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KAZ/166: Nordafrika - Der Kampf der arabischen Massen und ihre Gegner


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 334, April 2011
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Nordafrika:
Der Kampf der arabischen Massen und ihre Gegner


Am 19. März führten französische und andere Nato-Kampfflugzeuge, sowie von US-Schiffen im Mittelmeer abgeschossene Marschflugkörper (cruise missiles) im Rahmen der Operation "Odyssey/Dawn" eine imperialistische Bombenattacke gegen den souveränen Staat Libyen durch. Mit der weltweit propagierten Begründung einer "humanitären" Aktion. Die auf der Basis der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1973 unter Führung der US-Streitkräfte durchgeführten Raketen- und Bomberangriffe wurden als gegen das libysche Luftverteidigungssystem gerichtet dargestellt. Mohammed al-Zawi, der Generalsekretär des libyschen Parlaments sprach auf einer ersten Pressekonferenz in Tripolis von "barbarischen Militärangriffen" und "grausamer Aggression", die neben militärischen Einrichtungen sowohl Regierungsgebäude als auch öffentliche Gebäude und Einrichtungen getroffen und die Krankenhäuser von Tripolis und Misrata mit zivilen Opfern gefüllt habe.

Zawi klagte die ausländischen Kräfte an, auf diese Weise eine Rebellenführung zu schützen, in der notorische Terroristen beheimatet seien.

Die libysche Regierung wiederholte ihre Forderung an die Vereinigten Nationen (UN), internationale Beobachter ins Land zu senden, um objektiv über die Geschehnisse berichten zu können.

Das Bombardement "zum Schutz des libyschen Volkes" begann noch während der Konferenz in Paris, auf der sich Sarkozy (Frankreich), Cameron (England), H. Clinton (USA), Harper (Kanada) und weitere Vertreter imperialistischer Politik über das Vorgehen der sog. "Weltgemeinschaft" stritten.

Man ging davon aus, Quatar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien und Saudi-Arabien würden die Militärintervention unterstützen, was jedoch nicht sichtbar zustande kam. Das primäre Ziel der Bombardierung, war die Durchsetzung einer "Flugverbotszone" für libysche Maschinen und - weniger im Vordergrund - der Schutz der mit aller Wahrscheinlichkeit vom CIA gesponserten Rebellenstreitmacht, die, verbunden mit Kräften der Moslembruderschaft, Figuren aus der libyschen Regierung und Armee, sowie monarchistischen Mitgliedern des Senussi-Stammes, die Städte Tobruk und Bengasi kontrolliert. D.h. unter dem Vorwand der Demokratisierung, der Durchsetzung von Menschenrechten usw. wurde eine nationaler Bürgerkrieg von außen in einen internationalen Krieg umgewandelt, dessen zerstörerische Folgen noch nicht absehbar sind.

Die Ultimaten, die US-Präsident Obama und der britische Premier Cameron der libyschen Regierung wiederholt stellten, ließen schnell das Hauptkriegsziel klar werden: die Ausschaltung von Muhammad Gaddafi und ein "Regime Change" in dieser wichtigen nordafrikanischen Ölnation.

2009 wurde Jugoslawien zerschlagen.

Dieses Jahr wurde der Sudan in zwei Teile zerlegt, während dem Jemen das gleiche Schicksal droht.

Die UN-Resolution 1973 bezieht sich speziell auf Bengasi und lässt in Bezug auf ihre Umsetzung eine weitergehende Zielrichtung (s.o.) erkennen, nämlich die mögliche Teilung des Landes und seine Balkanisierung entlang einer Ost-West-Linie.

Die deutsche Bundesregierung hatte sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat enthalten. Gründe dafür sind sowohl im deutschen Bestreben zu sehen, unabhängig von USA, Frankreich und England den eigenen Großmachtanspruch wieder mehr in den Vordergrund zu rücken; aber auch mit Rücksicht auf kommende Wahlen keinen neuen Kriegsschauplatz mit deutsche Soldaten zu bevölkern und darüberhinaus, perspektivisch die guten Geschäftsbeziehungen zu Libyen (unabhängig von seinem zukünftigen Status) zu erhalten.

