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ROTFUCHS/150: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 196 - Mai 2014


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 196, Mai 2014




Inhalt

  • Zwiegespräch mit meiner russischen Mutter
  • Uneigennützige Überlebenshilfe für Chemnitz
  • Zum Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen
  • Kein "Engagement" beim BRD-Kriegstheater!
  • Gab es Stolpersteine auf dem Weg zum Kommunismus?
    Walter Ulbrichts Durchblick
  • Offener Brief an Ursula von der Leyen
  • 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozeß
  • Was Kosels Enkel wissen will
  • Makabre Gefühlsausbrüche des Schloßherrn von Bellevue
  • Vor 20 Jahren starb Erich Honecker
  • Die Berliner Volkspolizei in der Endphase der DDR
  • Zörgiebels Blutmai 1929
  • Marxisten nach Strasbourg!
  • Was will die "Erinnerungsbibliothek DDR"?
  • Heinz Birch erzählt (2)
  • Zum Beitrag Christa Lufts: Pro und Contra
  • RF-Extra - Gisela Steineckert: Über die Biermann-Legende
  • RF-Extra - Sabine Lösing: EUropa - Friedensmacht oder Kriegsprojekt?
  • Venezuela: Die Revolution ist in Gefahr
  • Der Antibolschewistische Block der Nationen
  • Hintergründe der Haßkampagne gegen Putin
  • Schweiz: Ausländerfeindliches Votum
  • Kuba: Ein Ruhmesblatt des Humanismus
  • Rückkehr zum klassischen Kolonialismus
    Die "Befriedung" Zentralafrikas
  • Pete Seeger - ein Sänger, der Sieger blieb
  • Faires aus Kanada über Jenny Marx
  • "RotFuchs"-Wegbereiter: Arno Fleischer
  • Maxie Wanders "Guten Morgen, du Schöne"
  • Griff in die literarische Schatztruhe (19)
  • Ein neues Unwort: Urkatastrophe
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

*

Die Europäer gibt es nicht!

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich kandidiere auf der Liste der Deutschen Kommunistischen Partei für das Europäische Parlament. Warum?

Mir kommt es darauf an, im folgenden dargestellte Positionen unterstützen zu können, die von anderen - besonders nach dem Hamburger Parteitag der "Linken" - durch deren dort mehrheitlich nominierte Kandidaten wohl eher nicht vertreten werden dürften.

Dabei solidarisiere ich mich ausdrücklich mit jenen leider in der Minderzahl befindlichen Bewerbern der Linkspartei, die eindeutig antiimperialistische Positionen beziehen.

Zum Standardangebot der bürgerlichen Medien gehört die These von einem angeblich in der Brüsseler Retorte erzeugten vereinigten Europa, das an die Stelle traditionsreicher Nationalstaaten getreten sein soll. Hierzu ist festzustellen, daß die tonangebenden Banken und Konzerne sowie die deren Vorgaben umsetzenden Politiker mit der Formierung von EWG, EG und EU ihre "portugiesische Lektion" gelernt und Maßnahmen aller Art ergriffen haben, um künftig Aprilrevolutionen in ihren Domänen oder Hinterhöfen den Weg verlegen zu können. Mit ihren militärischen, polizeilichen, geheimdienstlichen und finanziell-ökonomischen Drosselungs- und Erdrosselungsinstrumenten verfügt die EU über repressive Mittel zur Zügelung jeglicher Widerständigkeit. Das bekommen die südeuropäischen Völker - allen voran die an den Marterpfahl der "Troika" gefesselten Griechen - nun schon seit Jahren hautnah zu spüren. Die EU, in der die deutschen, aber auch die französischen und britischen Imperialisten immer unverfrorener den Ton angeben, ist ein Mechanismus zur systematischen Zerschlagung der nationalen Unabhängigkeit, Souveränität und Eigenstaatlichkeit aller schwächeren "Partner" auf dem Kontinent. Eigentlich hat sich dem bislang nur Putins Rußland als europäisch-asiatische Großmacht in deutlicher Verfolgung eines an nationalen Interessen orientierten Kurses widersetzt.

Ohne Zweifel besteht die Strategie der Kreise um Merkel darin, mit Hilfe der EU die wichtigsten der auf militärischem Wege nicht erreichten Kriegsziele Nazideutschlands mit politisch-ökonomischen Operationen und möglichst "zivilen" Methoden, sieht man von der Ukraine ab, nachträglich durchzusetzen. Das Vorherrschaftsstreben des deutschen Imperialismus - zunächst auf Europa beschränkt - könnte schon bald darauf abzielen, selbst mit den USA auf Augenhöhe "Tacheles" reden zu können. Oder anders ausgedrückt: Der alte Traum, die Welt solle am deutschen Wesen genesen, droht einmal mehr erschreckende Realität zu werden.

Man sollte sich an Lenins im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts getroffene Voraussage erinnern, daß die schon damals gedanklich ins Spiel gebrachten "Vereinigten Staaten von Europa" entweder nicht zustande kämen oder reaktionär seien. Heute liegt eine den Völkern tatsächlich dienende gesamteuropäische Zusammenarbeit auf gleichberechtigter Basis - also das Gegenteil der EU - noch in weiter Ferne, während die Vorherrschaft der einen und die degradierte Rolle der anderen Staaten des Kontinents zu den politischen Realitäten gehört. Es handelt sich um Irreführung größten Stils, wenn das als "fast vollendete Einheit Europas" ausgegeben wird. Obwohl ein gnadenloser Machtkampf tobt, entwirft man die Architektur des gemeinsamen Daches eines Wolkenkuckucksheimes. Gorbatschows "gemeinsames europäisches Haus" läßt grüßen.

Die "Festung Europa", durch deren Abriegelung das Mittelmeer zum Massengrab für Arme und Hungernde aus der Dritten Welt geworden ist, offenbart das wahre Gesicht der EU. Ein "Europa" im Sinne der blumigen Phrasen bourgeoiser Politiker gibt es nicht. Leider aber werden solche Integrationsphantasien auch von nicht wenigen redlichen Menschen aufgenommen und verinnerlicht. Sogar mancher, der von sich behauptet, zu einer Analyse aus "linker Sicht" fähig zu sein, stößt da ins falsche Horn.

Bekanntlich gehen Marxisten davon aus, daß sich hinter jeglichem Geschehen sehr konkrete Klassenkräfte verbergen, die einzig und allein ihre ökonomischen und sozialen Interessen verfolgen. Aus dieser Sicht gibt es für uns auch nicht die Europäer, die Asiaten, die Amerikaner, die Afrikaner oder die Australier, sondern überall nur Ausbeuter und Ausgebeutete, lohnabhängige Arbeiter und parasitäre Absahner, die sich als Arbeit-Geber verkleiden, obwohl sie doch eigentlich die Arbeit-Nehmer sind. Der gierige Griff nach der angeblich alle ins selbe Boot holenden Zauberformel "Europa" ist - vom korrekten geographischen Terminus abgesehen - nichts anderes als die Begeisterung für leere Tüten, die angeblich voller Mehl sein sollen.

Es handelt sich um ein Abrücken vom Sinn und Inhalt unserer Weltanschauung, wenn sich als Kommunisten oder Sozialisten Posierende vom A und O des Marxismus - einer konsequenten Klassenanalyse - verabschieden, statt gegen das von einer aufgeblähten Bürokratie verwaltete Europa der Monopole zu kämpfen.

All das ist ein guter Grund für eine eigenständige Kandidatur deutscher Kommunisten zum Europaparlament. Die DKP stellt sich damit an die Seite so bewährter marxistisch-leninistischer Parteien des Kontinents wie der portugiesischen PCP und der griechischen KKE, die - ohne der fiktiven und an Brüssel geketteten Europäischen Linkspartei anzugehören - seit Jahr und Tag in Strasbourg gegen Lüge und Ausbeuterei in den Kampf ziehen.

