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IZ3W/308: Rezension - "Wenn die Burka plötzlich fliegt", zur Arbeit mit dem Theater der Unterdrückten


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 337 - Juli/August 2013

Theater der Unterdrückten

Rezension von Katharina Ruf



Afghanistan - ein Land in Trümmern. Und dort soll friedensförderndes Theater gemacht werden? Ist es nicht zynisch, ja größenwahnsinnig, dort mit Theater etwas verändern zu wollen? Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn stellt sich all diese Fragen, bevor er ein Jobangebot des Deutschen Entwicklungsdienstes zu konfliktmindernder Theaterarbeit in Afghanistan annimmt. In seinem Buch Wenn die Burka plötzlich fliegt lässt er die LeserInnen an seinen persönlichen Erfahrungen teilhaben.

Das Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung über Augusto Boals Methodik des Theaters der Unterdrückten (TdU) in einem Kriegsgebiet. Es beleuchtet »sowohl das Land Afghanistan und die Arbeit mit dem TdU als auch die internationale Entwicklungszusammenarbeit vor Ort aus verschiedenen Perspektiven«. Das Außergewöhnliche am TdU ist der Einbezug des Publikums während einer Aufführung. In einer Modellszene wird eine Unterdrückungssituation gezeigt, in der die Hauptfigur nicht imstande ist, den Konflikt zu lösen. Die ZuschauerInnen rufen »Stop«, übernehmen die Rolle des scheiternden Protagonisten und können so den weiteren Ablauf des Stücks beeinflussen und möglicherweise eine Lösung finden. Eine Probe für das wahre Leben.

Kritisch reflektierend schildert Joffre-Eichhorn anhand verschiedener Theaterprojekte die konkrete Arbeit mit dem TdU. Fotos und Bleistiftzeichnungen von Teilnehmenden der Workshops veranschaulichen die verschiedenen Theatermethoden. Joffre-Eichhorn arbeitet in Afghanistan sowohl mit Kindern, Männer- und Frauengruppen als auch gemischten Gruppen. Er liefert in seinem Buch nicht nur Theaterbegeisterten Anregungen zum TdU.

Fast alle Theaterprojekte sind anfänglich von Misstrauen und Zurückhaltung der Teilnehmenden geprägt, die schnell in Begeisterung und Kreativität umschlagen. Der Autor beschreibt aber auch die Schwierigkeiten, das Theater auf afghanische Normen zu zuschneiden. Dabei steht er im ständigen Dialog mit den Teilnehmenden und bezieht diese immer mit ein. So werden schmerzhafte Erfahrungen nachgestellt und diskutiert, um einen inneren Heilungsprozess in Gang zu setzen.

Eindrucksvoll schildert er die Arbeit mit Frauen. Von besonderer Relevanz ist hierbei die Schaffung von »Safe Spaces«. Das sind Orte, die auf emotionaler und psychologischer Ebene »sicher« genug sein müssen, damit die Teilnehmenden Vertrauen zueinander aufbauen und sich öffnen. Die afghanischen Frauen werden durch Verschleierung des Körpers in der Öffentlichkeit regelrecht unsichtbar gemacht. Wenn aber solch ein »Safe Space« erfolgreich aufgebaut ist, landen die Burkas in der Ecke. »Ich habe mich in meinem Leben noch nie so frei gefühlt«, beschreiben viele Frauen ihre Empfindung dabei.

Mit Hilfe des Theaters werden Themen behandelt wie häusliche Gewalt, Vergewaltigung, Frauen als Zahlungsmittel, aber auch der weibliche afghanische Körper. So bietet das TdU den Frauen einen der seltenen Orte, an dem die Möglichkeit besteht, ein neues Geschlechterverhältnis zu kreieren und zu erfahren. Bereit für ein verändertes Rollenverständnis wären wohl viele afghanische Frauen. Aber ob sich »mehr als eine Handvoll Männer mit solch radikal neuen Ideen identifizieren können«, bezweifelt der Autor.

Das Theater regt auch jene Menschen zum Handeln an, die einer Aufführung beiwohnen. Es gibt Raum für offene Diskussionen. Die Stücke wie auch die anschließenden Gespräche gehen oftmals sehr emotional vonstatten. Joffre-Eichhorn zeigt das Theater als »effektive Waffe mit viel emanzipatorischem Potenzial«, mit dessen Hilfe von grauenvollen Umständen geprägte Menschen ihre Leidensgeschichte verarbeiten können.


Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn:
Wenn die Burka plötzlich fliegt.
Einblicke in die Arbeit mit dem Theater der Unterdrückten in Afghanistan.
Ibidem-Verlag, Stuttgart 2013. 250 Seiten, 19,90 Euro.

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 337 - Juli/August 2013


Arabische Frauenbewegungen
Yala! Yala!

