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ROTFUCHS/104: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 150 - Juli 2010


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

13. Jahrgang, Nr. 150, Juli 2010



Inhalt
Das Massaker von Kalavrita
Zur 150. "RotFuchs"-Ausgabe
Frontberichterstatter Jewgeni Chaldej
Das Potsdamer Abkommen war Adenauers Alptraum
85 Jahre Elgersburger MOPR-Heim
Rosa - Ein Adler der Revolution
Wie entsteht eigentlich Mehrwert?
Stärker als die Nacht
Thälmann ist niemals gefallen
Positionsbestimmung
Nestbeschmutzer
Als Wutzke zuschlug
Steckten die Genossenschaftsbauern der DDR in einer Zwangsjacke?
Von der Arbeitervorhut zur "Volkspartei": Masse statt Klasse
Die BRD - ein säkularer Gottesstaat
Kratzen für Pius XII.
Juden in der DDR
Bundeswehr empfiehlt NS-"Rassenforscher"
Israel schändet Andenken Ermordeter
Albert Nordens "Braunbuch"
Leipzigs Kripo-Chef a. D. zur Kriminalität in der DDR
RF-Extra Sindermann macht's möglich
RF-Extra Wofür stand die Deutsche Volkspolizei?
Mumia seit 28 Jahren in der Todeszelle
Spanien: Ein Übergang, der keiner war
Euro-Krise: Händereiben in Wall Street
Brief aus Réunion: Mitten im Indischen Ozean
Rom läßt Roma jagen
Kubas Weißkittelexport
200 Liquidatoren verließen die FKP
Jemen: Auf des Messers Schneide
In der Alt-BRD gab es keinen Bitterfelder Weg
Angela bei den "RotFüchsen"
Wolfgang Held zum 80. Geburtstag
Gediegene Sprache und poetisches Gespür: Marianne Bruns
Archie und das verwunschene Dorf
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Die EU - Europas Garotte

Eine Garotte ist ein mittelalterliches Würgeeisen. Das todbringende Gerät wurde weltweit bekannt, als nach dem im Dezember 1973 verübten ETA-Anschlag auf Francos Stellvertreter Admiral Carrero Blanco vier junge Basken aus Rache damit hingerichtet werden sollten. Antifaschistische Widerstandskämpfer hatten die gepanzerte Limousine des Vizediktators auf der von ihnen untertunnelten Madrider Obrigkeitsroute am hellen Tag in die Luft gesprengt und diesen getötet.

Heute steckt unser Kontinent im Schraubstock einer anderen Garotte. Sie nennt sich Europäische Union (EU) und verfügt in Brüssel über einen Wasserkopf aus Zehntausenden beamteten Schranzen und Wanzen. Es handelt sich um eine ausgefeilte und perfektionierte Würgemaschinerie, die den Völkern und Nationalstaaten unseres Erdteils auf mehr oder weniger elegante Art den Atem nehmen soll. Die Europäische Kommission "unter" dem portugiesischen Tiefflieger José Manuel Barroso - er hatte im Frühsommer 1974 als einer der Anführer der ultralinken, CIA-durchtränkten sowie mit Hammer und Sichel getarnten MRPP begonnen, um schließlich Ministerpräsident einer Lissabonner Rechtsregierung zu werden - ist nichts anderes als ein Vollzugsorgan der durchsetzungsfähigsten Monopole und Banken Europas.

Hinter dem EU-Projekt, das unter blumigen Integrationsparolen die gnadenlose Disziplinierung der schwächsten "Partner" betreibt, stehen mit der BRD und Frankreich die beiden stärksten imperialistischen Mächte des Kontinents. Sie haben schon in der Europäischen Gemeinschaft (EG) - der Vorläuferin des heutigen Konstrukts - die Karten gemischt und die Strippen gezogen. Adenauer und de Gaulle, Kohl und Mitterrand waren die Paten des organisierten Verbrechens, das von Beginn an darauf abzielte, den Völkern Europas die nationale Souveränität und die staatliche Unabhängigkeit zu rauben.

Ein Hauptbestandteil dieses infamen Komplotts war die Aufhebung historisch gewachsener eigener Währungen. Nur wenige Regierungen, darunter die britische, durchschauten die Absicht, die mit der Einführung einer die traditionellen Zahlungsmittel ersetzenden "Superwährung" verbunden war. Es ging dabei um die Vereinigung der Schafe im Magen des Wolfes.

Für die Bürger der BRD brachte der Umstieg von der D-Mark auf den Euro zweifellos auch gewisse Erleichterungen. Zugleich wurden sie kollektiv erleichtert, führte doch der Umtausch zur faktischen Halbierung ihrer Einkünfte und Spareinlagen. Ein Euro besitzt heute bestenfalls noch die seinerzeitige Kaufkraft einer D-Mark.

Mehr oder weniger stabile Zahlungsmittel wurden durch den zwangsläufig labileren Euro abgelöst, der schon bald in den Strudel der "Finanzmärkte" geriet und von "Heuschrecken"-Schwärmen angegriffen wurde. Nach einem kurzen Steilflug, der den inflationierten Dollar in arge Bedrängnis brachte, setzte der Euro dann zum Sturzflug an. Das war eine Sternstunde für Washington, wo man der ungeliebten und inzwischen angeschlagenen Konkurrenz im Börsenmilieu das Wasser abzugraben sucht.

Auf prahlerische Völlerei folgte Katzenjammer. Würger wie die BRD und Gewürgte wie Griechenland steckten "plötzlich" gemeinsam in der Schuldenfalle. Alarm für den Euro hieß es nun auf einmal. Als "Rettungspakete" deklarierte Rettungsringe wurden eiligst jenen zugeworfen, die bereits am Ertrinken waren. Der sicherste Weg, sie noch tiefer sinken zu lassen. Allein die Banker haben Grund zum Triumphieren.

Das pathetische Gebaren, es gehe um "Europa", ist ebenso irreführend wie die Behauptung, "die Völker" brauchten eine globalisierte Wirtschaft. In beiden Fällen handelt es sich allein um imperialistische Macht- und Profitinteressen. Natürlich sind wir Realisten und führen keinen Kampf gegen Windmühlenflügel. Die derzeitige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte, die in den letzten Jahrzehnten ein zuvor ungeahntes wissenschaftlich-technisches Niveau erreicht haben, drängt zu Integration und Vernetzung. Das Kapital nutzt diesen objektiven Trend gnadenlos aus. Unter sozialistischen Vorzeichen könnte aus der neuen Lage eine fruchtbare Kooperation gleichberechtigter Staaten entstehen. Im Kapitalismus aber verschärft sich trotz Ergreifung zwingend gebotener gemeinsamer Maßnahmen zum Systemerhalt der erbitterte Konkurrenzkampf noch mehr.

Die EU, deren Projekt auch unter Berücksichtigung der Lehren aus der 1974/75 weit vorgestoßenen Portugiesischen Revolution beschleunigt umgesetzt wurde, ist kein Zusammenschluß auf gleicher Augenhöhe, sondern die Diktatur der tonangebenden imperialistischen Mächte Europas. Die BRD will den von Hitler um Rohstoffquellen, Absatzmärkte und Einflußsphären geführten Zweiten Weltkrieg nachträglich gewinnen. In der Regel tut sie das unter Einsatz "friedlicher Mittel", erforderlichenfalls aber auch mit blanken Waffen. Afghanistan ist der Beweis.

Alles in allem: Die EU ist nicht "unser Europa", sondern das Europa unserer Klassenfeinde! Das Gerede, man wolle den Kontinent "sozialer" und "menschenfreundlicher" gestalten, erweist sich als Schall und Rauch. Man muß die Axt an die Wurzel des Übels legen.

Auch die Schaffung einer Europäischen Linkspartei, die wie andere Zusammenschlüsse dieses Typs aus dem Brüsseler Topf erhebliche Fördermittel erhält, hat bisher keine meßbaren Ergebnisse gebracht. Die bestialischen Züge des Kapitalismus lassen sich nicht dadurch kaschieren, daß man ihnen ein "menschliches Antlitz" zu geben versucht. Vorstellungen, die Ausbeuterordnung "humanisieren" und deren "schlimmste Auswüchse beschneiden" zu können, sind reine Augenwischerei.

Wir halten es mit den großen marxistisch-leninistischen Parteien Europas - der griechischen KKE und der portugiesischen PCP -, aber auch mit zielklaren kleineren Parteien wie der belgischen PTB, die sich auf das inhaltsleere Europageschwätz der Bourgeoisie und ihrer Nachbeter nicht einlassen. "Völker Europas, steht auf!" appellierten Griechenlands erfahrene und gestählte Kommunisten mit ihrem auf unserer Titelseite abgebildeten Transparent vom Athener Akropolis-Hügel.

Der EU und ihren Lissabonner Verträgen, die als Garotte erkannt sind, gilt es kompromißlos den Kampf anzusagen.

Klaus Steiniger

Raute

Das Massaker von Kalavrita

Der Beitrag Dr. Martin Dressels "Ludwigsburg fischte im trüben" (RF 147) ist mir Veranlassung, kurz über in Griechenland selbst Erlebtes zu berichten. Zu den Verbrechen der faschistischen Wehrmacht ist unterdessen viel Material veröffentlicht worden, doch die Täter blieben durch die Justiz der BRD unbehelligt. Erst nach einem Besuch des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau vor einigen Jahren in Kalavrita - etwa 70 km östlich von Patras auf dem Peleponnes gelegen - erfuhr das Wüten der deutschen Faschisten größere Aufmerksamkeit.

Das Massaker von Kalavrita, bei dem im Dezember 1943 durch Angehörige des 117. Jägerregiments und des 117. Artillerieregiments etwa 80 junge Männer zusammengetrieben und erschossen wurden, gehört zu den finstersten Bluttaten der Naziokkupanten in Hellas. Vom Kommandeur der 117. Jägerdivision, Generalleutnant Witzmann, der noch viele Jahre ungeschoren in der BRD lebte, wurde damals ein Funkspruch an das 7. Armeekorps der faschistischen Wehrmacht veranlaßt. Darin hieß es, ca. 100 Partisanen seien vernichtet worden. Diese Meldung habe ich persönlich als Funker der 4. Kompanie der 117. Nachrichtenabteilung vom Stabsquartier in Peridiali - 5 km westlich von Korinth - abgesetzt.

Das seinerzeitige Erscheinen von Bundespräsident Rau in Kalavrita - andere BRD-Staatschefs vor und nach ihm haben den Weg dorthin nicht gefunden - hinterließ bei der Bevölkerung des Ortes den Eindruck, daß es statt des zeremoniellen Auftritts wohl eher einer offiziellen Entschuldigung bedurft hätte.

Winfried Freundt, Jena

Raute

Zur 150. "RotFuchs"-Ausgabe

Was im Februar 1998 mit 200 Exemplaren als kleines journalistisches Pflänzchen begann, hat heute mit über 26.000 ständigen Lesern und 30.000 Nutzern der Internet-Ausgabe sowie Beziehern in 37 Ländern einen festen Platz im Spektrum linker Presseerzeugnisse.

Immer mehr Engagierte wollen auf den "RotFuchs" als wichtige Ergänzung zur Tagespresse nicht verzichten. Das Blatt geht von Hand zu Hand. Es liefert seriöse innen- und außenpolitische Informationen, vermittelt marxistisch-leninistische Grundkenntnisse, beleuchtet Hintergründe, erschließt Zusammenhänge, erleichtert Entscheidungen, ist spannend und unterhaltsam. Allen, die an Inhalt, Gestaltung, Vertrieb und regelmäßigem Erscheinen mitwirken, sagen wir ein herzliches Dankeschön. Es bezieht sich auch auf alle Leser, die unserer Zeitschrift fest verbunden sind. Zu besonderem Dank sind wir unserem Genossen Dr. Klaus Steiniger verpflichtet, der von der ersten Ausgabe an die Feder führt und dem "RotFuchs" ein unverwechselbares Gesicht gegeben hat.

Vorstand des "RotFuchs"-Fördervereins

Raute

Mit dem sowjetischen Meisterfotografen auf dem Brandenburger Tor

Frontberichterstatter Jewgeni Chaldej

Oktober 1969. Flughafen Schönefeld. Neugierig erwarte ich einen Gast aus Moskau - Jewgeni Chaldej. Reichen meine Russischkenntnisse aus, mich mit ihm zu verständigen? Da ist er. Die Grenzer wissen, auf wen ich warte, und gestatten mir, ihm entgegenzugehen. Förmliche Begrüßung. Er reicht mir sein Handgepäck mit dem Bemerken zu: "Objektiv". Natürlich trage ich dieses mit zum Auto. Abends im Hotel entpuppt sich das "Objektiv" als Wodkaflasche: "Ein Gruß von Konstantin Simonow!", erklärt der stämmige Gast.

Im telefonischen Vorgespräch hatte Chaldej den Wunsch geäußert, unbedingt wieder auf dem Brandenburger Tor stehen zu wollen, jenem Platz, von dem aus er am 2. Mai 1945 den Sieg der Roten Armee über den Hitlerfaschismus festhielt, auch das Hissen der Roten Fahne auf dem Reichstag.

Die Zustimmung des NVA-Stadtkommandanten Generalmajor Poppe war bereits erteilt, wovon ich den Moskauer informierte. Am ersten Abend legte er mir etliche, teils abgegriffene Fotos vor, die er in den Mai- und Junitagen 1945 in Berlin "geschossen" hatte. Mein damals 52jähriger Gast gehörte selbst als Offizier der Roten Armee an. Er war Frontberichterstatter. Nach 24 Jahren erstmals wieder in Berlin drängte es ihn, an verschiedenen Stätten Erinnerungen aufzufrischen. Seine Neugier konnte ich ihm am Gesicht ablesen. Was ist aus der Stadt, die er in Trümmern verlassen hatte, inzwischen geworden?

Ein Fotomotiv weckte mein besonderes Interesse: Zwei alte Männer sitzen auf einem umgekippten Möbelstück vor einer Ruine, ein Blinder und sein bärtiger Begleiter. Auch dieses Foto nahm ich an mich, um das "Wo?" herauszufinden, denn hier fehlte seine handschriftliche Ortsbezeichnung auf der Rückseite der Aufnahme.

Im Hintergrund der Szene ist an der Ruine eine Reklame sichtbar: Otto Boenicke. Ein Blick in alte Berliner Adreßbücher gab Auskunft: "Otto Boenicke - Tabakwaren". Ich schrieb mir die Firmensitze in der Nähe des Brandenburger Tores heraus und erzielte einen Treffer: Berlin-Mitte, Französische Straße 21-24. Für das Kamerateam des Fernsehens der DDR war das eine lohnende Entdeckung, denn in diesem Gebäude hatte unterdessen die Betriebsberufsschule des DDR-Außenhandels ihren Sitz. Sprachkenntnisse wurden dort vermittelt. Schließlich wuchs die Bedeutung des Außenhandels nicht nur durch den stärker werdenden Zuspruch ausländischer Gäste auf der Leipziger Messe, sondern auch mit der fortschreitenden diplomatischen Anerkennung der DDR. Jüngst erst hatten Südvietnam, Syrien, Sudan, Irak und Kambodscha die von der BRD hartnäckig verfochtene Hallstein-Doktrin ignoriert. Mir begegneten der Hausmeister Max Balow und die Russisch-Lehrerin Eleonore Becker. Jewgeni Chaldej war erstaunt über die modernen Lehr- und Lerneinrichtungen. Dann der gemeinsame Aufstieg im Brandenburger Tor. Der Moskauer Fotograf schleppte eine umfangreiche Kameraausrüstung mit sich.

Ein Grenzsoldat führte uns, und ich sah, wie unser Gast mehrfach innehielt. Wie mag er diese Situation 1945 erlebt haben? Durch eine Luke erreichten wir die Plattform, auf der Schadows Quadriga symbolträchtig plaziert worden ist. Während der Rekonstruktion der kriegsbeschädigten Skulpturengruppe in den 50er Jahren stellte man fest, daß eines der vier Pferde kein Berliner Original war. Hatte Napoleon daran schuld?

Am 17. Mai 1807 waren die Kisten mit den Bestandteilen der Quadriga-Pferde in Paris angekommen. "Eines von ihnen hatte offenbar die Strapazen der Reise nicht oder nur beschädigt überstanden. Und so zieht ein gallischer Gaul den preußischen Siegeswagen. Jedoch prangte zur Zeit unseres Besuches kein Preußenadler und kein Eisernes Kreuz über den vier Pferden. 1958 hatte der Magistrat im Demokratischen Sektor von Berlin die Entfernung der Preußen verherrlichenden Symbole veranlaßt. Von den neuen Machthabern sind sie wieder angebracht worden.

Beim Blick in Richtung Westen rückte das andere preußische Bauwerk ins Bild - die Siegessäule. Sie wurde 1873 eingeweiht. Hitler hatte sie am Vortag seines 50. Geburtstages am heutigen Ort aufstellen lassen. Es handelte sich um den 19. April 1939. Damals bot das Naziregime seine Wehrmacht auf und ließ sie von der Siegessäule bis Unter den Linden paradieren. In seinem Größenwahn stockte der "Führer" den Rumpf um eine vierte Trommel auf.

Übrigens nutzten die Faschisten das zentral gelegene historische Bauwerk, das sie in die Planungen für eine künftige Hauptstadt "Germania" einbezogen, zum Schüren von Massenpsychose. "Das Brandenburger Tor wird", so die Berliner illustrierte Nachtausgabe vom 10. Mai 1938, "von innen angestrahlt, um eine noch bessere architektonische Wirkung zu erzielen. Zu seinen beiden Seiten werden nämlich am Hindenburgplatz 150 Meter lange feurige Wasserfälle aufsteigen, wenn der Wagen durch das Mittelportal fährt." Der Anlaß war Hitlers Rückkehr aus Rom, wo er dem "Duce" seine Aufwartung gemacht hatte. 360.000 Jubelnde wollte man an der Strecke sehen.

Mein Gast hielt einen Berliner Stadtplan in Händen, richtete seinen Blick gen Osten. Markant hob sich der Berliner Fernsehturm, den Walter Ulbricht vor wenigen Tagen erst eröffnet hatte, vom Himmel ab. Selbstverständlich genoß der Moskauer Fotograf später das Panorama, welches ihm auf 203 Meter Höhe zu Füßen lag.

Wir bemühten uns, Chaldej jeden seiner Wünsche zu erfüllen. Uns standen eine Dolmetscherin und ein Fahrer mit versierten Berlin- und Geschichtskenntnissen zur Verfügung. So gehörte das Kapitulationsmuseum in Karlshorst zu den erbetenen Zielen. Ebenso der Ortsteil Wendenschloß, das Möllhausenufer. Hier, an der spreenahen Ecke, hatte Marschall Shukow Quartier genommen, wurde die Kapitulationsurkunde erstmals unterzeichnet.

Am 29. Oktober traf ich meinen Gesprächspartner zur Verabschiedung im Schönefelder Flughafenhotel. Wir nahmen uns noch einmal viel Zeit für einen intensiven Gedankenaustausch. Was hatte dieser Mann nicht alles gesehen und durchlebt! Vom ersten Tag des Krieges der Faschisten gegen die UdSSR an war Jewgeni Chaldej im Auftrag der Nachrichtenagentur TASS als Frontberichterstatter im Einsatz. In Donezk wurden sein Vater und drei Schwestern von den deutschen Okkupanten umgebracht: "Sie wurden nicht erschossen, sondern lebendig in Kohleschächte geworfen - zusammen mit Zehntausenden anderen Menschen! Das war 1941/1942. Da habe ich die Deutschen sehr gehaßt."

So war es für den Fotoreporter aus Moskau eine Genugtuung, 1946 als Korrespondent den Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß verfolgen zu können.

Seine Aufnahmen aus dem Großen Vaterländischen Krieg, vor allem auch jene, welche thematisch damit verknüpft sind, mahnen zur Verteidigung des Friedens!

Hans Horn

Raute

Von Hitlers Untergang zum Neuaufstieg des deutschen Imperialismus

Das Potsdamer Abkommen war Adenauers Alptraum

Egon Krenz, der am 24. Oktober 1989 anstelle Erich Honeckers zum Vorsitzenden des DDR-Staatsrats gewählt worden war, erfuhr am 1. November im Moskau und tags darauf in Warschau, daß die Verbündeten nicht daran dächten, die DDR preiszugeben. Jaruzelski sagte ihm direkt: "Das freundschaftliche Verhältnis zur DDR ist für Polen eine Frage von Leben und Tod." Siegfried Zachmann, DDR-Botschafter bei der UNO, erklärte am 19. Dezember 1989 (als Helmut Kohl in Dresden sprach) vor dem American Council on Germany: "Die Vereinigung der DDR mit der BRD ... steht nicht auf der Tagesordnung, denn sie würde die im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges entstandene Nachkriegsordnung und das europäische Gleichgewicht in Frage stellen."

In Kohls Erinnerungen ist zwar sein Zorn über jene NATO-Partner zu spüren, die ihm im Herbst 1989 (noch) nicht folgten, keineswegs aber seine Sorge um die Stabilität der europäischen Nachkriegsordnung, der auch die BRD in Helsinki 1975 zugestimmt hatte. Diese fußte auf dem Sieg der Antihitlerkoalition über den deutschen Faschismus und wurde im Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945 beurkundet.

Die Vertreter der drei Alliierten - J. W. Stalin für die UdSSR, Harry Truman für die USA, Winston Churchill (nach den Wahlen in Großbritannien dann Clement Attlee) - entschieden sich nicht zufällig für Potsdam als Verhandlungsort, war doch die Stadt der Inbegriff des preußisch-deutschen Militarismus gewesen. Der Hauptteil der Festlegungen, die dort getroffen wurden, richtete sich auf die Zukunft Deutschlands, die durch vier "D" bestimmt sein sollte: Demilitarisierung, Denazifizierung, Demokratisierung und Dekartellisierung.

In der Abschlußmitteilung hieß es: "Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, die Alliierten treffen nach gegenseitiger Vereinbarung in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn und die Erhaltung des Friedens in der Welt bedrohen kann."

Bereits im Februar 1945 waren auf der Krim-Konferenz (Jalta) die Konturen für eine europäische Nachkriegsordnung vorgezeichnet worden. Die wesentlichen Beschlüsse betrafen die endgültige Niederwerfung der Aggressoren; die Besetzung Deutschlands; die Beteiligung Frankreichs daran; die Beseitigung des deutschen Faschismus und Militarismus; die Bestrafung der Kriegsverbrecher; zu erbringende Reparationsleistungen; die Gründung einer internationalen Organisation (der späteren UNO); die Wiederherstellung Polens, dessen Ostgrenze etwa die Curzon-Linie sein sollte, mit weitem Gebietszuwachs im Norden und Westen. Aus Gründen der militärischen Geheimhaltung wurde ein Beschluß über den Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan zwei bis drei Monate nach der Niederwerfung Deutschlands nicht veröffentlicht.

Das Potsdamer Abkommen erlegte Deutschland Reparationsverpflichtungen auf, bestimmte dessen Grenzen, die durch einen Friedensvertrag bestätigt werden sollten, und regelte das Besatzungsregime der drei Mächte, zu denen sich Frankreich gesellte. Deutschland wurde in vier Zonen eingeteilt, Berlin sollte Kontrollratssitz der Mächte werden. Konrad Adenauer nannte Potsdam später seinen Alptraum.

Als die "friedliche Revolution" im Herbst 1989 begann, entsprach die politische Landkarte kaum noch der vom Potsdamer Abkommen gezeichneten Vorlage. Deutschland bestand inzwischen aus zwei souveränen Staaten. Einen Friedensvertrag gab es nicht. Die Bundesrepublik war ein "ökonomischer Riese" geworden. Obwohl die NATO bei ihrer Gründung behauptete, sie werde "die Deutschen unten halten", war die BRD schon 1990 eine starke Militärmacht mit riesigem Rüstungsexport. Der "Wiedervereinigung" folgten Kriege unter deutscher Beteiligung auf dem Fuße.

Politiker und Publizisten überschlagen sich, die Ereignisse vom Herbst 1989 zur "Sternstunde der Deutschen" (Hans-Dietrich Genscher), "Mantel Gottes" (Helmut Kohl) und "Wunder von Leipzig" (Christian Führer) zu verklären. Doch die wahren Ursachen ergeben sich aus dem Verlauf des internationalen Klassenkampfes und Veränderungen im Kräfteverhältnis zwischen beiden Systemen, zweifellos auch aus erfolgreichen oder fehlerhaften Strategien in den jeweiligen Militärblöcken.

Im Westen Deutschlands setzten sich jene Kräfte durch, die zunächst nach dem Adenauer-Motto "Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb" gehandelt hatten. Pläne zum Machterhalt des deutschen Imperialismus, die schon in der Hitler-Ära entstanden waren, wurden umgesetzt. Den Abschluß der ersten Nachkriegsphase bildeten die Gründung von BRD und DDR. Damit konstituierten sich zwei deutsche Staaten, die sich wie Feuer und Wasser voneinander unterschieden. Stalin betrachtete die Gründung der DDR in seiner Botschaft vom 13. Oktober 1949 als einen "Wendepunkt in der Geschichte Europas".

In den 50er Jahren, die vom Kalten Krieg beherrscht waren, konsolidierten sich die beiden deutschen Staaten und wurden Mitglieder der jeweiligen Militärblöcke: der von den USA geführten NATO und des Warschauer Vertrages mit der UdSSR an der Spitze. Wer in Rechnung stellt, daß die NATO schon 1949 gegründet, der Warschauer Vertrag aber erst 1955 abgeschlossen wurde, weiß auch, daß dazwischen viele sowjetische Angebote für einen Friedensvertrag mit Deutschland lagen. Die Spaltung Europas in einander feindlich gegenüberstehende Blöcke hatte extreme Folgen, zumal unter den Bedingungen atomarer Abschreckungspotentiale.

Die Ereignisse des 17. Juni 1953 beeinflußten die Strategien beider Seiten. Egon Bahr bezeugte damals das Gewicht der psychologischen Kriegsführung: "Zum ersten Mal wurden Verantwortung und Macht eines elektronischen Mediums deutlich, das, ohne den zeitraubenden Vorgang des Denkens und ohne von Grenzen aufgehalten zu werden, Menschen verbindet, die am Lautsprecher hängen, was sie innerhalb weniger Stunden zu gleichem Verhalten veranlaßt."

Bahr charakterisierte auch die Schutzmaßnahmen des Warschauer Vertrages, den sogenannten Mauerbau als einschneidende historische Zäsur: "Wie in einem großen Drama bündelten sich verschiedene Handlungsstränge zu dem Höhepunkt am 13. August 1961. Die alten Thesen und geläufigen Wünsche von Ost und West begegneten sich, prallten auf das neue Faktum einer Mauer. Nachdem der Sturm vorüber war, wurden fundamentale Veränderungen sichtbar, denen keiner entging.

Nach der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches, nach der Organisation zweier Staaten vier Jahre später und der Konsequenz ihrer auch militärischen Zuordnung in die beiden Lager, setzte die Mauer nun ein neues Datum der deutschen Nachkriegsgeschichte ... eine neue Entwicklung begann, eine neue Rechnung mußte aufgemacht werden." Soweit Bahr.

Worin bestand das Wesen dieser "neuen Rechnung", was bestimmte die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten nach 1961? Auch hier ließ Bahr die Katze aus dem Sack. 1963 hielt er an der Evangelischen Akademie in Tutzing eine Rede, in der er - als Konsequenz aus dem "Mauerbau" - seine Politik eines "Wandels durch Annäherung" begründete: "Heute ist klar, daß die Wiedervereinigung nicht ein einmaliger Akt ist, der durch einen historischen Beschluß an einem historischen Tag auf einer historischen Konferenz ins Werk gesetzt wird, sondern ein Prozeß mit vielen Schritten und vielen Stationen ... Die Zone muß mit Zustimmung der Sowjets transformiert werden. Wenn wir so weit wären, hätten wir einen großen Schritt zur Wiedervereinigung getan." Das tödliche Risiko gegenseitiger Vernichtung erzwang, daß die atomare Drohung von beiden Seiten aufrechterhalten wurde, während die "Implosion" des Sozialismus durch Moskau hingenommen werden sollte. Die verräterische und kapitulantenhafte Politik, die unter Gorbatschow dort betrieben wurde, spielte der imperialistischen Strategie auch in der "deutschen Frage" direkt in die Hände. Am Ende blieben die Vereinigten Staaten als einzige Weltmacht übrig, wie der USA-Ideologe Zbigniew Brzezinski 1997 konstatierte. Diese Strategie zielte von Beginn an auf die "Vernichtung des Reichs des Bösen". Die Mittel dazu wurden komplex eingesetzt, von der atomaren Erpressung über die ökonomische Strangulierung bis zur ideologischen Diversion. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der dann am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnet wurde, beendete jene Ära, die in Potsdam begonnen hatte.

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Ein Haus, das der Atem proletarischer Solidarität umweht

85 Jahre Elgersburger MOPR-Heim

In Elgersburg verkündet eine Gedenktafel: "Dieses Heim wurde im Auftrag der Roten Hilfe durch Genossen Wilhelm Pieck am 12. April 1925 eingeweiht." Sie steht vor einer Ausstellung zur Geschichte eines Hauses mit großer Tradition. Dort trafen sich am 17. und 18. April aus Anlaß des 85jährigen Bestehens des MOPR-Heimes einige, die zeitweilig zu den Bewohnern gehört hatten (MOPR ist die Abkürzung des russischen Namens der "Internationalen Organisation zur Unterstützung von Kämpfern der Revolution"). Auch Verwandte und viele Freunde, denen der Erhalt und die Geschichte dieses Hauses am Herzen liegen, hatten sich eingefunden.

Auf die Anregung im Gästebuch: "... es sollte ein Büchlein entstehen ­..." machte sich Gerd Kaiser ans Werk. Er ist aus vielen Veröffentlichungen, so z. B. durch seine umfangreiche Arbeit "Auf Leben und Tod - Stille Helden im antifaschistischen Widerstand" bekannt.

Im Ergebnis gründlicher Recherchen in staatlichen deutschen und russischen sowie in privaten Archiven, nach Einsicht in Briefe, Fotomaterial, Bücher, Zeitungen, aber auch durch Gespräche mit Zeitzeugen und deren Nachkommen konnte Kaiser nun sein Büchlein: "Heim in idyllischer Lage - vom Kinderheim der Roten Hilfe zu Elgersburg zum Hotel Am Wald" den Teilnehmern der Gedenkfeier vorstellen.

Umrahmt von Arbeiterliedern, die bereits in den ersten Jahren des Heimes oft von den Kindern gesungen wurden, erzählte er beeindruckend und sehr emotional von den Anfängen als "Villa Bauer", über das Leben der Heimbewohner seit 1925 und auch später. 1933 entweihten die Faschisten das Haus. Auch darüber berichtete der Autor, der den Bogen bis ins Heute spannte. Es berührte uns sehr, wenn er von persönlichen Schicksalen berichtete, die er so verinnerlicht hatte, daß ihm wiederholt die Stimme versagte.

So beschrieb er z. B. den Lebensweg von Lore Rutz und ihren Eltern Richard und Berta Daniel. 1919 in Ulm geboren, wurde Lore von klein auf in das revolutionäre Milieu der Eltern einbezogen.

Eine Begebenheit hat sie selbst aufgeschrieben: "Vierjährig nahm mich mein Vater zum Besuch meiner Mutter mit, die - nicht zum letzten Mal politisch - verfolgt und inhaftiert war. Der Vater hatte eine Apfelsine gekauft. Nachdem ich diese als Geschenk überreicht hatte, bat ich den Wächter um die Erlaubnis, ein Lied singen zu dürfen.

