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ROTFUCHS/124: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 170 - März 2012


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

15. Jahrgang, Nr. 170, März 2012



Inhalt
Heidi Hast von Eile: "Typisch westliches" Rollenspiel
Aus Walter Ruges Feder: Der Überfall
Erklärung vom Mai 1989: SED, DKP und SEW zur faschistischen Gefahr
Wie mich die Nazis zum "Dinarier" machten
Die Entvölkerung Ostdeutschlands
Laudatio auf Pfarrer Erwin Eckert
Politisches Vermächtnis Waldemar Arndts:
Freude und Ärger mit der Partei
Solidarische Kritik am "RotFuchs"
Gruselkabinette für Erstkläßler
Was war der "alte Fritz" wirklich?
Euro-Krise - Synonym für Systemkrise
Warum ein Berliner PDL-Wähler für die "Piraten" votierte
Als Wülfrath im 89er Herbst rot blieb
Zur Mär von "Arbeitgebern" und "Arbeitnehmern"
Erinnern an den Leidensweg der 999er
Marxismus für Einsteiger: Utopie
Rebellion ist noch keine Revolution
Erhellendes über die Schwarze Kunst
RF-Extra Lebensinhalt, Job oder Nirwana?
Zur Arbeit in DDR und BRD
RF-Extra Die an der Dollarschraube drehen
Zur privaten Banknoten-Emission
Konterrevolutionen in der Dritten Welt
Ränkespiel um Kongo
Volksärzte: Eine Großtat der belgischen PTB
Obamas "Truppenabzug" aus Irak - eine Farce
Ein mutiges Blatt australischer Unitarier
Wie Chiles Präsident Allende für die Unidad Popular in den Tod ging
"Prawda": Rosoboron exportiert nach Kuba
General Oreschko zur Ausstattung der NVA
Clara Zetkin-Porträt von Arno Fleischer
Goethes Frauen
Cornelias kleine große DDR (4)
Ein Tagesbefehl Konrad Adenauers
Willi Bredels Werk bleibt hoch aktuell
"Sag nie, ich kann nichts tun"
Archie und das "Ganymed"
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Plädoyer für 365 Frauentage

Nach einem vierjährigen Jurastudium an der Berliner Humboldt- Universität wurde ich im Spätsommer 1956 - noch nicht 24 - Staatsanwalt in Güstrow. Da es damals allenthalben an Hochschulabsolventen fehlte - man hatte ja die im Westen weiterhin den Ton angebenden Nazi-Juristen bei uns samt und sonders abserviert -, wurden wir sehr früh ins "kalte Wasser" geworfen. In dieser bewegten Zeit mußte ich fast jeden Tag nach Abschluß der Beweisaufnahme ein Plädoyer halten. Viele hundert solcher kurzen oder auch längeren Vorträge mögen es insgesamt gewesen sein.

Seit über 50 Jahren dieser Tätigkeit entwöhnt, will ich hier ausnahmsweise noch einmal den Versuch eines Plädoyers wagen. Dabei geht es nicht um das Erwirken eines Schuld- oder Freispruchs. Ich plädiere dafür, daß man bei uns statt nur eines Internationalen Frauentages 365 - in Schaltjahren sogar 366 - Tage des Kampfes für die Gleichberechtigung der Frau einführen sollte.

Auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz, die im August 1910 in Kopenhagen zusammentrat, engagierten sich die deutschen Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker für einen weltweiten Frauentag, der erstmals am 19. März 1911 in vier Staaten - Dänemark, Deutschland, der Schweiz und Österreich-Ungarn - begangen wurde. Später entschied man sich für den 8. März. Auf der 2. Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen, die 1921 in Moskau stattfand, war von der bulgarischen Delegation ein entsprechender Vorschlag unterbreitet worden. Nach einer anderen Version soll Lenin dem Wunsch Alexandra Kollontais und ihrer Mitstreiterinnen Rechnung getragen und den 8. März zum Internationalen Frauentag auserkoren haben. Soviel zur Vorgeschichte.

Wie verhielt es sich nun mit der Gleichstellung beider Geschlechter im Alltag der zwei sich wie Feuer und Wasser voneinander unterscheidenden deutschen Republiken? In der DDR wurde der 8. März offiziell feierlich begangen und inoffiziell nicht nur von Frauen auch entsprechend begossen. Als kleinen Abstecher in die Groteske empfanden es vor allem Außenstehende, wenn sich für einen Tag weißbeschürzte Chefs als Kellner betätigten und den Frauen ihres jeweiligen Umfeldes jeden Wunsch von den Lippen abzulesen bemüht waren. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern war in der DDR nämlich nicht nur proklamiert und in der Verfassung wie in speziellen Gesetzen verankert worden, sondern erwies sich auch zunehmend als Normalität.

Vom besonderen Dekor am 8. März einmal abgesehen, gab es tatsächlich 365 Tage im Jahr, die staatlicherseits vom Geist der Gleichberechtigung erfüllt waren. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß alte Denk- und Verhaltensmuster vielfach noch fortbestanden. Für die Gesellschaft als Ganzes galt indes: An jedem Tag des Jahres konnte die dem Sozialismus wesenseigene Frauenbefreiung aufs neue erlebt und verinnerlicht werden.

Manche qualifizierten Berufe befanden sich sogar mehr oder weniger fest in femininer Hand. Tausende und Abertausende Leiter kleiner, mittlerer und großer Kollektive wie ungezählte Helden der Produktion trugen keine Männernamen. In Frauen-Sonderklassen wurde - neben der Universitäts- und Hochschulausbildung - dafür gesorgt, daß es an befähigten und kenntnisreichen weiblichen Fachleuten nicht mangelte.

So bedurfte es in der DDR weder einer Frauenquote, die eigentlich nur als Hilfsinstrument unter Bedingungen nicht abgesicherter Gleichberechtigung dient, noch einer der Sprache von Goethe, Schiller, Heine und Marx abträglichen "Feminisierung". Neuerdings hier und dort übliche groteske Zungenverrenkungen wie "die beiden deutschen RevolutionärInnen und InternationalistInnen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg" waren daher nicht in Mode.

Die DDR hatte alle einst nur im Westen und heute in der "erweiterten" BRD fortbestehenden Ursachen auf sozialer und materieller Ungleichheit beruhender Frauendiskriminierung beseitigt. Der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" war ehernes Gesetz. Während auf der unteren und mittleren Leitungsebene beide Geschlechter quantitativ wie qualitativ etwa gleich stark vertreten waren, gab es "weiter oben" neben einer Tendenz zur Vergreisung auch offenkundige Schwierigkeiten mit einer Einschränkung des dort bestehenden Männerübergewichts. Das galt insbesondere für das SED-Politbüro und den Ministerrat, wo man sich bisweilen auf Vorzeigefrauen beschränkte.

In der BRD, die mit ihrer kapitalistischen Vielfalt farbenfroher Fassaden und dadurch verdeckter düsterer Realitäten vor mehr als zwei Jahrzehnten auch über frühere DDR-Bürger hereingebrochen ist, gäbe es ebenfalls gute Gründe für 365 Frauentage im Jahr. Allerdings handelt es sich hier um einen täglich zu führenden Kampf gegen die nach wie vor alle Bereiche der Gesellschaft durchdringende Frauenbenachteiligung. Darüber kann auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß an der Spitze des imperialistischen deutschen Staates in Person der Pastorentochter Angela Merkel eine inzwischen mit etlicher Routine ausgestattete Politikerin steht. Vom Abitur über das Physikstudium, die Zusatzausbildung in der UdSSR und die nicht auf Guttenbergsche Art erlangte Doktorwürde bis zu einer viele Perspektiven eröffnenden Tätigkeit bei der Akademie der Wissenschaften hat sie - heute eine machtbesessene BRD-Karrierefrau - ihre Aufstiegschancen im wesentlichen der vielgeschmähten DDR zu verdanken.

Auch wenn es Finsterlinge beiderlei Geschlechts gibt, sollte man sich lieber die Lichtgestalten unter den Frauen ins Gedächtnis rufen. Da denkt man zuerst an Clara und Rosa, aber auch an die von den deutschen Faschisten hingerichtete sowjetische Partisanin Soja Kosmodemjanskaja, an die 1947 von der Tschiang-Kai-schek-Soldateska niedergemähte chinesische Jungkommunistin Liu Hulan, an die in Bernburg der "Euthanasie" zum Opfer gefallene Olga Benario-Prestes, an die in Ravensbrück ermordete Katja Niederkirchner, an die von Gendarmen erschossene junge portugiesische Streikführerin Catarina Eufémia, an die tapfere Französin Raimonde Dien, die sich auf die Schienen legte, um einen für Indochina bestimmten Waffentransport zu blockieren, an Angela Davis, die Heldin des "anderen Amerika", und an Chiles unvergessene Gladys Marin. Viele andere Frauen verdienten es, in dieser Reihe ebenfalls genannt zu werden.

Ich möchte mein Plädoyer mit der Darstellung eines sehr persönlichen Erlebnisses aus dem Kriegsjahr 1942 abschließen. Damals wurde - bei strenger Rationierung - in deutschen Geschäften an meist vom Hunger gezeichnete Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion nichts Eßbares abgegeben.

Als Zehnjähriger begleitete ich meine Mutter beim Einkauf in eine Berliner Bäckerei, als ein junger Mann mit dem aufgenähten Erkennungszeichen "Ost" das Steglitzer Geschäft betrat, Geld auf den Tisch legte und um Brot bat. Die Bäckersfrau warf ihn unter wüsten Beschimpfungen hinaus. Da kaufte meine Mutter rasch ein Weizenbrot, suchte den Abgewiesenen im Eilschritt einzuholen und steckte ihm blitzschnell das gerade Erworbene zu. Für mich war das eines der prägendsten Erlebnisse meiner Kindheit und die wohl tiefste Erinnerung an die dann 1948 selbst der Hunger-Tbc zum Opfer Gefallene.

Vielleicht paßt auch die zuletzt geschilderte Episode zum Frauentag, für dessen überall in der kapitalistischen Welt mit Füßen getretene Ideale wir 365 Tage im Jahr Stunde um Stunde in den Kampf ziehen sollten.

Klaus Steiniger

Raute

Monika N. aus dem Fläming zu Heidi Hast von Eile:

"Typisch westliches" Rollenspiel

In Vorbereitung auf den Internationalen Frauentag schickte ich im Vorjahr eine selbstgebastelte Karte mit einer Karikatur, die ich der IG-Metall-Zeitschrift entnommen hatte, an Bekannte hier und dort, so auch in den Fläming, der früher Teil der DDR war. Da ich einen der Antwortbriefe als besonders wertvoll betrachte, möchte ich den RF-Lesern dieses zeithistorische Dokument nicht vorenthalten.

Monika N. schrieb mir u. a.:

"Lieber Wolfgang, danke für die Karte zum Frauentag. Was 'Frau Heidi Hast von Eile' betrifft, kann ich nur sagen: Selbst schuld! Die Frau als Dienstmagd, die noch den erwachsenen oder sehr jugendlichen Kindern alles hinterherräumt, ist wohl 'typisch westlich'.

Da waren wir dem Westen doch um einige Jahrzehnte voraus - ganz anders als in Modefragen, bei Autos und dergleichen. Spätestens in den 70er Jahren zeigten sich unsere Männer so mutig, daß sie nicht nur im Haushalt, also innerhalb der Wohnung, halfen, sondern auch nach außen sichtbar in Aktion traten: Sie hängten Wäsche auf, putzten Fenster, schoben Kinderwagen, gingen mit dem eigenen Nachwuchs zum Arzt u.a.m.

Das hatte sicher etwas damit zu tun, daß die meisten Frauen in der DDR berufstätig waren, was die Arbeitsteilung nötig werden ließ.

Mir war nach der 'Wende' völlig unverständlich, daß Männer durch Frauen von der Bühne geholt wurden, als sie am 8. März im Festprogramm mit auftraten. Es gab in dieser Hinsicht erhebliche Verständigungsprobleme zwischen Frauen aus Ost und West. Wir konnten eine Gleichberechtigung gegen die Männer absolut nicht verstehen.

Ich denke, jeder Mensch, egal, ob 'Männlein' oder 'Weiblein', sollte dazu in der Lage sein, den Alltag selbst zu organisieren, sich sein Süppchen zu kochen oder die Socken zu waschen. Ich würde es auch für sehr wichtig halten, daß bestimmte Fertigkeiten in der Haushaltsführung und Kinderpflege wieder im Schulunterricht gelehrt werden - selbstverständlich für Jungen wie Mädchen. Das wäre sicher besser und kostensparender als ständig Verkäuferinnen zu Floristinnen und Floristinnen zu Verkäuferinnen umzuschulen oder bedürftigen Menschen die Selbstversorgung durch Suppenküchen abzunehmen.

Sicher bereuen Sie es nun, mir diese Karte geschickt zu haben.

Viele herzliche Grüße von Monika N."

P.S. Den Brief aus dem Fläming kommentierend möchte ich bemerken, daß die Absenderin beim Verfassen des Textes vermutlich nicht wußte, daß auch ich im Rahmen des veränderten Rollenspiels in der DDR das Fensterputzen gelernt habe.

Wolfgang Gleibe, Monheim am Rhein

Raute

Aus Walter Ruges Feder: Der Überfall

Der XVII. Parteitag der KPdSU(B) wurde zum "Parteitag der Sieger" erklärt. Das Jahr 1934 war ein echtes Wendejahr: Abschaffung der Lebensmittelkarten, gut ausgestattete Geschäfte mit vielen Arten duftenden Brotes. Kaviar wurde spottbillig im Straßenhandel von Pferdefuhrwerken aus angeboten und dann in eine "Prawda" eingewickelt. Es gelangten Fotokameras mit Zubehör und Chemikalien, Schuhe und Kleidung, tadellose Radioempfänger in den staatlichen Handel. Der Sozialismus kam mit seinen Flügen über den Nordpol, mit der Rettung der Italia-Mannschaft, mit der Moskauer Metro direkt auf uns zu.

Der Mord an Sergej Mironowitsch Kirow im Dezember 1934 schreckte uns auf. Von den heute endlos deklinierten Repressalien bekamen wir indes nicht sehr viel mit. Wir empfanden sie nicht als "Einschüchterung" - jedenfalls ich nicht.

Die Verteidigungsbereitschaft spielte eine große Rolle. In jedem Betrieb gab es Luftschutzkommandos und in den Kellern Schießstände, wo aus Kleinkalibergewehren im sozialistischen Wettbewerb kräftig geschossen wurde. Durch ihre in den Jahren 1937 und 1938 erwiesene selbstlose Hilfe für die Spanische Republik in deren Kampf gegen Franco, Hitler und Mussolini war die Sowjetunion - sie hatte als einziges Land mit Waffen, Lebensmitteln und Militärs den Republikanern zur Seite gestanden - in den Augen der antifaschistischen Emigranten hoch angesehen, galt zu Recht als Garant für den Weltfrieden.

Natürlich roch es hin und wieder nach Pulverdampf. Den "Einmarsch" in Bessarabien 1940 empfanden wir allerdings als "natürliche Rückführung" russischen Gebiets, das Rumänien nach der Oktoberrevolution 1918 unrechtmäßig besetzt hatte. Den Winterkrieg gegen Finnland 1939/40 betrachteten wir als "Antwort" auf die "ständigen finnischen Provokationen". Dieser Krieg erwies sich als Aderlaß. Die Finnen kämpften erbittert, hatten mit automatischen Schnellfeuerwaffen die bessere Ausrüstung und waren glänzende Skiläufer.

In Moskau ging ich weiter ins Theater, ins Kino. Liebschaften wurden gepflegt, große Skilangläufe rund um Moskau gestartet, Schwimm- und Badetouren in der Kljasma oder der Moskwa organisiert. Bei all diesem Überfluß wurden plötzlich die Preise für Grundnahrungsmittel verdoppelt. Eine unangenehme Belastung, die nur mit der Gefahr eines Krieges erklärt werden konnte.

Wenig später erschien der nazideutsche Außenminister von Ribbentrop in Moskau, um einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion zu unterzeichnen. Die Rote Armee marschierte bis an den Bug mit der Stadt Brest vor. Die Kriegsgefahr war endlich abgewendet. Beim Abhören vom "Feindsender" BBC hatte ich allerdings herausgefunden, daß es außer dem "Nichtangriffspakt" noch einen "Freundschaftsvertrag" gab - mit Hitlerdeutschland. Das war schon weniger nach meinem Geschmack. Stalin gratulierte "Exzellenz Adolf Hitler" etwas geschwollen telegrafisch zum 52. Geburtstag.

An dem schicksalsschweren 22. Juni 1941, einem Sonntag, erwachte ich wie gewohnt gegen 6 Uhr. Direkt am Kopfende des Bettes befand sich mein Radioempfänger. Routinemäßig griff ich hoch und hatte sofort den "Deutschlandsender" drin: Pressekonferenz mit Joachim von Ribbentrop. Deutschland erklärt der Sowjetunion den Krieg und ist schon in voller Stärke einmarschiert.

Mich überlief eine Gänsehaut: Also doch Krieg! Dann verlas der Sprecher so etwas wie eine "Erklärung des Führers an die Soldaten der Ostfront". Wir waren jetzt also "Ostfront". Um 7 Uhr brachte Radio Komintern Nachrichten. Kein Sterbenswörtchen von Krieg, noch dazu mit Hitlerdeutschland. Kurze Nachrichten von Luftkämpfen über dem Ärmelkanal und Schluß! Ich war völlig durcheinander.

Auf dem Nebengrundstück lebte meine damals beste Freundin, eine Kollegin im Röntgeninstitut, Irina Sergejewna Trutschinskaja, ein prächtiger Mensch. Nur mit ihr konnte ich jetzt sprechen. Ich ging an den Gartenzaun und rief nach ihr. Sie kam, mußte aber bemerkt haben, daß mir nicht ganz wohl war: "Was ist passiert?", fragte sie. "Woina! - Krieg!", konnte ich kaum herausbringen. Wir verfielen in ein quälendes Schweigen, drückten uns die Hände wie zu einem Schwur.

Ich wohnte 30 Kilometer von Moskau entfernt und machte mich sofort auf in die Stadt, Sonntagsbetrieb, Ausflügler - alle völlig ahnungslos. In Moskau dasselbe Bild. Niemand hatte auch nur einen Schimmer. Ich tat, was in Rußland jeder vernünftige Mensch macht, wenn es um Krieg geht: Ich begab mich in die gut ausgestatteten Lebensmittelläden, um einen kleinen Kriegsvorrat einzukaufen. In der Hauptstadt hatten die Geschäfte sonntags schon immer geöffnet. Keiner tat ähnliches, weil alle eben völlig ahnungslos waren. Dann ging ich zurück zum Kursker, meinem Abfahrtsbahnhof. Ich begann schon an dem Vernommenen zu zweifeln. Doch da, genau um 11.30 Uhr, schalteten sich sämtliche an den Laternenmasten befestigten Lautsprecher ein. Sie kündigten eine "wichtige Mitteilung der Sowjetregierung" an. Über den Platz schallte die Stimme Molotows, des Vorsitzenden des Ministerrats. Die Masse erstarrte, Gesichter wurden grau, andere tieftraurig. Die Rede endete mit dem bekannten Satz: "Unsere Sache ist gerecht, der Sieg wird unser sein!"

Danach setzte Marschmusik ein. Alles auf dem Platz lief durcheinander. Die einen wollten nun gar nicht mehr ins Grüne fahren, andere erst recht. Als die Masse in die zur Abfahrt bereitstehenden Züge strömte und den schon darin sitzenden Fahrgästen erklärte, was Molotow gerade gesagt hatte, entstand dasselbe Bild. Die einen wollten in Moskau bleiben, sofort aussteigen, andere unbedingt aufs Land. Ein grausiges, ja unvergeßliches Durcheinander. Nun, ich hatte mich ja versorgt, bevor die Masse die Lebensmittelläden stürmte, und konnte ruhig wieder hinaus in die Provinz fahren. Meine kleine tatarische Frau war nicht zu Hause. Ich hatte sie am Vortag in einer Entbindungsstation abgeliefert.

Sicher würde ich bald meinen Platz in diesem Kampf einnehmen. Deutscher Sowjetbürger mit guten Russischkenntnissen, außerdem kriegswichtiger Beruf: Röntgeningenieur. Es könnte ja auch sein, daß man mich hinter der Frontlinie mit einer Sonderaufgabe abwirft. Niemand hätte an vier lange Jahre Krieg gedacht. Überleben würde ich ihn wahrscheinlich nicht; aber es ging ja nicht um mich, sondern um das Überleben dieses Landes, meiner neuen Heimat.

Die mißtraute mir leider. Vier Tage nach dem Überfall holten mich zwei Offiziere des NKWD ab ...

Walter Ruge

Raute

SED, DKP und SEW zur faschistischen Gefahr

Im 50. Jahr der Wiederkehr des Beginns des vom Hitlerfaschismus entfesselten zweiten Weltkrieges nehmen die Aktivitäten von Rechtsextremisten sowie unbelehrbarer alter und neuer Nazis besorgniserregend zu.

Organisiert proben neonazistische und militante Gruppen Bürgerkrieg, terrorisieren friedliebende Menschen, aufrechte Demokraten, zerstören Einrichtungen und Büros demokratischer Parteien und Organisationen, legen Bomben und geistige Minen gegen Denkmale und Gedenken antifaschistischen Widerstands sowie jüdischen Leids. Verteufelung humanistischen Fortschritts, Verketzerung sozialer Sicherheit und demokratischer Freiheiten, Haß gegenüber anderen Völkern und antikommunistische Todfeindschaft bilden ihr Credo.

In der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) gibt es starke, den Mehrheitswillen der Bevölkerung repräsentierende antifaschistisch-demokratische Kräfte. Ihnen wird durch die Völker Europas Hochachtung und Vertrauen entgegengebracht.

Gleichwohl ist das Wiedererstarken neonazistischer Kräfte in der BRD und Berlin (West) alarmierend. Es ist Ergebnis der Tatsache, daß auf diesem Teil deutschen Bodens die unheilvolle Vergangenheit nicht bewältigt wurde. In den vergangenen Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg vollzog sich vielmehr ein restaurativer Prozeß, der alte und neue faschistische Ideologie und ihre Träger gesellschaftsfähig machte. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland können sich Rechtsextremisten, alte und neue Faschisten unter dem Schutz des Staates organisieren. Sie betreiben seit Jahr und Tag in aller Öffentlichkeit die Revision des Status quo in Europa mit dem Ziel der Wiederherstellung eines Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 bzw. 1938.

Fremdenhaß und Propaganda gegen Ausländer stehen in neuer Blüte. Reaktionäre Ideen der geistigen Wegbereiter des Hitlerfaschismus werden aufgewertet. Rechtskonservative Historiker versuchen im "Historikerstreit" die ungeheuerlichen Verbrechen der Hitlerfaschisten und die Aggression des deutschen Imperialismus gegen das eigene Volk und gegen andere Völker zu beschönigen und zu vertuschen. Begünstigt wird dieses reaktionäre Treiben in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) durch rechtskonservative Politiker, die meinen, Extremisten und Neofaschisten ermöglichten es ihnen, sich den Anschein der Mitte zu geben. Besondere Unterstützung erhalten die Neonazis durch jene Kräfte, die verbissen an der das antikommunistische Feindbild immer neu reproduzierenden Abschreckungsdoktrin festhalten. Sie kolportieren in revanchistischer Manier die Fiktion einer "offenen deutschen Frage" und schreien nach "Wiedervereinigung". Sie praktizieren Gesinnungsschnüffelei und Berufsverbote gegen Demokraten und kriminalisieren Aktivisten der Friedensbewegung.

1989 - im 40. Jahr des Bestehens der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland - legt diese Entwicklung vor aller Welt erneut bloß, in welchem der beiden deutschen Staaten das Vermächtnis der Opfer des zweiten Weltkrieges und des antifaschistischen Widerstandes erfüllt und in welchem es hintertrieben wurde.


Abschließend wird ein Verbot der neonazistischen Parteien (Republikaner, NPD und DVU) sowie die Aberkennung der Parlamentsmandate ihrer Abgeordneten gefordert. (Mai 1989)

Raute

Wie mich die Nazis zum "Dinarier" machten

In der seit einigen Monaten geführten Rassismusdebatte vermisse ich eine wichtige Frage: die Vorstellungen der Rassisten von sich selbst.

Meine gesamte Schulzeit - ich habe acht Jahre die Volksschule und anschließend die Berufsschule besucht, auf die dann Arbeitsdienst und Wehrmachtsjahre folgten - erlebte ich unter der faschistischen Herrschaft. Ich weiß also, was Erziehung dieser Art bedeutet, welches Menschenbild Faschisten haben und wovon besonders das der Deutschen geprägt ist.

Meine erste Begegnung mit faschistischer Rassenpropaganda hatte ich noch vor dem 2. Weltkrieg. Eines Tages wurde unser normaler Stundenablauf an einer Volksschule in Berlin-Schöneberg plötzlich unterbrochen. Es erschienen SA-Männer, die sich über ihre braunen Uniformen weiße Kittel gestreift hatten, um uns eine Lektion in "Volkskunde" zu erteilen. Sie brachten Schautafeln mit, auf denen in drei Reihen untereinander Menschen verschiedensten Aussehens abgebildet waren. Die oberste Reihe stellten Typen dar, die blond und blauäugig, also "Indogermanen" waren. Sie wurden als "rassisch besonders wertvoll" bezeichnet. Die zweite Reihe bildeten "Unterwertige" - Juden, Slawen und Zigeuner, wie man damals sagte. Und in der dritten Reihe sah man "Unterentwickelte": als Neger bezeichnete Schwarze und andere.

Zum ersten Mal vernahm ich aus dem Munde dieser SA-"Volkskundler" bewußt den Begriff "Arier". Sie fügten hinzu: Selbstverständlich seien alle Deutschen Arier, unter die sich aber "Fremdvölkische" gemischt hätten. Das Ziel des "Führers" bestehe darin, Deutschland wieder "rasserein" zu machen, denn Arier seien die "Herrenrasse".

Zum Abschluß dieser infamen Indoktrination wurden die Köpfe sämtlicher anwesenden Schüler vermessen, da die Kopfformen wesentliche Rassemerkmale seien. Ich wurde bei dieser Gelegenheit als "Dinarier" eingestuft. Was das bedeutete, weiß ich bis heute nicht. Es rettete mich aber davor, als Jude bezeichnet zu werden, zumal mein Rufname Leo war, was die SA-Leute stutzig gemacht hatte. Schließlich sei Leo ja ein jüdischer Vorname.

Über den Begriff "Dinarier" machte ich mich später, als ich in meiner Lehrzeit mit den DIN (Deutschen Industrie-Normen) vertraut wurde, dahin gehend lustig, daß ich sagte, ich wäre gewissermaßen ein Arier nach DIN-Norm.

Leider blieb der faschistische Rassenfanatismus nicht ohne Wirkung: Einem ganzen Volk wurde auf diese Weise eingeimpft, Deutsche gehörten als Arier einem Herrenvolk an, das über allen anderen stehe. "Deutschland, Deutschland über alles!" Diese Ideologie steckt vielen hierzulande tief in den Knochen und wird von reaktionären Politikern nach Kräften gepflegt. Wer aber sein eigenes Volk über andere stellt, ist ein Rassist! Da haben wir eine der Wurzeln des "gewöhnlichen Faschismus".

Hitlers braune Banditen trieben mit ihrem ultragermanischen Getue den Rassismus auf die Spitze. Sie gingen so weit, die Deutschen als die "arische Führernation" auszugeben. Manche mokierten sich - was sehr gefährlich war - darüber. Ich habe selbst erlebt, daß man den nicht gerade faschistischen "Rassekriterien" entsprechenden Reichspropagandaminister Goebbels hinter vorgehaltener Hand als "obersten Germanen" bezeichnete.

Leo Kuntz, Zernsdorf

Raute

Mancherorts dürften Kinder schon bald Seltenheitswert besitzen

Die Entvölkerung Ostdeutschlands

Angesichts der Finanz-, Schulden- und Bankenkrise sind führende Politiker der BRD nicht nur damit beschäftigt, die größte Umverteilung von unten nach oben zu vollziehen, sondern sie auch ideologisch abzusichern. Da darf das Wort des Bundespräsidenten nicht fehlen. Er muß, seinem hohen Amt verpflichtet, auch in dieser Hinsicht über die Aussagen anderer hinausragen. Deshalb schwingt er nicht nur die "Stasi"keule, sondern bezeichnet die Politik der DDR in Bausch und Bogen als "verbrecherisch". So etwas wiegt schwerer als eine unter Bourgeois übliche "verbilligte" Kreditaufnahme. Mit solcher Verketzerung soll möglicherweise nicht zuletzt auch von der Tatsache abgelenkt werden, daß aus den "blühenden Landschaften" des ostdeutschen Anschlußgebietes die niedrigste Geburtenrate seit 1945 vermeldet wird.

1990 wurden im Gebiet der DDR rund 3,7 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gezählt. Heute sind es noch knapp 2,1 Millionen. Die BRD, die sonst eine Reihe von Spitzenrängen in der Welt einnimmt, ist als das kinderärmste Land Europas auch ein negativer Rekordhalter.

Wer Aufschluß über den humanen oder inhumanen Charakter eines Staates erhalten will, sollte nicht zuletzt dessen Politik gegenüber Familien und Kindern etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Wie verhielt es sich damit in der DDR?

Schon 1950 beschloß die Volkskammer ein Gesetz zum Schutz von Mutter und Kind. In der 1968 durch Volksentscheid zustande gekommenen zweiten Verfassung der DDR - die erste war am 7. Oktober 1949, dem Tag der Staatsgründung, in Kraft getreten - hieß es: "Ehe, Familie und Mutterschaft stehen unter dem besonderen Schutz des sozialistischen Staates. ... Schwangerschaftsurlaub, spezielle medizinische Betreuung, materielle und finanzielle Unterstützung bei Geburten und Kindergeld werden gewährt." Für die Heranwachsenden galt der Grundsatz: "Die Jugend wird in ihrer gesellschaftlichen und beruflichen Entwicklung besonders gefördert."

Die Verfassungsrealität garantierte ein dichtes Netz von Vorschuleinrichtungen - landesweit entstanden Kinderkrippen und Kindergärten. Während der Staat enorme Mittel in diese investierte, zahlten die Eltern nur eine halbe Mark pro Tag.

Entscheidendes Gewicht für die Entwicklung der Familie und der Kinder besaß die Tatsache, daß in der DDR "Normalerscheinungen" des Kapitalismus wie soziale Unsicherheit, Arbeits- und Obdachlosigkeit, Armut, Hunger und Angst vor der Zukunft undenkbar waren.

Hier liegt der wahre Grund dafür, daß heute Medien und Politiker der Bourgeoisie mit solcher Vehemenz über die Errungenschaften der DDR herfallen. Sie hat den deutschen Konzernen und Banken jahrzehntelang die Möglichkeit genommen, Maximalprofite und höchste Rendite zu scheffeln. Für den BRD-Präsidenten, der keine Skrupel hat, sich von "befreundeten Unternehmern" mit einem Halbmillionen-Euro-Kredit zu Sonderkonditionen "aus der Verlegenheit helfen zu lassen", ist das ebenso verbrecherisch wie die Tatsache, daß die DDR dem imperialistischen deutschen Staat den Weg in neue Ressourcenkriege versperrte, für die sich Wulff bei seinem Afghanistanbesuch in die Bresche schlug.

Mit dem Anschluß der DDR an die BRD wurden die Wolfsgesetze des Kapitalismus zum Nachteil ostdeutscher Familien und Kinder reaktiviert. Die BRD galt nie als kinderfreundliches Land. Wenn es nun im Anschlußgebiet einen krassen Geburtenrückgang gibt, dann ruft das in offiziellen Kreisen keine Verwunderung hervor.

Die Politiker der etablierten Parteien waren sich durchaus darüber im klaren, daß das Wüten der über den Osten herfallenden Treuhand-Abwickler vor zwei Jahrzehnten und die von ihnen exekutierte Zerschlagung der Volkswirtschaft tiefe Wunden hinterlassen würden. Einer der Hauptakteure bei diesem Raubzug, Wulffs Amtsvorgänger Horst Köhler, hatte ja vor dem Treuhand-Präsidialausschuß im Januar 1991 freimütig bekannt, daß in der Ex-DDR "auch mal gestorben werden" müsse, womit die Stillegung jedes zweiten Betriebes gemeint war. Blut müsse fließen, natürlich im übertragenen Sinne.

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieses Blutens und Sterbens sind bis heute allenthalben unverkennbar. Die Arbeitslosenquote beträgt im Osten nach wie vor das Doppelte des "Westniveaus". Jeder dritte Ostdeutsche bezieht, einer DWI-Studie zufolge, Niedriglohn. Der entsprechende Sektor ist im Osten doppelt so hoch wie im Westen der BRD. Ostdeutsche haben im Durchschnitt 18 Prozent weniger in der Lohntüte als Westdeutsche. In einzelnen Branchen beträgt der Unterschied sogar bis zu 33 Prozent. Im "wiedervereinigten" Deutschland existieren nicht nur zwei Lohn-, sondern auch zwei Rentengebiete. Infolge von Arbeitslosigkeit, Niedriglöhnen und Hartz IV sind in Ostdeutschland 19 Prozent der Bürger dem Armutsrisiko ausgesetzt, im Westen der BRD "nur" 13 Prozent. Kein Wunder, daß die Kinderarmut im Anschlußgebiet am höchsten ist. Während in der Gesamt-BRD über 15 % der Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften leben, sind es in Ostdeutschland nicht weniger als 25,7 %. Alleinerziehende sind besonders betroffen.