Der trotz allem notwendige Tribut an die "Koalition der Willigen"-Kriegstreiber ist die Unterstützung der Aggressoren in Afghanistan durch zusätzliche deutsche AWACS-Aufklärungsmaschinen, damit für die Libyen-Überwachung genügend zur Verfügung stehen. Und die wie selbstverständlich akzeptierte Tatsache, dass das militärische Oberkommando der US-Streitkräfte für Afrika (AFRICOM) mit Sitz in Stuttgart, von dort die militärischen Schläge gegen Libyen koordiniert und steuert. Immer mehr Staaten verurteilen den Angriff auf Libyen; selbst Russland, China und Indien, die sich noch bei der Abstimmung über die UN-Resolution enthalten haben, zählen dazu.

Auch die Afrikanische Union hat (im Gegensatz zur der weitgehend von reaktionären Feudaldiktaturen getragenen Arabischen Liga) die Militärintervention scharf kritisiert. Im Namen dieser Staatenunion (Mitglieder sind alle Staaten Afrikas, außer Marokko) erklärte Präsident Ould Abdel Aziz im Hinblick auf dringende Maßnahmen zur Lösung der schweren Krise: "Diese Lösung muss unserem Respekt für die Einheit und die territoriale Integrität Libyens, sowie der Ablehnung jeder ausländischen Militärintervention gleich welcher Art, entsprechen." (Red Globe, 19.3.2011)

(Der folgende Artikel, "Die arabischen Massen und ihre Gegner" wurde am 16.3.2011 abgeschlossen, der obige Vorspann am 24.3.2011)


Die Völker in zahlreichen Ländern der arabischen Welt vom Maghreb bis zum Mittleren Osten sind aufgestanden, um für Arbeit, bessere Lebensbedingungen, für soziale Rechte, für Frieden und Demokratie, gegen Korruption und politische Unterdrückung zu kämpfen.

Diese demokratischen, progressiven und revolutionären Kräfte haben seit Jahrzehnten der Unterdrückung durch Marionettenregime widerstanden, die massiv unterstützt und stabilisiert wurden durch die USA, die Europäische Union und durch Organisationen wie die sog. "Sozialistische Internationale".

In Tunesien hat die Volksbewegung nach 18 Tagen den Diktator Ben Ali aus dem Land gejagt. Jedoch nicht in erster Linie der von vorwiegend arbeitslosen, gut ausgebildeten Jugendlichen auf der Straße ausgeübte Druck zwang die USA dazu ihren langjährigen Verbündeten fallen zu lassen, sondern die Welle von ausgedehnten Streiks der tunesischen Arbeiterklasse in den wichtigsten Betrieben des Landes.

Im Ergebnis dieser wahrlich begeisternden Bewegung ist allerdings nicht die Arbeiterklasse im Verbund mit dem Kleinbürgertum, den Bauern und den fortschrittlichen Teilen der Intelligenz im Sinne einer Volksdemokratie an der Macht, sondern eine "Übergangsregierung", die zwar unter anhaltendem Druck der Straßenproteste immer wieder Mitglieder der alten Garde der Diktatur zurückziehen, sich mehrfach umbilden und Zugeständnisse - z. B. eine Abstimmung über die nur wenig geänderte alte Verfassung, sowie in Richtung Abhaltung von Wahlen - machen musste; deren Aufgabe es aber ist, die nächste Garnitur eines imperialismushörigen Marionettenregimes zu installieren.

Auch in Ägypten war einer der wichtigsten Faktoren zur Flucht Mubaraks - dem "good Guy" des Westens - aus Amt und Überfluss die Welle von Streiks, die durch das Land lief als der Polizeistaat im Angesicht des unerschütterlichen Widerstands der Hunderttausende kollabiert war. Die ägyptische Arbeiterklasse hat in der jüngsten Vergangenheit trotz schärfster staatlicher Repression immer wieder ihre Streikbereitschaft und Kampffähigkeit demonstriert (siehe folgenden Kasten).

Streiks im Ägypten der letzten Jahre

"Seit 1998 haben mehr als 2 Millionen Arbeiter an ungefähr 35.000 Streiks, sit-ins und anderen Protestformen teilgenommen. Es gab größere Streiks in nahezu jedem Sektor der ägyptischen Wirtschaft einschließlich einem im Jahr 2006 und einen anderen in 2007 in der riesigen Textil-Gesellschaft in Marhalla al Kubra und einen fünfmonatigen Streik in der privatisierten Tanta Linen Company 2009 (...)