Zur Freude von Mama und Papa und zum Verdruß des Beamten sang ich alle Strophen von "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit". Nach erneuter Verhaftung ihrer Eltern - der Vater hatte zeitweilig mit ihr in Elgersburg gelebt und in seinem Bauberuf gearbeitet - kam Lore 1927 als Achtjährige ins Kinderheim der Roten Hilfe. Sie blieb im Unterschied zu anderen Heimkindern, die sich jeweils nur vier bis sechs Wochen dort aufhielten, ein volles Jahr. Gemeinsam mit deutschen, bulgarischen und österreichischen Arbeiterkindern verbrachte sie hier eine glückliche Zeit. - Im Anschluß an die Berliner Jahre, an eine Zeit des Lernens in der Moskauer Emigration nahm ihr Schicksal und das ihrer Eltern eine traurige Wende. Trotz ihres aktiven politischen Engagements wurden diese unter falscher Beschuldigung inhaftiert. Der Vater überlebte diese Zeit nicht. Getrennt auch von der Mutter wurde Lore als "Staatenlose" ausgewiesen. Erst 1953, nach Stalins Tod, war sie wieder mit ihrer Mutter vereint.

Beide lebten ab 1957 in der DDR. Lore war in Berlin im Außenhandel tätig. Sie ist heute 90 Jahre alt. Leider hat es ihr Gesundheitszustand nicht erlaubt, die Reise von Berlin nach Elgersburg auf sich zu nehmen.

Ein Schicksal von vielen. Zahlreiche Kinder fanden Halt und Fürsorge im Elgersburger MOPR-Heim, das eigentlich nur in den Jahren 1925 bis 1928 richtig in Betrieb war.

Oft fehlte es an finanziellen Mitteln. 30 bis 60 Kinder aus ärmsten Arbeiterfamilien sowie von Eltern, welche durch die Faschisten inhaftiert waren oder ermordet wurden, erhielten hier eine Unterkunft.

Aufrechterhalten wurde das Heim durch die Solidarität vieler Menschen, durch Geldund Sachspenden. Die Beträge trugen die Genossen im wahrsten Sinne des Wortes pfennigweise zusammen. So sind 85 Jahre MOPR-Heim zugleich auch 85 Jahre Kampf um den Erhalt des Hauses.

Unterstützung fand das Anliegen von Beginn an auch durch Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens mit Rang und Namen. 1926 gründete sich das Kuratorium für Kinderheime der Roten Hilfe, dem u. a. Albert Einstein, Egon Erwin Kisch, Heinrich und Thomas Mann, Paul Österreich und Kurt Tucholsky angehörten.

Einen wesentlichen Anteil zur Rettung der Immobilie nach 1990 hat Elke Pudszuhn, letzte Leiterin des SED-Bezirksparteiarchivs Suhl. Sie schaffte es durch ihren steten Einsatz, daß das Haus heute im Besitz der Partei Die Linke ist. Elke konnte den Kaufvertrag des Villenbesitzers an die Quieta GmbH vorweisen. Dagegen war der Raubzug der Treuhand machtlos.

Gerd Kaisers Chronologie des Heimes ist sehr spannend. Das Buch kann für 10 Euro erworben werden.

Ingolf Schwarze, heutiger Bürgermeister von Elgersburg, ist übrigens ein Enkel von Karl Hager, dem Initiator der Ortsgruppe der Roten Hilfe, dessen bewegtes Leben im Buch und in der Ausstellung breiten Raum einnimmt. Ina Linke, eine Bulgarin, deren Tanten nach der Ermordung des Vaters 1928 mehrere Wochen im Heim verbrachten, hat bereits wiederholt an den Treffen in Elgersburg teilgenommen.

Seit 1996 ist das Haus ein Hotel der Vulkan-Gesellschaft für Grundbesitz mbH. Der ins Leben gerufene Freundeskreis "Kinderheim MOPR" will dort jährlich Veranstaltungen organisieren, denn: "Erinnern heißt Zukunft".

Dagmar Schmidt, Suhl

Raute

Zum vielbeschworenen Meinungsstreit zwischen Lenin und Luxemburg

Ein Adler der Revolution

Aus Anlaß des 140. Geburtstages Lenins erschienen sowohl im ND als auch im RF aufschlußreiche Artikel. Der ND-Beitrag von Karl-Heinz Gräfe gab einige Fakten aus dem Leben Lenins und zur Geschichte Rußlands richtig wieder, bediente aber erwartungsgemäß alle heute üblichen Klischees. Zwar wurde Lenin nicht wie von Wolkogonow als "hundertprozentiger geistiger Vater Stalins" gesehen; er habe aber den "Stalinismus" begünstigt, für den Gräfe den Begriff "mörderischer Kriegskommunismus" erfand. Er verschwieg, daß es die gestürzten russischen Ausbeuter und die Interventen aus 14 kapitalistischen Staaten, darunter Deutschland, waren, die nicht etwa freundschaftliche Ratschläge erteilten, wie man mehr Demokratie wagen könne, sondern das Land in einen blutigen Krieg stürzten. Laut Gräfe hat Lenin bis zu seinem Tod keinen Zugang zum Demokratieverständnis Rosa Luxemburgs gefunden. Dabei gab es zwischen beiden weit mehr Übereinstimmung, als mancher heute wahrhaben möchte, der aus Luxemburgs Schriften das herausgreift, was gerade in seine Linie paßt.

Götz Dieckmann zeichnet in seinem "RotFuchs"-Beitrag ein zu undifferenziertes Bild von Lenin. Daß er auf jede kritische Bemerkung verzichtet, mußte nicht sein. Das sollte natürlich nicht aus der Sicht der heute alles besser Wissenden geschehen. Doch ich meine schon, daß Rosa Luxemburg zu Recht kritisierte, wenn Lenin und Trotzki aus der speziellen Unzulänglichkeit der im Oktober 1917 zusammengetretenen Konstituierenden Versammlung Rußlands den Schluß zogen, solche Gremien seien grundsätzlich überflüssig. Sie zeigte durchaus Verständnis für die Ausnahmesituation Lenins und der Bolschewiki, wenn sie feststellte, daß diese sicher anders vorgehen würden, wenn sie nicht unter dem furchtbaren Zwang des Weltkrieges, der deutschen Okkupation und aller damit verbundenen abnormen Schwierigkeiten litten, die jede von den besten Absichten und den schönsten Grundsätzen erfüllte sozialistische Politik verzerren müßten. Es hieße von Lenin und Genossen Übermenschliches zu verlangen, meinte sie, "wenn man ihnen auch noch zumuten wollte, unter solchen Umständen die schönste Demokratie, die vorbildlichste Diktatur des Proletariats und eine blühende sozialistische Wirtschaft hervorzuzaubern".

Mit scharfen Worten geißelte Rosa Luxemburg die deutschen Regierungssozialisten. Sie hätten ihre "sogenannten Köpfe verloren" und die russischen Genossen allein gelassen. Sie könnten ruhig schreien, die Herrschaft der Bolschewiki in Rußland sei ein Zerrbild der Diktatur des Proletariats. "Wenn es so wäre, dann eben nur, weil sie ein Produkt der Haltung des deutschen Proletariats ist, die als ein Zerrbild des sozialistischen Klassenkampfes angesehen werden kann." Rosa Luxemburg äußerte eindeutig: "In dieser Situation gebührt denn der bolschewistischen Richtung das geschichtliche Verdienst, von Anfang an diejenige Taktik proklamiert und mit eiserner Konsequenz verfolgt zu haben, die allein die Demokratie retten und die Revolution vorantreiben konnte." Das sei allen heutigen und früheren "Demokraten", die sich so gern auf Rosa Luxemburg berufen, ins Stammbuch geschrieben.

Sie hatte nach meiner Auffassung unrecht, wenn sie kritisierte, daß die Bolschewiki das Dekret über den Grund und Boden verwirklichten und die Bauern Land erhielten. Das Gleiche trifft zu, wenn Rosa Luxemburg das von den Bolschewiki propagierte Selbstbestimmungsrecht der "fremden Nationen im Schoße des Russischen Reiches" in Frage stellte.

Lenin kritisierte, was er aus seiner Sicht für Irrtümer Rosa Luxemburgs hielt und schrieb zugleich: "Aber trotz aller dieser ihrer Fehler ist sie ein Adler, und nicht nur die Erinnerung an sie wird den Kommunisten der ganzen Welt immer teuer sein, sondern ihre Biographie und die vollständige Ausgabe ihrer Werke werden eine sehr nützliche Lehre sein bei der Erziehung vieler Generationen von Kommunisten in der ganzen Welt."

Dr. Kurt Laser, Berlin

Raute

Abc des Marxismus

Wie entsteht eigentlich Mehrwert?

Ende November 1857 gelingt Karl Marx seine zweite große Entdeckung: Er ertappt die Mehrwerträuber auf frischer Tat. Marx enthüllt das spezielle Entwicklungsgesetz der kapitalistischen Gesellschaft und verwandelt dadurch den historischen Materialismus endgültig aus einer genialen wissenschaftlichen Hypothese in eine auch ökonomisch allseits untersetzte Theorie. Ein die notwendige Konsumtion und den Ersatz verbrauchter Produktionsmittel übersteigendes Mehrprodukt gab es schon in den früheren Klassengesellschaften. Die Aneignung durch die herrschenden Klassen beruhte auf unverhüllter Gewalt. Im Kapitalismus dagegen schließt der produktiv Tätige mit dem Ausbeuter einen Vertrag, der einen scheinbar gleichwertigen Austausch von Arbeit gegen Lohn zum Inhalt hat. Verfällt man diesem Trugbild, läßt sich nicht entschlüsseln, wie Mehrwert zustande kommt.

Mehrwert entsteht ursächlich nicht durch Handel und schon gar nicht, weil das Geld angeblich "arbeitet". Es gibt auf dem kapitalistischen Markt nur eine Mehrwert produzierende Ware: Das ist die Arbeitskraft.

Marx deckt auf: Der Kapitalist bezahlt nicht die Arbeit, sondern lediglich jenen Teil der Arbeitszeit, der für den Erhalt der Arbeitskraft, die künftige Bereitstellung von Arbeitenden und für die Aufrechterhaltung kapitalistischer Zustände zwingend erforderlich ist. Die Mehrarbeit in den restlichen Arbeitsstunden eignet er sich ohne Gegenleistung an.

Geld wird erst zu Kapital, wenn es in der Produktion mit dem Ziel eingesetzt wird, Profit zu machen. Der Kapitalist kauft Rohstoffe, Maschinen, Gebäude usw. Das ist "konstantes Kapital". Es geht im Produktionsprozeß lediglich in den Wert der hergestellten Waren ein. Es kann also folgerichtig auch keinerlei Mehrwert hervorbringen. Nur der Kapitalanteil, der für lebendige produktive Arbeit verwendet wird - sei sie vorwiegend manueller oder wissenschaftlich-technischer Natur - vermag das. Diesen Teil kennzeichnet Marx deshalb als "variables Kapital". Die Kapitalisten sind nun durch die Konkurrenz untereinander gezwungen, menschliche Arbeit mehr und mehr durch Maschinen zu ersetzen. So wird die Arbeitsproduktivität gesteigert. Das ist die positive Seite dieses Vorgangs. Aber damit wächst zugleich das konstante Kapital zu Lasten des variablen. Der Kapitalist ist also - bei Strafe seines Untergangs - genötigt, ständig aus dem relativ kleiner werdenden variablen Teil des Gesamtkapitals größeren Mehrwert herauszupressen. Dieser Zwang verschärft sich unter den heutigen Bedingungen der "Globalisierung". Wo er kann, verlängert der Kapitalist die Arbeitszeit, um den Anteil der ihm kostenlos zufallenden Arbeitsstunden zu erhöhen. Vor allem jedoch zwingt er die Lohnabhängigen zu höherer Arbeitsintensität. Wer nichts besitzt als seine Arbeitskraft und zudem ständig mit der Angst leben muß, sie nicht "verwerten" zu können, lebt in Lohnsklaverei. Kapitalistische Mehrwertproduktion heißt auf dem Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln fußende Unterjochung.

Privateigentum und Ausbeutung sind Zwillinge. Bereits drei Jahrhunderte vor Marx' Lebzeiten war in Thomas Morus' "Utopia" zu lesen: "Bei Gott, wenn ich das alles überdenke, dann erscheint mir jeder der heutigen Staaten nur eine Verschwörung der Reichen, die unter dem Vorwand des Gemeinwohls ihren eigenen Vorteil verfolgen und mit allen Kniffen und Schlichen danach trachten, sich den Besitz dessen zu sichern, was sie unrecht erworben haben, und die Arbeit der Armen für so geringes Entgelt als möglich für sich zu erlangen und auszubeuten."

RF

Raute

Stärker als die Nacht

August 1964. Wanzleben. Veteranenklub der Volkssolidarität. Hier sind Schreibende Arbeiter versammelt. Sie haben sich Gäste aus drei Ländern - Vertreter von vier Generationen - zum Gespräch eingeladen.

Da ist das alte Ehepaar Gangl aus Hadmersleben. Höhepunkt ihrer Jugend waren die Jahre nach der Oktoberrevolution. Beide erlebten sie als Kämpfer der Roten Armee diesseits und jenseits des Urals, gegen Weiße und Interventen.

Ernst Päslack sitzt unter uns. Sein erster Prozeß fand 1932 vor dem Reichsgericht in Leipzig statt. "Für den Anfang" erhielt er neun Monate Festungshaft. Bis 1945 wurde er siebenmal eingekerkert.

Hermann Böhm nimmt den Platz neben ihm ein. Schon 1935 stand er vor dem "Volksgerichtshof". Damals kam er mit "nur" zwei Jahren Zuchthaus davon. Es folgten vier Jahre KZ-Haft in Buchenwald.

Dritter der Männer ist Hans Sternberg, ein gestandener und in vielen Kämpfen bewährter Internationalist.

Der Vierte im Bunde: Raymond van de Flaeß, ein Student aus Paris, 18 Jahre alt. Jedes Jahr besucht er die Großeltern in der DDR. Er schwört auf einen seiner Lehrer: "Ein echter Kommunist", begeistert er sich. Der Junge paßt in unsere Runde.

Im Mittelpunkt aber steht Malina Krzymisk. Sie ist in Lodz zu Hause. Inzwischen 81, war sie als 19jährige eine Mitkämpferin der russischen Revolution von 1905. Zwei Jahre später wurde sie zum ersten Mal verhaftet, dann wie Vater und Schwester nach Sibirien verbannt. Im Gefängnis lernte sie ihren Mann kennen. Der starb als Verbannter.

Monate war Malina mit 800 politischen Gefangenen eingekerkert. Fünf Tage standen sie alle im Hungerstreik. Welches Feuer brennt noch in dieser Frau!

Und dann ist noch Marta Reichelt bei uns zu Gast. Eine Magdeburgerin. 1932 war Heinrich, ihr Mann, auf eine Schule nach Moskau delegiert worden. Sie ahnte nicht, daß sie ihn nie wiedersehen würde.

Ein Jahr später kamen die Faschisten in Deutschland an die Macht. Marta führte nun den Kampf ihres Mannes weiter. Sie gab sich als Ehefrau politischer Gefangener aus, besuchte diese, machte ihnen Mut, richtete sie auf, wenn sich beispielsweise die eigene Lebensgefährtin unter dem Druck der Repressalien von ihnen abgewandt hatte.

1934 verhaftet, saß Marta 2 ½ Jahre im Zuchthaus Jauer. Nichts wußte oder hörte sie in dieser Zeit von ihrem Mann. Man entriß sie ihren Kindern. Nach der Entlassung wurde sie zur Arbeit in einer Nitrolack-Fabrik dienstverpflichtet. Das war eine Giftküche. Die anderen Frauen dort konnten berichten, selbst schon gesessen zu haben oder die Männer in Haft zu wissen. Sie suchte Kontakt zu französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen, half solidarisch, wo sie nur konnte und berichtete ihnen vom Frontverlauf.

Im April 1941 abermals festgenommen, verbrachte Marta ein Jahr in Einzelhaft. Ende 1942 überstellte man sie nach Ravensbrück. Zu Not und Entbehrungen des Lagerlebens kamen die Schikanen der Aufseherinnen und die zermürbenden Gedanken an Mann und Kinder.

Als mit dem Vormarsch der Roten Armee der Tag der Befreiung näherrückte, wuchsen Hoffnung und Bangen. Immer öfter träumte sie von einer Phase der Ruhe und Erholung im Kreis der Familie.

Am Ende überlebte sie die Hölle des Lagers und kehrte nach Magdeburg zurück. Die Stadt war zerstört, ihr Haus ein Trümmerberg. Sie schleppte sich zu den Genossen: "Wo sind meine Kinder?" lautete ihre angstvolle Frage. Doch keiner der Mitstreiter erkannte die Frau, so elend, wie sie war. Überdies hatten die Faschisten 1944 ihren Tod gemeldet.

Schließlich erfuhr Marta: Die Kinder waren in Bayern. Ihren Mann aber hatte der Freislersche "Volksgerichtshof" im April 1943 zum Tode verurteilt. Knapp drei Monate später erfolgte in Plötzensee die Hinrichtung. Seine letzten Worten wurden überliefert: "Es lebe die Sowjetunion!"

Heinrich Reichelt, 1901 geboren, gehörte schon 1916 zum Spartakusbund. 1919 trat er in die KPD ein. Die Weimarer Klassenjustiz verurteilte ihn zu zwei Jahren Zuchthaus. Nach Hitlers Machtantritt verhaftet, konnte er emigrieren. Doch er kam nicht weit genug. Im Januar 1940 nahm ihn die Gestapo in Holland fest.

Für Marta gab es nach dem Sieg über die Faschisten keine Verschnaufpause. Die Elbestadt und deren überlebende Bewohner forderten sie total. Sie stellte sich ganz und gar den Aufgaben jener Tage.

"Ich arbeitete im Sozialamt. Grenzenlos waren die Not und das Elend, die wir meistern mußten", sagte sie an jenem Tag in Wanzleben. Sie beendete ihren Bericht mit den Worten: "Das war die harte Wirklichkeit unserer jungen Freiheit."

Karl Schlimme

Dieser Text des Schreibenden Arbeiters wurde 1975 verfaßt.

Raute

Thälmann ist niemals gefallen

Abseits von "Heldenverehrung", abseits aber auch von antikommunistischen "Enthüllungen" neuerer Zeit würdigen Eberhard Czichon und Heinz Marohn den deutschen Arbeiterführer. Sachlich und historisch genau, manchmal minutiös und gerade deshalb spannender als mancher Krimi liefert ihr Report Schlüssel zum Verständnis von Leben und Wirken Thälmanns in seiner Zeit und der wechselseitigen Einflüsse zwischen ihm, seiner Partei und der kommunistischen Weltbewegung.

Akribisch durchforsteten die Autoren die Archive, und manches bislang nicht oder wenig Bekannte sorgt für neue Klarheit. Angedeutet seien an dieser Stelle nur ein persönlicher Brief Ruth Fischers an Stalin, auf das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) einzuwirken, Thälmann abzulösen, oder eine Rede August Brandlers (KPO) kurz vor dem Hamburger Aufstand, die das deutsche Innenministerium genüßlich zu Kenntnis nahm.

Manche Legende aus verschiedenster politischer Richtung hielt der Überprüfung nicht stand. Bisher unbekannte Dokumente zur Kenntnis zu nehmen bedeutete für die Autoren nicht - wie bei Klaus Kinners sogenannter neuer Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus - Zugeständnisse an den Antikommunismus in der BRD zu machen.

Czichons und Marohns Buch ist auch wegen der aktuellen Ereignisse um die Thälmann-Gedenkstätte in Ziegenhals, bei denen leider Brandenburger Funktionäre der Partei Die Linke keine rühmliche Rolle spielten, von besonderer Bedeutung für alle, die sich ernsthaft mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung beschäftigen.

Konstantin Brandt

Eberhard Czichon/Heinz Marohn, unter Mitarbeit von Ralph Dobrawa: "Thälmann - Ein Report",
2 Bände im Schuber, Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2010; 1184 Seiten, 32 Euro

Raute

Wie links und rechts Standortbegriffe der Politik wurden

Positionsbestimmung

Der Begriff links als Positionsbestimmung hat eine lange Geschichte. Er wurde immer wieder als Titel für Bücher mit mehr oder weniger deutlicher ideologischer Kontur durch Literaten und Politiker verwendet. Drei Beispiele: 1999 hat Oskar Lafontaine mit seinem Buch "Das Herz schlägt links" jene Entwicklung vorangetrieben, die dann zur Gründung der WASG und schließlich zum Entstehen der Partei Die Linke geführt hat. Lange vor ihm, bereits 1952, veröffentlichte der Schriftsteller Leonhard Frank sein romanhaftes Bekenntnisbuch "Links, wo das Herz ist". Darin drückte er das aus, was Millionen empfinden, wenn sie das Wort links hören oder benutzen. Vor Lafontaine und Frank schrieb Fenner Brockway, einer der Führer des linken Flügels der britischen Labour Party, den Situationsbericht "Inside the Left" (Innerhalb der Linken). Er beschäftigt sich mit Fragen der internationalen Arbeiterbewegung und damit verbundenen Problemen des eigenen Landes. 1947 erschien das Buch auch in einer deutschen Ausgabe.

Die deutschen Faschisten erklärten links zum Inbegriff allen Übels und betrachteten die Linke als auszurottenden Todfeind. Ihre Nachfolger handeln im selben Geist und schüren den Haß auf linkes Ideengut. Sie tun das auch sprachlich. Bekannt sind Negativbezeichnungen wie "linke Tour" oder "das ist ein linkes Ding". Damit will man einen positiv besetzten Begriff, der mit der Hoffnung auf Fortschritt und gesellschaftliche Veränderungen verbunden ist, in sein Gegenteil verkehren. Wirksamste Abwehr solcher Attacken ist eine konsequent linke Politik ohne faule Kompromisse.

Doch nun zu den historischen Wurzeln des Begriffspaares links und rechts. Politisch wurde es zuerst in Frankreich eingeführt. Am 21. September 1789 saßen bei der Debatte der Verfassunggebenden Versammlung über das Vetorecht des Königs gegen die Beschlüsse des Nationalkonvents (Parlament) die Bejaher zufällig rechts, während die Verneiner dieser Forderung als Verfechter uneingeschränkter Volkssouveränität auf der linken Seite des Hauses Platz genommen hatten.

Dann sprachen Redner der "Rechten" und der "Linken". So vermerkte es das Protokoll.

Der ständige Gebrauch von rechts und links als Bestandteil des politischen Vokabulars ist erst nach 1815 erwiesen. In dem von Adel und Geistlichkeit beherrschten Parlament sah man die wenigen Vertreter der liberalen Bourgeoisie gewohnheitsmäßig auf den linken Plätzen.

Nach der Juli-Revolution 1830 wurde in Frankreich "links" dann zu einem ständigen Terminus. Dessen sozialer und politischer Inhalt verschob sich mit der Herausbildung der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Organisationen. Während 1848 in Deutschland die Linken noch kleinbürgerliche Demokraten waren, nahm August Bebel als Parteiführer der Sozialdemokraten und erster in den Norddeutschen Reichstag gewählter Arbeiter demonstrativ einen Sitz auf der äußersten Linken ein. Noch weiter nach links zu rücken, verhindere nur die Wand, sagte er.

In der deutschen Sozialdemokratie haben später die Revisionisten, die 1914 den kaiserlichen Kriegskrediten zustimmten, den Sieg davongetragen. Die durch Marx und Engels, Liebknecht, Bebel und Mehring geprägte Position der Partei als Vertreterin der Interessen des Proletariats wurde damit aufgehoben.

Neue revolutionäre Kräfte formierten sich. Die durch die Rechtsopportunisten hervorgerufene Spaltung der Bewegung führte zur Gründung der KPD von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Auch unter Thälmann saßen die Kommunisten im Reichstag und in den Landtagen ganz links.

Obwohl für Revolutionäre die Zugehörigkeit zum bürgerlichen Parlament alles andere als ein Nonplusultra ist, muß dessen Tribüne natürlich für den Klassenkampf genutzt werden. Das hat uns August Bebel vorgemacht. Wirklich linke Politik besteht darin, nach gründlicher Analyse der jeweiligen Situation den Kampf um die Tagesinteressen der Massen mit der Perspektive einer revolutionären Überwindung des Kapitalismus zu verbinden. Da zählen keine linken Phrasen und scheinradikalen Parolen. Linke Politik muß glaubwürdig sein und von den Menschen als ihre eigene Angelegenheit erkannt werden.

Wolfgang Runge, Hamburg

Raute

Nestbeschmutzer

Wer einmal lügt ... beginnt ein bekanntes deutsches Sprichwort. Man könnte den Satz auch umdrehen: Wer einmal die Wahrheit sagt, der kann sonst noch so sehr gelogen haben - man wird ihn immer daran festnageln.

Horst Köhler, Anführer der Treuhand-Plünderer und Spitzenvertreter von Monopolinteressen - als Direktor des Internationalen Währungsfonds war er es sogar weltweit -, hat nach seiner von den Ackermanns und Hundts als Nestbeschmutzung empfundenen Banker-Schelte ein zweites Mal die Katze aus dem Sack gelassen. Unverblümt teilte er mit, worum es in Afghanistan tatsächlich geht. Statt die Freiheitsfahne des Herrn Struck zu schwenken, sprach er nackt und kahl von "Interessen, Zugangswegen und Absatzmärkten", deren Sicherung hier zur Debatte stehe. So geriet er ins Fadenkreuz der eigenen Leute. War es Dummheit oder plötzliche Eingebung?

Die Kriegseinpeitscher mit den Friedensmasken haben ihren Präsidenten jedenfalls zunächst an- und dann abgeschossen. Die Lehre: Niemand darf im Aufdecken gezinkter Karten zu weit gehen. Wer aus der Reihe tanzt, stolpert über tausend Fallstricke. So gab man Köhler wohl den Rat, sich ohne viel Trara selbst aus dem Verkehr zu ziehen. Kein Grund zu Trauer oder Mitleid. Nur ein Indiz mehr, daß Offenbarungsdrang unter Imperialisten nicht gern gesehen wird.

K. S.

Raute

Wie Güstrows Pädagogische Hochschule plattgemacht wurde

Als Wutzke zuschlug

Der erste "Kulturminister" Mecklenburg-Vorpommerns nach dem Anschluß der DDR an die BRD hieß Wutzke und war Pfarrer. Immerhin wurde eine Maßeinheit nach ihm benannt: Ein Wutz galt für die Entfernung zwischen zwei Fettnäpfen, in die man treten konnte. Zu seinen ersten Tretspuren zählte ein Besuch an der Pädagogischen Hochschule Güstrow. Im überfüllten großen Hörsaal verkündete er vor Mitarbeitern und Studenten sein schulpolitisches "Konzept": Er sagte der Einheitsschule den Kampf an und plädierte für eine Rückkehr zur Schule in jedem Dorf. Wutzke fand Mehrstufen-Unterricht attraktiver als die Fahrerei zu zentralen Schulstandorten. Natürlich erntete er Widerspruch und stieß auf Gelächter.

Der Pfarrer reagierte empfindlich. Auch seine beamteten Begleiter sahen in der Stimmung einen Beweis dafür, daß die PH Güstrow "rot" sei. Erschwerend wirkte sich überdies aus, daß der Rektor dem Minister keinen Stuhl angeboten hatte, weil er es von sich und seinen Hochschullehrern gewohnt war, ohne Sitzgelegenheit am Vorlesungspult zu agieren. Der Einstand war vermasselt. Monate später entschied Wutzke, die Hochschule aufzulösen.

Anderswo im Osten reagierte man weniger gereizt und ließ die Pädagogischen Hochschulen weiterbestehen oder verwandelte sie gar - wie in Potsdam und Erfurt - in universitäre Zentren. Der Güstrower Einrichtung wurde gerade noch soviel Zeit gelassen, ihre Studenten in die Universität Rostock einzugliedern und die Mitarbeiter über eine Evaluierungskommission mehrheitlich abzuwickeln. Als Gegenstück zur PH schuf man eine Verwaltungsfachhochschule. Deren erster Leiter befand nach kurzer Einarbeitung, daß die Bibliothek, die bereits 1980 mehr als 100.000 Bände umfaßte, für seine künftigen Polizisten und Beamten ungeeignet sei. In der "Schweriner Volkszeitung" war bald darauf zu lesen, der Leiter wolle einem Studenten des 2. Studienjahres aus Rostock einen Großteil der Bücher für eine private Leihbibliothek überlassen. Als ich daraufhin telefonisch um eine Erklärung zu der Zeitungsnotiz bat, bestätigte man mir, die Mitteilung entspräche den Absichten und Tatsachen. Ich erwiderte nur, ich hielte den Vorgang für eine unglaubliche Schweinerei. Übrigens habe ich mich damals an die Güstrower SPD und PDS mit der dringenden Bitte gewandt, gegen die Vernichtung der Hochschulbibliothek zu protestieren. Beide Parteien schwiegen sich aus. Unglaublich, zumal sich frühere Mitarbeiter der PH inzwischen in die eine oder andere eingeschrieben hatten.

Unsere Bibliothekarinnen waren entsetzt und fragten per SVZ an, ob sich denn wenigstens das Archiv zur Geschichte des Hauses retten ließe. Von Rettung muß wirklich gesprochen werden, denn wer damals in die Hochschule kam, stieß in den verlassenen Räumen auf ganze Berge von Dissertationen und Diplomarbeiten, die für den Reißwolf bestimmt waren.

Aus ähnlicher Erfahrung schrieb Erwin Strittmatter in seinem letzten Werk "Vor der Verwandlung", daß "Bücher ... hie und da, nachdem uns der Kanzler die Einheit geschenkt hatte, aus Bibliotheken auf die Straße oder in den Abfallcontainer geworfen wurden ... Dieser Vorgang", sagte er, "machte mich nachdenklich und erinnerte mich an eine gewisse Bücherverbrennung. Aber ein junger, aufstrebender Kritiker ... fuhr mich barsch an und verdächtigte mich sogleich politisch, weil ich, wie er meinte, zwischen Bücherverbrennung und Büchervermüllung ein Gleichheitszeichen gesetzt hätte."

Der Kulturbund, der sich 1990 wieder als Landesverband konstituiert hatte, bot sich in dieser prekären Situation als Retter an. Er erklärte sich zum Erben und Sachwalter des Güstrower Hochschularchivs. In den folgenden Monaten entstand die Idee, dieses nicht nur zu hüten, sondern auch für eine Publikation zur Geschichte der PH zu nutzen. An dieser beteiligten sich 36 Kolleginnen und Kollegen, 17 von ihnen Professoren.

"Die Lehrerbildungsstätte in Güstrow stellte über vier Jahrzehnte einen nicht unbedeutenden Bestandteil der Stadt und ihrer Geschichte dar. Die vorliegende Schrift soll einige der bei der Ausbildung der Lehrer-Studenten und in der Forschung erbrachten Leistungen dokumentieren", heißt es im Vorwort der Schrift.

Das Haus Goldberger Straße 12 wurde 1938 von den Nazis als Lehrerbildungsanstalt eröffnet. Ab 1949 diente es der DDR. In jenem Jahr wurde mit der einjährigen Ausbildung von Lehrern begonnen.

Damals registrierte man 373 Absolventen. 1950 entstand das Institut für Lehrerbildung für eine zunächst zwei-, dann dreijährige Ausbildung. Jährlich konnte man mit etwa 400 Absolventen rechnen, die als Lehrer für die Klassen 1 bis 8 vorgesehen waren. 1953 wurde das Pädagogische Institut mit Hochschulcharakter eingerichtet. Hier waren Ende der 60er Jahre jeweils bis zu 2000 Direkt- und Fernstudenten in einer Reihe von Fachkombinationen immatrikuliert. Der nächste Schritt: 1972 erhielt das Haus den Rang einer Pädagogischen Hochschule. Damit waren die Gründung von Fakultäten sowie das Diplom- und Promotionsrecht verbunden. Nun verließen jährlich etwa 250 Diplomlehrer für die Klassen 5 bis 12 die Einrichtung. Gründungsrektor war übrigens der inzwischen verstorbene Prof. Dr. sc. phil. Hans Lutter, der jahrelang zum RF-Autorenkreis gehörte.

Beim fünfjährigen Direktstudium, das ab 1983 eingeführt wurde, bestanden folgende Kombinationen gleichberechtigter Hauptfächer: Biologie/Chemie; Chemie/Mathematik; Mathematik/Physik; Polytechnik; Deutsch/Russisch; Staatsbürgerkunde/Deutsch.

