Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

MARXISTISCHE BLÄTTER/394: Sechzig Jahre NATO sind sechzig Jahre zuviel


Marxistische Blätter Heft 2-09

Sechzig Jahre NATO sind sechzig Jahre zuviel

Von Toon Nagtegaal/Niederlande


Während eines Wahlkampfs zu Beginn der fünfziger Jahre wurde auf dem Amsterdamer Rembrandtplein ein großes Transparent aufgehängt mit der Aufforderung, den liberalen Kandidaten A. H. W. Hacke zu wählen. Doch dieser Mann kam bei der nach dem Krieg überwiegend linken Bevölkerung der Stadt nicht gut an. Sobald das Transparent hing, wurde ein zweites daneben aufgehängt mit der ausdrücklichen Aufforderung, diesen Mann nicht zu wählen: "Laat u niet op dc Hacke nemen", etwa: Lassen Sie sich nicht reinlegen. Was für viele Amsterdamer wie ein humorvoller Wahlkampfslogan aussah, war es für politisch Interessierte jedoch nicht. Denn wer war dieser Herr Hacke?

Hinter ihm verbarg sich eine große Zahl antikommunistischer Organisationen, die sich gleich nach der Befreiung der Bekämpfung von allem widmete, was auch nur im Ruf stand, sozial und fortschrittlich zu sein. Es handelte sich um Organisationen, die Diplomaten der Sowjetunion und anderer osteuropäischer Staaten bespitzelten. Zudem horteten sie illegal Waffen und waren, auch einigen offiziellen Gerichtsinstanzen zufolge, in Schwarzhandel mit Geld und Wertpapieren aus jüdischem Besitz verwickelt.

Hauptsächlich wurden diese Organisationen von einer Stiftung des bereits erwähnten Dr. Ing. Hacke finanziert, der Stichting Opleiding Arbeids krachten Nederland (SOAN/ Stiftung zur Ausbildung von Arbeitskräften Niederlande). Nicht dass Hacke diesen Arbeitskräften etwas zu bieten gehabt hätte. Dr. Ing. Hacke gehörte schon vor dem Krieg zu dem rechten Verein des Vorgängers des heutigen Premiers Balkenende, Dr. Hendricus Colijn.(1)

Hacke war einer der wichtigsten Spitzenbeamten der Niederlande. Als Regierungsdirektor für Arbeit war er an der Entwicklung der Politik in den Krisenjahren um 1930 beteiligt und beriet die Regierung unter anderem hinsichtlich einer eventuellen Notwendigkeit von Lohnsenkungen. Während der deutschen Besatzung blieb er auf seinem Posten, den er für Besprechungen mit Unternehmern und ausrangierten Gewerkschaftsführern nutzte. Eine andere Hauptperson bei dieser späteren Stichting van dc Arbeid (Stiftung für die Arbeit) war der Direktor der Bierbrauerei Heineken, Mr. D. U. Stikker. In seinen Memoiren hält er nicht damit hinter dem Berg, was der Sinn und Zweck dieser Beratungen und der Stichting van dc Arbeid war. Den Herren war recht mulmig geworden über die gewachsene Macht der internationalen und niederländischen Arbeiterbewegung.


Gegen eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung

Hauptanliegen war es, eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung zu verhindern, die die Klasseninteressen in den Vordergrund stellte. Als diese Leute nach dem Krieg eine Art Gladio-Gruppe bildeten und diese Truppe zusammen mit ihren kriminellen Verbindungen in den Jahren 1949 und 1950 in den Blickwinkel der offiziellen richterlichen Instanzen geriet, war es unter anderem der kommunistische Abgeordnete der Ersten Kammer, Jan Schalker, der 1950 auf die wunderliche Rolle der Rotterdamer Hafenkapitalisten verwies, insbesondere jedoch auf die Manipulationen des Bierkönigs Stikker, der mit seinem Kumpan Hacke Mitglied der liberalen Volkspartei VVD geworden war.

Die antikommunistischen Spionagevereine handelten anfangs aus rein privatem Interesse. Das änderte sich 1949, als der Militärapparat der NATO aus der Taufe gehoben wurde. Mit dem damaligen Innenminister Beel als einem der wichtigsten Akteure wurde unter anderem der Finanzier jener Privatvereine, der Bierbrauer Stikker, zum Außenminister ernannt. Das führte damals sogar bei der VVD zu einiger Überraschung, da er kein offizieller Kandidat dieser Partei war. Kraft seines Amts wurde er 1952 Mitglied der politischen Führung des NATO-Rats. Obwohl ab 1952 der erste Generalsekretär der NATO der britische Lord Ismay war und der zweite der Belgier Spaak, hatten die Niederlande doch einen wichtigen Einfluss. Die beiden Stellvertreter des Generalsekretärs waren Niederländer: der Diplomat Junker Vredenburg und bis 1958 ein Baron Bentinck. Stikker selbst wurde 1961 Generalsekretär.