Es überrascht nicht, daß ungezählte junge Ostdeutsche unter den angedeuteten Umständen keine Existenzperspektive für sich gesehen haben und abgewandert sind. Seit 1990 übersiedelten mehr als 1,9 Millionen Menschen in den Westen. Die "Bundeszentrale für politische Bildung" traf die Feststellung: Seit den 90er Jahren "ziehen vermehrt junge Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen, insbesondere Frauen fort. ... 18- bis 30jährige stellen 40 % aller Abwanderer gen Westen, 55 % der seit 1989 abgewanderten Personen waren weiblich."

So hat sich im Osten bei jungen Erwachsenen ein Frauendefizit herausgebildet, das einmalig in Europa ist. Der Männerüberschuß bei der Partnersuche hat ernste Folgen. Familiengründungen wurden dadurch erschwert, aber auch durch die allgemeine Existenzunsicherheit generell in Frage gestellt.

Als Gründe für die Abwanderung werden in der Regel soziale Unsicherheit, Arbeitsmarktprobleme, schlechte Berufs- und Verdienstmöglichkeiten sowie Perspektivlosigkeit angegeben. Einer Untersuchung des Brandenburg-Berliner Instituts für Sozialwissenschaftliche Studien zufolge sind höhere Positionen im Osten vor allem von Westdeutschen besetzt worden. Die Chancen für ostdeutsche Nachrücker sind da oftmals gering.

Vor Jahren konstatierten westdeutsche Blätter, der Osten stelle "für westdeutsche Unternehmen ein Fachkräfteparadies" dar. Die Konzerne machten kräftig davon Gebrauch. Dieser Sog führte zur Entvölkerung ganzer Landstriche und zu einer äußerst negativen Altersstruktur. Der frühere Verantwortliche der Bundesregierung für den sogenannten Aufbau Ost, Wolfgang Tiefensee (SPD), relativierte zynisch die Gefahr einer schrittweisen Entvölkerung mit den Worten: "Der Osten ist frisch und vital, da blutet nichts aus." So blieb das Anschlußgebiet der Dauerlieferant für frisches und vitales Humankapital.

In Ostdeutschland leben heute nur noch 14 Millionen Menschen. Ein weiterer Geburtenrückgang ist vor allem infolge sich fortsetzender Abwanderung junger Leute vorprogrammiert. Schätzungen gehen davon aus, daß 2050 die Einwohnerzahl im Osten unter 10 Millionen liegen dürfte. In manchen Regionen werden Kinder bald Seltenheitswert besitzen. In einigen Dörfern hat die Gegenwart eine solche Zukunft bereits vorweggenommen.

Prof. Dr. Georg Grasnick

Raute

Der erste Pfarrer, der sich der KPD anschloß

Laudatio auf Erwin Eckert

Der linke Marburger Historiker Friedrich-Martin Balzer legt ein neues Buch über den progressiven Pfarrer Erwin Eckert vor, wenn er diesmal auch "nur" Herausgeber ist. Doch kommt diesem dickleibigen Werk insofern ganz besondere Bedeutung zu, als er hier die Quellen selbst sprechen läßt, so daß sich jeder Leser ein eigenes Bild verschaffen kann. Schon die Sammlung dieser heute nur noch schwer zugänglichen Dokumente, großenteils Erstveröffentlichungen, als Frucht einer 45jährigen Beschäftigung mit dem Gegenstand stellt eine große wissenschaftliche Leistung dar. Enthalten sind hier Äußerungen Eckerts aus den Jahren 1930 und 1931, die gegen ihn ergangenen Urteile von Juni 1929 bis Dezember 1931 sowie solidarische und kritische Stimmen dazu.

Eckert war in der Weimarer Republik der einzige Pfarrer, der nach fast 20jähriger Mitgliedschaft in der SPD, zu deren linkem Flügel er sich spätestens nach 1925 zählte, der KPD beitrat und darüber sofort sein Pfarramt verlor. Der 1. Weltkrieg war sein Schlüsselerlebnis. Seit 1916 war Eckert klar, daß der Krieg im Gegensatz zum christlichen Glauben steht. Daraus leitete er Folgerungen wie "Krieg dem Kriege!" und "Die Waffen nieder!" ab. Er erkannte bald auch den Zusammenhang zwischen Krieg und kapitalistischer "Ordnung", die für ihn im Grunde die Anarchie des Kampfes der Starken und Reichen gegen die Unterdrückten, Schwachen und Hilfebedürftigen war. Daraus erwuchs sein Streben nach einer grundlegend anderen Ordnung im Zeichen wahrer Gleichberechtigung aller und damit der Aufhebung des Klassenantagonismus.

Insofern war Eckert Revolutionär, obgleich er wußte, daß es zur Revolution nicht "morgen oder übermorgen" kommen werde und er vor Selbstüberschätzung warnte. Ein Revolutionär war für ihn ein Mensch, der sich mit dem Bestehenden nicht abfindet. Gefahren der Militanz des den Unterdrückten aufgenötigten Kampfes kannte er sehr wohl, ebenso, daß Egoismus und Gewalttätigkeit hierbei nicht nutzen und daß die neue Ordnung auch in den Herzen der Menschen vorbereitet werden muß. Damit im Einvernehmen steht, daß er für diesen Kampf politische wie ethische Gründe namhaft machte. Er plädierte für eine nüchterne Analyse auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Geschichtsbetrachtung im Sinne der Erkenntnisse von Karl Marx wie für die Schärfung des christlichen Gewissens in der Vergegenwärtigung der eigenen Ursprünge. Wahres christliches Ethos führte für ihn zur Brüderlichkeit aus dem Geist der Nächstenliebe wie zur Völkerversöhnung in scharfem Gegensatz zu übersteigertem Nationalismus und jeder Form des Rassismus. So widersprach er auch der Behauptung von der Schicksalhaftigkeit oder gar Notwendigkeit eines neuen Krieges, wußte aber, daß erst die klassenlose Gesellschaft das Ende aller Kriege bedeuten wird. Daraus ergab sich für Eckert zwingend das absolute, kämpferische Nein zu jeder Form des Faschismus. Gerade darum stellte er immer wieder Kreuz und Hakenkreuz in Gegensatz zueinander, und dies zu einer Zeit, in der die offizielle Kirche immer stärker nach Bindegliedern suchte und viele Pfarrer sich für die extreme Rechte engagierten. Dankenswerterweise findet sich schon auf dem Einband des Balzer-Buches ein Flugblatt der Religiösen Sozialisten unter dem Titel "Der Protestantismus am Scheideweg", in dem als Kennzeichen des Hakenkreuzes Haß, Gewalttätigkeit, Recht des Stärkeren, Herrenmenschentum, Ausmerzung der Schwachen, Unduldsamkeit, Unterdrückung jeder anderen Meinung, Faustrecht, Verdrehung und Irreführung, Chaos, Fanatismus, Völkerverhetzung und Krieg, Zerstörung und Untergang genannt werden. Eckert kannte den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus. In der Zeit der Notverordnungskabinette wies er darauf hin, daß der Kapitalismus derzeit seine demokratische Maske abwerfe und brutal werde, weil er meine, sich nur so erhalten zu können.

Eckert beging indes nicht den Fehler, bürgerliche Demokratie und faschistische Diktatur für identisch zu erklären. Vielmehr rief er zur entschlossenen Verteidigung der bürgerlich-demokratischen Rechte im Kampf gegen deren immer stärkere Einschränkung auf.

Eckerts Beitritt zur KPD erfolgte schon einen Tag nach seinem Ausschluß aus der SPD wegen "Fraktionstätigkeit" im Zeichen der antifaschistischen Einheit. Er schloß sich der KPD als einer atheistischen Partei an, obgleich er bis zu seinem Lebensende 1972 Christ blieb. Eckert tat es wegen ihrer gesellschaftlichen Zielsetzung ohne faule Kompromisse, wie sie für die SPD-Führung so typisch waren. Er galt als der geschätzteste antifaschistische Redner in Süddeutschland, der Tausende Zuhörer hatte und auch das Ohr zahlreicher Arbeiter fand. Bei der Reaktion aller Schattierungen war er der meistgehaßte Mann.

Eckerts Solidarisierung mit der Sowjetunion 1930 erfolgte nicht, weil er sämtlichen Aspekten der Politik Moskaus kritiklos gegenüberstand, sondern weil er klar erkannt hatte, daß die Reaktion nicht zufällig gerade in der präfaschistischen Phase zum Generalangriff - vorerst noch verbal - auf die UdSSR überging und daß dafür letztlich der Zorn verantwortlich sei, daß jetzt die Rohstoffe dieses Landes ihrer Verfügungsgewalt entzogen waren.

Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, daß sowohl der badische Landesbischof Ulrich Fischer als auch Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) aus Mannheim - hier wirkte Erwin Eckert segensreich in einer Arbeitergemeinde - Geleitworte beisteuerten. In ihnen suchen sie Eckert gerecht zu werden, verbunden mit einer selbstkritischen Haltung im Hinblick auf die eigene Institution oder Partei. Ihrem Wunsch nach Weiterverbreitung des Buches schließe ich mich von Herzen an. Geschichte wiederholt sich zwar nie einfach. Aber die Aktualität der geschilderten Geschehnisse ist mit Händen zu greifen. Aufs neue verdichten sich die Krisensymptome des Kapitalismus, diesmal in globalem Ausmaß. Auch die (neo-)faschistische Gefahr ist nicht geschwunden. Das aber zeigt, daß Erwin Eckerts Reden und Handeln wegweisend bleiben.

Prof. Dr. Gert Wendelborn, Rostock


Friedrich-Martin Balzer (Hrsg.): Protestantismus und Antifaschismus vor 1933. Der Fall des Pfarrers Erwin Eckert.
Pahl-Rugenstein-Verlag, Bonn 2011, 528 Seiten, 24,90 Euro. ISBN 978-3-89144-443-6

Raute

Hagenows einstiger SED-Kreissekretär durchdenkt seine Vita

Freude und Ärger mit der Partei

Die herbstliche "Manöverkritik" von Klaus Horn im Dezember-RF finde ich sehr gelungen. Ernst und heiter, köstlich und nachdenklich kommt mir manches wie ein Spaziergang durch einen Teil auch meiner eigenen Vita vor. Ich erinnere mich an die ersten Schritte ins politische Leben. Es war in der Zeit des Übergangs von der sowjetischen Besatzungszone zur jungen DDR. Für mich prägend waren meine drei freiwilligen Jahre (1949-1952) bei der Bereitschaftspolizei, die dann zur Kasernierten Volkspolizei wurde. Allerdings hinderte mich der Umstand, daß meine Halbschwester in Westberlin wohnte, an einer Offizierslaufbahn. Doch nach dem Studium an der Parteihochschule wurde ich zum 1. Sekretär einer SED-Kreisleitung gewählt. Das ging. Ja, so widersprüchlich war bisweilen unser Leben.

Ich erinnere mich an die Aufnahme in die Partei. Damals gab es ein von echter Demokratie erfülltes interessantes Parteileben. Auch Kritik nach oben gehörte zur Normalität, ohne daß gleich eine Retourkutsche von dort zu erwarten war. Im Laufe der Zeit änderte sich das leider. Auch die Beratungen der gewählten Kreisleitung mit freier Rede und Gegenrede, offenen Aussprachen und einer Atmosphäre, in der an das vorherige Einreichen und Korrigieren von Diskussionsbeiträgen überhaupt nicht zu denken war, bei der die Probleme benannt und der Kampf um deren Lösung anvisiert wurden, sind mir in bester Erinnerung. Die Parteiarbeit sollte Spaß machen, hieß es damals, und sie machte tatsächlich Spaß.

Mit Freude denke ich heute noch daran, wie uns Genossen des Lehrkörpers an der Parteihochschule mit dem Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung (NÖS) vertraut machten. Auch wir Studenten meinten, das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Endlich würden wirksame Reformen der erstarrenden Ökonomie des Sozialismus auf die Sprünge helfen. Wir erhofften uns einen starken Impuls für die Wirtschaft.

Später folgte dann eine vierwöchige "Weiterbildung" der 1. und 2. Kreissekretäre. Dabei versuchten uns die gleichen Dozenten auf einmal beizubringen, daß sie etwas Falsches gelehrt hätten. Wir fragten entrüstet, warum wir denn Erkenntnissen, die wir für richtig hielten, plötzlich abschwören sollten, waren wir doch so naiv anzunehmen, die Parteihochschule produziere für das "Große Haus" (das ZK) Ideen zur Umsetzung der Marxschen Theorie. Die Antwort unserer Lehrer lautete kurz und bündig: "Was hier gelehrt und erforscht wird, bestimmt das Politbüro." Ja, so widersprüchlich war unser Leben.

Gerne erinnere ich mich an unseren Urlaub 1977/78 im Warnemünder Neptun-Hotel. Wir feierten dort Silberhochzeit. Als verantwortlicher Parteifunktionär war ich niemals ganz "außer Dienst". So suchte ich auch an der Ostsee in Erfahrung zu bringen, wie es den DDR-Bürgern ging. Auf den Rostocker Märkten gab es kurz vor Weihnachten ein reichhaltiges Angebot an Bananen, Orangen und Gemüse. Auch bei Textilien, elektrischen Geräten und Haushaltswaren sah es nicht schlecht aus, obwohl die meisten Festtagsgeschenke bereits eingekauft waren. Es geht also vorwärts, glaubten wir in den 70er Jahren. Die Menschen spürten, daß sich gute Arbeit lohnte.

Doch wie lange hielt dieser Zustand an?

In positiver Erinnerung habe ich den Arbeitsstil des 1. Bezirkssekretärs der Partei. Von Zeit zu Zeit kam er mit den 1. Sekretären der Kreise zusammen, um uns offen und unverblümt Hintergrund-Informationen zu vermitteln. Er hörte sich unsere Sorgen im Hinblick auf die Bautätigkeit, den Handel, die Versorgung und vieles andere an. Auch spezielle Probleme, die sich im Grenzgebiet ergaben oder den Reise- und vor allem den Ausreiseverkehr betrafen, konnten wir beim "Ersten Mann" im Bezirk freimütig zur Sprache bringen. Doch aus diesen vertrauensvollen Beratungen ohne Tabus wurden später Konferenzen mit zahlreichen Teilnehmern, was unserer Bereitschaft zu kritischer Offenheit einen Riegel vorschob. Warum? Jede Beanstandung an diesem oder jenem stieß im erweiterten Kreis immer häufiger auf Widerstand und hatte sogar manchmal Folgen.

In den Mitgliederversammlungen der Grundorganisationen herrschte nun nach dem Bericht des Parteisekretärs oder meinen einleitenden Bemerkungen oftmals Schweigen oder aber es hagelte sofort heftige Kritik an der Führungstätigkeit der Partei. Dabei ging es oft um Details: fehlende Traktoren-Ersatzteile, nicht zur Verfügung stehende Reifen für Schulbusse und ähnliches, aber auch um Fragen der Reisefreiheit, Einschränkungen im Grenzgebiet, zu dem unser Kreis Hagenow gehörte, und andere delikate Probleme. Schlüssige Antworten vermochte ich in den meisten Fällen auch nicht zu geben. Das war schon die Zeit, in der die Parteiarbeit keinen Spaß mehr machte und immer mehr Mitglieder den Versammlungen fernblieben.

Auf den oftmals nachgeplapperten Spruch "Es war ja nicht alles schlecht in der DDR" gibt es aus meiner Sicht nur die Umkehrung: Ja, es war nicht alles gut in unserem Land, das ich dennoch so sehr vermisse. Ab Dezember 1989 begann eine konfliktreiche Zeit in der PDS. Nach dem Abschluß des Berliner Koalitionsvertrages mit der SPD, dessen Präambel die DDR für alle Folgen des Kalten Krieges verantwortlich zu machen suchte, war es in dieser Partei nicht mehr auszuhalten. Hinzu kamen später die üblen Worte Helmut Holters, der die gesamte Geschichte der DDR in einem Interview auf Terror, Mord, Repressionen, "Stalinisierung" der SED und die angeblich undemokratische Verfassung von 1968 zu reduzieren suchte.

"Eine gesunde Partei schwitzt auf die Dauer manches wieder aus, aber es ist ein langer schwieriger Prozeß, und die Gesundheit der Massen ist sicher kein Grund, ihnen ohne Not eine Krankheit einzuimpfen", schrieb Friedrich Engels am 31. Juli 1877 an Wilhelm Liebknecht.

Es wäre sehr zu wünschen, daß es der "Linken" gelingt, all das sie heute Belastende auszuschwitzen. Was mich betrifft, so habe ich den "RotFuchs" gefunden, bei dem ich mich zu Hause fühle.

Waldemar Arndt, Vellahn


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dieses außergewöhnliche Bleistift-Porträt Rosa Luxemburgs schuf die Malerin und Grafikerin Heide Kramer aus Hannover im Jahre 1988.

Raute

Weniger Wunden lecken, mehr Aufbruch in vor uns liegende Zeiten!

Solidarische Kritik am "RotFuchs"

Für einen wie mich, der in der DDR seinen Lebensweg ging, immer hitzig und trotzig für einen Sozialismus stritt, der nicht nur Pflicht, sondern auch Freude und Spaß sein sollte, brachte die Vereinigung beider Teile Deutschlands - an sich etwas Großes und Schönes - Nachdenklichkeit und Enttäuschung.

Gar zu schnell zeigten die jahrzehntelang mitfühlenden Brüder und Schwestern im Westen ihr wahres Gesicht. Wohlgemerkt nicht alle - nie sind alle gleich, weder dort noch hier. Aber jene, die in Kolonialherrenart in den Osten einmarschierten, waren die Repräsentanten eines lauten, pöbelnden, geistig und moralisch hinterhältigen, ja schmutzigen Deutschlands, so daß mich zunehmend Entsetzen packte. So gierig, korrupt, schleimig, heuchlerisch und abgefeimt mußt du nun auch werden, sagte ich mir, willst du Fuß fassen in dieser Gesellschaft. Was mich am meisten bestürzte: Sie haben es gar nicht bemerkt, daß all diese Eigenschaften auf sie zutrafen. Im Gegenteil, sie erklärten ihre Lebensweise mit dem Begriff der Freiheit, die nur in ihrem Rechtsstaat funktioniere. Uns dagegen brandmarkten und diffamierten sie als Unterdrückte mit Eigenschuldanteil. Und wer sich nicht unverzüglich bei ihnen andiente, hatte ausgedient, denn sie fühlten sich als Sieger und waren es auch, besaßen sie doch die ökonomische Macht. Nachdem ich dies erkannt hatte, wußte ich, es würde mit dem innerdeutschen Vertrautwerden sehr, sehr lange dauern. Dabei kamen die Halunken wie Biedermänner daher: wohlerzogen, gebildet, mit erlesener Rhetorik und vorzüglichen Manieren. Es dauerte nicht lange, bis sie ihre von der Hatz nach Geld verdorbene Seele offenbarten. Erst dann begann ich nachzudenken, was uns, was mich bewog, Entwicklungen zuzulassen, die am Ende in eine fressende und saufende Konsumentenrepublik führten, wo der Mensch, den man nur für den Profit braucht, sonst eigentlich stört. Wohin war ich geraten? Aber woher kam ich?

Haben sich Initiatoren wie etwa Christa Wolf mit ihren Bestrebungen, eine bessere DDR zu erkämpfen, schuldig gemacht? Hätten sie nicht wissen müssen, daß das "Ostvolk" bei erstbester Gelegenheit zum Feind der deutschen Heimat überläuft? Ja, sie hätten es wissen können; nein, sie haben sich nicht schuldig gemacht. Es mußte, historisch bedingt, eine Kraft in der DDR entstehen, die an den allmächtigen Parteischlaf rührte und jene unsägliche Erstarrung innerhalb einer Funktionärselite löste, welche über viele Jahre hindurch - man kann es wohl so sagen - arrogante Hilflosigkeit entstehen ließ.

Auch können wir es drehen und wenden, wie wir wollen: Noch ist die Zeit nicht reif, erst spätere Historiker werden es mit Wort und Schrift kundtun: Die DDR konnte so nicht siegen - hinter sich die Sowjetunion, vor sich die BRD, dazwischen der Zwerg eingekeilt in Zwänge. Noch interessiert sich niemand dafür, doch irgendwann werden die Schweinereien des Westens am Osten ins Bewußtsein des einzelnen dringen. Jetzt schon sage ich voraus: Ja und? Wen interessiert es dann noch, und wen interessieren in dreißig Jahren zum Beispiel Kohls Spendenlisten? Und dennoch wird eines Tages die Wahrheit obsiegen; dann werden zum Glück die haßerfüllten, versöhnungsunwilligen Gaucks und Knabes längst vergessen sein.

Aber wir leben jetzt! Auseinandersetzungen müssen jetzt ausgetragen werden, und jetzt ist es an der Zeit, etwas zu bewegen. Medien sind Hilfsmittel. Auch der "RotFuchs" zählt dazu. Ich lese zunehmend gerne darin, gibt er mir doch mitunter ein Gefühl, als käme ich aus schändlichem Scharmützel heim in die Geborgenheit der Familie. Mehr noch: Ich wandere über Zeiten hin zurück ins "Früher-war-alles-Besser". Geht das einfach so? Ja, es geht. Nein, es geht nicht. Man muß darüber reden, den anhören, der aus der "Stasi"-Haft unverzüglich als Abgeordneter in den Landtag eilte und jenen anderen, der gleich seine Arbeit verlor, nie welche wiederfand und nun seine verkürzte Rente mit Papierkorb"surfen" in den Innenstädten aufbessert. Die Blickwinkel können unterschiedlicher nicht sein. Eine humanistische Gesellschaft ist eine menschliche Vereinbarung des Ausgleichs. Ich glaube, die Gesellschaft, welche heute die deutsche Nation trägt, ist keine humanistische. Müssen wir aber deswegen zurück zur DDR? Im "RotFuchs", so scheint es mir, gibt es Preiser dieser vergangenen Republik, die meinen, zukünftig tingelt uns das Glück entgegen, wenn wir nur ausreichend die Errungenschaften des niedergewalzten Arbeiter-und-Bauern-Staates würdigen. Wir wollen sie nicht vergessen und schon gar nicht, unter welchen Umständen sie entstanden ist, das erwähnte ich oben schon, aber rein gar nichts bringt es uns, wenn wir Zeitungen machen, in denen wir lediglich unsere nun beschatteten Eitelkeiten pflegen. Der Grund, weshalb ich diesen Aufsatz verfasse, ist nicht, daß ich den "RotFuchs" geringschätze oder verunglimpfen möchte, vielmehr wünschte ich mir mehr Auseinandersetzung mit eigener Schuld und deren Folgen, mit Konsequenzen und Erkenntnissen, mit Strategien, wie Visionen aussehen könnten, den unterbrochenen Sozialismusversuch erfolgreicher fortzusetzen.

Was passiert, wenn die jetzige Generation der "RotFuchs"-Macher abtritt, wenn die "Wohlfühlklubs" der alten Genossen, wo sie schmollen und Erinnerungen aufbewahren, sich auflösen, weil biologische Prozesse es so wollen? Daß ich nicht mißverstanden werde und der Eindruck entsteht, ich gönnte den jetzt alten, einstigen Entscheidungsträgern, die sich heute im "RotFuchs" sammeln, nicht eine Zuflucht von Gleichgesinnten; mitnichten: Die heutige Bewertung von menschlichen und politischen Haltungen in der DDR wird sich wandeln, wenn deren objektive historische Aufarbeitung möglich ist. Aber darauf zu warten und seine Wunden zu lecken, bedeutet, daß wir uns aufgeben. Im "RotFuchs" wünsche ich mir zukünftig energische Aufbrüche nicht mehr in die Vergangenheit, sondern in vor uns liegende Zeiten. Auch das jetzige System zerbricht - die Ursachen sind ganz andere, aber es beseitigt sich fast selbst. Die Leidtragenden werden wie stets die unteren Schichten der Bevölkerung sein.

Haben wir, die wir die kapitalistische Ausbeutung nicht wollen, einen Plan? Wir haben keinen. Das betrübt mich. Wir scheinen gegenüber der Allmacht des globalisierten Finanzkapitals zu resignieren, auch deswegen, weil wir zu wenig wissen. Wir sind nicht auf der Höhe der Zeit. Es gibt zu viele Opportunisten unter den Linken, zu viele, die ein warmes Ofenplätzchen suchen und die offene Konfrontation scheuen. Dabei gäbe es mehr Arbeit als je zuvor, den Kampf für Gerechtigkeit zu vernetzen, zu internationalisieren, zu globalisieren. Wenn jeder seine eigene Suppe kocht, tritt man uns das Feuer aus.

Mit einem Wort: "RotFuchs", laß nicht nur Leute zu Wort kommen, die schwärmend über ihren Werdegang in der sozialistischen DDR berichten! Befrag auch junge Menschen, wie sie sich ihre Zukunft in zwanzig Jahren vorstellen. Dann diskutieren wir darüber, wie ein solcher Zustand erreicht werden kann. Dies ist wohl am ehesten auch im Sinne der abtretenden Generation.

Rainer Stankiewitz, Crivitz


Unser Autor ist von Beruf Druckereimeister, hat das im RF rezensierte Buch "Die Thingler" geschrieben, betreibt den Wiedenverlag und gibt das Schweriner Schaufensterblatt "Seelenstorm" (RF 166) heraus.

Raute

Wie in Sachsen DDR-Geschichte "vermittelt" wird

Gruselkabinette für Erstkläßler

Manchmal setzen Nachrichtensprecher ihr Ankündigungsgesicht auf. Wenn die Augen größer werden, die Miene in Betroffenheit verfällt, dann hat wieder ein Kampfhund zugebissen, oder es ist ein Fall von priesterlichem Kindesmißbrauch zu vermelden. Das sind zweifellos betroffen machende Ereignisse, allein die Mimik trägt mir zu vordergründigen Schlagzeilencharakter. Augenscheinlich, wenn ich zugleich den sachlich-gefühlskalten Ton vernehme, in dem über Drohnen-, Bomben- und andere "Kollateralschäden" auf den Kriegsschauplätzen der Welt berichtet wird.

Im folgenden soll von einer besonders infamen Form des Kindesmißbrauchs die Rede sein: der politischen Manipulation. Es ist längst zur Staatsdoktrin geworden, ein extrem abstoßendes Negativbild von der DDR zu zeichnen. Besonders die CDU, aber nicht nur sie, hat es sich auf ihre Fahnen geschrieben, die DDR als Inkarnation alles Bösen vorzuführen. Da es an positiv Berichtenswertem über die herrschende Gesellschaftsordnung fehlt, müssen Feindbilder her.

Kinder und Jugendliche ohne Erfahrungsfilter gehen in naiver Offenheit sehr schnell antikommunistischen Fallenstellern auf den Leim, besonders wenn der Köder mit etwas Gruselsalz gewürzt ist.

Sachsen tut sich in diesem Mißbrauchsgeschäft besonders hervor. Pseudowissenschaftlich posiert in Leipzig ein sogenanntes Schulmuseum. Es fühle sich, heißt es in der veröffentlichten Zielstellung, der Leipziger Bildungs- und Schulgeschichte verpflichtet. Zeugnisse aus dieser und damit verbundene Informationen zu sammeln und zu bewahren sei das Anliegen. Das klingt recht normal, doch man achte auf die "Kontextinformationen"! Die kommen schon weniger museal daher. Man lade zu einer konkreten Auseinandersetzung mit Geschichte ein und wolle das Museum als "Laborfeld" nutzen. Indes läßt die Saat, die auf diesem ausgebracht wird, keine gute Ernte erwarten.

Überregional hat man sich mit der Wanderausstellung "Kinder in Uniform - Staatsjugend in zwei deutschen Diktaturen" ins Gespräch gebracht: Auf Ausstellungstafeln werden Bilder von Hitlerjugend, Pionierorganisation und FDJ - nicht wie die Ausstellungsmacher versprechen - einander gegenüber-, sondern nebeneinandergestellt. Die Jugendpolitik der DDR wird im Zuge des "Diktaturenvergleichs" mit der des Naziregimes in einen Topf geworfen. Durch die Aneinanderreihung von Klischeebildern versuchen die Ausstellungsmacher, den Verlauf des Alltags von Kindern und Jugendlichen in der DDR zu verfälschen. Schüler, die in diese Ausstellung geführt werden, bringen kein eigenes Hintergrundwissen mit, selbst viele ihrer Lehrer kennen Pioniere und FDJ auch nur noch aus Erzählungen Älterer. Das Kaleidoskop der Exposition vermittelt so ein entstelltes, verlogenes DDR-Bild.

Gegenwärtig brüstet man sich mit einem Experiment. Es nennt sich "Schulunterricht wie in der DDR". Die ehemalige Lehrerin und Leiterin des Museums Elke Urban erteilt Schulstunden, "wie sie sich zu DDR-Zeiten zugetragen haben könnten". Über 400 "Lektionen" dieser Art hat sie schon gehalten, wobei sie, wie ihr der Mitteldeutsche Rundfunk zu bescheinigen wußte, "alle Register der DDR-Pädagogik zieht". Beim Kulturkanal des MDR begeisterte man sich. "Jugendliche, die bisher mit dem Wort Linientreue nicht viel anfangen konnten, freuen sich, zum Gruppenleiter ernannt zu werden. Kollektivstrafen werden ausgesprochen. Wer aufbegehrt, wird aus dem 'Klassenkollektiv' ausgeschlossen ... Die subtilen Mechanismen für Anpassung und Duckmäusertum" würden erkennbar. Was für ein Giftgemisch!

Das Ganze mündet dann in der Show: "Gegen den Strom - Schule im Widerstand". Die Rede ist von Lehrern und Schülern, die "ihre wenigen verbliebenen Handlungsspielräume nutzten, um Widerstand zu leisten". Man widmet sich jenen, welche "in den zwei Diktaturen auflehnendes Verhalten zeigten, mit für die Andersdenkenden meist schwerwiegenden Folgen".

Aber nicht nur in Leipzig werden solche anrüchigen "Laborfelder" bestellt!

Dem Lokalteil der "Sächsischen Zeitung" war zu entnehmen, daß Schüler einer 9. Klasse in Görlitz an einem bundesdeutschen Wettbewerb zur politischen Bildung teilnehmen. Für eine Rundfunkreportage suchte man Zeitzeugen, "die über das Leben in der DDR zu berichten bereit sind". Die Zeitung sprach Klartext: "Dabei können sie auch von Ihren Erfahrungen mit der Staatssicherheit erzählen. Bürger, die dabei aus ihrer Stasi-Akte vortragen können, sind ebenfalls herzlich eingeladen." Das Leben in der DDR im Spiegel von "Stasi"akten? Ein Wettbewerb zur politischen Bildung?

Den Vogel allerdings schießt im Moment die "Gedenkstätte Bautzen" ab. Mit ihrem "mutigen Projekt" - so der MDR - "Das andere Gefängnis" laden sie die Kleinsten der Kleinen zum "Schwarzlicht" in die Gruselkammer "Stasiknast" ein. Der Sachsenspiegel ist als Regionalsender des Mitteldeutschen Fernsehens dabei: Mit der siebenjährigen (!) Lisa-Sophie drängelt sich eine ganze Gruppe Gleichaltriger auf Zehenspitzen, um das Auge ans Guckloch des "Spions" einer Zelle zu heben. Fassungslos interpretieren sie "Gelerntes" zum Hofgang: "Die Gefangenen mußten da immer mit dem Kopf nach unten rumlaufen, konnten den Himmel nicht sehen. Sie waren gefesselt und durften nicht reden." Eine Stimme aus dem Off erklärt, es gehe bei diesem "Projekt" darum, "hier an dieser Gedenkstätte der Hoffnungslosigkeit und Gewalt Demokratie zu vermitteln". Judith Märksch, welche die Kinder führt, sagt, daß diese überhaupt keine Vorstellung davon haben, "was passieren konnte, wenn man seine Meinung vertreten hat".

Den "Bildungsauftrag der Sächsischen Landesregierung" hat zweifellos auch die Leiterin der Oppacher Kindertagesstätte "Pfiffikus" verinnerlicht. Die ist nämlich als erste mit den ihr anvertrauten Vorschulkindern nach Bautzen aufgebrochen. "Die Kinder können sich überhaupt kein Bild davon machen, wie das in der DDR alles war", sagt sie der "Sächsischen Zeitung". "Sie haben oft ganz falsche Vorstellungen."

Nach diesem Besuch mit Gewißheit!

Bernd Gutte

Raute

Die bürgerliche Journaille badete einmal mehr im Preußen-Sud

Was war der "alte Fritz" wirklich?

Am 24. Januar jährte sich der Geburtstag Friedrichs II., der auch als Friedrich der Große, alter Fritz und Fridericus Rex in die Geschichte einging, zum 300. Mal. Das Datum war für die Medien der Bourgeoisie seit Monaten Anlaß, Loblieder auf die Geschichte der Hohenzollern im Allgemeinen, auf Friedrich II. im Besonderen anzustimmen. Es führte auch zu einer wahren Literaturschwemme. Gustav Sichelschmidt veröffentlichte ein "preußisches Lesebuch" über "Fridericus". "Der Spiegel" warb für "Die Hohenzollern". Gert Sudholt prüfte Friedrichs "Stellenwert" in der deutschen Geschichte. Die genannten und Dutzende andere Autoren bestätigten: Friedrich II. besaß einen hohen "Stellenwert". Aber welchen? Und warum?