Seit 1974 fanden die Güstrower Hochschultage mit zehn und mehr Konferenzen statt, an denen zeitweilig über 1000 Wissenschaftler teilnahmen. Die PH besaß das Promotionsrecht zum Dr. paed., Dr. rer. nat. und Dr. phil., seit 1980 auch das Recht, Habilitationsverfahren durchzuführen. Jährlich wurden bis zu 30 Dissertationen verteidigt. Zwei eigene Zeitschriften erschienen, wobei die Publikationsleistungen der Mitarbeiter weit über die Grenzen des eigenen Landes hinaus Anerkennung fanden.

In der Güstrower Hochschule wirkten etwa 90 berufene Hochschullehrer, darunter 50 Professoren. 1989 wurden 444 Zeitschriften und andere Periodika gehalten, davon 190 ausländische und westdeutsche.

Was den Betrieben die alles zerstörende Treuhand war, nannte man an den Hochschulen "Evaluierung". In seinem Buch "Ein weites Feld" schildert Günter Grass einen solchen Vorgang: "Freundlich bangt in Jena um seine Professur. Man habe vor, sagt er, alle Universitäten nach westlichem Maß zu evaluieren, was ... vergleichbar mit den Folgen der Währungsunion - zu einer Wertschätzung auf Null führen werde. Ferner sagt er - und ich stimme ihm zu -, nach den Regeln der bevorstehenden Einheit müsse, um diese als Sieg des Kapitalismus zu rechtfertigen, nicht nur jegliches Produkt unserer Machart, sondern auch alles östliche Wissen als nichtsnutz ausgewiesen werden."

Prof. Dr. Benno Pubanz, Güstrow

Raute

Agrarkapitalisten errichteten Gedenkstein für "LPG-Opfer"

Steckten die Genossenschaftsbauern der DDR in einer Zwangsjacke?

Im April fanden in Kyritz zwei Konferenzen zur sozialistischen Umgestaltung in der Landwirtschaft der DDR statt. Das Thema eignete sich für einen Ost-West-Vergleich. Die "Beratung" des Christlichen Bauernverbandes - einer CDU-nahen Gruppierung von Agrarkapitalisten - erging sich in wüsten Beschimpfungen, wobei von "kommunistischen Verbrechen" die Rede war. Zum Höhepunkt erklärte man hier die Enthüllung eines "Gedenksteins für die Opfer der LPG". Die Einschätzung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die bei der zweiten Veranstaltung den Hut auf hatte, war eine Mischung aus Zustimmung und kritischer Distanzierung. Das konnte man einem ND-Bericht am 14. April entnehmen.

Angesichts des Abbruchs der sozialistischen Entwicklung in der Landwirtschaft der DDR blieben Meinungsverschiedenheiten nicht aus. Auffällig und unerfreulich war indes die Sprachregelung, die sich oft mit dem Vokabular des politischen Gegners deckte (Zwangsvereinigung, verordneter Antifaschismus, Zwangseintritt in die LPG usw.). Auch die Abgeordnete Kirsten Tackmann (Die Linke) verwandte unter Bezug auf die Gewinnung der Bauern für die LPG Begriffe wie "Gesinnungsterror" und "Hineinpressen". Der Geschäftsführer der brandenburgischen Rosa-Luxemburg-Stiftung stellte ebenfalls "Zwangselemente" heraus. Es bestehe kein Zweifel, daß der Eintritt in die LPG "nicht freiwillig erfolgt" sei.

Sicher gab es auch Züge des "Nachhelfens" bei zögernden oder widerstrebenden Bauern. Die Verfälschung der Wahrheit aber besteht darin, daß Einzelfälle willkürlich verallgemeinert werden, um dadurch ein irreführendes Gesamtbild entstehen zu lassen.

Ein im ND-Artikel zitierter LPG-Vorsitzender erklärte im Namen der überwiegenden Mehrheit ehemaliger Genossenschaftsbauern, die LPG-Jahre seien die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Eine solche Haltung ist verständlich, weil Resultate dieser Art erstmals in der langen Geschichte des Kampfes der Fronbauern, Dorfarmen und Landarbeiter sowie der Klein- und Mittelbauern erreicht worden sind. Es erwies sich als umwälzend, daß die Lebensbedingungen auf dem Dorf denen in der Stadt weitgehend angeglichen werden konnten. Die Doppel- und Dreifachbelastung der Bäuerin wurde Schritt für Schritt überwunden. Auch Kirsten Tackmann führt wichtige Errungenschaften an, die vom Entstehen der LPG nicht zu trennen sind: den erstmaligen Urlaub, die geregelte Arbeitszeit, das leistungsabhängige Einkommen mit Prämien, die Sorge um das Dorfleben als Ganzes, die Einrichtung von Kindergärten und Konsumgeschäften, die Unterstützung des Wohnungsbaus für junge Leute, die Entsendung der Söhne und Töchter von LPG-Bauern auf Fach- und Hochschulen, die Schaffung von Ferienheimen, Kulturhäusern und Gaststätten, die Förderung von ländlichen Sportgemeinschaften. All das erfolgte natürlich nicht konfliktlos und mit unterschiedlichem Entwicklungstempo. Der Wandel eröffnete vor allem der nachfolgenden Generation eine gesicherte Perspektive und förderte die Heimatverbundenheit der Dorfbevölkerung zu einer Zeit, als der bäuerliche Nachwuchs in der Alt-BRD bereits zu einem großen Teil die Höfe verließ. Die zwischen 1952 und 1989/90 gesammelten Erfahrungen besitzen bis heute großen Wert, wenn sich auch die soziale Basis auf dem Lande inzwischen verändert hat. Ein beachtlicher Teil der früheren Genossenschaften besteht trotz staatlicher Einschränkungsmaßnahmen in anderer Rechtsform weiter.

Unablässig ist seit dem Anschluß der DDR an die BRD in den Medien von "desolaten Zuständen bei ehemaligen LPG" die Rede. Es geht offensichtlich darum, die alten Zeiten der ländlichen Privatwirtschaft aufzuwerten. Tatsächlich haben nicht wenige wiedereingerichtete Einzelbauernbetriebe beachtliche Ergebnisse erzielt. Der Preis ist in der Regel eine überdurchschnittliche Belastung. Der mir aus meiner früheren Tätigkeit gut bekannte Bezirk Potsdam kommt jedoch nicht an die Leistungen vor 20 Jahren heran: weniger Nutzfläche, weniger Tiere, weniger Kartoffeln, weniger Futter, weniger Betriebe für die Produktion, dafür mehr Ölsaaten für die Bio-Kraftstofferzeugung und "Reiterhöfe" in Massen! Und das alles in einer Welt, in der Milliarden Menschen Hunger leiden müssen!

Die Feststellung im ND-Artikel, heutige Funktionsträger müßten beklagen, daß "die ehemaligen Errungenschaften auf diesem Gebiet gestorben sind", ist durchaus zutreffend. Sie deutet darauf hin, daß die mit der Bodenreform und der Bildung der LPG geschaffenen gesellschaftlichen Grundlagen nunmehr fehlen. Ausgehend von der Enteignung der Großagrarier und Junker, deren spezifische Rolle bereits im Potsdamer Abkommen zur Anklage stand, entwickelten sich das Bündnis von Stadt und Land, die Solidarität zwischen Arbeitern und Bauern, staatliche und gesellschaftliche Hilfe beim Neuanfang wie bei der Schadenskompensation von Ausfällen durch Naturgewalten. Der allmähliche Übergang zu industriellen Produktionsmethoden und die Schaffung von Kooperationskomplexen bei voller Selbständigkeit jeder LPG verliefen erfolgreich. Heftige Meinungsverschiedenheiten gab es aber z. B. in der Frage der Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion. Die dazu geführten Aussprachen verliefen aber in der Regel ruhig und sachlich.

Die Erfolgsserie der sozialistischen Umgestaltung in der Landwirtschaft mußte 1990 jäh abgebrochen werden. Mit besonders bösartiger Demagogie, die bis heute anhält, fiel man über die LPG-Bauern und die Arbeiter der volkseigenen Güter her. Gerüchte aller Art wurden ausgestreut, sogenannte Rechtsberater eilten von Dorf zu Dorf. Nicht wenige erprobte Fachleute gingen in den Westen, während Immobilienhaie ostwärts strömten. Die meisten Bauern aber blieben an Ort und Stelle.

Ein besonders schmerzliches Kapitel des plötzlichen Rückfalls lieferte das Havelländische Obstanbaugebiet vor den Toren Berlins. Durch die Intensivierung der Produktion hatte es unter sozialistischen Bedingungen einen beispiellosen Höhenflug genommen. Hier wurde auf großen Flächen in Zusammenarbeit von Gärtnerischen Produktionsgenossenschaften, LPG und VEG ein Zentrales Jugendobjekt mit etwa 1000 Lehrlingen eingerichtet.

Die Genossenschaftsgärtner erzeugten im Jahr bis zu 140.000 t Äpfel, Tausende Tonnen Kirschen und Erdbeeren, überdies Spargel und Blumenkohl. Hier erfolgte der Nachweis des richtigen Weges durch höhere Produktion. Mit dem Ende dieser Entwicklung ging der Anbau von Obstgewächsen spürbar zurück. Auch dieses Beispiel zeigt, wer von wem "übers Ohr gehauen" wurde.

Die Geschichte der LPG ist alles andere als eine "Zwangsjacken-Story". Nach meiner Überzeugung sind es die Erfahrungen der Genossenschaften in der DDR auf jeden Fall wert, bei der Aussprache über das Parteiprogramm der Linken berücksichtigt zu werden.

Hans Nieswand

Unser Autor war Sekretär für Landwirtschaft der SED-Bezirksleitung Potsdam

Raute

Wie die revolutionäre Vorhut zur aufgeschwemmten "Volkspartei" wurde

Masse statt Klasse

Im RF wird viel und oft über die Ursachen unserer Niederlage nachgedacht. Aufschlußreich fand ich in diesem Zusammenhang den Leserbrief von Ewa Babarnus in der April-Ausgabe. Sie erwähnt unsere Verantwortung, nachfolgenden Generationen zu erklären, wie es zur Beseitigung des Sozialismus gekommen ist. Da reicht es nicht, immer wieder vom Verrat Gorbatschows oder Schabowskis zu reden. Deren Rolle liegt ohnehin auf der Hand. Ewa Babarnus schreibt, daß die SED durch "unzählige Mitläufer, denen es nur um ihre persönlichen Vorteile ging ­..." verwässert worden sei. Damit hat sie nicht unrecht. Ich bin allerdings davon überzeugt, daß wir in dieser Frage tiefer loten müssen. Meine Erfahrung besagt, daß die Masse solcher "Mitglieder" weder in die Partei wollte noch in sie gehörte.

Ich selbst bin 1951 als Kandidat in die SED aufgenommen worden. Damals mußte man noch den Nachweis erbringen, diesen Schritt aus wirklicher Überzeugung tun zu wollen. Mir war es eine Ehre, jener Partei anzugehören, welche es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Führung beim Aufbau der DDR zu übernehmen.

Anders stellte sich mir die Situation dann in den 60er Jahren dar. Ich erinnere mich heute noch an eine Zeit, zu der die Parteiorganisationen in der Industrie per Beschluß gedrängt wurden, Hunderttausende neue Mitglieder zu rekrutieren. Es gab konkrete Auflagen, bis wann im jeweiligen Betrieb wie viele neue "Genossen" zu gewinnen seien. Wie sich herausstellte, war das gar nicht so einfach. Deshalb wurden auch Personen, die auf diesen Schritt noch gar nicht vorbereitet waren, buchstäblich überredet und bisweilen sogar unter Druck gesetzt.

Wie unsinnig die ganze Sache angelegt war, zeigt sich an den Details. Neben der vorgegebenen Zahl der künftigen Kandidaten wurde auch genau festgelegt, wie viele von ihnen Arbeiter, Angestellte, Angehörige der Intelligenz usw. sein sollten.

Übrigens gingen manche Statistiker in der Zentrale von der Annahme aus, daß Arbeiter grundsätzlich keine Karrieristen sein könnten, weshalb ihr Anteil extrem hoch veranschlagt wurde. Das war indes eine Fehleinschätzung. Selbstverständlich gab es auch eine Frauenquote und einen zuvor festgelegten Prozentsatz von Jugendlichen. Dieses bürokratische Verfahren hatte zur Folge, daß die mit der Kandidatenzeit eigentlich beabsichtigte Auswahl der Besten ad absurdum geführt wurde. Die ursprüngliche Vorhutpartei verwandelte sich in eine "Volkspartei" mit Hunderttausenden, am Ende sogar Millionen Mitläufern. Auf diese Weise blühte der Opportunismus. Die klügsten unter den Karrieristen ergriffen die Gelegenheit beim Schopfe und nisteten sich mit Erfolg ein. Sie waren bestimmten Funktionären als eifrige Jasager und Abnicker sehr willkommen und drangen mit der Zeit selbst in wichtige Positionen von Staat und Partei vor.

Aus der Mehrheit der auf die oben geschilderte Weise "Gewonnenen" wurden sogar loyale Genossen, solange ihre Treue zur Partei nicht durch eine echte Zerreißprobe auf den Prüfstand gestellt wurde, wie das dann 1989/90 geschah.

Leider gab es auch eine ganz andere Spezies. Manche von ihren Wohltätern in entsprechende Positionen Gehievte, die immer wieder ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt hatten und dennoch mit stets neuen Posten bedacht worden waren, richteten unermeßlichen Schaden an. Sowohl durch das, was sie taten, als auch durch das, was sie unterließen. Das betraf nicht nur die Volkswirtschaft, sondern vor allem auch das Ansehen der Partei. Ich erinnere mich an etliche "Ehemalige", die in den von uns lange Zeit unterschätzten Kleinbetrieben, Massenorganisationen und an anderer Stelle in Leitungsfunktionen eingerückt waren. Es gab auch solche, die nach dem Motto "Kultur kann jeder" ausgerechnet in diesem Bereich landeten. Aus Angst, selbst etwas falsch zu machen oder die Fehler anderer zuzulassen, unterdrückten sie vorsorglich jegliche Initiative. Hinzu kam, daß einigen dieser Unbedarften die ihnen von der Partei übertragene Macht in den Kopf stieg. Andererseits gab es aber auch kluge oder, besser gesagt, schlaue Anpasser. Einige dieser verdeckten Opportunisten drangen bis in die Parteispitze vor. Nur so vermag ich es mir zu erklären, daß die deutlichen Signale der Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten von solchen "Genossen" nicht nur verkannt und verschwiegen, sondern sogar regelrecht unterdrückt wurden.

Mein Fazit: Die von unserer Führung nach der Aufbruchsphase immer stärker verfolgte Politik der Schaffung einer Massen- oder Volkspartei war offensichtlich falsch. Jene, die davor warnten und dagegen auftraten, wurden nicht selten aus ihren Funktionen entfernt. Wie recht sie indes gehabt hatten, belegten die Ereignisse von 1989/90, als etwa zwei der 2,3 Millionen SED-Mitglieder ihre Parteidokumente wegwarfen. Unter ihnen befanden sich Oberbürgermeister, Kombinatsdirektoren, hohe Offiziere und andere, die zuvor mit dem Strom geschwommen waren. Ein konkretes Beispiel: Bei uns in Gera marschierte der Oberbürgermeister - ein Mann mit langer Parteikarriere - plötzlich an der Spitze einer Montagsdemo. Er war zunächst Sekretär einer Schulparteiorganisation, dann Parteisekretär beim Rat der Stadt, anschließend Sekretär für Wissenschaft und Kultur bei der SED-Kreisleitung gewesen, bevor er den höchsten Posten in der Stadtverwaltung antrat.

Der Direktor des Kombinats Elektronik, der auf jeder Aktivtagung gesprochen und dabei nie vergessen hatte, insbesondere dem 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, Genossen Ziegenhahn, für dessen "weise Führung" zu danken, hielt nun vor dem Rathaus eine flammende Rede gegen die Partei. Der arme Kerl teilte mit, er sei ständig unterdrückt und gegängelt worden. Da hatte er vielleicht sogar recht. Doch wie schnell dieser Mann sein Mäntelchen in den Wind hängte, war erbärmlich.

Der langen Rede kurzer Sinn: Es war ein Fehler, die Partei in Richtung Masse statt Klasse zu entwickeln. Ein folgenschwerer Fehler.

Günter Glante, Gera


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

In den 50er Jahren herrschte in der Partei eine mitreißende Aufbruchstimmung: Otto Grotewohl bei Erbauern der sozialistischen Wohnstadt Hoyerswerda

Raute

Über christliche Moralgrundsätze und pseudoreligiöse Heuchelei

Die BRD - ein säkularer Gottesstaat

Wenn ich mir anmaße und zutraue, über christliche Moral zu schreiben, habe ich - offen gestanden - so meine Bedenken:

Erstens: Besitze ich als zum Atheisten gewordener Mensch überhaupt ein Recht, über christliche Moralgrundsätze zu schwadronieren? Ich nehme es mir ganz einfach. Christlich-lutheranisch erzogen, habe ich in der Christenlehre genausogut wie in der Schule gelernt. In 13 Lebensjahren unter anderen Völkern und Religionen begegnete ich genügend Glaubensbekenntnissen, Moralgrundsätzen und Realitäten, um dazu eine Meinung äußern zu können.

Zweitens: Sollte ich als Naturwissenschaftler und Tierarzt nicht lieber bei "meinem Leisten" bleiben, statt mich auf theologisches Terrain zu begeben? Ich wage es dennoch.

"Im Zentrum christlicher Ethik steht das Gebot der Nächstenliebe, die Einladung, sich den Armen und Menschen am Rande der Gesellschaft zuzuwenden. In religiösen Traditionen drückt sich dies in direkter wechselseitiger Unterstützung und der Hinwendung zu den Bedürftigen aus", erklärte die Deutsche Bischofskonferenz im Juli 2000 in Bonn. "Grundkriterium kirchlichen Entwicklungsverständnisses ist die Solidarität mit den Armen", verkündete 1991 der Evangelische Pressedienst (epd). Die Ärmsten der Gesellschaft nennt Jesus seine Brüder und bittet um deren Unterstützung: "Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan." (Matth. 25, 40 u. 45)

"Wir müssen heute erkennen, daß die Bedürfnisse der 'Geringsten' nur befriedigt werden können, wenn die Strukturen der Weltwirtschaft grundlegend verändert werden", stellte der epd 1991 fest. Eine für Kirchen bemerkenswerte Erkenntnis!

Die christliche Religion spielt indes keineswegs nur die indifferente, friedfertige Rolle, die ihr eigentlich zukäme, sondern steht - wie eh und je - vorwiegend an der Seite der Mächtigen, beeinflußt deren Politik. Christliche Pfarrer segnen die Bomben und beten mit Soldaten, die ausziehen, um andere Menschen in Schach zu halten und zu töten. Eigens zu diesem Zweck gibt es in Deutschlands Hauptstadt den Sitz eines katholischen Militärbischofs - man mag es nicht glauben! Bekanntermaßen ist der letzte Inhaber dieses hehren Amtes - der Augsburger Bischof Mixa - jüngst in arge Turbulenzen geraten, was den Papst veranlaßte, seiner Bitte um Entlassung nachzukommen.

Die BRD ist offiziell ein säkularer Staat, aber die christliche Religion beeinflußt in hohem Maße dessen Entscheidungen. Die Staatsdiener heucheln christliche Gesinnung und lassen keinen Festgottesdienst zu staatlichen Anlässen aus, aber in ihrer Nächstenliebe sind sie sich selbst die Nächsten, in Sonderheit, wenn es um die Erhöhung ihrer Diäten und nicht um die der Altersrenten, die Unterstützung der Armen oder um die Sanierung von Schulen geht. Und so sitzen denn diese falschen Christen bei den staatlich organisierten Festlichkeiten frömmelnd in der ersten Reihe, allen voran unsere Pfarrerstochter und CDU-Regierungschefin, um Christentum und christliche Gesinnung zu heucheln. Statt den Willen von drei Vierteln der Bevölkerung zu respektieren und die deutschen Soldaten aus Afghanistan heimzuholen, werden immer mehr dorthin geschickt, um notfalls zu töten und getötet zu werden. Und die Entscheidungsträger sitzen in den Festgottesdiensten und wollen uns glauben machen, gute Christen zu sein. Man müßte sie aus dem Tempel jagen, wie es weiland Jesus Christus getan hat (siehe "Tempelreinigung" bei Johannes 2/15). Die Entlarvung solcher Scheinheiligkeit ist mir geradezu ein Bedürfnis!

Feldgeistliche segnen im staatlichen Auftrag die Soldaten vor ihren Missionen, damit in den Gefechten möglichst nur die anderen sterben, gläubige Moslems, "Terroristen". Um den deutschen Soldaten das mögliche Sterben zu erleichtern, werden sie daheim zu Helden hochstilisiert und mit Ehrenbegräbnis unter die Erde gebracht, fallen sie doch angeblich für eine edle Sache: für Freiheit und Demokratie eines anderen Volkes und die Sicherheit des eigenen Herdes. Was ist da eigentlich der Unterschied zwischen den Predigten und Absegnungen der deutschen Regimentspfaffen und der Animation islamischer Selbstmordattentäter durch deren Prediger, die den Unglücklichen versprechen, sie könnten sofort zur Rechten Allahs sitzen, sobald es geknallt hat?

"Gott mit uns" stand auf den Koppelschlössern der kaiserlichen Soldaten im Ersten Weltkrieg, "Du sollst nicht töten" aber lautet das 5. Gebot! Gott mit uns, damit nur die anderen fallen! Welch ein Hohn auf das Christentum und das christliche Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! (3. Buch Mose, Kap.19, Vers 18 bzw. Markus 12, Vers 31). Der Logik nach müßte die Kirche diesen "christlichdemokratischen" Staat der Kapitalisten am meisten bekämpfen. Sie tut es aber nicht, sieht man von als "Außenseiter" belächelten ehrlichen Christen ab.

Die Zusammenarbeit von Staat und Kirche ist in diesem Land perfekt! Staat und Kirche sind in Deutschland bis heute nicht wirklich getrennt, sondern miteinander verquickt. Aber so ist es wohl schon immer gewesen. Bereits Wilhelm von Humboldt bemerkte zur Religion: "Alle Staaten, soviel uns die Geschichte aufzeigt, haben sich dieses Mittels bedient ..., durch welches der Staat ... den erwachsenen, reif gewordenen Menschen erzieht ..., seine Handlungsweise und Denkungsart begleitet, um derselben diese oder jene Richtung zu erteilen." Auch Friedrich Schiller soll hier zu Wort kommen. Er schrieb an Goethe: "Mir ist die Bibel nur wahr, wo sie naiv ist; in allem andern, was mit einem eigentlichen Bewußtsein geschrieben ist, fürchte ich einen Zweck und einen späteren Ursprung."

Nahezu alle einflußreichen Politiker der Bourgeoisie fallen vor der Kirche auf die Knie und bringen als Geschenk ganze Säcke voller Euros aus den Staatseinnahmen mit. So fließen der Kirche trotz knapper Staatskassen pro Jahr rund 14 Milliarden Euro aus Steuermitteln zu, wobei Subventionen für deren soziale Zwecke (noch einmal ca. 10 Milliarden jährlich) hier gar nicht mitgerechnet sind. (Quelle: "Der Theologe", Nr. 23). Der säkulare Staat macht sich zum Erfüllungsgehilfen des Klerus, indem er dem kleinen Mann die Kirchensteuer gleich vom Bruttolohn abzieht, damit dieser erst gar nicht entscheiden kann, ob er das Geld dem Prediger oder doch lieber seinen Kindern zukommen lassen will. Bischofsgehälter, Priesterausbildung, konfessioneller Religionsunterricht und vieles mehr begleicht in der BRD der Staat, wobei die reiche Kirche (ihre Finanzen und ihr Vermögen belaufen sich hierzulande auf ca. 500 Milliarden Euro) zudem von allen Steuern befreit ist. Die obersten Kirchenfürsten erhalten fette Gehälter vom Staat. Was dabei herauskommt, ist klar: "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'", heißt auch hier die Devise. Willig predigen sie dann: "Seid Untertan eurer Obrigkeit" und "So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist" (Lukas 20/25) und wenn die Steuerschrauben auch noch so hoch gedreht werden. Im Klartext predigen sie das natürlich nicht. Auf ihre etwas subtilere Art wollen sie dem Volk weismachen, daß Angriffe auf den Staat des deutschen Kapitals zwar nicht zum Weltuntergang, aber zu Chaos und totalem sozialem Ruin führen würden. Also, weiter so, in Gottes Namen! Prof.

Dr. Hartmut Hoffmann

Raute

Der liebe Gott ist aus der Kirche ausgetreten

Kratzen für Pius XII.

Kardinal Joseph Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. hat einem seiner dubiosesten Vorgänger - Pius XII. - den "höchsten Tugendgrad" als Vorstufe zur Seligsprechung verliehen. Der oberste katholische Seelenhirt besitzt in solcherlei Dingen offenbar keine gute Hand. Man erinnert sich daran, daß er vor geraumer Zeit den britischen Bischof Richard Williamson - einen notorischen Leugner des Holocaust - innerkirchlich zu rehabilitieren suchte, was unter Gläubigen und Ungläubigen mindestens ebensolche Empörung auslöste wie die Exkommunizierung von Ärzten, die bei einem neunjährigen Vergewaltigungsopfer einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen hatten. Doch die Huldigung für Pius XII. ist noch stärkerer Tobak.

Als der amtierende Papst am 19. Dezember 2009 zur Einleitung des Prozesses der Seligsprechung die "heroischen Tugenden" ausgerechnet jenes Mannes hervorhob, der sich angesichts der Untaten deutscher und italienischer Faschisten weggeduckt und in tiefes Schweigen gehüllt hatte, hielten Millionen Menschen in aller Welt den Atem an.

Man könnte sich auf den Standpunkt begeben, die verdächtige Umtriebigkeit Benedikt XVI. sei allein ein Problem der kirchlichen Hierarchie ohne jegliche Relevanz für Außenstehende. Doch es handelt sich um eine Herausforderung ganz besonderer Art. Immerhin präsentiert der Vatikan hier einen weltweit diskreditierten Begünstiger der Nazis als künftigen Heiligen, folgt doch der Seligsprechung nicht selten die Erhebung auf diese höchste Stufe des mittelalterlich anmutenden Rituals. Das solcherart manifestierte Bekenntnis des aktuellen "Stellvertreters Gottes" zu Pius XII. ist ein Skandal. Er wirft schwarze Schatten auch auf Benedikt XVI.

Der Mann, um den es geht, hieß bis zur Papstwahl im Jahre 1939 Eugenio Pacelli. Er war vatikanischer Diplomat in Diensten von Pius XI. Bevor er als Staatssekretär des Heiligen Stuhles weiter emporstieg, war er päpstlicher Nuntius in Berlin - bei Hitler. Die Hauptpartei der deutschen Katholiken - Das Zentrum - hatte im Frühjahr 1933 für das berüchtigte Ermächtigungsgesetz gestimmt, das der Auslieferung der Exekutive an die deutschen Faschisten den Anschein parlamentarischer Legitimität verschaffen sollte. Nuntius Pacelli unterzeichnete im selben Jahr das Konkordat der katholischen Kirche mit dem "Führer". Als Millionen Juden in die Gaskammern von Auschwitz und Maidanek getrieben wurden und der weltweite Protest gegen die Shoa zu einem Orkan anschwoll, hörte man von Pius XII. kein Sterbenswörtchen der Verurteilung. Auch als Mussolinis Italien 1943 die jüdischen Bürger Roms zu deportieren begann, hüllte sich der Chef des Vatikanstaates in tiefes Schweigen.

Da die Rolle Pius XII. als offenkundiger Tolerierer der faschistischen Greuel zu einer schweren Belastung für die katholische Kirche geworden war, berief Johannes Paul II. vor elf Jahren eine internationale Kommission aus katholischen und jüdischen Historikern mit dem vermeintlichen Auftrag, den Fall des nazifreundlichen Papstes der Kriegsjahre einer genaueren Prüfung zu unterziehen. 2001 wurde dieses bis heute bestehende Gremium de facto zur Untätigkeit verurteilt, da ihm der Zugang zu einigen sachbezogenen Archiven offenbar verwehrt worden war.

Es folgte der eingangs erwähnte Entschluß Benedikt XVI., sich mit den sogenannten Integristen - den Geistlichen um den Rechtsextremisten Williamson - auszusöhnen. Diese machen aus ihrer profaschistischen Einstellung kein Hehl. Williamson leugnet bis heute die Existenz von Konzentrationslagern der Nazis.

Ein anderes Beispiel für die wahre Gesinnung des derzeitigen Papstes war die 2007 einsetzende Woge von Seligsprechungen einiger Märtyrer des spanischen Bürgerkrieges.

Unter den vom Vatikan Ausgewählten befand sich kein einziger durch die Faschisten ermordeter Katholik. Die 14 baskischen Priester, die Francos Soldateska umbrachte, wurden erst am 11. Juli 2009 durch die Kirchenführung des zu Spanien gehörenden Baskenlandes geehrt.

Angesichts der Absicht des deutschen Papstes Benedikt XVI., den Vertuscher der Naziuntaten Pius XII. auf ein hohes vatikanisches Podest zu stellen, erinnerte die in der Textilarbeiterstadt Nordhorn erscheinende "Rote Spindel" - eine Publikation der DKP - an die brandaktuellen Zeilen Erich Kästners: "Da hilft kein Zorn. Das hilft kein Spott. Da hilft kein Weinen, hilft kein Beten. Die Nachricht stimmt: Der liebe Gott ist aus der Kirche ausgetreten."

RF, gestützt auf ein Interview der Pariser "Humanité" mit dem Historiker Antoine Casanova

Raute

Ein Augenzeugenbericht über Legenden und die Wirklichkeit

Juden in der DDR

In letzter Zeit wurde ich des öfteren danach gefragt, wie es denn um "die Juden in der DDR" bestellt gewesen sei. Ich nehme an, daß das Thema von Interesse für die Leser des RF ist. Deshalb habe ich mich damit beschäftigt. Ich will mich auf wesentliche Aussagen beschränken.

Etwas, das in der Darstellung der Problematik meist gar nicht beachtet wird, muß man auf alle Fälle berücksichtigen: In den 40 Jahren ihres Bestehens war die DDR durchaus differenziert zu betrachten. Sehr viel hing überdies von äußeren Umständen ab, auf die sich das Land einstellen mußte. Das gilt auch für die Haltung der DDR gegenüber "den Juden". Nach der Befreiung 1945 standen die politischen Widerstandskämpfer zunächst an erster Stelle der Beachtungsskala. Sie hatten sich bewußt und ohne Vorbehalte dem Kampf gegen den Faschismus gewidmet und waren bereit gewesen, selbst ihr Leben zu opfern. Juden wurden als vom Faschismus Verfolgte anerkannt. Zwischen 1949 und 1959 gab es aus meiner Sicht eine gewisse Verdrängung des Problems. Seit Beginn der 60er Jahre näherte man sich dann den in der DDR lebenden Juden vorsichtig an. Ab 1970 war man bemüht, das Wirken in den Jüdischen Gemeinden zu unterstützen, was dann nach 1985 besonders belebt wurde.

Charakteristisch war, daß es in der DDR nur ein Kriterium dafür gab, wen man als Juden betrachtete. Man rechnete dazu lediglich die Mitglieder der Jüdischen Religionsgemeinschaft. Alle anderen waren wie die übrigen Menschen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Allerdings wurde bereits am 5. Oktober 1949, also unmittelbar vor der Staatsgründung, das "Gesetz über die Rechtsstellung der Verfolgten des Naziregimes" beschlossen, das allen aus politischen oder rassischen Gründen Betroffenen eine besondere Betreuung garantierte. Dabei spielte die Tatsache, ob jemand zur Jüdischen Religionsgemeinschaft gehörte oder nicht, keine Rolle.