Dass die NATO ein Dreh- und Angelpunkt der US-amerikanischen Aggression wurde, zeigt sich auch in den Entwicklungen in den Niederlanden. Die privaten Spionage- und kriminellen Aktivitäten wurden mit der Gründung des BVD, des "Inländischen Sicherheitsdients" beendet.

Nach dem Buch des offiziellen Historikers des BVD, D. Engelen, machte der BVD unter Führung eines der drei Führer der Nederlandse Unie (die in der Anfangszeit der deutschen Besatzung versuchte, in die Gunst der Nazis zu kommen) dem Rotterdamer Polizeioffizier L. Einthoven, klar Schiff mit dem größten Teil der wilden - auch mit amerikanischer Unterstützung operierenden - Spionageclubs. Der BVD verschaffte den Niederlanden aber vor allem einen funktionierenden Apparat, den jeder Niederländer, der linker Sympathien verdächtig war, als wahren Terror erfahren hat.


Die Rolle der NATO, des CIA und des BVD

Seit Beginn dieser Organisation bezahlte der US-amerikanische CIA nicht nur das Gehalt eines Teils der Agenten, die für den BVD arbeiteten, sondern kümmerte sich auch um das Geld und die elektronische Bespitzelungsapparatur, die sich gegen jeden und alles richtete, der und das der US-amerikanischen Machterweiterung im Weg stand. Über diese Zeit ist viel zu sagen. Für diesen Beitrag geht es jedoch darum aufzuzeigen, dass NATO, CIA und BVD stets innig zusammenarbeiteten. Die Organisationen hatten von Anfang an den Zweck, die Arbeiterbewegung unter dem Daumen zu halten und die Hegemonie der USA abzusichern.

In den letzten 20 Jahren hat die damit einhergehende Aggression der USA überall auf der Welt für wachsende Gegensätze gesorgt und geraten die heutigen Dienstknechte der USA in stets größere Probleme. Zum großen Teil wegen der abscheulichen Morde auf dem Balkan, in Afghanistan, dem Irak und allen anderen Orten.

Inzwischen ist es so ziemlich jedem deutlich: der Überfall der USA und die Besetzung des Irak beruhten auf gefälschten Berichten und Geschichten unter anderem des CIA und seiner europäischen Handlanger, die sich des völkerrechtlichen Missgriffs bewusst waren und doch den kolonialen Raubzug der USA kritiklos gut hießen und sich daran beteiligten. Sie kommen in stets größere Schwierigkeiten. Vor allem auch, weil der jüngst gewählte Präsident Obama vorsichtig die Türe hin zu einer Beendigung der US-amerikanischen Verbrechen geöffnet hat. Was daraus werden wird, werden wir abwarten müssen, doch bei den folgsamen Europäern wächst der Widerwille gegen ihre Mitverantwortung.


Wachsender Widerstand und Ruf nach Öffentlichkeit

Auch der niederländische Regierungschef Balkenende hat große Probleme, seine frühere Ergebenheit den USA gegenüber zu verhüllen. So ist bekannt geworden, dass hohe Beamte verschiedener niederländischer Ministerien Balkenende und Konsorten vor einer Teilnahme an dem US-Angriff gegen den Irak gewarnt hatten, weil dieser keine Grundlage im internationalen Völkerrecht hätte und im Prinzip ein Kriegsverbrechen sei. Allen Vorschlägen zum Trotz hat Premier Balkenende sich bis vor kurzem hartnäckig geweigert, über die politische und militärische Unterstützung der USA auch nur ein Wort zu veröffentlichen. Bei den letzten Parlamentswahlen hatte die sozialdemokratische Partij van de Arbeid als Teil ihrer Wahlkampfpropaganda versprochen, eine Untersuchung der niederländischen Mitverantwortung zu unterstützen. Doch wie es in der parlamentarischen Demokratie so geht, hat Balkenende durchgesetzt, dass die PvdA im Tausch gegen ihre Regierungsteilnahme diese Untersuchung fallen gelassen hat. Auch die internationalen Entwicklungen haben den niederländische Regierungschef dazu gebracht, die niederländischen Unterstützung des Irak-Kriegs von einer Kommission unter Leitung von W. Davids, des pensionierten Vorsitzenden des Hoge Raad - dem höchsten niederländischen Rechtsorgan - untersuchen zu lassen.


Zweifel an der Untersuchung

Ein Schritt in die richtige Richtung, könnte man sagen. Für die vielen Menschen, die diese Angelegenheit mit Interesse verfolgen, wird mit dieser Kommission, wie sie unter Druck der drei Regierungsparteien zustande gekommen ist, erneut Dunkelheit in diese Affäre gebracht.

Bei einer Untersuchung einer parlamentarischen Kommission, wie sie vor allem die linke Opposition forderte, werden alle Erklärungen der Beteiligten unter Eid abgelegt, d. h. dass derjenige, der beweisbar eine falsche Erklärung abgibt, strafrechtlich verfolgt werden kann. In der Kommission, die Balkenende mit Hilfe der Sozialdemokraten durchgedrückt hat, gilt dies nicht. Jede Phantasie kann ungestraft als Wahrheit dahingestellt werden.

