen Belastungszeugen lediglich ein weiteres Mal der bereits bekannte Umstand, dass einige Methoden der Überwachung des Computers von Mohamed M. zum Zeitpunkt ihrer Durchführung nicht gesetzlich gedeckt waren. Aber bezüglich dieses Faktums hatte das Gericht ja schon im ersten Prozess kaum Bedenken gehabt. Die Tatsache, dass illegal zustande gekommene Beweise eigentlich nicht vor Gericht verwendet werden dürfen, scheint ein vernachlässigbares Detail zu sein, wenn es darum geht, der Öffentlichkeit zwei "Terroristen" zu präsentieren und damit repressive Gesetze zu rechtfertigen. Wenig überraschend war das diesmal nicht anders, auch wenn man sich zeitweise des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass der Richterin ihre Rolle nicht besonders angenehm war und sie vor allem in heiklen Situationen eher nach der Devise "Augen zu und durch" agierte (siehe Umgang mit Beweisanträgen des Verteidigers).

Bei der abschließenden Verlesung der Fragen an die Geschworenen zauberte die Richterin dann plötzlich zwei von Mona S. übersetzte Texte von al-Kaida (wohlgemerkt: Texte, die frei im Internet kursierten und nicht etwa von al-Kaida bewusst an jemanden Bestimmten weitergegeben worden waren) aus dem Akt hervor, die vorher in beiden Prozessen kein einziges Mal zur Sprache gekommen waren, über die in den Verhandlungen also nie ein Wort verloren worden war (auch von den Staatsanwälten nicht), und die auch keinerlei Aufrufe zu Gewalttaten enthielten. Anscheinend war man sich von Seiten des Gerichts im letzten Moment bewusst geworden, dass bis dahin im gesamten Verfahren kein einziges belastendes Wort gegen Mona S. gefallen war, und man sah sich wohl genötigt wenigstens zu beweisen, dass Mona S. überhaupt irgendwelche Texte übersetzt hatte.

Das Schlussplädoyer des Staatsanwaltes sprach Bände über das äußerst fragile Konstrukt der Anklage. Mit keinem einzigen Wort ging er auf die einzige im Prozess zu klärende Frage ein, nämlich ob die Angeklagten jetzt eigentlich an einer Organisation bzw. terroristischen Vereinigung beteiligt gewesen waren oder nicht. Stattdessen war es ihm ein Anliegen zu behaupten (ohne dabei in irgendeiner Weise konkret zu werden), dass die Persönlichkeit, die die beiden gezeigt hätten, die Vorwürfe unterstreichen würde. Mohamed M. habe des weiteren eigentlich nicht aus Überzeugung gehandelt, sondern um sich zu profilieren und Geld zu verdienen - im nächsten Moment hieß es dann wieder, Mohamed M. sei aus politischer Überzeugung kriminell geworden, er habe sich außerdem nie von den Anschlägen des 11. September 2001 oder von den Anschlägen in Madrid 2004 und London 2005 distanziert. Den Text bezüglich der Anschlagspläne habe er in stundenlanger Arbeit verfasst, daher könnte es sich keinesfalls nur um lose dahingeschriebene Gedanken handeln. Mildernd sei immerhin zu werten, dass den Anschlagsplänen (deren Veröffentlichung durch Mohamed M. ja nie nachgewiesen wurde) niemand Folge geleistet habe. Die Absurdität des Vortrages gipfelte in der offensichtlichen Tatsachenverdrehung, Mona S. habe es vorgezogen, nicht bei Gericht zu erscheinen.

Das demokratiepolitisch höchst Bedenkliche an diesem Prozess sind nicht nur die Art der Ermittlungen und der Prozessführung sowie die Urteile, sondern die gesetzlichen Grundlagen, die ein solches Urteil möglich machen.

Verteidiger Binder wies in seinem Schlussplädoyer darauf hin, dass in diesem Prozess erstmals eine Anklage wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung erfolgt war, dass zum ersten Mal eine Online-Überwachung eingesetzt worden war und es jetzt offenbar darum gehe, diese Methode salonfähig zu machen und politisch durchzusetzen, und dass zum ersten Mal eine Angeklagte von der Teilnahme am eigenen Verfahren ausgeschlossen worden war. Offensichtlich gehe es darum Leute wegzusperren, deren Ansichten man nicht teile. Die GIMF stehe auf keiner einzigen Liste terroristischer Organisationen, und die BBC oder den ORF würde man ja auch nicht vor Gericht stellen, weil diese Auszüge und Übersetzungen von Reden von Osama Bin Laden verbreiten. Außerdem sei Mohamed M. erneut keine Beteiligung an Zustandekommen und Veröffentlichung des Drohvideos und keine Veröffentlichung von Anschlagsplänen nachgewiesen worden.

Mohamed M. zeigte sich in seiner abschließenden Rede reumütig bezüglich der Schwierigkeiten, die die Familien der beiden Angeklagten durch seine politischen Aktivitäten bekommen hätten und bezüglich der Zeit, die er mit manchen von diesen verschwendet habe. Entgegen der Darstellungen des Staatsanwaltes habe er nie den 11. September oder sonstige Anschläge auf Zivilpersonen egal welcher Herkunft und welcher Religion gutgeheißen, so etwas sei nicht Teil des Heiligen Krieges. Allerdings sei das Blut von US-Amerikanern nicht teurer oder wertvoller als das der Opfer der US-amerikanischen Kriege. Am Text mit den Anschlagspänen habe er keineswegs stundenlang gearbeitet, die Screenshots aus der Bildschirmüberwachung hätten auch bewiesen, dass er zwischenzeitlich mit völlig anderen Dingen beschäftig gewesen sei. Eine Veröffentlichung sei ihm weder beim Drohvideo, noch bei den Anschlagsplänen, noch bei anderen inkriminierten Texten nachgewiesen worden. M. erwähnte auch die Vorurteile und Diskriminierungen, denen Moslems in Österreich ausgesetzt sind, und wies darauf hin, dass sein Leben und das seiner Frau im Fall von Schuldsprüchen zerstört würde. Weiters habe Mona S. ihre Übersetzungen in seinem Auftrag durchgeführt und nicht aus eigener Initiative.

Die Beratungen der Geschworenen über das Urteil dauerten acht Stunden, fielen dann aber umso eindeutiger aus: einstimmiger Schuldspruch in allen Anlagepunkten. Der Strafrahmen aus dem ersten Prozess wurde beibehalten: vier Jahre Haft für Mohamed M., 22 Monate für Mona S. Mona S. dürfte somit auf freiem Fuß bleiben, da sie bereits 13 Monate ihrer Haft verbüßt hat. Verteidiger Binder meldete erneut Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen die Urteile an.

Hans Zeger, Obmann der ARGE Daten und Mitglied des Datenschutzrates im Bundeskanzleramt, wies in einem ORF-Interview außerhalb des Gerichtssaales noch vor der Urteilsverkündung zum wiederholten Mal darauf hin, dass dieser Prozess eine akute Bedrohung für die Meinungsfreiheit darstellt und darüber hinaus polizeilichen Bespitzelungsmethoden aller Art Tür und Tor öffnet.

Das demokratiepolitisch höchst Bedenkliche an diesem Prozess sind nicht nur die Art der Ermittlungen und der Prozessführung sowie die Urteile, sondern die gesetzlichen Grundlagen, die ein solches Urteil möglich machen. Nach Abs. 3 des § 278 beteiligt sich an einer kriminellen Vereinigung jede Person, die wissentlich irgendeine Art von Handlung setzt, die diese Vereinigung fördern könnte (und für § 278a - kriminelle Organisation und § 278b - terroristische Vereinigung - wird dieselbe Definition herangezogen). Somit kann in Österreich de facto jede politisch missliebige Person, die irgendeine Handlung setzt, die die gleichen politischen Grundlagen hat wie die Handlungen einer allgemein als kriminell oder terroristisch geltenden Vereinigung, kriminalisiert werden. Angewendet wird der Paragraph ganz offensichtlich dort, wo es Politik und Wirtschaft als ihren Zwecken dienlich sehen. Dass der Fall von Mohamed M. und Mona S. kein Einzelfall bleiben wird, hat sich bereits gezeigt, als von Mai bis Anfang September 2008 zehn Personen aus der Tierschutzszene für über drei Monate in Haft genommen wurden. Über konkrete Vorwürfe bzgl. Straftaten ist nichts bekannt und dennoch haben die Tierschützer mit einer Anklage nach § 278a zu rechnen.