Kollektive Aktionen von Arbeitern hatten in den letzten 10 Jahren gezielt Brot- und Butter-Forderungen zum Inhalt (...) Inzwischen zögern die Arbeiter nicht, politische und ökonomische Forderungen miteinander zu verbinden (...)

Der herausragendste Erfolg der Arbeiterbewegung war, dass sie Millionen von Ägyptern lehrte, dass es möglich ist etwas durch Kampf zu erreichen und dass das Regime, weil es den Abfluss ausländischen Kapitals fürchtet, wahrscheinlich nur mit begrenzter Repression antworten wird (...)" (The Nation, 17.2.2011)   


An der Spitze der Kämpfe der Textilarbeiter von Mahalla al Kubra haben sich die ägyptischen Kommunisten großes Ansehen erworben und konnten daher eine vorantreibende Rolle auch in den Massenprotesten des Jahres 2011 spielen.

Doch auch sie konnten noch keine proletarische Führung herausbilden (die KP Ägypten war jahrelang illegal und schärfster Unterdrückung ausgesetzt), die in der Lage gewesen wäre, dem Volksaufstand eine revolutionäre Orientierung zu geben.

So konnte sich eine Militärregierung an die Macht putschen, die ihre Aufgabe in erster Linie darin sieht unter dem Deckmantel von minimalen Reformen den kapitalistischen Produktionsverhältnissen im Land, dem weit verzweigten Wirtschaftsimperium, das sich das Militär seit den 1980er Jahren aufgebaut hat, eine neues ein "demokratisches" Gesicht zu verpassen, aber die bisherige Klassenherrschaft ungebrochen fort zu setzen.

Dazu passt durchaus die Aufrechterhaltung des Ausnahmezustandes und das vage Versprechen in ca. 6 Monaten Neuwahlen stattfinden zu lassen.

Der ehemalige US-Kriegsminister Wolfowitz der einst im Namen Bushs das Terrain für den Überfall auf den Irak vorbereitet hatte, kommentiert das heute so: "Ägypten und der Irak, die beiden wichtigsten Länder als Demokratien - das wird völlig verändern wie die Araber sich selbst sehen." (SZ 17.2.2011)

Der kanadischen Wirtschaftswissenschaftler M. Chossudovsky sieht das allerdings mit ganz anderen Augen:

"Washingtons Ziel ist es, die Interessen der ausländischen Mächte zu wahren, den neoliberalen (imperialistischen, lobo) Fahrplan beizubehalten der dazu diente, die ägyptische Bevölkerung auszusaugen. Von Washingtons Standpunkt erfordert ein Regimewechsel nicht mehr die Installierung eines autoritären Militärregimes wie in den Glanzzeiten des US-Imperialismus. Dies kann durchgeführt werden durch die Kooptierung politischer Parteien, auch der Linken, durch die Finanzierung bürgerlicher Gruppen, Infiltrierung der Protestbewegung und die Manipulierung nationaler Wahlen." (Global Research. ca, 28.1.2011)


Libyen

Zunächst etwas zu dem Mann, auf den scheinbar alles, was mit diesem nordafrikanischen Land zu tun hat, fokussiert wird.

"Lange ist es her, dass sich das libysche Regime durch seinen Antiimperialismus charakterisierte. Seit Jahren überwiegt die wirtschaftliche aber auch politische und geheimdienstliche Zusammenarbeit mit den imperialistischen Mächten. Feinde macht sich Gaddafi heute unter den fortschrittlichen Kräften der arabischen Welt und des Mittleren Ostens. Aber seine Zusammenarbeit mit dem Imperialismus hindert diesen nicht, ihn zu opfern." (Aus "Avante", Zeitung der KP Portugals, 3.3.2011)

Die Rebellion in Libyen hat eine ganz andere Form angenommen als die in Tunesien und Ägypten. Der von den USA auch hier in Form einer "bunten Revolution" angestrebte "Regime Change" hat so nicht stattgefunden.

Ein Grund: die Besonderheiten des Landes.