Für mich ist das ein Grund, meinen Hut in den Ring zu werfen.

Klaus Steiniger

*

Zwiegespräch mit meiner russischen Mutter

Das Mosaik in der Krypta

Langsam gehe ich auf das große Denkmal zu. Treptow, 8. Mai 2012. Der Park. Sonne und Maienduft. Seit Jahrzehnten war ich nicht mehr hier. Eingesteckt habe ich ein Foto: unsere russische Mutter Tamara mit Gästen aus der UdSSR. Sie kam 1935 aus Liebe nach Deutschland, unser deutscher Vater lernte sie in der Sowjetunion kennen. Im Hintergrund das Ehrenmal - irgendwann in den 70er Jahren. Dort in der Krypta wurde sie verewigt - in einem Mosaik-Fries mit anderen sowjetischen Männern und Frauen. 1949 war ich als 13jähriger mit ihr dort, kurz nach der offiziellen Einweihung. In Erinnerung ist mir, daß sie ihre rechte Hand auf die Schultern einer vor ihr stehenden Frau legt, um diese zu trösten.

Ich verlangsame meine Schritte. An meiner Seite geht Hans, ein guter Bekannter. Er hat einen Lebensweg wie ich hinter sich. Der Befreiung haben wir beide dadurch Nachdruck verliehen, daß wir unseren Staat mit der Waffe in der Hand schützten. Humanität muß konsequent verteidigt werden. Wir gehen die Stufen nach oben. Das Eisengitter der Krypta ist geschlossen. Was nun? Stille. Andere legen Blumen ab. Auch wir. Ich trete dicht ans Tor, Die Figuren vor uns sind gut zu erkennen. Meine Mutter aber ist im Rondell ganz links abgebildet. Das weiß ich noch von meinem ersten Besuch. Ich kann den Kopf nicht durchs Gitter stecken, dafür aber meinen Fotoapparat. Ich richte ihn wohl zu weit nach links, so daß mir die Aufnahme nicht gelingt. Schade. Aber Hans versucht es ebenfalls ...

Plötzlich träume ich: "Na, wie geht's, mein guter Junge?" Mir stockt das Herz. Was soll ich in aller Kürze antworten? Ihr, die sie sich stets von Kleinmut, Egoismus und Herzlosigkeit zu befreien wußte, aber auch Härte zeigen konnte: bei Dummheit, engstirnigem Denken, leerem Geschwätz. Sie war politisch immer hellwach. Dazu schön, klug, begabt. Und tapfer, galt es doch, als russische Mutter von vier Kindern im faschistischen Deutschland zu überleben.

In der DDR war sie Dolmetscherin - vorwiegend für sowjetische Wissenschaftler, die das Land besuchten. Die umsorgte sie warmherzig. Verträgt die 1984 von uns Gegangene die Wahrheit über die Zustände des Jahres 2012, bei deren Entstehen auch eigene Schuld mit ihm Spiel war? Ist sie erschüttert? Ich beruhige sie. Wir leiden keine materielle Not. Mir scheint, sie müde lächeln zu sehen. Denn Materielles allein war nie der jungen Russin Ding. Sie liebte Musik, Literatur, Gemälde, Geistiges. Und wollte auch reisen. Die Möglichkeit dazu war bei uns leider begrenzt.

"Und nun?", höre ich sie im Geiste fragen. Sie verlangte stets ein klares Wort. Keine Heuchelei oder Unehrlichkeit. So nenne ich die Dinge beim Namen: Das Alte hat uns wieder. Und das Schlimmste: Kriege und Gewalt sind weltweit zurückgekehrt. Auch mit deutscher Beteiligung.

Erst Tage später fällt mein Blick auf ihre damals sehr schlanke Figur. Hans hat sie in der Krypta mit seiner Kamera doch noch erreicht. Aber nun kann ich ihr nicht mehr tröstend zurufen: Wir sind wieder auf dem Weg, auch wenn er zunehmend härter wird. Und wir wissen nicht, wie alles enden wird. "Tschüß, liebste Mama!" Dein Optimismus wirkt nach. Er steht für Hoffen und Handeln.

Harry Popow, Schöneiche

*

Wie Chemnitz vor dem Verhungern bewahrt wurde

Uneigennützige Überlebenshilfe

Am 8. Mai 1945, den man später in der DDR als Tag der Befreiung würdig beging, rückten Verbände der 25. Schützendivision der Roten Armee unter dem Kommando von Generalmajor Sofranow in meine Heimatstadt Chemnitz ein. Das Rathaus wurde anfangs Sitz der sowjetischen Militärkommandantur. Wie überall im Osten begannen auch bei uns Kommunisten und Sozialdemokraten, die oftmals aus tiefster Illegalität oder Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern kamen, sofort damit, das Leben im antifaschistisch-demokratischen Sinne neu zu gestalten.

Im traditionsreichen Versammlungslokal "Zur Bleibe" beriet man über die ersten Schritte, um sich bereits am 9. Mai mit einem Aufruf an die Chemnitzer Bevölkerung zu wenden, der Orientierung für die künftige Entwicklung gab. Bedeutendes bei der Einleitung notwendiger Schritte leistete Genosse Otto Heckert, der Bruder des legendären KPD-Führers Fritz Heckert, dessen Namen später ein volkseigenes Kombinat in unserer Stadt tragen sollte.

Ende Mai/Anfang Juni entstand eine extrem zugespitzte Lage bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Sie ergab sich auch daraus, daß die abziehenden US-Truppen das letzte Reservedepot total ausgeräumt und 3000 Tonnen Nahrungsgüter als Beute abtransportiert hatten.

Chemnitzer Ärzte informierten die Stadtverwaltung und den sowjetischen Kommandanten darüber, daß ein besorgniserregender Mangel an Eßwaren die Gefahr einer Hungertyphus-Epidemie heraufbeschwören würde. So sah sich die Stadtverwaltung Anfang Juni mit der Tatsache konfrontiert, daß in Chemnitz sämtliche Lebensmittelvorräte aufgebraucht waren, während aus anderen Gebieten der Sowjetischen Besatzungszone keine Entlastung erwartet werden konnte. Der Kommunist Max Müller - er war von 1930 bis 1933 ehrenamtlicher Stadtrat und nun Erster Bürgermeister von Chemnitz - notierte dazu: "... im Juni kam dann der Augenblick, vor dem wir uns schon lange gefürchtet hatten. Unsere Lebensmittelreserven waren erschöpft und keine Möglichkeit in Sicht, diesen Notstand abzustellen. Schweren Herzens mußten wir zur Besatzungsbehörde gehen und erklären: Wir sind am Ende. Doch das, woran wir kaum zu denken gewagt hatten, geschah. Es wurde uns Hilfe zugesagt."

In der Nacht vom 3. zum 4. Juni verließ eine Abordnung unter Leitung Walter Ulbrichts unsere Stadt, um nach Moskau zu fliegen. Dort berichteten sie dem KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck, Stalin und weiteren Mitgliedern des Politbüros der KPdSU über die Lage. Im Ergebnis der Beratung wurde verfügt, bis zum 15. Juni 1945 Lebensmittel aus Reserven der Sowjetarmee für Chemnitz bereitzustellen.

Die moralische Größe dieser Entscheidung der UdSSR läßt sich erst ermessen, wenn man die Tatsache in Betracht zieht, daß es der sowjetischen Bevölkerung in jener Zeit selbst am Allernotwendigsten, vor allem aber an Nahrungsgütern, fehlte - ein Ergebnis der riesigen Zerstörungen und Verwüstungen durch den Überfall und Raubkrieg des deutschen Imperialismus.