In das Buch Mario Keßlers "Die DDR und die Juden - Zwischen Repression und Toleranz" wurden etliche Kurzbiographien jüdischer Bürger aufgenommen, die eine politisch herausgehobene Funktion bekleideten. Dabei muß unbedingt beachtet werden, daß Juden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der DDR nur eine verschwindende Minderheit darstellten. Bei Betrachtung der von Keßler angeführten Persönlichkeiten ergibt sich folgendes Bild: 15 Juden waren Mitglieder des ZK der SED, zwei gehörten dem Politbüro an; drei Juden waren Minister oder stellvertretende Minister in der Regierung der DDR; 15 arbeiteten als Professoren in herausgehobener Position an Universitäten, einer davon als Rektor; zwei vertraten die DDR als Botschafter im Ausland; elf waren namhafte Journalisten, darunter Chefredakteure; fünf bekannte Schriftsteller und zwei Schauspieler.

Zehn der erwähnten 64 haben die DDR im Laufe des vom Autor behandelten Zeitraums in Richtung BRD verlassen.

Noch ein Wort mehr zum Leben jener Juden, welche der Gemeinde angehörten. Es gab den Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Sein Vorsitzender war Helmut Aris, der in Dresden lebte. Insgesamt bestanden acht Gemeinden. Ihre Standorte waren Berlin, Dresden, Leipzig, Halle, Erfurt, Magdeburg, Karl-Marx-Stadt und Schwerin.

Synagogen oder kleinere Bethäuser gab es nicht nur in Halle, Karl-Marx-Stadt und Schwerin, sondern auch in den anderen erwähnten Städten. Hervorzuheben ist die Tatsache, daß wir in den Jahren der Existenz der DDR vor diesen Einrichtungen niemals irgendwelchen Polizeischutz benötigten. Allerdings kam es zu Grabschändungen auf jüdischen Friedhöfen.

Meistens wurden die Täter gefaßt und verurteilt. Aus der Arbeit des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde von Berlin ist mir folgendes bekannt: Er konnte an allen internationalen Tagungen, zu denen er eingeladen wurde, ungehindert teilnehmen und unterhielt Kontakte zu vielen anderen Jüdischen Gemeinden in Europa. Nur jene in der BRD und in Berlin-West lehnten jegliche Beziehungen zu diesen "Kommunisten" ab, obwohl kaum ein Gemeindemitglied der SED angehörte. Jeden Sabbat pünktlich um 8 Uhr wurde im Deutschlandsender eine Sabbatfeier übertragen, oft sang Nachama. Solange unser Rabbiner, Herr Riesenburger, lebte, sprach dieser, später trat Herr Aris an seine Stelle. Ein Gemeindeblatt erschien alle drei Monate. 1988 fand anläßlich des 50. Jahrestages des 9. November 1938 im Ephraim-Palais eine eindrucksvolle Ausstellung statt, in der die Verfolgung der Juden durch die Nazis in allen Einzelheiten dargestellt wurde. Sämtliche Bücher, die zu dieser Thematik in der DDR erschienen waren, lagen dort aus. Auch die entsprechenden DEFA- und Fernseh-Filme fanden Erwähnung.

1987 versuchte man, einen Rabbiner für unsere Gemeinden aus den USA einzuführen. Leider interessierte sich Mr. Newman für alles andere als für die gläubigen Juden der DDR und ging bald wieder in die Vereinigten Staaten zurück.

Vielleicht wäre am Ende dieses Berichts noch zu erwähnen, daß bemerkenswerterweise nicht wenige Juden, die in den 20er Jahren in Deutschland gelebt hatten, Kommunisten waren. Wenn diese der Vernichtung auf irgendeine Weise zu entgehen vermocht hatten und nach Deutschland zurückkehrten, dann nur in die DDR. Sie zählten indes nicht zu den Mitgliedern der Gemeinden. So lebten in der DDR etliche Juden, die nie als solche in Erscheinung traten und lediglich als anerkannte Verfolgte galten. Sie waren voll in die Gesellschaft integriert.

Brigitte Rothert-Tucholsky, Berlin

Raute

Bundeswehr empfiehlt NS-"Rassenforscher"

In einem "Wegweiser" für die deutschen Besatzungstruppen in Afghanistan stellt die Bundeswehr positive Bezüge zu NS-Militärs her. Die Schrift wird nicht nur in der Truppe, sondern auch über öffentliche Bibliotheken verbreitet. In ihr heißt es etwa über Generalmajor Oskar Ritter von Niedermayer, er repräsentiere die "guten deutsch-afghanischen Beziehungen" vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Bewußt unterschlagen wird, daß das NSDAP-Mitglied Niedermayer dem Beirat der "Forschungsabteilung Judenfrage" des NS-Reichsinstituts für die "Geschichte des neuen Deutschlands" angehörte. Verantwortlich für die Publikation ist das Militärgeschichtliche Forschungsamt der deutschen Streitkräfte und dessen "Modul Einsatzunterstützung".

Zu den Autoren zählte ursprünglich auch Dietrich Witzel. Der gehörte während des Zweiten Weltkriegs der NS-Sondereinheit "Brandenburg" an, die für zahlreiche Kriegsverbrechen und Massenmorde an Juden verantwortlich ist. Laut Reinhard Günzel, bis 2003 Kommandeur des "Kommandos Spezialkräfte" der Bundeswehr, gelten die "Brandenburger" in der Truppe bis heute "als geradezu legendär".

"Informationen zur deutschen Außenpolitik"

Raute

Israel schändet Andenken Ermordeter

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Wie Nazi-Größen in Bonner Diensten bloßgestellt wurden

Albert Nordens "Braunbuch"-Premiere

Am 2. Juli 1965 herrschte großer Andrang Unter den Linden in Berlin. Im Palais am Kastanienwäldchen traf sich ein illustres Gremium internationaler Experten, um Anklage gegen das unbehelligte Wirken von Nazi-Straftätern auf deutschem Boden zu erheben. Das geschah in Form einer fast 400 Seiten umfassenden Dokumentation "Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik". Bewußt wurde mit dem Titel ein Bezug zum historischen Vorgänger hergestellt. 1933 war das "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror" unter Leitung Willi Münzenbergs mit einem Vorwort von Lord Marley, Vorsitzender des Weltkomitees für die Opfer des Hitler-Faschismus, erschienen.

Die prominentesten Teilnehmer an diesem Sommertag des Jahres 1965 waren Dr. Czezlaw Pilichowsky, Direktor der Hauptkommission zur Untersuchung von Hitler-Verbrechen in Polen; Albert Boccagny, Frankreich, ehemaliger KZ-Häftling; Nikolai Alexandrow, früherer sowjetischer Ankläger vor dem Internationalen Hauptkriegsverbrecher-Tribunal in Nürnberg; Sam Blom, Australien, Vizepräsident des Jüdischen Rates zur Bekämpfung von Faschismus und Antisemitismus; Dr. Karel Kamic, CSSR, Sekretär der Kommission zur Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen. In ihrer aller Namen sprach einleitend der international anerkannte DDR-Nazi-Jäger Albert Norden, Sohn eines vom NS-Regime ermordeten Oberrabbiners. Er lieferte der Weltöffentlichkeit den faktenuntersetzten Beweis, wonach sich 21 Minister und Staatssekretäre der Bonner Regierung, 100 Generale und Admirale der Bundeswehr, 828 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Botschaften und Konsulate sowie 297 hochrangige Offiziere und Beamte aus Polizei und Verfassungsschutz schwerster Verbrechen schuldig gemacht hatten. Dessenungeachtet vermochten sie ihren weiteren Aufstieg in der BRD ohne jede Abstrafung fortzusetzen. Im Vorwort hieß es detailliert: "Experten des barbarischen Terrors in den besetzten Ostgebieten wie Karl Friedrich Vialon sind Staatssekretäre, Mördergenerale wie Trettner befehligen die Bundeswehr, Naziblutrichter, die Hunderte Todesurteile fällten, beherrschen die Justiz. Ja, als höchster Repräsentant der Bundesrepublik fungiert mit Heinrich Lübke ein Mann, der sich bei der Verwirklichung der geheimsten Rüstungsvorhaben der Nazi-Führung hervortat und als Bauleiter des Göring-Himmler-Speerschen Jägerstabes an der Ermordung vieler Hundert KZ-Häftlinge mitschuldig wurde."

Dem Auftakt schlossen sich zwei Fragestunden an. Der Berliner Rundfunk wollte wissen: "Wie steht es mit der Behauptung Bonns, die DDR halte Material zurück, das Naziverbrecher belasten könnte?" Nordens Antwort: "Die DDR war stets bestrebt, Amtshilfe zu leisten. Seit 1951, als mit Hilfe des 131er Gesetzes die Wiedereinsetzung der ehemaligen Naziverbrecher in den Staats- und Behördendienst zunahm und große Ausmaße erfahren hatte, haben wir weitere Dokumentationen übergeben. Es gibt auch eine Reihe von Schreiben der Staatsanwaltschaft der DDR an die Bonner Regierung. Das letzte ist unmittelbar vor Weihnachten 1964 nach Bonn gegangen. Alle diese Schriften sind von dort nicht beantwortet oder gar ungeöffnet zurückgeschickt worden." (Tatsächlich ist es nie zu einem von der DDR mehrfach angebotenen Rechtshilfeabkommen mit der BRD gekommen.) Die polnische Presseagentur PAP fragte: "Wie beurteilen Sie das Schweigen des westdeutschen Staatsoberhauptes zu den schwerwiegenden Vorwürfen, welche die DDR in bezug auf seine Tätigkeit im Hitlerstaat erhoben hat?" Die Antwort: "Das Schweigen des Herrn Lübke spricht für sich, da es sich bei ihm um einen zwar nicht hochintelligenten, aber als sehr redselig bekannten Herrn handelt, gibt es nur eine Schlußfolgerung: Er gesteht mit seinem Schweigen ein, daß es richtig ist, was wir über ihn enthüllt haben."

Die "Braunbuch-Premiere wurde weltweit wahrgenommen. Die Exemplare waren trotz hoher Auflage bald vergriffen. Im Oktober 1965 gab es einen Nachdruck, nun auch in Englisch, Französisch und Spanisch. Die Fehlerquote war marginal - sie lag unter 1 % und betraf lediglich besonders häufige Namen (Fischer, Müller), denen falsche Tatorte zugeordnet worden waren. Es erschienen unzählige Rezensionen. Den "Vorwurf", insgesamt zu wenig Biographien präsentiert zu haben, nahmen die Autoren ernst. Im Mai 1968 erschien eine dritte - und erweiterte - Auflage des "Braunbuches". An Stelle der vorherigen 1900 wurden nunmehr 2300 NS-Lebensläufe auf 440 Seiten präsentiert. Nachfrage wie Echo blieben weltweit beachtlich. Auch die Haltung der Bonner Republik änderte sich nicht. Schweigen im Walde oder - wo es zu Aktionen der Nazigegner im eigenen Staat kam - es erfolgte der Rückgriff auf Vokabeln wie "Verleumdung" oder "Fälschung". Bundespräsident Lübke bediente sich solcher Begriffe, doch die Fakten besagten etwas anderes. Der KZ-Baumeister gab schließlich sein Amt entnervt und vorzeitig auf - ein weltweit als Schuldgeständnis gewerteter Vorgang.

Angemerkt sei: 2002 veröffentlichte edition ost einen Reprint der "Braunbuch"-Ausgabe vom Mai 1968. Wiederum war die Resonanz bemerkenswert stark. Zusätzlich erhielt der Herausgeber zahlreiche Bitten, mit Auskünften zu bestimmten Namen heutige Publikationen und wissenschaftliche Vorhaben zur NS-Vergangenheit zu unterstützen. Der Verlag hat auf Grund des regen Interesses einen weiteren Nachdruck angekündigt.

Dr. Norbert Podewin

Raute

"Wenn schon kein Blut geflossen ist, soll wenigstens Tinte fließen"

Leipzigs früherer Kripo-Chef zur Kriminalität in der DDR

In der Vorschau des MDR-Info-Senders hörte ich vor geraumer Zeit einen Hinweis auf das Programm "Mythos und Wahrheit ... Wie hoch war die Kriminalität in der DDR?" Das Thema interessierte mich als ehemaligen Leiter der Leipziger Kripo ganz besonders. Der Sprecher sagte, von 50 % der Ostdeutschen werde behauptet, in der DDR sei "nicht alles schlecht" gewesen. Doch die zehn Minuten wurden genutzt, um diese These zu widerlegen ... Es war alles schlecht!

Die Gestalter der Sendung hatten keine Ahnung von den realen Vorgängen auf jenem Gebiet, welches behandeln zu wollen sie vorgaben. Behauptet wurde u. a., daß die Propagierung einer niedrigen Kriminalitätsquote damals eine reine Prestigefrage gewesen sei. Die Bürger hätten ein höheres Sicherheitsgefühl gehabt, weil von den Medien grundsätzlich nur das berichtet worden sei, was sich im jeweiligen Bezirk ereignet habe. Und schließlich sei die geringere Kriminalität auf einigen Gebieten allein der massiven Präsenz von Volkspolizisten geschuldet gewesen, die beinahe aus jedem Papierkorb herausgeguckt hätten.

1972 schrieb ich meine Diplomarbeit. In der Einleitung vertrat ich den Standpunkt, die Kriminalität könne in dem Maße Schritt für Schritt zurückgedrängt und überwunden werden, in dem sich die sozialistischen Produktionsverhältnisse festigen würden. Illusionen, die Begehung von Straftaten würde sich damit gewissermaßen von selbst erledigen, seien indes fehl am Platze. Man dürfe nicht davon ausgehen, daß die Kriminalität in der DDR lediglich eine Randerscheinung sei. Ich stützte meine Ausarbeitung auf kriminalpolizeiliche Statistiken. Im Zeitraum von 1965 bis 1971 ereigneten sich in Leipzig zwischen 7682 und 9889 angezeigte Straftaten im Jahr. Die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren lag deutlich niedriger. 1971 wurden gegen 4484 Beschuldigte Prozesse anhängig gemacht. Damals gab es lediglich bei unter Alkoholeinfluß handelnden Personen eine deutliche Steigerung.

Hans Giros, Professor für Kriminalistik, traf 1997 folgende Feststellungen: Die Kriminalstatistik der DDR sei über Jahrzehnte de facto gleichbleibend gewesen. Es habe ein Tötungsverbrechen pro Jahr auf jeweils 100.000 Einwohner gegeben. Im gleichen Zeitraum sei die Häufigkeit dieser Delikte in der BRD auf das Fünffache gestiegen.

Das Gesamtbild der Kriminalität in der DDR habe sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht fundamental von dem der BRD unterschieden. Während in den 60er und 70er Jahren in der DDR jährlich 750 Straftaten auf 100.000 Einwohner entfielen, hätte die BRD 6200 und Westberlin sogar 12.000 gemeldet.

In der DDR operierten keine internationalen Verbrecherkartelle. Organisierte Kriminalität, Drogenhandel und Entführungen fehlten in ihrem Kriminalitätsbild völlig. Allerdings betrachtete man häufig auftretende Delikte mit geringem Schaden als Verfehlungen, die nicht von der Kriminalitätsstatistik erfaßt wurden.

Prof. Giros fand auch "kritische Worte" zur Praxis der DDR-Schutz- und Sicherheitsorgane. So seien mit Einführung des neuen Strafgesetzbuches im Jahre 1968 einige Delikte mit zum Teil unangebrachter Strenge geahndet worden. Der Grundsatz "Erst politisch entscheiden und dann rechtlich würdigen" habe sich negativ ausgewirkt.

Nicht selten sahen die Strafverfolgungsorgane in Kritikern Staatsfeinde, was zu Fehlurteilen geführt hat.

Es gab auch das Wunschdenken, der "neue sozialistische Mensch" werde in relativ kurzer Zeit von Habgier und Egoismus frei sein und ausschließlich zum Wohl des Gemeinwesens arbeiten.

Was den kriminalistischen Untersuchungsalltag in der DDR betrifft, so möchte ich bemerken, daß sich Taktik, Methodik und Spurenkunde kaum von denen in der BRD unterschieden. Die Kriminalpolizei der DDR besaß als Untersuchungsorgan strafprozessuale Kompetenzen, die sie von der übrigen Polizei deutlich abgrenzten.

Sehr aufschlußreich ist übrigens die neuere Kriminalstatistik der BRD. In der Zeitschrift "Deutsche Polizei", Ausgabe 5/99 dp spezial wurden unter der Schlagzeile "Vom Verdacht zur Verurteilung im Jahr 1997" folgende Angaben gemacht:

Straftaten nach der Polizeilichen Kriminal-Statistik (PKS): 6.586.165. Aufgeklärte Fälle: 3.335.016. Tatverdächtige: 2.227.560. Gerichtsverfahren: 1.320.052. Verurteilte: 780.960.

Erklärend sei gesagt, daß die PKS nicht die Täter, sondern die Opfer von Straftaten zählt. Ich will mich hier kurz zu der Stadt äußern, in der ich selbst viele Jahre als Kriminalist tätig gewesen bin. In der "Leipziger Volkszeitung" las ich u. a., es treffe nicht zu, daß die Bürger - wie jetzt behauptet wird - über die Verbrechensentwicklung im Lande nur "Regionales" erfahren hätten. In der LVZ sei regelmäßig auch über Delikte in anderen Bezirken informiert worden. Alte Leipziger können sich daran erinnern, daß die Zeitung einer der Blockparteien ständig die sehr spannende Serie "Hauptmann Walz greift ein" brachte. Es gab bei uns ein wöchentliches Pressegespräch, bei dem wir an Hand des täglichen Rapports die jeweilige polizeiliche Lage freimütig schilderten. Doch es fehlte auch nicht an Vertuschungsversuchen und Frisiertem. Kurz vor einer Frühjahrsmesse ereignete sich z. B. in Leipzig ein Mord, von dem fast die ganze Stadt wußte. Der Chefredakteur der LVZ sprach indes nur von einer "schweren Straftat".

Die Leipziger Kripo lud gelegentlich Zeitungsreporter ein, an einem nächtlichen Einsatz ihrer Diensthabenden Gruppe teilzunehmen, über dessen Verlauf dann in den Blättern berichtet wurde.

Aus meiner langjährigen Erfahrung muß ich sagen: Die DDR war keine Insel der Seligen. In den Anfangsjahren wurden oft unverhältnismäßig hohe Strafen verhängt, die man später zum größten Teil korrigierte. Aber ihr "Nachhall" beflügelt bis heute die Phantasie der reaktionären Presse.

Walter Ulbricht sagte bei der Einführung des neuen Strafgesetzbuches ausdrücklich: "Nicht jedes dumme Gerede ist gleich eine Staatsverleumdung." Zu Jahrestagen der DDR wurden wiederholt weitreichende Amnestien beschlossen, was die Haftzeiten vieler Gefangener wesentlich verkürzte. Die Abteilungen Inneres der Räte der Kreise sorgten dafür, daß jedem Entlassenen eine Unterkunft mit bescheidener Möblierung und eine Arbeitsstelle gesichert wurden.

Kriminalitätsvorbeugung und -bekämpfung galten in der DDR als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Geringfügige Delikte bekannter Täter wurden den Konfliktkommissionen in den Betrieben oder den Schiedskommissionen in den Wohngebieten zur Verhandlung übergeben. Wo es sich anbot, nahm die Kripo Auswertungen in den jeweiligen Kollektiven vor. Eng war die Verbindung zu den Abteilungen Volksbildung und den Schulen. Nicht alles lief perfekt, aber das Anliegen war zutiefst humanistisch.

Mag am Schluß ein Ausspruch Bismarcks aus dem Jahre 1866 stehen. Nach dem gewonnenen Krieg Preußens gegen das Königreich Hannover sagte er zu Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode: "Wenn schon in diesem Krieg kein Blut geflossen ist, dann soll wenigstens Tinte fließen." Und diese "Tinte" ergießt sich vor dem 20. Jahrestag der Annexion der DDR durch die BRD mehr denn je.

Aus dem beschlagnahmten Vermögen des Königs von Hannover bildete Bismarck einen Fonds für Intrigen aller Art. Er ging als "Reptilienfonds" in die Geschichte ein. Vergleiche zur heutigen Zeit und zu den "verblühten Landschaften" mag der Leser selbst anstellen.

Klaus Pinkau, Leipzig

Raute

RF-Extra

Ein außergewöhnlicher Arbeiterführer, von dessen Kaliber es viel zu wenige gab

Sindermann macht's möglich

Anfang der 50er Jahre lernte ich Horst Sindermann kennen. Damals war er Chefredakteur der anhaltinischen SEDLandeszeitung "Freiheit" in Halle. Seine Analysen, Vorträge und Kommentare begeisterten mich. Manche freie Rede war druckreif. Die Zuhörer fingen Feuer, auch Andersdenkende konnten sich der Argumentation nicht verschließen. Obwohl H. S. die faschistischen zwölf Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen mußte, hat er aus Elternhaus, Schule und unvorstellbaren autodidaktischen Anstrengungen das erworben, was ihn zu unserem Lehrmeister machte. Er zeichnete dann einige Jahre im Berliner ZK-Apparat für Agitation und Propaganda der Partei verantwortlich. Die Arbeit mit den Medien war ihm auf den Leib geschrieben. Dort blühten seine Fähigkeiten zum Wohle der Sache weiter auf. 1963 kam er als 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung nach Halle zurück. Dort trat eine sichtbare Qualifizierung der Parteiarbeit ein. Ich war glücklich, daß ich neun Jahre als Wirtschaftssekretär an seiner Seite arbeiten durfte.

Sindermann stammte aus Dresden. Sein Vater war Journalist und SPD-Politiker. Horst trat frühzeitig in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands ein, dessen sächsischer Vorsitzender er unmittelbar vor dem Machtantritt der Nazis wurde. Etwa zeitgleich erfolgte das Verbot des KJVD. Als noch 17jähriger stand H. S. vor Gericht. Am längsten wurde er im Zuchthaus Waldheim und im KZ Sachsenhausen gefangengehalten.

Er besaß klare Vorstellungen von einer sozialistischen Entwicklung in Deutschland. Das Erhaltenswerte aus der Weimarer Republik paßte, kritisch verarbeitet, in sein Konzept.

In den 60er Jahren nahm die DDR politisch und wirtschaftlich eine gute Entwicklung, auch wenn diese Zeit nicht konfliktfrei verlief. Die Produktion in Industrie und Landwirtschaft wuchs stetig. Es reichte H. S. indes nicht, vorgegebene Kennziffern zu erreichen. Er wollte eigene schöpferische Leistungen zur Gestaltung des Territoriums einbringen. Dabei war Planerfüllung für ihn Ehrensache. Doch er wollte mehr: eine sozialistische Vielfalt der Entwicklung im Bezirk. Er sah das, was materiell nicht planbar war - die Atmosphäre unter den Menschen, die kulturelle Entwicklung, den Aufstieg der Martin-Luther-Universität, der Kunsthochschule Burg Giebichenstein und anderer Einrichtungen des Bildungswesens sowie des geistigen Lebens. Durch seine prägnante Persönlichkeit und gedankliche Toleranz kamen hervorragende Regisseure, Schauspieler, Musiker, Schriftsteller und bildende Künstler nach Halle. Viele Eingesessene gewannen an Profil. Hierzu gehört auch die Entwicklung der Architektur und des Bauwesens. Anfang der 60er Jahre begann sich der industrielle Wohnungsbau auszudehnen, was die Gefahr immer größerer Monotonie heraufbeschwor. Wir holten einen bekannten Architekten, Prof. Richard Paulick, nach Halle. Das war für diese Zeit ungewöhnlich.

Die chemische Industrie in Leuna und Buna mit ihren 45.000 Beschäftigten, die aus einem großen Einzugsgebiet täglich in diese Werke pendelten, brauchte neue komplexe und infrastrukturelle Lösungen. In weniger als zehn Jahren, von 1962 bis 1971, wurde die Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt mit ca. 15.000 Wohnungen und 45.000 Einwohnern buchstäblich aus dem Boden gestampft. Eine neue Schnellbahn und eine entsprechende Straßenverbindung brachten 15- bis 20minütige Anfahrtszeiten nach Buna und Leuna. Um Stunden verlängerte sich die tägliche Freizeit für viele tausend Beschäftigte.

Das spezielle Werk für die industrielle Vorfertigung der Gebäude wurde so ausgelegt, daß es nach Errichtung von Halle-Neustadt auf flexible Bauelemente für die innerstädtische Rekonstruktion und Lückenbebauung umgerüstet werden konnte. Das sollte die eigentliche Zeit Paulicks und seiner "Meisterschule" werden. Sindermann ließ unsere Architekten in Schweden die neue "Allbeton-Bauweise" studieren und die Anwendungsrechte für Halle erwerben. Sie ermöglichte flexible, architektonisch strukturierte Fassaden bei Hochhäusern und Gesellschaftsbauten. Bis Ende der 60er Jahre saß H. S. mit seinen engeren Mitarbeitern und der Paulick-Gruppe sogar Nächte hindurch zusammen. Sie berieten über die besten baulichen und städteplanerischen Lösungen für Halle. Das war eine großartige schöpferische Zeit. Sie ging mit dem VIII. Parteitag zu Ende.

In dessen Vorfeld hatten wir versucht, die Hallenser Entwicklung in Architektur und Wohnungsbau über die Fünfjahrpläne "festzuschreiben". Anfang 1971 brachte H. S. immer häufiger zum Ausdruck, Erich Honecker sei von seiner Idee, die Wohnungsfrage als soziales Problem in kürzester Frist zu lösen, geradezu besessen, was den uferlosen Weiterbau der "Platte" auf grüner Wiese bedeuten würde. Eine Ausnahme bildete allein Berlin. Doch auch in der Hauptstadt der DDR explodierte der Wohnungsbau auf monotone Weise.

Die angedeutete Aufbruchstimmung, in deren Jahre auch die Ausarbeitung des Neuen Ökonomischen Systems fiel, verschwand mit Walter Ulbricht. Es ist nicht das alleinige Verdienst Sindermanns, daß damals eine so optimistische Atmosphäre im Bezirk um sich griff. Sie herrschte übrigens nicht nur in Parteikreisen, sondern auch weit darüber hinaus. Der 1. Sekretär der Bezirksleitung inspirierte und begünstigte das Klima entscheidend. Neckermann bekam in der DDR plötzlich Konkurrenz. "Sindermann macht's möglich", hieß nun ein populärer Slogan.

H. S. bewies auch hohe Verantwortung für die mittelalterliche Geschichte und deren Bauwerke. Pflege und Teilrestaurierung einiger Burgen gehen auf sein Konto. Eine historische Ruine im Unstrutgebiet wurde vom Volkseigenen Gut als Hühnerauslauf, die Krypta als Kartoffelkeller genutzt. Als wir dort gelegentlich vorbeikamen, wollte Sindermann einen Abstecher zu dieser Burgruine unternehmen. Er stürmte in das VEG-Büro, wo alle aufsprangen, um ihn überschwenglich zu begrüßen. Horst wischte alles mit den Worten beiseite: "Was fällt Euch Barbaren ein, Eure Hühner sch... auf die tausendjährige Tradition der Zeit Heinrichs und Otto I." Einige Tage später kam die Nachricht, die Ruine sei geräumt, gesäubert und der Öffentlichkeit zugänglich.

Horst Sindermann war auch an der Neubesinnung auf die Bauhaustradition und der Wiederherrichtung des Bauhauses in Dessau beteiligt. Eine Öffnung zu traditionsbewußtem Umgang mit dem Kulturerbe setzte ein.

All diese Hoffnungen brachen jäh ab, als auf dem VIII. Parteitag der SED beschlossen wurde, die Wohnungsfrage als soziales Problem kurzfristig mit dem industriellen Bau von drei Millionen Wohnungen zu lösen. Eine gute Absicht verkehrte sich durch Verabsolutierung in ihr Gegenteil. Ohne Rücksicht auf Verluste zählte jetzt nur noch die Anzahl der jährlich von den Taktstraßen zu liefernden Wohnblöcke. Eintönigkeit hielt Einzug. Ein geläufiges Wort dieser Tage war "Ruinen schaffen ohne Waffen". Das Heimatgefühl der Einwohner wurde teilweise verschüttet.

In den 60er Jahren habe ich von H. S. etliche Reden zu Themen der Literatur, zur Geschichte des deutschen Handwerks oder zur Arbeiterbewegung gehört, die sich in ihrem Niveau von den damals üblichen "Ausführungen" deutlich unterschieden. Sie waren inhaltlich außergewöhnlich und rhetorisch brillant, hatten nichts von den Deklamationen und öden Leitartikeln an sich, von denen die Medien zunehmend beherrscht wurden.

Aus seiner Berliner Tätigkeit im ZK hatte Sindermann unter namhaften DDR-Künstlern viele Freunde. In ihren Kreisen genoß er hohe Anerkennung. Mir wurde bewußt, welche außerordentlichen Fähigkeiten zur Leitung und Beflügelung von Kunst und Kultur in der DDR er besaß. Souverän, mit Bildung, Wissen und Toleranz bewegte er sich unter Journalisten, Literaten, Theaterleuten und bildenden Künstlern. Anfangs war ich sprachlos, hörte nur zu und lernte, aber später übertrug er mir zunehmend die Rolle seines "Wirtschaftskommentators".

Eines Tages hatte H. S. um eine Besichtigung des Naumburger Doms gebeten. An Ort und Stelle waren wir beeindruckt, daß uns der aus Magdeburg angereiste Bischof mit der Erklärung empfing, er habe es sich nicht nehmen lassen, Herrn Sindermann selbst zu begleiten, da er sich über den Besuch sehr freue. Es ging ungezwungen und heiter zu. Bisweilen ergänzte Sindermann die Ausführungen des Bischofs mit genauen Zeit- und Personenangaben. Bei den Stifter-Figuren wandte er sogar ein: "Herr Bischof, Sie irren, das war im Jahre ..." Als der Geistliche die unglaublichen Detailkenntnisse von H. S. lobte, erwiderte dieser: "Wenn man zwölf Jahre in faschistischen Zuchthäusern und Konzentrationslagern sitzt, darunter viele Jahre in Einzelhaft, dann liest man alles, was erlaubt und beschaffbar ist. Dazu gehörte die Geschichte des Naumburger Doms."

Der hier geschilderte Stil entsprach keineswegs der Norm jener Tage. H. S. provozierte geradezu das Mitdenken. In Parteiversammlungen wie auf Massenkundgebungen wählte er stets die freie Rede. Er mußte sich zwingen, auf Delegiertenkonferenzen und bei Rechenschaftslegungen, wo ein vorbereiteter Text Bedingung war, diese Norm nicht zu brechen. Doch selbst da drängte sein Temperament zu freiem Abschweifen.

Seine Führungsmethode erhob Anspruch auf eine schöpferische, facettenreiche Parteiarbeit, die Begeisterung wecken mußte. Sie zerbrach die Tristheit, das Bleierne und Langweilige im täglichen Wirken des Apparats, die Menschen nicht gewannen, sondern müde machten. Immer war er mit seiner hohen Intellektualität zu anspruchsvollen ideologischen und geistig-kulturellen Diskussionen bereit. In Gesprächsrunden fand er oft kein Ende. Die Menschen um ihn herum redeten, hörten zu und freuten sich mit ihm. Während anderswo stets auf die Uhr geschaut und das Ende herbeigesehnt wurde, mußte man Sindermann sanft Schluß gebieten.

H. S. war ein Feind jeglicher Bürokratie und des Administrierens. Für selbstverständlich hielt er es, daß andere ihm das abnahmen. Manchmal sagte er in einem etwas überheblichen Ton: "Wozu gibt es denn eigentlich den Rat des Bezirks ...?"

Ich möchte kein Idealbild von Horst Sindermann zeichnen. Mit Jahrzehnten Abstand aber empfinde ich um so stärker, wie gut es unserer Partei und der DDR getan hätte, an vielen Stellen solche Sindermanns gehabt zu haben. Sicher gab es sie, aber ließ man sie auch gewähren?

Für die damalige Zeit, die noch von Nachkriegserscheinungen, antifaschistischer Unduldsamkeit und besonders erbitterten Klassenauseinandersetzungen geprägt war, wirkte Sindermanns souveräne Art befreiend und entkrampfend. Er konnte Parteipolitik gewinnend und unkonventionell vermitteln. Drohen und Einschüchtern waren nicht seine Sache. So geistig freizügig, phantasievoll und schöpferisch er war, in Personalfragen, bei der Beurteilung von Menschen ließ er sich oft vorschnell für jemanden einnehmen. Er reagierte auf brillierende, oberflächliche Erscheinungen. So konnte man ihm leicht jemanden "unterjubeln". Manche haben das mißbraucht.