Während man nach der Wahl von Barak Obama und der angekündigten Schließung von Guantánamo weltweit die große Entspannung, den globalen Frieden und das Ende der finsteren Bush-Jahre verkündet, haben dieser Prozess und seine Begleitumstände eine politische Wirklichkeit gezeigt, die auf eine ganz andere Zukunft schließen lassen.

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THEORIE

Zähes Ringen um die Einheit

Zur Geschichte der arabischen Linken

Von Bjarne Köhler

Obwohl im Nahen Osten der Konflikt zwischen dem Imperialismus und den Völkern besonders scharf ausgetragen wird, gelang es dem Marxismus zu keiner Zeit, sich als dominante Ideologie durchzusetzen und den Befreiungskampf so auf eine höhere Stufe zu heben.


Als die Bolschewiki 1917 das Startsignal für die Weltrevolution gaben, führte dies zwar nicht zum erhofften Umsturz in den Industrieländern, doch die Wirkung dieses Ereignisses war dennoch auf der ganzen Welt spürbar. Mit einem Mal genoss die Idee des Kommunismus als allgemeines Versprechen menschlicher Emanzipation rund um den Globus Bekanntheit und Sympathie.

Mit dieser Entstehungsgeschichte waren dem Kommunismus in den kolonialen und halbkolonialen Ländern jedoch zugleich bereits schwere Defizite mit in die Wiege gelegt, was vor allem auch für die arabische Region zutraf. Denn was sich infolge der Oktoberrevolution um die Welt verbreitete, war weniger ein brauchbares politisches Instrument als vielmehr ein abstraktes Heilsversprechen. Die marxistische Theorie hatte bisher kaum Schriften über die industriell unterentwickelten Länder hervorgebracht, geschweige denn, dass diese ins Arabische übersetzt worden wären.

Es verwundert daher kaum, dass der Kommunismus nicht als Instrument zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, sondern eher als neuester europäischer Trend seinen Eingang in die Gesellschaft fand. Folgerichtig entstanden auch die ersten Kommunistischen Parteien an den Rändern der arabischen Gesellschaft, aus jenen Gruppen, die dem Kolonialismus entweder kulturell besonders nahe standen oder sogar direkt von ihm profitierten. In Syrien und im Libanon waren es Armenier, in Ägypten Juden und Griechen, und in Algerien und Palästina europäische Siedler. Dies war die erste Schwierigkeit der jungen Kommunistischen Parteien, an der sie noch Jahrzehnte lang leiden sollten: Auch wenn es später noch zu erfolgreichen Bemühungen kommen sollte, die Parteien zu arabisieren, so blieben sie doch bis zuletzt in einer politischen Kultur verhaftet, die der europäischen näher war als der arabischen, was sich nicht zuletzt in ihrer Feindseligkeit gegenüber dem Islam ausdrückte.

Doch nicht nur die kulturelle Identität, auch die politische Theorie wurde aus Europa bezogen. Ungeachtet der realen Bedingungen und Kräfteverhältnisse in den arabischen Ländern wurde aus Europa die Gleichsetzung von Kommunismus und Proletariat übernommen. Begünstigt wurde dies durch den Aufstieg der Gewerkschaftsbewegung, die kommunistischen Ideen durchaus aufgeschlossen gegenüber stand. Die europäischen Arbeiter, die maßgeblich zum Aufbau der Gewerkschaften beitrugen, waren oft die selben, die das Herz der kommunistischen Bewegung bildeten. Durch diese begrenzten Erfolge geriet jedoch in Vergessenheit, dass das Proletariat weder den Willen noch die Stärke hatte, die revolutionäre Avantgarde zu bilden. Die Kommunistischen Parteien fungierten als Interessensvertretung der Arbeiter, ohne daraus einen politischen Führungsanspruch ableiten zu können.

Schließlich ergab sich aus der Orientierung auf Europa als letztes und auf lange Sicht vielleicht schwerwiegendstes Problem die Abhängigkeit von der Sowjetunion. Nirgendwo sonst war die Unterordnung unter die sowjetischen Direktiven so weitgehend wie bei den arabischen Kommunistischen Parteien, nirgendwo sonst außerhalb der Sowjetunion wurde die Stalinisierung so radikal durchgezogen. Die sowjetische Hilfe, die Anfangs sowohl auf organisatorischer Ebene - beim Aufbau schlagkräftiger Kaderparteien - als auch politisch - bei der Entwicklung eines scharfen antikolonialen Profils - eine wichtige Rolle gespielt hatte, wandelte sich Ende der 20er Jahre zu einem Fluch: Die straffen Organisationsstrukturen degenerierten zu stalinistischen Parteiapparaten, die jede Diskussion und jeden Versuch, sich von der sowjetischen Linie abzusetzen, im Keim erstickten, und die politischen Vorgaben bestanden aus einem Zick-Zack-Kurs, dessen Befolgung an Masochismus grenzte: Erst wurde die totale Unterordnung unter den bürgerlichen Nationalismus gefordert. Als diese Politik 1927 dazu führte, dass die Kommunistische Partei Chinas von der Guomindang massakriert wurde, vollzog die Komintern eine Wende um 180 Grad: Von nun an war allen Kommunistischen Parteien die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften verboten. Die ohnehin schon vorhandene verhängnisvolle Tendenz der arabischen Kommunisten, sich auf das Proletariat und die Bauernschaft zu beschränken, wurde mit Parolen wie "Klasse gegen Klasse" noch weiter bestärkt. Im Jahr 1935 kam es zu einer weiteren Verschlechterung der Lage, als die Komintern das Primat des Antifaschismus verkündete und ihre Mitglieder in ein Bündnis mit den Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien zwang. 1939 wurde dieses Bündnis in Folge des Hitler-Stalin-Paktes ausgesetzt, nur um mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wieder in Kraft gesetzt zu werden. Den Todesstoß versetzte die KPdSU ihren arabischen Bruderparteien schließlich 1948, als sie den soeben gegründeten Staat Israel anerkannte. Während die zionistischen Milizen 800.000 Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben, verteilten die Kommunisten Flugblätter an die arabischen Soldaten, nicht gegen Israel zu kämpfen, sondern nach Hause zu gehen, um ihre eigenen Herrscher zu stürzen. Dies löste nicht nur staatliche Repression und heftige Ausschreitungen gegen kommunistische Einrichtungen aus, sondern zerstörte auch das Ansehen der arabischen Kommunistischen Parteien nachhaltig. Was das Verhältnis zu den nationalistischen Kräften betrifft, so kehrte die Sowjetunion letztlich wieder zum Opportunismus der 20er Jahre zurück: Spätestens seit 1955, als Nasser seinen Flirt mit dem Osten durch den Kauf von tschechischen Waffen einleitete, galt für die Kommunistischen Parteien wieder die Unterordnung unter den bürgerlichen Nationalismus als oberstes Gebot.

Das allgemeine Versprechen von Modernisierung und menschlicher Emanzipation, das dem Kommunismus nach der Russischen Revolution anhaftete, war im arabischen Raum nicht weniger verlockend als in anderen abhängigen Ländern. Durch die effektive Kombination von disziplinierter Kaderpartei und Massenorganisation, welche die Kommunistischen Parteien den anderen politischen Kräften voraus hatten, wären sie auch organisatorisch in der Lage gewesen, das Zentrum der antikolonialen Bewegung zu bilden. Wegen ihrer kulturellen Fremdheit, ihrem orthodoxen Marxismusverständnis und ihrer Rolle als Werkzeug sowjetischer Außenpolitik kam es dennoch anders. Die Initiative glitt den Kommunisten Mitte des Jahrhunderts endgültig aus der Hand, und ein neuer Akteur riss sie mit aller Macht an sich.