Günter Schmidt, Chemnitz

Dokument: Anweisung Stalins an Marschall Shukow

Anweisung Stalins an Marschall Shukow

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Zum Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen

Bericht eines Augenzeugen

Der folgende Text ist einem an zwei Bürger der BRD gerichteten offenen Brief entnommen, der im Februar 2007 als "Freitagsbrief" - Teil einer Serie von Zeugnissen Überlebender - bekannt wurde. Sein Verfasser ist ein langjähriger Leser des RF, der dieses Dokument unserer Zeitschrift zum Nachdruck angeboten hat.


Ich bedanke mich für Ihr ungewöhnliches Schreiben, in dem Sie Ihre Anteilnahme mit meinem Schicksal zum Ausdruck gebracht haben. Sie verstehen, was in Gefangenschaft geratene sowjetische Soldaten erlebt haben, insbesondere in den ersten Kriegsmonaten. Wir ergaben uns übrigens nicht, sondern wurden von unerfahrenen Kommandeuren in die Gefangenschaft geschickt. Aus diesem Grund ist es nicht korrekt, uns dafür zu beschuldigen. ...

Ich diente in Belarus, 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. An Kampfhandlungen war ich als Mechaniker und Panzerfahrer beteiligt. Am 30. Juni 1941 wurde mein Panzer im Kampf um die Stadt Wolkowysk getroffen. Zwei Besatzungsmitglieder starben. Der Rest unseres Regiments zog sich nach Minsk zurück. Am 5. Juli trafen wir zwölf Kilometer von der Stadt entfernt auf deutsche Einheiten. Hitlers Infanterie in Minsk - das war für uns eine böse Überraschung!

Nach der Gefangennahme geriet ich in ein Lager bei der Siedlung Drozdy unweit von Minsk, am Fluß Swislotsch. Dort gab es über 100.000 Kriegsgefangene und Zehntausende Zivilisten in gleicher Situation.

Die ersten Tage erhielten wir fast kein Essen. Einmal täglich kam ein Lkw. Von ihm wurden Lebensmittel abgeworfen: Nudeln, trockener Fisch, Heringe. Es gab unzählige Hungrige und nur geringe Chancen, etwas abzubekommen. Die Lebensmittel waren mit Erde vermischt. Man trank das schlammige Wasser aus dem Fluß. Danach wurde das Lager in die Stadt verlegt. Etwas zu essen erhielten wir einmal täglich. Die Ruhr brach aus. Die Kräfte nahmen ab. Die Gefangenen starben.

Wie sah mein weiteres Leben aus?

Im April 1945 wurde ich von sowjetischen Truppen im Stalag IV B bei Mühlberg an der Elbe befreit. Dort befand ich mich seit Mai 1942. Die ganze Zeit über arbeitete ich gemeinsam mit französischen und russischen Kriegsgefangenen in einem zum Lager gehörenden Gemüsegarten. Nach der Befreiung war ich zunächst bei der Behörde für die Repatriierung verschleppter Personen in der Stadt Elsterwerda tätig. Danach stellte mich die Militärkommandantur von Limbach für ein halbes Jahr als Dolmetscher ein. Im März 1946 kam ich nach Leningrad, wo meine Mutter die Blockade überlebt hatte. Im September 1946 setzte ich mein Hochschulstudium am Institut fort. Ich hatte es 1940 wegen der Einberufung zum Wehrdienst unterbrechen müssen.

Was meine Erinnerungen an die in Kriegsgefangenenschaft verbrachten Jahre betrifft, könnte man darüber ganze Bände schreiben. Ich werde nur einige Tatsachen schildern: Zunächst ein positives Erlebnis: 1943 befand ich mich im Stalag IV B. Eine Kolonne arbeitete bei Bauern im benachbarten Dorf. Ich wollte auch dorthin, um das Leben der Deutschen kennenzulernen. Ein Wachsoldat führte mich zu einem Haus und übergab mich der Herrin. Sie war dann für mich verantwortlich. Tagsüber bauten wir Erdbeeren an und unterhielten uns dabei. Abends kehrte ihr Mann von der Arbeit zurück. Er schloß sich interessiert unserem Gespräch an, wobei er auf Hitler und dessen Gefolgsleute schimpfte. Vor meiner Rückkehr ins Lager schlug er mir eine erneute Begegnung vor. An dem Tag, an dem sie stattfand, hatte er Geburtstag. Ich verbrachte die ganze Zeit im Kreis seiner Familie, wie ein nahestehender Mensch. Wir saßen am Tisch, tranken Wein und unterhielten uns. Dieser Vorfall hatte großen Einfluß auf meine Einstellung zur deutschen Zivilbevölkerung.

Ich durchlief drei Lager: Minsk, Gomel (im Winter 1941) und Bobrujsk. Die Bedingungen dort waren sehr schwer. In Gomel herrschte Typhus. Tausende Kriegsgefangene starben. Sie wurden nicht bestattet. Ihre Leichen brachte man zu einem Platz und stapelte sie dort auf. Im Frühjahr wurden Kolchosmitglieder gezwungen, sie mit der Karre wegzubringen. Außerhalb der Stadt verscharrte man sie in einem Panzergraben.

Im Frühjahr wurden Überlebende des Gomeler Lagers mit dem Zug nach Bobrujsk verlegt. Von dort ging es ins Lager Lesnaja. Nach einer Monats-Quarantäne wurden Kriegsgefangene nach Deutschland, ins Stalag IV B abtransportiert. In Lesnaja wie im Stalag wurde ich nach einer Denunziation in die Liste der Juden eingetragen. Sie sollten extra deportiert werden.

Nur ein Wunder rettete mich. Am Selektionstag hatte ich einen Arbeitseinsatz und wurde nicht entdeckt. Man führte eine Gruppe unter Bewachung ab. 1943 wurde ich der Prüfung durch eine Sonderkommission für Selektionen unterzogen. Sie bestand aus zwei Spezialisten in Zivil: einem SS-Offizier und seinem Dolmetscher. Beide waren aus Berlin gekommen. Sie untersuchten mich gründlich und behaupteten, ich sei Jude und hätte nur einen russischen Namen angenommen.

Ich besaß keine Papiere. Mich rettete ein im Lager befindlicher Studienkamerad. Er bestätigte meine Aussage. Diesmal wurden von 23 Mann, die man überprüft hatte, 21 unter strenger Bewachung weggebracht.

Nach diesem Erlebnis entschied ich, das Lager auf keinen Fall verlassen zu wollen. Doch gesunde Kriegsgefangene durften dort nicht bleiben. Sie mußten einem Arbeitskommando zugeteilt sein. Mir half ein Dolmetscher. Er schrieb in die für einen deutschen Arzt bestimmte Liste neben meinen Namen das Wort "behindert". Er tat das ohne mein Zutun. So blieb ich im Stalag bis zur Befreiung.

Während meiner Arbeit im Studio "Belarusfilm" stattete ich Deutschland zwei Besuche ab. 1973 nahm ich als Vertreter der UdSSR in Berlin am UNIATEK-Kongreß teil, 1978 besuchte ich die Ausstellung "photokina" in Köln.

Ich bin Ihnen für Ihren Brief dankbar und wünsche Ihnen Erfolg bei Ihrer Tätigkeit.

Boris Antonowitsch Popow, Minsk


Unser Autor war stellvertretender Intendant des belorussischen Fernsehens.

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Kinder und Enkel müssen vor Rattenfängern geschützt werden

Kein "Engagement" beim Kriegstheater!

Es war das vierte Kriegsjahr. Tag und Nacht flogen britische und US-amerikanische Bomberverbände über Deutschland und luden ihre todbringende Last ab. Auch wir waren "ausgebombt".

