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KAZ/141: Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Vertrag von Lissabon


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 329, Dezember 2009
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Vertrag von Lissabon:
Wessen Sieg?

Von der Arbeitsgruppe Zwischenimperialistische Widersprüche


Am 3. November unterschrieb Vaclav Klaus, Staatspräsident der Tschechischen Republik, als letzter Vertreter der EU-Staaten den Vertrag von Lissabon. Er erklärte kurz angebunden, dass damit die Tschechische Republik aufhöre, ein souveräner Staat zu sein.(1) Der neue deutsche Außenminister sprach mit der nun schon sattsam bekannten, vor Stolz geschwellten Brust von einem "richtig guten Tag für Europa".(2) Denn nun kann der Lissabon-Vertrag, das Ergebnis einer bald 10-jährigen Geschichte der Kungelei, der Erpressungen und Versprechungen, in Kraft treten. Zuvor hatte der Vertrag noch einige andere Hürden nehmen müssen: Das irische Volk wurde ein zweites Mal zur Urne gerufen, nachdem die erste Volksabstimmung nicht das erwünschte Ergebnis gebracht hatte. Das Spiel mit der Angst angesichts eines von der Krise gebeutelten Landes hatte funktioniert, das irische Volk stimmte diesmal mehrheitlich für den Vertrag. Das französische Volk durfte gar nicht mehr abstimmen, das erledigte nach einigen eher kosmetischen Änderungen des EU-Vertrages das französische Parlament. Im Sommer unterschrieb nach langem Widerstand der polnische Staatspräsident und - in der BRD musste ein neues Begleitgesetz zu diesem Vertrag beschlossen werden, damit auch Köhler endlich seine Unterschrift darunter setzen konnte.


Die europapolitische Kontinuität des Bundesverfassungsgerichts: ohne deutsche Zustimmung geht nichts

So unterschiedliche Kräfte wie die Partei Die Linke und Herr Gauweiler, CSU, hatten gegen den Vertrag von Lissabon Klage erhoben. Wie schon in den vergangenen Jahren, als gegen den Vertrag von Maastricht und später gegen die Einführung des Euro geklagt worden war, sah das Gericht den Lissabon-Vertrag im Einklang mit dem Grundgesetz, allerdings mit Einschränkungen: Die Souveränität der BRD muss gewahrt bleiben. So erklärte das Gericht 1993 zum Vertrag von Maastricht und verwies darauf noch einmal 1998: "Wenn etwa europäische Einrichtungen oder Organe den Unionsvertrag in einer Weise handhabten oder fortbildeten, die von dem Vertrag, so wie er dem deutschen Zustimmungsgesetz zugrunde liege, nicht mehr gedeckt wäre, so wären die daraus hervorgehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsgebiet nicht verbindlich."(3) Übersetzt heißt das nichts anderes als: wir steigen aus, wenn irgendwelche Entscheidungen getroffen werden, die uns nicht passen. Entsprechend betonte auch diesmal das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil mehrmals die Souveränität der BRD. "Die Bundesrepublik Deutschland bleibt bei Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ein souveräner Staat. Insbesondere bleibt die deutsche Staatsgewalt in ihrer Substanz geschützt."(4) Weiter heißt es dort: "... dass die europäische Integration nicht zur Aushöhlung des demokratischen Herrschaftssystems in Deutschland führen darf. ... Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten darf aber nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedsstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr bleibt ... Die betrifft insbesondere die Strafrechtspflege, die polizeiliche und militärische Verfügung über das Gewaltmonopol, fiskalische Grundsatzentscheidungen, die sozialpolitische Gestaltung von Lebensverhältnissen sowie kulturell bedeutsamen Entscheidungen wie Erziehung, Bildung, Medienordnung und Umgang mit Religionsgemeinschaften."(5) Und nicht zuletzt: "Der Vertrag überträgt der EU keine Zuständigkeit auf die Streitkräfte der Mitgliedsstaaten ohne Zustimmung des jeweils betroffenen Mitgliedsstaats oder seines Parlaments zurückzugreifen."(6) Damit das auch so bleibt, forderte das Gericht eine Änderung des deutschen Begleitgesetzes zum Vertrag von Lissabon dahingehend, dass Bundestag und Bundesrat nicht pauschal über Kompetenzübertragungen an die EU entscheiden dürfen, sondern konkret in jedem Einzelfall entscheiden müssen.