Ich werde an meine Kindheit erinnert, die von der Politik der Nazis überschattet war. Meine Schulzeit begann 1934. Im Klassenzimmer blickten die Fotos von vier Männern auf uns: Friedrich der Große, Bismarck, Hindenburg und Hitler. An diese Zusammenstellung werden sich viele Zeitgenossen erinnern. Hier muß nicht erläutert werden, welche Traditionslinie mit den vier Herren symbolisiert werden sollte. Ich möchte hier lediglich auf zwei Seiten des Wirkens Friedrichs II. und auf die ausgezeichnete Biographie verweisen, die Ingrid Mittenzwei 1979 veröffentlicht hat.

War Friedrich der geniale Stratege und Schlachtenlenker, dessen Ruhm gemehrt werden muß? Der "Philosoph auf dem Königsthron" und Verfechter der Aufklärung?

Kaum hatte er 1740 als Friedrich II. mit 28 Jahren den Thron bestiegen, sah er eine günstige Gelegenheit, im Streit um die schlesische Erbfolge den Krieg gegen Habsburg zu beginnen. Er wollte Preußen vergrößern, um ranggleich mit den damaligen Mächten Rußland, Österreich und Frankreich auftreten zu können. In seinem "Politischen Testament" von 1752 bekannte er: "Politik ist die Kunst, mit allen geeigneten Mitteln stets den eigenen Interessen gemäß zu handeln. Dazu muß man die eigenen Interessen kennen, und um diese Kenntnis zu erlangen, bedarf es des Studiums, geistiger Sammlung und angestrengten Fleißes." Friedrich II. verfolgte dynastische Interessen, und ihm standen die Mittel der Kriegführung zur Verfügung.

Vom Vater hatte er ein gut gedrilltes stehendes Heer von 83.000 Mann übernommen. Die Kriegskasse war gefüllt. Von Skrupeln war Friedrich II. nicht geplagt. Die drei Kriege um den Besitz Schlesiens dauerten mit Unterbrechungen bis 1763. Hier sollen nicht die einzelnen Schlachten analysiert werden, die Friedrich II. gewann oder verlor. Es geht auch nicht darum, seine Generale wie den legendären Zieten zu rühmen. Vielmehr geht es um die Folgen der verlustreichen Kriege.

Habsburger und Hohenzollern standen sich Jahrzehnte gegenüber. Deutsche kämpften hüben wie drüben. Die Konstellation wiederholte sich, als Bismarck später die kleindeutsche Einheit mit "Blut und Eisen" herbeiführte.

Friedrichs Kriege um den Besitz Schlesiens fanden in einer Zeit statt, in der sich das Kräfteverhältnis zwischen den europäischen Hauptmächten veränderte. Sie begünstigten einerseits den Aufstieg Preußens, trugen andererseits aber auch zur Neujustierung der Relationen zwischen den Mächten bei. England und Frankreich traten in den Entscheidungskampf um den Besitz der Kolonien in Nordamerika und Kanada ein. Friedrich war bemüht, sich nicht in den Krieg der beiden rivalisierenden Mächte Westeuropas hinziehen zu lassen, verschaffte sich aber zugleich als "Festlanddegen" Englands bedeutende Vorteile. Im Siebenjährigen Krieg flossen etliche Millionen britische Pfund in seine Kriegskasse.

Die unmittelbaren Folgen des Krieges waren für Preußen verheerend. Die Bevölkerung hatte sich um eine halbe Million vermindert. Weite Teile Mitteleuropas waren verwüstet. Daß Friedrich II. und Preußen einem Debakel entgingen, haben sie Tatsachen zu verdanken, die in der Literatur als "Mirakel" bezeichnet, aber nicht erklärt werden. Rußlands Zarin Elisabeth starb im Januar 1762. Ihr Nachfolger wurde zunächst Peter III., ein Verehrer Friedrichs II. Als dieser dann den Intrigen und Machtkämpfen am Zarenhof zum Opfer fiel, bestieg Katharina II. den Zarenthron. Sie war eine Deutsche, womit Rußland als Feind Preußens endgültig ausschied. Das "Wunder" von 1762/63 sollte noch einmal eine Rolle spielen. Als das faschistische Deutschland zu Jahresbeginn 1945 vor seinem Ende stand, beschworen Hitler und Goebbels das " Mirakel", das Friedrich II. gerettet hatte. Sie hofften vergeblich auf einen Bruch der Antihitlerkoalition. Doch das preußisch geprägte Deutschland ging in den Flammen des Krieges unter. 1947 lösten die Alliierten Preußen als Staat und "Hort des Militarismus" auf.

Friedrichs bekanntester Ausspruch ist wohl, daß unter ihm jeder nach seiner Fasson selig werden dürfe. Zeichnungen Adolf Menzels zeigen uns den "Flötenspieler von Sanssouci", das "Tabakskollegium", Voltaire am Hofe Friedrich II. ... Dieser darf als "aufgeklärter" absoluter Herrscher gelten. In seinen Texten und den Gesprächen mit Voltaire gibt es vieles, was auch heute noch Beachtung verdient, vor allem sein "Politisches Testament". Friedrich II. verkündete dort: "Eine gut geleitete Staatsregierung muß ein ebenso gefügtes System haben wie ein philosophisches Lehrgebäude. Alle Maßnahmen müssen gut durchdacht sein. Finanzen, Politik und Militärwesen müssen auf ein gemeinsames Ziel steuern: nämlich die Stärkung des Staates und das Wachstum seiner Macht." Von dieser Aufgabenstellung waren Friedrichs politische Schritte auf den Gebieten des Rechts, des Aufbaus der Verwaltung und der Formulierung preußischer "Werte" geprägt. Gehorsam, Disziplin, Bescheidenheit sollten auch für den König und den Adel verbindliche Normen sein. Zu seinen Sprüchen gehörte dieser: "Nichts macht den Unterschied der Lebensverhältnisse verhaßter als die Tyrannei, die die Reichen ungestraft gegen die Armen ausüben."

Im Mittelpunkt des philosophischen Denkens Friedrichs II. standen der Staat und dessen Soldaten. Würden die Truppen nicht in vortrefflicher Ordnung gehalten, drohe dem Staat der Untergang.

Solche Weisheiten beeinflußten das Denken Preußen-Deutschlands und wirken bis heute fort, wobei die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer offensichtlicher wurde. Dabei wußte der König: "Nicht die Gedanken der Fürsten, sondern ihre Taten machen die Menschen glücklich." Diese aber bestanden nicht zuletzt in Kriegen - der Quelle des Unglücks von Millionen "Untertanen".

Rudolf Augstein, über Jahrzehnte Herausgeber des "Spiegels" und einer der einflußreichsten BRD-Journalisten, brachte 1968 eine Biographie des Preußenkönigs heraus. Darin heißt es: "Der Zug von Rossbach und Leuthen nach Königgrätz und Sedan endete, wann immer der Zug entgleist sein mag, in Versailles und Stalingrad. Der Geist von Potsdam starb in Potsdam." Ist der "Geist von Potsdam" tatsächlich tot?

Die DDR-Historikerin Ingrid Mittenzwei beschrieb zehn Jahre später das Leben Friedrichs II. in seiner Größe, seinen Kontrasten und seiner Erbärmlichkeit. Sie nannte ihn einen "Menschenverächter", der mit zunehmendem Alter seinem Volk immer mehr den Respekt verweigert habe.

Sollten Linke dieses Urteil anfechten? Und: Warum feiern die Soldschreiber der Bourgeoisie eigentlich den "Genius auf dem Preußenthron"?

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Über neuartige Methoden zur verschärften Ausbeutung ganzer Völker

Euro-Krise - Synonym für Systemkrise

Die Euro-Krise ist Bestandteil der Systemkrise des Kapitalismus in seinem gegenwärtigen monopolistischen, imperialistischen Stadium. Sie ist ein besonderes, zusätzliches System der Ausbeutung, das diese und die Krisenursachen in raffinierter Weise verschleiert. Urheber wie Opfer der Krise werden seitenverkehrt propagiert. Der Hauptakteur ist die Finanzoligarchie der BRD.

In vergangenen Zeiten diente der Chauvinismus vorwiegend dazu, militärische Aggressionen vorzubereiten und zu rechtfertigen. In der Euro-Krise soll er den von europäischen Großmächten verursachten wirtschaftlichen Ruin anderer Länder einer Überkonsumtion ihrer Völker zuschreiben und sie dafür zusätzlich mit antisozialen Sanktionen belegen. Dieser Souveränitätsverlust erfolgt im Namen eines "Übervaterlands" namens Europa.

Medien der BRD behaupten: "Wir können nicht den Lebensstandard ganzer Völker, die über ihre Verhältnisse leben, jahrelang mit immer neuen öffentlichen Krediten aufrechterhalten." Und: "Es ist in diesen Tagen nicht leicht in Deutschland, sich als überzeugter Europäer zu geben - mit jedem neuen griechischen Erpressungsmanöver sinkt das Vertrauen in die europäische Währung und in die Europäische Union." Oder: "Die Mitgliedsländer aus Süd- und Osteuropa haben eine neue Fremdheit ins bislang westeuropäische Haus mitgebracht." BRD-Politiker kanzelten zwar die Schuldnerländer ab, überwiesen aber danach sangund klanglos die nächste "Tranche" nach Athen, Dublin oder Lissabon, schreibt die "Wirtschaftswoche". Die BRD erscheint als Zahlmeister und Opfer der Krise.

Die hier zitierten Behauptungen enthalten keine Hinweise darauf, daß die Euro-Krise in Wirklichkeit das Ergebnis einer neuartigen und verschärften Ausbeutung ist, die ganze Länder in den Ruin treibt. Kritische Stimmen weisen vorwiegend den Banken eine globale Schuld zu. Doch diese machen ja gerade ihr Geschäft damit, daß verschuldete Länder Kredite benötigen. Rettungsschirme sorgen für das große Geld, nachdem die Monopolverbände solcher Großmächte wie der BRD ihre Zusatzgewinne mit Hilfe des Euro gemacht haben.

Hierzulande wiesen Medienfachleute erstmals auf eine Ursache der Euro-Krise zaghaft hin: "Eine gemeinsame Währung dürfte erst eingeführt werden, wenn sich die beteiligten Länder wirtschaftlich stark angeglichen haben. ... Handelsungleichgewichte verstärken die zentrifugalen Kräfte." In ökonomisch schwachen Ländern "rutschen Leistungsbilanzen ins Defizit. ... Dagegen häuft Deutschland große Überschüsse in der Leistungsbilanz an." Aus diesen Feststellungen der "Wirtschaftswoche" wird allerdings nicht gefolgert, daß die Einheitswährung unter ökonomisch sehr ungleichen Ländern ein neuartiges Verhältnis verschärfter Ausbeutung begründet hat. Der kritische Sachverhalt wird als "Irrtum" verharmlost.

Wirtschaftliche Ungleichgewichte sind im Verhältnis zwischen allen Ländern zwar die Regel, aber Staaten mit eigener Währung besitzen die Möglichkeit, diese - wenn das Vorteile verspricht - abzuwehren. Sie können für Export und Import die ihnen am geeignetsten erscheinenden Handelspartner und Warengruppen auswählen, die am wenigsten Nachteile zur Folge haben. Für Staaten der Euro-Zone ist das nicht möglich. Sie sind mit der wirtschaftlich starken BRD währungspolitisch gleichgestellt und auch vom US-Dollar abhängig.

In der BRD wird im Jahr pro Kopf der Bevölkerung durchschnittlich ein Wert von 42.410 US-Dollar zum Nationaleinkommen beigetragen, in Griechenland beträgt dieser nur 28.680 US-Dollar. Noch gravierender ist der Unterschied beim Wert, der im Stundendurchschnitt in der Produktion erreicht wird. In der BRD sind das nach der OECD-Statistik 39,10 €, in Griechenland hingegen nur 17,30 €. Mit anderen Worten: Die Relation beträgt 1:2,35.

Die Euro-Gleichheit existiert demnach nur nominell. Der reale Wert wird durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt, die für jeden Euro in der BRD und in Griechenland aufgewendet werden muß. Auch die Wirtschaftskraft Griechenlands ist stark rückläufig. 2004 erreichte Athen noch einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 4,2 %, der sich bis 2009 um 2 % verringerte. Jüngste Prognosen künden eine weitere Rückläufigkeit bis zu 8 % und mehr an, wobei BRD-Wirtschaftler hohe Lohnstückkosten monieren und eine Senkung der Löhne um 20 bis 30 Prozent fordern. Eine zusätzliche Ausbeutungsmöglichkeit ergibt sich noch dadurch, daß für Rettungsschirme nicht etwa die gewinnmachenden Monopolverbände der Großmächte in Regreß genommen werden, sondern die Masse der Steuerzahler der "helfenden" Staaten.

Das ist letztlich auch der Grund dafür, daß sich die politischen Sachwalter der BRD-Finanzoligarchie bislang nicht für einen Ausschluß von zugrunde gerichteten Staaten, sondern dafür aussprechen, die Ruinierten im Boot zu behalten. BDI-Präsident Dieter Hundt meint z. B., ihm bereiteten dreistellige Milliardenverpflichtungen für Rettungsschirme zwar Sorgen, aber die deutsche Wirtschaft habe "ein so großes Interesse am Euro, daß dieses Risiko vertretbar ist". Für den Fall, daß staatliche Steuermittel nicht reichen sollten, weiß der Chef des Unternehmerverbandes auch schon den Ausweg: "... Wir sollten unseren Sozialetat durchforsten und keine neuen Leistungen erfinden." Gemeint ist die geplante Pflegereform. Auch Deutsche-Bank-Boß Josef Ackermann pflichtet dem bei: "Die Kosten der Unterstützung schwacher Mitgliedsstaaten sind auch und gerade aus Sicht Deutschlands geringer als die Kosten einer Desintegration."

Kanzlerin Merkel geht noch einen Schritt weiter. Sie sieht ein vorerst ungelöstes Problem bei der erneuten Unterwerfung Europas im Rahmen der Weltmachtpläne der deutschen Finanzoligarchie darin, daß in einigen Ländern noch ein beachtliches Widerstandspotential gegen die Berliner Ambitionen wirksam ist. Deshalb möchte sie mit Brüsseler Hilfe eine fiskalische Regelung, mit der dem antisozialen Sparpaket ausländischer Monopolverbände gegenüber uneinsichtige Staaten "diszipliniert" werden können. Ihnen sollen die Souveränitätsrechte über die eigene Haushaltspolitik entzogen werden. Die in der BRD eingeschränkten Resistenzmöglichkeiten gegen Sozialraub - z. B. die Nichtzulassung politischer Streiks und des Generalstreiks - bildeten die Grundlage für die im Export entscheidende Preisgestaltung deutscher Konzernprodukte und sicherten so deren internationale Konkurrenzfähigkeit.

Die hier analysierten Verhältnisse erfordern ein Kampfprogramm, das die Unterstützung wesentlicher Teile der Bevölkerung erringen kann und darauf abzielt, die ökonomischen, sozialen und politischen Ursachen der Krise zu beseitigen.

Prof. Dr. Hans Kölsch, Berlin

Raute

"Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das 'Kapital' den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von 'Beschäftigung' gebraucht. Mit Recht würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte."

Das schrieb Friedrich Engels 1883 im Vorwort zur 3. Auflage des "Kapitals" von Karl Marx.

Raute

Warum ein Berliner Linkspartei-Wähler zu den "Piraten" wechselte

Einer unter 13 000

Was geht in den Köpfen jüngerer Menschen vor, die sich politisch links verorten, sich sogar als Sozialisten oder Kommunisten empfinden?

Zur Abgeordnetenhauswahl im vergangenen September wählte ich die "Piraten", obwohl ich Mitglied der Linkspartei bin. Meine Beweggründe möchte ich im folgenden darlegen, verbunden mit einem kurzen Exkurs zu meiner Politisierung im Berlin der 90er Jahre. Als Wessi, Mitte 30, gehöre ich vermutlich nicht zum Stammleser- und Autorenkreis des "RotFuchs".

Zunächst ein paar Worte in eigener Sache. Ich bin in einem fortschrittlichen Elternhaus in Westberlin aufgewachsen und wurde irgendwo zwischen Makarenko und Nikitin erzogen. Meinen politischen Standort will ich anhand von fünf Personen verdeutlichen. Es sind gewissermaßen Stationen meiner Orientierung. Erstens nenne ich hier Ernst Thälmann als herausragende Persönlichkeit der deutschen kommunistischen Bewegung, der Opfer der NS-Terrorherrschaft wurde. Zweitens Nelson Mandela, langjähriger politischer Gefangener in Südafrika und Idol der Freiheitskämpfer des schwarzen Kontinents. Seine Haftentlassung verfolgte ich als Zwölfjähriger, und wir malten im Lebenskundeunterricht bunte Willkommensplakate für ihn. Drittens erwähne ich Silvio Meier, einen jungen Hausbesetzer aus Ostberlin, der 1992 von Neonazis erstochen wurde.

Damals war ich 14 und erlebte jene Zeit, als Woche für Woche Flüchtlingsheime und Wohnungen von Migranten brannten - zuerst in Rostock-Lichtenhagen, dann in Solingen und Mölln. Es folgten die Jahre bis 2000, die wir Jüngeren heute als "Periode des Überwinterns" bezeichnen. Viertens berufe ich mich auf Carlo Giuliani. Sein Tod während der Proteste gegen einen G-7-Gipfel in Genua im Jahre 2001 hat viele junge Aktivisten nachhaltig geprägt. Wir gingen auf die Straße für eine bessere Welt, und die Polizei tötete einen der unseren. Die Ablehnung des Kapitalismus, der Zorn auf den Polizeistaat und die Verachtung des politischen Establishments wuchsen von Monat zu Monat. Zuvor hatte die Schröder-Regierung mit Joschka Fischers Behauptung, es drohe ein "neues Auschwitz", den Angriffskrieg auf Jugoslawien mit in Szene gesetzt. Es folgten Hartz IV, die Rente mit 67, die Aushöhlung der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Afghanistan-Krieg der NATO. Da bin ich bei der fünften Station meiner politischen Orientierung: den Kundschaftern des Friedens. Ihre Mission und Standhaftigkeit, insbesondere auch in Jahren der Haft, haben mich stark beeindruckt! Ihr trugt dazu bei, daß ich in Frieden aufwachsen konnte. Dafür danke ich Euch! Aber was hat das alles mit der PDL und den "Piraten" zu tun?

Bisher stimmte ich stets für die PDS/PDL, sowohl bei Kommunal- als auch bei Bundestags- oder EU-Wahlen. Als Revolutionär, Linksradikaler, Kommunist oder wie immer ich auch zu bezeichnen sein mag, glaubte ich zwar nie an eine grundsätzliche Veränderung der Zustände durch Wahlen. Aber eine starke PDS/PDL war mir lieber als eine schwache. Einen Blick in das Parteiprogramm der PDS hatte ich nie geworfen - lieber las ich Berichte über die Intifada oder Historisches zum Widerstand gegen den Faschismus. Neben Gregor Gysi war mir zunächst nur noch die damalige PDS-Vizevorsitzende und heutige Sozialdemokratin Angela Marquardt ein Begriff. Von den Vorbereitungen zur Liebknecht/Luxemburg-Demonstration kannte ich die "Kommunistische Plattform" und aus Antifa-Bündnissen einzelne aktive Leute von der PDS-Basis. Mit dem Zusammenschluß von PDS und WASG zur PDL rückte natürlich Oskar Lafontaine in mein Blickfeld. Das Interesse an der Partei wuchs enorm. Ich wurde ihr Mitglied, weil ich Hoffnungen auf eine starke parlamentarische Linke setzte, von der ich wollte, daß sie für Frieden und Sozialismus streitet.

Vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl im letzten Herbst stand dann aber frühzeitig fest, daß ich die PDL nicht wieder wählen würde. Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Da mußte ich gar nicht erst in das Wahlprogramm schauen. Warum auch? Im Freundeskreis, in Wohngemeinschaften oder in Kneipen wurde den Sommer über heftig debattiert. Soll man überhaupt wählen? Wenn ja, wen? Die kleine DKP, die mehr Kampf- als Wahlpartei ist? Einige sagten, statt der PDL könne man doch gleich die SPD wählen. Klaus Wowereit sei zwar ebensowenig links wie die PDL-Riege um Lederer und Wolf, aber wenigstens ein cooler Typ. Andere favorisierten sogar die Spaßtruppe "Die Partei", hinter der die Satirezeitschrift "titanic" steckte.

Wenige Wochen vor dem Abstimmungstag wurde immer wahrscheinlicher, daß der Piratenpartei der Einzug ins Abgeordnetenhaus tatsächlich gelingen könnte. Obwohl niemand von uns diese Partei so richtig kannte, war sie auf einmal unser großer Sympathieträger. Inhaltlich ähnelte ihr Wahlkampf dem der PDL, Forderungen nach einem Mindestlohn, Wahlrecht für Migranten, Religionskritik, freie Bildung wurden auf ins Auge springenden Plakaten erhoben. Besonders stach jenes hervor, das die Geheimverträge des Berliner Senats attackierte. Gemeint waren die Mauschelabkommen aus der CDU-Ära Diepgen/Landowsky, die auch unter "Rot-Rot" unangetastet geblieben waren.

Den Ausschlag gab für viele von uns eine persönliche Bilanz nach zehn Jahren Regierungsbeteiligung der PDS/PDL. Die Miete des Zimmers in meiner Wohngemeinschaft hatte sich in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt, Grund hierfür war nicht zuletzt auch eine verfehlte Wohnungspolitik des angeblich rotroten Senats. Außerdem: Wie oft wurden wir von der Berliner Polizei abgedrängt und geschlagen, als wir uns in Treptow, Lichtenberg oder Pankow Nazis in den Weg stellten oder Freunden halfen, die aus linken Wohn- und Kulturprojekten ehemals besetzter Häuser hinausgeworfen wurden. Zwangsumzüge für Hartz-IV-Bezieher, Verkauf von landeseigenen Wohnungen an Spekulanten, das Megaprojekt "Mediaspree", der umstrittene Ausbau der Autobahn A100, das Einfrieren der Gehälter im öffentlichen Dienst, das skandalöse S-Bahn-Chaos als Folge von Rationalisierung und Privatisierung oder die rasant steigenden Fahrpreise ... Die Liste der Enttäuschungen ist lang.

Während mein Verhältnis zur Berliner PDL tief zerrüttet ist, freue ich mich nach wie vor über aufrichtige Linke und Sozialistinnen im Bundestag wie Inge Höger, Christine Buchholz und Ulla Jelpke. Ihnen gebe ich bei der nächsten Wahl 2013 mit Sicherheit meine Stimme!

K. E., Berlin

(Der Autor ist der Redaktion bekannt.)

Raute

Als Wülfrath im 89er Herbst rot blieb

Himmel, oder wer auch immer, hilf ... Soll das jetzt alles für die Katz gewesen sein? Da hatten wir, die Kommunisten im rheinischen Wülfrath, doch 1984 für die ganz große Sensation gesorgt: Mit 13,5 Prozent war die DKP aus dem Stand bei der Kommunalwahl hervorgegangen und mit fünf Abgeordneten ins Stadtparlament eingezogen. Die Polit-Prominenz der Altparteien hatte geschäumt, aber viele Wülfrather - und nicht nur sie - rieben sich vergnügt die Hände. Endlich mal eine richtige, knallharte Opposition im Rathaus ...

Und wir nahmen unseren Auftrag ernst. Die DKP war die Partei der sich vor Ort Kümmernden. Sie sorgte ständig dafür, daß die Sorgen der kleinen Leute auf den Rathaustisch kamen, und setzte auch durch, daß das Wort "Kungelrunde" in Wülfrath zum Fremdwort wurde. Und es war für niemanden ein Geheimnis, daß die DKP-Genossen zu den Freunden der DDR gehörten. Ging es im Rathaus um soziale Fragen, um Kinderbetreuung, um Bildung für alle oder auch um Arbeitsplätze, dann war von den fünf roten Ratsleuten nicht selten zu hören: "Dieses Problem haben die in der DDR schon längst gelöst ..." All das hatte der DKP viel Sympathie gebracht.

Doch jetzt war 1989. Und mit dem Sozialismus stand es gar nicht gut. Täglich konnte man es in allen Zeitungen lesen: Die DDR geht den Bach runter. Sie ist am Ende. Und wir, die Freunde der DDR, standen mitten im Wahlkampf. Die meisten Blätter prophezeiten fast täglich, daß auch Wülfraths DKP-Fraktion im Rathaus vor dem Aus stünde. In der Öffentlichkeit ließen wir uns nicht aus der Ruhe bringen. Denn eigentlich hatten wir und auch unsere Freunde in der DDR doch vieles richtig gemacht. Überdies bekamen wir in den Wochen vor dem Wahltag prominente Unterstützung: FKP-Generalsekretär Georges Marchais reiste aus Frankreich an, auch DKP-Chef Herbert Mies und ein Genosse von der Berliner SED-Leitung waren zur Stelle.

Aber je mehr der Abstimmungstermin näher rückte - es handelte sich um den 1. Oktober - um so ärger begann das große Zittern. Und dann auch noch das: Am Abend vor dem Wahltag stand Außenminister Genscher in Prag auf dem Balkon der BRD-Botschaft und verkündete: "Morgen dürft ihr ausreisen ..." Ich gestehe: In dieser Nacht habe ich schlecht, sehr schlecht geschlafen.

Doch das war noch nicht alles. Am 1. Oktober gehörte ich zum Vorstand im Wahllokal. Als ich kurz vor acht dort eintraf, war meine Mitbewerberin um das Mandat im Wahlbezirk, die stellvertretende Bürgermeisterin Paula Zwilling (SPD), bereits im Raum. Breitbeinig auf einem Stuhl in der Mitte des Zimmers sitzend quakte sie mich an: "Ja, Klaus, das ist wohl heute dein letzter Tag als Ratsherr ..." Ich verkniff mir einen Kommentar und machte mich an die Arbeit.

Es wurde ein endlos langer Tag. Aber immer wieder bemerkte ich zu meinem Erstaunen, wie mir Wähler zublinzelten und überraschend nette Worte sagten. Die anderen sahen das auch, und ihre Kommentare zum vermutlichen Wahlausgang wurden leiser. Um 18 Uhr schloß unser Lokal wie alle anderen, und die Auszählung begann. Die Stimmzettel wurden nach Parteien sortiert. Der Stapel für die DKP wurde dabei immer höher ­... und meine Wangen röteten sich zusehends, während die Stimmung der übrigen Auszähler auf Null zurückging. Am Ende wankte ich freudetrunken aus dem Wahllokal und begab mich zu meinen Genossen. Auf der Wahlparty herrschte eitel Sonnenschein - überall hatte die DKP zugelegt.

Unser Wähleranteil war von 13,5 auf 16,4 Prozent gestiegen. Sogar ein sechstes Mandat hatten wir hinzugewonnen. Das machte uns total happy. Also doch: Nicht überall ging 1989 der Sozialismus baden. Unsere Freundschaft zur DDR hatte uns nicht geschadet. Am nächsten Tag mußten sämtliche Zeitungen vermelden: "Wahlsieger ist die DKP." Die CDU rollte ihre überall angebrachten Plakate "Kein Ostwind mehr im Wülfrather Rathaus" sang- und klanglos ein.

Fazit: Die DDR ist inzwischen Geschichte. Doch der frische Wind weht auch nach 20 Jahren noch immer in unserem Rathaus. Zwar sind es auch dort keine "lupenreinen Kommunisten" mehr - unsere Fraktion nennt sich jetzt Demokratische Linke. Aber wir sind zahlenmäßig noch stärker geworden. Von der DDR kann man heute (leider) nicht mehr lernen. Aber vielleicht ist auch deshalb nach 1989 - vor allem im Westen - die Losung geprägt worden: Von Wülfrath lernen, heißt siegen lernen!

Klaus H. Jann, Wülfrath

Raute

Zur Mär von "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer"

In der Präambel des auf dem Erfurter Parteitag der "Linken" beschlossenen Programms heißt es: "In allen Unternehmen sind wirksame Arbeitnehmer- und Mitbestimmungsrechte zu sichern." Hätte es nicht klar und verständlich heißen können "In allen Unternehmen sind wirksame Arbeiter- und Mitbestimmungsrechte zu sichern"? Muß in einem Programm der "Linken" das Wort "Arbeitnehmer" für "Arbeiter" stehen? Die Bezeichnungen "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" sind kapitalistischer Jargon, zugleich aber auch sachlich unrichtig, weil ihr Inhalt der Wirklichkeit widerspricht. Bei der Herstellung eines Produkts - egal welcher Art - wirken Arbeitsgegenstand (die Rohstoffe) Arbeitsmittel (Werkzeuge und Maschinen) und die Arbeitskraft (Muskel- und Nerveneinsatz des Arbeiters) aufeinander ein.

Im Kapitalismus ist das Ergebnis - das Produkt - Eigentum des Besitzers von Produktionsmitteln. Er bringt es an sich und kann damit nach Gutdünken verfahren. Er nimmt damit aber auch die vom Arbeiter aufgewendete Arbeit - folglich ist der Kapitalist der Arbeit-Nehmer. Der Arbeiter gibt seine Muskel- und Nervenkraft. Am Ende des Arbeitstages ist er erschöpft, hat sich verausgabt - also ist er der Arbeit-Geber und nicht der -Nehmer.

In seinem dreibändigen Werk "Das Kapital" hat Karl Marx das Gesetz der kapitalistischen Produktionsweise wissenschaftlich nachgewiesen. Es wirkt überall dort, wo das Privateigentum an Produktionsmitteln existiert, unabhängig davon, welcher Sprachgebrauch sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat. Überdies ist "nehmen" meist negativ besetzt, man denke nur an wegnehmen, während "geben" etwas Positives ausdrückt. Darum erscheint im neuen und irreführenden Sprachgebrauch der Kapitalist als der Gute, weil er dem bei ihm Beschäftigten "Arbeit gibt". In Wirklichkeit gibt er ihm lediglich die Möglichkeit, tätig zu sein, während er das Ergebnis der Tätigkeit selbst behält und dem Arbeiter nur einen Lohn zahlt, dessen Höhe er selbst bestimmt und der ausreichen muß, damit er seine Arbeitskraft erneuern und diese dem Kapitalisten weiterhin zur Verfügung stellen kann.

Bei den durch die Reformisten eingeführten und leider auch von anderen verwendeten Begriffen "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" geht es den Kapitalisten und ihren Medien darum, den Arbeitern die Wirklichkeit vorzuenthalten, um ihre Abhängigkeit vom Ausbeuter möglichst zu verewigen. Was aber hat der Begriff "Arbeitnehmer" an Stelle von "Arbeiter" im Programm der "Linken" zu suchen? Vermutlich ist die Tatsache, daß die Beziehungen der Menschen im Arbeitsprozeß gesellschaftlicher Art sind und der Lohn ein gesellschaftliches Verhältnis ausdrückt, den meisten Politikern durchaus bekannt. Das von mir Beschriebene ist weder für Angela Merkel noch für andere Exekuteure der Macht eine Neuigkeit. Doch mit Unwissenden läßt sich besser Politik machen als mit Aufgeklärten, die am Ende gar eine andere Gesellschaft fordern könnten.

Gerda Huberty, Neundorf

Raute

Erinnern an den Leidensweg der 999er

Fast 70 Jahre ist es her, daß die Strafeinheiten der faschistischen Kriegsmaschinerie gebildet wurden. Die Aggression Hitlerdeutschlands erreichte 1942 in Europa ihr größtes Ausmaß. Ein Jahr nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden die Verluste der Nazi-Truppen immer verheerender.

Im Oktober d. J. verfügte das Oberkommando der Wehrmacht die Aufstellung der "Afrika-Brigade 999 aus Wehrunwürdigen". Über 10.000 antifaschistische Widerstandskämpfer - die Männer mit dem blauen Schein, die meist lange Jahre inhaftiert waren - wurden nun in die Strafeinheiten 999 gepreßt. Dort bereitete man sie mit anderen Verurteilten, denen kriminelle Vergehen angelastet wurden, unter dem Kommando strammer Nazioffiziere des "Stammpersonals" für besonders riskante Einsätze vor. Im Krieg gegen die Sowjetunion nutzten zahlreiche 999er die seltenen Chancen, zur Roten Armee überzulaufen, wie das z. B. Peter Lamberz tat.

In Griechenland wurde Werner Illmer, der mit den Kämpfern der ELAS zusammenarbeitete, von den Faschisten ermordet. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele der Strafsoldaten den Tag der Niederlage Hitler-Deutschlands erlebten, aber es waren nur wenige. Der heute 99jährige Erich Knorr gehört dazu. Von ihm hat der Pahl-Rugenstein-Verlag in der Reihe "Bibliothek des Widerstandes" jetzt einen Erinnerungsbericht "Strafsoldat in Krieg und Nachkrieg - 29 Monate Strafbataillon 999" herausgegeben. Es ist meines Wissens der einzige von der Einberufung bis zum Sieg der Alliierten im Mai 1945 reichende Bericht eines kommunistischen Widerstandskämpfers in der Uniform der Faschisten über seine Erlebnisse und Gedanken. Eine Grunderkenntnis nennt Erich Knorr immer wieder: Faschismus und Krieg gehören zusammen. Er hatte sich vorgenommen, den letzten Kriegstag in Deutschland zu erleben. Sein alter Traum, daß das Völkergemetzel damit endet, daß deutsche Soldaten rote Fahnen hissen, erfüllte sich nicht. Doch Erich Knorr trug an diesem Tag eine rote Armbinde.

