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MARXISTISCHE BLÄTTER/641: Die Kontinuität des Faschismus in Italien


Marxistische Blätter Heft 4-17

Die Kontinuität des Faschismus in Italien
Eine Übersicht von 1945 bis zur Gegenwart

von Gerhard Feldbauer


Der italienische Faschismus konnte sich 1945 nach Kriegsende schon bald wieder politisch und organisatorisch formieren, den veränderten Bedingungen anpassen und sich als Bewegung weitgehend intakt über seine Niederlage hinwegretten. Auf der Suche nach den Ursachen, die sein Fortbestehen ermöglichten, stößt man darauf, dass er gebraucht wurde und zwar zur Verhinderung einer antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung antiimperialistischen Inhalts und der Niederhaltung vor allem der Kommunisten, der für diese gesellschaftlichen Veränderungen entscheidenden Kraft.

Die Italienische Kommunistische Partei (IKP) ging mit über zwei Millionen Mitgliedern aus der antifaschistischen Widerstandsbewegung als eine politisch einflussreiche Partei hervor. Zusammen mit den Sozialisten (ISP) und der kleinbürgerlichen radikal-demokratischen Aktionspartei PdA) dominierte sie das 1943 entstandene Nationale Befreiungskomitee (CLN) und auch die im April 1944 gebildete antifaschistische Einheitsregierung, als deren Premier im Juni 1945 Ferrucio Parri (PdA) durchgesetzt wurde. Die IKP verlangte, das Eigentum des Großkapitals und der Großagrarier durch Nationalisierungen und eine Agrarreform zu beschneiden. Die führenden Kapitalkreise und das Königshaus lehnten die Forderungen ab. Die bürgerlichen Parteien, an ihrer Spitze der rechte Flügel der nunmehr führenden großbourgeoisen Democrazia Cristiana (DC) und die Liberalen, machten sich zu ihren Interessenvertretern.

Die Rolle der USA und faschistische Sammlungsbestrebungen nach Kriegsende

Im Vorfeld des Kalten Krieges wollten die USA sich Italien als Einflusssphäre und Südflanke der künftigen NATO sichern. Sie forcierten ihr Vorgehen, als sich nach den Wahlen zu den Gemeinderäten und zur Verfassungsgebenden Versammlung vom März beziehungsweise Juni 1946, der Wahl des Kommunisten Umberto Terracini zum Präsidenten der Konstituante sowie dem gleichzeitigen Ende der Monarchie per Volksabstimmung ein linker Sieg bei den Parlamentswahlen 1948 abzeichnete.

Am 22. März 1947 verkündete US-Präsident Harry Truman die berüchtigte, nach ihm benannte Doktrin der "Eindämmung des Kommunismus". Bereits vorher hatte die US-Militärregierung begonnen, die unter. den Befreiungskomitees in Norditalien eingeleiteten antifaschistisch-demokratischen Umgestaltungen zu beseitigen, um die Restauration der angeschlagenen Herrschaft des Kapitals zu sichern. Im Dezember 1946 half Washington Alcide De Gasperi von der DC, der über das Image eines Antifaschisten verfügte, an die Spitze der Regierung. Im Mai 1947 vertrieb dieser die Kommunisten und Sozialisten aus der Regierung, stimmte im Juni desselben Jahres dem Marshallplan zu und nahm im April 1949 an der NATO-Gründung teil.(1)

Von Anfang an stützten sich die USA auch auf die faschistischen und andere mit ihnen gemeinsam handelnden reaktionären Kräfte. Roberto Faenza und Marco Fini schrieben 1976 in ihrem Buch "Gli Americani in Italia": "Während es das State Department und die amerikanischen Gewerkschaften waren, die direkt den 'demokratischen' Parteien von den Christdemokraten bis zu den Sozialdemokraten halfen (also sie finanzierten), wurden hauptsächlich die Militär- und Geheimdienste beauftragt, die Rechten zu unterstützen (also sie zu bewaffnen und zu besolden)".