Ich habe stets den Verdacht gehabt, daß H. S. gerade wegen seiner besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten die von ihm in Halle beschrittene Strecke nicht weitergehen durfte. Sein Aufstieg mußte offenbar durch einen ihm zugewiesenen "Weg nach oben" gebrochen werden. Einen Mann wie ihn 1971 zum Ersten Stellvertreter, 1973 zum Ministerpräsidenten der DDR zu machen, kann kein einfacher "kaderpolitischer Irrtum" gewesen sein. Mir scheint, daß es Absicht war, einem Mann, der im Bezirk an der überwiegend blassen Parteielite vorbei zu großem Ansehen gelangte, in einer für ihn völlig ungeeigneten zentralen Funktion den Nimbus und das Selbstvertrauen zu nehmen. H. S. muß das gespürt haben. Als wir in den Tagen vor dem VIII. Parteitag in Halle zusammensaßen und er uns mitteilte, was auf ihn zukomme, wirkte er unsicher und krampfhaft bemüht, die Entscheidung des Politbüros zu begründen.

Wenn Sindermann der Partei mit seinen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit hätte tatsächlich nützen sollen, dann als Sekretär des ZK für Agitation und Propaganda, für Wissenschaft, Kultur und Medien. Dort wäre sein Platz gewesen. Das aber hätte die geistig-kulturellen Unterschiede zu Leuten anderer Qualität, die damals im Politbüro Erbrecht und Alterssitz hatten, unweigerlich zutage treten lassen. Ich meine Honecker, Hager, Mielke und andere. Mittag hätte seine Monopolstellung verloren, mancher vielleicht neue Charakteristika und mehr geistiges Profil gezeigt. Stoph möchte ich in diesem Zusammenhang unbeurteilt lassen. Der Vorsitzende des Ministerrates wurde immer als Gescholtener und Schuldiger für alles gebraucht. Auf diesen Posten stellte man nun Sindermann.

Aufstieg und Sturz waren vorprogrammiert. Nach seinem absehbaren Scheitern als Regierungschef wurde er auf das versilberte Abstellgleis des Präsidenten der Volkskammer geschoben. In diesem überwiegend mit Repräsentationsaufgaben verbundenen Amt vertrat er die DDR wirkungsvoll. Bei einem Staatsbesuch in der BRD war das Echo in der dortigen Presse nachhaltig. Später erfuhr ich, Sindermanns politische Resonanz habe bei einigen Mitgliedern des Politbüros keine reine Freude ausgelöst. Dabei mußte ich an das Bibelwort denken: "Du sollst nicht haben andere Götter neben mir."

Heinz Schwarz


Der leicht überarbeitete und gekürzte Beitrag stützt sich auf das Buch "Prägungen aus acht Jahrzehnten", GNN-Verlag 2004

Unser Autor war von 1963 bis 1971 Wirtschaftssekretär der SED-Bezirksleitung Halle und im selben Zeitraum Kandidat des ZK. Von 1971 bis 1983 arbeitete er als Generaldirektor des Chemiekombinats Bitterfeld, dann als Direktor der RGW-Organisation INTERCHIM.

Raute

Vor 65 Jahren wurde die Deutsche Volkspolizei gegründet

Wirken für den sozialistischen Rechtsstaat

Dieser Tage jährt sich zum 65. Mal die Gründung der Deutschen Volkspolizei (DVP). In der sowjetischen Besatzungszone war es das Vertrauen der Sieger über den Faschismus in die aus den Zuchthäusern, Konzentrationslagern und der Emigration zurückgekehrten deutschen Antifaschisten, daß gerade sie mit der Bildung einer neuen Polizei beauftragt wurden.

Die Geburtsurkunden der Deutschen Volkspolizei waren die Befehle der sowjetischen Militärkommandanten in den Kommunen und Ländern. Am 25. Mai 1945 erteilte der Militärkommandant der Stadt Berlin, Generaloberst Bersarin, den Befehl, bis zum 1. Juni die Bildung eines Schutzpolizeiapparates zu vollziehen. So wurde zunächst der 1. Juni zum Ehrentag der DVP erklärt. Später verlegte man ihn, da dieses Datum bereits an den Internationalen Kindertag vergeben worden war, auf den 1. Juli.

Bei Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 war die Deutsche Volkspolizei das einzige bewaffnete Organ, über das der Staat verfügte. So wurde sie zur "Mutter" der zu schaf fenden Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR (NVA, Staatssicherheit, Zoll, Grenztruppen).

Unterpfand dafür, daß sich die DVP als eine antifaschistische Polizei des Volkes entwickelt, waren die Beschlüsse der KPD, später SED, die schützende Hand der sowjetischen Befreier und der Einsatz von Antifaschisten in Führungsfunktionen aller Ebenen. Dafür sprechen nicht nur die Namen der Chefs der DVP Dr. Kurt Fischer (1949), Karl Maron (1950) und Friedrich Dickel (1963), sondern auch Tausende andere. Ich kenne Herbert Grünstein, Willi Seifert und viele andere Antifaschisten aus gemeinsamer Arbeit. In regelmäßigen Abständen lud Minister Dickel alle Spanienkämpfer, die in den Reihen der DVP dienten, zu einem Empfang. Auch sie gehörten zu den Garanten.

Bei solchem Potential an der Spitze der Volkspolizei hatten "berufserfahrene" Experten aus der faschistischen Polizei, der Gestapo, der Feldgendarmerie, der Wehrmacht und der SS keine Chancen, in die Polizei des Volkes aufgenommen zu werden oder einzudringen.

In den westlichen Besatzungszonen standen ihnen hingegen Tür und Tor offen, wie jüngste Eingeständnisse des BND und des Verfassungsschutzes einmal mehr belegen. Es war eine enorme Leistung, die Polizei des neuen Staates aus berufsfremden Personen aufzubauen und zu einem wirkungsvollen Organ der öffentlichen Sicherheit zu entwickeln.

Eingestellt wurden vor allem junge Arbeiter und Bauern. Mein Vater war 1947 Arbeiter am Karbidofen der Bunawerke im 3-Schicht-Dienst. Er wurde für die neue Polizei geworben, in Kurzlehrgängen geschult und in der Tätigkeit weitergebildet. Er war Volkspolizist im Gruppenposten Frankleben (Kreis Merseburg) und später Gruppenpostenleiter in Kitzen (Kreis Leipzig/Land). 1949 kamen 83 % aller Volkspolizisten aus der Arbeiterklasse.

Die ersten zehn Jahre waren für alle Dienstzweige der DVP die schwersten. Es mangelte ja nicht nur an berufserfahrenem Personal, sondern auch an Ausrüstung und einer kriminalpolizeilich-wissenschaftlichen Basis.

Ich schwöre, daß ich, ohne meine Kräfte zu schonen, auch unter Einsatz meines Lebens, die sozialistische Gesellschafts-, Staats- und Rechtsordnung, das sozialistische Eigentum, die Persönlichkeit, die Rechte und das persönliche Eigentum der Bürger vor verbrecherischen Anschlägen schützen werde.

Aus dem Eid der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei

Die sowjetischen Berater und Experten der Sowjetarmee halfen über viele Hürden hinweg. Es ist deshalb unverständlich, wenn heute westdeutsche Aktenforscher einzelne schwere Kriminalfälle jener Zeit ausgraben, Fehler der Kriminalisten und deren Vorgesetzter anprangern und zum Beweis ihrer Unrechtsstaatsbehauptungen machen wollen. Fehler in der kriminalistischen Spurensicherung und Justizirrtümer gab es damals, sie gibt es aber auch heute.

Der Name Volkspolizei symbolisiert Herkunft, Standort und Auftrag der neuen antifaschistischen Polizei. Es war die Wechselwirkung zwischen Volk und Polizei, die diese stark machte. Volkspolizisten halfen den Bauern bei der Bodenreform und in ihrer knappen Freizeit bei der Ernte auf den Feldern.

Die Losung "Max braucht Wasser" erreichte auch die DVP. Sie baute nicht nur an der Maxhütte Unterwellenborn mit, sondern auch an der Talsperre Sosa und anderen Schwerpunkten. Bei Naturkatastrophen stand die DVP an der Seite der bedrohten Menschen. Sie schützte diese vor kriminellen Handlungen, setzte Recht und Ordnung durch, packte aber auch beim Aufbau der neuen Gesellschaft mit an.

Das Volk schickte seine Söhne und Töchter zur Volkspolizei und unterstützte deren Arbeit ganz intensiv. Ende der 80er Jahre sorgten 470.000 Kameraden der Freiwilligen Feuerwehren mit den Berufsfeuerwehren für den Brandschutz. Ebenfalls 470.000 Bürger arbeiteten in Sicherheitsaktiven mit. Als VP-Helfer waren 135.000 Frauen und Männer zugelassen. Man könnte noch weitere unterstützende Aktivitäten hinzuzählen, z. B. die Hausbuchbeauftragten.

Wo gab es jemals in Deutschland eine derart umfassende freiwillige und bewußte Unterstützung der Arbeit der Polizei? Die DVP war fest im Leben der Gemeinschaft verankert, wovon nicht nur die 5600 Volkspolizisten zeugten, die Abgeordnete waren. Orchester, Chöre und Singegruppen der DVP gehörten zu Volksfesten ebenso wie der ABV beim LPG-Vergnügen. Es war ein Gefühl der gelebten und erlebten Gemeinsamkeiten.

Wichtigstes Bindeglied war das 1952 geschaffene System der Abschnittsbevollmächtigten der DVP. Diese Polizisten in den Dörfern, Städten und Stadtbezirken waren die Ansprechpartner für alle Bürger in Sachen Sicherheit. Meist war die Rede von "unserem" ABV. Wenn auch nicht jeder von ihnen die Erwartungen der Bürger erfüllte, so denken doch viele Ostdeutsche heute gerne daran zurück, als sie noch jemanden vor Ort hatten, an den sie sich ständig wenden konnten. Nachdem 1990 das ABV-System zerschlagen worden war, begannen die neuen Machthaber, "Kontaktbeauftragte" bei der Polizei größerer Städte einzuführen. Die alte Akzeptanz wurde jedoch nie erreicht.

Die Entwicklung der einzelnen Dienstzweige der DVP zu wirkungsvollen Instrumenten bei der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, auch der Kriminalitätsbekämpfung, ist ein bleibendes Verdienst des Ministers des Innern und Chefs der DVP, Armeegeneral Friedrich Dickel. Er leitete diesen Prozeß von 1963 bis 1989. Die Forderungen an seine Stellvertreter sowie die Leiter von Hauptabteilungen/Verwaltungen und die Chefs der Bezirksbehörden der DVP waren sehr hoch. Bei unzureichenden Arbeitsergebnissen und persönlichen Fehlern galt seine Kritik oft als sehr schroff. Er war aber nicht nachtragend. Seine Lebensweisheit und seine zunehmende Erfahrung als Regierungsmitglied (er gehörte zu den dienstältesten Ministern) verliehen ihm analytische Fähigkeiten und großes politisch-ideologisches Stehvermögen. Im Sommer 1989 nahm ich an einem Gespräch mit Gorbatschows Innenminister Bagatin teil, bei dem Dickel in ungewöhnlich klaren Worten den Untergang des Sozialismus in der UdSSR, und damit auch in der DDR, voraussagte. Ich hielt das - offen gesagt - damals für Altersstarrsinn, war ich doch anfangs von Glasnost und Perestrojka begeistert.

Dem Volke verbunden und vom Vertrauen des Volkes getragen, leistet die Deutsche Volkspolizei durch ihre Tätigkeit einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Entwicklung und Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit, der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit sowie der Gestaltung der sozialistischen Menschengemeinschaft.

Aus dem Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Volkspolizei vom 11. Juni 1968

Mit der Krise der DDR im Jahre 1989 geriet auch die Deutsche Volkspolizei in eine komplizierte Situation. Die ungelösten gesellschaftlichen Widersprüche sowie die Gelähmtheit der Führungsorgane von Partei und Staat, vor allem des Politbüros der SED, wurden auf die Sicherheitsorgane abgewälzt.

Entscheidungen des Generalsekretärs bzw. des Politbüros spitzten den Konflikt zu und verschärften die ohnehin komplizierte Sicherheitslage noch mehr. So hatte z. B. die ohne Konsultation mit dem Innenminister getroffene Regelung zu den Sonderzügen mit vorher in der Prager Botschaft der BRD befindlichen Personen verheerende und demoralisierende Folgen für die öffentliche Ordnung und die Bahnsicherheit. Eine Fahrt von Prag direkt in die Bundesrepublik hätte dem Ansehen der DDR wohl weniger geschadet. Erstmals mußten Volkspolizisten massiv gegen Teile des eigenen Volkes vorgehen, auch wenn diese vom Klassenfeind aufgeputscht, von Provokateuren und Randalierern durchsetzt waren. Dieses Einschreiten gegen Massenproteste aus der eigenen Bevölkerung sprengte den Rahmen der fünfzigjährigen Entwicklung der Volkspolizei. Sie war darauf weder politisch-moralisch und psychologisch noch taktisch und ausrüstungsmäßig vorbereitet. Die angewendete polizeiliche Gewalt war angesichts der bedrohten höheren Rechtsgüter notwendig und angemessen, sieht man von Ausnahmen ab. Die heute gern durch die Medien verbreiteten Gruselgeschichten von einer auf Befehl prügelnden Volkspolizei-Meute gehören in das Reich maßloser Übertreibung.

Ich war 1990 mit allen Chefs der Bezirksbehörden der DVP und anderen Führungskadern auf einem Kurzlehrgang in Bayern. Dort zeigte man uns die Einsatzunterlagen, Polizeifilme und Auswertungen von Polizeiaktionen zur Niederhaltung von Gegnern des Atomkraftwerkes Wackersdorf. Dieses äußerst brutale Vorgehen der bundesdeutschen Polizei war nach bayerischer Bewertung durchaus "rechtsstaatlich". Im Vergleich mit Einsätzen der Volkspolizei in Berlin und Dresden war Wackersdorf ein Sturm und Berlin ein lauer Sommerwind.

Mit dem Ende der DDR fand auch die Geschichte der Polizei des Volkes ihren Abschluß. Die Volkspolizisten wurden weitestgehend "abgewickelt", d. h. in die Arbeitslosigkeit entlassen. Nur ein Teil der unteren Offiziersdienstgrade und Wachtmeister konnte sich für die Polizei der "neuen Länder" oder des Bundes bewerben und wurde bei Zurückstufung des Dienstgrades eingestellt.

Die Volkspolizei aber lebt weiter in der Erinnerung der Ostdeutschen. Sichtbarer Ausdruck dessen sind die Traditionsvereine mit ihren regelmäßigen öffentlichen Treffen (z. B. Verkehrspolizei, Fahrzeuge und Technik in der VP, Feuerwehr DDR) und die privatbetriebenen Museen Deutsche Volkspolizei. Den Satz: "Ich bin stolz, Volkspolizist gewesen zu sein", hört man immer öfter.

Generalmajor a. D. Dieter Winderlich, letzter Chef der DVP


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Volkspolizisten helfen beim Bau der Talsperre Sosa

Ende RF-Extra

Raute

Mumia Abu-Jamal befindet sich seit 28 Jahren in der Todeszelle

USA-Justiz tritt Menschenrechte mit Füßen

"Eure Ideen selbst sind Erzeugnisse der bürgerlichen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, wie euer Recht nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse ist, ein Wille, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen Lebensbedingungen eurer Klasse." Der Satz aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels wurde in der Justizgeschichte bürgerlicher Demokratien vielfach bestätigt, auch durch politisch gewollte, im Wissen um die Unschuld der Opfer herbeigeführte und vollstreckte Todesurteile - wie 1927 in den USA trotz weltweiter Proteste und Massenkundgebungen mit der Hinrichtung von Sacco und Vanzetti. Fast ausschließlich sind Angehörige der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung betroffen, besonders wenn sie als Mitglieder kommunistischer, sozialistischer oder anarchistischer Organisationen gelten oder wie Mumia Abu-Jamal zum afroamerikanischen Widerstand in den USA gehören. Niemand kann sagen, ob Tage, Wochen oder Monate vergehen werden, bis in einer erneuten Verhandlung über das Schicksal des derzeit prominentesten politischen Gefangenen in den Vereinigten Staaten entschieden wird.

Alle Bemühungen der Anwälte Mumias, eine Wiederaufnahme des Gesamtverfahrens zu erreichen, sind gescheitert. Der Oberste Gerichtshof der USA hat unlängst die Anträge der Verteidigung abgelehnt, den Fall erneut aufzurollen. Er weigerte sich abermals, das Verfahren von 1982 gegen Mumia als verfassungswidrig einzustufen.

Das hatte der Supreme Court bereits einmal in seiner Entscheidung vom 6. April 2009 getan: Der Antrag der Verteidigung auf ein neues und faires Verfahren, wie es seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen und der internationalen Solidaritätsbewegung gefordert wird, ist auch damals ohne jegliche Begründung verworfen worden. Die Antwort an Mumias Anwalt Robert Bryan bestand aus zwei Worten: "Antrag abgelehnt".

In der Sache ging es wiederum nur um Bestätigung oder Aufhebung des Urteils vom 3. Juli 1982 wegen angeblich erwiesenen Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner. Entweder, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, Aufrechterhaltung der Todesstrafe oder Neuverhandlung - dann aber lediglich über das Strafmaß. So stand die Alternative. Der zweite Fall trat ein, und die Sache wurde an das zuständige Gericht in Philadelphia zurückverwiesen. Dessen 12köpfige Geschworenenjury hat nun, da die Wiederaufnahme des Verfahrens bereits höchstinstanzlich abgelehnt worden ist, nur noch zwischen Bestätigung des Todesurteils und lebenslanger Haft zu entscheiden. Hätte der Supreme Court hingegen das damalige Strafmaß als rechtens bezeichnet, dann wäre der Gouverneur von Pennsylvania, Ed Rendell - vormals jener Staatsanwalt, der gegen Mumia ermittelt hatte - dazu befugt gewesen, umgehend den Hinrichtungsbefehl zu unterzeichnen. Der Gefangene würde mit einer Giftspritze umgebracht.

Mumia befindet sich also nach wie vor in höchster Gefahr. Darauf weist auch Robert Bryan in Rundschreiben hin. Er weiß aufgrund intimer Erfahrungen mit der US-Justiz und aufgrund seiner Einschätzung des derzeitigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses in den USA, daß die Frage, ob Mumia hingerichtet wird oder überlebt, zu seinem Nachteil entschieden werden kann. Entsprechend informiert er über den jeweiligen Stand des Verfahrens, nimmt nicht nur juristisch, sondern auch politisch Stellung und bereist viele Länder, um dort seiner Überzeugung von Mumias Unschuld Ausdruck zu verleihen, für dessen Freilassung einzutreten und zur Aktivierung der internationalen Bewegung für die Abschaffung der Todesstrafe beizutragen.

Seit dem 9. Dezember 1981 ist Mumia Abu-Jamal in Haft. Verurteilt wurde er am 3. Juli 1982. Die Jury, die ihn im Schnellverfahren als Mörder des erschossenen Polizisten Daniel Faulkner ausmachte, entsprach in ihrer von der Staatsanwaltschaft manipulierten Zusammensetzung weder den gerichtlichen Vorgaben, noch berücksichtigte sie die zahlreichen Hinweise, die Mumia entlasten und auf einen anderen Täter hinweisen. Der Vorsitzende Richter Sabo, der dem damals mittelosen Angeklagten das Geld für eine qualifizierte Verteidigung verweigerte, wurde durch seinen Ausspruch bekannt: "Ich werde ihnen helfen, diesen Nigger zu grillen."

Seitdem ist Mumia im Todestrakt. Seine Zelle im G-Block, dem besonders gesicherten Knast innerhalb des Gefängnisses SCI Greene von Waynesburg, einer Provinzstadt südlich von Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania, ist ein Betonkäfig von wenig mehr als 2 x 3 Metern, wie die von über 3000 anderen Gefangenen in den Todestrakten der USA. Hinrichtungstermine und Aufschiebung der Exekution, 27 Jahre Isolierung, nur unterbrochen von gelegentlichen Besuchen und den kurzen Zeiten täglichen Hofgangs in einem verdrahteten Käfig, den Mumia in seinen Berichten mit einem Hundezwinger vergleicht.

Mehrfach stand die Hinrichtung Mumias bereits unmittelbar bevor. Zunächst nach seiner Verurteilung, dann 1995 und 1999. Berufungsanträge der Verteidigung und internationale Proteste konnten sie bislang verhindern.

Der Prozeß gegen Mumia Abu-Jamal und das über ihn verhängte Todesurteil gelten als Beispiel für Rassismus und Klassenjustiz. Dabei handelt es sich um eine Institution wie Militär, Polizei und Medien, die unabdingbar für die Machtsicherung der herrschenden Klasse ist. Beim Rassismus geht es um eine Ideologie, die der Durchsetzung ihrer Interessen oder der Rechtfertigung ihrer Handlungen dienlich sein kann.

In einem Grußwort vom 4. Januar 2008 an die Rosa-Luxemburg-Konferenz der "jungen Welt" warnte Mumia Abu-Jamal - bezogen auf die Schwäche der Arbeiterbewegung in den USA - vor einem "Rassen-Bewußtsein, welches das Klassenbewußtsein bis in die heutige Zeit überlagert". Abgesehen von der Übertragbarkeit seiner Warnung auch auf deutsche Verhältnisse hat die Klärung dieser Frage zur Konsequenz: Mumia ist nicht nur Opfer der Rassenjustiz, dem als Afroamerikaner Unrecht geschieht - er wurde zum Tode verurteilt, und alle Revisionsanträge seiner Verteidigung werden bis heute verworfen, weil er in den USA politisch Widerstand geleistet hat und leistet. Man verfolgte Mumia lange bevor er verurteilt wurde, weil er sich mit der Black-Panther-Bewegung, der auch Angela Davis ursprünglich nahegestanden hatte, gegen die Unterdrückung der Armen, die in den USA zu großen Teilen schwarz sind, zu wehren wußte. Die internationale Solidaritätsbewegung tritt gerade auch deshalb für ihn ein, weil er sich politisch nicht unterwirft.


Der in der Zeitschrift "Arbeiterstimme" erschienene Beitrag wurde aktualisiert und redaktionell leicht überarbeitet.

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Amnestiegesetz von 1977 ließ Francos Mordbanden straffrei ausgehen

Spanien: Ein Übergang, der keiner war

Der inzwischen selbst juristisch belangte spanische Starrichter Baltasar Garzón hatte die Entscheidung getroffen, die Fälle unter der Franco-Diktatur "auf gewaltsame Weise Verschwundener" zu untersuchen. Daraufhin präsentierten Falangisten und ähnliche Rechtsradikale ihrerseits Klagen wegen "Rechtsbeugung". Denen wurde stattgegeben. All das brachte die interne Debatte zum politischen Übergang (Transición) vom Faschismus zur konstitutionellen Monarchie, vor allem aber über das Amnestiegesetz vom 15. Oktober 1977, ans Licht der Öffentlichkeit. Dessen Überprüfung führte zur Bloßlegung der Umstände, unter deren Einfluß es erlassen worden war. Sie offenbarte den keineswegs modellhaften Charakter jener angeblichen nationalen Versöhnung, die Opfer und Henker des Franco-Regimes auf eine Stufe stellte.

Das Amnestiegesetz wurde in Wahrheit erlassen, um den ersten "Konsens" der Übergangsperiode - die Einigung auf Vergessen und Vergeben der Vergangenheit - in völlig ungerechter Weise abzusegnen. Danach wurden alle Straftaten mit politischer Absicht, die vor dem 15. Dezember 1976 begangen worden waren, amnestiert. An jenem Tag hatte das Referendum über das politische Reformgesetz von Suárez als Ausgangspunkt des Regimewechsels stattgefunden. Artikel 2 bezog "Straftaten und Vergehen, die von Behörden, Funktionären und Ordnungskräften aus Gründen der Ermittlungen und Verfolgungen von durch das Amnestiegesetz erfaßten Handlungen verübt worden sein könnten, in die Amnestie ein". Schließlich fielen auch "die von den Funktionären und Vertretern der öffentlichen Ordnung begangenen Straftaten gegen die Ausübung der Bürgerrechte" unter die Amnestie. Auf diese Weise wurde die ewige Straflosigkeit der Willensvollstrecker der faschistischen Diktatur und ihrer Verbrechen im Austausch mit einer Teil-Amnestie für diejenigen, die das Franco-Regime bekämpft hatten, abgesegnet.

Positiv war, daß nicht wenige politische Gefangene Francos, darunter auch solche, die vor dem erwähnten Datum "Bluttaten" begangen hatten, aus dem Gefängnis entlassen wurden. Andererseits blieben jene in Haft, die sich zwischen dem 15. Dezember 1976 und dem 15. Juni 1977 zu verfolgender Delikte schuldig gemacht haben sollten. Emigranten und in Drittländer Deportierte konnten nun zurückkehren. Republikanische Militärs aber, die der UMD und der Organisation antifranquistischer Soldaten angehört hatten, welche sich in den letzten Jahren der Diktatur herausbildeten, fielen nicht unter die Amnestie. Genauso verhielt es sich mit Personen, die wegen Ehebruchs, Abtreibung, Gebrauchs von Verhütungsmitteln und Homosexualität verurteilt worden waren Dieses Kapitel fand erst 30 Jahre später seinen Abschluß.

Bei dem Amnestiegesetz handelte es sich also de facto darum, Sieger und Besiegte des Bürgerkrieges, Franquisten und Antifaschisten, gleichzusetzen. Es gestattete dem Repressionsapparat, der sich bis in unsere Tage ständig reproduziert und besonders in der Macht der Justiz fortsetzt, ein Überleben.

Besonders schlimm ist die Tatsache, daß dieser Pakt bereits am 11. Januar 1977 auf einer Zusammenkunft führender Vertreter der "demokratischen antifranquistischen Opposition" und Suárez entworfen worden ist. Bevor ausgelotet werden konnte, bis zu welchem Grad man binnen einiger Monate Veränderungen im Kräfteverhältnis würde herbeiführen können, erklärte man sich bereit, "reinen Tisch zu machen". Das bedeutete, auf jegliche Verfolgung während des Bürgerkrieges und unter der Diktatur begangener faschistischer Verbrechen zu verzichten. Obwohl die Wahlergebnisse vom Juni 1977 die Erwartungen der franquistischen "Reformer" um Suárez übertrafen, bekundeten alle mit Ausnahme eines Kongreßabgeordneten und eines Senators ihre Bereitschaft, zusammen mit anderen Gruppen eine "Amnestie aller und für alle" erreichen zu wollen. Sogar im Vorschlag der KP Spaniens (PCE) wurde die Notwendigkeit unterstrichen, "die Teilung der Spanier in Sieger und Besiegte des Bürgerkrieges definitiv zu überwinden". Die baskischen Nationalisten der PNV und die katalanischen Anhänger Pujols baten darum, sich der neuen Etappe "durch Vergessen und die Überwindung von allem vorangegangenen Bitteren" zu stellen. Diese Formel wurde von der PSOE - Spaniens Sozialdemokraten - aufgegriffen. Nur die Gruppe der Alianza Popular (sie war die Vorgängerin der heutigen Rechtspartei PP) meldete Vorbehalte an, die sich aber so weit abschwächten, daß auch sie am Ende nicht gegen das Gesetz votierte. Während dieser Debatte bekannte sich die KP Spaniens zu ihrer seit 1956 verfolgten Politik der "nationalen Versöhnung". Ihr damaliger Generalsekretär Santiago Carrillo erklärte auf einem Meeting: "Wir wollen mit dem Bürgerkrieg ein für allemal Schluß machen."

Fazit: Das Amnestiegesetz von 1977 war eine der bittersten Pillen der Transición und des Kurses der "nationalen Versöhnung", die sich noch immer bester Gesundheit erfreut. Man benutzt sie nach wie vor, um zu verhindern, daß unverjährbare faschistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Anklage kommen können. Der Fall Garzón zeigt überdies, daß der spanische "Übergang" keineswegs "modellhaft" gewesen ist, wie der bekannte Philosoph und Soziologe Jon Elster in seiner vergleichenden Forschungsarbeit nachweist. "Der spanische Fall ist einzigartig unter den Übergängen zur Demokratie", konstatierte er. "Es gab eine überlegte und abgestimmte Entscheidung, jegliche Übergangsjustiz zu vermeiden."

Prof. Jaime Pastor, Madrid, aus "Sin Permiso"

Übersetzung: Isolda Bohler †


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Wie spanische Antifaschisten 1976 den Übergang von der Franco-Herrschaft zur gemäßigteren Form der Diktatur des Kapitals sahen

Raute

Berichtigung

In Walter Ruges Artikel "Gegen Blauäugigkeit und Worthülsen-Jargon" (RF 149) hat sich ein Zahlendreher eingeschlichen.
Statt Art. 51 des GG muß es Art. 15 heißen.

Raute

Reißt Griechenlands Absturz den Euro mit in die Tiefe?

Händereiben in der Wall Street

Wer die Götter herausfordere, warnte Äschylus, der Vater des griechischen Dramas, könne seinem Schicksal nicht entgehen: Nemesis, die Göttin der Rache, werde derlei Verwegenheit strafen. Das moderne Griechenland fiel auf die Verlockungen des Kapitalismus, der herrschenden Gottheit, herein: Die Kreditwirtschaft, die ungehinderte Profitgier als Faß ohne Boden und die Skrupellosigkeit der Herrschenden beschworen die Nemesis des Bankrotts.

Die "neoliberale" Losung weltweiter "freier Marktwirtschaft" öffnete den Investoren aus Konzernen und Banken alle Schranken. Globalisierung aber bedeutet, daß Kapital dort hinfließt, wo die Renditen am günstigsten sind.

Wirtschaftlich unterentwickelte Länder wie Hellas konnten sich uneingeschränkt Luxuswaren "auf Pump" leisten. Doch hat Griechenland nur magere Einkunftsquellen: Tourismus, Export einiger Agrarprodukte wie Olivenöl und Schafskäse sowie Transit-Handel. Heute kann sich der südeuropäische Staat nicht mehr mit eigener Kraft aus dem Schuldenmorast befreien. Er ruft jene zu Hilfe, die ihn eigentlich noch tiefer hineinstoßen möchten. Doch die europäische Leitwährung ist in Gefahr. Griechenlands Staatsbankrott würde den Zusammenbruch des Euro nach sich ziehen. Das allein ist es, was die tonangebenden Kreise der EU meinen, wenn sie von "Rettung" sprechen.

Die nördlichen Industriestaaten Europas hatten es verfehlt, die südlichen und östlichen Agrarländer des Kontinents Schritt für Schritt auf ihre Entwicklungsstufe zu heben. Das deutsche Großkapital zeigte kein Interesse an Investitionen auf lange Sicht, zumal in den Entwicklungsländern Afrikas und Asiens schnelle Mega-Profite lockten. Ähnlich verhielten sich Frankreich, Großbritannien und Skandinavien.

Vor der Finanzkrise von 1997/98 hatten europäische Banken insgesamt 250 Mrd. US-Dollar in bestimmten Ländern Südasiens investiert. Deutschland rangierte dabei mit 103 Mrd. an erster Stelle, gefolgt von Großbritannien (64 Mrd.), Frankreich (59 Mrd.) und den Niederlanden (23 Mrd.). Nach Angaben des Investment-Bankiers Morgan Stanley kassierten in Asien etwa 18 der größten europäischen Unternehmen Renditen von über 20 %. Unter ihnen befanden sich British Airways, Royal Dutch Shell und Ericsson.

Bis heute hat das Fehlen eines abgestimmten wirtschaftlichen und politischen Konzepts Teile Europas im Zustand industrieller Unterentwicklung belassen, der sich auf die Stabilität des Euro verheerend auswirkt.