Er schreibt über die Ausbildung auf dem berüchtigten Truppenübungsplatz Heuberg, auch, wie er der standrechtlichen Erschießung von Strafsoldaten wegen des geringsten Ungehorsams beiwohnen mußte. Er wurde Zeuge von Grausamkeiten der Nazi-Soldateska: "Ich schämte mich, Deutscher zu sein, aber ich blieb Deutscher", bekennt er.

Erich Knorr hatte über den Kontakt zu einem Strafsoldaten aus der SPD von der Vorbereitung des Stauffenberg-Attentats erfahren und stand bereit, im Erfolgsfalle mit einer dafür vorbereiteten Gruppe von Hitlergegnern sofort nach Berlin zu fliegen. Seine ursprüngliche Absicht, zur Roten Armee überzulaufen, verwirklichte er indes nicht. Er berichtet auch darüber, daß er Gespräche mit Genossen hatte, die der Auffassung waren, ein Erfolg des Stauffenberg-Anschlags hätte nicht unbedingt Frieden bedeutet. Dieser sei ohne Niederringung des deutschen Faschismus, vor allem durch die sowjetischen Truppen, nicht zu erreichen gewesen. Knorr äußert persönliche Zweifel und läßt diese im Raum stehen. Sie betreffen u. a. den "Kurs meiner Partei und die Komintern ..." Er bekundet, daß er als deutscher Kommunist Offiziere der faschistischen Armee, ausgesprochene Antikommunisten, die Hitler mit in den Sattel gehoben hatten, nach deren Entscheidung gegen diesen als Bundesgenossen akzeptierte.

Mit manchen Problemen und seiner damit im Zusammenhang stehenden Entwicklung als Funktionär in der DDR, die keineswegs geradlinig verlief, wurde Erich Knorr zeit seines Lebens nicht fertig.

Das Buch ist ein mit großer Aufrichtigkeit geschriebenes Zeitzeugendokument, das Einsichten in einen komplizierten Bereich der Geschichte vermittelt.

Rolf Berthold


Erich Knorr, Strafsoldat in Krieg und Nachkrieg - 29 Monate Strafbataillon 999,
Pahl-Rugenstein-Verlag, 208 S., 19,90 €, ISBN 978-3-89144-447-4

Raute

Marxismus für Einsteiger - Utopie

"Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich", sowie "Ein Jegliches hat seine Zeit; und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde." Das sind Worte des Alten Testaments (Prediger, 1,4 und 3,1). Sie bezeugen, daß es schon vor der Entstehung der Philosophie dialektisches Denken gab. Marxisten sind gut beraten, sich mit der ganzen Geschichte vertraut zu machen. Das gilt aus verschiedenen Gründen auch für Utopien.

Der utopische Sozialismus-Kommunismus zählt zu den Hauptquellen des Marxismus. Jedem Marxisten ist es von Nutzen, zu wissen, wer Thomas Morus und Campanella, die Franzosen Babeuf, Fourier, Saint-Simon und Blanqui, der Engländer Robert Owen und der Deutsche Wilhelm Weitling waren. Richtiges Bewußtsein und kommunistische Sittlichkeit setzen voraus, keinen Bereich menschlichen Strebens in der Geschichte geringzuschätzen.

"Bestünde das Studium des Kommunismus nur darin, sich das anzueignen, was in kommunistischen Werken, Büchern und Broschüren dargelegt ist," betonte Lenin, "so könnten wir allzu leicht kommunistische Schriftgelehrte oder Prahlhänse erhalten, das aber würde uns weiter nichts als Schaden und Nachteil bringen, denn diese Leute würden sich als unfähig erweisen, alle diese Kenntnisse zusammenzufassen, und würden nicht so handeln, wie es der Kommunismus wirklich verlangt." (LW, 31/273 f.)

Bleibende Verdienste hat sich Karl Kautsky mit seiner Schrift "Thomas More und seine Utopie" aus dem Jahre 1888 - also in seiner marxistischen Schaffensphase - und dem zweibändigen Werk "Die Vorläufer des neueren Sozialismus" von 1895 erworben. Nach Morus' "Utopia" (1516) heißt ja die ganze Strömung, von der hier die Rede ist. Kautsky verdeutlichte, daß die Geschichte des Sozialismus in ihren Keimen weit zurückreicht. Er spannte den Bogen vom altgriechischen Philosophen Platon ("Vom Staate") über das Urchristentum, mittelalterliche Ansätze, Ketzer wie die Waldenser in Frankreich, die Hussiten und Thomas Münzer bis zu den Wiedertäufern.

Es handelt sich nicht nur um eine spannende Lektüre, sondern vor allem auch um den Nachweis, daß das Streben nach einem Gemeinwesen ohne Privateigentum und Ausbeutung in der Geschichte der Menschheit viel länger und tiefer als der Kapitalismus verankert ist, auch wenn uns dieser ständig als der Weisheit letzter Schluß präsentiert wird. Wer bestrebt ist, in die "Geheimnisse" der Dialektik einzudringen, dürfte gut beraten sein, sich den wechselvollen Schicksalen von Utopien zuzuwenden, die teils fortschrittlich, teils reaktionär waren. Man kann die komplizierte Wirkungsweise der Grundgesetze der Dialektik so besser verstehen. Ebenso muß man die Interpretation des Sozialismus als einer visionären Utopie wie die These, die Arbeiterklasse habe aufgrund veränderter Zusammensetzung ihre historische Mission eingebüßt, unbestreitbar als gravierenden Rückschritt in der weltanschaulichen Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie betrachten.

Marxisten sollen sich keineswegs scheuen, große Utopien wie das Gilgamesch-Epos, indische Veden, die Bibel und den Koran als Schätze in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit zu bewerten. Das hat mit einer Preisgabe des Atheismus nichts zu tun. Wer zu den Urgründen solidarischen Verhaltens bis hin zu denen des proletarischen Internationalismus vorstößt, darf auch auf das Neue Testament (Galater 6,2) verweisen: "Einer trage des anderen Last."

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Warum man Bürgerbewegungen weder unter- noch überschätzen darf

Rebellion ist noch keine Revolution

Bürgerliche Freiheiten finden ihre ultimative Grenze nicht in der Verfassung, sondern in den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Sie vor allem haben die Herrschaft der Bourgeoisie zu sichern. Da gibt es in der Regel Spielraum für die unterschiedlichste Ausprägung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, wie am Beispiel der "sozialen Marktwirtschaft" deutlich wurde, die zwischen 1947 und 1991 in Westeuropa propagiert und teilweise auch praktiziert wurde. Diese sozialdemokratische Abfederung von Widersprüchen war ein Reflex auf den realen Sozialismus und zur Behauptung des Imperialismus in der Region unbedingt notwendig.

Nach seinem vor mehr als zwei Jahrzehnten errungenen Etappensieg über die UdSSR und die europäischen sozialistischen Länder geriet der Kapitalismus in eine virulente Systemkrise. Unter Verzicht auf Regularien der Sozialstaatlichkeit sowie bei Deklassierung bislang gutgestellter kleinbürgerlicher Schichten, drastischem Demokratieabbau und unverhüllter Kapitalherrschaft verschärften sich die Klassenwidersprüche enorm. Selbst in der BRD mit ihrem historisch tradierten deutschen Untertanengeist formierten sich Massenproteste, Bürgerbewegungen gegen die Nuklearindustrie, die Energiekonzerne, "neoliberale" Stadtplanung, Politikerfilz und sogar die Macht der Banken. Auch außerhalb Europas, nicht zuletzt in den USA und Israel, ist vor allem das Kleinbürgertum Träger dieser Bewegungen.

Auf dem 13. Treffen der kommunistischen und Arbeiterparteien, das im Herbst 2011 in Athen stattfand, gelangten die Teilnehmer zu der Schlußfolgerung, daß es derzeit noch nicht darum gehe, den Sozialismus zu erkämpfen, sondern um die Durchsetzung der sozialen und demokratischen Rechte der Bevölkerung. Nach Auffassung der beteiligten Parteien müsse Kurs darauf genommen werden, gemeinsam mit Gewerkschaften und Bewegungen außerparlamentarische Aktionen zu verstärken.

Demnach handelt es sich um Bündnispolitik zur Verteidigung und zum Ausbau zwar vorhandener, aber massiv gefährdeter und attackierter Freiheiten. Doch darf ein Marxist das strategische Ziel - die Erringung des Sozialismus - dabei aus dem Auge verlieren? Bündnisstrategie ist nur dann sinnvoll, wenn sie in letzter Konsequenz dazu dient, dem Grundanliegen des Kampfes ein Stück näher zu kommen. Die alte Weisheit "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" kann nicht ohne exakte Einschätzung der Gesamtsituation und des Charakters der jeweiligen Bürgerbewegungen zur Generallinie erklärt werden.

Mobilisierung zum aktiven Widerstand, kritisches Engagement und Aufdeckung kapitalistischer Herrschaftsformen, die Forderung nach mehr Basisdemokratie, vor allem aber "Bündnisse gegen rechts" sind fortschrittliche Komponenten bestehender Bürgerbewegungen. Unser Ziel muß es sein, Menschen aus deren Umfeld über den Kapitalismus als Ursache der instinktiv gespürten oder bereits erkannten Mängel aufzuklären und sie - Schritt für Schritt - an die sozialistische Bewegung heranzuführen. Antikapitalistische Ansätze und entsprechendes Handeln in Konfliktsituationen sind gezielt zu unterstützen.

Andererseits bedeutet eine kritisch-pluralistische Masse noch keinen Vormärz. Die "Occupy"-Bewegung in den USA und anderswo will erklärtermaßen nur "Auswüchse" des Finanzkapitalismus korrigieren, lehnt aber eine Veränderung des Wirtschaftssystems ausdrücklich ab. Die Protestpartei der "Piraten" mit ihrem "Antikollektivismus" am politischen "Facebook-Biertisch" soll technische Medien zur Durchsetzung individueller Wünsche nutzbar machen. In der Anti-Atomkraft-Bewegung sammeln sich Menschen der verschiedensten Art aus Angst vor Strahlenschäden. Und bei "Stuttgart 21" verstanden es Politiker bürgerlicher Parteien einschließlich der SPD, die Bevölkerung ganzer Gebiete mehrheitlich per Volksabstimmung gegen die Protestierer aufzubauen.

"Wenn Die Linke erst an der Macht ist, führt sie als erstes die Atomkraft wieder ein!" schallte es mir in Gorleben aus einer Gruppe von Studenten mit dem Sonnenfähnlein entgegen. Das war für mich zwar keine Überraschung, sollte aber zu denken geben. Sobald die Herrschenden die neuen Medien und das Instrumentarium von Bürgerbefragungen noch potenzierter für ihre reaktionären Zwecke einspannen, dürften diese massiv zur Unterwanderung von Bürgerbewegungen eingesetzt werden. Die Ergebnisse von Umfragen der PDL haben wiederholt gezeigt, wie weit verbreitet rechtspopulistische und antidemokratische Stimmungen in Deutschland sind. Das negative Beispiel der berüchtigten "Minarett-Bau-Abstimmung" gegen Muslime in der Schweiz sollte uns zu denken geben!

Brachte der Buchdruck zunächst bessere Möglichkeiten für die frühbürgerliche Revolution hervor, so wurde er bald zum wirksamen Unterdrückungsmittel im Dienste der Machtausübenden. Bürgerbewegungen werden primär von klassenspezifischen subjektiven Interessen unterschiedlicher sozialer Kräfte geleitet. Der Klasseninstinkt der Kleinbürger ist geschärft, das soziale Bewußtsein der deklassierten Niedriglohnarbeiter und selbst der gewerkschaftlich organisierten Stammbelegschaften infolge kapitalistischer Gehirnwäsche und sozialdemokratischer Augenwischerei hingegen äußerst schwach entwickelt. - Wenn wir uns in diesem Milieu in Konfrontation zur staatlichen Demagogie fortschrittlich engagieren, was absolut erforderlich ist, dann darf das sozialistische Kampfziel dabei nicht an Profil verlieren.

Von der differenzierten Bewertung der mannigfachen Kampagnen und Gruppen der heutigen Bürgerbewegung, die man weder über- noch unterschätzen darf, hängt effizientes und erfolgreiches Handeln ab. Blauäugige, pauschale und kritiklose Sammelbewertungen führen zu Fehleinschätzungen. Unter diesen eigentlich selbstverständlichen Voraussetzungen können wir dem Ratschlag des 13. Treffens der kommunistischen und Arbeiterparteien "Soziale und demokratische Rechte erkämpfen!" durchaus unsere Zustimmung geben.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

Raute

Aus der proletarischen Chronik "Ein ganz einfaches Berliner Leben"

Erhellendes über die Schwarze Kunst

Dreckig ist sie, die Druckerarbeit. Der aus Flamm-Ruß hergestellte Grundstoff der Druckerschwärze, vermengt mit den benötigten Lösungsmitteln auf petrolchemischer Basis, ergibt eine mehr oder weniger breiige, fette Masse, die bei unausbleiblicher Berührung tief in die Poren der Haut eindringt und nur unter Zuhilfenahme diesen Schmutz lösender Substanzen so einigermaßen zu beseitigen ist. Daß ein solcher Vorgang für die Menschenhaut nicht gut sein kann, leuchtet ein, zumal er mehrmals in einer Schicht wiederholt werden muß.

Dazu kam der sogenannte Farb-Flug. Nichtgebundene Partikel sausten bei den hohen Druckgeschwindigkeiten durch die Luft, vermengten sich mit dem frei werdenden Papierstaub und setzten sich auf alles ab, was ihnen in die "Quere" kam, die Menschen eingeschlossen. Alle äußeren Körperpartien waren betroffen. Und - in die stets freiliegenden sieben von neun Körperöffnungen, die jeder Mensch besitzt, drang dieser Dreck gehörig ein.

Hinzu kam der Umgang mit scharfen Waschmitteln zum Säubern der Maschine und der Farbwerke. Manche Kollegen litten später an Hautkrankheiten, gegen die es nichts gab.

Überall auf der Welt sind Druckereiarbeiter an Blutkrebs gestorben, ohne daß jemand auf die Idee gekommen wäre, hier eine Kausalität zu ihrem Beruf herzustellen. Warum auch? Die meisten haben es doch "überlebt". Ich spreche bewußt von Druckereiarbeitern, da ja Schriftsetzer im Bleisatz, Chemigraphen, Reprofotografen, ja selbst Buchbinder und andere, die mit "scharfen" Chemikalien arbeiten mußten, davon genauso betroffen waren wie wir.

Der Beruf des Rotationsdruckers ist gefährlich. Abgerissene Gliedmaßen und auch Todesfälle hat es immer gegeben und gibt es bis heute, an schnell laufenden Maschinen der verschiedensten Art - nicht nur in Druckereien. In jahrzehntelanger Berufserfahrung erlebte ich die meisten schwerwiegenden Unfälle als Folgen des Fehlverhaltens von Menschen. Nichtbeachten von Vorschriften, Übereifer, Sorglosigkeit, Leichtsinn oder gar Spielereien (vor allem jüngerer Kollegen) verursachten sie.

In der DDR galten zwei markante Grundsätze. Der eine hieß: "Jeder Arbeitsunfall ist einer zuviel", der andere forderte die Übereinstimmung der Arbeitsproduktivität mit den Normen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Die dafür zuständigen Kontrollorgane waren der Gewerkschaft unterstellt.

Da ich selbst viele Jahre gewählter Gewerkschaftsvorsitzender im Betrieb gewesen bin, weiß ich, daß die Kontrolle nicht nur im allgemeinen sehr ernst genommen wurde, sondern auch im Detail. Auch ich habe in diesem Sinne "getrommelt und gepfiffen, was das Zeug hielt". Es gab arbeitsrechtliche Bestrafungen von Leitern, die ihre Aufsichtspflichten vernachlässigt hatten. Doch es lag auch oft an den Arbeitern selbst.

So verlor Walter B. drei Finger der rechten Hand, weil er in übereifriger Gewissenhaftigkeit einen Bleispan, der sich auf die Farbwalze verirrt hatte, von der Druckplatte wegwischen wollte. Dem Himmel sei Dank, daß er nur während des Drehgangs in die Maschine geriet. Bei schnellerem Lauf, o je - ich erspare es mir, über die Folgen nachzudenken. Ein liebenswerter, immer fröhlicher, stets mit kernigen Witzen aufwartender Kollege, dem seine Arbeit bis zu diesem einen kurzen Augenblick Freude gemacht hatte. Nun mußte er nicht nur die Schmerzen ertragen, sondern wurde nach der "Genesung" auch noch teilinvalidisiert.

Als ich Anfänger in der Rotation war und mich ähnlich verhielt, sagte mir ein älterer Kollege auf gut berlinisch: "Paß mal uff, mein Junge, wat ick da sare: 'Benutze niemals deine Körperteile als Werkzeuje, die jibt dir keener wieda'!" Da ich mir diesen Rat zu Herzen nahm, bin ich bis heute heil davongekommen, ist noch alles dran.

Jedem, der das hier liest, versichere ich, daß es keineswegs spaßig, sondern bitterer Ernst war, einen verunglückten Kollegen mit der Handkurbel wieder aus der Maschine herauszudrehen oder abgetrennte Körperteile einsammeln zu müssen - weshalb ich mich vor allen mit Rettungsund Nothilfeaufgaben Befaßten dreimal verbeuge!

Das Drucken ist eine sehr lärmintensive Arbeit. Jüngeren wurden und werden ihre Gehörgänge bereits seit vielen Jahren mit "Musik" buchstäblich zertrümmert. Sie lassen sich freiwillig darauf ein. Daß dadurch oftmals der Verstand, sofern vorhanden, etwas abbekommt, ist unverkennbar, doch es geschieht ja, wie gesagt, aus eigenem Willen. Im Industrieberuf ist das kaum anders. Auch den übt man in gewisser Weise freiwillig aus, da ja niemand direkt zu ihm gezwungen wird. Dennoch gibt es einen fundamentalen Unterschied: Das eine muß man nicht machen, zum anderen besteht keine Alternative, weil man essen, trinken, wohnen und sich kleiden will.

Im Interesse der Sauberkeit hatte man es damals gut mit uns gemeint und die Maschinenhalle weiß gefliest. Daß dadurch der Lärmpegel ganz erheblich verstärkt wurde, war - durchaus im Wortsinne - das "Echo" dieser gutgemeinten Maßnahme. Woraus man erkennen kann, daß nicht alles, was in bester Absicht geschieht, den Bedachten auch wirklich gut tut. - Damals waren 80 Dezibel zulässig. Diese Lautstärke wurde aber bei weitem überschritten. Um wieviel, ist mir nicht bekannt. Erstens wurde sie noch nicht gemessen, zweitens interessierte sich damals niemand dafür. Der Lärm gehörte wie der Dreck zum Beruf.

Nun kann kein Drucker von sich behaupten, er wäre wegen des Krachs ein Ludwig van Beethoven geworden. Der hatte auf Grund später Taubheit nicht einmal seine Neunte hören können - eine Vorstellung, die mir Schauder der Ehrfurcht vor diesem Genius über den Rücken jagt. Es ist auch nicht bekannt, wie viele Menschen durch Arbeitslärm weltweit geschädigt wurden und täglich werden. Bei mir hat er zwar nicht zur Taubheit geführt, aber zur chronischen Gehörgangentzündung, wodurch ich bestimmte Radio- und TV-Frequenzen nicht mehr wahrzunehmen vermag. Andere Kollegen leiden an Gehörverlusten oder Gleichgewichtsstörungen durch Schäden am komplizierten Mechanismus des Innenohrs.

Und da gab und gibt es superschlaue Chefs, die behaupten: "In diesem Falle hätten die Leute eben Gehörschutzwatte oder Stöpsel nehmen müssen." Ein Rat, den die Kollegen deshalb nicht befolgt haben, weil sie die Geräusche ihrer Maschinen exakt hören und bei irgendwelchen Störungen sofort reagieren wollten. Sie handelten also im Interesse ihres damals volkseigenen Betriebes, nicht aber aus persönlichen Beweggründen.

Klaus J. Hesse, Berlin


Unser Autor - Arbeiter, dann Buchdrucker-Meister und Ingenieur für Polygraphie - war Leiter des Büros des Betriebsdirektors der Druckerei des "Neuen Deutschland".

Raute

RF-Extra

Zur Rolle und Verfügbarkeit der Arbeit in der DDR und in der BRD

Lebensinhalt, Job oder Nirwana?

Für DDR-Bürger war die Arbeit ihr Lebensinhalt. Sie stellte ihr entscheidendes gesellschaftliches Handeln dar, dem sich alles andere unterordnete. Die Arbeit diente und dient der Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse des einzelnen, seiner Familie, und auch der nicht, noch nicht, oder nicht mehr arbeitsfähigen Mitglieder der Gesellschaft.

Grundsätzlich gelten diese Prämissen in allen sozialen Entwicklungsetappen, aber die Realisierung der Gesetzmäßigkeiten bedarf des bewußten Handelns der Individuen, und das ist verschieden. Hier werden diese so und dort anders umgesetzt. Entscheidend dafür sind die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Handeln der führenden politischen Kräfte, an denen es liegt, ob die notwendigen Maßnahmen eingeleitet werden oder nicht.

Die in der DDR im Bunde mit ihren Partnern aus dem Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen herrschende Partei der Arbeiterklasse hatte dafür gesorgt, daß das Recht auf Arbeit in der Verfassung verankert und damit zum Gesetz erhoben wurde. Dem sozialistischen Staat oblag die Aufgabe, Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Arbeit zum Nutzen des ganzen Volkes organisiert wurde.

Diese Gesetzeskonstellation und deren Verwirklichung sind ursächlich dafür, daß es in der DDR keine Arbeitslosigkeit gab. Das bedeutete indes nicht, daß alle arbeitsfähigen Menschen in einem Arbeitsverhältnis standen. Es gab nämlich auch Bürger, die aus verschiedenen Gründen das Recht auf Arbeit nicht in Anspruch nahmen. Sie konnten so handeln, denn eine Arbeitspflicht bestand nicht. Die Aussage, es habe keine Arbeitslosigkeit gegeben, trifft dennoch zu. Allerdings war der in der BRD verwandte Begriff einer "Vollbeschäftigung" gegenstandslos.

Richten wir nun den Blick auf die BRD unserer Tage. Dort sieht es ganz anders, aber nicht besser aus.

Vollbeschäftigung gibt es nicht, statt dessen aber Millionen Arbeitslose. Sie sind von dem wichtigsten Lebenselement praktisch ausgeschlossen. Ihre offene oder verschleierte Zahl wuchs in den letzten Jahren auf fast 6 Millionen. Der Staat ist dazu gezwungen, die Ausgesonderten so oder so zu finanzieren. Er sucht durch Arbeitslosengeld 1 und 2, Hartz IV, Mini-Jobs, Mietzuschüsse, Grundsicherungsausgleich und weitere Gelder die Misere "abzufedern". Angesichts des Ausmaßes der Erwerbslosigkeit kann das aber nur teilweise gelingen. Dem Staat und den Verantwortlichen entgleitet trotz aller Kosmetik die Lösbarkeit des Problems. Verordnung folgt auf Verordnung, immer neue Finanzierungsquellen werden gesucht, wobei nicht wenig im Sumpf der Bürokratie versickert.

Gegen ihren Willen aus dem Arbeitsprozeß Ausgegliederte verkümmern materiell wie moralisch. Ihre einst erworbenen Qualifikationen reichen in den meisten Fällen nicht mehr aus, um den heutigen Anforderungen des Arbeitsmarktes zu entsprechen. Sie werden von einer vermeintlichen Fortbildungsmaßnahme zur nächsten weitergereicht, ohne dadurch einen auf Dauer sicheren Job zu erhalten.

Die Kinder der Arbeitslosen passen sich oftmals dem erzwungenen Nichtstun ihrer Eltern an. Sie vernachlässigen die Schule, tauchen ins Fernsehen ab, das ihnen kaum ethische Werte vermittelt. Nicht selten versuchen sie dort präsentierten "Idolen" nachzueifern, wodurch die Spirale der Gewalt noch stärker bedient wird.

Saisonbedingt sinkt oder steigt die Zahl der Arbeitslosen. Fällt die Rate, spricht man von einem "neuen Jobwunder". Obwohl sich die offizielle Zahl der vom Arbeitsprozeß weiterhin Ausgeschlossenen nach der frisierten Statistik immer noch gegen drei Millionen bewegt, beginnt man von "Vollbeschäftigung" zu phantasieren. Das kann doch wohl nicht ernst gemeint sein! Trotz einer Vielzahl von Tricks zur statistischen Beschönigung und der Herausnahme ganzer Kategorien tatsächlich Erwerbsloser hat sich am Wesen der Dinge nichts geändert. Zwar gibt es heute tatsächlich Hundertausende Arbeitslose weniger als vor Jahresfrist, doch die Erklärung der Frau von der Leyen, in der BRD könne man quasi von Vollbeschäftigung ausgehen, ist blanker Hohn!

Kehren wir nun zur DDR zurück. In den Betrieben wurde der Gestaltung der Arbeitsbedingungen große Aufmerksamkeit gewidmet. Man richtete eigens Struktureinheiten mit der Bezeichnung "Wissenschaftliche Arbeitsorganisation (WAO) ein. Deren Aufgabe bestand darin, die Gesamtheit der Arbeitsbedingungen, genauer: die Arbeitsaufgaben, die Arbeitsplätze und die Arbeitsumgebung so zu gestalten, daß die eingangs formulierten Ansprüche und Ziele im Sinne der Persönlichkeitsförderung erfüllt werden konnten.

Da hieß es z. B., die Arbeitsbedingungen sollten progressiv sein. Gefordert wurde damit eine Kombination aus materiellen und geistigen Anforderungen. Verlangt wurde auch eine stimulierende Wirkung des Arbeitsumfeldes. Mit anderen Worten: Die Betriebsangehörigen sollten sich im Arbeitsprozeß wohl fühlen und zu hohen Leistungen angeregt werden. Gefordert wurde eine unfallsichere und gesundheitszuträgliche Gestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsumwelt. Im Grunde genommen ging es darum, ohne Überforderung der Arbeitskräfte eine möglichst hohe Arbeitsproduktivität und Effektivität zu erreichen.

Die Arbeit sollte aber nicht nur Verausgabung von Muskel- und Geisteskraft sein, die den Lebensunterhalt der Menschen sicherte. Sie sollte darüber hinaus auch der Ausbildung und Formung der Persönlichkeit dienen. Das überließ man nicht dem Selbstlauf. Die Beschäftigten wurden umfassend in die Arbeit eingewiesen, hatten Konsultationsmöglichkeiten und besuchten auf Kosten des Betriebes Bildungs- und Weiterbildungsveranstaltungen. Auch die Arbeitsbedingungen selbst unterlagen organisierter Gestaltung. Sie erfolgte mit dem Ziel, den Werktätigen Erfolgserlebnisse zu verschaffen, vor allem aber die Möglichkeit, sich damit selbst zu bestätigen und stolz auf eigene Arbeitsleistungen zu sein. Das proklamierte und vor Ort auch angesteuerte Ziel bestand darin, allseitig gebildete Persönlichkeiten entstehen zu lassen.

Eine solche Aufgabenstellung ist äußerst anspruchsvoll und kann nur in einem ständigen Prozeß ohne Abschluß und Ende bewältigt werden. Präziser: Sie ist permanent zu leisten.

Es wäre jedoch vermessen und eine unzulässige Übertreibung, wollte man behaupten, in den DDR-Betrieben hätte es nur noch nach wissenschaftlichen Kriterien gestaltete Arbeitsplätze gegeben. Das hätte eines wesentlich längeren Zeitabschnittes bedurft. In der volkseigenen Wirtschaft wurde diese Jahrhundertaufgabe aber immerhin in Angriff genommen.

Wenden wir uns erneut der BRD zu: Wie hat sich die Arbeitsorganisation dort abgespielt? Verbal strebt man auch in kapitalistischen Unternehmen eine ständige Verbesserung der Arbeitsbedingungen als Voraussetzung hoher Profiterwirtschaftung an. "Menschengerechte Arbeit" nennt man das dort. Inhaltlich geht es darum, körperliche Überbelastungen und die Schädigung der Arbeitenden zu vermeiden. Da haben gewisse Bemühungen - zumindest auf den ersten Blick - durchaus einiges mit dem zuvor Geschilderten gemeinsam.

Im Betriebsverfassungsgesetz ist dazu festgelegt, daß die Betriebsräte "angemessene" Schritte zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich bestehender oder durch Maßnahmen entstehender Belastungen verlangen können. So weit, so gut. Aber zunächst einmal ist festzustellen, daß es in vielen kapitalistischen Betrieben überhaupt keine Betriebsräte gibt. Wer soll in diesen Fällen also etwas verlangen? Und selbst dort, wo Betriebsräte bestehen, sind das durchaus keine dem Betrieb gegenüber neutralen Instanzen, wie z. B. gewerkschaftliche Arbeitervertretungen, sondern zum jeweiligen Unternehmen gehörende Einrichtungen, deren Personal vom Betrieb entlohnt wird. Da kann man in vielen Fällen doch nur sagen: "Wes Brot ich eß, des Lied ich sing." Tatsächlich wurden immer wieder Korruptionsskandale aufgedeckt, in die Mitglieder von Betriebsräten verwickelt waren. Man denke nur an VW!

Arbeitsbedingungen, wie sie in den volkseigenen Betrieben der DDR gesetzlich geregelt waren, wird man in Betrieben der BRD vergebens suchen!

Wie verhielt es sich dort?

Alle Beschäftigten wurden nach Tarif entlohnt, weshalb es auch keines Mindestlohns bedurfte. Arbeitszeitregelungen und Urlaubsansprüche waren Bestandteil der Tarifverträge. Überstunden unterlagen der Genehmigungspflicht und wurden grundsätzlich vergütet. Für erschwerte Arbeitsbedingungen gab es besondere Zuschläge, auf welche die Beschäftigten Anspruch hatten. Jährlich vereinbarte der VEB mit der jeweiligen Gewerkschaftleitung weitere innerbetrieblich zu regelnde Details in einem Betriebskollektivvertrag.

Jeder Betrieb verfügte über einen Prämienfonds, der zu Lasten der Kosten gebildet wurde. Seine Höhe hing von der Zahl der Beschäftigten, dem Lohnfonds und der Erfüllung der Planaufgaben ab. Besondere Leistungen einzelner und der Arbeitskollektive konnten damit materiell anerkannt und gewürdigt werden.

Die DDR stiftete auch staatliche Auszeichnungen in Form von Medaillen, Orden und Titeln, mit denen eine materielle Anerkennung verbunden war. In vielen Staaten ist es üblich, daß Orden und Ehrenzeichen an Angehörige der Streitkräfte verliehen werden. Natürlich gab es das in der DDR auch, hauptsächlich aber wurden überdurchschnittliche Leistungen im Arbeitsprozeß auf solche Weise anerkannt. Für vorbildliche Arbeit war eine Auszeichnung als "Aktivist" vorgesehen. Der damit Dekorierte erhielt neben einer Medaille auch eine Prämie, deren Höhe der Betrieb festlegte. Dauerhaft herausragende Leistungen wurden mit den Titeln "Verdienter Aktivist" und "Held der Arbeit" gewürdigt. Die Verleihung erfolgte auf der Grundlage eines Gesetzes, das am 7. April 1977 in Kraft trat. Darin war auch die Höhe der materiellen Anerkennung geregelt. Ein "Verdienter Aktivist" erhielt 1000, ein "Held der Arbeit" sogar 10.000 Mark der DDR.

Insgesamt standen für die Anerkennung besonderer Leistungen in der materiellen Produktion rund 50 staatliche Auszeichnungen zur Verfügung. Etwa dieselbe Zahl war für hervorragend arbeitende Menschen in nichtmateriellen Bereichen vorgesehen.

Die Arbeitsbedingungen in der kapitalistischen BRD bilden dazu ein krasses Kontrastprogramm.

Seit geraumer Zeit wird über die Einführung von Mindestlöhnen heftig debattiert. Selbst der CDU-Parteitag nahm 2011 zu diesem Thema Stellung.

Mit dem "Tarifvertragsgesetz" hat der Bundestag weitgehend auf die staatliche Tarifhoheit verzichtet und sie den Tarifvertragsparteien übertragen. Das ist der gravierendste Unterschied zur DDR, wo der Staat diesen Verzicht niemals erklärt oder signalisiert hat. Er war selbst Tarifpartei. Gemeinsam mit den Gewerkschaften erarbeitete er zunächst das Tarifsystem und setzte es dann in die Praxis um.

In der BRD stehen die als Arbeitgeberverbände verkleideten Unternehmerdachorganisationen bei Tarifverhandlungen auf der einen Seite. Meist sind sie branchengebunden, aber auch noch territorial organisiert, so daß sich ihre Anzahl vervielfacht. Gegenwärtig gibt es in der BRD mehr als 60 solcher Verbände. Überdies kann auch jeder einzelne Konzern einen Firmen- oder "Haustarifvertrag" abschließen, wenn er die Gewerkschaft als Mitspieler dafür gewinnt.