In den Pariser Friedensverträgen vom 10. Februar 1947 lehnten die USA für Italien die von der UdSSR geforderte Klausel ab, keine faschistischen Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen. Im Bündnis mit der inneren Reaktion verhinderten die Vereinigten Staaten eine Säuberung des Staatsapparates und des politischen Lebens von Faschisten. Bereits im August 1945 beförderten sie die Bildung einer Sammlungsbewegung Uomo Qualunque (Jedermann) durch Mussolini-Faschisten und ließen diese zu den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung zu, wo sie mit 5,3 Prozent Stimmen (1,2 Millionen Wählern) 30 Sitze belegten konnte. Um die Faschisten vor der Verfolgung zu bewahren wurde im Juni 1945 das >>Hohe Kommissariat zur Verfolgung der Regimeverbrecher" aufgelöst. Die meisten der bis dahin vor Gericht gestellten aktiven Faschisten wurden freigesprochen beziehungsweise ihre Urteile aufgehoben oder die Betroffenen amnestiert.

Mit der am 26. Dezember 1946 aus Uomo Qualunque hervorgehenden Movimento Sociale Italiano (MSI) wurde faktisch die Partei Mussolinis wieder gegründet. Die selbsternannte Sozialbewegung bekannte sich zum faschistischen Parteiprogramm von 1919 und zu dem von Mussolini nach der Etablierung der Republik von Salò im Herbst 1943 erlassenen "Manifest von Verona". Nationalsekretär wurde der frühere Staatssekretär des "Duce", Giorgio Almirante, der 1944 einen Genickschusserlass gegen Partisanen unterzeichnet hatte. Parteivorsitzender wurde Fürst Valerie Borghese, der wegen wenigstens 800fachen Mordes an Partisanen und Widerstandskämpfern als Kriegsverbrecher verurteilt, aber amnestiert werden war. Die MSI-Gründung verstieß gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassungsgebenden Versammlung, die lautete: "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wieder gründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis zwanzig Jahren bestraft."

Mit Zehntausenden Mitgliedern war die MSI bereits 1947 in fast allen Regionen organisiert und Führungszentrale von etwa 30 größeren außerparlamentarischen und sich MSI-unabhängig darstellenden Organisationen. Diesem Netzwerk schlossen sich die 750.000 Mitglieder zählenden militaristischen Traditionsverbände an, die auf Initiative der USA nach dem NATO-Beitritt entstanden. In den 1960er Jahren zählte die Partei rund 300.000 Mitglieder. Nach ihrem Zusammenschluss mit der Monarchistischen Partei 1972 400.000. Bei den Parlamentswahlen wurde sie im gleichen Jahr mit 8,7 Prozent in der Abgeordnetenkammer und 9,2 im Senat viertstärkste Partei.

Den Faschisten in der Nachkriegszeit "Legalität" verschafft

Versuche, die faschistische Gefahr zu verharmlosen, fanden vor allem deshalb Gehör, weil die Faschisierungsprozesse im parlamentarischen Rahmen vor sich gingen und von rechten Kräften in bürgerlichen Parteien, vor allem in der DC, mitgetragen wurden. Es entstand die These von der durch die Wahl ins Parlament geschaffenen "demokratischen Legitimität" der MSI. Staats- und Ministerpräsidenten der DC empfingen MSI-Führer und -Delegationen und stützten sich bei ihrer Wahl auf deren Stimmen. Ministerpräsident Adone Zoli genehmigte der MSI 1957, den Leichnam Mussolinis in seinen Heimatort Predappio zu überführen und dort in einem Ehrenhain beizusetzen. Bei den Feiern wurden das Mussoliniregime und seine Verbrechen verherrlicht. Noch heute ist Predappio ein Wallfahrtsort der Faschisten. Das MSI-Blatt Secolo d'Italia bekam offizielle Staatszuschüsse.

Um das Paktieren mit den Faschisten zu kaschieren brachte DC-Innenminister Mario Scelba ein Gesetz (Legge Scelba) ein, nach dem die MSI und ihre paramilitärischen Organisationen gemäß der Verfassung aufgelöst werden sollten. 1952 verabschiedet, wurde es nie gegen die MSI angewendet, die daraus schlussfolgern konnte, dass sie eine verfassungsmäßige Partei sei, die keinen Anlass böte, das Scelba-Gesetz anzuwenden.