Der arabische Nationalismus

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fielen Syrien, Palästina, Jordanien, der Irak und der Libanon unter britische und französische Herrschaft, womit praktisch die gesamte arabische Welt mit Ausnahme Saudi-Arabiens unter europäischer Kontrolle stand. Als Reaktion auf diese Besetzung entstand zu Beginn der 20er Jahre - zunächst auf kulturellem Gebiet - der arabische Nationalismus oder Panarabismus. Nach Sati' Husri, dem bedeutendsten Theoretiker des Panarabismus zu jener Zeit, sollten sich die Araber nicht an der französischen Idee orientieren, wonach die Nation ein politisches Projekt sei, sondern an der deutschen Vorstellung einer Kulturnation. So wie die deutsche Nation sich zuerst auf kulturellem Gebiet manifestieren musste, bevor sie 1871 schließlich politische Realität werden konnte, müsse auch in den arabischen Ländern damit begonnen werden, mittels Erziehung das Nationalbewusstsein zu stärken. Der arabische Nationalismus war also zunächst nicht mehr als die Bestätigung einer arabischen Identität gegen den Kolonialismus, ohne weitergehende politische Ideen zu formulieren.

Dies änderte sich in den 40er Jahren: Das Kleinbürgertum, das im Zustand politischer Ohnmacht dahinvegetierte, realisierte zunehmend, dass durch die Unfähigkeit der Kommunistischen Parteien, den Kampf gegen den Kolonialismus anzuführen, ein Machtvakuum entstanden war, in das es vorstoßen konnte. Leute, die teilweise in den 30er Jahren noch kommunistisch aktiv gewesen waren, wie etwa Michel Aflaq, der Gründer der Ba'th-Partei, erkannten nun das Potenzial, das der arabische Nationalismus als politische Ideologie aufwies, nämlich aus Arbeitern, Bauern, dem Lumpenproletariat und dem städtischen Kleinbürgertum jene breite Front gegen den Kolonialismus zu formen, an deren Bildung die Kommunistischen Parteien gescheitert waren. Der Nationalismus sollte als ideologischer Kitt dienen, um die sozialen Gegensätze innerhalb dieses Bündnisses teils zu dämpfen, teils zu unterdrücken. Die Führung dieser antikolonialen Front beanspruchte das gebildete Kleinbürgertum für sich selbst, da es - ob nun in Form der Armee wie in Ägypten, oder in Form der Ba'th-Partei wie in Syrien - die einzige Kraft bilde, die nicht von "egoistischen Klasseninteressen" getrieben sei, sondern nur das nationale Interesse verfolge. Bis zu einem gewissen Grad war diese Selbsteinschätzung sogar zutreffend, denn der einzige Weg, sich als herrschende Klasse zu etablieren, bestand für das Kleinbürgertum im Aufbau des Staatsapparates, der Armee und einer staatlich kontrollierten Wirtschaft, kurz in der Transformation in eine gewaltige Bürokratie.

Aus dieser Interessenslage entstand das zutiefst widersprüchliche politische Projekt des arabischen Nationalismus, dessen Wesen zugleich fortschrittliche und reaktionäre Elemente enthielt. Einerseits mussten die nationalistischen Regimes um ihrer eigenen Macht willen gegen Feudalismus und imperialistische Einflussnahme vorgehen, was eine beflügelnde Wirkung auf die revolutionären Kräfte hatte. Andererseits waren sie aus dem selben Grund auch gezwungen, jede eigenständige Organisierung des Volkes und jede soziale Forderung der unteren Schichten, die über ein gewisses Maß hinausging, zu unterdrücken, um die "nationale Einheit" - d. h. ihre eigene Herrschaft - nicht zu gefährden. Das führte dazu, dass der Panarabismus in jeder Streikbewegung und in jeder Kommunistischen Partei, selbst wenn diese politisch mit ihm konform gingen, zunächst vor allem eine Bedrohung seiner Macht und nicht einen möglichen Bündnispartner sah. Dies zeigte sich nicht nur in Ägypten, wo sich nach der Revolution von 1952, obwohl offiziell alle Parteien verboten waren, die Repression fast ausschließlich gegen Kommunisten und Gewerkschafter richtete, während die Moslembruderschaft zunächst unbehelligt blieb. In Syrien war die Angst der Ba'th-Partei vor der Kommunistischen Partei sogar so stark, dass sie sich 1958 freiwillig ihrem panarabistischen Konkurrenten Gamal Abdel Nasser unterordnete, damit dieser im Rahmen der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) mit der kommunistischen Bedrohung aufräume. Selbst der irakische Präsident 'Abdulkarim Qasim, der vergleichsweise eng mit der Kommunistischen Partei des Irak kooperierte, war peinlichst bemüht, diese von der Macht fern zu halten, und zog es 1963 angesichts des reaktionären Ba'th-Putsches sogar vor, gemeinsam mit ihr unterzugehen, statt dem Volk Waffen auszuhändigen und dadurch einen Machtgewinn für die Kommunistische Partei zu riskieren. Auch die algerische FLN, die 1962 nicht durch einen Militärputsch, sondern durch einen wirklichen Volkskrieg an die Macht kam, schaltete zuerst die Linke aus. Noch unter Ahmed Ben Bella, der eigentlich die revolutionäre Seite der FLN verkörperte, wurde nicht nur die Kommunistische Partei Algeriens verboten (was angesichts ihrer pro-kolonialistischen Vergangenheit noch verständlich war), sondern auch die Autonomie der Gewerkschaften aufgehoben und der linke FLN-Flügel systematisch zurückgedrängt, wodurch der Machtübernahme durch Houari Boumédienne 1965 der Weg geebnet wurde.

So wichtig der arabische Nationalismus also für die Entwicklung der arabischen Revolution auch war, stellte er ab einem gewissen Punkt doch ein Hindernis für ihre weitere Entfaltung dar. Auch die Kommunistischen Parteien konnten zumeist nur wenig gegen diese reaktionäre Seite des Panarabismus unternehmen, kämpften sie doch immer noch mit ihren alten Problemen. Sie waren in erster Linie immer noch die Interessensvertretung der Arbeiter, die der politischen Entwicklung hinterher hinkten. In diese Rolle wurden sie auch von der Sowjetunion gedrängt, die dies damit begründete, dass der nationalistischen Bourgeoisie beim Aufbau der Nation die Führung zukomme, und die Aufgabe der Kommunistischen Parteien daher darin bestünde, sie kritiklos zu unterstützen und höchstens minimale Verbesserungen für die Arbeiter einzumahnen. Das tragischste Beispiel dieser Politik sind zweifellos die bereits erwähnten Ereignisse im Irak, wo die Kommunistische Partei zwischen 1958 und 1963 aufgrund der sowjetischen Anweisungen darauf verzichtete, die Macht zu übernehmen, und somit ihre eigene Vernichtung einleitete. Nachdem der Ba'th-Terror im Zuge des Putsches von 1968 ein zweites Mal über die Kommunistische Partei des Irak gekommen war, setzte sie noch eins drauf und trat 1973 ohne reale Macht in die Regierung ein, um die Ba'th-Herrschaft endgültig zu stabilisieren. In Syrien verlief die Entwicklung friedlicher, aber das Ergebnis war auch hier, dass die Kommunistische Partei 1970 ein Teil des Ba'th-Regimes wurde, ohne signifikanten Einfluss auf dessen Politik auszuüben. In Ägypten ging die Unterordnung sogar so weit, dass die wichtigsten kommunistischen Parteien (es gab hier nicht eine große Partei) sich 1965 selbst auflösten und ihren Mitgliedern empfahlen, sich individuell um Aufnahme in die Einheitspartei Arabische Sozialistische Union (ASU) zu bemühen, um so die Politik des Landes mitzubestimmen. Man kann sich unschwer vorstellen, dass sie dort ein leichtes Opfer der Bürokraten wurden, und so wie ihre irakischen und syrischen Genossen in der Bedeutungslosigkeit verschwanden.