Dank der "Kriegskunst" des "genialsten Feldherrn aller Zeiten" erlitten die deutschen Streitkräfte an allen Fronten verlustreiche Niederlagen. Ich war bitter enttäuscht und wütend. Daß Nazi-Deutschland den Krieg begonnen, seine Luftwaffe offene Städte, friedliche Menschen zunächst in Spanien, später in fast allen Ländern Europas bombardiert hatte, kam mir nicht in den Sinn.

Am Tag vor diesem Luftangriff - ich war 15 - wurden wir für die "Heimatflak" gemustert. Einberufen wurden wir jedoch nicht. So begann ich meine Lehre als Maschinenschlosser. Täglich 10 Stunden Arbeit, auch als Lehrling. Dafür gab es wöchentlich 5 Reichsmark und 23 Pfennige.

Einen Lehrgang im Wehrertüchtigungslager und eine kurze Volkssturmausbildung empfand ich als willkommene Abwechslung. Es erfolgte eine Ausbildung an Pistole 08, Karabiner 98, IMG 34, Panzerfaust und Stielhandgranate 24. Mit inzwischen 16 erhielt ich Anfang 1945 die Einberufung zum "Reichsarbeitsdienst". In der Hauptsache wurden wir Tag und Nacht mit Schikanen aller Art beschäftigt, Toilette reinigen mit der eigenen Zahnbürste war noch nicht das Schlimmste. Bedingungsloser Kadavergehorsam stand im Vordergrund. Wenn wir barfuß im Nachthemd mit Gewehr, Stahlhelm und Gasmaske über den Sportplatz gejagt wurden, konnte man am Horizont ein Abendrot sehen - das Trommelfeuer der sowjetischen Artillerie.

Letztlich bin ich dann desertiert und wollte nie wieder eine Waffe in die Hand nehmen.

Ich brauchte vier Jahre, um mich neu zu orientieren.

Paul, mein Vorarbeiter im Betrieb, ein fleißiger, kluger und stets freundlicher Kollege, war in der KPD. Er hatte einige Jahre im KZ gesessen. Ein anderer, der mir den Beitritt zur Gewerkschaft nahelegte, gehörte der SPD an. Was beide sagten, gefiel mir - aber warum bestanden zwei Arbeiterparteien? Ich begann, mich mit der Geschichte meiner Klasse zu befassen, und bekannte mich nach dem Zusammenschluß von KPD und SPD zur Partei ihrer Einheit.

Am 18. Juni 1953 wurde auch die Belegschaft des VEB Warnow-Werft in den Streik hineingerissen. Im Demonstrationszug waren einige, die sich als "alte Kommunisten" ausgaben und das große Wort führten. Sie trugen sehr saubere und sogar gebügelte Arbeitsanzüge und ihren Händen war anzusehen, daß sie noch nie einen Hammer berührt hatten. Es handelte sich um eingeschleuste Provokateure.

Später rief die SED zur Bildung von Kampfgruppen für den Schutz unserer volkseigenen Betriebe auf. Jetzt griff ich freiwillig wieder zur Waffe, diesmal nicht aus Rachegefühlen und nicht, um fremde Völker zu unterdrücken, sondern aus innerer Überzeugung, um das eigene Volk vor Unterdrückung und Ausbeutung durch eine Handvoll Kapitalisten zu schützen.

Heute, 25 Jahre nach dem Ende der DDR, stehen wieder deutsche Truppen in fremden Ländern, sind erneut deutsche Soldaten "gefallen", wie man diese Art zu sterben verharmlost.

Da lese ich in der Zeitung, unsere CDU-Verteidigungs(?)ministerin wolle Familienfreundlichkeit in der Bundeswehr durchsetzen. Verstärkt werden 15- und 16jährige Mädchen und Jungen durch "Jugendoffiziere" oder Wehrdienstberater angesprochen, um sie für das Militär zu begeistern. Von "Engagement" ist die Rede, als ob es sich um das Theater handele.

Minderjährige können sich bereits mit 16 zur Bundeswehr melden und dann als "17jährige Soldatinnen und Soldaten" an der Waffe ausgebildet werden. Mit 18 dürfen sie auch im Ausland eingesetzt werden.

Meine Lebenserfahrungen verpflichten mich, unseren Mädchen und Jungen das zu sagen, was ihnen von den Werbern des Militärs verschwiegen wird.

Bei jeder militärischen Aktion sind die Leidtragenden immer diejenigen, welche am wenigsten schuld daran haben, besonders die unmittelbaren Angehörigen der Opfer und der Täter.

Man will Euch für den "Beruf des Soldaten" werben - eine Lüge! Das Charakteristische für einen Beruf ist, daß durch ihn Werte geschaffen werden, egal, ob materielle oder geistige. Der Soldat schafft aber keine Werte, sondern zerstört sie! Folglich ist Soldatsein unter kapitalistischen Gesellschaftsbedingungen kein Beruf, sondern Ausbildung und Erziehung zu Gewissenlosigkeit, Brutalität und Mord.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Wehrpflicht inzwischen abgeschafft. Eine friedenspolitische Wohltat für die Jugend und die erfahrungsgemäß argwöhnischen Nachbarn? Keineswegs! Wir haben nun ein stehendes Heer, fälschlicherweise Berufsheer genannt. In ihm unterliegt der Soldat über viele Jahre, möglicherweise sogar lebenslänglich, dem Einfluß seiner Auftraggeber. Er ist ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Rosa Luxemburg schrieb 1906: "Nach dem mehrjährigen Dienst vergißt der Soldat, daß er ein Kind des Volkes ist, hört er überhaupt auf, darüber nachzudenken, was er tut, und ist bereit, auf Befehl der Offiziere den eigenen Vater und die eigene Mutter zu ermorden. So haben die herrschenden Klassen und Regierungen im Militarismus eine Mordwaffe gegen die bewußten Arbeiter und aufrührerischen Bauern."

Die Aufgaben und Ziele einer "Berufsarmee" richten sich nicht nur gegen feindliche Streitkräfte, sondern vorrangig auch gegen die Völker, die sich nicht dem Diktat des Kapitals unterwerfen wollen, das eigene Volk eingeschlossen.

Der Verzicht auf die Wehrpflicht in der BRD ist folglich nur dem Schein nach eine friedenspolitische Aktion. In Wahrheit dient er der Verschärfung des militaristischen Ungeistes. Rüstung und Rüstungsexport laufen nach wie vor auf Hochtouren.

Schützen wir unsere minderjährigen Kinder und Enkel vor dem Einfluß der militärischen Rattenfänger. Erinnert sei an den Appell August Bebels: "Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!"

Tragen wir also unsere Forderungen in die Öffentlichkeit:

Verbot der Werbung für die Bundeswehr in Schulen, an Universitäten und bei Berufsberatungen;
Kündigung der bestehenden Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Kultusministerien;
Verbot der Einstellung und militärischen Ausbildung von Minderjährigen unter 18 Jahren bei der Bundeswehr oder anderen bewaffneten Organen;
Rückzug aller deutschen Truppen und ihrer Technik, Waffen und Munition aus Auslandseinsätzen;
Verbot sämtlicher Rüstungsim- und -exporte und Umbau der Rüstungsindustrie für zivile Produktion.

"Laß uns Dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland!"

Gerhard Scholz, Wolgast

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Gab es Stolpersteine auf dem Weg zum Kommunismus?

Zu Auffassungen Walter Ulbrichts

In dem von Egon Krenz im Verlag Neues Leben herausgegebenen Buch über Walter Ulbricht kommen viele Menschen zu Wort, die mit dem herausragenden DDR-Politiker persönlich Kontakt hatten oder Aussagen zu ihm machen können. Aufschlußreich ist die Tatsache, daß dieser gestandene Kommunist viele neue Gedanken und Vorstellungen zu Demokratie und Wirtschaft in der DDR, ja überhaupt zum Sozialismus entwickelte, die sich aus der Analyse der deutschen und internationalen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg ergaben.