1964, 1969/70 und 1973/74 versuchten die Faschisten mit Hilfe der CIA und ihrer italienischen Partner, der NATO und ihrer Geheimarmee Gladio, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen und ein faschistisches Regime zu errichten. Dazu entfesselten sie die so genannte Spannungsstrategie, in deren Rahmen zwischen 1969 und 1978 bei etwa 2.400 Terroranschlägen Hunderte Menschen ums Leben kamen und Tausende verletzt wurden. 85 Tote und 200 Verletzte forderte ein Attentat auf dem Hauptbahnhof von Bologna im August 1980. Für viele dieser Anschläge wurden außerparlamentarische Linke und Anarchisten verantwortlich gemacht, um das Eingreifen der Armee und Sicherheitskräfte gegen die "linke Gefahr" zu rechtfertigen. Parteichef Almirante forderte auf dem MSI-Parteitag im Januar 1977 in Rom in offensichtlicher Anspielung auf das Pinochet-Regime "eine chilenische Lösung" für Italien.

Gleichzeitig versuchte die MSI ihren offen faschistischen Charakter hinter der Selbstdarstellung als große Rechtspartei zu verhüllen. Das verstärkte sich, als im Dezember 1987 Gianfranco Fini, Jahrgang 1952 und damit nicht mehr aus der Gefolgschaft Mussolinis kommend, Nachfolger Almirantes wurde. Die Publizisten Goffredo Locatelli und Daniele Martini bemerkten in ihrer Fini-Biographie von 1994, dass er schon immer wusste, "den Schlagstock zu gebrauchen", sich aber "nie an der Spitze einer Demonstration" zeigte. Nach seiner Wahl habe er bekannt: "Unsere Pflicht ist es, dem Weg des Lehrmeisters des Faschismus in seiner klarsten Interpretation zu folgen".

Einen verhängnisvollen Auftrieb gab die Niederlage des Sozialismus 1989/90 der rechtsextremen Entwicklung. Die Revisionisten innerhalb der IKP nutzten diesen Einschnitt, um ihre seit den 1970er Jahren angestrebte Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei (Partito Democratico della Sinistra - PDS) an der Jahreswende 1990/91 zu verwirklichen. Als dann das alte bürgerliche Parteiensystem im Korruptionssumpf 1992 zusammenbrach, befürchteten die reaktionären und rechtsextremen Kräfte, die nunmehr sozialdemokratischen Ex-Kommunisten könnten die Parlamentswahlen gewinnen. In dieser Situation brachte die von der CIA in Italien schon in den 1970er Jahren zur Verhinderung einer Regierungsbeteiligung der IKP gebildete faschistische Putschloge Propaganda due (P2) Silvio Berlusconi als ihren Mann an die Macht. Wie die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino 1994 in ihrem Buch "Berlusconi - Showmaster der Macht" nachwiesen, hat die P2 dem früheren Bauunternehmer sein riesiges Medienimperium mit dem Konzern Mediaset finanziert, aus dem seine Partei Forza Italia (FI) hervorging.

Im Februar 1991 entstand mit der sogenannten Lega Nord eine rechtsextreme Partei, die sich zur berüchtigten faschistischen deutschen Blut- und Boden-Ideologie bekannte und die reichen Nord-Regionen vom Zentralstaat abspalten wollte. Ihr offener Rassismus richtete sich selbst gegen die Neapolitaner, deren Fußballklub in Mailand mit Spruchbändern empfangen wurde: "Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli". Später gipfelten solche Ausfälle in Bekundungen seitens der Lega in Aussagen, wonach es leider "leichter [sei], Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten".

1994 und 2001 - eine "schwarze Regierung"

Um Distanz zum Mussolini-Faschismus zu demonstrieren taufte Fini die MSI in Alleanza Nazionale (AN) um. 1994 half diese zusammen mit der Lega Nord Berlusconi an die Macht und war bis 2011 in drei seiner Regierungen vertreten. Dem Kabinett Berlusconis von 1994 gehörten nachweislich drei Minister der als verfassungsfeindlich aufgelösten P2 an. Die Zeitung il manifesto charakterisierte das Kabinett am 15. Mai 1994 als "eine schwarze Regierung aus Faschisten und Monarchisten, Lega-Leuten und christdemokratischem Schrott, Industriellen, Anwälten und Managern der Fininvest", der Holding der über 300 Unternehmen Berlusconis.