Tarifvertragspartner auf seiten der "Arbeitnehmer", wie Reformisten und Kapitalisten, Parteien und Medien die Werktätigen verlogenerweise bezeichnen, sind die Gewerkschaften. Sie werden vom DGB und dessen Branchenverbänden repräsentiert. Tarifpartner der Unternehmerseite können aber auch andere sein. Erwähnt seien hier die Christlichen Gewerkschaften und der Deutsche Beamtenbund, die nicht dem DGB zuzuordnen sind.

In der "Zweisamkeit" dominiert eindeutig die Seite des Kapitals. Die Hundts und Ackermanns verfügen über die wirtschaftliche Macht. Ihre "Gegner", die Gewerkschaften, sind da von Beginn an im Nachteil. Sie besitzen in den Betrieben selbst keine Basis, sondern wirken von außen hinein. Es ist ihnen zwar erlaubt, Kontakt zu den Gewerkschaftsmitgliedern in den jeweiligen Unternehmen herzustellen, sie müssen aber vorher die Erlaubnis des Konzerns oder der Firma zum Betreten des Betriebsgeländes einholen.

Darüber hinaus gibt es in vielen kleinen und mittleren Firmen überhaupt keine Gewerkschaftsmitglieder, so daß deren Leitungen dort ohne Anknüpfungsmöglichkeiten sind. Das führt zum Fehlen jeglicher Tarifbindung. Die Eigentümer oder Betreiber legen die jeweilige Lohnhöhe, die nicht selten Tarifgehälter der Branchen unterschreitet, nach eigenem Ermessen fest.

In der BRD existieren rund 40.000 (!) Tarifverträge. Es handelt sich dabei um Manteltarifverträge, Branchen- und Flächentarifverträge, Verbandstarifverträge, Firmen- und Haustarifverträge und Einzelabkommen. Das ergibt ein enormes Maß an Unüberschaubarkeit. Das gesamte Tarifsystem ist also ein riesiger Moloch. Die Festlegung eines numerischen Mindestlohnes für die gesamte BRD wäre ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung.

Dahin gibt es zwei mögliche Wege. Erstens: Der Staat könnte es allen Unternehmern per Gesetz zur Pflicht machen, Tariflöhne zu zahlen. In diesem Falle müßten die Nichttarifgebundenen entsprechende Verträge mit den Gewerkschaften abschließen oder in einen bereits bestehenden Tarifverband eintreten. Der zweite Weg aber wäre wohl der einfachere: Man führt einen einheitlichen Mindestlohn ein und erklärt ihn als für alle Betriebe und Einrichtungen verbindlich. Doch solche überschaubaren Lösungen sind von der Regierung des deutschen Kapitals wohl kaum zu erwarten!

Prof. Dr. Erich Dreyer, Dresden


Raute

In den USA besorgen private Geldinstitute die Banknoten-Emission

Die an der Dollarschraube drehen ...

Der einflußreiche Politiker Alexander Hamilton gründete 1781 die Bank of North America. Neun Jahre später befürwortete er ein zentrales Bankwesen. Dabei ging es um eine Bank der Vereinigten Staaten, welche mehrheitlich in Privatbesitz sein und die ausschließliche Befugnis zur Geldnotenemission, Steuereintreibung und zur Hinterlegung von Regierungsgeldern haben sollte. Hamiltons Gründe dafür sind uns nicht bekannt, wohl aber, daß sich Thomas Jefferson und James Madison dagegen wandten. Dennoch unterschrieb George Washington am 25. Februar 1791 das Gesetz zur Gründung der Ersten Bank der Vereinigten Staaten. Als Jefferson dann Präsident der Vereinigten Staaten wurde, erklärte er die Bank für verfassungswidrig. 1811 stand die Neubestätigung ihrer auf eine 20jährige Geltungsdauer ausgelegten Charta bevor. Diese wurde abgelehnt. Der englische Bankier Nathan Rothschild, der die amerikanischen Regierungsinteressen in Europa vertrat und Washington diverse Anleihen gewährte, setzte sich indes für die unveränderte Erneuerung der Dokumente des Kreditinstituts ein. Als 1812 der Krieg ausbrach, soll er angeblich die britischen Truppen ermutigt haben, "diesen unverschämten Amerikanern" eine Lektion zu erteilen und ihren Staat wieder auf den Kolonialstatus zurückzuschrauben. Amerikas Staatsverschuldung stieg sprunghaft auf 127 Millionen Dollar an.

Am 10. Mai 1816 unterzeichnete Präsident James Madison einen Erlaß, der die Zweite Bank der Vereinigten Staaten von Amerika aus der Taufe hob. Damals schrieb Jefferson an den künftigen Präsidenten John Taylor: "Wenn das amerikanische Volk es jemals zuläßt, daß Privatbanken ihre Geldnotenemission kontrollieren, erst inflationär und dann deflationär, werden die Banken und Unternehmen, die sich um sie scharen, dem Volk allen Besitz abspenstig machen, bis ihre Kinder kein Heim mehr auf dem Kontinent haben, den ihre Väter eroberten."

1835 kam August Belmont (alias Schönberg) nach Amerika. Er stammte aus Frankfurt a. M. und vertrat die Interessen der Rothschild-Bankiers. Belmont wurde Finanzberater des Präsidenten John Tyler, der 1841 zwei Gesetzvorlagen, die der Bank of the United States eine neue Verfassung geben wollten, durch sein Veto ablehnte.

Im Bürgerkrieg finanzierte Rothschild dann den Norden durch seine Gewährsleute Belmont und Jay Cooke, die beauftragt wurden, über zwei Firmen als Union-Bonds bezeichnete Wertpapiere in Europa zu verkaufen.

Die Finanzierung der Südstaaten wurde hingegen durch John Slidell von einer Advokatenfirma in Louisiana besorgt. Slidell war der Onkel von Belmonts Frau und Gesandter der Südstaatlerkonföderation in Frankreich. Seine Tochter heiratete den Frankfurter Baron Frederic D'Erlanger, einen Verwandten der Rothschilds. So konnte Slidell günstige Anleihen für den Süden lockermachen.

Im März 1863 erhielt Abraham Lincoln vom US-Kongreß grünes Licht für eine Staatsanleihe zur Finanzierung des Bürgerkrieges von 450 Millionen Dollar, wofür er sogenannte Greenbacks, wie die Schuldscheine (Bonds) hießen, ausstellen ließ. Am 14. April 1865 wurde Lincoln in Washington ermordet. James A. Garfield, nun der 20. Präsident der USA, brachte es auf den Nenner: "Wer immer das Geld der Nation kontrolliert, kontrolliert die Nation." Schon 1881, im ersten Jahr seiner Präsidentschaft, fiel auch er einem Attentat zum Opfer.

1902 emigrierten die Frankfurter Brüder Paul Moritz und Felix Warburg nach Amerika. Finanziert von Rothschild, kauften sie sich bei Kuhn, Löb & Co. ein. Sie stammten aus dem Bankiershaus M. M. Warburg, das sich in Frankfurt, Hamburg und Amsterdam etabliert hatte und mit Rothschild liiert war. Ihr Bruder Max arbeitete als Direktor für Auslandsspionage beim deutschen Geheimdienst.

Nachdem Paul Warburg und sein Kollege Jakob Schiff eine äußerst intensive Propaganda für das Konzept einer privaten Zentralbank betrieben hatten, berief Senator Nelson Aldrich (verheiratet mit einer Rockefeller) am 22. November 1910 eine Versammlung von führenden Bankiers und Mitgliedern der National Monetary Commission zusammen, die sich auf der Insel Jekyll vor der Küste des Südstaates Georgia trafen. Diese war 1888 von den Magnaten J.P. Morgan, Henry Goodyear, Joseph Pulitzer, Edward & George Gould, Cyrus McCormac, William Rockefeller, William K. Vanderbilt und Georg F. Baker gekauft worden.

An der Versammlung nahmen neben Senator Aldrich Frank A. Vanderlip, Vizepräsident der Rockefeller gehörenden National City Bank, und Henry P. Davison von J.P. Morgan & Co. folgende Personen teil: der stellvertretende Finanzminister Abraham Piatt Andrew, Paul Moritz Warburg, Benjamin Strong (Vizepräsident der Morgan Bankers' Trust Company, Eugene Meyer (ein früherer Partner Bernhard Baruchs und Sohn eines Partners der Rothschild-eigenen Bank Lazard Frères, der später die "Washington Post" kontrollierte), J.P. Morgan; John D. Rockefeller, Jacob Schiff; Herbert Lehman (von Lehman Brothers); Bernard Baruch (den Präsident Wilson zum Vorsitzenden des Kriegsindustrie-Komitees ernannte, was ihm die Kontrolle über alle Rüstungsverträge für die Alliierten verschaffte); Joseph Seligman, Gründer von J & W Seligman & Co., der während des Sezessionskrieges die Bonds (Schuldscheine) vertrieb und als "Bankier der Welt" bekannt war; und Charles D. Norton, Vorsitzender der First National Bank of New York. Es wurde gesagt, daß die Eigentümer dieser Insel und die Versammelten, etwa ein Duzend Männer, zusammen ein Sechstel aller Reichtümer der Welt kontrollierten.

Paul Warburg leitete die Versammlung und formulierte die wesentlichen Punkte der Gesetzesvorlage, die Senator Aldrich dann durch den USA-Kongreß bringen sollte. Vanderlip schrieb 1935 in seiner Autobiographie "From Farmboy to Financier": "Wir wußten, daß wir auf keinen Fall entdeckt werden durften, da unser Zeitaufwand und unsere Anstrengungen sonst vergebens gewesen wären. Hätte man erfahren, daß unsere Gruppe zusammenkam und einen Gesetzentwurf über das Bankwesen schrieb, hätte ein solcher keine Aussicht gehabt, vom Kongreß verabschiedet zu werden. Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß unsere geheime Expedition auf die Jekyll-Insel die Gelegenheit bot, das Konzept des späteren Federal-Reserve-Systems auszuarbeiten."

Erst 1916 erschien ein Artikel des Journalisten Bertie Charles Forbes über den "Jagdausflug" auf die Insel. Drei Jahre nach Verabschiedung des die private "Staatsbank" aus der Taufe hebenden Federal Reserve Act 1913 sagte Präsident Wilson: "Das Wachstum unserer Nation und alle unsere Handlungen sind in den Händen von einigen Männern. Wir sind zu einer der meistregierten, vollkommen kontrollierten und beherrschten Regierungen der zivilisierten Welt geworden; nicht mehr eine Regierung der freien Meinung, der Überzeugung, der freien Mehrheitswahl, sondern eine Regierung, die von den Ansichten und dem Druck einer kleinen Gruppe von Männern dominiert wird."

Zu Beginn des 1. Weltkrieges hatte Paul Warburgs Firma Kuhn, Löb & Co. fünf ihrer "Experten" im amerikanischen Finanzministerium (Treasury) stationiert. Sie verwaltete überdies die Liberty Loans (Freiheitsanleihen), mit denen die Vereinigten Staaten ihre Teilnahme am 1. Weltkrieg finanzierten. Bruder Max half auf der anderen Seite, Deutschlands Kriegskosten über die Familienfirma M. M. Warburg & Co. zu finanzieren.

1914 wurde Benjamin Strong erster Vorsitzender der Federal Reserve Bank. Paul Warburg war Mitglied des als Board bezeichneten Vorstandskomitees, trat aber 1918 wegen seiner deutschen Verbindungen und insbesondere wegen seines Bruders Max zurück. Dieser soll zu den Finanziers der russischen Revolution gehört haben. In seiner Rolle als Direktor des deutschen Geheimdienstes habe er dafür gesorgt, daß Lenin über Deutschland im "plombierten Waggon" nach Rußland reisen konnte. Das zu dieser Zeit noch bestehende deutsche Kaiserreich habe sich von "revolutionären Ereignissen" eine Schwächung des Hinterlandes seines russischen Kriegsgegners versprochen.

Der Banking Act 1935 änderte den Namen der Zentralbank in Federal Reserve System. Dieses besteht aus 12 privaten Federal-Reserve-Banken in 12 verschiedenen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten. Am 23. Mai 1933 erhob der Kongreßabgeordnete Louis T. McFadden auf Entlassung (Impeachment) zielende Anklagen gegen die Mitglieder der Federal Reserve: "Ich beschuldige sie einzeln und gemeinsam, daß sie die Nationalwährung der Vereinigten Staaten verworfen haben, damit deren Goldwert in die Hände von Privatinteressen überginge. Ich beschuldige sie, daß sie 1928 willkürlich und illegal von der amerikanischen Regierung mehr als 80 Milliarden Dollar entwendet haben, willkürlich und illegal den Zinsfuß erhöht und gesenkt sowie die im Umlauf befindliche Geldmenge zum Vorteil von Privatinteressen vergrößert oder verkleinert haben. Ich beschuldige sie, den Kursverfall an der New Yorker Börse verursacht zu haben. Ich beschuldige sie, insgeheim die Anrechte auf und die Kontrolle über die Finanzen der Vereinigten Staaten Ausländern und internationalen Kreditgebern übertragen zu haben. Ich beschuldige sie, falsche und irreführende Propaganda in der Absicht betrieben zu haben, das amerikanische Volk zu betrügen und den Verlust der Unabhängigkeit Amerikas zu veranlassen. Ich beschuldige sie des Verbrechens, verräterisch gegen den Frieden und die Sicherheit der Vereinigten Staaten und die Vernichtung ihrer verfassungsmäßigen Regierung konspiriert zu haben."

Der erzkonservative republikanische Senator Barry Goldwater schrieb in seinem Buch "Ohne Entschuldigung": "Scheint es dir nicht eigenartig, daß diese Männer zufällig auch den Council for Foreign Relations (Rat für Auswärtige Beziehungen) verkörpern, und genauso zufällig Mitglieder des Verwaltungsrats (Board of Governors) der Federal Reserve sind, der eine totale Kontrolle über das Geld und den Zinsfuß dieses Landes sowie einer Privatorganisation ausübt, die absolut nichts mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu tun hat?"

Nicht weniger erstaunlich als der Privatcharakter des Federal-Reserve-Systems - dieser gigantischen Noten-Emissionsbank der Vereinigten Staaten - ist der Schleier des Verschweigens, der diesen Umstand vor der Öffentlichkeit der USA verbirgt. Er wird nicht geleugnet, aber weder erwähnt noch in seinen Auswirkungen analysiert.

Dabei ist gerade hier eine Erklärung für die unglaubliche Währungsmanipulation zu suchen, die mit der Aufkündigung der Goldbindung des US-Dollars durch Präsident Richard Nixon im August 1971 einsetzte. Vorsitzende des "Fed" wie Arthur Burns in den 70er Jahren und dessen Protegé Alan Greenspan (1987-2006) nutzten ihre Allmacht über die Banknotenausgabe zu einer ungezügelten Geldvermehrung ohne Beispiel - und zwar ungeachtet der Inflationsgefahr und der Untergrabung des internationalen Vertrauens in die Kaufkraft und Stabilität der amerikanischen Währung. Ihre Nachfolger unter den Präsidenten George W. Bush und Barack Obama trieben und treiben den Wahnsinn auf die Spitze. Nutznießer waren und sind die Bankiers und die übrigen "Finanzdienstleister" der Wall Street, die Großaktionäre des "Fed".

Dr. Vera Butler, Melbourne


Sehr früh stieß die australische Ökonomin und Politikwissenschaftlerin Dr. Vera Butler aus Melbourne zum "RotFuchs"-Autorenkreis. Anläßlich des Internationalen Frauentages grüßen wir die inzwischen 83jährige Marxistin in besonders herzlicher Verbundenheit.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Weltwirtschaftskrise 1929 wurde von den USA-Banken ausgelöst. Sie stürzte Millionen Werktätige in die Arbeitslosigkeit. Unser Bild: Endlose Warteschlangen in den Straßen New Yorks

Ende RF-Extra

Raute

Wie sozialistische Ansätze in einer Reihe von Nationalstaaten systematisch zerschlagen wurden

Konterrevolutionen in der Dritten Welt

Bekanntlich ist die herrschende Meinung in "normalen Zeiten" immer die Meinung der politisch Herrschenden. Das bedeutet aber keineswegs den Verzicht auf den Einsatz der geballten Medienmacht mit ihren Manipulationsmöglichkeiten, um diese Herrschaft aufrechtzuerhalten. Auch damit ist ein totales Meinungsmonopol aber nicht zu erreichen. In wichtigen Fragen bleibt oftmals sogar eine Mehrheit der Bevölkerung bei differierenden Auffassungen. So lehnen z. B. trotz des hohen Propagandaaufwands der Herrschenden große Teile der Bevölkerung sowohl den Sozialabbau als auch die Kriegseinsätze der Bundeswehr ab. Es ist dem deutschen Imperialismus nicht gelungen, seine Beteiligung an der Afghanistan-Aggression den Menschen schmackhaft zu machen.

Das liegt einerseits daran, daß sich die meisten das Denken nicht völlig abgewöhnen lassen, hat aber auch etwas mit der Gegenöffentlichkeit zu tun. Marxistische Publikationen wie die Tageszeitung "junge Welt" und der "RotFuchs", die der Manipulation die Stirn bieten und ihren Lesern eine eigene Sicht ermöglichen, sind eine nicht zu unterschätzende Waffe.

Indes sollten neue Erfolge der Machthaber bei der Massenabrichtung die Linkskräfte in ihrer Gesamtheit alarmieren. Ein konkretes Beispiel: Während gegen den USA-Überfall auf Irak vor acht Jahren noch Hunderttausende unter der Losung "Kein Blut für Öl!" auf die Straße gingen, war der Widerstand gegen den NATO-Bombenterror, dem Libyen ausgesetzt wurde, von nur geringer Durchschlagskraft. Dabei hätte sich Saddam Hussein - verglichen mit Gaddafi - eigentlich für die Linke viel eher als Haßobjekt anbieten müssen. Immerhin hatte der Iraker in den 80er Jahren für den Westen einen blutigen Stellvertreterkrieg gegen Iran geführt, Kurden mit Giftgas erstickt und Kommunisten des eigenen Landes massakrieren lassen. Obwohl sich seine irakische Baath-Partei sozialistisch nannte, war Saddam niemals auch nur im entferntesten Sozialist. Er hatte das Land mit seinen Palästen überzogen und den Ölkonzernen lukrative Geschäfte ermöglicht, ohne Iraks Bodenschätze deren unkontrolliertem Zugriff auszuliefern.

Gaddafi verstand sich auf seine Weise als Sozialist, sicherte Libyen den Großteil der Öleinnahmen, nutzte diese zur Herbeiführung des höchsten Lebensstandards sowie zur Finanzierung des besten Gesundheits- und Bildungssystems in ganz Afrika. Auch im Hinblick auf die Emanzipation der Frauen und die Trennung von Staat und Religion war Libyen Schrittmacher im arabischen Raum. Gaddafi arrangierte sich allerdings nach einer frühen revolutionären Phase an der Seite Nassers mehr und mehr mit dem Imperialismus. Schändlich war, daß er die Abschottung des EU-Raumes gegen Hungerflüchtlinge aus Afrika übernahm.

Aufschlußreicherweise erweiterte die durch Lenin begründete III. Internationale den Kampfruf im von Marx und Engels formulierten Kommunistischen Manifest "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" um die Einfügung "... und unterdrückte Völker". Ein solches Bündnis war zunächst weit eher eine strategische Zielsetzung und eine Frage des revolutionären Bewußtseins als eine politische Realität, da der Kampf gegen den Klassenfeind und das Ringen der unterdrückten Völker um Unabhängigkeit vorerst getrennt und überwiegend nur im nationalen Rahmen stattfanden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg - nicht zuletzt auch infolge der Schwächung Großbritanniens und Frankreichs - brach der Kolonialismus als System zusammen, obwohl noch Kolonien fortbestanden. Diese befreiten sich wie im Falle Angolas und Moçambiques in teils blutigen Kämpfen und wurden zu jungen Nationalstaaten, welche schließlich sogar die Mehrheit in der UNO stellten. Die damals starke Position des sozialistischen Weltsystems eröffnete einstigen Kolonien eine nichtkapitalistische Perspektive. Zugleich gab es andere, die eine eigenständige Entwicklung unter kapitalistischen Vorzeichen anstrebten, die linken Kräfte rücksichtslos verfolgten und dennoch zu den imperialistischen Zentren auf Distanz gingen, um ihre Unabhängigkeit zu wahren. Hierzu gehörten Irak, Iran nach dem Sturz des Schahs, Ägypten unter Nasser, Syrien und zunächst auch Nehrus Indien. Die Führer wiederum anderer Staaten nutzten die gewonnene Unabhängigkeit dazu, sich aufs engste mit der imperialistischen Führungsmacht USA zu verbinden, die nationalen Reichtümer den Konzernen der ehemaligen Kolonialmächte auszuliefern, das eigene Volk auf barbarische Weise zu unterdrücken und sich an dem erhaltenen Judaslohn milliardenschwer zu bereichern.

Dieses Spektrum existierte auch noch am Beginn der Stagnationsperiode der UdSSR, verschob sich aber bald merklich weiter nach rechts. Ansätze zu einer sozialistischen Entwicklung wurden überall zerschlagen: in Chile, Nikaragua, Afghanistan und afrikanischen Ländern mit nichtkapitalistischer Orientierung wie Angola, Moçambique, Algerien und Äthiopien. Deren Führungen ließen vom Anspruch auf gesellschaftlichen Wandel ab und orientierten sich auf eine kapitalistische Perspektive.

Nach dem Untergang der UdSSR und der europäischen sozialistischen Staaten entfiel der Preis, den die Imperialisten an gewisse Politiker in Ländern der Dritten Welt dafür hatten zahlen müssen, daß sie sich bei der Verfolgung sozialistischer Konzepte zurückhielten. Gefühle der Dankbarkeit dafür, daß solche Staatschefs ihre Länder damals nicht enger mit dem Systemgegner verbanden, spielen in der imperialistischen Politik ohnehin keine Rolle. In letzter Zeit haben Regimewechsel die Form direkter militärischer Interventionen angenommen. Die Aggressionen gegen Irak, Afghanistan und Libyen sowie die immer bedrohlicher werdenden Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und Iran gehören zu den "Aufräumarbeiten" der neokolonialen Rückeroberer.

Imperialistische Aggressionen müssen "zu Hause" vermittelt werden. Das ist die Stunde der bürgerlichen Medien. Wie bei der Vorbereitung des Überfalls auf Irak, als USA-Präsident Bush die Erfindung von den angeblich in Bagdads Besitz befindlichen Massenvernichtungsmitteln ins Spiel brachte, um Widerstände im UN-Sicherheitsrat gegen eine Kriegsauslösung "unter Kontrolle zu bringen", versuchte man auch den Angriff auf Tripolis in ähnlicher Weise zu begründen. Plötzlich hatte der libysche "Übergangsrat" eine Meldung in die Welt gesetzt, auch Gaddafi arbeite an solchen Kampfstoffen.

Ähnlich verlaufen die Vorbereitungen für einen Überfall auf Iran, dem gleichfalls unterstellt wird, Atombomben produzieren zu wollen. Besonders beliebt ist die Methode, Teile der Bevölkerung mit den jeweiligen Machthabern zu konfrontieren. Wer gegen die Führung eines ins Fadenkreuz der Imperialisten geratenen Staates rebelliert, ist in der westlichen Propaganda ganz automatisch "die Bevölkerung". Spitzt sich der Konflikt weiter zu, verwandelt sich diese in "die Rebellen" oder "das Volk". Natürlich greifen solche Herrscher dann stets "friedliche Menschen" an, selbst dann, wenn die Verluste bei den Streitkräften kaum geringer als die der Aufständischen sind.

Dieser Heuchelei gilt es konsequent entgegenzutreten. Denn die Betreiber von Guantánamo dürften wohl die letzten sein, die anderen Menschenrechtsverstöße - wie schwerwiegend sie immer auch sein mögen - vorzuhalten haben, zumal die in der gültigen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen aufgeführten sozialen Menschenrechte in keinem einzigen Land der "westlichen Wertegemeinschaft" jemals respektiert worden sind.

Fritz Dittmar, Hamburg

Raute

Über Präsident Joseph Kabila schwebt ein Damoklesschwert

Ränkespiel um Kongo

Im Januar 1961 ging ein Bild um die Welt, das Schaudern machte. Es zeigte Kongos ersten Premier Patrice Lumumba - einen aufrechten Antiimperialisten - in der Gewalt seiner CIA-gelenkten Entführer nur Stunden vor der Ermordung in Katanga. Nach der formellen "Entlassung" des ressourcenreichen afrikanischen Landes aus belgischer Kolonialherrschaft hatte er den Kampf um wahre Unabhängigkeit Kongos beherzt aufgenommen. Das war sein Todesurteil.

Eine Schlüsselrolle im Komplott gegen Lumumba spielte ein gewisser Mobutu, der bereits am 14. September 1960 gegen den Regierungschef geputscht und anstelle des Kabinetts ein von ihm angeführtes "Kollegium der Kommissare" installiert hatte.

In diesem Kreis vom "Westen" ausgesuchter Marionetten wurde das Justizressort einem gewissen Tshisekedi übertragen. Der spielt seit jenen Tagen eine Schlüsselrolle im antikongolesischen Spiel der Neokolonialisten. Inzwischen 79, mischt er noch immer kräftig mit.

Aus den Anfang Dezember in der Demokratischen Republik Kongo abgehaltenen Wahlen ging mit Joseph Kabila abermals der Sohn des ebenfalls einem Mordkomplott zum Opfer gefallenen Präsidenten Laurent-Desiré Kabila als Sieger hervor. Sein Vater war einst von Che Guevara kontaktiert worden, der den mit Lumumbas Sache weiterhin verbundenen Kongolesen kubanische Hilfe in Aussicht zu stellen erwog. Doch die angedachte Kooperation zerschlug sich - vor allem wohl auch angesichts einer verworrenen Situation unter den völlig unerfahrenen Antiimperialisten Kongos.

Auf Joseph Kabilas Liste, die Kongos Linkskräfte einschließlich der erst 2010 gegründeten KP aktiv unterstützt hatten, entfielen nach einer am 9. Dezember bekanntgegebenen Mitteilung der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission (CENI) 48,95 % der in 60.417 Stimmlokalen abgegebenen Voten. Die Auszählung und Zusammenfassung aller Scheine in dem Europas territoriale Ausdehnung übersteigenden Land ohne Infrastruktur gestaltete sich äußerst kompliziert.

Auf Kabilas offen proimperialistischen, mit den reaktionärsten Kräften Kongos wie der Nachbarstaaten eng verbundenen Gegenspieler entfielen 32,33 % des Votums. Dieser aber war kein anderer als der den Lesern bereits bekannte Tshisekedi. Während in der CENI-Verkündung Joseph Kabila zum Wahlsieger erklärt worden war und auch dem alten wie neuen Präsidenten feindlich gesonnene Medien bei Betonung von "Unregelmäßigkeiten in der Provinz Shaba (Katanga)" nicht an dessen deutlichem Vorsprung von 3 Millionen Stimmen zu zweifeln wagten, gab sich Tshisekedi seinerseits als Gewinner aus. Er bezeichnete das bekanntgegebene Resultat als gefälscht, erklärte sich selbst zum Präsidenten und bat die "internationale Gemeinschaft" - gemeint waren seine imperialistischen Schirmherren - darum, "eine Lösung für das Problem zu finden". Daß er dabei die eine oder andere Form einer westlichen Intervention zur Ausschaltung Kabilas im Auge hatte, versteht sich von selbst. Die im Ergebnis der Wahlen und des später zuungunsten Kabilas korrigierten Endresultats entstandene Konstellation liefert den "Freunden Kongos" exzellente Vorwände, sich einmal mehr in die inneren Angelegenheiten des großen afrikanischen Landes einzumischen. Kabilas Popularität hat angesichts seiner offenkundigen Initiativlosigkeit während der ersten Wahlperiode keineswegs zugenommen.

Die Gefahr, daß Tshisekedi an die Macht zurückkehren könnte, schwebt zumindest nach wie vor als Damoklesschwert über der DR Kongo. Für die Kabila weiterhin unterstützende kongolesische Linke, zu der auch Lumumbas einstiger Vizepremier Antoine Gizenga gehört, ist das eine große Belastung.

Man muß in Betracht ziehen, daß die Gegenspieler des Präsidenten dessen offenkundige Führungsschwäche und die äußerst labile politisch-ökonomische Situation Kongos als Argumente zu ihren Gunsten nutzen dürften. In einem Land, das eigentlich eines Straßennetzes mit einer Gesamtlänge von 150.000 km bedürfte, wurden innerhalb der letzten fünf Jahre nur 7000 km gebaut, was allerdings bereits eine annähernde Verdopplung bedeutet.

Als "Erfolg" Kinshasas wird die Erhöhung der jährlichen Staatseinnahmen um 400 % gewertet. Diese belaufen sich jetzt auf 51 Dollar pro Kopf der Bevölkerung, wovon die Verwaltung, die Armee, die Polizei, die Justiz, das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie die übrige Infrastruktur zu finanzieren sind.

In Gestalt Tshisekedis steht den Linkskräften der DR Kongo ein außergewöhnlich erfahrener und skrupelloser Kontrahent gegenüber. Nach Mobutus zweitem Staatsstreich - er installierte 1965 seine 20 Jahre währende Diktatur - war Kabilas heutiger Kontrahent zunächst Innenminister, bevor er andere Ressorts übernahm. Zwei Jahrzehnte spielte Tshisekedi eine Schlüsselrolle in Mobutus Einheitspartei MPR, bis er sich, als dessen Stern zu sinken begann, mit dem Diktator auf westliche Anweisung hin überwarf und seine eigene UDPS gründete. Zwischen 1991 und 1996 fand dann ein Spiel mit verteilten Rollen statt. Mobutu blieb Präsident, Tshisekedi agierte als Premier dreier nur kurze Zeit bestehender Regierungen.

Als der linksgerichtete Laurent-Desiré Kabila dann im Oktober 1996 zum Endkampf gegen Mobuto antrat, eilte diesem der UDPS-Führer zu Hilfe. In imperialistischer Regie wurden die Nachbarstaaten Rwanda und Uganda eingeschaltet, um Kabila zu isolieren und eine "Regierung der nationalen Einheit" westlicher Machart zu etablieren. Nach einer kurzen Phase der Zurückhaltung erschien Tshisekedi dann 2006 wieder auf Kinshasas politischer Bühne, um zum Boykott des Verfassungsreferendums und der Präsidentschaftswahlen aufzurufen. Jetzt gibt er sich im Auftrag und mit Unterstützung der "westlichen Allianz" trotz seiner Niederlage als "gewählter und rechtmäßiger" Präsident aus, um den auf eine engere Zusammenarbeit mit Rußland, China, Indien und Brasilien bedachten Sohn Laurent Kabilas doch noch aus dem Kahn zu stoßen.

RF, gestützt auf Berichte des Kongo-Spezialisten Tony Busselen in "Solidaire", Brüssel


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Kongos erster Premierminister Patrice Lumumba (rechts), Jugendminister Mpolo (links) und Senatsvizepräsident Joseph Okito kurz vor ihrer Ermordung in Katanga

Raute

Ärzte der PTB schufen vor über 40 Jahren das gebührenfreie Betreuungsprojekt "Medizin für das Volk"

Großtat belgischer Kommunisten

Im Herbst 1971 ergriffen die jungen belgischen Ärzte Kris Merckx und Michel Leyers - zwei überzeugte Kommunisten der heutigen PTB - in Hoboken bei Antwerpen die Initiative für ein waghalsiges Projekt. Sie nannten ihr Vorhaben "Medecin pour le Peuple" - kurz MPLP. Auf Deutsch: Medizin für das Volk. Was damals nicht viel mehr als der kühne Traum einer Handvoll linker Enthusiasten war, hat sich inzwischen längst materialisiert: Heute arbeiten über 50 Ärzte, Fachkräfte des mittleren medizinischen Personals, Krankenschwestern und Pfleger sowie 60 Verwaltungsangestellte in elf über das ganze Land verteilten Ärztehäusern. Damit die mehr als 25.000 Patienten ohne jede Zuzahlung unentgeltlich betreut werden können, stützt sich das MPLP-Netzwerk auf eine Anzahl ständiger Mäzene, während die Personalkosten aus dem staatlichen Gesundheitsbudget beglichen werden. Das aber reicht nur für eine - gemessen an belgischen Bezügen in dieser Berufsgruppe - sehr bescheidene Vergütung.

Unter der Devise "Dem Volke dienen!" wurde vor 40 Jahren die erste schwere Etappe in Angriff genommen. Kris Merckx und Michel Leyers suchten damals noch die Schiffbauer der Hobokener Cockwill Yards an den Werfttoren auf, um sich mit deren Kämpfen zu solidarisieren. Drei Jahre später war die Lage bereits umgekehrt: Proletarische Patienten verteidigten das erste medizinische Zentrum der MPLP gegen die wütenden Attacken des reaktionären Ärzteordens, der die Verfechter kostenfreier Betreuung nicht nur des "illoyalen Verhaltens" bezichtigte, sondern auch andere - darunter juristische - Mittel gegen sie bereithielt. Es sei leichter, Feuer und Wasser miteinander zu vermischen, als den Orden und die MPLP, konstatierte das Brüsseler Wochenblatt "Solidaire": Bei dem ersten drehe sich alles um die Ärzte - besonders die Spezialisten unter ihnen - und deren Bezüge. Im zweiten Falle hingegen sei die Motivation "Erst die Menschen, dann der Profit".