Mit der Ausschaltung der Linken schaufelte sich der arabische Nationalismus jedoch sein eigenes Grab, denn auch wenn das Kleinbürgertum einen der dynamischsten Faktoren der arabischen Revolution darstellte, war es doch nicht in der Lage, dem Imperialismus alleine - ohne die Macht des organisierten Volkes - langfristig zu trotzen. Teilweise wurde dieses Problem auch erkannt und versucht, es durch eine Kursänderung nach links zu beheben, doch diese Versuche blieben letztlich zu zaghaft. Eine Beteiligung anderer Kräfte an der Macht oder gar eine echte Demokratisierung wurde nie zugelassen.

In Ägypten begann Nasser 1961 die sozialistische Phase, indem er den Großteil der Banken und Unternehmen verstaatlichte. 1964 wurden auch die meisten Kommunisten aus dem Gefängnis entlassen und bekamen das Angebot, individuell in die ASU einzutreten. Manche Berichte deuten darauf hin, dass Nasser tatsächlich vorhatte, einige Kommunisten auf bedeutende Posten zu setzen um so den revolutionären Prozess zu stärken, dieser Plan jedoch am Widerstand der Bürokratie scheiterte. In jedem Fall war es ein Anzeichen für die Unfähigkeit des nasseristischen Regimes, die Revolution über einen gewissen Punkt hinaus zu führen. Es ist bezeichnend, dass die Partei, die Nasser bei seinem Tod 1970 hinterließ, gegenüber dem Aufstieg des pro-imperialistischen Sadat-Regimes ohnmächtig war.

Die Entwicklung nach links war radikaler in Syrien, wo die alte Garde der Ba'th um Michel Aflaq und Salah ad-Din al-Bitar ab Beginn der 60er Jahre zunehmend von der jungen Generation um das Militärkomitee entmachtet wurde. Den alten Führern wurde vorgeworfen, die Partei unter den Einfluss der Bourgeoisie gebracht und sie in der Zeit der VAR mutwillig zerstört zu haben. Gefordert wurde nun eine demokratische Revolution der organisierten Massen unter Führung der Ba'th. Statt einer wirklichen Revolution kam es letztlich zwar nur zu einer Aufeinanderfolge mehrerer Putsche, welche die Macht des linken Ba'th-Flügels konsolidierten, sodass eine wirkliche Demokratisierung auch hier ausblieb, doch hat die syrische Ba'th-Partei es dank ihres revolutionär-demokratischen Anspruchs immerhin als einziges arabisches Regime geschafft, bis heute als antiimperialistische Kraft fortzubestehen.

Hingegen wurde der Ba'thismus im Irak ein leichtes Opfer des Imperialismus. Die Ba'th kam hier 1968 endgültig an die Macht und setzte unter anderem mit der Verstaatlichung des Erdöls in den 70er Jahren ebenfalls ein sehr fortschrittliches Wirtschaftsprogramm um. Ein demokratischer Anspruch wie in Syrien bestand hier jedoch nie, sodass sich angesichts der amerikanischen Aggression kaum jemand fand, das Regime zu verteidigen.

In Algerien verlief die Entwicklung ähnlich wie in Ägypten. Zwar waren hier die politischen Koordinaten durch die Revolution als Geburtsstunde des FLN-Staates von Anfang an weiter nach links verschoben als in anderen Ländern; die Beteiligung des Volkes wurde aber von Anbeginn - und noch verstärkt seit dem Sturz Ben Bellas durch Boumédienne 1965 - systematisch zurückgedrängt, sodass es keine Kraft gab, die den inneren Verfall des Regimes hätte verhindern können.

Unter dem Banner des arabischen Nationalismus erhob sich das Kleinbürgertum um die Mitte des 20. Jahrhunderts, die arabische Revolution aus ihrer Lethargie zu befreien, und riss dabei die anderen Teile des Volkes mit sich. Geleitet von einer vagen Vorstellung von nationaler Einheit musste es sich aber auch stets gegen die Massen richten, die es eben noch selbst mobilisiert hatte, da diese aus seiner Sicht besagte Einheit gefährdeten. Erst als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass mit der Bourgeoisie kein Staat zu machen ist, begann eine zögerliche Annäherung an linke Positionen, doch zu einer wirklichen Befreiung der arabischen Revolution von ihrer bürokratischen Verkrustung war das Kleinbürgertum nicht bereit. Hierzu bedurfte es erst einer großen Erschütterung.


Eine neue Hoffnung

Diese Erschütterung kam 1967 mit dem Überfall Israels. So wie es 1948 die Niederlage der alten Feudalgesellschaften gegen Israel war, die das allgemeine Verlangen nach Modernisierung in Form des arabischen Nationalismus hervorgebracht hatte, um die Katastrophe rückgängig machen zu können, so waren es nun die nationalistischen Regimes, die ihre Bewährungsprobe in der Konfrontation mit dem Zionismus ablegen mussten. Und auch sie versagten. Wieder wurden die arabischen Armeen vernichtend geschlagen, wieder wurde arabisches Land von Israel besetzt. Weder 1948 noch 1967 darf außer Acht gelassen werden, dass der Sieg vor allem von den moderneren Waffen errungen wurde, die in beiden Fällen auf israelischer Seite waren. Dennoch bedeutete die Niederlage von 1967 auch ein politisches Versagen des Panarabismus. Was versagte, war die unvollständige Revolution, die vor allem in der ägyptischen Armee weiterhin hierarchische Strukturen wie zu Zeiten des Feudalismus belassen hatte. Diese schwerfällige Struktur verunmöglichte nicht nur eine schnelle Reaktion auf den israelischen Überraschungsangriff, sondern unterlag auch im weiteren Verlauf der Kampfhandlungen den mobilen israelischen Einheiten.

Doch anders als 1948 und entgegen den Erwartungen vieler Beobachter bestand die Folge des Krieges diesmal nur teilweise in einer weiteren politischen Radikalisierung. Die Enttäuschung und der Schock dieser deutlichen Niederlage nach Jahrzehnten der Anstrengung saßen zu tief. Mancherorts wurde sogar der Schluss gezogen, dass mit Israel und dem Imperialismus ein Modus vivendi gefunden werden müsse, da ein militärischer Erfolg unmöglich sei. Am deutlichsten wurde diese Tendenz zweifellos durch Sadat ausgedrückt, der nach Nassers Tod 1970 ägyptischer Präsident wurde. Aber auch in Syrien kam es 1970 mit der Machtergreifung von Hafiz al-Assad zu einer kleinen Konterrevolution, obgleich diese nicht annähernd so weit reichend war wie in Ägypten. Bezeichnender Weise gaben sowohl al-Assad als auch Sadat ihrer Politik den Namen "Korrekturbewegung" bzw. "Korrekturrevolution".

Doch es gab innerhalb des arabischen Nationalismus auch eine gegenläufige Tendenz, die zur Geburt einer neuen arabischen Linken führte. Verkörpert wurde dieser Transformationsprozess vor allem von der Bewegung der Arabischen Nationalisten (BdAN). Gegründet 1952 in Beirut von vorwiegend palästinensischen Studenten um George Habash, war die BdAN eine klassische panarabistische Organisation, deren Ziel die Revolutionierung der Gesellschaft war, um die Nakba rückgängig machen zu können. Nach Nassers Triumph in der Suez-Krise bekannte sie sich voll und ganz zum ägyptischen Präsidenten, was der Beginn einer Zusammenarbeit zum beidseitigen Nutzen war, denn im Unterschied zur Ba'th hatte Nasser keine panarabistische Organisation, über die er in anderen Ländern Einfluss ausüben konnte. Umgekehrt konnte sich die BdAN in Nassers überwältigendem Ruhm sonnen und sich so in vielen arabischen Ländern als die nasseristische Organisation einen festen Platz in der politischen Landschaft sichern. Bereits zu Beginn der 60er Jahre kam es jedoch zu ersten Spannungen. Die wichtigste Basis der BdAN bildeten nämlich nach wie vor die palästinensischen Massen in den Flüchtlingslagern, und aller panarabischen Euphorie zum Trotz hatte es in der Frage der Rückeroberung Palästinas, die eigentlich den Dreh- und Angelpunkt der politischen Existenz der BdAN darstellte, mittlerweile keine Fortschritte gegeben. Die Angelegenheit war um so dringlicher, als die Fatah als neue Kraft auftauchte und der BdAN ihren Platz streitig machte, indem sie in den Lagern das verlockende Angebot verbreitete, die Palästinenser könnten selbst für die Befreiung ihrer Heimat kämpfen. Während sich also Nasser nur zaghaft nach links bewegte und die Palästinenser am liebsten vollständig unter Kontrolle gehalten hätte, forderte die BdAN eine größere Rolle für die Palästinenser und die Beschleunigung des revolutionären Prozesses, inklusive der Adaption marxistischer Ideen, um endlich für die Schlacht mit Israel bereit zu sein.