Bürgerliche Medien verharmlosten das faschistoide Regime Berlusconis und seine Verbündeten als konservativ, rechtsnational, in jüngster Zeit gern rechtspopulistisch oder setzten es auch nur den früheren von der DC gebildeten rechten Zentrumsregierungen gleich. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl empfing den Hitlerbewunderer Berlusconi zum ersten Staatsbesuch in Bonn und nannte dessen Regierungsbildung mit den Faschisten "einen historischen Augenblick". Während Fini in Rom Mussolini als "größten Staatsmann des Jahrhunderts" und dessen "gute Taten" feierte, die Säuberung öffentlicher Dienste "von linken Elementen" begann, schwadronierte Kohl vom "gemeinsamen Aufbau der Demokratie in beiden Ländern". Die FAZ schrieb am 23. April 1994, mit der Aufnahme der AN in die Berlusconi-Regierung sei ein "Tabu des Vergangenheitserbes gebrochen", was "Auswirkungen im ganzen 'westlichen' Europa" haben werde, womit das Blatt Recht behalten sollte. Der liberale Mailänder Rechtsgelehrte Mario Losano charakterisierte 1995 in seinem Buch "Sonne in der Tasche. Italienische Politik" Berlusconis Mediendiktatur als eine "Medien-Agora", und "Erbin der 'ozeanischen Versammlungen' der Mussolinizeit", mit der er den "Duce" in der Massenbeeinflussung noch übertreffe. Selbst der konservative Kolumnist des Mailänder Corriere della Sera Indro Montanelli sah in Berlusconi eine Art "lächelnden Diktator" und durchaus "neuen Mussolini".

Mit der Allianz Berlusconis kam der Faschismus in alten, vor allem an der AN sichtbaren Formen, gleichzeitig in neuen, verdeckten Erscheinungen an die Macht. Domenico Losurdo verwies in Ausgabe 4_2000 der Marxistischen Blätter auf ein typisches Wesensmerkmal dieser alten und neuen Erscheinungen: den Expansionismus. Und tatsächlich sollte sich Berlusconi zur US-amerikanischen Bush-Administration bekennen, die im Begriff war, zur Durchsetzung ihres Weltherrschaftsstrebens "eine offene terroristische Diktatur zum Schaden der Völker der ganzen Welt zu errichten". Für die "Schandtaten", welche die USA-geführte NATO gerade auf dem Balkan beging, ließ sich, so Losurdo, "ein Vorbild nur im Wirken Mussolinis finden". Nur als Fakt soll hier angeführt werden, dass sich Italien seitdem weltweit an 13 Kriegseinsätzen beteiligte, darunter 2003-06 am völkerrechtswidrigen USA-Überfall auf Irak.

Während des G8-Gipfels vom 18. bis 22. Juli 2001 in Genua versuchte die im Mai desselben Jahres nach einem Wahlsieg zum zweiten Mal an die Macht gekommene Koalition Berlusconis mit der blutigen Niederschlagung der Massenproteste durch 15.000 Polizisten und Carabinieri, die AN-Chef und Vizepremier Gianfranco Fini persönlich kommandierte, zur Errichtung eines offen terroristischen Regimes überzugehen. Auf dem vorangegangenen EU-Gipfeltreffen in Göteborg hatte Berlusconi angekündigt, Italien von Kommunisten und Ex-Kommunisten - den sozialdemokratisch gewendeten Linken - zu "befreien". Augenzeugen in Genua sprachen von einer "chilenischen Nacht". Mehr als 600 Personen wurden in "Gefangenensammelstellen" inhaftiert, über 300 Demonstranten zum Teil schwer verletzt. Festgenommene wurden unter Hitler- und Mussolini-Bildern misshandelt und mussten "Viva il Duce" rufen. Die Polizisten skandierten dazu: "Uno, due, tre - Viva Pinochet." Der 23jährige Student Carlo Giuliani wurde von einem Polizeifahrzeug aus gezielt erschossen. Der Politikwissenschaftler Bodo Zeuner von der FU Berlin sagte, wenn Spezialeinheiten der Polizei "politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht überfallen und brutal, ja lebensgefährlich verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt". Der Versuch, eine offen terroristische faschistische Herrschaft zu errichten, scheiterte an den in Genua einsetzenden Protesten von 300.000 Menschen.