Es ist ein großes Land (ca. 1,4 Mio. Quadratkilometer) mit einer kleinen Bevölkerung (rund 6 Mio. Einwohner) und einer Arbeiterklasse die hauptsächlich aus Tunesien, Ägypten und dem indischen Subkontinent "importiert" wurde. Über 50 Prozent der Bevölkerung leben in und um Tripolis und dem nahen Zawia, sowie in den Städten Tubruk und Bengasi im Osten des Landes. Zahlreiche beduinische Nomadenstämme leben zerstreut über große Wüstengebiete.

Libyen ist das Land mit dem höchsten Pro-Kopfeinkommens Afrikas.

Sein Reichtum basiert auf Erdöl-Profiten, ähnlich wie in Saudi Arabien und den anderen Feudal-Monarchien am arabischen Golf. Die Folge ist eine sehr einseitig strukturierte Wirtschaft, was es erleichtert, den nationalen Reichtum in wenigen Händen zu konzentrieren. Und, was den Klassenwiderspruch angeht: ausländische Arbeiter sind leichter auszubeuten, gegeneinander auszuspielen und im Falle von Arbeitskämpfen ebenso leicht wieder aus dem Land zu jagen.

Auf der Grundlage von Öl-Profiten und einer kleinen städtischen Bevölkerung konnte Gaddafi das Überleben von alten Stammesstrukturen für sich ausnutzen und Stämme an sich binden, während er andere gegen einander auszuspielen verstand oder auch immer wieder gegen sich aufbrachte.

Die Macht seines Regimes, anders als in Tunesien und Ägypten beruht nicht auf der Stärke des traditionellen Militärs sondern auf den sog. "Revolutionären Komitees", die ihm untergeordnet sind sowie den Sicherheitskräften, die bezahlt und geführt von seinen Söhnen, völlig außerhalb staatlicher Strukturen bewaffnet und trainiert wurden. In Tunesien und Ägypten ging die Rebellion von der Jugend der Hauptstädte aus und setzte sich in der Arbeiterklasse des Nildeltas fort.

In Libyen dagegen entwickelte sich der Protest nach geografischen und stammesmäßigen Gesichtspunkten und gab Gaddafis Repressionskräften die Möglichkeit, von Anfang an äußerst brutal und wirkungsvoll zurück zu schlagen und die Bewegung zu spalten.

Die Arbeiterklasse im Land hatte nur begrenzte Kampfmöglichkeiten, weil sie zersplittert und unorganisiert, die mit dem Regime Gaddafis verbundenen ausländischen Fabrikherren nicht klar als ihren Klassengegner erkannt hatte.

So kam es stattdessen dazu, dass Tausende aus dem Land flohen ohne mit Streiks oder gar einem Generalstreik ihre Kraft zu demonstrieren.

In der Folge der weiteren Entwicklung wurde im östlichen Bengasi ein "Nationalrat" gebildet, der bald - unter Fahne des 1969 von Gaddafi und fortschrittliche Offizieren aus dem Land gejagten Marionettenkönigs Idris - für sich beanspruchte, die einzig legitime Vertretung des libyschen Volkes zu sein.

Die Opposition gegen das Gaddafi-Regime wird von unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften getragen. Auf der einen Seite die städtische Bevölkerung, die sich gegen Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie die Unterdrückung politischer Freiheiten wehrt.

Auf der anderen Seite stehen - repräsentiert durch den Nationalrat - ehemalige Spitzenfunktionäre des alten Regimes die nach Ausbruch der Massenproteste die Seite gewechselt haben. So der frühere Justizminister Jalil und der frühere Innenminister General Yunis al Obaidi. Diese Leute - getragen von schlecht bewaffneten und kaum ausgebildeten Aufständischen aus dem Osten des Landes - wollen um die Macht kämpfen.

Entgegen der Behauptung, dass Islamisten bei den Rebellen keine Rolle spielen, weiß die New York Times am 7.3.2011 zu berichten:

"Allein die Muslim-Bruderschaft und weitere hunderte militante Kräfte zeigen Anzeichen von Organisiertheit; viele von ihnen haben sich in Gefängnissen verbündet oder schon 1990 die Regierung bekämpft. Einer von diesen Männern ist Abdul-Hakim al-Hasidi, (...) der mit hunderten bewaffneter Männer Darnah ( eine Hafenstadt östlich von Bengasi, lobo) und das Hinterland verteidigt (...), ein 'afghanischer Araber', einer der ausländischen fanatischen Islamisten, die nach Afghanistan gingen als Teilnehmer des vom Westen gesponserten Krieges gegen die Sowjetunion in den 80er Jahren und auf die Seite der Taliban in den 90ern, wo er politische wie militärische Strukturen führte."