Wirtschaftlich schwache Mitgliedsstaaten der EU wie Griechenland, Portugal, Spanien und Irland mußten sich dem Diktat der NATO beugen und beträchtlich zu den verschiedenen Aufrüstungsplänen und militärischen Extravaganzen wie den Kriegen in Irak und in Afghanistan beitragen. So war Griechenlands Defizit in den Jahren 2000 bis 2003 um 1,9 % größer als ursprünglich mit 2 % angegeben, wenn man Militärausgaben im Volumen von 1,6 Mrd. Euro hinzurechnet.

Zwischen 1998 und 2000 arrangierte der Investmentmakler Goldman Sachs - eine führende Wall-Street-Leuchte - 12 der sogenannten Währungs-Swaps mit Griechenland, wobei sich das Mitglied des Euro-Clubs verpflichten mußte, japanische Yen und amerikanische Dollars zu einem künstlich niedrigen Kurs in die eigene Währung umzutauschen. Dieses Manöver ließ das griechische Defizit um mehr als 2 Mrd. Euro geringer erscheinen. Goldman Sachs profitierte nicht nur von einem stabilen Kurs für seine Währungsspekulationen, sondern erhielt obendrein auch noch satte Makler-Prozente. Doch um die griechische Buchhaltung nicht zu belasten, lieh das Investment-Haus diese Summe erst einmal mit langer Abzahlungsfrist an den Kunden, der sie als Einkommen verbuchte. Griechenland war damit der Wall Street hörig.

Im letzten Quartal 2009 waren Banken der BRD mit 43 Mrd. Dollar griechischer Schulden - geschäftlicher und privater Anleihen - belastet, französische Banken mit 75 Mrd. Dollar noch weit mehr. Ein griechischer Bankrott würde diese Gläubiger empfindlich treffen. Schon aus diesem Grunde konnte Athen mit Überbrückungsvorschüssen rechnen.

War Goldman Sachs nur auf eigenen Profit bedacht, oder waren seine griechischen Manöver Teil eines weit umfassenderen Plans mit dem Ziel, die europäische Währung zu untergraben und vielleicht sogar auffliegen zu lassen? Schließlich hat der Euro heute trotz Kursverfalls immer noch einen soliden Ruf auf dem internationalen Währungsmarkt im Vergleich mit dem inflationszerfressenen Dollar.

Der alternde Valuta-Spekulant George Soros hat schon vor geraumer Zeit den Zerfall des Euro vorausgesagt, sollte sich die EU außerstande zeigen, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen und die Defizite der Mitgliedsstaaten zu kontrollieren.

Auf die Meinung dieses "Experten" wird gehört, brachte es Soros doch 1992 fertig, durch spekulativen Druck das britische Pfund aus der europäischen Währungsunion herauszuhalten. 1997/98 sorgte er für den Währungsabsturz in Südkorea, den Philippinen, Malaysia und Indonesien. Wertvolle Industrieobjekte wurden dort von Spekulanten zu Spottpreisen aufgekauft. Die betroffenen Länder erlebten Massenarbeitslosigkeit, die Inflation vernichtete alle Ersparnisse.

Bei einem "Ideen-Dinner" in Manhattan am 8. Februar, dem die bedeutendsten "Hedge-Fonds-Manager beiwohnten, wurde unverblümt über den Währungsverfall des Euro diskutiert, der im Verhältnis zum US-Dollar von 1,51 im Dezember 2009 inzwischen auf 1,35 gesunken war. Einige sagten sogar voraus, irgendwann werde eine Parität mit dem Dollar erreicht sein. Kreisten die Pleitegeier bereits über dem Opfer?

Washingtons Justizministerium instruierte übrigens die bei dem genannten "Dinner" anwesenden "Heuschrecken"-Manager schriftlich, keine den Euro betreffenden Transaktionen oder E-Mails zu vernichten, sondern diese gegebenenfalls zur Prüfung bereitzuhalten.

Der Globalismus - die Weltherrschaft der "Freimärktler" - hat nur eines bewiesen: Freie Märkte bedeuten uneingeschränkten Profit, wobei man dem Motto folgt: Nach uns die Sinflut!

Dr. Vera Butler, Melbourne

Raute

Brief eines deutschen Kommunisten von der Insel La Réunion

Mitten im Indischen Ozean

Zunächst möchte ich mich kurz vorstellen. Ich bin Arzt und war Berufsoffizier der NVA. Jetzt lebe ich mit meiner Frau Marianne im französischen Überseedepartement ×le de La Réunion im Südwesten des Indischen Ozeans. Die Insel befindet sich 700 km östlich von Madagaskar und 11.000 km von Greifswald entfernt, wo wir zuvor arbeiteten und wohnten. Mit dem Erreichen des Rentenalters bin ich als Leiter der größten Fachambulanz gegen Alkohol auf früherem DDR-Gebiet aus Deutschland weggegangen, weil sich die neue Ausbeutergeneration jetzt immer arbeiterfeindlicher und vor allem aggressiver gebärdet. Ich denke dabei an Leute wie Erika Steinbach und ihre "Vertriebenen" oder an Kriegsminister zu Guttenberg und dessen rabiaten Afghanistankurs. Diese Leute haben alles, was einst im deutschen Namen geschah, aus ihrem Bewußtsein verdrängt. Der RF-Leitartikel "Deutsch, deutscher, am deutschesten?" hat darauf aufmerksam gemacht.

Doch ich will den Lesern lieber etwas aus La Réunion berichten. Unsere Vulkaninsel ist eine Perle der Natur. Sie gefällt mir besser als das benachbarte Mauritius und die Seychellen, wohin vor allem die "Schönen und Reichen" aus der BRD - von Ausnahmen abgesehen - zu reisen pflegen.

Verwaltungsmäßig ist La Réunion sowohl ein Departement als auch eine Region (im Zentralstaat Frankreich gibt es die aus Deutschland bekannte Kleinstaaterei der Bundesländer nicht). Alle vier Überseedepartements (außer La Réunion haben diesen Status noch Guyana, Martinique und Guadeloupe) sind so aufgebaut.

Der Unterschied: Nur auf La Réunion lebten vor der Kolonialisierung keine Ureinwohner. Das spürt man in der Gesellschaft noch heute. Unsere Inselbevölkerung umfaßt etwa 800.000 Menschen, die sich in 24 Gemeinden niedergelassen haben. Hauptstadt ist Saint-Denis (180.000 Einwohner). Zu den größeren Städten gehört auch Saint Paul (90.000). Außerdem verteilen sich zahlreiche kleine Orte über die Insel.

Stärkste politische Kraft auf La Réunion sind die Kommunisten, von denen viele indes eher gefühls- als verstandesmäßig reagieren. Die PCR (KP) stellt sieben Bürgermeister. Die Linke wird ergänzt durch die Sozialisten, die sechs solcher Posten bekleiden, und die Öko-Grünen. Bei den reformistisch geführten Gewerkschaften gibt es viel Wirrwarr. Übrigens verhinderte die Sabotage der Sozialisten bei den jüngsten Regionalwahlen im März das abermalige Zustandekommen einer linken Mehrheit im Inselparlament. So ergab es sich, daß La Réunion außer dem Elsaß die einzige Region der Republik ist, die derzeit von Rechten geführt wird. Und das trotz einer linken Wählermehrheit. Die Kommunisten sind daran nicht schuldlos, haben sie doch mit ihrer von Paris ausgehenden Politik des Zurückweichens (trotz des Widerstandes im ZK der PCR) viele Wähler verprellt.

Dem steht der Erfolg der PCR bei den jüngsten Europawahlen gegenüber, für die ein anderer Wahlmodus gilt. Elie Hoarau, ein Kommunist aus La Réunion, errang den einzigen Überseesitz. Aufschlußreich ist auch, daß Sarkozy bei der Präsidentenwahl hier nur eine deutliche Minderheit an Stimmen erhielt.

Die eigentlichen "Inselfürsten" sind die Bürgermeister (Maires). Sie bestimmen mit ihrem jeweiligen Stadt- oder Gemeindeparlament über das Geschehen im Territorium. Dieses ist recht ausgedehnt. Selbst kleine Gemeinden mit wenig Einwohnern verfügen über eine große Kommunalfläche, die meist von der Küste bis zum Hochgebirge reicht. In der Regel leisten die Bürgermeister eine ordentliche Arbeit. Allerdings werden immer wieder Korruptionsfälle bekannt. Man verhaftet Amtsträger kurzfristig und läßt sie dann bis zum Prozeß wieder frei. Dieser endet meist mit Geld- und Bewährungsstrafen.

Die Schuldigen findet man in allen Parteien. Natürlich sind auch viele Bürgermeister "sauber". Unter diesen gibt es eine Frau, die Oberstudiendirektorin Hugonette Bello. Sie ist überdies seit drei Wahlperioden kommunistische Abgeordnete der Pariser Nationalversammlung. Frankreichs soziales Netz ist recht dicht, so daß sich sogar einfache Leute, wenn sie es geschickt anstellen, bereichern können. (Für die Bourgeoisie gilt das ohnehin.) Selbst an Sozialhilfeempfänger werden Kredite für große Autos und Häuser ausgereicht, wobei die Folge eine hoffnungslose Verschuldung dieser Bevölkerungsschichten bis in die dritte Generation ist. Der französische Staat plant unterdessen an Hartz IV orientierte "Reformen". Das wird zu schweren Verwerfungen führen.

Über die DDR herrschen hier recht abenteuerliche Vorstellungen, die von den Medien geschürt werden. Generell heißt es: "Ex-RDA", wobei für mich diese Vokabel natürlich nicht existiert. Man kolportiert, die Menschen in der "Ex-DDR" hätten gehungert, seien in abgetragenen Sachen herumgelaufen und gezwungen gewesen, in miserablen Wohnungen zu vegetieren. Die "Russen" hätten viele in Gefängnisse und Arbeitslager gesperrt. Gravierend sei der Mangel an Bildung und Kultur gewesen. Im vergangenen Herbst wurde eine obere Mädchen-Gymnasialklasse aus der BRD vom Fernsehen herumgereicht und ins "rechte Licht" gerückt. Dabei übersah man, daß die "Demoiselles" im November 1989 noch gar nicht oder gerade erst einmal existiert hatten.

Meine Frau Marianne ist mit einigen deutschen Frauen bekannt, die Franzosen geheiratet haben und jetzt hier leben. Es bestehen sogar Freundschaften. Marianne hat inzwischen den "RotFuchs" unter ihre Gesprächspartnerinnen gebracht. Interesse und Verwunderung sind groß. Hilfreich wäre es, wenn der "RotFuchs" auch in Französisch erscheinen würde. So könnten wir auf Veranstaltungen Interessierten die wahre DDR als Beispiel für ein würdiges Leben nahebringen. Der "RotFuchs" käme selbst auf La Réunion, wo nur einige deutsch sprechen, unter die Leute.

2012 sind in Frankreich Wahlen. Dann muß es Sarkozy und seinem Premier Fillon politisch an den Kragen gehen. Ohne Kommunisten und Grüne ist das nicht möglich. Das wissen auch die Sozialisten im Mutterland, die den Wechsel anstreben. Deshalb an die Arbeit, Genossen vom "RotFuchs". Helft uns, so gut Ihr könnt!

Dr. med. Hans-Dieter Hoffmann, Piton-Saint-Leu

Raute

Kleine Mussolinis überziehen Italien mit ihren "Bürgermilizen"

Rom läßt Roma jagen

Caetano Saya, Chef einer neuformierten neofaschistischen Partei und Boß ihrer Miliz, gehört zu jenen, deren rassistische Schlägertrupps ganze Landstriche Italiens in Angst und Schrecken versetzen. Das vermehrte Erscheinen der "Patrouillen" Sayas und anderer Faschisten im Straßenbild vor allem kleiner und mittlerer Städte ist ein direkter Widerhall der vom Rom Silvio Berlusconis ausgehenden Politik. Einen Aufschrei rief in der demokratischen Öffentlichkeit Italiens die Tatsache hervor, daß Sayas "Bürgermilizen" den imperialen Adler der Schwarzhemden Mussolinis zu ihrem Symbol auserkoren haben. Die paramilitärischen Horden machen besonders Jagd auf vorwiegend aus Rumänien zugewanderte Roma, deren definitive Vertreibung sie sich zum Ziel gesetzt haben.

Die Position des faschistoiden Regierungschefs Berlusconi ist in jüngster Zeit nicht nur durch die Rechte massiv begünstigende Wahlresultate in mehreren Regionen Italiens gestärkt worden, sondern hat auch dadurch an Rückhalt gewonnen, daß die Verwaltung Roms zum erstenmal seit dem II. Weltkrieg durch einen Politiker dieses Typs geleitet wird. Der hauptstädtische Bürgermeister Gianni Alemanno ist ein früherer Straßen-Krawallmacher, dessen Anhänger auf seiner Siegesparty nicht mit dem Mussolini-Gruß zögerten. Der 47jährige wurde im vergangenen Jahr in dieses Amt gehievt, als die Ermordung eines italienischen Marineoffiziers durch einen Roma eine Woge chauvinistischer Hysterie auslöste. Rechtsradikale "Bürgermilizen" zogen damals vielerorts auf und forderten blutige Rache. Hunderte Elendsbehausungen von Roma-Immigranten wurden durch "Unbekannte" in Brand gesteckt. Vier im Zentrum Roms bettelnde Rumänen fielen den Schlägergarden und deren Messern zum Opfer.

"Politiker" wie Saya, der die Italienische Sozialbewegung - Nationale Rechte (MSIDN) - wieder hochgepuscht hat, nutzten die Welle des Ausländerhasses zynisch und skrupellos aus.

Der 73jährige Milliardär und Premierminister - als Italiens reichster Mann ist Berlusconi auch Eigentümer des marktbeherrschenden Medienimperiums - gilt als der eigentliche politische Nutznießer dieser Situation.

Die Berichte seiner Fernseh- und Rundfunkstationen über eine angeblich von den Roma ausgehende landesweite Verbrechensexplosion sind entweder erfunden oder maßlos übertrieben. Sie warteten sogar mit der Behauptung auf, "alle Rumänen" hegten "kriminelle Absichten".

Durch das systematische Schüren von Chauvinismus hatte Silvio Berlusconi im April 2008 - zwei Jahre nach seiner Vertreibung aus dem Amt des Premiers - in einem aufgeheizten Klima bei Wahlen eine Rückkehr an die Regierungsspitze zuwege gebracht. Sein Zugpferd war dabei, ähnlich wie in anderen Ländern, die nationalistische Chimäre. Berlusconi schnürte sofort ein "nationales Sicherheitspaket". Er ließ Armeeangehörige in Tarnanzügen zur "Verstärkung der Polizei" an den Straßenecken Posten beziehen.

Inzwischen hat der prononciert rechte Premier "Wachsamkeitspatrouillen" wie Sayas Guardia Nazionale Italiana ausdrücklich legalisiert. Da faschistische Symbole von einst in Italien seit dem II. Weltkrieg offiziell verboten sind, behelfen sich die Schlägertrupps der Neofaschisten mit artverwandten Ersatzkennzeichen, die als solche unschwer ausgemacht werden können. Die italienische Justiz - zu einem Gutteil nicht auf der Seite des in kriminelle Machenschaften verwickelten Berlusconi - versucht gegen die uniformierten Banditen vorzugehen. Doch der Erfolg bleibt mager. Einige Beschränkungen, die relativ leicht zu umgehen sind, wurden Sayas "Nationalgarde" inzwischen auferlegt. Sie betreffen Kleidung und massierten Einsatz.

In der zur Toskana gehörenden linksverwalteten Stadt Massa, wo es im Juli 2009 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und Rechtsextremisten gekommen war, hat der Bürgermeister angewiesen, daß "Streifen" jeweils nur drei Personen umfassen dürfen und militärähnliche Bekleidung verboten ist. Als Ausrüstung werden nur noch Walkie-Talkies und Mobiltelefone gestattet, um notfalls die reguläre Polizei alarmieren zu können.

Unterdessen hat Berlusconis Regierung für einen die Faschisten stimulierenden Eklat gesorgt: Sie traf die Entscheidung, daß von allen 150.000 in Italien lebenden Roma - etliche Familien sind dort schon seit dem Mittelalter ansässig - Fingerabdrücke zu nehmen seien. Das war Wasser auf die Mühlen solcher Rassenfanatiker wie Caetano Saya, der seine etwas in Schwierigkeiten geratene "Nationalgarde" kurzerhand in eine Parteimiliz der faschistischen MSI-DN umgewandelt hat.

RF, gestützt auf "The Weekend Australian Magazine", Melbourne


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Caetano Saya (rechts) kommandiert eine neofaschistische Miliz

Raute

In Cienfuegos werden 125 Südafrikaner als Ärzte ausgebildet

Kubas Weißkittelexport

Mehrere kubanische Hochschulen - so auch die Universität in Cienfuegos - bilden seit Jahren junge Afrikaner für den medizinischen Dienst ihrer Heimatländer aus. Die Studenten kommen in aller Regel aus bitterarmen Familien, die es sich selbst nie hätten leisten können, ihren Kindern eine solche Möglichkeit zu bieten. Kuba fordert von seinen afrikanischen Gästen keinerlei Gebühren und gewährt ihnen überdies auskömmliche Stipendien. Die jungen Mediziner kehren fast immer hochmotiviert und mit der Absicht auf den schwarzen Kontinent zurück, ihrerseits den dort Mittellosen nach besten Kräften zu helfen. Diese Einstellung bringt ihnen bei der schmalen Schicht alteingesessener Ärzte, deren Motiv meist maximaler Gelderwerb ist, natürlich keine Sympathien ein.

Sydney Makale Moroasale, der in Cienfuegos derzeit eine erstklassige Ausbildung genießt, stammt aus Südafrikas Kap-Provinz.

"Die Menschen um mich herum litten an den verschiedensten schweren Krankheiten", äußerte er in einem Interview. "Warum sollte ich nicht der Junge sein, von dem sie Hilfe bekommen? Es war stets mein Traum, Arzt zu werden."

Allein in Cienfuegos sind gegenwärtig 125 südafrikanische Medizinstudenten immatrikuliert, während 224 ihrer Landsleute an anderen Universitäten Kubas in der gleichen Disziplin auf ihre künftige Tätigkeit vorbereitet werden. Seit 2005 haben 286 afrikanische Ärzte in Kuba Diplome medizinischer Fakultäten erworben. Der kleine Karibikstaat, der nach dem Sieg der Revolution ein umfassendes, weltweit anerkanntes öffentliches Gesundheitswesen aufgebaut hat, besitzt in dieser Hinsicht einen besonderen Ruf. Selbst Ärzte, die in Ländern arbeiten, welche Kubas Gesellschaftsordnung negativ gegenüberstehen, sparen da nicht mit Lob. Dr. Arachu Castro, ein aus Spanien stammender Sozialmediziner an der Harvard University, faßte seine Meinung in die Worte: "Es ist international bekannt, daß die ärztlichen Standards in Kuba besonders hoch sind und die medizinische Ausbildung als ausgezeichnet gilt."

Dr. Julio Padron Gonzalez, der in Cienfuegos für die Unterrichtung ausländischer Medizinstudenten verantwortlich zeichnet, nannte Kriterien des dortigen Lehrprogramms: "Uns geht es vor allem um die Ausbildung von Familienärzten, die im kommunalen Gesundheitswesen wirken sollen." 90 % aller Patienten ließen sich auf der Ebene präventiver Medizin behandeln.

In den letzten Jahren sind gerade aus Südafrika Tausende Ärzte höherer Einkünfte wegen in westliche Länder abgewandert. Ähnlichen Problemen sieht man sich allenthalben auf dem schwarzen Kontinent gegenüber. Kubas Programm zur Ausbildung junger Afrikaner zielt in genau entgegengesetzter Richtung. An seinen Hochschulen sind z. Zt. etwa 30.000 ausländische Studenten, meist aus Entwicklungsländern, eingeschrieben.

"Kuba hat unter Beweis gestellt, daß man nicht wohlhabend sein muß, wenn man anderen Nationen helfen will", erklärte Segun Banigbetan Baju, Nigerias Botschafter in Havanna. Seit den 70er Jahren hat die Heimat Fidel und Raúl Castros dem sogenannten Brain Drain - der Abwerbung hochqualifizierter Akademiker in die entwickelten kapitalistischen Länder - äußerst erfolgreich entgegengewirkt.

Allein nach Afrika wurden 17.000 in Kuba ausgebildete Spezialisten zurückgeschickt. Mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet als Ärzte, Krankenschwestern oder Pfleger. Außerdem sorgte Havanna für die Errichtung neuer medizinischer Schulen in Äthiopien, Uganda, Ghana, Gambia, Äquatorial-Guinea und Guinea-Bissau. "Ich bürge mit meinem Leben dafür, daß kein Arzt, der in Kuba studiert hat, jemals sein Land im Stich lassen wird", versicherte der eingangs vorgestellte Moroasale.

"Die etablierten südafrikanischen Doktoren dürften wohl kaum bereit sein, ihre aus Kuba kommenden Kollegen zu akzeptieren, zumal diese Patienten nicht zuerst danach fragen, ob sie auch die Rechnung begleichen können", meint Clara Esther Gomez, die an der Universität von Cienfuegos junge Ausländer unterrichtet. "Es wird sich eine Schlacht der Ideen entwickeln, bei der letzten Endes der aus Kuba mitgebrachte Humanismus den Sieg davontragen muß."

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Brasiliens Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva (l.) traf in
Havanna mit Kubas Staatschef Raúl Castro zusammen - Der chinesische Präsident Hu Jintao zu Besuch bei Fidel Castro

Raute

Frankreich: 200 Liquidatoren verließen die geschwächte FKP

"Mut zur Flucht"

Rund 200 Refondateurs (Neugründer) - eine antimarxistische Gruppierung, die sich seit Jahren von innen heraus um die Verstümmelung und ideologische Substanzzerstörung der Französischen Kommunistischen Partei (FKP) bemüht -, haben ihr angekündigtes Adieu vollzogen. Spitzenmann Patrick Braouzec ließ den Bruch mit der einst stolzen und massenverwurzelten Partei, die durch das Wirken reformistischer Kräfte bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden ist, schon im April durchblicken. Augenscheinlich besteht das Ziel einiger Köpfe der Refondateurs in der Schaffung einer "brandneuen" politischen Bewegung, die von den Trotzkisten der NPA bis zu gewissen Euro-Ökologen reichen soll. Mit der Trennung von der nicht zuletzt auch durch ihre jahrzehntelange Wühltätigkeit geschwächten FKP ahmen die Leute um Braouzec, Sève und Martelli nur ihre politisch gescheiterten Vorgänger wie Juquin und Fiterman nach. Sie rufen zur Liquidierung der traditionellen FKP auf, die sich ja bereits weitgehend vollzogen hat. Zugleich wenden sie sich gegen jeden Anflug der Idee einer kommunistischen Partei überhaupt. Der Marxismus-Leninismus steht ohnehin nicht mehr zur Debatte.

"Die Ratten verlassen das sinkende Schiff", konstatierte der namhafte Kommunist Georges Gastaud in "Initiative Communiste". Die Zeitschrift des gemeinsam mit anderen der Sache treugebliebenen Kräften innerhalb und außerhalb der FKP um eine Neuformierung der französischen Kommunisten bemühten Pols für eine Wiedergeburt der Kommunisten in Frankreich (PRCF) spielt in diesem Prozeß eine wichtige Rolle. Die Refondateurs seien bislang nur deshalb in der Partei geblieben, um möglichst viele von deren Mitgliedern in das Fahrwasser des als Wandel (Mutation) verkauften Reformismus hineinzuziehen und von klassenmäßigen Positionen abzubringen, konstatierte Gastaud. Vom einstigen FKP-Generalsekretär Georges Marchais, der erklärt hatte, niemand werde seiner politischen Haltung wegen aus der Partei ausgeschlossen, bis zur heutigen FKP-Vorsitzenden Marie-Georges Buffet, die stolz darauf ist, daß keine Partei gegenüber Andersdenkenden in den eigenen Reihen so tolerant sei wie die ihre, spannt sich der Bogen ideologischer Prinzipienlosigkeit. Da versteht es sich fast von selbst, daß bei der FKP lediglich Marxisten-Leninisten auf die schwarze Liste gesetzt und in großer Zahl aus ihr vertrieben wurden.

Heute ist die nach Zahl und Einfluß dezimierte FKP stolz auf ihre bejahende Haltung zu dem als EU bezeichneten Europa der Monopole und auf ihre Einbindung in die Europäische Linkspartei, deren grundsätzlich ablehnende Haltung in bezug auf die sozialistischen Länder nicht einmal mehr taktisch kaschiert wird. Nicht weniger schlimm ist die Tatsache, daß etliche FKP-Führer die "Idee" der Refondateurs aufgegriffen haben, sogar den Namen der Partei zu ändern und auf das Wort "kommunistisch" zu verzichten. Nach Robert Hue kündigte auch M.-G. Buffet an, "daß die Frage des Parteinamens kein Tabu mehr ist". Der Hauptgrund dafür, daß dieser Weg noch nicht bis zu Ende gegangen wurde, muß wohl darin gesehen werden, daß die FKP-Führung den Parteigängern des Marxismus-Leninismus in Frankreich nicht das Feld überlassen möchte.

Bei den jüngsten Regionalwahlen erwies sich das Konstrukt einer "Front der Linken" aus Buffets FKP und einer weggebrochenen Fraktion der Sozialisten unter Mélenchon mehr oder weniger als Flop. Die Masse ehemaliger FKP-Wähler übte entweder Stimmenthaltung oder votierte direkt für die SP. Viele von ihnen warten offensichtlich auf das Wiedererscheinen einer wahrhaft kommunistischen Partei. Bemühungen, in Frankreich einer linkssozialistischen Gruppierung vom Zuschnitt der deutschen PDL Einfluß zu verschaffen, war bisher nur begrenzter Erfolg beschieden. Nach Auffassung Georges Gastauds und der Genossen vom PRCF könnten sich vielleicht schon in naher Zukunft die wahren Kommunisten von den Reformisten und deren politisch entartetem Apparat trennen, um der französischen Arbeiterklasse anstelle der an die SP geketteten heutigen FKP eine kampfstarke Vorhutpartei zurückzugeben. Die Trennung von falschen werde die echten Kommunisten nicht wie 1920 in Tours schwächen. Im Gegenteil: Gerade das jahrzehntelange Zusammenleben (Cohabitation) mit den Rechten in einer Partei habe jene enorme Schwächung bewirkt, um deren Überwindung es jetzt gehe. Der PRCF setzt sich für eine neue Partei vom Typus der FKP eines Maurice Thorez, Marcel Cachin und Jacques Duclos ein, die eine Linie konsequenter Unabhängigkeit gegenüber der Sozialdemokratie und dem kapitalistischen Europa verfolgt. Um dieses Ziel zu erreichen, bedürfe es zunächst eines Maximums an Aktionseinheit der standhaft gebliebenen kommunistischen Kräfte in Frankreich, schrieb Georges Gastaud. Zu einem Zeitpunkt, in dem die kleinbürgerlichen Refondateurs den "Mut zur Flucht" aufgebracht hätten und die "Form einer Partei" ablehnten, bejahe der PRCF 90 Jahre nach dem als Geburtsstunde der FKP in die Geschichte eingegangenen Parteitag von Tours die Neuformierung einer gegen die Liquidatoren gerichteten, das EU-Projekt entschieden zurückweisenden kommunistischen Partei in Frankreich.

RF, gestützt auf "Initiative Communiste"


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Maurice Thorez, langjähriger Generalsekretär der FKP, mit Wilhelm Pieck am Mahnmal in Berlin-Friedrichsfelde (15. Januar 1933)

Jacques Duclos / Marcel Cachin

Raute

Wird Jemen eine neue Front des "Antiterror-Kampfes" der USA?

Auf des Messers Schneide

Als Weihnachten 2009 in den USA der Versuch eines jungen Nigerianers scheiterte, eine Linienmaschine in die Luft zu sprengen, wußte man auf Anhieb, wo die Schuldigen zu suchen seien. Obama bezichtigte den vermeintlichen Täter, im Auftrag einer in Jemen operierenden Al-Quaida-Gruppe gehandelt zu haben.

Seitdem ist in den Vereinigten Staaten der Druck gewachsen, mit einer umfassenden Militäraktion in dem arabischen Land zu beginnen. Der berüchtigte Senator Joe Lieberman (Demokratische Partei) forderte von Washington "vorbeugende Schritte zur Unterbindung des Terrorismus". Carl Levin, Vorsitzender des Senatsausschusses für die Streitkräfte, verlangte "Luft- und Raketenschläge". Die für ihre besondere Scharfmacherrolle bekannte Außenministerin Hillary Clinton nannte die politisch-militärische Instabilität Jemens gar eine "globale Bedrohung".

"The Wall Street Journal", das Hausblatt des USA-Finanzkapitals, ließ die Katze aus dem Sack: "Die Obama-Administration plant, die gegen den Terrorismus gerichtete Unterstützung der Regierung des Präsidenten Ali Abdullah Saleh von 70 Mio. (2009) auf 190 Mio. Dollar in diesem Jahr zu erhöhen." Washington und London hätten überdies die gemeinsame Finanzierung einer neuen jemenitischen Antiterror-Polizeitruppe beschlossen. "Das direkte militärische Engagement der USA in Jemen" erfahre ebenfalls eine rasche Steigerung. Aufklärungsdrohnen und unbemannte raketentragende Flugzeuge zur Bekämpfung von Bodenzielen befänden sich bereits im Einsatz. Etwa 200 Angehörige der U.S. Special Forces seien an Ort und Stelle eingetroffen.

Während sich der jemenitische Außenminister dafür aussprach, innere Probleme seines Landes intern zu regeln, wurde auf einer Afghanistan-Jemen-Konferenz in London ein neues Forum geschaffen, das unter der Bezeichnung "Freunde Jemens" firmiert und der Regierung in Sanaa "in Sachen Terrorbekämpfung zur Seite stehen will". In Washington hat man die Tatsache nicht vergessen, daß Jemen 1990 als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates die USA-Aggression gegen Irak abgelehnt hat. Damals entzog man dem Land unverzüglich die Auslandshilfe in Höhe von 70 Mio. Dollar, während man andererseits die Mittel für proamerikanische Regimes in der Region demonstrativ aufstockte. Saudi-Arabien ging noch weiter: Es wies kurzerhand eine Million jemenitische Gastarbeiter aus.

Heute können die Vereinigten Staaten ins Kalkül ziehen, daß Jemens Präsident Saleh ihr mehr oder weniger verläßlicher Gefolgsmann ist, wobei dieser selbst innenpolitisch stark unter Feuer steht und das für ihn ungünstige Kräfteverhältnis in seinem Land stets in Betracht ziehen muß. USA-Geheimdienstquellen schätzen, daß es in Jemen etwa 200 Al-Quaida-Aktivisten gibt, die einen gewissen Einfluß besitzen.

Während Saleh in der nördlich gelegenen "Metropole" Sanaa residiert, herrschen im ölreichen Süden mit der Hafenstadt Aden ganz andere politische und ethnische Kräfte. Das weit rechts stehende Center for a New American Security (CNAS) stellt Jemens Instabilität folgendermaßen dar: "Angesichts einer um sich greifenden Aufstandsbewegung im Norden, einer separatistischen Bewegung im Süden und einer landesweiten Al-Quaida-Präsenz bleibt Jemen heute auf des Messers Schneide."

Das Ausmaß der jemenitischen Ölvorräte ist unter den Experten umstritten. Der US-Publizist F. William Engdahl glaubt, daß der arabische Staat auf einem Teil der größten Reserven der Welt "sitzt". Diese Eventualität dürfte mit Sicherheit das besondere Interesse der USA an Jemen erklären. Man sagt Al Quaida und meint Öl.