Erbe des "übelsten Faschismus"

Nach Genua verstärkte sich der von den Arbeitern getragene Widerstand gegen Berlusconi. Wissenschaftler, Juristen, Schriftsteller und Künstler solidarisierten sich damit. Literaturnobelpreisträger Dario Fo warnte vor einer "Etablierung des Faschismus". Für Umberto Eco verkörperte Berlusconi ein Erbe des "übelsten Faschismus". Antonio Tabucchi nannte in seiner Erzählung "Im Reich des Heliogabal - Ein Aufruf gegen die Diktatur des Wortes" Berlusconis Mediendiktatur "eine orientalische Form der Despotie nach jener Art, die Heliogabal über Rom errichtet hatte". Den Protesten schlossen sich die Kulturschaffenden Luigi Malerba, Angelo Bolaffi, Silvia Ballestra, Nanni Moretti und Stefano Benni an. 200 bekannte Intellektuelle unterschrieben einen Appell der Wissenschaftler Gian Mario Anselmis und Alberto Asor Rosas, der dazu aufrief, die "grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens" zu verteidigen. Sie alle stempelte Berlusconi seinerseits zu "übelsten Kommunisten" oder zu ihren Komplizen ab. Juristen, die seine kriminellen Machenschaften enthüllten, diffamierte er als "rote Richter, welche die Regierung stürzen wollten". Der für seine mutigen Untersuchungen faschistischer Attentate bekannte Mailänder Generalstaatsanwalt Gerardo D'Ambrosio, appellierte, den verfassungsfeindlichen Machenschaften Berlusconis entgegenzutreten, sonst werde "die Demokratie im Dunkel der Nacht versinken".

2007 taufte Berlusconi seine FI auf den schillernden Namen Popolo della Libertà (PdL - Volk der Freiheit) um, was er als Neugründung ausgab. Eine 2006 ins Amt gekommene Mitte-Links-Regierung unter dem Christdemokraten Romano Prodi brachte er 2008 durch Bestechung eines Senators, der für zwei Millionen Euro auf seine Seite wechselte, zu Fall. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen malte er wieder das alte Gespenst der "roten Gefahr" an die Wand, verketzerte die Linksdemokraten als "Stalinisten", diffamierte Prodi als "Oberkommunisten", der "eine rote Diktatur" errichten wolle. Sich selbst verglich er mit Churchill, Napoleon und gar mit Jesus. Um sich Stimmen aus dem Lager der faschistischen Hardliner zu sichern, holte er die "Duce"-Enkelin Alessandra Mussolini, Führerin der Azione Sociale, einer kleinen Rechtspartei, die sich von Finis AN abgespalten hatte, ins Boot. Im April 2008 erreichte seine Allianz fast 46 Prozent und bildete die letzte, dritte Regierung unter seiner Führung.

Fini, der Parlamentspräsident wurde, trat nun im März 2009 mit seiner AN der PdL bei. Sein Ziel war, dessen Führung zu übernehmen. Als er damit scheiterte, verließ er im April 2010 mit 36 Abgeordneten seiner früheren AN die PdL. Gleichzeitig gründete er eine neue Partei namens Future e Libertà Fini spielte den geläuterten Faschisten, kritisierte den diktatorischen Führungsstil Berlusconis, distanzierte sich von der rassistischen Einwanderungspolitik der Lega und plädierte, "wieder zu klaren politischen Lagern" zu kommen. Seine neue "Mitte-Rechts-Partei" werde"nicht automatisch zu allem Nein sagten, was die Linke vorbringt, sondern in einigen Fragen die Übereinkunft mit ihr suchen".

Fini handelte im Interesse einflussreicher Kapitalkreise, die sich anschickten, den Mediendiktator fallen zu lassen. Die Financial Times Deutschland schrieb am 6. April 2010: "Berlusconis Ex-Parteifreunde basteln Gegenbündnis". Berlusconis über den üblichen Rahmen der Herrschaft der Großbourgeoise hinausgehender faschistisch geprägter Regierungskurs, der den letzten Rest von bürgerlicher Demokratie zur Makulatur werden ließ, führte zu einer immensen Belastung für das politische Establishment und beunruhigte führende Kapitalkreise. Vor Berlusconi übernahm für gewöhnlich ein Repräsentant der sogenannten "politisch herrschenden Klasse" die Regierungsgeschäfte; vertrat die Interessen des Kapitals und sorgte möglichst für einen Ausgleich gegensätzlicher Positionen. Diesen Grundsatz hatte Berlusconi als reichster italienischer Kapitalist durchbrochen und eine Personalunion von (seinem) Kapital und politischer Exekutive hergestellt. Immer mehr Unternehmer wurden es leid, dass der Regierungschef sein Amt vor allem zum Wirtschaften in die eigene Tasche nutzte. Angesichts der sich verschärfenden internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise wurde befürchtet, der ständig mit seinen Strafprozessen belastete Berlusconi werde die Situation nicht in den Griff bekommen. Ihnen schwebte die Rückkehr zu einer Art Neuauflage des von der alten DC angeführten Regierungssystems vor, in dem diese wechselnd Koalitionen der linken oder rechten Mitte bildete.