Zeitweise konnte man von einer Art Doppelherrschaft im Land sprechen, die in einen offenen Bürgerkrieg zu münden drohte.

Der Nationalrat hat alle Angebote von Waffenstillstandsverhandlungen (u.a. durch Chavez, die türkische Regierung oder von der Afrikanischen Union initiiert) abgelehnt.

Als aber klar wurde, dass die bestimmende Seite dabei mehr und mehr die militärisch wie logistisch weit überlegenen Kräfte des Gaddafi-Regimes sind, riefen die von der Niederlage Bedrohten nach ausländischer Waffenhilfe und forderten schließlich sogar - wie bereits von der US-Administration und EU-Mitgliedern wie Frankreich und Italien ins Gespräch gebracht - nach der Einrichtung einer "Flugverbotszone".

Unterstützt wurden sie dabei von den reaktionärsten arabischen Regimes, die in der Arabischen Liga vertreten sind. Auch das Europaparlament ratifizierte am 10. März d.J. - unterstützt von den Sozialdemokraten den Liberalen, den Grünen und der Europäischen Linkspartei (ELP), einschließlich der Stimme des ehemaligen Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Lothar Bisky, einen Antrag, der eine imperialistische Intervention (z.B. über eine "Flugverbotszone") über Libyen legitimieren würde.

Die gefährliche Rolle des Opportunismus für die Arbeiterklassen und die Völker könnte nicht deutlicher ausfallen.

In vollem Widerspruch dazu behauptet aber jede involvierte Partei, bzw. Organisation man wolle aber auf keinen Fall ausländisches Militär im Land und das, obwohl sowohl US-Streitkräfte als auch deutsche, britische, französische schon lange vor der libyschen Küste Stellung bezogen haben, den Luftraum lückenlos überwachen und mit kleinen Spezialeinheiten bereits im Land operieren. (1)

Folglich wird offen gelassen, wie eine solche Flugverbotszone ohne "robusten Militäreinsatz" gegen die wichtigsten Stützpunkte und Einrichtungen der libyschen Luftwaffe und Luftabwehr durchzusetzen ist. Damit wird ebenso im Nebel gelassen, dass es dabei nur um die Eröffnung eines neuen Kriegsschauplatzes durch US-NATO-EU gehen kann, der den Einsatz von Bodentruppen und folgender Besetzung unabdingbar werden lässt.

Um dem Westen aber alle Optionen offen zu halten wird derzeit in der UNO um ein mögliches "Mandat" für einen solchen Einsatz gefeilscht. Sollte es zu einer wie auch immer gearteten Militärintervention in Libyen kommen, droht das womit die "Menschenrechtsimperialisten" schon Jugoslawien 1999, den Irak 2001 und 2003 Afghanistan an den Rand des Abgrunds geführt haben und was Millionen Menschen das Leben gekostet hat.

Kommt es nicht dazu, ist ein lang andauernder Bürgerkrieg möglich, der die Teilung des Landes ("Teile und herrsche") zum Ergebnis imperialistischer Bestrebungen denkbar werden lässt.


Libyens ÖL ...

Öl ist die Trophäe von US-Nato geführten Kriegen nach dem Motto: "Krieg ist gut für's Geschäft."

Eine Invasion Libyens unter dem Mantel eines "humanitären" Mandats würde die gleichen Interessen absichern wie die Invasion und Besetzung des Irak. Das zugrunde liegende Ziel ist die libyschen Ölreserven, die größten Afrikas, zu vereinnahmen, die libysche National Oil Corporation (NOC) zu destabilisieren und ev. die Ölindustrie des Landes zu privatisieren d.h. die Kontrolle und den Besitz von Libyens Ölreichtum endlich ganz in fremde Hände zu bringen.

Die National Oil Corporation (NOC) steht auf Platz 25 unter den 100 weltgrößten Öl-Gesellschaften. Nahezu 80 Prozent der libyschen Ölreserven liegen im Sirte-Becken von Ostlibyen.