Kein Sieg für Demokratie und Frieden

Da ist es denn doch verwunderlich, dass sowohl die Partei Die Linke wie auch Gauweiler von einem Sieg sprachen. In der Wirklichkeit des real existierenden deutschen Imperialismus bedeutet dieses Urteil doch, notfalls den Alleingang zu proben, sollten maßgebliche Kreise der deutschen Monopolbourgeoisie mit einer "Kompetenzübertragung" an die EU oder mit anderen Entscheidungen auf EU-Ebene nicht einverstanden sein. Und schon vorher bleiben solche Urteile stete Warnung an die "Partner" innerhalb der EU, Entscheidungen nicht gegen den deutschen Willen durchzudrücken, da sich sonst Deutschland gezwungen sieht, diese Entscheidungen schlicht nicht anzuerkennen. Und was für ein Sieg soll das sein, wenn uns noch einmal bestätigt wird, dass das deutsche Gewaltmonopol vor der EU geschützt ist? Dieses Gewaltmonopol, das uns auf jeder Demonstration gegenübertritt, Faschisten marschieren lässt und Antifaschisten daran hindert, diesem Spuk ein Ende zu bereiten? Ist es denn irgendeine anonyme EU, die die Militarisierung dieser Gesellschaft vorantreibt, die demokratischen Rechte immer mehr einschränkt und bei allen möglichen oder unmöglichen Anlässen Bürgerkriegsübungen anordnet oder nicht doch dieser Staat mit einem Bundestag und Bundesrat, die die entsprechenden Gesetze und Grundgesetzänderungen abnicken?

Was wollte denn die Partei Die Linke? "Wir wollen eine Verfassung für Europa, die auf den besten europäischen Traditionen aufbaut: Ein soziales, ein wohlhabendes und friedliches Europa", so Lothar Bisky in einer Presseerklärung vom 13.3.2008. Deshalb sollte der Vertrag von Lissabon, diese reaktionäre Geschäftsgrundlage für die EU, verhindert werden. Die Linkspartei wandte sich gegen die darin verankerte weitere Militarisierung, den Zwang zur Aufrüstung in allen EU-Ländern. Sie wollte verhindern, dass das von staatlichen Eingriffen uneingeschränkte Schalten und Walten der Monopole zum Prinzip für alle EU-Staaten festgelegt wird. Sie forderte für die EU das "Sozialstaatsprinzip" ein. Und sie prangerte das Demokratiedefizit an, also die nicht ausreichend gewährleistete demokratische Legitimation für die im Lissabon-Vertrag festgelegten erweiterten Entscheidungsbefugnisse für die Europäische Union. "Die Demokratie befindet sich nach dem LV (Lissabon-Vertrag. Die AG) weiter auf dem Niveau des Deutschen Kaiserreichs von 1871 mit einer übermächtigen Exekutive und nicht auf dem Niveau des Grundgesetzes von 1949."(7) Völlig unabhängig davon, was von der Realisierbarkeit eines solchen Europas unter imperialistischen Bedingungen zu halten ist, nichts davon wurde doch durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erreicht. Schon gar nicht wurde das "Demokratiedefizit" des Lissabon-Vertrags durch die Stärkung von Bundestag und Bundesrat auch nur abgemildert. Die Europäische Union ist nach bürgerlicher Sicht ein Verbund von Staaten. Demokratie zwischen Staaten bedeutet aber, dass jeder Staat, ob groß oder klein, eine Stimme hat. Genau dieses Prinzip wird durch den Lissabon-Vertrag noch weiter ausgehöhlt und zwar vor allem auf Betreiben der Vertreter des deutschen Imperialismus. Sie waren es doch, die sich vehement dafür eingesetzt haben, dass die BRD als größter Staat auch die meisten Stimmen hat und dass das Einstimmigkeitsprinzip in vielen Bereichen abgeschafft wird. Wenn nun gerade der mächtigste Staat in solch einem Verbund von seinem höchsten Gericht auch noch bestätigt bekommt, dass er Entscheidungen der Europäischen Union notfalls gar nicht anerkennen muss, wenn seine parlamentarischen Organe diese ablehnen, hat das mit einer Abmilderung eines Demokratiedefizits schon rein gar nichts zu tun. Wenn Gregor Gysi am 1.7. vor dem Bundestag erklärte: "Entscheidend ist, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts den Lissabon-Vertrag völlig neu interpretiert haben und mit ihrer Interpretation Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gebunden haben. Dadurch hat der Vertrag zum Teil einen neuen Inhalt"(8), dann tut er seinen Anliegen und denen der Linkspartei damit ganz und gar keinen Gefallen. Ein Vertrag, wie auch immer ausgehandelt zwischen den Staatsvertretern der EU, soll nun durch das deutsche Bundesverfassungsgericht einen neuen Inhalt bekommen. Was bedeutet das anderes als ein deutsches Diktat für einen EU-Vertrag. Mehr Demokratie für die EU? Nein, das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Vertrag von Lissabon ist kein Sieg für die Partei Die Linke, für die Demokratie und den Frieden.