2011 - das Kapital lässt Berlusconi fallen

Nachdem sich am 11. Juli 2011 eine Krisensitzung in Brüssel mit Italien befasste und eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit drohte, gab FIAT-Präsident und Agnelli-Erbe Luca Cordero di Montezemolo Berlusconi "die Schuld am Bankrott" des Landes und der "beispiellosen Staatskrise". Im Mailänder Espresso und in der römischen Repubblica war zu lesen, dass der Regierungschef "die persönlichen Interessen über die des Staates" stellt und "das Ansehen des Landes in Europa beschädigt". Nach einem Generalstreik im September und danach anhaltenden Massendemonstrationen mit nicht mehr zu überhörenden Rufen nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs trat Berlusconi am 12. November 2011 als Ministerpräsident zurück.

Mitte-Links befand sich im Auftrieb. Bei vorgezogenen Parlamentswahlen wäre es möglich gewesen, Berlusconi ins endgültige "Aus" zu befördern. Der sozialdemokratische Staatspräsident Giorgio Napolitano(2) rettete ihn vor dieser Niederlage und beauftragte den früheren EU-Kommissar Mario Monti mit der Bildung einer Übergangsregierung der sogenannten "nationalen Einheit" aus allen Parteien, die dann bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 amtierte. Das rechtsextreme Lager übte sich in kosmetischen Korrekturen. Wie Fini wollte nun auch Berlusconi das Odium seiner faschistoiden Vergangenheit loswerden, und erklärte allen Ernstes, er stehe mit seinem PdL für eine "moderate Rechte". Auch die Lega, deren Chef Umberto Bossi nach einem Korruptionsskandal zurücktreten musste, distanzierte sich verbal vom Rassismus. Zuvor hatte der von ihr gestellte Innenminister Roberto Maroni, Einwanderer in Lager sperren und das Feuer auf Flüchtlingsboote eröffnen wollen.

Die Parlamentswahlen am 24./25. Februar 2013 führten zu einem Patt zwischen Mitte-Links und dem rechtsextremen Lager. Die Koalition der Demokratischen Partei (PD) und der Linkspartei Sinistra Ecologia Libertà erreichte im Parlament mit etwa 31 Prozent den ersten Platz und lag auch im Senat knapp vom. Der PD profitierte in der Abgeordnetenkammer vom im italienischen Wahlrecht vorgesehenen Siegerbonus, der dem Wahlsieger 340 von 630 Sitze zuspricht. Berlusconi kam mit seiner Partei. sowohl im Parlament als auch im Senat knapp auf Platz zwei. Die neu entstandene rechtslastige Protestpartei Fünf Sterne (M55) belegte mit 25,5 Prozent in beiden Kammern den dritten Platz. Deren Parteichef Beppe Grillo hielt enge Kontakte zur britischen UKIP, mit der er in Straßburg eine gemeinsame Fraktion bilden wollte.

Nach dem Wahlsieg der PD wurde der frühere rechte Christdemokrat Matteo Renzi Parteichef und 2014 Ministerpräsident. Damit geschah das, was Cordero di Montezemolo nach dem Sturz Berlusconis im manager magazin vom September 2012 gefordert hatte: eine Erneuerung "der politisch herrschenden Klasse Italiens". Symptomatisch dafür war ein Treffen Renzis mit dem Präsidenten des italienischen Industriellenverbandes Confindustria, Giorgio Squinzi, am 3. November 2014, in dem der Premier den Unternehmern versicherte, er werde vor den Gewerkschaften "keinen Schritt zurückweichen", sein "Stabilitätsgesetz" werde "kein Gegenstand von Verhandlungen mit den Gewerkschaften sein" und er werde sich auch in der PD nicht aufhalten lassen. Squinzi dankte Renzi herzlich und versicherte, dass "die Unternehmer mit ihm sind". Es wurde deutlich, dass die führenden Kapitalkreise nun in Renzis PD, ihren besseren Interessenvertreter sahen. Mit seinem arbeiter- und gewerkschaftsfeindlichen Regierungskurs knüpfte Renzi am Erbe der alten DC an.