Die Wallstreet, die angloamerikanischen Ölgiganten, die US- und EU-Waffenproduzenten werden unzweifelhaft die Nutznießer einer US-NATO geführten Militäraktion gegen Libyen sein. Hinzu kommt, dass libysches Öl im Vergleich zum Weltmarktpreis äußerst geringe Produktionskosten hat und extrem hohe Gewinnmargen erwarten lässt.

Neben den deutschen sind andere ausländische Ölgesellschaften an der Exploration von libyschem Ö und Gas beteiligt. Dazu zählen solche aus Frankreich, Italien, der VR China, Großbritannien und natürlich der USA.

Die ausländischen Ölkonzerne müssen einen Großteil ihrer Produktionserlöse an die Staatliche Libysche Ölgesellschaft NOC abtreten (BP z.B. 80 Prozent, Zeit-online, 6.5.2009).

Keine ausländische Firma darf ohne einheimischen Partner aktiv werden.

Allein die VR China hatte 30.000 Ölarbeiter vor ihrer Rückführung im Land, BP dagegen nur 40. 11 Prozent der libyschen Öl-Exporte fließen in die VR China.

Es ist nahe liegend, dass Chinas Präsenz in Nordafrika für das US-Kapital ein zusätzlicher Grund für Washington zur Einmischung ist, d.h. eine mögliche Militäraktion ist auch darauf gerichtet, die VR China aus dieser Region zu vertreiben. Aber nicht nur libysches Öl sondern eine weitere extrem lohnende "Kriegsbeute" weckt die imperialistische Gier: die Zerschlagung des libyschen Finanzsystems, ebenso wie die Konfiszierung von Milliarden Dollars libyschen Staatsvermögens.


... und deutsche Interessen

Libyen ist seit Jahrzehnten einer der bedeutendsten und der wichtigste außereuropäische Öllieferant der Bundesrepublik. Er deckt ca. 11 Prozent des deutschen Bedarfs.

Deutsche Konzerne haben Milliarden Euro in diesem Land investiert. Nicht nur in Öl- und Gasförderprojekte, sondern auch perspektivisch in die Solarstromerzeugung in der Wüste Nordafrikas und des Mittleren Ostens.

Strom der dann nach Europa transferiert werden soll. An dem vorbereitenden DESERTEC-Projekt sind zahlreiche deutsche Firmen beteiligt.

- Die BASF-Tochter Wintershall betreibt mehrere Ölfelder in der libyschen Wüste. Mit einem Investitionsvolumen von mehr als 2 Mrd. US-Dollar ist sie einer der größten Erdölproduzenten in Libyen.

- Der Essener RWE-Konzern kontrolliert über seine Tochter DEA eine Konzessionsfläche zur Öl- und Gasförderung von über 40.000 Quadratkilometer.

- Der Baukonzern Billfinger und Berger baut libysche Autobahnen und war am Bau eines Gasturbinenkraftwerkes in der Industriestadt Zawia beteiligt.

- Die Firma Siemens ist an der Produktion eines gigantischen Wasserbauprojektes beteiligt, dem angeblich derzeit größten Trinkwasserprojekt der Welt.

Hierbei geht es um die Erschließung eines Süßwasservolumens unter der libyschen Wüste von geschätzten 35:000 Kubikkilometern. Damit könnte sich die libysche Bevölkerung und die Landwirtschaft für mindestens 50 Jahre versorgen und unabhängig machen von Lebensmitteleinfuhren und der damit verbundenen Abhängigkeit und Erpressbarkeit durch Institutionen des Imperialismus, wie die Weltbank oder der Internationale Währungsfond (IWF).

Für die profitträchtigen Beziehungen deutscher Konzerne zum Ölland Libyen haben immer wieder deutsche Politiker den Boden bereitet, von Schröder bis Guttenberg, als der noch Wirtschaftsminister war und natürlich Außenminister Westerwelle.

Die FAZ schrieb vor zwei Jahren in einem Artikel über den Freiherrn von und zu Guttenberg unter der Überschrift "Klinkenputzen bei Gaddafi":

"... Geld ist in Libyen auch in der Krise mehr als genug da und inzwischen auch der Wille es zum Nutzen des Landes zu nutzen - schon allein um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren." (FAZ 27.04.2009)

Und genau dieser Stabilisierung dient eine schon seit 1965 bestehende "Sicherheitspartnerschaft" zwischen Libyen und der BRD, die den Ausbau eines höchst effizienten Repressionsapparates ermöglicht hat.