Was will Herr Gauweiler?

Da kann Herr Gauweiler auf der anderen Seite wesentlich berechtigter von einem Sieg sprechen. Ihm ging es vor allem um die Souveränität der Bundesrepublik, die er durch die Zustimmung zum Vertrag von Lissabon bedroht sah. So ist in der Beschwerdeschrift, verfasst von Prof. Dr. jur. Schachtschneider(9), z.B. zu lesen: "Das Zustimmungsgesetz (der BRD zum Vertrag von Lissabon. Die AG) ist darüber hinaus staatswidrig, weil der Vertrag von Lissabon die existentielle Staatlichkeit Deutschlands weitestgehend zugunsten einer existentiellen Staatlichkeit der Europäischen Union einschränkt."(10) Oder: "Die existentielle Verkürzung der Rechte des Bundestages wegen der existentiellen Entmachtung Deutschlands durch den Vertrag von Lissabon (Hervorhebung durch die AG) verkürzt auch die Vertretungsmacht des Bundestagsabgeordneten in einer Weise, die es notwendig macht, dass das Bundesverfassungsgericht die grundgesetzgemäße Organstellung der Abgeordneten im Organklageverfahren schützt."(11) Wenn in dieser Schrift auch viel von "politischer Freiheit", von "Menschenwürde", von "Sozialprinzip", von "Arbeitnehmerrechten" die Rede ist, die in dem Lissabon-Vertrag nicht entsprechend verankert wären, ja sich der Beschwerdeführer Gauweiler darin sogar als Kämpfer für das "Recht auf Arbeit" ausgibt, dann ist tiefstes Misstrauen angesagt, es sei denn, man weiß nicht, für welche Politik Gauweiler steht. Zur Erinnerung einige Beispiele: Als Staatssekretär im bayerischen Innenministerium war er in den 80er Jahren maßgeblich für die bayerischen Zwangsmaßnahmen gegen HIV-Infizierte verantwortlich und forderte schon einmal deren Kasernierung. Alleine der Titel des damals beschlossenen Maßnahmenkatalogs - "Aids, Vollzug des Seuchenrechts, des Ausländerrechts und des Polizeirechts" - lässt erkennen, welch Geistes Kind er ist. Damals wurde in Bayern schon einmal erprobt, was inzwischen fast normal in dieser Republik ist: das Außer-Kraft-Setzen von Grundrechten für Teile der Bevölkerung, verbunden mit einer gehörigen Portion Rassismus. Alles natürlich nur zum Wohle der "Volksgesundheit". Menschenwürde, Grundrechte, bedroht durch den EU-Vertrag? 1996 hetzte Gauweiler gegen die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht und lieferte so die Steilvorlage für die Kampagne der Faschisten gegen diese Ausstellung unter dem Motto "Unsere Großväter sind keine Verbrecher". Zur gleichen Zeit denunzierte er den Verfasser des Buches "Hitlers willige Vollstrecker", Daniel Goldhagen, als "Volksrichter". All das hat damals die PDS in einer Kleinen Anfrage im Bundestag zu der bundesweiten Kampagne gegen die Ausstellung fein säuberlich aufgezählt.(12) Darin wird dann auch noch gefragt: "Ist der Bundesregierung bekannt, dass die rechtsextreme Zeitung "Junge Freiheit" die Äußerungen Dr. Peter Gauweilers wohlwollend verbreitet?" Das kann die "Junge Freiheit" heute noch tun, da ihr Gauweiler immer noch Interviews gibt, z.B. zu seinem Erfolg mit seiner Klage gegen den Lissabon Vertrag.(13) Allein das zeigt schon, dass sich Gauweiler, wie manche vermuten, nicht geändert hat. Quält man sich weiter durch die Beschwerdeschrift bestätigt sich dies. Was verstehen diese Herrschaften unter "Politischer Freiheit"? "Die politische Freiheit verwirklicht sich wesentlich im Staat und damit nach Maßgabe des den Staat verfassenden Verfassungsgesetzes."(14) Diese politische Freiheit sieht der Beschwerdeführer in der Grundrechtecharta des EU-Vertrages im Gegensatz zum Grundgesetz nicht hinreichend verankert, sondern nur einzelne "Freiheiten" und "Bürgerrechte", zu allem Überfluss auch noch gegenüber dem Staat! "Freiheiten" und "Rechte" identifiziert ein Liberalismus, welcher die politische Freiheit des Menschen nicht zur Wirkung kommen lassen will, sondern den Staat als Einrichtung der Herrschaft missversteht, der Freiheiten vornehmlich als "Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat" ... entgegengestellt werden."