Die DDR, die das sozialistische Modell der UdSSR übernahm, besaß nur begrenzte Möglichkeiten, Ulbrichts Überlegungen und Erkenntnisse umzusetzen.

Die Führer in Moskau beharrten auf den Festlegungen des XVIII. Parteitags der KPdSU, der 1939 den Übergang zum Aufbau des Kommunismus in der UdSSR als strategische Aufgabe erklärt hatte.

Die sowjetischen Kommunisten versäumten es nach Stalins Tod, solche vereinfachten Vorstellungen gründlich zu analysieren und sich von damit verbundenen Illusionen zu trennen. Statt dessen erarbeitete die sowjetische Partei 1961 auf diesem unrealistischen Fundament ihr neues Programm und formulierte darin die Aufgabe, innerhalb von 20 Jahren die kommunistische Gesellschaft zu errichten. Das waren Chruschtschows lebensfremde Traumschlösser.

Walter Ulbricht erkannte, daß die von Marx und Engels erarbeiteten Vorstellungen über zwei Phasen beim Aufbau einer ausbeutungsfreien Gesellschaft angesichts der jüngsten Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg und den dabei gesammelten Erfahrungen konkretisiert und der Realität entsprechend neu formuliert werden mußten, ohne den Marxismus damit in Frage zu stellen.

Ulbricht hatte den Mut, sich bestimmten Vorstellungen im sowjetischen Modell zu widersetzen. So war er der Meinung, daß nach Vollendung der sozialistischen Umgestaltung der umfassende Aufbau des Sozialismus erfolgen müsse, dem sich die "Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft" anschließen werde. Er war davon überzeugt, daß nur über sie das kommunistische Ziel erreicht werden könnte.

Die Folge solcher Widersetzlichkeit war, daß man Walter Ulbricht unter Verweis auf sein Alter de facto zum Rücktritt zwang, wobei Breshnew im Bunde mit bestimmten SED-Führern die entscheidende Rolle spielte.

Liest man im Krenz-Buch enthaltene Berichte, so neigt man zu der Auffassung von Prof. Alfred Kosing, daß Walter Ulbricht der bedeutendste Staatsmann der DDR war.

Leider wurden seine Erkenntnisse vielen Bürgern erst nach Einverleibung der DDR zugänglich. Dennoch beschäftigen sich linke Politiker bis heute kaum mit den Überlegungen Ulbrichts und von ihm konsultierter Wissenschaftler. Noch immer fehlen seriöse und glaubwürdige Vorstellungen darüber, welche Wege möglich und notwendig gewesen wären, um den Sozialismus im Marxschen Sinne zu vollenden und aus voluntaristischen Gründen oder dogmatischer Denkblockade begangene Fehler in der praktischen Politik zu vermeiden.

Walter Ulbricht hat meines Erachtens die von Marx und Engels im "Kommunistischen Manifest" verankerten Sichten überprüft und dabei Fragen aufgeworfen, die ihn über notwendige theoretische und praktisch-politische Korrekturen des Kurses der DDR nachdenken ließen.

Engels traf im Vorwort zur vierten Auflage (1890) - also zu Zeiten Bebels - folgende Feststellung: "Als das Manifest erschien, hätten wir es nicht Sozialistisches Manifest nennen dürfen, weil man unter Sozialisten 1847 zweierlei Art von Leuten verstand: Anhänger der verschiedenen utopischen Systeme ... als allmählich aussterbende Sekte und Soziale Quacksalber, die mit verschiedenen Allerweltsmitteln und jeder Art Flickarbeit die gesellschaftlichen Mißstände beseitigen wollten, ohne dem Kapital und dem Profit im geringsten wehe zu tun. In beiden Fällen Leute, die außerhalb der Arbeiterbewegung standen und Unterstützung suchten bei den 'gebildeten' Klassen. Den Teil, der eine gründliche Umgestaltung wollte, nannten sie damals 'kommunistisch'".

Es dürfte also nicht falsch sein anzunehmen, daß Marx und Engels den Begriff Kommunismus und seine Zielstellung als Abgrenzung von all jenen Kräften verstanden wissen wollten, die den revolutionären Weg zur Überwindung des kapitalistischen Systems ablehnten und "Sozialismus" lediglich als Aushängeschild für ihre antisozialistische Politik benutzten. Mit der Gründung der KPD unterstrichen Liebknecht und Luxemburg, ausgehend von ihren Erfahrungen in der SPD seit dem Tode Bebels, daß der Begriff Sozialismus von den rechten Führern dieser Partei weiter mißbraucht werde.

"Alle Programme der in den sozialistischen Ländern regierenden Parteien gingen richtigerweise von den durch Marx und Engels entwickelten Vorstellungen über die kommunistische Gesellschaftformation aus. In der ersten Phase sollte das Prinzip gelten: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung. In der zweiten Phase, dem Kommunismus, sollte das Prinzip gelten: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." (Prof. Harry Nick im Ulbricht-Buch)

Das war natürlich völlig richtig. Aber da keine überzeugenden Vorstellungen davon bestanden, wie der Kommunismus letztendlich aussehen sollte, gab es die verschiedensten Spekulationen.

Nach sowjetischer Auffassung war es selbstverständlich, daß nach Beendigung der Übergangsperiode mit der Überführung des Großteils der Industrie in Volkseigentum und der privaten bäuerlichen Betriebe in genossenschaftliches Eigentum der Eintritt in die kommunistische Phase beginnen müsse. Da die Vorstellungen Walter Ulbrichts von der KPdSU nicht akzeptiert wurden, fand man in der DDR eine Ausweichdefinition: Man sprach vom "real existierenden Sozialismus". Meiner Meinung nach handelte es sich dabei um eine unwissenschaftliche Formulierung, in die man allerlei hineininterpretieren konnte. Tatsächlich will die Losung erkennen lassen, daß es um einen noch nicht vollendeten Sozialismus geht.

Aus diesem Grunde dachte Walter Ulbricht in politischen und ökonomischen Fragen strategisch und erkannte, daß noch ein weiter Weg zum Kommunismus oder zur Vollendung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, die er als eine relativ selbständige Formation betrachtete, zurückzulegen sein würde.

Die kühne Analyse des SED-Politikers stieß leider nur bei wenigen Genossen auf Verständnis und Zustimmung, da sie langgehegte Illusionen zerstörte. So entstand ein offenkundiger Widerspruch zwischen der ständig verbreiteten theoretischen These und der gesellschaftlichen Realität, was negative Auswirkungen auf viele Bereiche hatte. Der diesbezügliche Stillstand in der UdSSR und den anderen sozialistischen Ländern zählt sicher auch zu den Gründen, warum der Auf- und Ausbau des Sozialismus am Ende auf der Strecke blieb.

Günter Bartsch, Berlin

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Was eine siebenfache Mutter bedenken sollte

Offener Brief an Ursula von der Leyen

Frauen, besonders Mütter, gar Mütter mit mehreren Kindern, werden weltweit als Symbol des Friedens, der Sicherheit und der Geborgenheit wahrgenommen. So stieß es bei vielen Menschen auf Verwunderung, auch Ablehnung, daß die neue Koalitionsregierung eine Frau und Ärztin für das Verteidigungsministerium als Chefin verpflichtete. Nebenbei: Es ruft Skepsis hervor, wenn ein Politiker für alle Ministerien geeignet erscheint und Fachkenntnisse offenbar überflüssig sind. Am Dilettantismus, mit dem wir häufig regiert werden, zeigt sich das. So hätten Sie sowohl als Ministerin für Familie oder auch als Ministerin für Arbeit und Soziales dazu beitragen können, daß Art. 3 (1) (3) GG endlich durchgesetzt wird. Nach Ihrem Amtseid sind Sie sogar dazu verpflichtet. Ihren Vorstellungen entsprechend soll ja die Rentenangleichung Ost/West im Jahre 2020 vollzogen sein. Ich bin dann 90 wie Ihr Vater! Krebsoperiert und mit einer schweren Herzinsuffizienz belastet, stehen die Chancen also gut für Sie, meine und die Rente vieler anderer Bezieher im Osten einzusparen. Unsere derzeitigen und ehemaligen Spitzenpolitiker erhalten hingegen eine fulminante Altersvorsorge, ohne je einen Cent dafür eingezahlt zu haben. Das ist schlechthin skandalös!