Die Situation heute - Faschisten bleiben Reserve

Drei Hauptkräfte verkörpern derzeit das rechtsextreme Lager in Italien: 1.) Die aus der AN hervorgegangenen Partei Fratelli d'Italia (FdI) mit der 40-jährigen Journalistin Giorgia Meloni an der Spitze. In typisch faschistischer Demagogie führen sie als Namen den Titel der 1947 bei der Annahme der Verfassung der Italienischen Republik verkündeten, in der Revolution von 1848 komponierten Nationalhymne "Brüder Italiens". Meloni war zwischen 2008 und 2011 unter Berlusconi Jugend- und Sportministerin. 2.) Die Lega Nord unter dem 44-jährigen Journalisten Matteo Salvini, seit 2004 EU-Parlamentarier, seit 2013 Lega-Chef. 3.) Die wieder als Forza Italia firmierende Partei des 80-jährigen und herzkranken Ex-Premier Silvio Berlusconi, dessen Führungsrolle in seiner durch mehrere Abspaltungen geschwächten Partei umstritten ist. Seinen demagogisch verkündeten Kurs einer "moderaten Rechten", auf dessen Grundlage er die extreme Rechte einigen will, lehnen FdI und Lega ab. Meloni, die gerne nationalistische Parolen schwingt, gilt als ausgesprochene faschistische Hardlinerin. Die Lega agiert wieder unter einem offenen Rassismus, seit jeher Bestandteil faschistischer Ideologie. Ihre separatistische Linie der Abspaltung der Nordregionen Italiens vom Zentralstaat hat die Lega unter Salvini aufgegeben und stellt sich gesamtnational auf. Wie Salvini stellt auch Meloni die enge Verbundenheit mit Frankreichs Front-National-Chefin Marine Le Pen heraus, von deren zweiten Platz beider dortigen Präsidentschaftswahl eigener Auftrieb erwartet wird. Meloni unterstützt Salvinis Anspruch auf die Führung einer rechtsextremen Allianz bei den spätestens im Frühjahr 2018 in Italien anstehenden Parlamentswahlen. Berlusconi könne sich dem anschließen, wenn er die Zusammenarbeit mit Renzi beendet und seine FI aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei in Straßburg austrete, sagte Meloni zuletzt im Interview für die Huffington Post am 21. März.

Bei Wahlen sind die außerhalb der drei großen rechtsextremen Parteien meist als Stoßtrupps der Lega oder der FdI agierenden faschistischen Organisationen wie Casa Pound, die Forza Nuova oder auch die in zahlreichen Städten vertretenen Nazi-Skins, deren Mitglieder zusammen auf mehrere Zehntausend geschätzt werden, als nicht unbeträchtliches Stimmenreservoir in Rechnung zu stellen. Sollte das rechtsextreme Lager seine Zerstrittenheit überwinden und seine Stimmen vereinen, bleibt eine Rückkehr von Faschisten und Lega-Rassisten an die Regierung in Rom eine ernst zu nehmende Gefahr.


Dr. Gerhard Feldbauer war viele Jahre als Pressekorrespondent in Rom tätig. Er habilitierte mit einer Arbeit zur Geschichte des italienischen Neofaschismus.


Anmerkungen

(1) Zu den ausführlichen Quellen siehe G. Feldbauer: "Geschichte Italiens vorn Risorgimento bis heute" (2. aktualisierte Ausgabe) und die Kurzfassung "Geschichte Italiens" (PapyRossa, Köln 2015, bzw. 2017).

(2) Zur Karriere des Ex-Kommunisten siehe G. Feldbauer: Die Niederlage der Linken und der Renegat Napolitano. Reihe "Konsequent" der DKP Berlin, Heft 1/2015.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 4-17, 55. Jahrgang, S. 69-78
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2018

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