(15) Damit haben es Herr Gauweiler und seine Partei nun wirklich nicht, wie kürzlich erst der bayerische Vorstoß in Punkto Versammlungsrecht wieder zeigte. Schließlich, so weiter in dem Text, legitimiert eine Republik "keinerlei Herrschaft". Entsprechend werden die in der Charta benannten, gegenüber den Unternehmern bzw. dem Staat einklagbaren (Minimal-) Rechte, wie Begrenzung der Höchstarbeitszeiten, bezahlter Urlaub, soziale Unterstützung in Notlagen, Zugang zur Gesundheitsversorgung usw. angeprangert: "Das Sozialprinzip als das Prinzip der Brüderlichkeit, jetzt als Prinzip der "Solidarität" gehandelt, wird entgegen der menschheitlichen Verfassung der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, zu der sich die Präambel bekennt (da haben sich damals offensichtlich deutsche Vertreter im Konvent durchgesetzt. Die AG), in kleinen Arbeitnehmerschutzrechten und in herkömmlichen Einrichtungen (schon fragwürdig gewordener) sozialstaatlicher Versicherungssysteme abgetan."(16) Nachdem man also so nebenbei erfährt, dass die Sozialversicherungen auf der Abschussliste stehen, fragt man sich, mit welchen Arbeitnehmerrechten uns Herr Gauweiler bzw. sein Beschwerdeverfasser denn im Gegensatz zur Charta des Lissabon-Vertrags beglücken will. "Vor allem fehlt das Recht auf Arbeit ... das die meisten Landesverfassungen Deutschlands kennen ... Aufgrund des Rechts auf Arbeit kann eine bestmögliche Beschäftigungspolitik eingefordert werden, wenn auch nicht ein Arbeitsplatz eigener Wahl. Eine Grundrechtecharta, welche die unternehmerische Freiheit anerkennt ..., aber das Recht auf Arbeit ausspart, verändert die Wirtschaftsverfassung grundlegend. Sie wandelt die marktliche Sozialwirtschaft in eine offene Wettbewerbswirtschaft."(17) Das mag ja für den einen oder anderen recht "arbeitnehmer-"freundlich klingen, doch ist es das auch? Oder passt das nicht viel mehr mit dem CSU-Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft" als Ausdruck einer "bestmöglichen Beschäftigungspolitik" zusammen? Dann erfährt man noch Erstaunliches, was in Deutschland Wirklichkeit sein soll, in der Charta aber fehlt. "Zur Anerkennung der Arbeitnehmer als Miteigentümer der Unternehmen schreitet die Charta nicht fort, obwohl die Unternehmen genauso das Eigene und Eigentum der Arbeitnehmer sind wie das der Anteilseigner. Allemal das Arbeitsverhältnis ist ein Eigentum des Arbeitnehmers. Das Arbeitsverhältnis gibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, aus eigener Kraft zu leben. Es ist sein Eigenes, das in Deutschland etwa im Kündigungsschutz- und im Mitbestimmungs-, aber auch im Betriebsverfassungsgesetz rechtlich anerkannt ist und anerkannt werden muss."(18) Solch offensichtlicher Schwachsinn findet seinen Sinn dann noch in folgender Kritik an der Charta, in welcher "nicht nur die Gewerkschaftsfreiheit als eine Vereinigungsfreiheit aufgenommen (ist), sondern in Art. 28 das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer ... Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen. Das gibt prinzipiell ein Streikrecht gegenüber dem Tarifpartner und verschließt grundrechtlich den Weg der praktischen Vernunft, nämlich die vereinbarte Schlichtung."(19) Was da Herr Schachtschneider im Auftrag von Gauweiler gegenüber dem Vertrag von Lissabon verteidigt ist das verstümmelte, in enge Rituale gepresste deutsche Streikrecht, das den Arbeitern und Angestellten so ganz und gar kein "prinzipielles" Streikrecht zugesteht. Doch das braucht es ja eigentlich auch gar nicht, sind sie doch Miteigentümer der Unternehmen. Genauso wenig brauchen sie als Bürger individuelle Grundrechte gegenüber und Freiheiten vor dem Staat, da sich in diesem ihre politische Freiheit verwirklicht. Das Ganze hat mit einer demokratischen bürgerlichen Republik herzlich wenig zu tun, dafür aber viel mit der Ebnung des Wegs hin zu einer faschistischen Volksgemeinschaft.