Doch zurück zu Ihrer jetzigen Tätigkeit. Sie wollen die Bundeswehr familienfreundlicher machen, Versetzungen einschränken, lange An- und Abfahrtswege sowie Pendelstrecken reduzieren ... Im übernächsten Satz kündigen Sie verstärkte Auslandseinsätze an. Die Bundeswehr müsse dort eingreifen, wo Mord und Terror herrschten. Wer aber beurteilt das? Wie Ihre Vorgänger wollen auch Sie aus den Soldaten der Bundeswehr, den "Bürgern in Uniform", bezahlte Söldner machen. Sie provozieren die Tatsache, daß deutsche Soldaten in fremden Ländern und auf fremden Kontinenten Zivilisten töten, auch kleine Kinder von siebenfachen Müttern, sowie selbst getötet werden oder schwer traumatisiert nach Hause kommen.

Ich habe den 2. Weltkrieg noch unmittelbar erlebt. Beide Großmütter sind bei Bombenangriffen ums Leben gekommen, der Bruder meiner Frau ist am Ladogasee bei der Belagerung Leningrads durch die Faschisten gefallen. Er war 20. Mein Vater ist wegen Dystrophie II vorzeitig aus der Gefangenschaft entlassen worden, viele meiner näheren Verwandten wurden in Dresden und Chemnitz zum Teil total ausgebombt. Das Kind unserer Nachbarn verblutete auf der Straße, Tiefflieger hatten ihm die Beine abgeschossen, regelrecht abgetrennt; im Straßengraben lag ein ganz junger Soldat, ihm quollen die Därme aus dem Bauch, er brüllte wie ein Tier, dann wimmerte er nur noch - daraufhin trat Ruhe ein - für den jungen Soldaten endgültig.

Weit über 50 Millionen Tote im 2. Weltkrieg, also etwa die gesamte Bevölkerung Großbritanniens oder Frankreichs - reicht das noch nicht? Krieg löst keine Probleme, er schafft nur immer wieder neue; er kennt keine Sieger, nur Verlierer, bis auf wenige Kriegsgewinnler. Und das ist schändlich! Daher wohl auch der Begriff "Verteidigungsministerium". Sie verteidigen die Maximalprofite der Rüstungsindustrie und die Dividenden ihrer Aktionäre! Die Tatsache, daß Deutschland den dritten Platz in der weltweiten Rangfolge beim Export von Waffen und Kriegsgerät einnimmt, ist bezeichnend. Nun beziehen Sie sich auch noch auf Afrika! Die derzeit zum Teil chaotischen Zustände in manchem afrikanischen Land sind Ergebnis einer verbrecherischen Politik europäischer Kolonialmächte. Es wurden Grenzen gezogen, nur den Interessen der ausbeutenden Konzerne untergeordnet, Ethnien getrennt oder zusammengezwungen, ohne deren Traditionen zu berücksichtigen, Kulturen kurzerhand vernichtet. Verhängnisvoll und verantwortlich für den Hunger auf dem afrikanischen Kontinent ist die Zerstörung der Agrarwirtschaft, der Zwang zu Monokulturen.

Die seinerzeitige Niederwerfung und Ausrottung der Hottentotten durch die Armee der kaiserlich-deutschen "Schutztruppen" sowie die Vertreibung der Hereros, die zum Verdursten bei lebendigem Leib in die Kalahari-Wüste geschickt wurden, sind erschütternde Tatsachen.

Wenn wir von Afrika sprechen, sollten wir uns an Albert Schweitzers Lambarene und seiner Philosophie von der "Ehrfurcht vor dem Leben" ein Beispiel nehmen, nicht aber an Lettow-Vorbeck oder Carl Peters. Was haben deutsche Truppen heute im ehemaligen Französisch-Westafrika zu suchen?

Auch die großspurigen und nationalistischen Töne des Bundespräsidenten rechtfertigen Ihr Handeln nicht. Solche Äußerungen passen schlecht in die schuldbeladene jüngere deutsche Geschichte. Bei Gustav Heinemann, Richard von Weizsäcker oder "Bruder Johannes" Rau wären sie nicht vorstellbar gewesen! Sie widersprechen auch Ihren Ansprüchen, denen der Frau Bundeskanzlerin oder des Herrn Bundespräsidenten, Demokraten, Christen und Humanisten sein zu wollen.

Günther Trummer, Damerow

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Vor 50 Jahren fand der Auschwitz-Prozeß statt

Vor einem halben Jahrhundert standen 22 ehemalige SS-Angehörige wegen ihrer im größten deutsch-faschistischen Konzentrations- und Vernichtungslager begangenen Verbrechen vor dem Schwurgericht in Frankfurt am Main. Ralph Dobrawas Buch "Der Auschwitz-Prozeß", das jetzt im Verlag Das Neue Berlin erschien, trägt den Untertitel "Ein Lehrstück deutscher Geschichte".

Es enthält u. a. die persönlichen Eindrücke und den Schlußvortrag des herausragenden DDR-Anwalts Friedrich Karl Kaul, der als Vertreter der Nebenklage am Verfahren mitwirkte, seine Erwiderung auf Plädoyers der Verteidiger, das Gutachten des Wirtschaftshistorikers Prof. Jürgen Kuczynski und Auszüge aus dem Urteil.

Nahezu zwei Jahrzehnte waren seit der Zerschlagung des Hitlerfaschismus vergangen, Nazi-Richter und -Staatsanwälte sowie Schreibtischmörder befanden sich im Bonner Staat nach wie vor oder wieder in Amt und Würden. Doch die Weltöffentlichkeit hätte nicht hingenommen, wenn die in Auschwitz begangenen Schreckenstaten ungesühnt geblieben wären. So entschloß man sich in der BRD, bei Verschonung der geistigen Urheber und der materiellen Nutznießer von Judenverfolgung und Massenmorden, wenigstens unmittelbar Tatbeteiligte vor Gericht zu bringen. Dazu trugen sowohl langjährige Aktivitäten westdeutscher Antifaschisten als auch das Beispiel der DDR, die mit faschistischen Verbrechern konsequent abgerechnet hatte, maßgeblich bei. - Im Auschwitz-Prozeß wurde der Gerichtssaal zum Kampfplatz. Es ist so aufrechten Antifaschisten wie Friedrich Karl Kaul, Jürgen Kuczynski, Fritz Bauer, Henry Ormond und Christian Raabe zu verdanken, daß damals alle Versuche, die Zeugen des schrecklichen Geschehens einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, erfolglos blieben.

Wer Dobrawas Buch liest, erschaudert angesichts der fabrikmäßig-perfekten Abwicklung der Massenmorde. Zugleich stellt man sich die Frage, wie es möglich war, aus dem "Volk der Dichter und Denker" eine Nation zu machen, in der Büttel und Mörder den Ton angaben. Die meisten Deutschen hatten angeblich "keine Ahnung", was da geschah. Selbst die Angeklagten konnten sich "an nichts mehr erinnern", weder an das Aussondern noch Arbeits- und Ausbeutungsfähiger auf der Rampe nach Ankunft der Transporte in Auschwitz, noch an die Masse derer, die sofort in die Gaskammern kamen.