Zum breit gefächerten deutschen Angebot gehörten die Lieferung von Waffen und moderner Polizeiausrüstung, Kommunikationsgerät, Hubschrauber, Ausbildungshilfe für libysche Offiziere und Unteroffiziere (z.T. bei der Bundeswehr), Trainingsprogramme für libysche Polizisten beim BKA und vieles mehr.

Allein in den vergangenen drei Jahren gingen "genehmigungspflichtige Ausfuhren" im Wert von mehr als 80 Mio. Euro an das Regime, das heute somit auch mit deutschem Know-How um seinen Machterhalt kämpft.


Kriegsvorbereitungen

Man muss nicht auf der Seite Gaddafis stehen, um festzustellen, dass bekanntermaßen die Propaganda westlicher Massenmedien mit Schlagworten wie "Massaker an der Zivilbevölkerung", "Völkermord", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" "Massenvernichtungswaffen" , "Gaddafi, der Schlächter des eigenen Volkes", o.ä. immer der Vorbereitung von Angriffskriegen und militärischen Interventionen durch den US-Imperialismus und seine europäischen Verbündeten dient. Alles im Namen der sog "Völkergemeinschaft", mit oder ohne UN-Mandat. Auch wenn die Lügen im Zusammenhang mit den schon genannten Ländern Jugoslawien, Irak, Afghanistan längst aufgedeckt sind, die Herrschenden hoffen immer aufs Neue, dass ihre Meinung zu der der Massen wird.

Dazu dient der ihnen hörige Propaganda- und Medienapparat.

Die politische wie ökonomische Kontrolle der nahöstlichen Region durch den Imperialismus - häufig im Bund mit einer vom Imperialismus konservierten feudalen Aristokratie wie u.a. in Saudi-Arabien - bedingen natürlich arabische Diktaturen, d.h. die Herrschaft einer Kompradorenbourgeoisie, die ohne die ausländische Auf- und Ausrüstung aller Art ihre Völker nicht wirkungsvoll unterdrücken und gleichzeitig deren Arbeitskraft und die Schätze des Landes (v.a. ÖL) zu Ausverkaufspreisen feilbieten kann.

Als Ben Ali (Tunesien) und Mubarak (Ägypten) nur noch unter dem Risiko eines unabsehbaren Blutbades zu halten waren, wurden sie fallen gelassen, d.h., man hat den rebellierenden Volkskräften den gewollten Sturz der Diktatoren zugestanden - um dann alles zu tun um unter Vortäuschung bürgerlich-demokratischer Zugeständnisse mit Hilfe des Militärs die alten Machtverhältnisse aufrecht erhalten zu können.

Allerdings birgt eine offene NATO-Intervention in Libyen die Gefahr, dass die bisher weitgehend erfolgreiche Kontrolle der Unruhen in den arabischen Ländern gefährdet ist - nicht nur wegen der drohenden mörderischen "Kollateralschäden", sondern auch, weil eine Bombardierung und mögliche Besetzung Libyens den Hass auf den US-Imperialismus und seine westlichen Verbündeten in der arabischen Welt auflodern lassen könnte.

Jedenfalls geht es bei allen Szenarien, die von der US-Administration und / oder den europäischen Regierungen ins Auge gefasst und durch militärische Präsenz in und um Libyen bereits hinlänglich abgesichert sind darum, einen Fuß in die Tür zu bekommen, da weder in Ägypten und Tunesien noch in den anderen von Aufständen und Unruhen betroffenen Ländern (wie Jemen, Algerien, Bahrein, Syrien und weiteren) klar ist, ob die in Zukunft westliche Interessen bedienen wollen oder nicht.

Hinzu kommt die "Flüchtlingsgefahr", die man doch mit Gaddafis unmenschlicher Abschottungspolitik und der Hilfe von "Frontex" (2) im Griff zu haben glaubte.

Fakt ist: Es geht den ehemaligen Bundesgenossen des libyschen Regimes jetzt darum, Gaddafi los zu werden, der lange genug - trotz aller Kooperation - ein Stachel im Fleisch imperialistischer Interessen geblieben war.