Die besondere strategische Lage des Landes hat die Briten schon 1839 angelockt. Sie schlugen die Kronkolonie Aden ihren indischen "Besitzungen" zu. Das blieb so bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Erst 1967 wurden die Engländer durch einen bewaffneten Aufstand aus dem jemenitischen Süden vertrieben. In diesem Machtkampf zwischen rivalisierenden Gruppen erwies sich die linksgerichtete Nationale Befreiungsfront (NLF) als Sieger. Nach Verkündung der Unabhängigkeit am 30. November 1967 verstärkte Aden seine Beziehungen zur UdSSR, zu anderen sozialistischen Staaten Europas und China. In den folgenden Jahren wandelten sich die Gesellschaftsstrukturen in fortschrittlichem Sinne. 1970 nahm Südjemen den Namen Volksrepublik Jemen (VDRJ) an. Die Jemenitische Sozialistische Partei und deren Massenorganisationen begannen, sich am Marxismus zu orientieren. Doch die Einkreisung der VDRJ durch reaktionäre arabische Regimes sowie die weiterwirkende Stammestradition blieben innenpolitisch nicht ohne Folgen. Es kam zur Herausbildung verschiedener Strömungen innerhalb von VDRJ und JSP. Am Ende unterlag der linke Flügel. Es floß nicht wenig Blut. Heute tendieren weiterhin aktive Kräfte aus den großen Tagen Südjemens eher zu sozialdemokratischen Positionen. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas wurden auch die im Süden Jemens erfolgten Nationalisierungen rückgängig gemacht und die Frauenrechte - die umfassendsten in der arabischen Welt - wieder aufgehoben.

Derzeit steht Jemen unter 192 Ländern im Lebensstandard an 153. Stelle. Nur 42 % der Bevölkerung haben Zugang zu Elektrizität, 26 % zu Wasser. 32 % der Jemeniten sind unterernährt, 40 % arbeitslos. Drei Millionen Kinder können keine Schule besuchen.

So sieht die Lage in einer Region aus, die das Pentagon auf der Suche nach neuen Kriegsschauplätzen ins Visier genommen hat. Ein in Jemen stationierter BBCKorrespondent warnte Washington vor unbedachten Schritten: "Die Regierung ist korrupt und unpopulär. Ihr im Kampf gegen Al Quaida Rückhalt zu gewähren, erscheint riskant, weil der Einsatz von US-Raketen und Drohnen zur Tötung von Al-Quaida-Führern äußerst empfindliche Folgen haben könnte. Eine offene militärische US-Präsenz ist politisch unmöglich, da Jemen eine konservative Stammesgesellschaft ist, in der die Feindseligkeit gegenüber den USA tiefe Wurzeln besitzt."

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London

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Wie ein klassenbewußter Ruhrkumpel dennoch zur Feder griff

In der Alt-BRD gab es keinen Bitterfelder Weg

Max von der Grün hat mit seinen Romanen und Erzählungen wichtigen Anteil daran, daß die Probleme der Arbeiterklasse in der BRD ihren Platz in der Literatur erhielten." So wird das Werk des Arbeiterschriftstellers in der "Geschichte der deutschen Literatur" (Verlag Volk und Wissen, 1983) gewürdigt. Max von der Grün, 1926 in Bayreuth geboren, lebte seit den 50er Jahren in Dortmund und starb 2005.

In der BRD gab es keinen Bitterfelder Weg wie in der DDR, in dem die Arbeiter aufgerufen wurden: "Greif zur Feder, Kumpel". Aber einer wie Max von der Grün, seit 1951 Bergarbeiter, griff dennoch zur Feder. 1962 erschien sein erster Roman "Männer in zweifacher Nacht". "Es ist bis heute mein liebster Roman geblieben", betonte der Autor später einmal. "Er wurde aus dem unmittelbaren Erleben unter Tage als Kohlenhauer auf einer Zeche im Ruhrgebiet geschrieben. Weil ich meine Ohnmacht spürte, konnte ich mich nicht anders zur Wehr setzen, als das aufzuschreiben, was mich und meine Arbeitskollegen bedrückte." Geschildert wird der Überlebenskampf zweier verschütteter Bergleute.

Wer aber sollte ein solches Buch veröffentlichen? Mehrere Verlage wiesen den Roman zurück. Max von der Grün wandte sich an den Dortmunder Bibliotheksdirektor Fritz Hüser, den Initiator und Gründer des Archivs für Arbeiterdichtung und soziale Literatur. Hüser fand einen kleinen katholischen Verlag, der von der Grüns Roman druckte. Es handelte sich um den Paulus-Verlag in Recklinghausen. Der veröffentlichte bald auch andere Werke von Mitgliedern der "Dortmunder Gruppe 61", einer losen Vereinigung von Schriftstellern, die sich literarisch der industriellen Arbeitswelt widmete.

1963 erschien dann "Irrlicht und Feuer" als zweiter Roman Max von der Grüns. Aktueller Ansatzpunkt war die Krise im Ruhrbergbau, die zum Vorboten der wirtschaftlichen Rezession von 1966 wurde.

Die Publikation des Buches führte dazu, daß der proletarische Literat seinen Arbeitsplatz verlor. Fortan war Max von der Grün ein freier Autor - und sogar ein sehr erfolgreicher.

Sein literarisches Schaffen wurde auch in der DDR mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. 1966 verfilmte das Fernsehen der DDR "Irrlicht und Feuer" (Regie: Heinz Thiel), 1970 "Zwei Briefe an Pospischiel" (Regie: Ralf Kirsten). 1967 erschien im Aufbau-Verlag die Anthologie "Seilfahrt", in der von der Grün neben anderen Autoren der "Gruppe 61" vertreten ist.

In der BRD wurde der einstige Bergmann immer mehr zu einem der bedeutendsten Vertreter der dort eher seltenen Gattung der Arbeiterschriftsteller. Sehr produktiv, veröffentlichte er etliche Romane und Erzählungen. "Meine Pflicht ist es, die Dinge, die Vorgänge subjektiv zu sehen, durch die Augen des Betroffenen, des Zukurzgekommenen, des Unterdrückten und Ausgebeuteten", faßte von der Grün seinen Standpunkt zusammen. Und seinen Kritikern sagte er: "Der Anspruch auf Objektivität ist weiter nichts als ein Ausweichen in die Unverbindlichkeit, und die hat bekanntlich die Literatur auf eine Narrenwiese getrieben."

Aus dem Schaffen des Schriftstellers sei noch ein herausragendes Werk genannt. Es ist das Jugendbuch "Die Vorstadtkrokodile", das eine Auflage von über 400.000 Exemplaren erreichte. Die Geschichte um einen körperbehinderten Jungen wurde später für das BRD-Fernsehen verfilmt und inzwischen auch als Kinofilm noch einmal erzählt. Ebenfalls erfreulich ist, daß der Bielefelder Pendragon-Verlag eine zehnbändige Werkausgabe herausgibt, in der einige Bände bereits erschienen sind. So bleibt Max von der Grün als Ruhrgebietsautor auf dem aktuellen Buchmarkt und muß nicht nur in Antiquariaten gesucht werden.

Paul Sielaff

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Angela bei den "RotFüchsen"

Eine Dreiviertelstunde signierte Angela Davis am 20. Juni auf dem ND-Pressefest in der Berliner Kulturbrauerei am RF-Stand Klaus Steinigers neues Buch, zu dem sie selbst das Vorwort geschrieben hat. Vor der Signierstunde hatte sie an einer Präsentation des im Verlag Neues Leben erschienenen Titels teilgenommen. Die von Klaus Steiniger moderierte Veranstaltung, zu deren Podium auch Rolf Berthold gehörte, war des großen Zustroms wegen vom Saal auf die Freilichtbühne verlegt worden. Angela Davis beantwortete zahlreiche Fragen, u. a. zur Präsidentschaft Barack Obamas, zur Solidarität mit Mumia Abu-Jamal und den Cuban Five, zu Afghanistan und Palästina. Eindringlich würdigte die Kommunistin den Beitrag der DDR-Bevölkerung zu ihrer Befreiung und bekannte sich leidenschaftlich zum weltweiten Kampf gegen den Kapitalismus.

RF

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Der Weimarer Schriftsteller Wolfgang Held begeht am 12. Juli seinen 80. Geburtstag

"Einer trage des anderen Last"

Es gibt im Leben eines Menschen Augenblicke, Begegnungen, die sich tief in die Erinnerung eingraben. Sie verleihen ihm eine Richtung. Als der noch nicht ganz fünfzehnjährige Weimarer Wolfgang Held im April 1945 aus eigenem Antrieb wissen wollte, was seinem Onkel Rudi widerfahren sei, dort oben auf dem Ettersberg, entsetzte ihn ein schreckliches Bild: Eine Planierraupe schob die nackten Leiber ausgehungerter Toter in einen großen Trichter.

Ein ehemaliger KZ-Häftling, dem der Junge begegnete, schickte den heftig Weinenden nach Hause, versuchte, ihn zu besänftigen und gab ihm nachdenkliche Worte mit auf den Weg. Sinngemäß: Um so etwas nie wieder zuzulassen, sind Tränen nicht genug ...

Ein Apriltag, noch vor dem vom amerikanischen Militärkommandanten angeordneten Fußmarsch vieler Hunderter Weimarer Einwohner nach Buchenwald. Sie sollten sich mit eigenen Augen überzeugen, was das mörderische Hitlerregime vor den Toren ihrer Kulturstadt angerichtet hatte. Viele Weimarer wollten es nicht gewußt haben.

Die seelische Erschütterung wirkte lange nach. Wolfgang Held begann tiefer zu blicken, die Lasten der Geschichte zu begreifen. Mit 18 wurde er Volkspolizist. Entbehrungsreiche Jahre, Schwarzmarkt. Es galt, Provokationen gegen die antifaschistisch-demokratische Ordnung in Ostdeutschland zurückzuschlagen. All das prägte die kräftezehrende Aufbauarbeit jener ersten Nachkriegszeiten.

Ein schweres Tbc-Leiden mit Blutsturz führte Wolfgang Held auf andere berufliche Wege. Zunächst erlebte er die Welt einer Tuberkulose-Heilstätte, in der er Menschen sehr unterschiedlicher sozialer Herkunft kennenlernte.

Auch die Erfahrung einer zarten ersten Liebe machte er. "Einer trage des anderen Last" - dieser auf der Berlinale 1988 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete DEFA-Film Lothar Warnekes spiegele nahezu deckungsgleich persönlich Erlebtes wider, erklärte der Szenarist Held. Als Buch erschien die Geschichte 1995 im Verlag Das Neue Berlin. Schade, daß 14 Jahre vergehen mußten, ehe Helds Szenarium bei der DEFA als realisierbar bewertet und angenommen wurde! Der Film-Abspann dankte ausdrücklich dem Leipziger Theologen Prof. Emil Fuchs (1874-1971), der den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft aus der Sicht christlicher Ethik grundsätzlich bejahte.

Bis zu dem ausgezeichneten Filmwerk war es für Held ein langer Weg des Erprobens verschiedener literarischer Genres. Zunächst als Redaktionsassistent, dann als Journalist bei der Thüringer Zeitung "Das Volk" tätig, schrieb er Reportagen und Porträts aus dem Arbeitsleben und mehrere Kinderbücher, die im Weimarer Gebr. Knabe-Verlag erschienen. Er leitete von 1959 bis 1966 den Zirkel schreibender Arbeiter "Louis Fürnberg" des VEB Büromaschinenwerk Sömmerda. Hier schöpfte er in reichem Maße durch viele Begegnungen und das Erfahren menschlicher Schicksale den Stoff für seinen Spielfilm "Zeit zu leben" (1969, Regie: Horst Seemann). Das DEFA-Darstellerkollektiv mit Jutta Hoffmann, Leon Niemczyk, Fred Delmare, Dieter Wien, Mathilde Danegger, Werner Lierck u. a. hochkarätig besetzt, erhielt im gleichen Jahr einen DDR-Nationalpreis.

Es folgten viele DEFA- und Fernsehfilme, deren Szenarist Held war, u. a. "Anflug Alpha l", "Das Licht der schwarzen Kerze", "Zweite Liebe - ehrenamtlich" (mit Gojko Mitic), "Härtetest" und "Die gläserne Fackel". Dem heldenhaften, nahezu vergessenen Partisanenkampf einer jugoslawischen Freiwilligeneinheit in Slawonien 1943/44 gegen die Faschisten setzte er mit dem Film "Laßt mich doch eine Taube sein" ein künstlerisches Denkmal (1989, Regie: Miomir Stamenkovic, Buch: Militärverlag der DDR, Berlin 1986).

Ein Glück, daß einige der beliebten Kinder- und Abenteuerbücher Wolfgang Helds nach dem Ende der DDR neu entdeckt und abermals aufgelegt wurden: "Wie eine Schwalbe im Schnee" (BS-Verlag Rostock 2004, zuerst im Kinderbuchverlag 1987); "Aras und die Kaktusbande" (Knabe-Verlag, Weimar 2009, zuerst ebendort 1982); "Zweite Liebe - ehrenamtlich", (Verlag Edition D. B., Erfurt 2003, zuerst 1983 im Kinderbuchverlag Berlin) und andere.

Der Senior der Thüringer Schriftsteller hat sich auch um die Förderung des literarischen Nachwuchses Verdienste erworben. Er spricht mit Hochachtung von der feinfühligen Art und der Detailgenauigkeit seines frühen Mentors, des Dichters Louis Fürnberg, der während seiner letzten drei Lebensjahre in Weimar unermüdlich tätig war. Zur Zeit schreibt Wolfgang Held an einem Erinnerungsbuch. Herzlichen Glückwunsch zum 80.!

Werner Voigt

Raute

Marianne Bruns: produktives Schaffen bis ins hohe Alter

Gediegene Sprache und poetisches Gespür

Marianne Bruns wurde am 31. August 1897 in einer Leipziger Kaufmannsfamilie geboren. Sie lehnte schon früh den Kapitalismus aus sozialer Verantwortung ab. "Ich kam zu der Meinung, daß es nicht Sinn und Lebenszweck des Menschen sein könne, all seine Kräfte darauf zu verwenden, andere zu übervorteilen." Ihr über 65 Jahre währendes, literarisches Schaffen begann mit einem 1925 herausgebrachten Gedichtband. Es folgten Dutzende Novellen, Schauspiele, Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher, Gedichtbände und zahlreiche Romane. Marianne Bruns, die ihren Lebensabend in Freital verbrachte, war bis ins hohe Alter sehr produktiv. Ihr großes Thema - die Selbstverwirklichung der Frau - stellte sie in den Romanen "Uns hebt die Flut" (1952), "Glück fällt nicht vom Himmel" (1954) und "Großaufnahme, leicht retuschiert" (1973) dar. Ende der 80er Jahre erschienen: "Nahe Ferne" (1989) mit kurzer Prosa und "Ungewöhnliche Liebeserklärung" (1990) mit Gedichten aus sieben Jahrzehnten. 1979 entschloß sich der Mitteldeutsche Verlag Halle erfreulicherweise, "Ausgewählte Werke" von Marianne Bruns herauszugeben. Im folgenden soll kurz auf die Bände dieser Edition eingegangen werden.

"Uns hebt die Flut" lag 1985 in der 14. Auflage vor. Er kam nach einem ersten persönlichen Kontakt der Autorin mit dem Verlag 1948 zustande. Marianne Bruns wurde vorgeschlagen, "einen Roman zu gestalten, der die Entwicklung der Frauenbewegung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in einer breit gefächerten Handlung darstellt". In der dramatisch-spannungsvollen Fabel vermittelte die Autorin ein groß angelegtes Gesellschaftsbild jener Zeit. In die frei erfundene Handlung wurden kunstvoll Porträts großer Persönlichkeiten wie Clara Zetkin, Lilly Braun, Käthe Kollwitz, Helene Lange und Franziska Tiburtius eingefügt. Die Rezensenten hoben die literarische Qualität und Authentizität der historischen Frauengestalten hervor. Marianne Bruns gelang es feinsinnig, geschichtliche Abläufe mit einer romanhaften Handlungsführung zu verbinden und über die deutsche Frauenbewegung in literarischer Form zu berichten.

Der Erzählband "Die Lichtung" wurde ursprünglich 1965 vorgelegt. Die 24 Erzählungen waren in neun Jahrhunderten angesiedelt. Die zeitliche Spannweite reichte von der Besiedlungsgeschichte im ostelbischen Raum über die Hussitenbewegung, die Bauernkriege, den Dreißigjährigen Krieg bis hin zum Sozialistengesetz, dem Faschismus und den Nachkriegsjahren. Es ging um Menschen, "wie sie leidend, liebend, aufbegehrend und kämpfend ihre Einzelschicksale zu bestehen suchen und damit bewußt oder unbewußt auch das allgemeine Menschenschicksal mitgestalten". Die "Psychogramme aus tausend Jahren gesellschaftlicher Entwicklung" waren "voller Spannung und Farbe, tief der jeweiligen Zeit nachempfunden, ohne vordergründige Belehrungen und aufdringliche historische Details." (Rulo Melchert)

Der Band "Veit Stoß/Jörg Ratgeb" über die zwei Künstler aus der Zeit des Großen Deutschen Bauernkrieges und der geistigen Auseinandersetzung mit Renaissance und Reformation erschien 1984. In den Nachbemerkungen betonte der Herausgeber und langjährige Bruns-Lektor Gerd Noglik, daß die gesicherten Fakten über Ratgeb spärlich seien, während von Stoß ein beachtliches biographisches Raster bekannt sei. "Marianne Bruns spürte die inneren Zwänge und äußeren Bedrängnisse dieser beiden großen Meister auf und erhellte mit großer Einfühlungskraft die psychische Situation der Künstler." Die Rezensenten hoben die gründliche historische Fundierung, die gediegene Sprache und den Einfallsreichtum der Autorin hervor.

Die beiden Romane "Zeit ohne Wunder" und "Der grüne Zweig" (1982) erschienen ursprünglich 1977 und 1979. Sie waren in Stoff, Struktur und Schreibweise unterschiedlich. In "Zeit ohne Wunder" wird die Frage nach dem Sterben in Würde von verschiedenen Lebenshaltungen aus beleuchtet. In dem kunstvoll komponierten Parabelroman "Der grüne Zweig" unternahm Marianne Bruns den Versuch, mittels der Legende von Noah und seiner Arche das aktuelle Thema der Umweltzerstörung episch zu gestalten. Die Autorin wollte Denkanstöße vermitteln, um schon damals die ökologische Situation der Gegenwart sichtbar zu machen.

Jürgen Engler hob die "kraftvolle, poetische, sichtlich der Bibel verpflichtete Sprache" des Romans hervor. - Der Sammelband "Szenenwechsel/Wiedersehen" erschien 1989. "Szenenwechsel" durchleuchtet in einem psychologisch geknüpften Netzwerk vielschichtig Wirkungen und Rückwirkungen von Schicksalsschlägen, wie sie ein Unfall nach sich zieht. In "Wiedersehen" geht es um eine erzwungene Emigration. Beiden Romanen lag ein novellistischer Ausgangspunkt der Handlung zugrunde, wobei zwei ältere Intellektuelle zu Hauptfiguren wurden. Sie setzten sich verständnisvoll und tolerant für junge Leute in prekären Situationen ein, um ihnen Lebenshilfe zu geben. Verantwortung für die nachfolgende Generation und das Spannungsfeld zwischen Glücksanspruch und Verzicht werden thematisiert.

Die fünf vorliegenden Bände der "Ausgewählten Werke" von Marianne Bruns reflektieren nur einen Bruchteil ihres Schaffens. Der Mitteldeutsche Verlag hätte zumindest drei weitere Bände folgen lassen müssen, überdies einen sechsten Band mit den Jugendbüchern "Die Silbergrube" (1959) und "Der Junge mit den beiden Namen" (1985). Für den siebenten Band wären Bücher mit biblischen Themen denkbar gewesen: "O Ninive!" (1984) mit der Geschichte des Propheten Jona und "Der Fall Lot" (1987). Für den achten Band der Werkausgabe hätte man sich die sensiblen Miniaturen und poetischen Gedichte der Marianne Bruns aus "Luftschaukel" (1985), die "Ungewöhnliche Liebeserklärung" (1990) und die Kurzprosa aus "Nahe Ferne" (1989) gewünscht.

Die Schriftstellerin wurde für ihr umfangreiches und nachwirkendes Lebenswerk nicht gerade mit Auszeichnungen überhäuft. Die Stadt Freital verlieh ihr das Ehrenbürgerrecht. Marianne Bruns verstarb am 1. Januar 1994 im Alter von 96 Jahren in Dresden. Anläßlich des 100. Geburtstages der Autorin am 31. August 1997 gedachte man ihrer am Grab in Freital-Deuben.

Dieter Fechner

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Archie und das verwunschene Dorf

Es war einmal - so fangen bekanntlich die meisten Märchen an - ein uraltes, später mehrfach umgebautes Häuschen einer Lausitzer Großmutter in einem sogenannten Haufendorf abseits der breiten Straße, die noch einen Sommerweg hatte, unweit von Göda bei Bautzen in einer der fruchtbaren Niederungen. Es gab dort ein pompöses ehemaliges Herrenhaus mit einem geduckten früheren Einklassen-Schulgebäude daneben, wo auch der Lehrer wohnte, und einen übergroßen Feuerlöschteich, der aussah wie eine Badeanstalt und vor dem die Dorffeste gefeiert wurden.

Nach dem zweiten großen Krieg hatten Dorfarmut und Umsiedler die ganze Gegend wie das Ruder des ehemaligen Teilreichs übernommen. Mit Hilfe Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) hatten sie die Landschaft später zum Blühen gebracht.

Kurz nach dem Krieg der Großindustriellen hatten die Pächter noch mit eisernen Stangen Jagd auf hungrige Kinder gemacht, die sich an den Obstbäumen der Chaussee bedienten. Hans im Glück und Inge, das fremde Gänsemädchen, legten sich mit den Pächtern an. Beide wohnten in dem verwunschen erscheinenden Dorf in der Senke hinterm Busch. Zur Zeit der Gutsherren und ihrer Verwalter galt der Ort als arm, und die Katen duckten sich am Wegesrand in Lehm und Sand.

Während des Krieges waren es vorwiegend Frauen und Fremdarbeiter, die den Buckel auf den Feldern bei Hitze und Kälte sichelkrumm machen mußten. Hans war im Glück, als die Männer mit der Roten Fahne siegten und zu ihm sagten: "Komm zu uns, wir brauchen Dich mit Deinen goldenen Händen." Hans schraubte Motorräder zusammen und baute Imker-Wagen. "Du bist für den Verkehr verantwortlich, wenn Du willst." Hans im Glück verwandelte sich in eine "Weiße Maus" und baute in der Freizeit weiter am ererbten Häuschen der Großmutter, die dort mit Tieren unter einem Dach gewohnt hatte. Großvater war Besitzer des ersten Motorrads im Dorf gewesen. Er machte die Pferde des Verwalters scheu und bekam dafür eins mit der Peitsche.

Hans im Glück, der Enkel, fuhr einen Barkas-Bus der VP und gehörte zur Arbeiterund-Bauern-Macht. Er hatte ein Auge auf Inge geworfen, die eigentlich die Christel von der Post war und beim Briefe-Austragen die Gänse hinter sich her zog. Die blonde Inge hatte einen langen Weg zurückgelegt, von Breslau über Prag in die Lausitz, das meiste zu Fuß. Der schwarze Hans nahm sie öfter im Beiwagen des Krads mit zum Heumachen. Bald gründeten sie eine Familie im Haus der Lausitzer Großmutter. Später übernahm Inge die Post als Leiterin. Sie sorgte dafür, daß ein Kindergarten ins ehemalige Herrenhaus zog, daß regelmäßig ein Schulbus fuhr und ein Doktor wöchentlich seine Sprechstunden abhielt. Die Dorfbewohner wetteiferten um die schönsten Vorgärten und um die höchsten Erträge in der LPG. Sie erhielten auch kostenlos einen Landstreifen zur eigenen Bewirtschaftung.

Der letzte Einzelbauer soll gesagt haben: "Ich bin doch nicht blöd und schufte mich kaputt für ein eigenes Feld und ein paar Kühe, während die LPG-Bauern Gehalt beziehen und in Urlaub fahren." Die Paradekutsche schenkte er der Gemeinde für Festumzüge. Der Bürgermeister war sehr gerührt, nannte ihn "Alwin, den Letzten" und sprach von der Bewegung vom "Ich zum Wir", die im Dorf stattgefunden habe. Viele Einwohner arbeiteten damals auch außerhalb, in Bautzen oder Bischofswerda, fuhren bis nach Zittau und Dresden. Es herrschte traumhafte Vollbeschäftigung im Land, unerreichbares Ziel und Zauberwort für die Jetztzeit. Allgemeine Hilfsbereitschaft griff immer mehr um sich.

Archie blieb mit einer Autopanne unterwegs bei Bautzen liegen, hielt ein Taxi an und sagte, wohin er wolle, und fügte den Namen von Hans hinzu. Der Taxifahrer sah ihn an und sagte: "Bleib ock lieber bei Deiner Karre hier, ich organisier das schon, der Hans ist hier bekannt wie ein bunter Hund." Eine halbe Stunde später kam Hilfe. Hans war zu einem Unfall unterwegs.

Dabei wurde im Dorf hart gearbeitet, und im Winter war es noch härter, wenn die Senke mit Eis und Schnee zugeweht war. Auf der Fernverkehrsstraße passierten viele Unfälle, Hans war immer als Erster vor Ort, psychisch belastend!

Als die Kreisstadt in die Fußball-Oberliga aufstieg, brach der Verkehr fast zusammen, und Hans kam kaum aus den Stiefeln heraus. Inge hatte Haus, Hof und Wirtschaft am Hals. Aber es herrschte immer Gastfreundschaft bei ihnen.

Besonders schön war es im Herbst, wenn die riesigen alten Bäume bunt wurden, es im Ofen in der Bauernküche knisterte, liebevoll zubereitetes Essen auf dem Herd stand, dazu Kompott aus dem Keller, Wein aus der großen bauchigen Flasche. Der riesige Schäferhund lag unterm Tisch zum Füßewärmen, der Rauch stieg manchmal kerzengrade aus dem Schornstein, der Mond zog höher, Schnurren wurden erzählt.

Archie dichtete damals zur allgemeinen Heiterkeit: "Wenn die Hennen sonntags in aller Herrgottsfrühe durch die Dörfer rennen und die Bauersleute noch in den Daunen pennen, der Hahn kräht auf dem Mist, weil ihn seine Hennen kennen, Leute, dann gibt es frische Eier heute!"

In unseren Tagen würde man sie Bio-Eier nennen. Damals war auf dem Dorf natürlich alles Bio - ein Dasein wie im Märchen.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie immer noch, möchte man hinzufügen. Doch sie leben nicht mehr, Hans und Inge und die anderen sind tot oder in alle Winde verstreut, das Häuschen wurde verkauft, geschleift. Neureich baut neu. In jedem Märchen gibt es eine böse Hexe, diesmal hieß sie "Wende". Wie bei den Gebrüdern Grimm ging nicht alles gut aus. Viele Geschichten sind grausam. Und dennoch: Es war einmal ... Märchen sind unsterblich, die meisten handeln von der Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit, meint Archie, der oft wehmütig an seine verstorbene Cousine Inge aus dem Märchendorf in der Lausitz zurückdenkt.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an RotFuchs

Herzlichen Dank für Eure Beiträge zum 65. Jahrestag der Befreiung einschließlich des Vortrags von Prof. Dr. Moritz Mebel, bei dem ich selbst Zuhörerin war. Niemals darf auch nur ansatzweise vergessen, verschwiegen, verdrängt oder verfälscht werden, welche unermeßlichen Opfer das sowjetische Volk und viele andere Völker im Kampf um die endgültige Zerschlagung des Hitlerfaschismus gebracht haben.

Allein das Bewußtsein, einmal in einer sozialistischen Gesellschaft gelebt zu haben und aufgewachsen zu sein, ist von so großem Wert, daß alles andere dagegen bedeutungslos und nichtig erscheint. Noch heute profitiere ich aus diesen Kenntnissen, Erfahrungen und Erinnerungen, um in den Wirren und Fängen des kapitalistischen Alltags bestehen zu können.

Dank Euch, Ihr Sowjetsoldaten!
Dank Euch, "RotFuchs"!

Kerstin Sterzenbach, Die Linke/KPF, Heidelberg


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Mit großem Interesse habe ich im RF 148 die Rede von Prof. Dr. Moritz Mebel gelesen. Er hat sehr gut die Bedeutung dieses Tages herausgearbeitet, mit Tatsachen belegt und die Wahrheit über die damaligen Ereignisse gesagt. In der heutigen Zeit wird das tatsächliche Geschehen immer mehr entstellt und der Jugend ein falsches Geschichtsbild vermittelt. Man leugnet den großen Anteil der Sowjetunion und der Völker dieses Staates bei der Zerschlagung des Faschismus. Die Rote Armee hat nicht nur uns Deutsche befreit, sondern auch viele andere Völker Europas. Deshalb ist es wohltuend, einen Bericht über die damalige Zeit zu lesen, in dem die wahren Ereignisse geschildert werden und der hohe Einsatz der Sowjetsoldaten gewürdigt wird.

Dr. Hans Rost, Bautzen


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Mit viel Zustimmung lese ich den "RotFuchs". Eure Maiausgabe freute mich durch das rückhaltlose Bekenntnis zur Befreiung aller Völker Europas und auch des deutschen Volkes von der Hitlerbarbarei ganz besonders. Ich erhielt die von Bruni Steiniger gestaltete, tiefgründige Filmdokumentation zum 65. Jahrestag. Die starken Bilddokumente und heute so selten vernehmbaren Argumente zu den Ursachen des Hitlerfaschismus und den Quellen der Auslösung des II. Weltkrieges waren für unsere Veranstaltung am 19. Mai im Russischen Haus der Kultur und Wissenschaft eine gute Einstimmung.

Wir wandten uns mit einem Antrag an den Petitionsausschuß des Bundestages, den 8. Mai als nationalen Gedenktag, als Tag der Befreiung, zu würdigen.

Eugen Neuber, Vorstand der "Berliner Freunde der Völker Rußlands"


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In der Altstadt von Wolfen erinnert noch heute die Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft an unsere feste Verbundenheit mit den Befreiern von 1945. Ich erlebe es immer wieder in vielfältiger Form, daß die Opfer der Sowjetunion und ihrer damaligen Alliierten, aber auch die von deutschen Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen und anderen Antifaschisten, nicht vergessen sind.

Günther Lidke, Bitterfeld-Wolfen


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Der den Sowjetsoldaten gewidmete Leitartikel im Maiheft mit den sich anschließenden Beiträgen und der Mebel-Beilage war ein Genuß. Gut auch die Würdigung der Befreiungstat durch den Arbeitskreis Mittel- und Osteuropa bei der Partei Die Linke (MOE). In Bautzen konnten die Teilnehmer der Kranzniederlegung den sowjetischen Ehrenfriedhof nicht betreten, da er fest verschlossen war. Ich vermute, es handelte sich um das "Werk" von Nazis, worauf Transparente hinwiesen. Diese konnte die Polizei vor Beginn der VVN-Veranstaltung entfernen, die Panzerschlösser aber nicht. RF-Leser Torsten Noack, der unser Gebinde mit RF-Schleife vor dem Ehrenmal niederlegte, nachdem er die Umzäunung überstiegen hatte, nahm auch andere Blumen entgegen. Die Gedenkveranstaltung fand neben dem Ehrenfriedhof am OdF-Gedenkstein statt, wo unser Leser Joachim Domschke (siehe RF-Maiausgabe) eine beeindruckende Rede zur Würdigung der Befreier hielt.

Helge Tietze, Bautzen


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War der Preis des Sieges zu hoch? Unter diesem Titel veröffentlichte das ND einen Artikel von Prof. Dr. Horst Schützler. Der Autor gibt einen Überblick über die Wahrnehmung des Großen Vaterländischen Krieges im heutigen Rußland. Fast 70 % der dortigen Bevölkerung seien stolz auf den Sieg unter Stalins Führung. Schwerpunkt bilde in der Geschichtsschreibung der Vorabend des Krieges mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt und dem sogenannten Geheimen Zusatzprotokoll. Nach Auffassung des Moskauer Historikers Prof. W. Smirnow dienten diese Dokumente dem Staatsinteresse. Für den stellvertretenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma J. Kwizinsky kam der Pakt "zur rechten Zeit, war nötig und unter jenen Bedingungen durchaus legitim, vom Standpunkt der politischen Strategie sehr realistisch". Dieser Einschätzung stimme ich zu. Die Sowjetunion hatte in der damaligen Situation keine andere Wahl. Infolge der durchsichtig antisowjetischen Politik der Westmächte, die einen von der UdSSR angestrebten Pakt der kollektiven Sicherheit ablehnten, war der von Nazideutschland vorgeschlagene Nichtangriffsvertrag für die Sowjetunion eine zu nutzende Atempause, um die Abwehr eines deutschen Überfalls organisieren zu können.