Die Umbrüche durch den Arabischen Frühling brachten nicht überall und für jede Emanzipation mit sich. Im Zuge des islamistischen Backlashs müssen Frauen in den arabischen Ländern ihre Rechte vehement verteidigen.

Sie können dabei auf eine lange Tradition feministischer Kämpfe und Debatten zurückgreifen, die hierzulande kaum wahrgenommen werden. Bereits im 19. Jahrhundert wurden reformerische Ideen und Schriften zum Status der Frauen verbreitet. Und Frauen sind nicht erst mit der Arabellion 'plötzlich' auf der Straße erschienen. Ihre aktive Beteiligung an den antikolonialen Bewegungen war schon in den 1930er und 40er Jahren begleitet von Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung.

'Die' arabische Frauenbewegung ist lebendig und damit auch heterogen und widersprüchlich. Deshalb fällt es schwer, die unterschiedlichen Länder der arabischen Welt auf einen Nenner zu bringen. Gerade wegen ihrer Vielschichtigkeit lohnt jedoch ein Blick auf 'die' arabischen Länder und ihre Frauenbewegungen. Denn der nächste Frühling könnte ein feministischer sein.


HEFTEDITORIAL


Schwerpunkt: Frauenbewegungen in der arabischen Welt

Editorial zum Themenschwerpunkt

Selbstbewusst zwischen den Welten
Über 100 Jahre arabischer Feminismus zwischen Moderne und Tradition
von Hannah Wettig

»Die ägyptische Kultur ist auch frauenfeindlich«
Interview mit der Politologin Hoda Salah

»I am not a feminist!«
Frauenrechtsaktivistinnen in Ägypten
von Johanna Block

Zähes Ringen
In Tunesien kämpfen Frauen für den Erhalt feministischer Errungenschaften
von Katrin Dietrich

»Weibliche Sexualität wird nicht wahrgenommen«
Interview mit der Autorin Naha Sano

Ungleichheit per Gesetz
Algerische Frauen kämpfen um ein egalitäres Familienrecht
von Zahia Boudiaf

Mit dem Koran gegen Sexismus
Plädoyer für einen Feminismus ohne Grenzen
von Zahra Ali

Politisch, nicht kulturell!
Zur Kritik von »islamischem Feminismus« und Kulturalismus
von Hannes Bode

Empowerment und Ausschluss
Islamistische Frauen und die Politik der Frömmigkeit in Ägypten (Langfassung)
von Renate Kreile

Ein kurzer Moment von Freiheit
Saudi Arabiens Gesellschaft öffnet sich nur allmählich für Frauenrechte
von Julia Gerlach

»Den Verstand entschleiern«
Rezensionen zum Thema


POLITIK UND ÖKONOMIE

Atomkraft: »Eine brisante Angelegenheit«
In Tansania formiert sich Widerstand gegen den Uranabbau
Interview mit Anthony Lyamunda

Syrien: Selbst Brot ist knapp
Die Binnenvertriebenen in Kurdisch-Syrien bekommen keine internationale Unterstützung
von Thomas Schmidinger

Asyl: Wer ist eigentlich Flüchtling?
Proteste im tunesischen UNHCR-Flüchtlingslager Choucha
von Mareike Kessler und Marvin Lüdemann

Mali: In den Augen der anderen
Die transnationale Debatte über die Krise in Mali
von Olaf Bernau

Migration: Ethnisierung der Unterschicht
Rassistisches und neoliberales Denken gegen Sozialleistungen
von Sebastian Friedrich

Mexiko: Kampf gegen Windmühlen
Ein Windenergieprojekt in Mexiko stößt auf Widerstand
von Moritz Binzer und Jonathan Welker

Ostafrika I: Eigennützige Integration
Südafrika, Kenia und Äthiopien wollen Ostafrika nach ihren Interessen gestalten
von Sören Scholvin

Ostafrika II: Ein Hafen voller gemischter Gefühle Das Lamu-Projekt in Kenia von David John Bwakali


KULTUR UND DEBATTE

Cultural Studies: »Nicht auf Radical Chic reduzieren«
Interview mit Philipp Dorestal über afroamerikanische Style Politics

Oper: Schlingensiefs weißer Elefant
Das Operndorf in Burkina Faso wirft kritische Fragen auf
von Christa Aretz und Karl Rössel

Film I: Filmisch eingefangen
Das Internationale Frauenfilmfestival über Auswüchse der Globalisierung
von Wolfgang Kienast

Film II: Unter Strom
Das freiburger film forum zeigte neue internationale Produktionen
von Frederik Skorzinski

Rezensionen

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Quelle:
iz3w Nr. 337 - Juli/August 2013, Rezensionen - Sachbuch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2013