Auch außenpolitisch äußert Gauweiler Meinungen, die den einen oder anderen Kriegsgegner dazu bewegen, in ihm gar einen Bündnispartner zu sehen. So klagt auch er die "Militarisierung der Europäischen Union" an, die "Kriege in aller Welt ... vorsieht, die mit dem Gewaltverbot, dem Prinzip der Nichteinmischung (Art.2 Abs. 1 UNO-Charta), angesichts aktueller Beispielsfälle jedenfalls bisher als schwer vereinbar angesehen wurden."(20) Nun gibt es hierzulande Bundeswehrrichtlinien, die auch Kriege in aller Welt vorsehen, mit denen Gauweiler bisher keine Probleme hatte. Was ihn an den Regelungen im Lissabon-Vertrag über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stört ist, dass sie es "so gut wie nicht" zulassen, "dass ein Mitgliedsstaat eine eigene Sicherheits- und Verteidigungspolitik betreibt und die eigene Verteidigungsfähigkeit wahrt. Diese Absolutheit ist nicht mit den Regelungen des Grundgesetzes über die Verteidigung und die Bundeswehr und der Kompetenzordnung des Grundgesetzes für die auswärtigen Angelegenheiten ... vereinbar."(21) Wann und wo, mit wem und gegen wen die BRD Krieg führt, wird nicht auf EU-Ebene, sondern hierzulande bestimmt. Das ist es worum es Gauweiler geht.


Eine offene Ansage gegen die Einbindung

Nun stellt der Vertrag von Lissabon alles andere als "eine Entmachtung Deutschlands" dar, sondern soll gerade dazu dienen, die Dominanz des deutschen Imperialismus, wenn auch im Bündnis mit dem französischen, innerhalb der EU noch zu verstärken. Will man die Demagogie Gauweilers verstehen, muss man sich daran erinnern, dass die "Einigung Europas" für die daran beteiligten imperialistischen Staaten - neben dem gemeinsamen Interesse, im Bündnis die Weltmachtstellung der USA anzugreifen - immer auch völlig unterschiedliche Ziele verbarg. Für die Bourgeoisie Frankreichs und Großbritanniens war und ist das der Versuch, den seit der Einverleibung der DDR mächtiger gewordenen und seiner Fesseln entledigten deutschen Imperialismus einzubinden. Damals wurde das in der internationalen Presse noch viel offener benannt. So schrieb z.B. die italienische Zeitschrift "Corriere della Sera" am 9.11.1993 anlässlich der Auseinandersetzungen über den Vertrag von Maastricht und des 4. Jahrestages des "Mauerfalls": "Was aber bewegt die edlen Gehirne, seitdem der Eiserne Vorhang gefallen ist? ... Franzosen und Engländer bedauern gemeinsam, dass sie die Auflösung der DDR nicht zusammen verhindert haben. Maastricht? Nur ein Ziel: dem deutschen Gulliver Hände und Füße zu fesseln."(22) Diesem Ziel der Einbindung und Eindämmung des deutschen Imperialismus steht von Seiten der deutschen Bourgeoisie das alte Ziel eines Europas unter deutscher Vorherrschaft entgegen. Unterschiedliche Strömungen innerhalb der deutschen Bourgeoisie gibt es nur hinsichtlich der Taktik, wie und mit welchen Allianzen dieses Ziel am besten zu erreichen ist, wie weit man dazu auf die Einbindung eingehen muss und trotzdem die Bedingungen diktieren kann oder aber auf den Alleingang setzt. Kräfte wie Gauweiler standen und stehen für die letzte Variante. Diese Variante fand damals und findet heute keine Mehrheit innerhalb der deutschen Bourgeoisie. Doch zwischen beiden Strömungen gibt es so etwas, wie eine Arbeitsteilung. Als die CDU 1993 ohne viel Aufsehen davon zu machen ihr Programm hinsichtlich der Europapolitik geändert hat - weg von dem Ziel eines europäischen Bundesstaates hin zum Festhalten an souveränen Staaten in einem Staatenbund -, war es Stoiber, wie Gauweiler CSU, der laut in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 2.11.93 verkündete, warum man das früher anders sehen musste: "Eine Rolle spielten dabei unsere geschichtlichen Belastungen: wir hofften, die Nation, die damals geteilte deutsche Nation würde aufgehen in einer europäischen Nation, und wir würden uns damit auch entlasten von den geschichtlichen Verantwortlichkeiten."(23) Mit der Einverleibung der DDR, so die Ansage Stoibers, ist es damit vorbei, das Büßergewand kann abgelegt werden. Entsprechend erklärte er in diesem Interview auch explizit, dass ein Staatenbund die Möglichkeit des Austritts einschließt. Offiziell dementierte das die CDU damals und beruhigte die aufgeschreckten Gemüter der "Partner". Doch die Drohung mit dem Alleingang stand im Raum als nützliches Druckmittel bei allen Verhandlungen innerhalb der EU, weshalb sie bis heute auch immer wieder offiziell vom höchsten deutschen Gericht bestätigt wird. Laut der "Jungen Freiheit" erklärte Gauweiler in dem bereits erwähnten Interview auf die geäußerte Skepsis, ob die CSU nicht wieder der "normativen Kraft des Faktischen" in EU-Fragen erliegen wird: "Warum wollen Sie sich und uns unbedingt in der Rolle des Verlierers der Geschichte sehen? Wir haben doch in Karlsruhe einen riesigen Sieg gegen die Integrationsfanatiker errungen. Und diese Entscheidung hat heute schon Gesetzeskraft. Das ist es, was zählt." Der deutsche Imperialismus braucht solche Kräfte wie Gauweiler schon heute, um seine reaktionären und aggressiven Hegemoniebestrebungen durchsetzen zu können, auch wenn der deutsche Alleingang nicht unmittelbar auf der Tagesordnung steht.