Überdies gab es noch einen gravierenden Konfliktstoff: Der Orden konnte sich nämlich nicht damit abfinden, daß die eigentliche Arbeit der "Genossen Ärzte" beim Verlassen der Praxis erst begann. Sie kümmerten sich um tausend Dinge, von denen Wohlbefinden oder Siechtum ihrer Patienten abhingen, schalteten sich - häufig auch in ihrer Eigenschaft als inzwischen gewählte Abgeordnete kommunaler Parlamente - überall ein, wo es Mißstände zu beheben galt. Sie sorgten für eine Verbesserung der Wohnverhältnisse oder für sauberes Trinkwasser, widersetzten sich der Schließung eines städtischen Schwimmbads, traten für Immigranten "sans papiers" - ohne gültige Aufenthaltserlaubnis - ein, von denen es in Belgien Hunderttausende gibt, veranlaßten die Aufhebung der Gebühren für einen städtischen Parkplatz und fochten harte Kämpfe für die Erstattung von Medikamentenzuzahlungen aus.

Eng mit Belgiens Partei der Arbeit (PTB/PvdA) verbunden, errang die MPLP-Bewegung - eine zunehmend beachtete politisch-soziale Kraft - besonders durch das als "Kiwi"-Kampagne bekanntgewordene Engagement ihres Präsidenten Dr. Dirk van Duppen für eine drastische Herabsetzung in Belgien besonders überhöhter Medikamentenpreise bei den Werktätigen hohes Ansehen. Der auch in Gewerkschaftskreisen sehr angesehene "Arzt des Volkes" stellte einen internationalen Kostenvergleich z. B. mit dem Kiwi-Großexporteur Neuseeland an und konnte bei vielen Medikamenten erhebliche Preisreduzierungen durchsetzen. Zwei Beispiele mögen das illustrieren: Aspirin wurde auf ein Viertel des ursprünglich Geforderten gesenkt, Paracetamol auf ein Fünftel herabgesetzt.

Natürlich hat Belgiens die Interessen des medizinisch-pharmazeutischen Komplexes vertretender Ärzteorden seinen Drang zur Liquidierung der MPLP nicht aufgegeben. Im Vorjahr versuchte er bei Dr. Sofie Merckx, der Tochter des Begründers der medizinischen Zentren, in deren Praxis in Marcinelle eine Mobiliarpfändung durchführen zu lassen. Dieser Angriff wurde durch die energische Gegenwehr von Patienten abgeschlagen. Überhaupt spielen ständige Geldforderungen dieses exklusiven Klubs der Bosse des Gesundheitsbusineß eine große Rolle.

Trotz aller Schikanen und Diffamierungen hat sich die MPLP in Belgien behauptet und großes Ansehen erworben. "In den 70er Jahren beschloß eine Handvoll junger kommunistischer Ärzte, eine Gegenströmung zur Allmacht des Kapitals und der kommerzialisierten Medizin ins Leben zu rufen, und hat damit in ihren Praxen 'kleine Oasen des Sozialismus' geschaffen", würdigte Prof. Anne Morelli von der Freien Universität Brüssel das verdienstvolle Wirken dieser wahrhaftigen Volksärzte. "Ich versichere Dich meiner vollsten Sympathie - nur Mut!" schrieb Paul Maguette, Belgiens früherer Minister für Umwelt und Energie, an Sofie Merckx.

"Es ist der Patient, der bei der MPLP im Mittelpunkt steht", versicherte Marc Justaert, Nationalpräsident der Christlichen Gemeinnützigkeitsbewegung, und Rudi Deleenk, Präsident der Gewerkschaftsdachorganisation FGTB, verwies darauf, daß nicht wenige Mitglieder seines Verbandes Patienten der MPLP-Ärztehäuser seien. "Auch wenn ich bisweilen mit Eurem ideologischen und strategischen Plan nicht übereinstimme, muß man anerkennen, daß die Gesellschaft ohne die MPLP viel härter und ungerechter wäre!"

Bravo, belgische Genossen!

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Die Farce vom US-"Truppenabzug" aus Irak

Schon vor geraumer Zeit hatte US-Präsident Barack Obama den "kompletten Abzug" der amerikanischen Truppen nach achtjähriger Okkupation aus Irak angekündigt. Am 21. Oktober sprach er von "den letzten Einheiten", die das arabische Land verlassen würden. Ende 2011 soll es tatsächlich passiert sein.

Was stimmt daran, und was ist gelogen? Man kommt der Wahrheit wohl näher, wenn man sich vor Augen führt, was US-Außenministerin Hillary Clinton zu diesem Thema verlauten ließ: "Wir werden eine wichtige Präsenz in der Region aufrechterhalten und unser ständiges Engagement im Hinblick auf die Zukunft Iraks wie der ganzen Region unter Beweis stellen."

Tatsache ist, daß Washingtons Bagdader Botschaft die bei weitem größte USA-Mission in der Welt ist. Dort verrichten derzeit rund 16.000 Personen ihren vermutlich nicht gerade sehr diplomatischen Dienst. US-Botschafter James Jeffrey verfügt 2012 über ein Budget von 6,5 Milliarden Dollar. Der Fläche nach entspricht das Gelände der USA-Vertretung etwa der Größe des Vatikanstaates. Eine ständige Stationierung "geeigneter amerikanischer Kräfte" in Irak ist garantiert, berichtete die rechtskonservative Fernsehkette Fox News. Überdies stünden weitere 5500 "Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen" zur Verfügung, um USA-Bürger landesweit zu schützen.

Inzwischen ist ganz Bagdad mit einer massiven Mauer aus Beton umgeben. Über acht mittelalterlich anmutende Tore werden Betreten und Verlassen der irakischen Hauptstadt geregelt. Der Bau dieser "Umzäunung" begann im Mai 2010 und wurde im Juli 2011 abgeschlossen.

US-Kriegsminister Leon Panetta bestätigte unlängst, das Pentagon habe derzeit 40.000 gut ausgebildete Soldaten und Offiziere in der Region stationiert, davon allein 23.000 in Kuweit. Die militärische Zusammenarbeit mit Saudi Arabien, Kuweit, Bahrein, Qatar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Oman werde systematisch ausgeweitet, so daß der Truppenabzug aus Irak keine Verminderung der USA-Präsenz zur Folge habe.

Das irakische Volk hat für die amerikanische Invasion, deren angebliche Notwendigkeit Präsident George W. Bush bekanntlich im UN-Sicherheitsrat und vor dem eigenen Volk mit der Lüge begründete, Bagdad verfüge über dann niemals aufgefundene Massenvernichtungswaffen, einen überaus hohen Preis gezahlt. Kamen bereits beim ersten Golfkrieg im Jahre 2003 mehr als 100.000 Iraker ums Leben, während 4,4 Millionen Menschen fliehen mußten, so hinterließ die zweite Aggression der USA (2007) nahezu 5 Millionen Waisen und zwischen 1 und 2 Millionen Witwen.

Übrigens haben 468 auf diesen Kriegsschauplatz entsandte amerikanische GIs aus Verzweiflung oder auf Grund traumatischer Erlebnisse Selbstmord begangen, während "nur" 462 dort gefallen sind. Auch dieses Detail spricht Bände.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Ein mutiges Blatt australischer Unitarier

Zu jenen Publikationen aus aller Welt, die unsere Redaktion regelmäßig erreichen, zählt inzwischen auch "the Beacon" (Leuchtfeuer) - ein eindrucksvoll gestaltetes und alle zwei Monate erscheinendes Journal der Unitarian Peace Memorial Church im australischen Melbourne. Einer der Redakteure hatte uns den Vorschlag unterbreitet, beide Zeitschriften freundschaftlich auszutauschen.

Zunächst ein Wort zu den Unitariern, die in den USA und anderswo über zahlreiche Anhänger verfügen. Bei dieser Glaubensgemeinschaft, die zu einer historischen Interpretation der Christus-Legende tendiert, handelt es sich mehrheitlich um Verfechter klar umrissener sozialer Ziele, vor allem aber um entschiedene Kriegsgegner. "Die Wahrheit suchen und der Menschheit dienen", heißt das Motto unserer Freunde von der Melbourner Friedens-Gedächtniskirche. Die hier reproduzierte Titelseite des "Beacon" steht unter der Schlagzeile "Wir sagen nein zu ausländischen Truppen, fremden Stützpunkten und Kriegsspielen!"

Damit distanziert sich das Blatt der Unitarier des fünften Kontinents nachdrücklich von der Forderung des USA-Präsidenten Barack Obama, der im vergangenen Herbst Australien besucht und vor dem Bundesparlament erklärt hatte: "Wir sind zwei pazifische Nationen ... und ich möchte hier klarmachen, daß die Vereinigten Staaten ihr Engagement für den gesamten pazifischen Raum aufstocken werden ... Unsere Allianz ist unverzichtbar." "the Beacon" wandte sich gegen die Entscheidung der Regierung Australiens, einer weiteren Anhebung der US-Truppenstärke im Lande und der Errichtung zusätzlicher Militärbasen der Amerikaner zuzustimmen. Beides zu erreichen war nach Berichten der bürgerlichen Medien Hauptzweck der in leuchtenden Farben dargestellten Visite Obamas gewesen.

"Es liegt nicht in unserem Interesse, in einen Krieg in Afghanistan verstrickt zu werden, der ja offiziell gar kein 'wirklicher Krieg' ist, obwohl er Menschen gnadenlos mordet und verkrüppelt", schrieb "the Beacon". Bis Ende 2008 hätten die Amerikaner in Afghanistan und Irak insgesamt 900 Milliarden Dollar verpulvert - einschließlich der fortdauernden Betreuungskosten für 33.000 verwundete oder traumatisiert zurückgekehrte US-Soldaten. Im Jahr 2009 habe der US-Militärhaushalt 40 % der Welt-Rüstungsausgaben - das Sechsfache der Verteidigungsaufwendungen der Volksrepublik China - betragen. "the Beacon" hält mit den Worten dagegen: "Die Unitarier auf der ganzen Erde sind tief besorgt über den Pfad der Gewalt, auf dem wir vorangetrieben werden. In der Melbourner Kirche stellen wir uns gegen aufeinanderfolgende Kriege, die unter dem Deckmantel des 'Exports der Demokratie' und der 'Bekämpfung des Terrorismus' vom Zaun gebrochen werden, während es in Wirklichkeit um die Suche nach neuen Einflußsphären und die Kontrolle über die Bodenschätze anderer Länder geht. Wir wollen ein unabhängiges Australien, das die Rechte aller Nationen auf Selbstbestimmung respektiert."

Diese aufrechte Haltung australischer Christen veranlaßt uns als deutsche Kommunisten und Sozialisten, den Freunden aus der Unitarischen Kirche Melbournes und ihrem "Leuchtfeuer" Gefühle aufrichtiger Wertschätzung entgegenzubringen.    RF

Raute

Wie Chiles Präsident Allende für die Unidad Popular in den Tod ging

Am 11. September 1973 fand in Chile, wo zwei Jahre zuvor Sozialisten, Kommunisten und andere im Linksbündnis der Unidad Popular vereinte fortschrittliche Demokraten unter der Führung Dr. Salvador Allendes die Regierungsgewalt übernommen hatten, ein CIA-gesteuerter Putsch statt. Er führte zur Errichtung einer faschistischen Schreckensherrschaft, die sich mit dem Namen Augusto Pinochets verband.

Das in Sydney erscheinende kommunistische Wochenblatt "The Guardian" interviewte im vergangenen Jahr den eine weltweite Vortragsreise unternehmenden Leibarzt Präsident Allendes, Dr. José Quiroga. Die Faschisten, in deren Hände der Kardiologe gefallen war, wandten auch bei ihm die gefürchtete "Verhör"-Methode des Water Boarding an, bei der ein Gefangener bis zur Erstickungsgrenze unter Wasser gedrückt wird. Der Mediziner befand sich an jenem Tage in der Moneda, dem Santiagoer Amtssitz des Präsidenten, und wurde dort von putschenden Militärs verhaftet. Heute setzt sich der seit 1977 in den Vereinigten Staaten lebende Mediziner für die Nachbehandlung traumatisierter Überlebender des Pinochet-Terrors ein.

Am frühen Morgen des 11. September habe er erfahren, daß ein Putsch gegen die Regierung seines Patienten Salvador Allende, des Präsidenten der Republik, angelaufen sei, berichtete Dr. Quiroga. Daraufhin habe er sich sofort zur Moneda begeben. Nachdem er eingelassen worden sei, habe er die Räume des Medizinischen Dienstes aufgesucht, der den schwer herzkranken Staats- und Regierungschef ständig betreute. Zu dieser Stunde - etwa gegen 10 Uhr vormittags - befanden sich noch zahlreiche Personen in dem weitläufigen Gebäude. In ihrer Mitte sah man Präsident Allende, der sich einen Stahlhelm aufgesetzt hatte und eine Maschinenpistole bei sich führte, welche ihm Kubas Revolutionsführer Fidel Castro geschenkt hatte. Allende, den einige seiner Leibwächter umgaben, rief alle Anwesenden für einen Augenblick zu sich. "Ich bin in den Regierungspalast gekommen, um die Demokratie zu verteidigen. Ich werde hier bleiben", sagte er zu den Versammelten.

Dr. Quiroga erinnert sich daran, daß Allende alle, die keine Waffen besaßen oder nicht mit ihnen umgehen konnten, sowie sämtliche weiblichen Mitarbeiter ersuchte, die Moneda unverzüglich zu verlassen. Während viele dieser Aufforderung Folge leisteten, seien etwa 80 Personen im Palast geblieben, darunter auch fünf Ärzte und die Töchter des Präsidenten. Die Polizisten hätten sich zurückgezogen, doch zivil gekleidete Sicherheitskräfte an Allendes Seite ausgeharrt. Schon bald begann der militärische Angriff. Es gelang Allende, noch mehrere kurze Rundfunkansprachen zu halten, bevor die Stromversorgung abgeschaltet wurde.

Die Putschisten forderten alle im Gebäude Befindlichen auf, sich zu ergeben, was diese zunächst ablehnten. Kurz darauf wurde Tränengas gegen die Getreuen des Präsidenten eingesetzt. Die wenigen Masken reichten zum Schutz gegen die Reizchemikalie nicht aus.

Am Mittag begann der Angriff aus der Luft. Die beteiligten Maschinen rasten im Tiefflug über die Moneda hinweg. Die erste Rakete traf den 2. Stock, wo sich Allende aufhielt. Feuer brach aus, erstickender Qualm durchzog die Räume. Um 14 Uhr entschied der Präsident, daß eine Kapitulation unter den entstandenen Bedingungen unausweichlich sei.

Dr. Quiroga begab sich mit Salvador Allende in das Ärztezimmer. In diesem Moment durchsiebten Schüsse das ganze Haus, so daß sich alle zu Boden werfen mußten. "Ich stieß auf Olivares, einen der engsten Freunde des Präsidenten. Er hatte sich in den Kopf geschossen, so daß jede Hilfe zu spät kam", berichtete der Arzt. Im 2. Stock deutete unterdessen ein herausgehängtes weißes Tuch die Bereitschaft zur Aufgabe an. Das Militär drang sofort in den Palast ein. In der Eingangshalle nahmen Offiziere eine Gruppe von Mitarbeitern des Präsidenten fest. Dann stürmten sie die Treppen empor. In der Nähe des "Raumes der Unabhängigkeit" befand sich Allende auf einem der Korridore. Bevor die Putschisten ihn erreichen konnten, hatte er den Raum betreten und die Tür hinter sich geschlossen. Drei Ärzte - darunter Dr. Quiroga - und der Chef der Leibwache befanden sich in der Nähe. Als Dr. Guijón die Tür öffnete, sah er Allende mit starrem Blick. Der Präsident war tot. Guijon nahm die Waffe Allendes an sich und sagte, er habe sich selbst getötet. In unmittelbarer Nähe befanden sich keine Militärs. Sie erschienen erst später.

"Das ist es, was ich gesehen habe", schloß Dr. Quiroga seinen Bericht.

Am 28. September 1973 sprach Fidel Castro davon, Chiles Präsident Allende sei von Offizieren ermordet worden. Das stimmte in jedem Falle, denn ohne den faschistischen Putsch Pinochets wäre das Leben des herausragende Parteiführers und Staatsmannes nicht so zu Ende gegangen. Doch Dr. Quiroga erwähnte auch "irreguläre Ergebnisse einer bald darauf erfolgten Autopsie". Sie deuteten darauf hin, daß an jenem Tag noch ein zweiter Schuß abgegeben worden sein mußte, allerdings nicht aus der MPi des Präsidenten.

Eine im Sommer 2011 auf Verlangen der Familie erfolgte erneute Untersuchung der sterblichen Reste Allendes sei sehr professionell verlaufen, sagte Dr. Quiroga. Die Schlußfolgerung des Pathologen lautete: "Suizid infolge eines Staatsstreiches". Allendes Familie akzeptierte das Ergebnis und gab die Erklärung ab: "Er verteidigte die Demokratie, als er wußte, daß es unmöglich war, zu gewinnen. Der festgestellte Freitod mindert seine Verdienste in keiner Weise."

In den Jahren seiner Existenz beging das faschistische Pinochet-Regime Greuel ohne Ende. Der General, der ursprünglich gar nicht zum Kern der Verschwörer gehört habe, sei von den USA-Hintermännern des Komplotts davon "überzeugt" worden, sich beim Putsch an die Spitze zu stellen, heißt es. Der Terror raste: Über 60.000 Antifaschisten wurden verhaftet und in den Gefängnissen qualvollen Torturen unterworfen. Viele fanden den Tod.

In einem Falle wendete man die CIA-"Erfahrungen" beim Water Boarding des Gefangenen nicht weniger als 183 Mal an. Im US-"Gefangenenlager" Guantánamo gehörte diese Folter während der Präsidentschaft des Kriegsverbrechers George W. Bush zu den gängigsten Verhörmethoden.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Präsident Allende mit seinen Genossen am 11. September 1973 in der Moneda von Santiago de Chile

Raute

"Prawda": Rosoboron exportiert nach Kuba

Wie die "Prawda" berichtete, hat Rosoboron-Export - der russische Hauptlieferant für Rüstungsgüter - mit einem Handelspartner in Havanna den Verkauf einer kompletten Produktionsstrecke zur Herstellung von Handfeuerwaffen-Munition vertraglich vereinbart. Das Exportgeschäft erfolgte auf der Grundlage eines Beschlusses der russischen Regierung, kommerzielle Exporte für Kubas Landesverteidigung zu gestatten.

Die "Prawda" erfuhr, daß der kubanische Wunsch nach Abschluß entsprechender Verträge mit Moskau im Ergebnis der Besichtigung einer 2006 von russischen Firmen in Venezuela errichteten Munitionsfabrik durch eine Delegation aus Havanna geäußert worden sei. Die daraufhin vereinbarten Gespräche hätten zu dem Ergebnis geführt, daß Kuba die Lizenz und die Technologie zur Herstellung von Munition für Sturmgewehre in seinem Verteidigungskomplex "Ernesto Che Guevara" gewährt worden sei.

Kuba hatte Ende der 70er Jahre mit sowjetischer Hilfe die Waffenproduktion zur Verteidigung des von den USA permanent bedrohten und massivem Wirtschaftsboykott ausgesetzten sozialistischen Inselstaates aufgenommen. Von den 60er bis in die 90er Jahre gehörte das Land zu den größten Beziehern von in der UdSSR hergestellter Kampftechnik.

Zu jener Zeit bestanden auf Kuba sowjetische Militärobjekte und Ausbildungslager. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR löste Moskau nicht nur das Trainingszentrum für kubanische Bodentruppen auf, sondern schloß 2001 auch seine Radarstation - die einzige, die es in der westlichen Hemisphäre unterhielt.

Die Sowjetunion belieferte Kuba ab 1961 mit Panzern der Typen T-55 und T-66, gepanzerten Fahrzeugen, Luftverteidigungssystemen, Flugzeugen der Typen MIG 21, MIG 23 und MIG 29, Hubschraubern, U-Booten, Kampfschiffen und Torpedobooten, Handfeuerwaffen und Ausrüstungen für das militärische Nachrichtenwesen. Die Waffentechnik jener Zeit ist inzwischen veraltet und bedürfte dringend der Modernisierung. Angesichts enger finanzieller Grenzen beschränkt sich Havanna zunächst auf die Ersetzung bestimmter Munitionstypen. Die Eiszeit in den Beziehungen zwischen Rußland und Kuba begann vor einigen Jahren einer gewissen Erwärmung zu weichen.

Nachdem der kubanische Außenminister Felipe Perez Roque im November 2008 in Moskau empfangen worden war, stattete der russische Präsident Dmitri Medwedjew nur zwei Wochen später Kuba einen offiziellen Besuch ab. Zu Jahresbeginn 2009 weilte dann Präsident Raúl Castro in der russischen Hauptstadt. Die ersten Schritte zur Wiederaufnahme einer gewissen Kooperation beider Staaten auch in militärischer Hinsicht treffen in Washington einen empfindlichen Nerv. Denn nach wie vor besteht das von den USA über Kuba verhängte Handelsembargo, ist das berüchtigte Helms-Burton-Gesetz von 1966 in Kraft, das einschneidende Zwangsmittel gegen ausländische Firmen vorsieht, die mit Kuba zusammenarbeiten. Erst im September 2011 hat Präsident Obama die antikubanischen Wirtschaftssanktionen um ein weiteres Jahr verlängert.

Ob Washington es wagt, auch Rußland in die Schranken zu weisen, bleibt indes abzuwarten.

RF, gestützt auf "Prawda", Moskau

Raute

General Oreschko zur Ausstattung der NVA

Die auf dem Büchermarkt bereits vorhandenen zahlreichen Publikationen über die Ost-West-Konfrontation nach dem 2. Weltkrieg wurden nun durch eine bemerkenswerte Neuerscheinung zu Fragen der Militärökonomie und Militärtechnik ergänzt.

Ihr Autor ist Generalmajor a.D. Dr. Johannes Oreschko, langjähriger Chef des materiellen Planungsorgans im Ministerium für Nationale Verteidigung der DDR. Sein Buch enthält aufschlußreiche Aussagen zu den Aufwendungen für Bewaffnung und militärische Ausrüstung der Nationalen Volksarmee. Vergleiche zwischen den für NVA und Bundeswehr entstandenen Kosten und deren Effizienz sowie weiteren ökonomischen und technischen Fragen führen zu interessanten Resultaten.

An Hand eigener Erfahrungen und historischer Fakten beschreibt General Oreschko die Hintergründe und Phasen der Konfrontation zwischen den beiden Machtblöcken NATO und Warschauer Vertrag. Dabei wird deutlich, daß die politisch-militärische Strategie, die konkrete Aufgabenstellung und weitere davon abgeleitete Maßnahmen durch die beiden Hauptmächte der sich feindlich gegenüberstehenden Bündnisse - die UdSSR und die USA - bestimmt wurden.

Der Autor schildert die vielfältigen und teilweise sehr komplizierten materiellen Planungsprozesse. Erstmals werden auch detaillierte Mengenangaben und Wertgrößen für die verschiedenen Waffenarten und weiteren Ausrüstungen geliefert. Ihre Aufnahme in die speziellen Pläne erforderte oft zähe Auseinandersetzungen, da teilweise überzogene Bedarfsforderungen mit den materiellen und finanziellen Möglichkeiten in Einklang gebracht werden mußten. Ausführlich beleuchtet werden auch die vielfältigen Beziehungen zu den Organen der Volkswirtschaft - angefangen von der Staatlichen Plankommission über die Fachministerien bis zu den Kombinaten und Betrieben der DDR.

Johannes Oreschko gewährt Einblicke in die militärische und ökonomische Zusammenarbeit der Staaten des Warschauer Vertrages, speziell im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Sie bewährte sich insgesamt, wobei für durch objektive und subjektive Faktoren verursachte Probleme im Wege kameradschaftlicher Verhandlungen meist Lösungen oder zumindest Kompromisse gefunden wurden.

Die sensible Problematik der Planungen für den Verteidigungszustand wird sehr nüchtern dargelegt. Deren Hauptziel bestand darin, den potentiell jederzeit aggressionsbereiten Gegner durch eine ebenso umfassende wie wirksame Abwehrbereitschaft an der Verwirklichung seiner Absichten zu hindern.

Unvergeßliche Erlebnisse beschreibt der Autor im Zusammenhang mit seiner Einbindung in die militärische Unterstützung einiger ebenfalls von der Blockkonfrontation betroffenen junger afrikanischer und asiatischer Nationalstaaten.

Da er trotz aller Sachbezogenheit stets die Verbindung zu seinen persönlichen Erfahrungen und Erkenntnissen herstellt, schließt General Oreschko mit seiner Veröffentlichung nicht nur eine Lücke in der Fachliteratur über die NVA, sondern verschafft dem Leser lebendige Einblicke in die Arbeit des Ministeriums für Nationale Verteidigung und weiterer Staatsorgane der DDR.

Die Verflechtung von Sachbuch und Autobiographie erscheint trotz des Verzichts auf durchgehend chronologische Abläufe im Ganzen gelungen. Beeindruckend sind die als Rückblenden eingefügten Erinnerungen an Kindheit und Jugend in Faschismus und Krieg sowie die nachfolgende Berufsausbildung und das Studium unter neuen gesellschaftlichen Verhältnissen, welche den politischen Werdegang und die Lebensentscheidung des Sohnes einer kinderreichen Landarbeiterfamilie begründeten.

General Oreschkos Buch dürfte vor allem von jenen begrüßt werden, die wie der Autor selbst ihre ganze Kraft für eine gesellschaftliche Ordnung ohne Ausbeutung, persönliche Erniedrigung und menschliche Kälte einsetzten und ihren Überzeugungen bis heute treu geblieben sind.

Ursula Münch, Strausberg


Johannes Oreschko: Im Kalten Krieg - Ein General der Nationalen Volksarmee erinnert sich.
Verlag am Park/edition ost, Berlin 2011, 244 Seiten, 16,90 €, ISBN 978-3-89793-265-4

Raute

Kein lebensferner Denker: Freundschaften, Flirts und Amouren

Goethes Frauen

Zu Goethes Zeiten gab es weder aufmüpfig-sensationsheischende Gazetten für eine feminine Leserschaft noch Horden brutaler Paparazzis.

Erst 1899 erschien in Paris die erste und zunächst auch einzige Frauenzeitung der Welt, die "Fronde". Es handelte sich um ein Blatt besonderer Art - nur von Frauen geleitet, geschrieben und sogar gedruckt.

Madame Marguerite Durand, Gründerin und Inhaberin der "Fronde", durchbrach das geltende Recht von 1892, wonach Frauen nur 60 Mal im Jahr Nachtarbeit gestattet worden war. "Die Setzerinnen arbeiteten dort 10 Stunden von 4 Uhr nachmittags bis 2 Uhr nachts", hieß es in einem Bericht der Zeitschrift "Die Woche" vom April 1900.

Es war die Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung in Leipzig, die vor 100 Jahren den Wagemut besaß, des Dichters Hang zur Weiblichkeit tiefer zu ergründen und in Form des Goethe-Kalenders 1912 der Öffentlichkeit preiszugeben.

In jenem Jahr sank die "Titanic" (15. April), erschien erstmals die "Prawda" (5. Mai), erhielt Gerhart Hauptmann den Nobelpreis (15. November) und inszenierte Richard Strauß seine Oper "Ariadne auf Naxos" (25. Oktober), in der die Treue-Thematik im Mittelpunkt stand.

Wie verhielt es sich damit bei Johann Wolfgang von Goethe? Auf diese Frage gibt der Kalender keine präzise Antwort, obgleich nicht weniger als 40 Frauen namentlich benannt sind, darunter aber auch seine Mutter - Frau Rat - und Schwester Cornelia; zweimal eine engelhafte Angelika, dreimal Caroline und viermal die tüchtige Charlotte. "Meine Mutter, von Natur sehr lebhaft und heiter. Das Gemüt der guten, innerlich niemals unbeschäftigten Frau wollte auch einiges Interesse finden, und das höchste begegnete ihr in der Religion, das sie um so lieber ergriff, als ihre vorzüglichsten Freundinnen gebildete und herzliche Gottesverehrerinnen waren", bemerkte Goethe.

Das Verhältnis zu seiner einzigen Schwester schildert Bettina von Brentano: "Zu der kleinen Schwester Cornelia hatte er, da sie noch in der Wiege lag, schon die zärtlichste Zuneigung, er steckte heimlich Brod in die Tasche und stopfte es dem Kinde in den Mund, wenn es schrie, wollte man es wieder nehmen, so ward er gewaltig zornig, kletterte an den Leuten hinauf und raufte ihnen die Haare aus; er war überhaupt vielmehr zum Zürnen wie zum Weinen zu bringen."

Sein jugendlicher Schwarm war Gretchen Wagner. Er bekennt: "Die Gestalt dieses Mädchens verfolgte mich von dem Augenblick an auf allen Wegen und Stegen; es war der erste bleibende Eindruck, den ein weibliches Wesen auf mich gemacht hatte, und da ich einen Vorwand sie im Hause zu sehen weder finden konnte noch suchen mochte, ging ich ihr zu Liebe in die Kirche."

Der herangereifte, nun etwa 20jährige Jüngling erwarb als Student durch seine vielseitigen Tätigkeiten die Zuneigung immer wieder anderer Frauen - so Käthchen Schönkops. Er nahm sie in seinen "Schrein des Herzens" auf, wie er im Werk "Dichtung und Wahrheit" gestand.

In Sturm-und-Drang-Zeiten faszinierte ihn das Pfarrerstöchterlein Friederike Brion aus Sesenheim: "Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte, schritt sie, und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in der Luft, als wenn es in der Welt keine Sorgen geben könne, der Strohhut hing ihr am Arm, und so hatte ich das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmuth und Lieblichkeit zu sehen und zu erkennen."

Im gereifteren Alter von 58 Jahren (1807), Goethe schrieb am Urfaust, beichtete er Frau von Türckheim: "Nach so langer Zeit einen Brief von Ihrer Hand, verehrte Freundin, zu erhalten, war mir eine sehr angenehme Erscheinung. Schon vor einigen Jahren versicherte mich Frau von Egloffstein, daß Sie meiner, während Ihres Aufenthaltes in Deutschland, manchmal gedacht hätten, ich freute mich herzlich darüber, in Erinnerung früherer Verhältnisse."

Unterdessen war der Dichter verheiratet. Ein Jahr zuvor, 1806, hatte er Christiane Vulpius zu seiner Frau genommen. Die Arbeiterin in einer Blumenmanufaktur war anderthalb Jahrzehnte jünger als er selbst. Das wäre doch für die bunte Boulevardpresse unserer Tage zumindest eine Schlagzeile wert gewesen, ein Titelbild für die Umsatzsteigerung! Immerhin hat Goethe auch diesen Gedanken publiziert: "Die Mißheirathen sind viel gewöhnlicher als die Heirathen; denn es sieht leider nach einer kurzen Zeit mit den meisten Verbindungen gar mißlich aus", liest man in "Wilhelm Meisters Lehrjahre".

Demgegenüber würdigte Goethe das Miteinander: "Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur. Sie macht den Rohen mild, und der Gebildetste hat keine bessere Gelegenheit, seine Milde zu beweisen. Unauflöslich muß sie sein: denn sie bringt so vieles Glück, daß alles einzelne Unglück dagegen gar nicht zu rechnen ist."

Charlotte von Stein schwärmte vom Garten des Weimaraners: "Goethe und Wieland haben sich alle beyde hier Gärdens gekauft, sind aber nicht Nachbarn, sondern liegen an verschiedne Thore. In Goethens Garden hab ich schon einmahl Caffé getrunken und von seinem Spargel gegessen, den er selbst gestochen und in seinem Ziehbrunnen gewaschen hatte. In Goethens Garden ist die schönste Aussicht die hier zu haben ist, er liegt an einem Berg und unten ist die Wiese die von einem kleinen Fluß durchschlungen wird."

Dem nicht lebensfernen Denker gerechte Referenz zu erweisen heißt, all seine zumindest in der Literatur benannten Beziehungen zu erwähnen, denn nirgendwo ist beschrieben, welche davon am ehesten zu seiner Inspiration beigetragen hat.

Der Charmeur bekennt über Lili Schönemann: "Sie war in der Tat die Erste, die ich tief und wahrhaft liebte. Auch kann ich sagen, daß sie die Letzte gewesen; denn alle kleinen Neigungen, die mich in der Folge meines Lebens berührten, waren, mit jener ersten verglichen, nur leicht und oberflächlich."

Und es waren: Johanne Susanne Bohl; Marquise von Branconi; Lotte Buff; Angelica Facius; Caroline Herder; Wilhelmine Herzlieb; Caroline von Heygebdorf; Charlotte von Kalb; Angelika von Kauffmann; Caroline Kotzebue, Frau Krafft; Sophie von La Roche; Ulrike von Levetzow; Charlotte Nagel; Gräfin O'Donell; Friederike Oeser; Jenny von Pappenheim; Maddalena Riggi; Corona Schröter; Bäbe Schultheß; Maria Szymahowska; Auguste Gräfin zu Stolberg; Luise Gräfin von Werthern; Marianne von Wilemer und Silvia von Ziegesar.