Es ist von besonderem Wert, daß Dobrawas Publikation - im Gegensatz zu dem, was bundesdeutsche Gerichte be- und verurteilten - den Beweis erbringt, wer die eigentlichen Profiteure der Verbrechen waren. Sie erhellt das Zusammenspiel der SS-Maschinerie mit der deutschen Großindustrie, insbesondere dem IG Farben Konzern, dessen Nachfolgeunternehmen ja in der BRD nach wie vor eine Wirtschaftsmacht ersten Ranges verkörpern - die Badischen Anilin- und Sodafabriken, Bayer Leverkusen und die Farbwerke Hoechst AG.

Beachtung verdient der Hinweis auf die Erfurter Firma Topf und Söhne - die Ofenbauer für Auschwitz. Sie begann 1939 damit, die SS mit Spezialöfen samt Gaskammern und Sicherungstechnik zur Tötung und Leichenbeseitigung zu beliefern. In einem 1943 an Himmlers Mordbanden gerichteten Schreiben des Unternehmens hieß es: "... stets gern für Sie beschäftigt, empfehlen wir uns Ihnen bestens. Heil Hitler!"

Ralph Dobrawas Arbeit ist von brennender Aktualität, denn sowohl die gesellschaftlichen Wurzeln des Faschismus - das ökonomisch-politische Machtgefüge im Dienste des deutschen Kapitals - als auch die Allmacht ihm hilfreicher Medien bestehen teils verbrämt, teils unverhüllt in der BRD fort. Das ruft Vergangenes als Mahnung für die heute Lebenden ins Gedächtnis. So steht das hier rezensierte Werk unter dem Motto: Keinen Fußbreit Boden den Faschisten!

Dr. Ernst Heinz


Ralph Dobrawa: Der Auschwitz-Prozeß. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2013, 256 S., 16,99 €, ISBN 978-3-360-02170-0

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Was Kosels Enkel wissen will

Der Chefredakteur der seinerzeitigen sorbischen Tageszeitung "Nowa Doba" Sieghard Kosel gehört dem Vorstand unseres RF-Fördervereins an. Auf dessen Mitgliederversammlung im Oktober sprach er vom Bemühen um interessante, Aufmerksamkeit hervorrufende Veranstaltungen. Er kam dabei auch auf seinen Enkel zu sprechen, der immer wieder von ihm fordere: "Opa, erzähl mir mal etwas." Auf die Frage, was er denn hören wolle, folge stets der Wunsch: "Opa, erzähl mir etwas, was ich noch nicht weiß." Da sind dem Gesprächsstoff keine Grenzen gesetzt!

Die bürgerlichen Medien berichten erstaunlich viel, was wir tatsächlich noch nicht wußten. Lesens-, Hörens- oder Sehenswertes, das sich mit einiger Mühe aus den Müllbergen täglicher Massenverdummung ausgraben läßt! Da werden Finanzspekulationen bloßgelegt und eigene Geheimdienste mit gehöriger Skepsis betrachtet.

Mosaiksteine sind greifbar und müßten "nur noch" zu einem Bild zusammengefügt werden. Um mit Marx zu sprechen: Es gilt, "die Sache an der Wurzel zu fassen". Was natürlich nicht bedeutet, daß wir den von bürgerlichen Leitmedien vorgegebenen Themen hinterherhecheln sollten. Das macht deren Meute zur Genüge selbst. Doch die Suppe aus Geplapper, Sensationen und Skandalen ist zu dünn, um uns zu sättigen. Da gilt es, Gehaltvolleres anzurichten, beispielsweise aus der marxistischen Küche.

"Etwas, was ich noch nicht weiß", will Kosels Enkel in Erfahrung bringen. Gehören dazu nicht auch die gedankliche Schlüssigkeit und das bewundernswerte Vermögen von Karl Marx, Zusammenhänge zu erfassen? Wir sollten ihn wieder selbst zu Wort kommen lassen, um weithin Unbekanntes zu vermitteln. Denn seit einem Jünglingslebensalter gibt es hierzulande, sieht man von Ausnahmen ab, zu denen unser Bemühen zählt, keine systematische Bildungsarbeit mehr. Ja, laßt uns modern sein, ohne nach der Mode zu gehen. Was gestern richtig war, mag heute vielleicht falsch sein. Was heute stimmt, müssen wir möglicherweise morgen korrigieren. Aber auch das schon oft Gesagte sollte man wiederholen, denn Brecht irrt nicht, wenn er feststellt: "Das Gedächtnis der Menschheit für Vergangenes ist erstaunlich kurz."

Kosels und viele andere Enkel wollen natürlich auch Antwort auf neue Fragen: Trägt uns die Mutter Erde noch in 20 Jahren? Welche Länder wird der Klimawandel unbewohnbar machen? Entwickelt sich das Internet vom Instrument der Aufklärung zur geistigen Einbahnstraße?

Versuchen wir die jungen Fragesteller ernst zu nehmen. Denn vielleicht bringen sie uns weiter als unsere häufigen Antworten auf gar nicht gestellte Fragen.

Bernd Gutte

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Makabre Gefühlsausbrüche des Schloßherrn von Bellevue

"Betroffenheit" eines Nichtbetroffenen

Eines beherrscht der ehemalige Pastor und heutige Bundespräsident wirklich aus dem Effeff: Er kann zu den verschiedensten Themen eine verblüffende persönliche Betroffenheit zur Schau stellen, die den eher naiv veranlagten oder durch die Medien abgerichteten Teil der Deutschen anbetungsvoll zu ihm aufschauen läßt. Jene aber, welche sich auf politischem Terrain besser auskennen, oder auch Bürger, denen die unfrisierte Biographie des BRD-Staatsoberhauptes bekannt ist, dürften auf ein solches Gehabe des Schloßherrn von Bellevue eher anders reagieren. Erinnert sei hier an Gaucks hochnotpeinliches Zusammentreffen mit Angehörigen der Opfer der Zwickauer NSU-Zelle, als er einmal mehr bühnenreife Krokodilstränen vergoß. Es war indes von ihm kein Wort darüber zu vernehmen, daß die durch ihn an oberster Stelle repräsentierte BRD widerstandslos zum Schauplatz von zehn (!) aufeinanderfolgenden Morden eines ausländerfeindlichen rechten Terrortrios werden konnte. Das einzige, was man von Gauck vernahm, war sein nebulöses Versprechen "umfassender Aufklärung". Doch wer soll dieses betreiben? Etwa jene Behörden, welche schon während des mehrjährigen Terrorfeldzuges der NSU das Wegsehen geübt hatten?

Tiefe Erschütterung demonstrierte der Bundespräsident auch bei seinem Besuch im französischen Oradour-sur-Glâne. Das 200 Kilometer nordöstlich von Bordeaux gelegene Dorf erlangte im Juni 1944 gespenstische Bekanntheit, als seine Bevölkerung im Zuge eines SS-Blutbades fast vollständig ausgerottet wurde. An der Stätte des Verbrechens verwies Gauck auf die "große Schuld, die Deutsche hier auf sich geladen haben". Er vergaß allerdings die Tatsache zu erwähnen, daß er ein Land repräsentierte, das bei seiner Gründung im Mai 1949 besonderen Wert darauf gelegt hatte, Rechtsnachfolger des faschistischen 3. Reiches zu sein. Zwielichtig gab sich Gauck gegenüber seinen französischen Zuhörern mit der Bemerkung: "Geblieben ist bis heute auch die Frage nach der individuellen Schuld der einzelnen Täter an Orten wie Oradour. Es waren Täter aus der Mitte des Volkes - mit Namen und Gesicht . Neuerdings wird wieder ermittelt und zwar gegen Personen, die sich an dem Massaker beteiligt haben sollen. Dem Ergebnis der Staatsanwaltschaft Dortmund möchte ich nicht vorgreifen."