Nach der Niederlage von 1967 eskalierte der Konflikt. Die BdAN sagte sich von Nasser los und hörte als gesamtarabische Partei zu existieren auf. Ihre einzelnen Ableger wandelten sich in marxistische Organisationen um, die teilweise eine bedeutende Rolle in ihrem jeweiligen Land spielten. Im Südjemen konnte eine solche Nachfolgeorganisation 1969 sogar die Macht erobern und den bislang einzigen arabischen sozialistischen Staat errichten, die Demokratische Volksrepublik Jemen (1969-1990). Aber die zentrale Entwicklung fand in der palästinensischen Diaspora statt, wo sich die BdAN in die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) umwandelte. Durch die Ausdehnung der zionistischen Besatzung auf den Gazastreifen und das Westjordanland war die Frage der Befreiung Palästinas einerseits dringender denn je geworden, andererseits hatte sich gezeigt, dass die arabischen Regime dabei keine große Hilfe waren. Die Ungerechtigkeit, welche die Araber durch den Imperialismus erdulden mussten, und die Unfähigkeit ihrer Regimes, sich dagegen zu wehren, fanden beide ihren schändlichsten Ausdruck in der weiterhin andauernden Besatzung Palästinas. Die palästinensischen Flüchtlinge, die mehr als sonst jemand unter diesem Unglück litten, wurden daher zur Avantgarde der arabischen Revolution und in enger Verbindung mit diesem palästinensischen Nationalismus entwickelte sich der fortschrittliche Teil des Panarabismus zu einer neuen arabischen Linken weiter.

Es war jedoch zu spät. Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 hatte die Kräfteverhältnisse in der Region so stark verschoben, dass die neue Linke zum Scheitern verurteilt war. Den Anfang der Konterrevolution machte der jordanische König Hussein, als er im September 1970 der PLO den Krieg erklärte und palästinensische Flüchtlingslager bombardieren ließ. Nasser schaffte es zwar vorerst noch, das Schlimmste zu verhindern, indem er einen Waffenstillstand zwischen Hussein und Arafat vermittelte, doch war seine Position als Folge von 1967 bereits zu sehr geschwächt, um den bedrohten Fedayin eine wirkliche Hilfe sein zu können. Auch Syrien spielte nicht gerade eine glorreiche Rolle. Zwar schickte die Regierung einige Panzerverbände zur Unterstützung, doch der damalige Verteidigungsminister Hafiz al-Assad verweigerte die Luftunterstützung, sodass die Panzer ein leichtes Ziel für die jordanische Luftwaffe wurden und keinen signifikanten Einfluss auf den Verlauf der Kämpfe hatten. Als wenig später Nasser starb und al-Assad in Syrien die Macht ergriff, waren die Palästinenser endgültig zum Abschuss freigegeben. Tausende kamen ums Leben und die PLO musste Jordanien, das bisher ihre wichtigste Operationsbasis gewesen war, verlassen.

Der nächste Schlag erfolgte im Libanon, wo sich 1975 eine Koalition linker und muslimischer Kräfte anschickte, das konfessionelle Proporzsystem zu beseitigen, das der französische Kolonialismus eingerichtet hatte, um auch nach der formellen Unabhängigkeit des Landes weiter seinen Einfluss sicher zu stellen. Auch die PLO, die nach dem jordanischen Schwarzen September ihr Hauptquartier in den Libanon verlegt hatte, wurde zunehmend in die Kämpfe hineingezogen, sodass die Linke die Oberhand gewann und den Sieg schon fast in der Tasche hatte. Wieder war es Assad, der den fortschrittlichen Kräften in den Rücken fiel: 1976 überschritten syrische Truppen die Grenze und machten der libanesischen Revolution ein Ende. Als 1982 dann auch noch Israel einmarschierte und die PLO aus Beirut vertrieb, war dies das Ende der palästinensischen Diaspora als Avantgarde der arabischen Revolution.

Die Niederlage von 1967 führte dazu, dass der fortschrittlichste Teil des arabischen Nationalismus endlich aufwachte und sich zu einer neuen Linken weiterentwickelte, welche die Palästina-Frage in den Mittelpunkt stellte und nicht mit den Fehlern der alten Kommunistischen Parteien behaftet war. Zugleich waren die Auswirkungen der Niederlage jedoch so weit reichend, dass die neue Linke keine Chance mehr hatte, sich durchzusetzen. 1982 lagen nicht nur die Linke und die PLO am Boden, sondern die arabische Revolution insgesamt: Das ehemalige panarabistische Bollwerk Ägypten hatte sich zu einem imperialistischen Vasallenstaat gewandelt, der Irak war durch den sinnlosen Krieg gegen den Iran neutralisiert, und Syrien wurde durch die israelischen Besatzungstruppen im Libanon in Schach gehalten. Gleichzeitig waren die Übel, gegen die der arabische Nationalismus angetreten war, keinesfalls beseitigt. Zwar war die direkte Kolonialherrschaft (mit Ausnahme Palästinas) abgeschüttelt, doch die wirtschaftliche Abhängigkeit und die daraus resultierende Armut waren noch ebenso drastisch zu spüren wie die ständige Bedrohung durch den Zionismus, die durch die Libanoninvasion ein weiteres Mal besonders deutlich ins Bewusstsein getreten war. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich der Widerstand neu formieren würde.


Der politische Islam

Dennoch war der Verlust einer großen Vision für die ganze Region - wie es Sozialismus und Panarabismus gewesen waren - spürbar, sodass die Neuformierung zunächst auf lokaler Ebene stattfinden musste. In Algerien und Ägypten gab es starke soziale Proteste, im Libanon wuchs der Widerstand gegen die israelische Besatzung, und die PLO ging dazu über, sich auf die Organisierung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu konzentrieren, was 1987 schließlich in der ersten Intifada mündete. Gerade das Beispiel Palästinas offenbarte jedoch auch die große Schwäche dieser vereinzelten Bewegungen, denn auch wenn die Intifada eindrucksvoll Zeugnis vom Kampfeswillen und vom politischen Niveau des palästinensischen Volkes ablegte, so führte sie ohne bedeutende arabische Unterstützung und unter dem zusätzlichen Wegfall des sowjetischen Gegengewichts zum Imperialismus schließlich doch nur zum Oslo-Abkommen, der Karikatur eines eigenen Staates.