Es ist deshalb eine Frage der Demokratie und des Friedens, Gauweiler zu entlarven und zu isolieren.


ANMERKUNGEN

(1) Süddeutsche Zeitung (SZ) 4.11.09

(2) ebd.

(3) Aus der Verlautbarung der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts Nr. 39/93, zit. nach: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 33/98 vom 2.4.1998 - Anlage 2

(4) zit. nach SZ vom 1.7.09

(5) zit. nach ebd.

(6) ebd.

(7) Fraktion Die Linke, im Bundestag: "Elemente der Verfassungsklage gegen den Vertrag von Lissabon" Nachricht vom 26.6.2008; abrufbar unter:
www.linksfraktion.de/nachricht.php? artikel=1409556873

(8) Fraktion Die Linke, im Bundestag: "Klage gegen den Lissabon-Vertrag hat den Bundestag gestärkt"; abrufbar unter:
www.linksfraktion.de/ rede.php?artikel=1360522881

(9) Schachtschneider war 1994 Mitbegründer des "Bund freier Bürger" und verfasste damals schon die Verfassungsbeschwerde von Manfred Brunner gegen den Vertrag von Maastricht. Der Bund freier Bürger löste sich 2000 nach vielerlei Kämpfen darüber, mit welchen rechtsextremen Organisationen man nun zusammen arbeitet oder nicht (u.a. hatte sich Brunner mit Haider in der Europawahl 1994 zusammengetan), auf.

(10) "Organklage Verfassungsbeschwerde Antrag auf andere Abhilfe Antrag auf einstweilige Anordnung des Mitglieds des Deutschen Bundestages, Bayer. Staatsminister a.D., Dr. Peter Gauweiler, Platz der Republik 1, 11011 Berlin" S. 21, abrufbar unter:
www.peter-gauweiler.de

(11) ebd. S. 29

(12) abrufbar unter:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/073/1307311.asc

(13) siehe Junge Freiheit vom 9.10.09 "Ein Sieg über die Fanatiker"

(14) "Organklage Verfassungsbeschwerde ..." S. 30

(15) Ebd. S. 241

(16) Ebd. S. 243

(17) Ebd. S. 243/245

(18) Ebd. S. 246

(19) Ebd. S. 247 f.

(20) Ebd. S. 32

(21) Ebd. S. 304

(22) zit. nach KAZ 249 vom 10.12.1993: "Europa unter deutschem Kommando"

(23) Zit. nach ebd.


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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 329, Dezember 2009, S. 26-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2010