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IZ3W/225: Ausgabe 320 - Editorial des Schwerpunktes - Alles Bananenrepubliken oder was?


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 320 - September/Oktober 2010

Editorial des Schwerpunkts Zentralamerika
Alles Bananenrepubliken oder was?


»Korruption und Klüngel - Bananenrepublik Deutschland?« lautete der Titel der »Phoenix Runde« vom 23. Februar 2010. Die obligatorischen vier Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik diskutierten über die Frage, ob man es mit einer »Bundes- oder Bananenrepublik« zu tun habe (1). Was immer das eigene Urteil dazu sein mag: Momentan erinnert zumindest die Farbgebung der Regierungskoalition an die beliebteste Südfrucht, wenn diese etwas angematscht ist.

Eigentlich galten bislang vor allem die zentralamerikanischen Staaten (2) als Bananenrepubliken. Früher kontrollierten dort US-amerikanische Fruchtkonzerne zusammen mit oligarchischen Familien nicht nur Produktion und Handel mit dem Hauptexportgut Bananen, sondern vergaben auch die politischen Posten. Bis heute gelten die zentralamerikanischen Staaten allgemein als korrupt und politisch instabil. Während ein Großteil der Bevölkerung damals weder etwas zu sagen noch zu beißen hatte, ist heutzutage wenigstens ersteres zumindest formal gegeben. Alte und neue Eliten haben jedoch nach wie vor großen Einfluss auf Medien und Politik. Auch wenn offiziell Demokratie herrscht: Problematisch wird es immer dann, wenn die Bevölkerung etwas mehr Mitbestimmung und zaghafte soziale Reformen fordert.

Wie vor gut einem Jahr in Honduras. Die Naumann-Stiftung, Thinktank der bananen-gelben FDP, präsentierte damals unerwartet offen ihre ganz eigenen Demokratievorstellungen: Sie begrüßte den Militärputsch als Möglichkeit für eine »Rückkehr zu Rechtsstaat und Verfassung« (3). Schließlich sind die selbst ernannten »Liberalen« schon immer zur Stelle gewesen, wenn angeblich der Sozialismus kurz vor der Tür stand, um dem Titanic-Covergirl »Zonen-Gabi« ihre Banane wieder wegzunehmen.

Dafür, dass EuropäerInnen auch weiterhin Südfrüchte konsumieren können, sorgt auch die EU. Um ihren Einfluss im traditionellen »Hinterhof« der USA auszubauen, wurde Mitte Mai ein sogenanntes Assoziierungsabkommen mit den zentralamerikanischen Staaten geschlossen. Darin geht es um Freihandel, wirtschaftliche Zusammenarbeit, politischen Dialog und Menschenrechte. Dumm nur, dass die Auswirkungen solcher Abkommen (egal ob sie mit dem Präfix Freihandel oder Assoziierung versehen sind) meist im Gegensatz zu wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Rechten stehen. Und wie immer kommen die Menschenrechte an letzter Stelle. Sowohl in Zentralamerika als auch in Brüssel.

Migration, Jugendgewalt und organisierte Kriminalität sind hüben wie drüben Themen, die weit oben auf der (sicherheits-)politischen Agenda stehen. Nur dass die ZentralamerikanerInnen meist diejenigen sind, die versuchen, ihr Glück in der Ferne zu finden und - im Gegensatz zu den EuropäerInnen - seltener diejenigen, die Infrarotkameras und Grenzzäune aufstellen, um die Migration zu kontrollieren.

Erholung suchende EuropäerInnen sind in Zentralamerika hingegen herzlich willkommen. Als TouristInnen dienen sie neben internationalen Naturschutzorganisationen als Geldquelle für die Einrichtung und den Unterhalt von Naturreservaten entlang des »Mittelamerikanischen Biologischen Korridors«. Weniger erwünscht sind dort diejenigen, die der Landknappheit in anderen Regionen zu entfliehen versuchen. Denn in den dicht besiedelten Küstengebieten gehört das wenige fruchtbare Land größtenteils den Agrarmultis und internationalen Hotelketten.

Ein weiteres Muss für interessierte TouristInnen sind die so genannten Murales. Diese meist politischen Wandmalereien sind in den Ländern Zentralamerikas schon lange ein Abbild von sozialen Bewegungen und deren Geschichte. Und da Bilder manchmal mehr sagen als Worte, bebildern wir diesen Themenschwerpunkt mit Murales.

Auch wenn Zentralamerika in der Disziplin »Street-Art« Vorsprung hat, scheint Europa im Wettrennen um den Titel Bananenrepublik aufgeholt zu haben. Während es jenseits des Atlantiks in Sachen Demokratie zumindest formal ein wenig aufwärts gegangen ist, gewinnt man hierzulande immer häufiger den Eindruck, dass Provinzfürsten und Caudillos zu ratlosen Staatspräsidenten werden - wie einst in Zentralamerika. Zu einer echten Bananenrepublik gehören außerdem Hinterzimmerpolitik, korrupte Eliten, die das Geld außer Landes schaffen, und eine Bevölkerung, die für all das bezahlt.

Schnurrbart und Cowboyhut würden sicherlich auch einigen hiesigen Politikern gut stehen. Die Frage, ob Bundes- oder Bananenrepublik, wäre zumindest dann recht schnell geklärt.

die redaktion


Anmerkungen:

(1) Bananenrepublik war übrigens das »Wort des Jahres« 1984.

(2) Der Begriff Zentralamerika bezieht sich auf die überwiegend spanischsprachigen Länder Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama sowie das englischsprachige Belize. Im Gegensatz zu den anderen Staaten gehört Belize dem Commonwealth an und ist laut Verfassung eine parlamentarische Monarchie mit der britischen Königin als Staatsoberhaupt. Nicht nur in politischer, sondern auch in ökonomischer Hinsicht nimmt das wohlhabendere Belize mit seinen 300.000 StaatsbürgerInnen eine Sonderrolle in der Region ein. Daher stehen in diesem Themenschwerpunkt die spanischsprachigen Länder im Vordergrund.