Es kann nicht verwundern, dass unter diesen schwierigen Bedingungen sich der politische Islam letztlich fast überall als dominante Form des neu entstandenen Widerstandes durchsetzte. Die Popularität der nicht-religiösen Ideologien hing direkt von ihren Erfolgsaussichten ab, um welche es seit damals nicht gut bestellt ist. Der Islam hingegen vermochte es, den Menschen eine Identität zu geben, unabhängig von Sieg oder Niederlage. Der Aufstieg islamischer Organisationen begann oft, als sich die Menschen bereits enttäuscht von den nationalistischen und linken Ideen abwandten und Trost in der Religion suchten. In dieser Funktion, d. h. als Alternative zur (linksorientierten) politischen Betätigung wurden diese Organisationen auch von den Herrschenden gefördert, was ihren Einfluss noch steigerte. Doch der eigentliche Grund ihres Erfolges lag tiefer, nämlich darin, dass sie einer Gesellschaft, der die Perspektive abhanden gekommen war, eine neue Idee geben konnten und hierbei große politische Flexibilität bewiesen: In Momenten des politischen Stillstandes bestanden sie vor allem als religiös-karitative Organisationen, doch im Augenblick der Neuformierung des Widerstandes vermochten sie am Ball zu bleiben und selbst zum Ausdruck dieses Widerstandes zu werden. Dies zeigte sich nicht nur in Palästina, wo sich die bis dahin politisch inaktiven Moslembrüder mit Ausbruch der Intifada 1987 in die Hamas umwandelten und aktiv an der Bewegung teilnahmen; auch im Libanon entstand auf dem von der quietistischen Bewegung des Musa as-Sadr bereiteten Boden 1982 die Hizbullah, die zum schlimmsten Albtraum der israelischen Besatzer werden sollte. Auch in Algerien und Ägypten entstanden islamistische Organisationen, die eigentlich den sozialen Konflikt beruhigen sollten, dann aber selbst dessen Ausdruck wurden. Eine Ausnahme stellt Syrien dar, wo bis heute ein panarabistisches Regime herrscht, das über eine gewisse Verankerung in der Bevölkerung verfügt. Der politische Islam war hier vor allem eine Bewegung der sunnitischen Handelsbourgeoisie, die sich gegen den alawitischen Staatskapitalismus richtete, und konnte daher - bar eines wirklichen Massenanhangs - bereits 1982 militärisch ausgelöscht werden.


Marxismus, Nation und Islam

Anfang der 20er Jahre war für die arabische Region - ebenso wie für andere koloniale und halbkoloniale Länder - die Aufgabe der nationalen Befreiung und der demokratischen Revolution aktuell geworden. Die dahingehenden Hoffnungen und Aspirationen, die von der überwältigenden Mehrheit des Volkes geteilt wurden, fanden ihren ideologischen Ausdruck im aufkommenden arabischen Nationalismus. Die Kommunisten, deren Aufgabe es gewesen wäre, sich an die Spitze dieser inhomogenen nationalistischen Bewegung zu stellen, um sie von ihren Schwächen zu befreien und der demokratischen Revolution letztlich zum Sieg zu verhelfen, zogen sich aus den im ersten Abschnitt behandelten Gründen auf einen abstrakten "proletarischen Klassenstandpunkt" zurück und überließen die Führung dem Kleinbürgertum, an dessen Widersprüchen letztlich die ganze Bewegung schweren Schaden nehmen sollte; denn an einer umfassenden Mobilisierung des Volkes hatten die kleinbürgerlichen Kräfte kein Interesse, sodass der Kampf um nationale Unabhängigkeit seiner revolutionären Spitze beraubt wurde. Erst als bereits der Niedergang des arabischen Nationalismus einsetzte, entwickelten sich Teile von ihm in marxistische Richtung weiter, doch da war es bereits zu spät. Linke und Nationalisten gingen gemeinsam unter.

Die Linke und die islamische Bewegung heute durchaus konvergierende Interessen.

Der politische Islam, der aus den Trümmern dieser Niederlage zunehmend zur dominanten Idee im arabischen Raum aufstieg, stellt von seiner soziologischen Struktur her zu weiten Teilen eine Wiedergeburt des ursprünglichen arabischen Nationalismus dar. Zwar war er als Gegengewicht zu Linken und Nationalisten entstanden, doch konnte er nach dem Niedergang dieser Ideologien nicht umhin, seinerseits das Verlangen des Volkes nach sozialer Gerechtigkeit und nationaler Souveränität in sich aufzunehmen. So wie der arabische Nationalismus ist auch der politische Islam vor allem eine Bewegung der kleinbürgerlichen Intelligenz, die sich - nachdem sie jahrzehntelang systematisch gefördert worden war - plötzlich einer völligen Perspektivlosigkeit gegenübersieht, und des Lumpenproletariats, das vom 20. Jahrhundert auch nicht mit einer Verbesserung seiner Lage gesegnet wurde. Auch die politischen Ideen, die hieraus resultieren, sind ähnlich: Beide haben dieselbe Konzeption eines Klassenkompromisses von oben, bei dem die Interessen der Unterschicht zwar berücksichtigt werden, ihr aber keine eigenständige politische Organisation zugestanden wird. Selbst wenn derartige Bewegungen im schärfsten Konflikt mit dem Imperialismus stehen, gibt es keinen Automatismus, dass sie sich unter diesen Bedingungen um eine größere Beteiligung des Volkes am Kampf bemühen. Sie versuchen, den Kampf der Massen durch den Militarismus einer Elite zu ersetzen. Wie beim arabischen Nationalismus gilt somit auch für den politischen Islam, dass er keine Bewegung ist, die durch ihren Klassengehalt bereits hinreichend charakterisiert werden könnte, sondern dass sie einen relativ großen Spielraum für den Einfluss lokaler Faktoren lässt. Jene Kräfte, die es wie die Hizbullah verstanden, sich der Gesellschaft zu öffnen, konnten großartige Erfolge feiern, während das Sektierertum der al-Qa'ida dem irakischen Widerstand großen Schaden zufügt.

Angesichts dieser Situation laufen große Teile der Linken heute Gefahr, alte Fehler zu wiederholen. So wie sie damals einen falschen Widerspruch zwischen dem arabischen Nationalismus und ihrem proletarischen Internationalismus konstruierten, so weigern sie sich heute aus ideologischen Gründen, anzuerkennen, dass die Religion politisch eine fortschrittliche Rolle spielen kann. Zu Recht bemerken sie, dass sowohl das Konzept der Nation als auch das des Islam die Klassenwidersprüche verdeckt, doch sie vergessen, dass jedes Bündnis bis zu einem gewissen Grad auf der Verdeckung von Widersprüchen basiert. Heute gibt es noch weniger als in den 30er Jahren eine starke proletarische Bewegung, die dem Sieg entgegensteuert, und deren reines Klassenbewusstsein man daher mit aller Schärfe gegen das Kleinbürgertum abgrenzen könnte. Was es gibt, ist eine breite Front aus verschiedenen sozialen Schichten, die unverändert vor der Aufgabe steht, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Imperialismus zu erkämpfen. Sowohl die Nation als auch der Islam sind Konzepte, um diese Front zu konstituieren und zu mobilisieren, was der Marxismus eben nicht zustande gebracht hatte.

Nüchtern betrachtet haben die Linke und die islamische Bewegung heute durchaus konvergierende Interessen. Letztere steht in einem Konflikt mit dem Imperialismus, der zunehmend an Schärfe gewinnt. Um dabei zu gewinnen, muss sie sich politisch weiterentwickeln, d. h. verstärkt die Organisierung des Volkes fördern und die Spaltung in verschiedene Richtungen (nicht nur jene zwischen Schiiten und Sunniten) überwinden. Die Linke hat ihrerseits die Aufgabe, den Kampf gegen den Imperialismus - egal in welcher Form er sich manifestiert - zu unterstützen und dabei zu helfen, seine Schwächen zu überwinden. Beide haben also ein Interesse daran, den politischen Islam zu einer wahren Befreiungstheologie weiter zu entwickeln; doch dies wird nicht automatisch passieren, sondern erfordert von beiden Seiten Dialogbereitschaft. Als der Marxismus und der arabische Nationalismus nach fast 50 Jahren endlich zu einem gemeinsamen politischen Projekt gelangten, war es bereits zu spät; es bleibt zu hoffen, dass es diesmal schneller geht.

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THEORIE

Nation als Einbildung?

Ein Einspruch

Von Wilhelm Langthaler

In der Ausgabe Nr. 27 der Intifada zieht Bruno Bullock eine gerade, ja zu gerade Linie zwischen Islamophobie und Nationalismus, die riskiert, den Blick auf das Besondere der aktuellen Islamfeindlichkeit zu verstellen.