Mehr oder weniger zur Überraschung vieler hat der Vorsitzende eine Kommission aus Mitgliedern gebildet, die in vielerlei Hinsicht mit der Politik der Regierung verhandelt waren. Wobei die Mehrheit des Parlaments jetzt bereits beschlossen hat, dass sie nachträglich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordert, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass der Bericht der Kommission nicht ausreicht.

In breiten Kreisen geht man davon aus, dass einige der in die Affäre verwickelten Geheimdienstmitarbeiter erneut Geschichten verbreiten werden, die der Wahrheitsfindung weiterhin nicht dienlich sein werden, wie es ein Historiker im "NRC-Handelsblad" am 28. Februar 2009 ausdrückte.

Was bewegt Balkenende und seine Mitstreiter zu diesen staatsrechtlichen Tricksereien, um aus dem Schussfeld zu bleiben?

Darüber gibt es unterschiedliche Vermutungen. Eine davon lautet, dass kurz nach dem US-Einfall in den Irak der Parteifreund von Balkenende, der US-Eiferer Jaap de Hoop Scheffer, zum NATO-Generalsekretär ernannt wurde. Obwohl Balkenende dies verneint hat, soll diese Ernennung einen Teil der militärischen und politischen Unterstützung des US-Angriffs auf den Irak (und der Besetzung Afghanistans) darstellen. Eine Ernennung, die in jeglicher Hinsicht die Aggression der USA unterstrichen hat, denn der niederländische NATO-Chef engagiert sich mit großen Eifer für das US-amerikanische Streben nach Weltherrschaft. Mit dem Operieren der NATO im Weltmaßstab sind Länder wie die baltischen Staaten und andere Mitglied der NATO geworden, einschließlich ihrer Atomwaffen. Russische Städte wie Petersburg können unmittelbar von der NATO bedroht werden. Und das gibt dem niederländischen Bemühen einen beängstigenden Charakter.


Kein trübes Bild

Dieser Tage wurde bekannt, dass Henry Kissinger, der ehemalige Außenminister der USA während des Massenmords in Vietnam, zum Gegner der Atomwaffen geworden ist. Auch der ehemalige Ministerpräsident Ruud Luhbers, zu Zeiten des niederländischen Massenwiderstands gegen die Stationierung amerikanischer Cruise Missiles noch deren Anhänger, erklärte ausdrücklich, dass diese Waffen verboten und vernichtet werden müssten. Aus der Erklärung dieser Herren wird ersichtlich, dass diese Frage bei den atlantischen Politikern und Militärs eine Rolle spielt. Obwohl der Nachdruck derzeit noch bei einer deutlicheren Rolle der NATO in Afghanistan liegt, geht es im Hintergrund um ganz andere Belange: den Kampf um die Energiequellen und um die Welthegemonie, der infolge der sich stets mehr vertiefenden Finanz- und Wirtschaftskrise immer gefährlicher wird.

Was auch immer die Absicht dieser Herren sein mag, es gibt nur eine gute Lösung: Abschaffen der NATO, die sich, mit dem Niederländer De Hoop Scheffer an ihrer Spitze, im Gegensatz zum Internationalen Recht und der Charta der Vereinten Nationen mit einer schleichenden Vorbereitung des Dritten Weltkriegs befasst.

Wer die Welt vor einer Bedrohung mit einer bisher ungekannten Katastrophe behüten will, muss mehr denn je begreifen, dass die NATO die größe Bedrohung für den Frieden bildet. Vor allem jetzt, wo die kapitalistische Weltkrise sich in Umfang und Tiefgang ausbreitet.

Und was die Niederlande betrifft: Teil dessen ist, dass wir die Wahrheit darüber erfahren, wie die Niederlande in den Irak-Krieg verwickelt wurden, und uns nicht einnebeln lassen von Balkenendes Vertuschungsmanövern. Auch der niederländische Beitrag zur Besatzung Afghanistans muss gestoppt werden.

Sozialismus oder Vernichtung: Sechzig Jahre NATO sind sechzig Jahre zu viel.


Toon Nagtegaal, Neue Kommunistische Partei der Niederlande

Übersetzung: Marcel de Jong


Anmerkung:
(1) Hendrikus (Hendrik) Colijn (1869-1944) niederländischer Militär und fünffacher Premier (1925/26 und 1933-29) für die calvinistische Anti-Revolutionäre Partei


*


Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 2-09, 47. Jahrgang, S. 57-60
Redaktion: Marxistische Blätter
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Tel.: 0201/23 67 57, Fax: 0201/24 86 484
E-Mail: Redaktion@Marxistische-Blaetter.de
Internet: www.marxistische-blaetter.de

Marxistische Blätter erscheinen 6mal jährlich.
Einzelheft 8,50 Euro, Jahresabonnement 45,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2009