So blieb Gaddafi immer ein unsicherer Kantonist im Ölgeschäft. Das führte u.a. dazu, dass infolge undurchsichtiger Geschäftspraktiken und nachträglicher Korrekturen an bestehenden Verträgen nach 2003 (nachdem die Sanktionen gegen das Land aufgehoben worden waren) zahlreiche Ölgesellschaften (z.B. Chevron aus den USA) sich wieder aus dem Land zurückzogen.

Mumia Abu-Jamal, der amerikanische Journalist und ungebrochene Kämpfer auf der Seite des internationalen Proletariats und der Unterdrückten aller Länder, der seit über 28 Jahren unschuldig in einer US-amerikanischen Todeszelle sitzt, sagt folgendes zur Politik des US-Imperialismus: "Wir sollen uns nicht weismachen lassen, das aktuelle Vorgehen der US-Regierung sei getragen von der Besorgnis über das Leiden des libyschen Volkes. Denn gut zehn mal so viele Menschen litten in Ägypten über Jahrzehnte unter der auf Lebenszeit ausgelegten Herrschaft Hosni Mubaraks. Jedoch verschlossen mehrere US-Regierungen in Folge ihre Ohren gegenüber Hilferufen der Unterdrückten. Erst als das Volk sich erhob und die Weltbühne betrat, fingen Vertreter der US-Regierung an leise Phrasen über Menschenrechte und Gewalt zu murmeln. Sie konnten nicht zu laut protestieren, weil die USA selbst es waren, die Gefangene in Geheimaktionen in ägyptische Höllenkerker verbringen ließen um sie von der gefürchteten ägyptischen Geheimpolizei foltern und umbringen zu lassen." (junge welt, 12./13.3.2011)


Ausblick

Die imperialistischen Drahtzieher und ihre arabischen Marionetten werden weiterhin alles in Gang setzen um mit offener Gewalt oder mit reformistischen Zugeständnissen die Jugend in ihren Ländern wieder von den Straßen und die Arbeiter wieder in die Fabriken zu bringen und damit eine revolutionäre Entwicklung erst einmal von der Tagesordnung zu streichen. Für ihre ungebrochenen Vorherrschaftsgelüste sind sie weiter auf eine willige Kompradorenbourgeoisie angewiesen.

Die wird folgerichtig gerade neu aufgestellt. Vor den Arbeiterklassen dieser Länder steht nach wie vor die schwere Aufgabe, sich so zu organisieren, dass sie in neuen Kämpfen die Führung der Volkskräfte übernehmen können und so in der Lage sind den Kampf gegen ihre Todfeinde - die Imperialisten, die Kompradorenbourgeoisie, die feudalen Herrschercliquen - aufzunehmen und den Sozialismus als Perspektive im Bewusstsein der arabischen Massen zu verankern.
lobo


Anmerkungen:

(1) So haben z.B. britische Spezialkommandos lange vor der UN-Resolution 1973 zum sog. Flugverbot wichtige Angriffspunkte im Land für die geplanten Bombardements durch US-amerikanische Marschflugkörper markiert.
Auch Deutschland hatte schon den völkerrechtswidrigen Militäreinsatz "Pegasus" mit C-160 Transall-Maschinen und deutschen "Afghanistankämpfern" an Bord in der libyschen Wüste hinter sich, weil angeblich nur auf diese Weise "deutsche Staatsbürger" sicher hätten außer Landes gebracht werden können.

(2) FRONTEX ist die sog. EU-Grenzschutzagentur, welche die "Festung Europa" - mittels militärischer Gewalt und modernster Überwachungstechnik - vor dem Zustrom von Armuts- und Kriegsflüchtlingen aus Afrika und der ganzen Welt "schützen" soll. Diese Bücher sind zu beziehen über den Buchhandel oder direkt bei:
Zambon Verlag & Vertrieb, Leipziger Str. 24, 60487 Frankfurt,
E-Mail zambon@zambon.net, Fax 069 773054


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Seite 42: "Obama auf Kriegsfuß"
- Seite 44: Bundesaußenminister Westerwelle "shaking hands with Gaddafi"
- Seite 45: Klein-Napoleon Sarkozy hetzt zum Krieg


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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 334, April 2011, S. 40-45
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2011