Der Nationalstaat ist eine 'imagined community', eine gedachte Gemeinschaft, und diente der kapitalistischen Elite, die eigenen Interessen dem Proletariat gegenüber als gemeinsame zu verkaufen." Das ist nicht falsch, gilt aber letztlich für jede Gemeinschaft - ob der Stamm, die Christenheit, das Proletariat, die Nation oder die Umma. Alle diese Gemeinschaften sind in einem gewissen Sinn "eingebildet" oder anders gesagt, müssen sich subjektiv konstituieren. Das heißt aber keineswegs, dass sie nicht existieren würden oder nicht wirksam wären, um so mehr, als sie ein objektives Moment mit sich führen. Bei der Nation sind das die Sprache, der Staat, der Wirtschaftsraum etc., die die Gemeinschaft herstellen - oft mit Gewalt und Zwang, über weite Strecken aber auch freiwillig über die Klassengrenzen hinweg.

Es ist richtig, dass die modernen Nationen und der Nationalstaat eine Organisationsform des Kapitalismus sind. Der Schluss, dass alle nationalen Bewegungen von den kapitalistischen Eliten geführt würden oder ihnen zumindest dienten, ist jedoch historisch nicht haltbar. Zum klassischen Beispiel ist die Französische Revolution geworden, die von den Unterschichten angetrieben und dann von den bürgerlichen Eliten usurpiert wurde. Oder die deutsche Nationalbewegung, die von eben dieser Bourgeoisie an die Monarchie verraten wurde, aus Angst vor dem Proletariat. Ganz zu schweigen von den antikolonialen Nationalbewegungen, die immer gegen die kapitalistischen Eliten geführt werden mussten und daher meist eine sozialistische Färbung annahmen.

Für die Periode der innerimperialistischen Konflikte und Kriege bis 1945 ist Bullocks Verbindung von (imperialistischem) Nationalismus und Rassismus richtig. Doch nach 1945 werden die USA zum unbestrittenen Zentrum der imperialistischen Herrschaft und die innerimperialistischen Konflikte verloren gänzlich ihren antagonistischen Charakter. Erst dadurch wurde die EU möglich - unter der Vorherrschaft der USA. Es gibt nur mehr einen dominanten Nationalismus und der trat allzu lange als internationalistischer Antikommunismus und nach 1989/91 als liberalistische Globalisierung auf. Erst mit dem früheren US-amerikanischen Präsidenten Bush wurde der US-Nationalismus als Trägerideologie des Krieges mit freiem Auge erkennbar.

Der Antiamerikanismus der nationalen Befreiungsbewegungen der kapitalistischen Peripherie ist traditionell fortschrittlich und weithin anerkannt. Auch in Europa war er das bis zur Wende von 1989/91. Die Integration und Transformation der Linken in die dominante Strömung des Imperialismus führte dazu, den Antiamerikanismus zu diffamieren und ihm einen chauvinistischen Charakter anzudichten. Tatsächlich ist er wie nie zuvor zu einem Ausdruck des Aufbegehrens gegen die liberalistische Oligarchie, ihren permanenten Krieg sowie ihre zunehmend autoritäre Herrschaft geworden. Während sich die gewendete Linke von ihm entfernte, wurde der Antiamerikanismus zur Plattform der demokratischen Opposition der subalternen Schichten gegen die Eliten. Dabei ist auch ein Schuss legitimer nationaler Selbstbehauptung enthalten, der mit den alten europäischen Nationalismen nicht verglichen werden kann.

Völlig richtig liegt Bullock aber, wenn er die Islamophobie als neokoloniale Ideologie des Krieges geißelt. Diese ist aber, wie ausgeführt, keineswegs mit einem Wiederaufleben der alten Nationalismen verbunden, sondern mit einer gerade sich konstituierenden "jüdisch-christlichen europäischen Identität", die sich links wie rechts gegen den Islam stellt. "Plötzlich werden die Frauenrechte zum Thema rechter Parteien und der Antisemitismus ist zumindest aus deren Parteiprogrammen verschwunden", bemerkt Bullock zutreffend. Gleichzeitig beendet der Papst die Vernunft und beschwört die griechischen Wurzeln Europas gegen den Islam. Diese europäische Identität ebnet auch die Differenzen der verschiedenen europäischen Nationen weiter ein. Selbst die christlichen Slawen, die bis vor kurzen noch als "Tschuschen" abgewertet wurden, werden nun gegen die Muslime zunehmend eingemeindet, selbst von ihren ehemals schärfsten Gegnern.

Wir haben es mit einer neuen "imagined community" zu tun, die sehr real ist, insofern sie als Leitideologie des imperialen Krieges dient. Um sie zu dekonstruieren, müssen wir genau zielen.

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AKTIVISMUS

Sommerseminar 2009

Kärnten, 9.-12. Juli 2009

Die Wirtschaftskrise hat den Globus erfasst. Die Erschütterungen sind gewaltig. Wie jedes Jahr veranstalten wir im Juli ein Sommerlager, das die Möglichkeit zur umfassenden Debatte und zum Gedankenaustausch bieten soll. Auch dieses Mal werden wir uns im Kärntner Rosental/Roz zusammenfinden, um über Politik zu diskutieren und aktuelle Entwicklungen zu analysieren.


Kärnten, 9.-12. Juli 2009
St. Johann im Rosental/Sentjanz v Rozu im CENTRIS
www.antiimperialista.org/sommerseminar


1. Konjunkturtief oder Systemkrise?
Was bleibt von den quasireligiösen Dogmen der neoliberalen Wirtschaftspolitik? Das Anwerfen der amerikanischen Notenpresse hat enorme, noch nicht absehbare Konsequenzen für das Welthandelsregime oder vielleicht sogar für das imperialistische Weltsystem überhaupt. Wie sehr ist die Krise überhaupt im Rahmen des Kapitalismus zu lösen oder zeigt sie sein Versagen als Entwicklungsmodell auf?

2. Liberaler Traum geplatzt
Das Platzen der Blase führt Schritt für Schritt zum Verlust der liberalistischen Hegemonie. Im Gebälk des politischen Systems wird es unweigerlich zu Brüchen kommen. Das opulente westliche Mittelstandsleben droht in die Barbarei abzurutschen. Welchen Hebel haben wir, um im Chaos Einheit zu stiften und eine gesellschaftlich relevante Systemopposition zu schaffen?

3. Griechenland - Frankreich - Deutschland
In fast allen europäischen Ländern gibt es Anzeichen von Opposition am Rande des tradierten politischen Systems. In Griechenland ist es eine breite, autonome Gegenkultur, die die Revolte anführt. In Frankreich wurde eben die "Neue Antikapitalistische Partei" gegründet und die deutsche Linke ist ein neoreformistischer Versuch innerhalb der Institutionen.

4. Umrisse eines antikapitalistischen Projekts
Hier soll unser Vorschlag für eine neue Systemopposition präsentiert und weiterentwickelt werden. Denn die richtige Ausgangsforderung nach Verstaatlichung der Banken lässt mehr Fragen offen, als sie beantwortet. Wie können die Banken nach den Interessen des Volkes geführt werden? Kann der Staat der Eliten der demokratischen Kontrolle unterworfen werden?

5. Für eine konkrete Utopie
Bei allen Unsicherheiten sind wir uns einer Sache sicher: Wir wollen den Kapitalismus überwinden. Gibt es ein Gegenmodell? Der Realsozialismus ist jedenfalls gescheitert. Indes gewinnt der Widerstand gegen die herrschenden Eliten neue Kraft und Widerstand hat immer auch etwas mit Befreiung zu tun. Ununterbrochen wird Neuland betreten, sei es bei den Volks- und Gegenmachtmodellen oder im islamisch inspirierten Antiimperialismus.

6. Freiwillige Arbeit und Widerstand: Sumud
Während viele Jugendliche von traditioneller Politik abgestoßen sind, wollen sie sich dennoch für die Unterdrückten und ihren Kampf um Würde engagieren. Sumud führt Hilfsprojekte durch, die der Basis des Widerstands zu Gute kommt, ob in Gaza, im Libanon oder in Indien. Die Idee und die Projekte werden vorgestellt.