Der finnisch-sowjetische Krieg 1939/40 zeigte in aller Deutlichkeit, daß die Rote Armee in bezug auf moderne Kriegstechnik damals der Naziarmee nicht gewachsen war. Die sowjetische Bewaffnung befand sich auf dem Stand des I. Weltkrieges. Die Romane von Konstantin Simonow über den schweren und opferreichen Kampf der Roten Armee zeigen das in aller Deutlichkeit.

Dr. Rudi Dix, Zeuthen


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Wie schwer ist es gewissen Politikern und Journalisten gefallen, den 65. Jahrestag der Befreiung als das zu benennen, was er für uns seit Jahrzehnten bedeutet. Sie sprachen lieber vom Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Mir zeigt das nur, welcher Geist in diesem Land herrscht.

Wie abgebrüht muß man sein, bei der Trauerfeier für in Afghanistan gefallene Soldaten davon zu sprechen, es sei eine Ehre gewesen, für "unsere Freiheit" gestorben zu sein. Das Wort Krieg wird mit einer solchen Phrase verhüllt. Zu Guttenberg ist ein wahrer Sprachkünstler. Übrigens ist mein Vater 1943 auch für "unsere Freiheit" gefallen. Wie sich Worte doch manchmal wiederholen.

Der "RotFuchs" müßte zur Pflichtlektüre für alle Politiker werden.

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


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Mit "Dank Euch, Ihr Sowjetsoldaten!" hat uns Klaus Steiniger, wie schon viele Male zuvor, aus der Seele gesprochen. In Paris, wo wir uns am 8. Mai befanden, suchten wir auch den Place de la Bataille de Stalingrad und die gleichfalls nach der Schlacht an der Wolga benannte Metro-Station auf.

Unseren "RotFuchs" möchten wir nicht missen, bestätigt uns seine Lektüre doch immer wieder, daß wir mit unseren Ansichten nicht allein sind.

Heide und Rolf Brand, Waltershausen


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Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan erfolgte 1979 auf wiederholtes Ersuchen des afghanischen Revolutionsführers Nur Muhammad Taraki. Anlaß waren Unruhen infolge der 1978 eingeleiteten sozialen Umgestaltungen (Bodenreform, umfassendes Bildungsprogramm, Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften). Für die USA war das ein Signal der Hinwendung Afghanistans zum sozialistischen Lager und damit Anlaß, über die CIA jegliche Mittel zur Unterstützung der Gegner dieser Entwicklung einzusetzen. In kürzester Frist wurden mehr als 30 militante Mudschaheddin-Gruppen gebildet, waffentechnisch ausgerüstet und finanziell unterstützt. Ob der Einmarsch der sowjetischen Truppen richtig oder falsch war, soll hier nicht Gegenstand sein. Zumindest aber ist er glaubwürdiger und nachvollziehbarer als die BRD-Version einer Verteidigung der Heimat am Hindukusch! Daß sich die Mudschaheddin-Gruppen nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im Kampf untereinander aufrieben und die Taliban (Kräfte aus den Koranschulen an der pakistanisch-afghanischen Grenze) 1994 zur dominierenden militärischen Kraft wurden, sei nur beiläufig bemerkt. Die USA erhofften sich von den Taliban zunächst Stabilität, war doch eine Erdgas-Pipeline des USA-Konzerns Unocal zwischen Turkmenistan und Pakistan geplant. Welche Verhältnisse innenpolitisch herrschten, schien Washington gleichgültig zu sein. Hauptsache prowestlich. Erst nach dem 11. September 2001 und dem Bekenntnis der Taliban zum New Yorker Terroranschlag wurde der Einmarsch der NATO-Truppen proklamiert, um die Taliban zu vernichten und "demokratische Verhältnisse" herzustellen. Das Gegenteil ist eingetreten. Trotz militärischer Überlegenheit der ISAF-Truppen kontrollieren die Taliban mit Rückhalt in der Bevölkerung große Landesteile. Dieser Krieg ist für den "Westen" nicht zu gewinnen. Die UdSSR hatte bis 1988 etwa 115.000 Soldaten im Einsatz, darunter etliche Angehörige von Eliteeinheiten. In fast zehn Jahren starben auf ihrer Seite 15.000 Mann, weitere 10.000 wurden schwer verwundet.

Nach wieviel Gefallenen auf deutscher Seite setzt sich Vernunft im Bundestag durch?

Oberst a. D. Peter Oldenburg, Schwerin


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Im Klappentext des Buches "Ruhe in Rostock? Von wegen", Autor Oberst a. D. Artur Amthor, heißt es: "Er war der letzte Chef der Rostocker MfS-Bezirksverwaltung. Ihm fiel die Aufgabe zu, diese Institution aufzulösen. 38 Jahre war er dabei, davon die meiste Zeit in eben jener Dienststelle. Artur Amthor hat nicht nur Geschichte geschrieben: Er hat sie auch aktiv mitgestaltet. Darüber berichtet er.

Bekannte Orte, Vorgänge und auch Namen kommen bei ihm vor: Rechtsanwalt Schnur, Pfarrer Gauck, Bischof Gienke. Mit allen hatte er zu tun. Sehr direkt. Im Unterschied zu manchen Zeitgenossen befiel Amthor jedoch nicht der weitverbreitete Gedächtnisschwund.

Das im Verlag Am Park erschienene Buch hat mich und viele ehemalige Mitarbeiter sehr angesprochen. Der Autor schreibt offen und kritisch. Er beschönigt nichts. Bei der Lektüre konnte ich noch einmal meine eigene Entwicklung nachvollziehen. Dabei erinnerte ich mich an Phasen der Freude und des Stolzes, zeigt doch Amthors Buch, welche Aufgaben das MfS tatsächlich zu lösen hatte, wer seine Gegner waren und was im Kampf gegen sie geleistet wurde.

"Ruhe in Rostock?" ist nicht nur für Leser unserer Region interessant, sondern ein Fundus für jeden Ostdeutschen, der sich gegen Demütigung und Verleumdung wehrt.

Jürgen Dahmer, Rostock


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Der Rostocker Stadtteil Lichtenhagen wurde unverdienterweise weltweit zum Synonym für angebliche DDR-Fremdenfeindlichkeit. Die Bilder der brennenden Häuser und der Jagd auf Ausländer gingen damals um die Welt. Rostocker Einwohner haben die Exzesse, deren Ursachen kaum bekannt wurden, auf beschämende Weise in nicht geringer Zahl gutgeheißen. Nach Jahren scheinbarer "Ruhe" versuchte sich die NPD nun mit ihrem Landtagsabgeordneten Köster an der Spitze in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu katapultieren. Ein Versuch der Neonazis, am 1. Mai in Rostock/Lütten Klein aufzumarschieren, wurde durch die Blockade jugendlicher Demonstranten verhindert. Zu deren Teilnehmern sprach u. a. Helmut Holter. Er sagte sinngemäß: "Keine Gewalt, die Polizisten sind auch Antifaschisten!" Das von einem Spitzenpolitiker der Partei Die Linke zu hören, ist schon schlimm.

Hans Jürgen Grebin, Rostock


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Liebe Genossin Ulla Jelpke, durch Dein Grußwort an die Teilnehmer des Kundschafter-Treffens der einstigen HVA hast Du beispielhafte Solidarität mit von der Reaktion besonders verunglimpften Genossen gezeigt. Dafür verdienst Du Anerkennung und Dank. Du unterscheidest Dich wohltuend von jenen Mitgliedern unserer Partei, welche vor dem Gegner einknicken und aus Opportunismus oder materiellen Gründen bereit sind, die minimalsten Standpunkte einer linken Partei zu opfern.

Rainer Kaltofen, Kreisvorsitzender der Partei Die Linke, Sigmaringen


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Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen zeigten erneut, was für ein unehrliches Spiel die Sozialdemokratie betreibt. Da die Kandidaten der Linkspartei in NRW die DDR nicht als "Unrechtsstaat" zu verteufeln bereit waren, erschienen sie in den Augen der SPD als nicht regierungsfähig. Das Wort Diktatur für die DDR wurde ihnen abgenötigt, wobei sie nicht darauf verwiesen, daß aus wissenschaftlicher Sicht sowohl von der Diktatur des Proletariats (DDR) als auch von der Diktatur der Bourgeoisie (BRD) gesprochen werden müßte. Letztere gibt sich bekanntlich als "freiheitliche Demokratie" aus.

Das bürgerliche Parteienkartell freut sich, wenn es zur Anti-DDR-Hetzjagd noch Verbündete bei Sozialdemokraten und Grünen finden kann, die ihren Antikommunismus mit der Nominierung des restlos diskreditierten Berufshetzers Gauck auf die Spitze getrieben haben.

Udo Hammelsbeck, Drübeck


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Als fast 90jähriger Genosse proletarischer Herkunft und Vergangenheit, der mit vielen gesellschaftlichen Aufgaben betraut war - als Roter Falke, SPD-Funktionär, Delegierter zum 1. Parteitag der SPD in Freital, Mitglied des Aktionsausschusses zur Vorbereitung der Vereinigung von SPD und KPD und Delegierter des Landesvereinigungsparteitags der SED in Dresden - vermag ich einzuschätzen, daß sich die alte Parole "Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten!" immer wieder bestätigt hat. In der Traditionslinie von Noske (1919) über Hörsing (1921) bis zu Schumacher (1945) wurde dieser Verrat bewiesen. Ich denke besonders auch an die Aufforderung der seinerzeitigen SPD-Führung, bei der Reichspräsidentenwahl für Hindenburg zu stimmen!

Ein Glanzstück des Opportunismus lieferten die jetzigen SPD-Führer in NRW ab, indem sie ihr Feuer auf die Partei Die Linke richteten, womit sie ihre eigene Wahlkampfaussage, eine schwarz-gelbe Koalition in NRW verhindern zu wollen, verrieten. Es ist ein Skandal, daß Frau Kraft mit Unterstützung des SPD-Vorsitzenden Gabriel eine Koalition unter Einschluß der Linksfraktion blockiert, zugleich aber die Nähe zu CDU und FDP gesucht hat.

Hermann Thomas, Wilsdruff


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In der durch die Linkspartei mitgetragenen Präambel des Brandenburger Koalitionsvertrages heißt es, die DDR sei eine "SED-Diktatur" gewesen, die nicht verklärt werden dürfe.

Im Entwurf des Parteiprogramms der PDL wird eine klare Stellungnahme zur DDR umgangen. Man führt lediglich eine Reihe unbestreitbarer Errungenschaften an.

Mit der Darstellung im Entwurf, der Zusammenschluß von SPD und KPD sei unter Druck erfolgt, wird der Geschichtsfälschung Vorschub geleistet. Was soll die verschwommene Formulierung, viele Sozialdemokraten hätten sich der Vereinigung widersetzt, zahlreiche Mitglieder und Funktionäre der SPD aber den Zusammenschluß unterstützt?

Ich war wie die meisten der damals 680.000 Mitglieder der SPD ein einfacher Genosse. Wir traten nicht für eine von irgendwem verordnete Vereinigung ein, sondern wollten diese bewußt. Dazu brauchten wir weder einen Befehl Stalins oder Ulbrichts noch irgendwelchen Druck. Nur eine Minderheit von SPD-Mitgliedern war gegen die Vereinigung und folgte der Spalterpolitik Kurt Schumachers.

Werner Feigel, Chemnitz


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Ohne energischen Kampf um ein Zusammengehen aller linken Kräfte, ohne die Aktionseinheit von Sozialdemokraten, Genossen der Partei Die Linke, Kommunisten und anderen fortschrittlichen Menschen gibt es keinen Erfolg der sozialistischen Idee. Die Misere der Spaltung der Arbeiterklasse, vom Kapitalismus des 19. und 20. Jahrhunderts erfolgreich arrangiert, zeitigte fatale Folgen. Sie wirken bis heute nach.

Ich finde den Artikel von Prof. Dr. Anton Latzo zum Thema Aktionseinheit im Mai-Heft des RF sehr interessant.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


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Die Entwicklung in Deutschland ist durch einen zunehmenden Rechtsruck charakterisiert. Befürchtungen werden hier und da laut, sie könne letztlich zu einem neuen 1933 führen.

Am 17. April tagten in Neustrelitz die antikommunistischen "Eliten" der BRD. Das Ganze nannte sich 14. Bundeskongreß der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Der Vorgang bewies die eingangs getroffene Feststellung. Was in Neustrelitz von den "Stasi"-Keulenschwingern als "künftige Aufgaben" formuliert wurde, läßt Schlimmes befürchten. Großes Unbehagen herrschte unter den Hexenjägern, daß immer noch Millionen einstige DDR-Bürger ihrem früheren Staat mehr gute als schlechte Seiten zubilligen. Bei der Thüringer Landesbeauftragten Neubert führte das zu der Forderung, die Leugnung der "Verbrechen des Kommunismus/Sozialismus" unter Strafe zu stellen.

Dem Rechtsruck Einhalt zu gebieten, ist das Gebot der Stunde.

Generalmajor a. D. Dr. Dieter Lehmann, Dresden


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Ich habe mir nochmals die vorjährige Maiausgabe des RF angeschaut. Da ist der katholische Militärbischof Mixa noch im trauten Kreis seiner Krieger abgebildet. Unterdessen mußte ihn der Papst entlassen. Als Atheist gelange ich zu der Erkenntnis: Es gibt tatsächlich noch eine göttliche Gerechtigkeit. Nachdem die Gerichte der BRD sich aufgrund von Verjährung jeglicher Strafverfolgungspflicht enthoben sahen, hat ihn Gott bestraft.

Klaus Pinkau, Leipzig


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Den Beitrag über Dr. Eduard Alexander, an den Siegfried Spantig aus Hagenow erinnert, würde es nach meiner Vermutung nicht geben, wäre da nicht Dr. Uwe Wieben. Dieser frühere Geschichtslehrer leitete von 1978 bis 1990 das Heimatmuseum in Boizenburg. Von 1990 bis 1996 war er Bürgermeister, faktisch also Alexanders Nachfolger. Wieben hat das Leben des kommunistischen Reichstagsabgeordneten (1928-1930) jahrelang erforscht und die Ergebnisse publiziert. Das Buch "Eduard Alexander. Biographische Skizze eines nahezu vergessenen Politikers der Weimarer Republik" kam auch mit Unterstützung des Sohnes jenes zu Recht gewürdigten Kommunisten zustande. Prof. Dr. Karl-Friedrich Alexander und seine Frau, die beide in Berlin leben, nahmen an der Vorstellung im schönen Rathaus von Boizenburg teil, worüber seinerzeit auch die "junge Welt" berichtete.

Ich unterstelle, daß Siegfried Spantig dieses Buch kennt, sonst wüßte er nicht manches Detail. Weshalb aber hat er es dann unerwähnt gelassen?

Frank Schumann, Berlin


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Die ständige Stigmatisierung der DDR als "Unrechtsstaat" und mit dem Faschismus gleichzusetzende "zweite Diktatur" ist unerträglich. Die Lebensleistungen von Millionen werden mit dem vordergründigen Ziel in den Schmutz getreten, jegliches alternative Denken zu verhindern.

Keine der 1989/90 auf den Plan getretenen Gruppierungen innerer und äußerer Gegner hatte tatsächlich im Sinn, die damalige DDR - wie heute immer behauptet wird - zu verbessern oder nur von der "Kaste der Wasser- und Betonköpfe" zu befreien. Die "Bürgerbewegten" waren mehrheitlich nie gewillt, sich konstruktiv an der Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft zu beteiligen. Übrigens: Den meisten dieser selbsternannten "Menschenrechtler" ist es heute völlig egal, wenn Millionen Bürger der BRD sozial ausgegrenzt, diskriminiert oder brutal ausgebeutet werden. Nach Erringung der "Freiheit" fühlen sie sich nur noch ihren Zuhältern aus Politik und Wirtschaft verpflichtet.

Dipl.-Ing. Hermann Ziegenbalg, Riesa-Weida


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In der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" (MAZ) waren haßerfüllte Äußerungen der "Stasi-Landesbeauftragten" Brandenburgs, Ulrike Poppe, zu lesen. Hier ein Stück Wortlaut: "Im Rahmen der Veranstaltung Ost-West-Gespräch im Treffpunkt Freiheit kritisierte Poppe auch die moralische Beliebigkeit von Leuten aus dem Westen, die sich beim Thema DDR-Vergangenheit oft einer Meinung enthielten. Das häufig von West-Bundesbürgern vorgebrachte Argument - 'Ich war ja nicht dabei, deshalb weiß ich nicht, wie ich mich als DDR-Bürger verhalten hätte' - will Poppe nicht gelten lassen: 'Auch wenn man nicht in der DDR gelebt hat, kann man sich ein Urteil erlauben.'

In der Fragerunde brachte sie ihr Erstaunen über das Ausmaß alter Netzwerke, die immer noch existierten, zum Ausdruck. Überdies würden 'schlimme und geschichtsverfälschende Machwerke' in Umlauf gesetzt.

Das MfS sei ein Instrument gewesen - die eigentlichen Befehlsgeber hätten in der SED gesessen, erklärte Poppe. Diese müsse man nach ihrer Rolle fragen" - so weit die MAZ-Kolportage.

Vor einiger Zeit gab Thüringens "Stasi-Beauftragte" die Parole heraus: "Man sollte nicht nur die IM und offizielle Stasi-Mitarbeiter ins Visier nehmen, sondern auch die SED-Mitglieder." Frau Poppe fügt dem noch die NVA hinzu.

Als ehemaliger Angehöriger der NVA kann ich mit Fug und Recht behaupten, daß wir keine Soldaten im Auftrag des "großen Bruders" ins Ausland geschickt haben, um die DDR fernab der Heimat zu "verteidigen". Der Warschauer Vertrag hat dafür Sorge getragen, daß wir mehr als 40 Jahre in keine "kriegsähnlichen Zustände" verwickelt waren, wohl aber in "Kampfeinsätze" an der "Heimatfront", z. B. bei unwirtlichen Witterungsbedingungen im Braunkohletagebau. Jetzt wird uns indes weisgemacht, daß Deutschland auf Befehl des "großen Bruders" der alten BRD am Hindukusch verteidigt werden müsse.

Oberstleutnant a. D. Volker Kretzschmar, Potsdam


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Wenn man in Dresden mit der Linie 6 nach Niedersedlitz fährt, ertönt an der früheren Hennigsdorfer Straße die Haltestellenansage "Straße des 17. Juni". An deren Anfang ist eine Tafel angebracht worden, die an den "Arbeiteraufstand" von 1953 erinnern soll. An jenem Tag wurde den Gegnern des Sozialismus vor Augen geführt, daß ihre damaligen Manöver zum Scheitern verurteilt waren. Erst als sich Ende der 80er Jahre deutliche Defizite in der Politik der DDR-Führung bemerkbar machten, ist es den inneren Feinden der sozialistischen Entwicklung gelungen, eine große Masse von Illusionen Befangener aufzuwiegeln und den Prozeß abzufangen. Trotz des schmerzlichen Rückschlags von 1989/90 dürfte mittel- und langfristig das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Jürgen Förster, Dresden


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Unlängst hat sich die "Dresdner Morgenpost" wieder ein Horrormärchen aus den Fingern gesogen. Ein unscheinbarer "gedeckter Divisionsgefechtsstand" wurde als "Planungsbunker für den Atomkrieg" vorgestellt.

"Kossa war ein Führungsbunker für den Warschauer Pakt", hieß es in der Beschreibung. Über solchen Unsinn können ausgebildete Militärs nur müde lächeln.

Und auch das stand im Bericht: "Die schlichten Nachrichtenräume waren mit modernster Technik ausgestattet." Es handelte sich um einen Büro-Computer AC7100 von Robotron mit CPM 86 (dem langsamsten PC seiner Klasse, ohne Festplatte, nur mit zwei 800-KB-Diskettenlaufwerken) und einen Epson-LX-80-Nadeldrucker sowie eine einfache Telefonnebenstellenanlage ... Kann man damit Weltkriege planen, führen und gewinnen?

Wenn den Medien der Bourgeoisie 20 Jahre nach Einverleibung der DDR nichts Besseres einfällt, dann sollte sich diese Journaille selbst "die Kugel geben", denn auch Lügen und Manipulieren muß gekonnt sein, wie es Baron Münchhausen einst vorgemacht hat.

Gerd Brunecker, Kamenz


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Was Medien und Pseudo-Gelehrte über Vorgänge von 1989/90 in der DDR und Berlin verbreiten, schlägt der Wahrheit ins Gesicht. Ich will hier etwas schildern, was tatsächlich passiert ist. Am 9. Juni 1990 (!) fand an der Humboldt-Universität eine Beratung des von mir geleiteten Arbeitskreises zum Thema "Erfahrungen und Perspektiven des Dialogs zwischen Marxisten und Christen" statt. Zugegen waren Pfarrer und Theologieprofessoren sowie marxistische Philosophen. Das Hauptreferat hielt der Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche Dr. Manfred Stolpe. Sein später veröffentlichter und durch ihn autorisierter Text ging davon aus, daß der Dialog unter den neuen Bedingungen noch nötiger als zuvor sei, "um die Gemeinsamkeit von Marxisten und Christen für die Sicherung des Friedens, die Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung zu verstärken". Wörtlich sagte Stolpe: "Wir dürfen uns nicht gegenseitig loslassen. Ich bekenne mich zu meinen marxistischen Freunden und zum Dialog."

Es geht mir nicht um Polemik dazu, was aus solchen Bekenntnissen geworden ist, sondern um eine Darstellung der Atmosphäre, wie sie Mitte 1990 noch weithin bestand. Die Unzufriedenheit vieler DDR-Bürger richtete sich gegen die Ignoranz der 80er Jahre und mündete im Verlangen nach einem besseren Sozialismus. Erst nachdem sich der generalstabsmäßige Angriff der westdeutschen Konterrevolution die "Lufthoheit" erobert hatte, traten auch in der DDR entsprechende Kräfte offen auf den Plan. Selbst taktische Losungen und Begriffe wie "Wir sind ein Volk", "friedliche Revolution" und "Wiedervereinigung" waren originäre Westprodukte.

Dr. sc. Fritz Welsch, Berlin


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Ergänzendes zum Beitrag "Pflugscharen zu Schwertern?" von Ulrich Guhl: In der Monatsschrift "Junge Kirche", Ausgabe 4/86 las ich: "Ja, wir haben dem real existierenden Sozialismus das Leben schwergemacht und damit unser Scherflein dazu beigetragen, daß dieser Sozialismus so häßlich aussieht ..."

Und die Arbeitsgemeinschaft Kirchenfragen beim Hauptvorstand der zu diesem Zeitpunkt bereits umgefallenen Ost-CDU erklärte im Dezember 1989: "Wir bekennen auch unser Versagen angesichts der vielen Stimmen, die uns frühzeitig erreichten und mahnten, Fehler zu erkennen, offen zu benennen und Neues zu beginnen." Der offene Brief dieses Gremiums war u. a. von Lothar de Maizière und Christine Lieberknecht unterzeichnet. "Die CDU trägt durch den politischen Sündenfall der geduldeten Gleichschaltung Mitschuld am moralischen Verfall der ganzen Gesellschaft", gab de Maizière damals von sich.

Schon zu Beginn des Jahres 1989 war die Bedeutung der Formel "Kirche im Sozialismus", die zunehmend als "mißverständlich" bezeichnet wurde, aufgekündigt worden.

Als ich Anfang der 90er Jahre den westlichen Teil der BRD als Tourist bereiste, kam ich mit einem leitenden Konzernmitarbeiter ins Gespräch. Er meinte: "Ihr seid gerade richtig gekommen, denn wir standen mit unserem Wertesystem auf dem Schlauch." Es fragt sich nicht, wie das Kapital seine derzeitige Niederlage bewältigt, sondern mit welchen Folgen für uns alle.

Manfred Wozniak, Erfurt


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Dem Beitrag "Pflugscharen zu Schwertern?" (RF 147) stimme ich im wesentlichen zu. Doch daß der Glaube des Verfassers "einem tiefen Agnostizismus Platz machen mußte", halte ich für übereilt, denn der christliche Glaube fordert ja zu linkem Engagement heraus.

Die Botschaft von dem menschenfreundlichen Gott ist eine Botschaft der Befreiung. Wenn sie von den Machthabern mißbraucht und zu ihrem Nutzen umgedeutet wird, wie es seit Kaiser Konstantin bis heute immer wieder der Fall war und ist, und wenn politische Organisationen wie die Interessenvereinigung Christliche Linke, Christen für den Sozialismus und Bund der religiösen Sozialistinnen und Sozialisten über Mitgliedermangel klagen, dann muß man gestehen, daß die Christen kläglich versagen und sich da etwas ändern muß. Übrigens sind weltweit nicht alle Kirchen so sehr mit den Machthabern verbündet wie in Deutschland. Man könnte da an die Befreiungstheologen und deren Basisgemeinden in Lateinamerika oder an die Unabhängige Kirche auf den Philippinen denken.

Fritz Klinger, Neubrandenburg


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Mit großem Interesse habe ich den mich bewegenden Beitrag des Schauspielers, Regisseurs und Drehbuchautors Rudi Kurz gelesen. Eine kleine Berichtigung sei mir erlaubt: Der Autor beging am 9. und nicht am 19. Mai seinen 89. Geburtstag.

E. Rasmus, Berlin

Die Redaktion hat sich entschuldigt.


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Eine Nachbemerkung zu meinem Artikel über Adolf Hennecke im Mai-RF: Für einen Autor kann es nichts Schöneres geben, als Leserreaktionen zu erhalten. Auch ich bekam einige bemerkenswerte Denkanstöße. So informierte mich Hans-Joachim Wiesner vom Traditionsverein Braunkohle Lauchhammer e. V. darüber, daß die von mir genannte Hochleistungsschicht tatsächlich im Nachbartagebau gefahren worden sei. Alle anderen von mir genannten Details träfen hingegen zu.

Gefreut hat es mich, daß ich kürzlich mit Adolf Henneckes jüngster Tochter in Verbindung kam. Sie wollte mehr über meinen damaligen Kontakt zu ihrem Vater wissen, zumal sie sich intensiv mit dessen Leben beschäftigt, viele Zeitzeugen befragt und ein Buchmanuskript abgeschlossen hat.

Eberhard Rebohle, Berlin


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Zum Artikel Harry Popows möchte ich meine Anerkennung für den Autor und zugleich Abscheu gegenüber dem aufgeblasenen Kalten Krieger Jörg Schönbohm bekunden. Ich stehe im 80. Jahr und habe die meiste Zeit meines bewußten Lebens in der DDR verbringen dürfen. Erst heute empfinde ich so richtig, was wir eigentlich verloren haben. Nach meiner innersten Überzeugung wird die DDR von ihren Grundlagen her für immer als der bessere deutsche Staat in die Geschichte eingehen.

Klaus Remmler, Eisenach


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Durch Zufall bin ich zum "RotFuchs" gekommen. Ich war von der ersten Ausgabe, die ich in Händen hielt, absolut begeistert. Bei der Lektüre der Beiträge stelle ich fest, daß die Skala von brandaktuell bis zu Vergangenheitserläuterungen reicht. Oft sind sie von akademisch gebildeten Autoren, die aber ihre Meinung durchweg so allgemein verständlich darlegen, daß es beim Mitdenken und Erfassen keinerlei Probleme gibt. Für mich tragen die Texte zur Ausfüllung von Wissenslücken und zu etlichen neuen Erkenntnissen bei. Für das Verständnis der derzeitigen Entwicklung in Politik und Wirtschaft ist der RF eine wichtige Informationsquelle.

Steffen Heimlich, Suhl


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Seit längerer Zeit lese ich den RF mit großem Interesse. Genossen machten mich auf ihn aufmerksam. Inzwischen habe ich ihn selbst für weitere Leser bestellt. Überwiegend stimme ich den geschichtlichen Artikeln auf Grund eigenen Erlebens zu. Doch bisweilen habe ich das Gefühl, daß die Proportionen zwischen Berichten über Vergangenes und zu Ereignissen der Gegenwart sich zugunsten des Gewesenen verschieben.

Politische Bildung in unserem Sinne wird der Jugend heute nicht mehr vermittelt. Auch Älteren bleiben die Zusammenhänge oft ein Rätsel. Der "RotFuchs" müßte auf dieser Strecke noch mehr tun. Die "junge Welt" macht's vor.

Dieter Riskowsky, Greifswald


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Wir möchten uns für die Darstellung von wichtigen Zusammenhängen im "RotFuchs" herzlich bedanken, ebenso wie für die Vermittlung von Wissen und die Erinnerung an Bewahrenswertes. Es gibt immer wieder viel Kraft, wenn man beim Lesen der Zeitschrift erkennt, daß überall Gleichgesinnte noch zur Stange halten und kämpfen. Gesundheit, Durchhaltevermögen und Kraft!

Volker und Edelgard König, Crimmitschau


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Ich begrüße die Zuschrift von Dr. Manfred Graichen in der Mai-Ausgabe. Dem RF-Leserkreis müßten ständig fundamentale Kenntnisse über die ökonomischen Gesetze in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung vermittelt werden, sonst versteht er nicht, was eigentlich hierzulande und in der Welt vor sich geht. Es muß ihm klargemacht werden, daß Überproduktion im Kapitalismus "gesetzmäßig" ist. Der Unternehmer produziert anonym für den Markt, gesellschaftlich aufgebrachte Arbeit wird vernichtet usw.

Diese Form der Aufklärung ist sehr wichtig, denn wer die Vergangenheit nicht kennt, ist außerstande, die Zukunft zu begreifen.

Wolfgang Schröder, Schöneiche


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Da ich den "RotFuchs" für eine sehr gute und aufklärerische Zeitschrift halte, bin ich natürlich auch bemüht, immer mehr Exemplare unter die Leute zu bringen. In Grevesmühlen habe ich bereits eine beträchtliche Zahl neuer Leser hinzugewinnen können. Übrigens auch im Berliner Raum, in Velten, Stralsund und anderen Orten ist mir das gelungen. In Schönberg gehört der frühere Bürgermeister, Oberstleutnant a. D. Michael Heinze, inzwischen zu unserer Leserschaft. So wie es aussieht, könnten noch etliche Interessenten hinzukommen. Der "RotFuchs" ist eine wichtige Waffe im Kampf gegen die neofaschistische NPD, die sich in Grevesmühlen jetzt eine Zweigstelle eingerichtet hat.

Dieter Kramp, Grevesmühlen


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Im ND vertrat Prof. Dr. Hans-Georg Trost aus Zittau die Meinung, der Kapitalismus liege nicht im Koma - womit er offensichtlich dem Grundanliegen des Buchs von Sahra Wagenknecht widersprechen will: "Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien belegt, daß der Kapitalismus eine neue Stufe der technischen Revolution gemeistert hat."

In der Zeit zwischen 1900 und 2010 erfolgte zweifellos eine Fortsetzung der Konzentration und die weitere Modernisierung von Produktion und Dienstleistungen. Antriebe dazu waren jedoch nicht edle soziale und kulturelle Motive, sondern die Erzeugung neuer Waffensysteme. Hier blühte der Erfindergeist. Daß viele Neuerungen aus dem Militärischen ins Zivile übernommen wurden, sei unbestritten. Aber eine friedliche technische Revolution strebten kapitalistische Staaten keineswegs an. Um die sozialistische Ordnung in Teilen Europas und der Welt begraben zu können, wurde eine fieberhafte Hochrüstung betrieben, wurden Embargos verhängt und Revolten aller Art angezettelt.

Ist Prof. Trost wirklich der Ansicht, daß das derzeitige Stadium des Kapitalismus noch 100 Jahre dauern könnte? Im Feudalsystem hielt der Hochadel den Absolutismus für etwas Endgültiges, Ewiges. Ähnlich scheint es sich heute mit dem Kapitalismus zu verhalten.

Mario Kettler, Reichenbach

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010