Ich durfte dem Jubilar in Weimar im März 1949 meinen Respekt erweisen. Damals saß ich bei der Feier zum 200. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe im Nationaltheater und erlebte die unvergeßliche Rede Otto Grotewohls. Er schloß mit den Worten des Dichters:

"Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein."

In diesem Jahr wird man Goethes 280. Todestag ins Gedächtnis rufen.

Hans Horn

Raute

Vom ganz normalen Aufwachsen und Leben im Sozialismus

Cornelias kleine große DDR (4)

Frankfurt an der Oder unterschied sich fundamental von Eisenhüttenstadt, wo ich zunächst aufwuchs. Hier war alles im Laufe von drei Jahrhunderten entstanden, nicht so "über Nacht". Meine "neue" Schule befand sich in einem Gebäude, das gar nicht älter sein konnte. Ich besuchte nun die 5. Klasse der Friedensschule. Anfangs fehlte es mir an der gewohnten Helligkeit, den großen Klassenzimmern und vertrauten Gesichtern. Doch schon bald fand ich Gefallen am historischen Schulgebäude, zu dem ein eigenes Schwimmbad gehörte. Davon hatte ich allerdings recht wenig, denn in Frankfurt (O) war im Unterschied zu Eisenhüttenstadt bereits in der 4. Klasse Schwimmunterricht erteilt worden, was dazu führte, daß ich die einzige Nichtschwimmerin des ganzen Schuljahres war.

In der 5. Klasse ging es mit Fremdsprachen los: Russisch. Es kam mir anfangs recht zungenbrecherisch vor. Doch schon bald konnten wir viele Vokabeln auswendig. Es machte Spaß, zumal wir gleichzeitig in Kontakt zu Schülern in der UdSSR traten. Das Buch "Briefe an Freunde" wurde unser ständiger Begleiter. Außerdem sollten wir einen langersehnten Schritt zu den Großen hin tun, indem wir - die bisherigen Jungpioniere - jetzt zu den Thälmann-Pionieren aufschließen durften. Wir erfuhren viel Wichtiges über diesen standhaften deutschen Kommunisten und sein schreckliches Ende im KZ Buchenwald. Und wir waren stolz darauf, zu jenen zu gehören, die seinen Kampf fortsetzten. Dabei halfen mir Geschichten, die Oma und Opa aus ihrer KPD-Zeit erzählten.

Bald hatte ich mich in mein neues Leben hineingefunden. Im Gruppenrat wurde ich Kassierer, was bedeutete, den monatlichen Mitgliedsbeitrag und das Geld für unsere Pionierzeitung "Trommel" einzusammeln. Das war nicht immer leicht, nahm es doch mancher nicht so ernst mit dem Entrichten der kleinen Summe. Da ich den Säumigen nicht tagelang hinterherlaufen wollte, steckte ich einfach mein Altpapiergeld in die Zeitungskasse.

Eigentlich machte ich mich ganz gut in der Schule, nur in Mathe verstand ich lediglich "Bahnhof". Wegen meiner schlechten Zensuren mußte ich mir zu Hause lange "Gardinenpredigten" anhören. Gut, daß wir - meine Freunde und ich - uns in nahegelegenen Gärten eine verlassene Laube als Rückzugsquartier eingerichtet hatten. Es war November, als ich mir wieder einmal eine Vier in Mathe eingefangen hatte. Verzweifelt begab ich mich in "unsere" Laube. Erst gegen 21 Uhr trieb mich dann die Kälte heim. Die Eltern schimpften zunächst heftig auf die "Vagabundin", als sie aber den Grund meines Wegbleibens erfahren hatten, machten sie mir keine Vorwürfe, sondern nahmen mich in ihre Arme. Gemeinsam entwickelten wir einen Plan, wie es weitergehen sollte. Fortan erhielt ich Mathe-Nachhilfeunterricht. Dieses Erlebnis wirkt bis heute in mir nach. Meine Eltern waren beide berufstätig und hatten nicht immer genügend Zeit für mich. Aber warum habe ich nicht in der Schule oder in meinem Kollektiv um Hilfe gebeten? Die frühe Erfahrung brachte mir für den weiteren Lebensweg großen Nutzen.

Als der Sommer kam, war mein Zeugnis halbwegs in Ordnung. Vor allem standen positive Bemerkungen über meine gesellschaftliche Tätigkeit drin. Bald erfolgte der nächste Umzug. Uns wurde eine Fernheizungswohnung in der Karl-Marx-Straße zugewiesen. Auch die 9. Schule, die ich nun besuchte, war ein alter Kasten. Vom ersten Tag an paßte ich auf, erledigte immer gleich die Hausaufgaben und lernte gründlich. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Dank meiner strengen, aber sehr einfühlsamen Mathe-Lehrerin zierte mein Zeugnis eine Eins. Obendrein wurde ich sogar Lernpatin für einen Mitschüler, der in Mathe fast auf Fünf stand, dann am Schuljahresende aber eine Drei erhielt.

Die 6. Klasse brachte das Fach Physik. Da wir Mädchen den Lehrer anhimmelten, widerspiegelte sich das auch in den Leistungen. Nach dem zweiten Umzug in Frankfurt (O) schloß ich Freundschaft mit Petra, die über uns wohnte. Wir befanden uns von Beginn an auf gleicher Wellenlänge, verquatschten nicht nur unsere Freizeit, sondern taten auch etwas für andere: Wir beteiligten uns an der Pflege der Grünanlagen und gestalteten gemeinsam die Wandzeitung unseres Hauses. Sonntags zog es uns an die Oder, wo es passierte, daß wir auf dünnem Eis einbrachen. Glücklicherweise verhalfen uns zwei gerade dienstfreie Sowjetsoldaten dazu, wieder ans Ufer zu gelangen.

Mit der 7. Klasse gingen wir in die nagelneue Polytechnische Oberschule "Luci Hein". Zwar fehlte noch eine Turnhalle, aber die hellen Klassenräume und der Blick auf das altehrwürdige Rathaus, das wir im Zeichenunterricht viele Male darzustellen lernten, übten eine große Faszination aus. Unser Direktor, Herr Richter, war eine unbedingte Respektsperson. Gleich, ob er mit Hosenträgern oder mit Schlips und Kragen im Treppenhaus stand - man hätte eine Feder zu Boden fallen hören. Dabei blieb er stets auch ein Lehrer, der uns Achtung entgegenbrachte. Unser Klassenleiter war da ganz anders. Frisch vom Studium gekommen, versuchte er es mit übertriebener Strenge. Beim Organisieren von Klassenfahrten oder -festen aber war er eine Wucht. Unbedingt muß ich hier den Geschichtslehrer erwähnen. Mit den Erfahrungen des Krieges kontrastierte er sehr anschaulich die deutsche Vergangenheit und unser Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat.

Gleich zu Schuljahresbeginn wurde ich als FDJ-Sekretär gewählt, obwohl es in unserer Klasse einige gab, die fachlich besser als ich waren, aber wohl schon damals mehr an ihre Karriere als an gesellschaftliches Engagement gedacht haben. Nun mußte ich "Vorbild" sein, was sicher nicht immer meinem Charakter entsprach. Da kam es schon mal vor, daß ich bei einem Aufsatzstreik mitmachte. Wenig Verständnis brachte ich dafür auf, daß die Kirchgänger unter uns nicht an den Veranstaltungen zur Vorbereitung der Jugendweihe teilnehmen durften. Obwohl wir gerade erst in die FDJ aufgenommen worden waren, hatten wir doch schon gelernt, daß die Gemeinschaft jeden mitnehmen müsse, wenn sich alle am Aufbau des Sozialismus beteiligen sollten. Ich muß allerdings gestehen, daß ich die Einladung einer kirchlich gebundenen Freundin zu einer Zusammenkunft der Jungen Gemeinde ausgeschlagen habe. Wie hätte ich das zu Hause erklären können?

Nun stürmte so langsam die erste Liebe auf mich ein. "Auf-immer-und-ewig-Träume" machten uns trunken vor Glück. So nutzten wir jede sich bietende Gelegenheit, um ungestört mit Jungen zusammenzusein. Und wenn es das monatliche Theateranrecht war, das uns - feingemacht und auf Absatzschuhen - ein Fernbleiben bis nach 22 Uhr ermöglichte. Wir erlebten die ersten Zärtlichkeiten, ließen beim Jugendtanz mit Livebands die Wilden raushängen oder verpaßten aufgrund ausgedehnter Spaziergänge auch schon mal eine FDJ-Versammlung.

Cornelia Noack, Beeskow (wird fortgesetzt)


Im RF Nr. 169 haben wir unsere Autorin versehentlich aus Beeskow nach Seelow umgesiedelt. Wir bitten um Nachsicht für diesen Willkürakt.

Raute

Der Bundesgrenzschutz als "Träger bester deutscher Tradition"

Ein Tagesbefehl Konrad Adenauers

"Ich habe in der Bundeswehr gedient. Die hat mit ihrem Auftrag und ihrer Präsenz den Krieg damals verhindert und sichert Deutschland weiterhin! Auch im Einsatz! Mir jedenfalls genügt das, und es macht mich stolz!"

Diese Sätze steuerte ein junger BRD-Bürger zu einem Internet-Forum bei. Jeder hat da so seine eigene Sicht. Das gilt auch für Aufgaben und Ziele des einstigen Bundesgrenzschutzes, der seit dem 1. März 2008 Bundespolizei heißt. Nach Meinung der Unterführer und Dienstanfänger dieser Institution sicherten sie die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" der BRD gegen "innere und äußere Feinde".

Warum aber besitzt der BGS - unter diesem wie unter jenem Namen - eigentlich zwei Helme als Symbol: einen blankgeputzten aus der Nazizeit und den Polizeihelm mit herunterklappbarem Visier für "inneren Notstand"? Übrigens heißt es hierzu in einem Aphorismus: "Jeder hat seine eigene Sicht, aber nicht jeder sieht etwas." Ein scharfsichtiger ehemaliger DDR-Grenzer führt als Autor des Sachbuches "Zwei Helme im Spind" den Nachweis, daß der BGS zu keiner Zeit das gewesen ist, wofür er sich ausgibt: friedfertig.

Horst Liebig schrieb bereits vor Jahren seine Autobiographie "Ein Leben in Reih und Glied". Der 1929 in Leipzig Geborene überlebte als Flakhelfer den Zweiten Weltkrieg. Schon in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR sah er als Grenzer und Militärjournalist seine Aufgabe vor allem darin, dem aggressiven Gebaren im deutschen Westen wieder zum Zuge gelangter Gestriger eine den Frieden sichernde Antwort zu erteilen. Inzwischen über 80, holt er noch einmal aus und schreibt ein Enthüllungsbuch über den wahren Charakter des BGS. Mit Ausdauer und Akribie sucht er in Büchern, Zeitungen und im Internet die Steinchen seines Mosaiks. Dabei stößt er auf einen Tagesbefehl Konrad Adenauers, in dem der Remilitarisierungskanzler die Angehörigen des BGS als "Träger bester deutscher Tradition ... bei der Wiedergeburt deutschen Soldatentums" bezeichnet. "Der im BGS lebende Geist möge auch dessen fernere Arbeit ­. bis zu dem Tag beseelen, an dem Ihnen ein wiedervereinigtes Deutschland danken wird."

Welch gefährliche Ignoranz, die Trennlinie zwischen der BRD und der DDR - also zweier Weltsysteme - in eine "innerdeutsche Zonengrenze" umzudichten! Hierzu schrieb ein gewisser Hans-Jürgen Schmidt in seinem Machwerk "Wir tragen den Adler des Bundes am Rock": "Damit wäre gleichzeitig auch die sogenannte Pufferfunktion an der Nahtstelle zwischen den beiden Machtblöcken entfallen und Soldaten beider Pakt-Systeme - der NATO und des Warschauer Vertrages - hätten sich im Krisenfall unmittelbar gegenübergestanden." Wofür die Angehörigen des BGS nicht alles gut waren, erfährt man aus Liebigs Buch: als NATO-Späher, Konfliktauslöser, Grenzprovokateure, Fluchthelfer, Truppe des ersten Schusses, Sprachrohr des Kalten Krieges und nicht zuletzt als Unterdrücker gewaltloser Demonstrationen. Haßerziehung gegen Andersdenkende war ihr Panier. So forderte der seinerzeitige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher von den BGS-Leuten, "mit aller Konsequenz gegen jene vorzugehen, die nicht Reformen wollen, sondern Revolution".

Natürlich stößt man auch auf obligatorische Schlagworte, die als Richtschnur zur "Motivierung" der BGS-Angehörigen dienten: Gefahr des Kommunismus, nuklearer Erstschlag, Anwendung des ersten Schusses, präventive Aufstandsbekämpfung, Ramm-Kurs auf der Elbe ... Genug davon!

Zu danken sind dem Autor vor allem Aussagen über die Geisteshaltung der Männer und Frauen des BGS. Liebig zählt 13 Offiziere und Generäle namentlich auf, die als seine Stammväter gelten. In Bonn hatte niemand etwas dagegen, daß sie zuvor ausnahmslos Ränge und Meriten im faschistischen Militär erwarben.

Ende der 70er Jahre standen nach Auskunft des Autors an den Grenzen zur DDR und zur CSSR nicht weniger als 93 % aller BGS-Angehörigen. Es handelte sich dabei ganz überwiegend um Menschen von stockreaktionärer Gesinnung. Vor den jungen DDR-Grenzsoldaten, die - ungeachtet mitunter fehlerhaften Verhaltens - dieser geballten Ladung geschworener Sozialismus-Hasser an der Systemgrenze gegenüberstanden und unzählige Provokationen kaltblütig abwehrten, kann man nur den Hut ziehen. Denn jeder einzelne hat zur Abwehr eines Weltbrandes beigetragen.

Das sachlich geschriebene Buch Horst Liebigs, der Fakten nur kurz kommentiert und Schlußfolgerungen dem Leser überläßt, reiht sich in die Literatur des Rückgewinns unserer Deutungshoheit über die DDR-Geschichte würdig ein. Wie bei "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" von Heinz Keßler und Fritz Streletz ist zu vermuten, daß als Antwort auf diese Veröffentlichung "die Fetzen fliegen" dürften. Doch gemach: dem Angriff auf die Gehirne muß auch hier mit derselben Kaltblütigkeit Einhalt geboten werden, die das Handeln der beiden hochrangigen Militärs der DDR charakterisiert.

Übrigens: Der Autor - ein ehemaliger Offizier der DDR-Grenztruppen - hatte in seinem Spind nur einen Helm: ohne Visier, versteht sich. Und unter diesem herrschte ein anderer Geist. Ein völlig anderer!

Oberstleutnant a. D. Harry Popow, Schöneiche


Horst Liebig: Zwei Helme im Spind. Verlag Wiljo Heinen,
Berlin 2011, 282 Seiten, Preis 13,50 €, ISBN 978-3939828-84-6

Raute

Leseempfehlungen unseres Bücherwurms (1)

Willi Bredels Werk bleibt hoch aktuell

Ob auf dem Flur, im Eßzimmer, im Wohnzimmer und selbst im Schlafzimmer sehen mich Bücher an und wollen mir ihre Geschichte erzählen.

Diesmal greife ich zu Willi Bredels Erfolgsroman "Verwandte und Bekannte".

Sein Autor, am 2. Mai 1911 in Hamburg geboren, schrieb ihn vor 70 Jahren als Emigrant in der Sowjetunion. Das Buch wurde erstmals 1943 - während des Großen Vaterländischen Krieges der UdSSR - veröffentlicht.

Schon am 16. August 1945 erhielt der Aufbau-Verlag von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Lizenz zur Buchproduktion. Bei seiner Gründung hatte er ein Abkommen mit dem Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands geschlossen, zu dessen Mitbegründern auch Willi Bredel gehörte. Erster Präsident des KB war bis 1958 der Dichter der DDR-Nationalhymne Johannes R. Becher.

Der Aufbau-Verlag machte es sich zur besonderen Aufgabe, die Verbreitung der Werke antifaschistischer Autoren zu fördern. So erschien vor 65 Jahren auch die erste deutsche Ausgabe des Bredel-Buches "Verwandte und Bekannte" in der damals beachtlichen Auflage von 15.000 Exemplaren. Der Verlag teilte dazu mit: "Dieser Roman ist der erste Band einer Trilogie und soll künftig den Untertitel 'Die Väter' erhalten. Am zweiten Band 'Die Söhne' arbeitet der Autor. Der abschließende dritte Band soll 'Die Enkel' heißen."

Es ist die Geschichte der Familie Hardekopf und Brenten, zugleich aber auch eine Chronik der deutschen Arbeiterbewegung von der Jahrhundertwende bis zum Jahr 1915.

Die Hauptfigur, der Hamburger proletarische Sozialdemokrat Johann Hardekopf, ist von zwei entscheidenden Erlebnissen geprägt: dem Scheitern der Pariser Kommune, die er selbst auf der falschen Seite miterlebte, und einer persönlichen Begegnung mit dem Führer der revolutionären deutschen Sozialdemokratie August Bebel.

Als Hardekopf mit 67 im zweiten Jahr des 1. Weltkrieges stirbt, hatte die rechte Führung der SPD, der er stets treu ergeben war, die Interessen der arbeitenden Menschen verraten, die Kriegskredite bewilligt und jeden Widerstand gegen die Herrschenden unterbunden. Vor seinem Tode erkannte er, daß keiner seiner Söhne das revolutionäre Werk der vorangegangenen Generation weiterführen werde. So setzte er alle Hoffnungen auf seinen Schwiegersohn Carl Brenten, der - dessen war er gewiß - den Weg der Väter weitergehen würde. Ihm selbst ist die Sache der Ausgebeuteten heilig, doch er findet nicht mehr die Kraft, seine Partei zu ändern oder sie zu verlassen.

Wem dies recht aktuell erscheint, der sollte sich in Bredels Buch vertiefen.

Konni


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Unvergessene Maj

Heute bringen wir an dieser Stelle kein Bild Willi Bredels, sondern das einer klugen, schönen und mutigen Kommunistin: der Frau an seiner Seite.

Die leider schon längst verstorbene polyglotte Maj Bredel, der ein Schlaganfall im langen letzten Lebensabschnitt die Sprache nahm, war wie ihre von uns im RF 167 betrauerte enge Freundin Solveig Hansson eine blutjunge Schwedin, die von Alexandra Kollontai, der sowjetischen Botschafterin in Stockholm, als Kundschafterin für die Komintern gewonnen worden war.

Raute

"Sag nie, ich kann nichts tun"

Leonhard Helmschrott ist nicht mehr unter uns, doch die Herausgabe seines autobiographischen Buches konnte er 2011 noch erleben. Der Titel "Sag nie, ich kann nichts tun" war gleichsam seine Lebensmaxime - bis zuletzt. Obwohl er lange gezögert habe, zur Feder zu greifen, wie er im Vorwort festhält, hat er sich - seiner Grundhaltung treu bleibend - schließlich doch entschlossen. Angesichts wachsender Sorge um die Entwicklung in Deutschland drängte es ihn aufzuschreiben, was er über die DDR dachte, was er gut an ihr fand, was er nach ihrem Ende hinzugelernt hat und warum er ihr Verteidiger gegen haßerfüllte Angriffe geblieben ist.

Leonhard Helmschrott ist einen langen Weg gegangen. Aus dem in einem kleinen bayrischen Ort gebürtigen Bauern wurde ein Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, der in der Gründung der DDR die größte Errungenschaft der deutschen Nationalgeschichte sah. Ihrem Werden und Wachsen galt seine ganze Kraft und Überzeugung. Doch nicht missionarisches Sendungsbewußtsein war die Triebfeder seines Tuns, sondern ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl den Menschen und der Gesellschaft gegenüber. So kannten ihn alle, Freunde, Genossen und seine Frau Marlies, die - jetzt auch als Mitglied des RF-Fördervereins - dazu beiträgt, die Ideale ihres Mannes zu bewahren.

Zu jenen, die den Charakter und Willen Leonhard Helmschrotts formten, gehörte der Vater und dessen Mut, in dunkler Zeit Radio Moskau zu hören. Aber auch die Predigt des Dorfpfarrers, der eines Tages nicht über Himmel und Hölle, sondern davon sprach, daß es über den Wolken Millionen Sonnen gäbe, wurde für den mit einem mittelalterlichen Weltbild aufgewachsenen Jungen zu einem Schlüsselerlebnis. Es gab viele solcher kleinen und großen Begegnungen mit Menschen, die entscheidenden Einfluß auf sein Denken und Handeln nahmen. Unauslöschbar sind die Spuren, die der Krieg in seine Seele grub. Mit dem Entschluß, zur Roten Armee überzulaufen, begann gewissermaßen sein zweites Leben. Er bekam die Chance, die Werke der marxistischen Klassiker zu studieren und tat dies mit Leidenschaft. Er schrieb für das Nationalkomitee Freies Deutschland, gehörte zu seinen Gründungsmitgliedern und sprach in dessen Sender, wobei er versuchte, "Landsleute von weiterem Blutvergießen abzuhalten".

Nach dem Krieg arbeitete Leonhard Helmschrott über vier Jahrzehnte als Chefredakteur des "Bauern-Echo", der Tageszeitung der DBD. Für die Demokratische Bauernpartei wirkte er in der Volkskammer und leitete im DDR-Parlament deren Fraktion. Bis März 1990 gehörte er dem Staatsrat der Deutschen Demokratischen Republik an. Nach der Konterrevolution trat er der DKP bei.

In seinen Aufzeichnungen spiegeln sich nicht nur Altersweisheit und ein reicher Erfahrungsschatz wider, sondern vor allem auch die in dieser Konsequenz selten anzutreffende Kunst, Geschichte, Gegenwart und Zukunft mit dem Scharfsinn des gebildeten Marxisten zu betrachten. Nach der Lektüre versteht man: Jemand, der das Instrumentarium der materialistischen Dialektik beherrscht und es bei der Suche nach Antworten anzuwenden versteht, entwickelt sich unweigerlich zum Optimisten.

Bruni Steiniger


Leonhard Helmschrott: Sag nie, ich kann nichts tun.
verlag am park, Berlin 2011, 164 S., 16,90 €, ISBN 978-3-89793-269-2

Raute

Archie und das "Ganymed"

In bunten Boulevard-Blättern, aber auch in anderen bürgerlichen Zeitungen wird recht viel Platz für Kochen und Küche, kulinarische Künste, Gourmets und Genießer verwendet. Im Fernsehen ist es schon lange unerträglich, wer da so alles kocht und brutzelt, hackt und schneidet, pfeffert und würzt. Kaum hat einer seine Talk-Show-Runde gehabt, produziert er sich auch schon in einer Koch-Show. Für arme Ost-Rentner, Teilzeitarbeiter oder 1-Euro-Jobber ist es oftmals eine Zumutung, am Bildschirm das Schlaraffenland der kochenden Komiker und der meist schwerreichen Sterne-Köche zu sehen - während sie sich nicht selten die letzte Makrele aus dem Kühlschrank angeln. Und so verhält es sich auch mit den meisten Politikern, die zwar bisweilen Koch heißen, aber nur selten kochen, dafür überall gut dinieren - von Bällen, Promi-Treffen und fragwürdigen Arbeitsessen, wo alles mit journalistischer Soße übergossen wird, ganz abgesehen.

Da liest man in einem Berliner Blatt, Gregor Gysi habe im "Ganymed" neben dem Berliner Ensemble "nur" Menü 1 bestellt, weil es lediglich 32 Euro koste und damit 12 Euro billiger sei als Menü 2. Im Kommentar dazu heißt es: "Für ein paar Minuten kämpfen in ihm der Salon-Sozi mit dem Fraktionsvorsitzenden der Linken - jener Partei, die am meisten Hartz-IV-Empfänger wählen."

Dies schreibt eine junge Frau, die im dazugestellten Foto den Finger genießerisch in den Mund steckt und schelmisch erzählt, sie sei in Bayern mit den schwäbischen Dampfnudeln ihrer Großmutter aufgewachsen. Das hat in der Tat alles ein gewisses Gschmäckle, wie es im Schwäbischen heißt.

Etwas zeitversetzt berichtet eine 69jährige vierfache Großmutter in einer Talk-Show, sie erhalte nach 43 Arbeitsjahren eine monatliche Rente von 690 Euro, wovon ihr ganze 230 zum Leben blieben. Als alleinerziehende Mutter dreier Kinder habe sie zeitlebens schwer geschuftet, zum Beispiel auf dem Postfuhramt am Berliner Ostbahnhof. Jetzt gehe sie Flaschen sammeln, um den Enkeln ein Eis oder die Einlaßkarte fürs Schwimmbad spendieren zu können. Wenn sie Glück habe, komme sie dabei im Monat auf 12 Euro.

In dieser Runde sitzt neben anderen Großverdienern auch Gregor Gysi, der zuhört, wie sich die Frau unter den anwesenden "Polit-Titanen" wacker mit Argumenten schlägt. Der Fraktionsvorsitzende der "Linken" gibt dort zwar ein paar clevere politische Äußerungen von sich, springt der flaschensammelnden Oma aber - zu Archies Bedauern - nicht bei.

Natürlich denkt man da unwillkürlich an das Interview im "Ganymed" und den enormen Preisvorteil des 1. Menüs, den der eloquente Politiker wahrzunehmen wußte. In dem Nobelschuppen war die Rede davon, daß Gysi vier- bis fünfmal in der Woche gezwungen sei, in solchen Restaurants zu dinieren, beispielweise mit Mario Adorf und anderen Prominenten, aber auch mit der niederländischen Königin ...

Übrigens wurde das "Ganymed" im Eckhaus am Schiffbauerdamm in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut. Bis 1919 ein einfaches Handwerkerlokal für Werftleute, machte ein neuer Besitzer ab 1931 daraus ein Restaurant für Betuchte "zur lustvollen Befriedigung des Verlangens nach Speis und Trank". Auf der Suche nach einem geeigneten Namensgeber entschied er sich für "Ganymed", den Mundschenk der griechischen Götter. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Gebäude dann in der Regie des DDR-Stararchitekten Hermann Henselmann restauriert. Nach dem "Mauerfall" schloß es auf Jahre und wurde erst 1996 wiedereröffnet. Heute dient das traditionsreiche Lokal als Französische Brasserie.

Als Archie vor fast 40 Jahren Dramaturg bei Brechts und Weigels "Berliner Ensemble" war, saß er des öfteren mit Leuten wie dem Dramatiker Heiner Müller oder dem Dichter Karl Mickel im "Ganymed". Sie philosophierten und tranken mehr, als sie aßen. Heiner Müller zeigte sich recht spendabel, wenn er bei Kasse war, was allerdings recht selten vorkam. Der Schauspieler Norbert Christian hatte mit seiner Frau häufig einen Tisch reserviert, an den sie auch Archie einluden.

Über das "Ganymed" jener Tage liest man heute in dem eingangs erwähnten Berliner Blatt, dies sei ein Ort gewesen, an den man beim Ergattern eines Platzes für einige Stunden aus der DDR habe abtauchen können - in eine bürgerliche Welt der Frack-Kellner und Silberplatten.

Ein bißchen Häme darf natürlich nicht fehlen!

Übrigens frequentierten damals auch Offiziere der West-Alliierten und Diplomaten gleicher Provenienz das "Ganymed", was für ein gemischtes Publikum sorgte. Obwohl sicher auch höhere Chargen der DDR hier hin und wieder einkehrten, war es auf keinen Fall ein sogenanntes "Elite"-Lokal. Im Normalfall ging man indes lieber in den "Trichter", ebenfalls am Schiffbauerdamm, den man heute als Szenekneipe für Künstler bezeichnen würde, oder ins benachbarte "Wein-ABC", wo es an rustikalen Holztischen mit bulgarischen Tischläufern, teils bei Kerzenlicht, gemütlicher zuging. Die Preise waren überall sehr moderat. 32 Euro für das "billigste Menü", das Gregor Gysi so zusagte, wäre in jenen Jahren selbst in Mark der DDR ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Apropos Frack-Kellner und Silberplatten: Die gab es auch in anderen Restaurants des Arbeiter-und-Bauern-Staates.

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an RotFuchs

Ich erinnere mich an meine Teenager-Jahre Anfang der 70er und habe die Hoffnung, daß das, was wir im Augenblick an militanten Aktionen von Gewerkschaftern und der Occupy-Wall-Street-Bewegung in den USA beobachten, zu einer Wiederbelebung des militanten Geistes jener Periode führt. Heute besitzen wir die Erfahrung, um damals begangene Fehler zu vermeiden.

Ich möchte dem "RotFuchs" für den Abdruck des Artikels von Lothar Ziemer über meinen Vater sehr herzlich danken. Ich habe die Absicht, einigen Familienmitgliedern Kopien zukommen zu lassen. In meinem Namen und zugleich für meine Frau Lisa wünsche ich Euch ein Jahr des Friedens und der Gerechtigkeit. Solidarische Grüße

Kurt Stand, USA-Bundesgefängnis FCC Petersburg Low, Virginia, USA


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Dr. Manfred Böttcher bin ich für seine Bemerkungen zu meinem "RotFuchs"-Beitrag "Wie sich eine Weltmacht selbst liquidierte" (RF 164) dankbar. Leider widerspiegeln sie nur den weitverbreiteten Blick auf Gorbatschows Rolle in der Endphase. Diese will ich durchaus nicht bagatellisieren, muß jedoch darauf hinweisen, daß Juri Andropow die Voraussetzungen für den Erfolg der "Perestroika" schuf. Er holte nicht nur den forschen jungen Gorbatschow aus Stawropol nach Moskau, sondern war auch, wie dieser in seinen Memoiren festhielt, dessen "Lehrmeister und Berater". Die kurze Amtszeit Andropows als Generalsekretär der KPdSU (November 1982 bis Februar 1984) ist unbedeutend im Vergleich mit seinem langjährigen Vorsitz im KGB (ab Mai 1967) und seinem Einfluß auf den kränkelnden Breschnew.

Es darf nicht übersehen werden, daß es Andropow war, der die Karrieren des Parteisekretärs von Aserbaidschan Gaidar Aliew und des Georgiers Eduard Schewardnadse sowie des späteren Trompeters der "Perestroika" Alexander Jakowlew entscheidend förderte.

Ich möchte hier nur kurz auf Andropows "Antikorruptionskampagne" hinweisen, welche die Ausschaltung solider kommunistischer Kader unter oftmals nichtigen Vorwänden bewirkte. Dieser "Reinigungsprozeß" betraf vor allem den Apparat der Partei, des Militärs und der staatlichen Verwaltung. Man erinnere sich nur an die bitteren Kommentare Marschall Achromejews, dessen beste Kader der Sowjetarmee plötzlich der Korruption beschuldigt, denunziert und entlassen wurden.

Als Gorbatschow Generalsekretär wurde, inszenierte er weitere "Antikorruptionskampagnen".

Dr. Vera Butler, Melbourne


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An den Zusammenkünften der Leipziger "RotFüchse" in der Braustraße kann ich schlecht teilnehmen, weil ich mit meiner Gehhilfe als fast 86jährige die hohen Treppen nicht zu überwinden vermag. Dennoch verfolge ich die Veröffentlichungen der Zeitschrift mit großem Interesse. Ich habe mich sehr gefreut, daß in der Januarausgabe auf die kubanische "Granma Internacional" und die Madrider Tageszeitung "El Pais" Bezug genommen wurde. Es stimmt, daß "El Pais" das Hausblatt der spanischen Bourgeoisie ist, und dennoch kaufe ich es von Zeit zu Zeit, weil es viel über Lateinamerika berichtet. Ich bin der Ansicht, daß über diesen Kontinent und vor allem über Kuba im RF noch viel mitzuteilen sein wird. Lateinamerika darf nie wieder der Hinterhof der USA werden. In diesem Prozeß fällt Kuba eine wichtige Rolle zu. Deshalb kann ich es Verantwortlichen der Linkspartei nicht verzeihen, wie schäbig sie sich zu Fidels Geburtstag benommen haben. Für mich ist das unfaßbar.

Annelies Kremkau, Leipzig


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Ich finde, daß das Erfurter Programm der PDL leider auch einen Hauch des heutigen politischen "Zeitgeistes" enthält. Die DDR und die SED stehen, so empfinde ich das, stärker in der Kritik als der Klassengegner.

Im Programm übergeht man völlig, welche positive Orientierung DDR und SED hatten, unabhängig von begangenen Fehlern und bestehenden Mängeln, die sich aber nicht zuletzt auch aus der Politik der imperialistischen BRD und ihrer führenden Parteien gegenüber der DDR ergaben. Wer hat - muß man fragen - die Forderungen des Potsdamer Abkommens erfüllt und das deutsche Monopolkapital unschädlich gemacht? Welcher Teil Deutschlands wurde nach 1945 wieder imperialistisch aufgepäppelt? Wer bemühte sich um die friedliche Koexistenz beider deutscher Staaten und beider Weltsysteme? Und wer ringt heute wieder um die Vorherrschaft Deutschlands in der europäischen und internationalen Politik?

Dr. Rudolf Dix, Zeuthen


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In der NPD soll es mehr als 130 V-Leute, vorrangig in den Landesvorständen und der Bundesführung, geben. "Die Linke" steht doch auch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, also sind dort ebenfalls V-Leute tätig. Und da der VS den Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der "linken Szene" sieht, ist anzunehmen, daß die Anzahl seiner dort untergebrachten V-Leute die jener in der NPD stationierten noch weit übertrifft.