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AKTIVISMUS

Sumud

Freiwillige Arbeit und Widerstand

Sumud wurde vor kurzem in Italien gegründet und hat es sich zum Ziel gesetzt, unterdrückte Völker in vielen Teilen der Welt konkret durch freiwillige Arbeit zu unterstützen. Die Auseinandersetzung mit deren Situation sowie deren politischen Bewegungen ist Bestandteil davon.


Wir haben ihnen nichts beizubringen. Eine wirtschaftliche Katastrophe trifft den reichen Westen und sie wird unsere Lebensweise zwangsläufig verändern. Es war höchste Zeit, denn wir haben diesen Überfluss ohnehin schon satt.

Nicht die Religion, sondern das Geld ist das stärkste Opium für das Volk. Der teuflische Mechanismus materiellen Wachstums musste für die Menschen ein Ende nehmen, um zu verstehen, in was für einem wahnsinnigen System von Zwängen sie stecken geblieben sind. Doch es lauern auch große Gefahren:

Die Angst abzustürzen kann die boshaftesten Gefühle, die menschliche Wesen in sich tragen, nähren. Der heraufziehende Polizeistaat ist nicht einfach eine teuflische Maschinerie, die außerhalb gesellschaftlicher Zusammenhänge steht und gegen die Bevölkerung gerichtet ist; sie schleicht sich auch in die Gehirne der "Staatsbürger" ein, die inzwischen in Konsumsubjekte verwandelt wurden, was sie veranlasst, sich in ihre trostlose Einsamkeit zurückzuziehen und lautstark nach "Sicherheit" zu verlangen. Um nicht ganz an das unterste Ende der Pyramide abzurutschen, sind sie bereit, einen neuen fremden Feind zu akzeptieren: den islamischen Widerstand.

Dieses düstere und chauvinistische Verlangen ist dabei, die Mythen von Freiheit und Toleranz zu zerstören, auf denen der Westen seine Überlegenheit zu gründen glaubt. Deshalb ist der Widerstand, der bislang von den Völkern ausging, die von imperialistischen Kriegen befallen und gequält wurden, nicht mehr nur ihre Sache. Jetzt, da die "Erste Welt" in Brüche geht, müssen wir von jenen lernen, die stets dazu verurteilt waren, der Not mit allen Mitteln zu begegnen, während sie gleichzeitig die Fackel ihrer Würde lodern ließen.

Wir haben Sumud nicht deshalb gegründet, um vor dem Westen davonzulaufen, vielmehr um besser in der Lage zu sein, für eine Zukunft der Brüderlichkeit und Solidarität zu kämpfen. Wir wollen nicht unser Gewissen betäuben, indem wir uns an den üblichen Ritualen beteiligen. Wir wollen die Politik der positiven Fakten und der inspirierenden Beispiele erleben. Wir wollen uns ändern, denn es ist unmöglich, die Welt zu verändern, ohne die Menschen zu ändern, die in ihr leben.

Für uns bedeutet antiimperialistische Freiwilligenarbeit, unsere Körper zu der Hölle hinzubewegen, wohin es die Verdammten verschlagen hat, um ihren Durst nach Gerechtigkeit zu teilen und um mit ihnen zusammen die Luft der Freiheit zu atmen, die sie überleben ließ. Sumud bedeutet, zu der internationalen Gemeinschaft der Letzten zu gehören, weil die gesamte Menschheit erst dann frei sein wird, wenn sie ihre Ketten zerbrochen haben werden.


Freiwilliger Arbeitseinsatz im Libanon

Das konkrete und ehrgeizige Projekt, das wir allen jenen vorschlagen, die unser Anliegen teilen, besteht darin, im Süden des Libanon an einer Arbeitsbrigade im palästinensischen Flüchtlingslager Ein el-Hilweh teilzunehmen. Es ist ein richtiges Ghetto, in dem die Palästinenser der Diaspora unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. In Ein el-Hilweh leben fast 100.000 Palästinenser seit Generationen in furchtbaren Verhältnissen.

Eines der wichtigsten Anliegen der Brigade ist ganz praktischer Natur: Wir werden daran arbeiten, ein altes Gebäude zu renovieren, in dem sich einmal das Büro der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) befand und das von israelischen Raketen halb zerstört wurde. Ziel unserer Arbeit ist es, das Gebäude in eine Stätte kultureller und politischer Aktivitäten für die Jugend des gesamten Flüchtlingslagers zu verwandeln.

Natürlich konnten wir nicht daran denken, dieses Projekt in Angriff zu nehmen, ohne die Unterstützung durch die Menschen, die direkt damit zu tun haben: Unser Partner, der Jugendverband von Nashed, in dem sowohl Palästinenser/innen als auch Libanes/innen vertreten sind, wird zum Erfolg des Projekts beitragen.

Infos: www.sumud.org

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AUTOREN

Mohammad Aburous - geboren 1976 in Palästina. Lebt derzeit in Österreich. Studierte technische Chemie an der TU-Wien und dissertierte an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Aktivist des Arabischen Palästina-Clubs (APC) und des Österreichisch-Arabischen Kulturzentrums (OKAZ) in Wien.

Sebastian Baryli - geboren 1979 in Wien, studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien, Aktivist der Antiimperialistischen Koordination.

Margarethe Berger - geboren 1968 in Wien, studierte Slawistik an der Universität Wien, wiederholte Reisen in den arabischen Raum und Südamerika.

Gunnar Bernhard - geboren 1973 in Wien, arbeitet als Behindertenbetreuer. Aktivist der Antiimperialistischen Koordination.

Gernot Bodner - geboren 1974 in Bruck an der Mur, studierte an der Universität für Bodenkultur in Wien, große Reisetätigkeit vor allem nach Südamerika. Aktivist der Antiimperialistischen Koordination.

Stefan Hirsch - geboren 1976 in Wien, studierte Geschichte und Geografie an der Universität Wien, arbeitet im Bildungsbereich.

Hannes Hofbauer - geboren 1955, Buchautor, Journalist und Verleger. Lebt in Wien.

Bjarne Köhler - geboren 1982, Student in Graz.

Wilhelm Langthaler - geboren 1969, arbeitet als technischer Angestellter in Wien, Aktivist der Antiimperialistischen Koordination. Zahlreiche Reisen zu den Zentren des Widerstands, insbesondere am Balkan, in den Nahen Osten und auf dem indischen Subkontinent, Koautor des Buches Ami go home, erschienen im Verlag Pro-Media.

Peter Melvyn - Studien der Sozialwissenschaften und Geschichte in Paris, New York, Toronto und Montreal. Lektor für Sozialgeschichte and der Université de Montréal. Hauptkarriere als höherer Beamter in der Internationalen Arbeitsorganisation, Genf. Mitte der 80er Jahre Übersiedlung nach Wien, als Konsulent für internationale Organisationen tätig. Aktivist der Jüdischen Stimmen für einen gerechten Frieden in Nahost.

Temur Pipia - Aktivist der georgischen Anti-Kriegsbewegung, engagiert sich gegen den NATO-Beitritt seines Landes. Lebt in Tiflis.

Elisabeth Lindner-Riegler - geboren 1952 In Kärnten, arbeitet als Professorin an einem Gymnasium in Wien.

Julija Schellander Kärntner Slowenin, Slawistin, arbeitet in Wien.

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AIK
www.antiimperialista.org

Medieninhaber, Herausgeber und Verleger:
Antiimperialistische Koordination (AIK), Postfach 23, 1040 Wien, Österreich;
Verlags- und Herstellungsort: Wien; Druck: Printfactory, Wien
Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz der Republik Österreich:
Antiimperialistische Koordination (AIK), Postfach 23, 1040 Wien
Grundlegende Richtung: Für einen gerechten Frieden im Nahen Osten.

Redaktion
Margarete Berger, Gernot Bodner, Stefan Hirsch, Wilhelm Langthaler

Kontakt
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Beiträge
Die nächste Ausgabe der Intifada erscheint im Herbst 2009. Wir freuen uns über die zeitgerechte Zusendung von Texten.

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Quelle:
Intifada Nummer 28 - Frühjahr 2009
Zeitschrift für den antiimperialistischen Widerstand
Internet: www.antiimperalista.org/intifada.htm


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009