(3) Der Tagesspiegel, 14.08.2009.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 320 - September/Oktober 2010


Themenschwerpunkt:
Die Zukunft im Nacken - Was bewegt Zentralamerika?

Die zentralamerikanischen Staaten gelten oft als "Bananenrepubliken". Früher kontrollierten dort US-amerikanische Fruchtkonzerne zusammen mit oligarchischen Familien nicht nur Produktion und Handel mit dem Hauptexportgut Bananen, sondern vergaben auch politische Posten. Bis heute gelten die zentralamerikanischen Staaten als korrupt und politisch instabil.

Während ein Großteil der Bevölkerung damals weder etwas zu sagen noch zu beißen hatte, ist heutzutage wenigstens ersteres formal gegeben. Alte und neue Eliten haben jedoch nach wie vor großen Einfluss auf Medien und Politik. Auch wenn offiziell Demokratie herrscht: Problematisch wird es immer dann, wenn die Bevölkerung mehr Mitbestimmung und zaghafte soziale Reformen fordert. Unser Themenschwerpunkt befasst sich mit aktuellen Lebensrealitäten in Zentralamerika, mit Arbeitsmigration, Sicherheitsdiskursen, Freihandelsabkommen, zweifelhaftem Naturschutz und vielem mehr.

Themen des Schwerpunkts:
Aufgeputscht - Reform und Reaktion à la Centroamérica + Vom Fußballkrieg zur regionalen Integration - Migration in Zentralamerika + "Er soll zurückkehren" - Auswirkungen der Migration in Todos Santos + Politik der harten Hand - Ungleiche Sicherheit und sichere Ungleichheit + Schutzlos im Schutzgebiet - Repressive Formen des Naturschutzes + "Der totale Naturschutz" - Interview zu Landkonflikten in einem nicaraguanischen Naturschutzgebiet + Assoziierung oder Neokolonialismus - Interview über den Widerstand gegen Freihandelsabkommen mit der EU + Sin Nombre - Film über Jugendliche ohne Chance + Auf halbem Weg zum Himmel - Film über Proteste gegen ein Massaker


INHALTSÜBERSICHT


Hefteditorial: Die Niebelungensaga


POLITIK UND ÖKONOMIE

Entwicklungszusammeanarbeit I: Ins Netz gegangen
Die NRO-Fazilität Afghanistan entzweit Hilfsorganisationen
von Jan Bongers

Entwicklungszusammenarbeit II: Ach so, deswegen!
Eine Glosse über wirkungsorientiertes M&E in der EZ
von Olaf Reetland

Türkei: Erdogans Drahtseilakt
Die AKP-Regierung instrumentalisiert die Israel-Krise
von Luisa Seeling

Nepal: Hoffen auf bessere Tage
Was ist aus Nepals Aufbruch in die Demokratie geworden?
von Tina Sanio und Julia Odumuyiwa

Kirgistan: Programmierte Gewalt
Die Massaker haben eine lange Vorgeschichte
von Wladimir Sgibnev

Iran: Die Deutschen und der Iran
Ein Streitgespräch zwischen MdB Gernot Erler und Buchautor Matthias Küntzel

Debatte: Nach dem Neoliberalismus ist vor ...
Was ist aus der Linken in Lateinamerika geworden?
von Ulrich Brand, Bernd Beier, Albert Sterr, Oscar Vega, Wolf-Dieter Vogel und Britt Weyde


SCHWERPUNKT: ZENTRALAMERIKA

Alles Bananenrepubliken oder was?

Aufgeputscht
Reform und Reaktion à la Centroamérica
von Tobias Lambert

Vom Fußballkrieg zur regionalen Integration
Migration in Zentralamerika
von Volker Hamann

»Er soll zurückkehren«
Auswirkungen der Migration in Todos Santos
von Natalie Wegmann

Politik der harten Hand
Ungleiche Sicherheit und sichere Ungleichheit
von Rosa Lehmann und Malte Lühmann

Schutzlos im Schutzgebiet
Repressive Formen des Naturschutzes
von Rosa Lehmann und Peter Clausing

»Der totale Naturschutz«
Landkonflikte in einem nicaraguanischen Naturschutzgebiet
Interview mit Eileen Mairena Cunningham

Assoziierung oder Neokolonialismus?
Interview mit Carlos Aguilar über den Widerstand gegen Freihandelsabkommen mit der EU

Film: Sehnsucht nach dem besseren Leben
»Sin Nombre« zeigt Jugendliche ohne Chancen von Katharina Lange

Film: Auf halbem Weg zum Himmel
Ein Dorf prozessiert gegen ein Massaker
von Saskia Walther


KULTUR UND Debatte

Nationalsozialismus: »Das Werk des Propheten vollenden«
Die Propaganda der Nationalsozialisten in die arabisch-islamische Welt
von Vera Henßler

Gerettete Schätze: Wissenschaft ist Politik
Ein kunsthistorischer Blick ins antike Afghanistan
von Katja Behrens

Fotojournalismus: Der dokumentarische Moment
Die Ausstellung »Kunduz, 4. September 2009« geht neue Wege
von Felix Koltermann

Film: Auch in Kinshasa wird Weltmusik gespielt
von Martina Backes

»Singen ist wie zweifach Beten«
Interview mit dem Filmemacher Martin Baer

Islam: Den Koran neu denken
Ein Nachruf auf Nasr Hamid Abu Zaid
von Thomas Schmidinger

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 319 - September/Oktober 2010, S. 18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2010