Wer sind diese Leute? Befinden sie sich etwa unter denen, welche die PDL ständig von ihren wahren Themen ablenken, vor den bürgerlichen Medien kuschen, das gerade erst verabschiedete Programm aufweichen und so dazu beitragen, daß die Partei an Glaubwürdigkeit und Bedeutung verliert?

Sind nicht auch hier Gründe dafür zu suchen, daß die Zustimmung zur PDL in der jetzigen Krise nicht zu-, sondern eher abnimmt?

Michael Brix, Potsdam


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Die Januar-Ausgabe der Internet-Version des "RotFuchs" wurde am ersten Tag des Jahres rund 38.000 Mal angewählt. Am 1. Januar 2011 waren es "nur" etwa 35.000 Signale dieser Art gewesen.

Übrigens: Als der RF ins Netz gestellt wurde, freuten wir uns über 800 bis 1000 Anklicker im Monat.

Sylvia Feldbinder, Berlin


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Ich verstehe gar nicht die Aufregung um das Verhalten von Bundespräsident Wulff. Er repräsentiert doch die Reichen und Privilegierten dieses Landes durchaus würdig, wenn er die den VIPs angebotenen Vergünstigungen als selbstverständlich betrachtet. Ist die Kreditaffäre nur "grenzwertig" zur Korruption, so ist sie angesichts der Lage im Lande natürlich ganz und gar unmoralisch. Einstein nannte das verlorengegangene Unrechtsbewußtsein der Kapitalisten 1949 eine "soziale Bewußtseinsverkrüppelung".

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


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Es ist unverständlich und kleinlich, wie man den "Ruf" des Bundespräsidenten wegen eines Privatkredits und sonstiger Gesten seiner Freunde in Zweifel ziehen kann. Zugegeben, da ist etwas dumm gelaufen, aber insgesamt betrachtet handelt es sich doch um Peanuts. Man denke an den Hunderte-Milliarden-Euro-Selbstbedienungsladen der Banken, also der Superreichen - den sogenannten Euro-Rettungsschirm.

Der heutige Bundespräsident hat eben Freunde, und man kennt und hilft sich, wie man es schon zu Adenauers Zeiten handhabte. Damals sprach man vom Kölner Klüngel. Natürlich hat Herr Wulff - wie die überwiegende Mehrheit der Politiker dieser Republik - reiche Freunde. Wie sollte das auch in einer Republik der Reichen anders sein? Kann man sich vorstellen, daß der Herr Bundespräsident in seinem persönlichen Freundes- oder Bekanntenkreis auch nur einen Geringverdiener oder gar einen Hartz-IV-Empfänger hat, mit dem er mal auf ein Bier zusammenkommt? - Von Show-Veranstaltungen abgesehen, trifft man sich doch wohl lieber mit Herrn Ackermann, falls der das möchte, denn er ist der Boß. Herr Wulff ist ein Repräsentant der Reichen und Mächtigen. Und sollte er wirklich mal nicht mehr Bundespräsident sein, dann werden diese schon einen gut dotierten Posten in einem Spitzenkonzern für ihn finden. Man denke an Koch, Althaus und Mappus. Und wenn ihn keiner haben will, dann bleibt ja immer noch ein Posten in Brüssel. Herr Oettinger hat's vorgemacht.

Wenn jetzt Herr Schostock, SPD-Fraktionschef in Niedersachsen, Aufklärung darüber verlangt, "ob Herr Wulff als Ministerpräsident ein Günstling der Wirtschaft war", muß doch Gerhard Schröder vor Lachen nicht in den Schlaf kommen.

Mal im Ernst: Es gab nur einen deutschen Präsidenten, der die Werktätigen repräsentierte, und das war Wilhelm Pieck.

Bernd Freygang, Berlin


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Ich gehöre sehr gerne zu Euren Lesern in Belgien, wo Ihr in der Gewerkschaftsbewegung und auch bei unseren Genossen von der Partei der Arbeit (PTB), die den "RotFuchs" kennen und schätzen, viele gute Freunde habt. Wenn ich den RF in diesen Kreisen auf den Tisch lege, schauen etliche Mitstreiter erfreut auf und wollen einen Blick hineinwerfen. Für mich bleibt der "RotFuchs" die einzige Publikation in Deutschland, mit der ich mich verbunden fühle.

Jens-Torsten Bohlke, Leuven (Belgien)


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Liebe Rotfüchse! Eure "Zurückhaltung" dem Thema Sport gegenüber hat leider eine Lücke entstehen lassen: In beiden Beiträgen über die Legion Condor wird mit keiner Silbe erwähnt, daß Hitler die Olympischen Spiele 1936 auch dazu mißbrauchte, die "Legion" unauffällig nach Spanien zu transportieren. Ihr erwähnt zwar Beumelburg und sein Buch, verzichtet aber auf das Zitat: "Der Führer entschied am gleichen Tag ..., daß dem Ersuchen Francos unverzüglich zu entsprechen sei ... Gleichzeitig wurde eine merkwürdige 'Reisegesellschaft Union' ins Leben gerufen, die sich unter der Führung des Majors Alexander von Scheele alsbald in Döberitz zu versammeln begann."

Döberitz war das Olympische Dorf, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte man die "Legion" in einer Kaserne konzentriert, in Zivil umgekleidet und in Bussen, welche die Olympiateilnehmer aus aller Welt vom Lehrter Bahnhof nach Döberitz brachten, auf der Rücktour - von niemandem bemerkt - zum Lehrter Bahnhof gefahren, von wo sie nach Hamburg reisten, um dort im Frachtschiff "Usaramo" die Weiterfahrt anzutreten.

Dr. Klaus Huhn, Berlin


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Das Echo auf meinen Beitrag im RF 165 zum "bedingungslosen Grundeinkommen" empfinde ich als eine Bereicherung der auch im Programm der Partei Die Linke kontrovers diskutierten Problematik. Ich bin dafür dankbar.

Es mag sein, daß mein Beitrag den Eindruck erweckte, es gehe mir nur um die Beziehung "bedingungsloses Grundeinkommen - Lohnarbeit". Ich hatte natürlich im Blick, was Karl Marx in seinen "Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten" aus dem Jahr 1844 zur "entfremdeten Arbeit" sagt. Aber die Konzeption des "Grundeinkommens" ist ja ausdrücklich als eine "Lösung" unter den gegenwärtigen Bedingungen der Kapitalherrschaft entwickelt worden. Aus dieser Sicht habe ich versucht, sie zu bewerten. Entscheidend bleiben die Fragen: Von wem wurde das Projekt in die Welt gesetzt und warum gerade jetzt, wenn die damit beabsichtigten negativen Folgen "sowieso schon alle vorhanden sind"? Wem nützt es? Kann man als Linker einer solchen Konzeption zustimmen? Ich meine, nein, und bleibe dabei, daß es sich um ein zutiefst arbeiterfeindliches und reaktionäres Unterfangen handelt, das erneut die Notwendigkeit der Überwindung des kapitalistischen Systems beweist, wie es auch im Programm der "Linken" als Ziel formuliert ist.

Dr. Dr. Ernst Albrecht, Dormagen


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Da ich derzeit schwer krank bin und große Schwierigkeiten mit dem Lesen habe, bitte ich Sie, mich vorerst von der Versandliste zu streichen. Im übrigen finde ich Ihre Zeitung hervorragend und war Ihre glühende Leserin. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute und weiterhin große Erfolge.

Brigitte Kloß, Berlin


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Am 24. November 2011 veröffentlichten diverse Tageszeitungen einen von dpa verfaßten Beitrag unter dem reißerischen Titel "42.000faches Unrecht - Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizbehörden in Salzgitter wurde heute vor 50 Jahren gegründet". Sie war als Instrument der anmaßenden und provokativen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR und zur Einschüchterung ihrer Amtsträger geschaffen worden. Republikflüchtige und ehemalige Strafgefangene lieferten mit ihren Stories den Stoff für die dort registrierten "Verbrechen des DDR-Regimes".

Aus meiner Sicht kann es ein politischer Fehler gewesen sein, daß unsere Führung seinerzeit (1961) keine adäquate Einrichtung als zentrale Erfassungsstelle der DDR geschaffen hat. Was hätte diese Behörde registrieren können? Beispielsweise: die nahtlose Übernahme und Eingliederung von Tausenden und aber Tausenden Nazi- und Kriegsverbrechern in Politik, Staatsapparat, Justiz, Polizei, Bundeswehr und Geheimdienste der BRD.

Überdies: die Unterdrückung und Verfolgung von Kommunisten nach dem KPD-Verbot (1956); mehr als 200.000 Ermittlungsverfahren gegen Andersdenkende, von denen über 10.000 durch eine von Nazis weithin kontrollierte Justiz zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Als ein weiterer Erfassungsschwerpunkt wären die vom westdeutschen BGS erschossenen Grenzverletzer - allein 31 im Raum Aachen - vorstellbar gewesen.

Karl Bachmann, Schwerin


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In unserer Gesprächsgruppe verfolgen wir mit großem Interesse die Veröffentlichungen in den RF-Heften. Der Leitartikel der Dezember-Ausgabe hat uns allerdings irritiert. Wir überwiegend älteren Jahrgänge kennen die im Beitrag dargestellten großen geschichtlichen Ereignisse in Griechenland als Zeitzeugen und Bewunderer. Das ist unstrittig. Um so mehr betrübt uns die Entwicklung in den letzten Jahren. Aus unserer Sicht fehlt im Beitrag ein kurzer Hinweis darauf, daß durch die jahrzehntelange Politik der Griechenland regierenden beiden großen Parteien Neue Demokratie und PASOK eine Verwahrlosung des Staatsapparates zu deren Gunsten erfolgt ist, die ihresgleichen sucht. Zum Beispiel betragen die offiziell ausgewiesenen Steuerschulden - ganz abgesehen von Steuerhinterziehungen - rund 40 Milliarden Euro. Sie werden nicht einkassiert. Das war zu Krisenbeginn etwa die Hälfte der Staatsschulden Athens.

Die Beiträge in den RF-Heften zeichnen sich durch eine unbestechliche und detailgetreue Darstellung aus. Das ist hier aus unserer Sicht leider nicht der Fall.

Im Auftrag der Gesprächsgruppe Mühlenvorstadt

Dr. Dieter Krause, Greifswald


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Im RF wurde die Frage aufgeworfen, ob es in der DDR Erwerbslosigkeit oder eine Arbeitspflicht gegeben hat. Es existierte nur ein Recht auf Arbeit und eine tendenzielle Toleranz gegenüber dem "Auf-der-faulen-Haut-Liegen", die aber gegen Null ging. Die Arbeitspflicht ergab sich automatisch daraus, daß es ja keine andere Möglichkeit gab, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch ökonomisch unerwünschten Erscheinungen wie der Frühverrentung wurde z. B. dadurch entgegengewirkt, daß die Rentenberechnung auf der Grundlage des Einkommens der letzten zehn Jahre erfolgte. Es war günstiger, etwa durch Alkoholismus de facto Erwerbsunfähige in einem "Arbeitskollektiv" zu belassen, weil dadurch eine gewisse soziale Bindung gesichert werden konnte. Wer durch die Ärzteberatungskommission für arbeitsuntauglich befunden wurde und keine Zusatzrentenversicherung abgeschlossen hatte, lebte auf einem sehr bescheidenen sozialen Niveau mit einer niedrigen Rente. Die DDR war keine "Wohlfahrtsvereinigung", sondern achtete sehr genau darauf, daß auch die Ökonomie stimmte. Dennoch bekam fast jeder eine Chance, besonders in Fragen der Qualifizierung. Bedauerlich, daß der Bildungsstand über dem Niveau der Produktivität lag. Was hätte man nicht alles daraus machen können ...?

Jochen Singer, Leipzig


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Die geistigen Ergüsse bei den "sozialen Netzwerken" im Internet sind oft sinnlos. Dennoch entstehen manchmal ernsthafte Diskussionen. Twitter wird meist von bürgerlichen Medien genutzt, um Überschriften zu verbreiten. Mit einem Link wird man zum entsprechenden Artikel geleitet. Auf Schlagzeilen kann man mit einer Gegenschlagzeile antworten. Bei aller berechtigten Kritik könnte der "RotFuchs" aus meiner Sicht über diese "sozialen Netzwerke" junge Leute erreichen - also "Welpen" bekommen.

Petra Reichel, Bad Kreuznach


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Das Zeitunglesen ist heutzutage oft wenig erfreulich. Man schimpft, lacht hämisch, ärgert sich und tut es doch immer wieder. Allerdings provoziert es auch eigenes Nachdenken und wirft Fragen auf.

Da lese ich, Ministerin Kristina Schröder halte das ND für eine linksextreme Zeitung. Das ist mir neu! Habe ich da etwas verpaßt, oder liegt es an Frau Schröders eigenwilliger Interpretation?

Da lese ich auch, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan solle Demokratie schaffen und bekäme künftig ein "ziviles Gesicht" - so Westerwelle. Mit den Waffen von Heckler & Koch, dem Rüstungslieferanten mit den Spendierhosen der CDU?

Erstaunt lese ich überdies, mit welchem Eifer das BKA und der Verfassungsschutz gegen eine kleine thüringische NSU-Terrorzelle ermittelt hätten. Aber heißt es nicht, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Nationalismus seien "in der Mitte der Gesellschaft" angekommen? Verbreiten nicht Tausende Bundesdeutsche antisemitische, religiöse und ausländerfeindliche Vorurteile, ohne auf Widerstand zu stoßen?

Es gibt noch viele Fragen, die der Zeitungsleser sich stellt. Von wem ist eine gültige Orientierung zu erwarten? Von der Regierung oder der CDU, deren Fraktionschef Volker Kauder froh darüber ist, daß "in Europa wieder deutsch gesprochen wird", dürfte sie wohl kaum ausgehen.

Dr. Horst Parlow, Neubrandenburg


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Vor Jahren habe ich dem ND mal 100 DM gespendet, als die Zeitung in Not war. Ich habe sie dann abbestellt, als sie immer "weichgespülter" wurde. Dabei hat sich ein hds besonders verdient gemacht. Nun ist mit der Kapitalherrschaft auf Dauer kein gutes Band zu flechten, zumal wenn sie sich in der Krise befindet. Die von Hans-Dieter Schütt ach so gelobte "Zivilgesellschaft" wird immer autoritärer und faschistoider. Damit kommen jetzt selbst "Weichgespülte" dran. Das ND mag sich über die "eifrige" Ministerin Kristina Schröder ereifern, aber sie liegt voll im Trend.

Marxismus-Leninismus läßt sich nicht durch den "aufrechten Gang auf allen vieren" ersetzen.

Reiner Meyer, Magdeburg


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Ganze Staaten stehen vor der Pleite, Regierungen wurden ausgewechselt, und dabei ging es gar nicht so "demokratisch" zu. Sogar ein "Bild"-Leser weiß mittlerweile, wer in diesem Land wirklich das Sagen hat. Das ist neu.

Die Apologeten des Kapitalismus, vor allem die am Ruder befindlichen Politiker, haben ein wachsendes Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit. Aber daraus erwächst noch lange kein revolutionäres Bewußtsein der Massen, ja nicht einmal die Wähler strömen der "Linken" in Scharen zu.

Dafür sehe ich zwei Hauptursachen:
1. Die allermeisten Bürger haben weit mehr zu verlieren als "ihre Ketten". Sie sind risikoscheu und wollen eigentlich morgen genauso leben wie heute, nur ein wenig besser. Daran können und wollen wir nichts ändern. 2. Die große Mehrheit traut uns nicht zu, die Kompetenz zu besitzen, an den bestehenden Verhältnissen etwas Grundlegendes zu ändern und dabei gleichzeitig ihre Lage zu verbessern. Das können und müssen wir nicht so belassen.

Mein größter politischer Wunsch für dieses Jahr ist deshalb: Möge es uns gelingen, unsere Kompetenz in den Augen der Massen entschieden zu erhöhen!

Herbert Schoenenburg, Rotterode


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Nazirichter waren es, die 1951 die FDJ verboten, weil sie für eine Volksbefragung über die Remilitarisierung Westdeutschlands eintrat. Sie stellten 1956 die KPD außerhalb von Recht und Gesetz. 1965 ließen sie in Baden-Württemberg die Aktion "Schneehaase" anlaufen, in deren Ergebnis etliche unserer Genossen aus Gesinnungsgründen verurteilt und in die Gefängnisse geworfen wurden. Solche Staatsanwälte, Richter und "Verfassungsschützer", die eine gar nicht existente Verfassung angeblich schützen sollen, sind auch gegen SPD-Genossen, Kriegsdienstgegner und junge Gewerkschafter vorgegangen, weil sie in den 60er Jahren Kontakt zu Jugendlichen in der DDR suchten und diese zu Gesprächen in die BRD einluden oder weil sie sich an friedlichen Demonstrationen gegen den Krieg der USA in Vietnam beteiligten.

Udo Heitzig, Stuttgart


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Das Internet macht ja heute alles möglich. So habe ich dort einen Filmausschnitt über eine rhetorische Schlacht Karl-Eduard von Schnitzlers bei TV Berlin (1998) gefunden. Die Sendung trug den Titel "Ich stelle mich". Damals ist Schnitzler gegen den ehemaligen Westberliner Senator Heinrich Lummer angetreten. Beim Betrachten des Videos bemerkt man schnell, daß weder Herr Lummer noch dazwischenrufende Zuschauer "Kleds" Rhetorik gewachsen waren.

Genosse Schnitzler wußte genau, wovon er sprach, als er sich in dieser Fernsehsendung zur Wiederbelebung der Rechten äußerte. Zehn Jahre nach seinem Tod sah sich der hochgelobte Rechtsstaat BRD gezwungen, ganz ungewollt dem Naziterror seine Aufmerksamkeit zu widmen. Damals erklärte Schnitzler: "Ich schäme mich, daß ich nicht mehr für die DDR getan habe."

Wilfried Steinfath, Berlin


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Karl Eduard von Schnitzler wußte genau, was auf uns zukommen würde. Doch selbst er konnte die kapitalistische Wirklichkeit nicht so drastisch und kraß darlegen, wie sie tatsächlich ist, weil ihm sonst noch mehr in Illusionen befangene Menschen nicht zugehört hätten.

Ich gehörte zu jenen DDR-Bürgern, die sich über jeden kleinen Fortschritt freuen konnten. Ob eine neue Straßenlaterne angebracht wurde oder ein Schlachter sich ein Motorrad mit Seitenwagen leisten konnte, um seine Fleischzuteilung vom Schlachthof abzuholen, ob Kindergärten eingeweiht, Polikliniken geschaffen oder Preissenkungen verkündet wurden - immer betrachtete ich das als Siege bei der Entwicklung unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates. Deshalb empfinde ich das "Fluidum" in der heutigen Gesellschaft als schwer zu ertragende Zumutung.

Manfred Wulf, Glauchau


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Meine Frau kaufte den Kalender "Wir Frauen 2012". Den 27. Januar bezeichnet man dort als Gedenktag für die Opfer des "Nationalsozialismus". Wir sollten uns durch diesen Schonbegriff nicht vereinnahmen lassen. Menschen, die schon in der Weimarer Republik gegen die heraufziehende faschistische Gefahr kämpften, später Widerstand gegen die Faschisten leisteten, sich nach der Befreiung am 8. Mai für ein antifaschistisches Deutschland schlugen, sprachen nie vom "Nationalsozialismus".

Das deutsche Finanzkapital wußte ganz genau, warum es der Verbrecherbande um Hitler empfahl, einen solchen Begriff zu erfinden und zu benutzen: um Arbeiter an die Hand zu bekommen. Doch wir sollten niemals diese Terminologie übernehmen.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord


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Eine der Villen des Bautzener Unternehmers Weigang, die nach der Befreiung vom Faschismus enteignet worden waren, "vergammelte" in den letzten 15 Jahren. Nach 1945 zunächst als Behördenamt, später durch einen Betrieb als Verwaltungsgebäude genutzt, nahmen sie Kinder und Jugendliche zu Beginn der 50er Jahre als "Haus der Jungen Pioniere" in Besitz. Aktivitäten und Arbeitsgemeinschaften aller Art - von jungen Technikern über Sanitäter, Tänzer, Bastler, Köche, Biologen und Zoologen, Pferde- und andere Tierzüchter bis hin zum Blasmusikorchester, zur Bibliothek und zum Pionier-Café - hatten hier ihr Domizil. Der neue (inzwischen abgerissene) Saal war Ort verschiedenster Veranstaltungen. 1982 erhielt das Haus den Namen des Kleinen Trompeters Fritz Weineck. Nach der Konterrevolution bestand es bis Mitte der 90er Jahre unter dem Namen "Wally" zunächst weiter. Im letzten Jahr von neuen Eigentümern gründlich restauriert, erstrahlt es wieder im alten Glanz, ist aber der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich.

Helge Tietze, Bautzen


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Vor zehn oder zwölf Jahren las ich gelegentlich die Moskauer Deutsche Zeitung. Ein russischer und ein einheimischer Journalist berichteten dort über den Tschetschenienkrieg. Sie schilderten ein schreckliches Ereignis: Nach der Einnahme eines Dorfes durch Milizen wurden die Einwohner auf einem Platz zusammengetrieben. Dann sollen mehrere Handgranaten in die Menge geworfen worden sein.

Der Reporter Igor Trutanow schrieb über Tote und Verletzte und berichtete von einem tschetschenischen Kind, das von 17 Splittern getroffen wurde und ein Auge verloren hatte. Das verletzte Kind lebte danach bei einer Tante in Moskau. Mit dem Reporter habe ich die Frau und das kleine Mädchen besucht. Ich habe es - wie auch drei kranke russische Kinder - dann nach Leipzig geholt. Ein hiesiger Augenarzt, zugleich Amtsarzt, stellte fest, seine russischen Kollegen hätten alles Nötige getan. Den vier Kindern habe ich Leipzig gezeigt und dann noch einen kleinen Urlaub an der Ostsee drangehängt.

Die weitere Entwicklung des einäugigen Mädchens verlief nicht glücklich. Als Tschetschenin wird die inzwischen 26jährige in Moskau ausgegrenzt. Sie findet keine Arbeit. Ich möchte ihr gerne helfen, aber die finanziellen Mittel eines Rentners sind begrenzt. Das Flugticket dürfte etwa 350 bis 400 € kosten, die augenärztliche Konsultation nicht billig sein. Dennoch halte ich an der Idee fest, die junge Tschetschenin noch einmal für zwei Wochen nach Leipzig zu holen, um etwas Freude in ihr Leben zu bringen. Können mir "RotFuchs"-Leser sagen, wie sich dieser Gedanke umsetzen läßt?

Gerhard Masuch, Leipzig


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Ich möchte dem "RotFuchs" für den Fortsetzungs-Abdruck und Cornelia Noack für das Aufschreiben ihrer Erinnerungen "Cornelias kleine große DDR" ganz herzlich danken. Sicher liegt es nicht an der geringen Entfernung zwischen Stalinstadt/Eisenhüttenstadt und Frankfurt/Oder, wo ich aufwuchs, daß sich die Erlebnisse gleichen. Beim Lesen fällt mir vieles aus eigenen Kindertagen wieder ein, und ich müßte nur Namen oder Orte ändern, um meine glückliche Kindheit zu schildern. Allein diese Geschichte ist es wert, daß ich mich auf den Februar-"RotFuchs" freue.

Richard Georg Richter, Cloppenburg


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Sehr geehrte Damen und Herren, es fällt mir schwer, Sie darum zu bitten, die Zusendung der Zeitschrift an mich einzustellen. Infolge einer fortschreitenden Augenerkrankung bin ich nicht mehr in der Lage, zusammenhängende Texte optisch zu erfassen. Der RF bleibt für mich außerordentlich interessant. Ein alter Bekannter wird mich deshalb in Zukunft über den Inhalt der weiteren Ausgaben informieren. Vielen Dank! Weiterhin guten Erfolg für das gesamte Kollektiv!

Prof. Dr. Joachim Dehne, Quedlinburg


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Zum Artikel "Von Condor bis Kundus": Heinz Hoffmann war nie Kommandeur des Thälmann-Bataillons, sondern bis zu seiner schweren Verwundung in der Schlacht von Brunete im Juli 1937 Kriegskommissar des 2. Bataillons, besser bekannt als "Hans Beimler-Bataillon" der XI. Brigade.

Das Thälmann-Bataillon, das 3. Bataillon der XI. Brigade, hatte mehrere Kommandeure. Der erste war kurzzeitig Ludwig Renn, darauf folgten Richard Staimer, Franz Raab, Georg Elsner, Anton Shichanowsky, Max Doppler, Fritz Klamm, Paul Horning, Willy Hackbarth, Jupp Goppel und zum Schluß wieder Franz Raab.

Legendär im eigentlichen Sinne war eher die von Hans Beimler schon unmittelbar nach dem Juli-Putsch 1936 mitbegründete "Columna Thaelmann", die Thälmann-Kolonne, die dann im Herbst des gleichen Jahres in die neu entstehende XI. Internationale Brigade eingegliedert wurde.

Dr. Werner Abel, Oberschöna


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Leider hat sich unter dem im Januar-RF auf Seite 23 veröffentlichten Foto eine falsche Datumsangabe eingeschlichen: General Lukács (Máté Zalka) fiel als Interbrigadist in Spanien am 11. Juni 1937 und nicht, wie irrtümlich angegeben, im Juni 1936.

Manfred Fischer, Berlin


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Gestern war der Januar-RF im Briefkasten, und heute haben wir in der Versammlung unserer Basisorganisation der Partei Die Linke gleich über den Artikel auf Seite 14 diskutiert, der das leidige Freitaler "Denkmal" betrifft. Wir sind alle der Meinung, daß der Beitrag den Sachverhalt sehr gut darlegt. Ich werde auch dem Oberbürgermeister ein RF-Exemplar zukommen lassen. Außerdem möchte ich noch viele meiner Freunde und Bekannten mit einer Kopie bedenken. Vielleicht gewinnen wir dann einige RF-Leser hinzu. Viel Kraft für weitere kritische Beiträge!

Peter Müller, Freital


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Vielen Dank dafür, daß mir nunmehr seit über fünf Jahren der RF verläßlich zugesandt wird. Die Lektüre muntert in finsterster Zeit immer wieder auf und zeigt mir, daß ich mit meiner Meinung nicht allein stehe.

Klaus Raeke, Plauen


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Mit Freude fand ich heute meine Verse "Schande" im "RotFuchs". Ich danke euch für diese Veröffentlichung. Wie immer habe ich die Zeitschrift interessiert und mit den meisten Artikeln voll übereinstimmend gelesen. Im 15. Jahr seines Erscheinens wünsche ich dem "RotFuchs" weiter wachsenden Zuspruch für sein Anliegen, Linke zu vereinen und Sprachrohr für aufrichtige Kommunisten und Sozialisten zu sein.

Manfred Wild, Berlin


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Zum Beitrag "Grundrente" in der Rubrik "Marxismus für Einsteiger" (RF 168): Da die mecklenburgische Gemeinde Besendorf auf 675 Jahre schriftliche Ersterwähnung zurückblicken kann, hat mich der Bürgermeister gebeten, zur Feier eine kleine Schrift zu verfassen. Bei der Recherche dazu habe ich u. a. in Erfahrung gebracht: Für das 514 ha große Gut waren von 1883 bis 1900 jährlich 16.000 Mark Pacht an den Landesherrn zu zahlen. Auf dem Hof schufteten 17 in Katen wohnende Landarbeiterfamilien. Jeder Deputat-Bezieher bekam jährlich bei freier Unterkunft 60 Mark, etwas Getreide, Kartoffelland, Garten und Wiese für seine Kuh.

Wenn man bedenkt, daß die 16.000 Mark Jahrespacht, die der Landesherr abschöpfte, nur ein Teil dessen war, was die Familien für den Pächter und den Großherzog Jahr für Jahr erwirtschafteten, kann man sich vorstellen, was hier an Bodenrente geflossen ist.

Siegfried Spantig, Hagenow


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In der Gorbatschow-Ära hatte ich einen Spitznamen. Ich galt als der "Urenkel Lenins" in der SED und dann auch in der PDS. Diesen Namen hatte man mir verpaßt, weil ich nach wie vor für die Weltrevolution eintrat. Dabei ist diese ja keine ansteckende Krankheit. Sie bedeutet in meinen Augen, daß jeder Mensch ausreichend Nahrung, sauberes Trinkwasser, eine gute Unterkunft, eine Erwerbstätigkeit zur Ernährung der Familie, Bildung und Ausbildung sowie gesundheitliche Betreuung erhält. Die Meisterung dieser gigantischen Aufgabe wäre in der Tat eine Weltrevolution.

Klaus Ehlert, Eberswalde


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In den Medien-Bilanzen für 2011 wurde der Papst-Besuch in der BRD als das Großereignis des Jahres dargestellt. Ich sehe in diesem heute gebrechlichen Greis nicht nur den früheren Erzbischof von München und späteren Präfekten der Glaubenskongregation der katholischen Kirche, der vor seiner Inthronisierung als "Stellvertreter Gottes" damit gewissermaßen der moderne Großinquisitor des Vatikans war, sondern den Inbegriff der Konservierung mittelalterlicher Denkweisen.

Auch wenn es anders erscheinen mag, bin ich mir der historischen und aktuellen Bedeutung der Kirche und des Christentums sehr wohl bewußt. Beide gehören zu unserer Geschichte - wie übrigens auch deutsche Weltkriege im 20. Jahrhundert und die bewaffnete "Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch". - Wer aber will mich dazu zwingen, auf die Deutschland-Visite des bayerischen CSU-Papstes stolz zu sein? Ich bin mit ganz anderen Idealen aufgewachsen und unverbesserlich ungläubig - zu allem Überfluß auch noch stolz darauf!

Wolfgang Klages, Berlin


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Im Verlauf von über 20 Jahren "Nachwendezeit" ist seit den Rufen "Wir sind das Volk!" - "Wir sind ein Volk!" inzwischen "unter dem Volk" erhebliche Nachdenklichkeit eingezogen. Das vereinigte Deutschland besteht spürbar aus elf alten und fünf neuen Bundesländern.

Vor allem Menschen der mittleren und älteren Generation sprechen immer offener und kritischer über ihre heutige Lebenslage. Man kann das in den Wartezimmern der Ärzte bemerken, aber auch beim Zusammentreffen mit Bekannten, in Warteschlangen bei Ämtern und sogar bisweilen im "Ostfernsehen". Viele Einschätzungen sind inzwischen von mehr Sachlichkeit und Realitätssinn geprägt. Es handelt sich dabei nicht um "DDR-Nostalgie" im Sinne alter westdeutscher Denkmuster. Das unterschiedliche Arbeitsleben, die hohen Belastungen der Job-Inhaber, Löhne und Gehälter, Mieten, Renten, Teilzeitarbeit, medizinische Betreuung und Kriminalität sind Themen, die unwillkürlich zum Vergleich reizen. Von "Wessis" hört man immer öfter, daß sie mit Mauer und D-Mark besser gelebt hätten, während "Ossis" empfinden, in der DDR sei doch vieles "gar nicht so schlecht" gewesen.

Wenn man alt und älter wird, denkt man an die prägenden Ereignisse der Kinder- und Jugendzeit zurück. Vielleicht trifft dies auch irgendwann einmal auf Frau Merkel in ihrer post-bundeskanzlerischen Ära zu. Heute bleibt ihr beim ständigen "Entscheiden-Müssen für Deutschland, Europa und die Welt" dafür nicht die nötige Muße. Doch dann könnte sie sich an die Entsorgung ihrer FDJ-Bluse erinnern, von der sie Obama erzählt hat, an deren Ersatz durch heißersehnte Jeans und auch daran, wie ihr das Erlernen einer "richtigen" Fremdsprache in der DDR verwehrt blieb. Der USA-Präsident hat ihr das bestimmt abgenommen, weil er sicher davon überzeugt ist, daß Russisch DDR-Amtssprache war und Deutsch nur familienintern benutzt werden durfte.

Eberhard Georgi, Strausberg

Raute

RF-Bezugsbedingungen

Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
Tel.: 030/654 56 34
E-Mail: arminneumann@ewt-net.de
Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.

Raute

IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Großmann

LAYOUT: Rüdiger Metzler

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

INTERNET-PRÄSENTATION DES ROTFUCHS
UND AKUSTISCHE AUSGABE (für Sehbehinderte):
Sylvia Feldbinder

Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

AUTORENKREIS:
Dr. Matin Baraki
Rolf Berthold
Dr. Manfred Böttcher
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Wolfgang Clausner
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Dr. Rudolf Dix
Ralph Dobrawa
Dieter Fechner
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Dr. Ernst Heinz
Jürgen Heiser
Helmuth Hellge
Dr. Dieter Hillebrenner
Manfred Hocke
Hans Horn
Dr. Klaus Huhn
Dr. Hans-Dieter Krüger
Rudi Kurz
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
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Prof. Dr. Herbert Meißner
Wolfgang Metzger
Frank Mühlefeldt
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Horst Neumann
Gerhard Schmidt
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Fritz Teppich
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Dieter Eckhardt, Heinz Herresbach,
Klaus Parche, Heinrich Ruynat,
Renatus Schulz

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Quelle:
RotFuchs Nr. 170, 15. Jahrgang, März 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2012