Und das war auch gut so, dürften doch die ins Auge gefaßten Tatverdächtigen heute wohl um die 90 Jahre alt sein. Ein Prozeß würde also mit hoher Wahrscheinlichkeit an ihrer Verhandlungsunfähigkeit scheitern und so zu einer noch größeren Farce als das Hornberger Schießen vor dem Münchner Oberlandesgericht werden. Einen der größten verbalen Fehltritte leistete sich der Bundespräsident mit seiner Äußerung zur Reichspogromnacht.

Auch in schlechten Zeiten habe man immer die Wahl, das Richtige zu tun und seinem Gewissen zu folgen, verkündete er. Doch nach derart wegweisenden Worten müssen wohl oder übel ein paar Fragen gestattet sein: Herr Gauck, warum ist Ihre Mutter (NSDAP-Mitglied seit 1932) eigentlich nicht ihrem Gewissen gefolgt? Warum hat Ihr Vater (NSDAP-Mitglied seit 1934) nicht das Richtige getan? Und warum hat Ihr großes Vorbild, Onkel Gerhard Schmitt, der sich bereits 1931 der Hitlerpartei anschloß, als hoher SA-Führer Karriere gemacht? Besaß auch er keinen Blick für das Richtige und kein Gewissen? Natürlich kann niemand für das Handeln seiner Eltern und Verwandten haftbar gemacht werden - aber distanzieren sollte man sich doch wenigstens.

Herr Gauck weiß nur allzugut, daß einflußreiche Strippenzieher wie die Medien-Dompteuse Friede Springer Bundespräsidenten nicht nur ins Amt hieven, sondern auch aus diesem vertreiben. Die Entlassung der Gauckschen Amtsvorgänger Horst Köhler und Christian Wulff hat bewiesen, daß dem kostenfreien Wohnen im Schloß Bellevue plötzlich die Kündigung folgen kann. Köhler hatte über wirtschaftliche Kriegsziele der BRD in Afghanistan geplaudert, Wulff mahnte in seiner Lindauer Rede an, daß sich das BRD-System in ernste Gefahr begebe, laufe im Kapitalismus alles so weiter wie bisher. Zwei Vorgänge, deren Ahndung zeigt, wie eng der Rahmen der Meinungsfreiheit in der BRD selbst für Staatsoberhäupter ist.

Aus dem Munde des derzeitigen Bundespräsidenten dürften derart eigenständige Äußerungen indes wohl kaum zu erwarten sein. Dem Ex-Pastor ist durchaus bewußt, daß ihn die aktive Parteinahme seiner Familie für den Hitlerfaschismus ebenso verwundbar macht wie die Tatsache, daß er mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR scheinbar ganz gut zurechtgekommen ist. Im Konfliktfalle bekäme er auch keinen Bonus dafür, daß er im konterrevolutionären Herbst 1989 gerade noch rechtzeitig die Fronten wechselte, um anschließend als Herr über die "Stasi"-Akten zum Großinquisitor aufzusteigen.

Bei der Münchner Wehrkundetagung hat Herr Gauck den Spagat zwischen maskenhafter Friedensheuchelei und bellizistischem Säbelgerassel in großdeutschem Stil versucht. Er begab sich damit auf dünnes Eis.

Rico Jalowietzki

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Wechselbad der Sieger: Vom Hosianna zum "Kreuziget ihn!"

Vor 20 Jahren starb Erich Honecker

Vor zwanzig Jahren, am 29. Mai 1994, verstarb im chilenischen Exil Erich Honecker, der in den 70er und 80er Jahren oberster Repräsentant der DDR gewesen war. Sein Name wird mit Geschichte und Politik der DDR immer verbunden bleiben, mit Erfolgen und Leistungen, aber auch mit Defiziten und Fehlern, die zu ihrem Ende beitrugen. Da gibt es Journalisten wie Peter Heimann, der unlängst prophezeite: "Vor hundert Jahren geboren, könnte er schon bald vergessen sein." Hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Dafür, daß es anders sein wird, hat vor allem die Siegerjustiz gesorgt.

Am Ende seines Lebens wurde Erich Honecker wegen Hochverrats und Totschlags angeklagt und in der Haftanstalt Berlin-Moabit eingekerkert. Dort hatte er schon als junger Antifaschist zehn Jahre zubringen müssen.

"Der Spiegel" vom 26. Februar 1990 dichtete dem DDR-Politiker an, er habe 75 Millionen D-Mark auf einem illegalen Konto angehäuft.

Die Verbrechen, die Erich Honecker unterstellt wurden, hat er nie begangen, und jene, welche ihn anklagten, wußten das. Das Staatsoberhaupt der DDR sollte einer der Gebrandmarkten sein, von denen Willy Brandt damals sagte: "Zu den weniger sympathischen Erscheinungsformen des Umbruchs gehört die Jagd auf Sündenböcke ..." (Erinnerungen, 1990, S. 507)

Erfreulicherweise stimmte nicht jeder, der mit Erich Honecker rote Teppiche abgeschritten hatte, in den Wechsel vom Hosianna zum "Kreuziget ihn!" ein.

Die respektvollste Würdigung des Politikers kann der Leser übrigens in den "Erinnerungen" von Franz-Joseph Strauß finden. Da dieser 1988 verstorben ist, können wir leider nicht mit Gewißheit sagen, ob er sich 1990 der staatlich organisierten Hexenjagd gegen Honecker ebenfalls angeschlossen hätte.

Es meldeten sich auch faire Widersacher des Staatsratsvorsitzenden zu Wort. Einer war Günter Gaus, der in den 70er Jahren die Ständige Vertretung der BRD in Berlin leitete. "Fehler hin, Fehler her, die Erich Honecker gemacht hat - ich habe nach wie vor Respekt vor seiner Lebenshaltung ... Er hat in den späten 70er und in den frühen 80er Jahren eine außen- und sicherheitspolitische Position eingenommen, die ihn wahrscheinlich auch in Zwiespalt mit der Vormacht Sowjetunion gebracht hat. Ich hatte immer Anlaß anzunehmen, daß der Satz, es darf von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen, für Erich Honecker keine Phrase war ... Ich hätte es gerne, daß dieser alte Mann liest, was ich ihm hier Gutes nachsage." (NBI 48/1989) Gaus verwies darauf, daß es zur Koexistenz nur die Alternative No-Existenz gegeben hat.

In die Amtszeit Erich Honeckers fällt die Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen 1973, der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR, die Konferenz in Helsinki 1975 und der Staatsbesuch Honeckers in der BRD 1987. Auch Helmut Schmidt würdigte, daß Erich Honecker seinen Handlungsspielraum genutzt habe, um die Entspannung zu fördern.

Es würde sich lohnen, solche Urteile zu dokumentieren, weil sie die Borniertheit und Kurzsichtigkeit jener juristischen und publizistischen Ankläger beweisen, die Erich Honecker und damit die DDR in die finstere Ecke totalitärer Diktaturen verbannen möchten. Die Gleichsetzung der Hitlerdiktatur mit der DDR soll heute Bürgerpflicht werden. Die Bundestagsmehrheit hat das im Juni 2013 beschlossen.

Daß damals die Geschichtsklitterung über die DDR zur Staatsdoktrin werden konnte, hängt mit der inzwischen 25 jährigen Manipulation der Erinnerung von Millionen zusammen. Die Lügen über Erich Honecker sind ein winziger Teil davon. Ich wähle drei Beispiele aus:

"Der Spiegel" (52/1990) ließ einen Rolf Haase aus Honnef zu Wort kommen, der Erich Honecker "an dem höchsten Ast eines verdorrten Baumes in einem verdorrten Land hängen" sehen wollte. Dieser üble Racheengel fand einen Mitstreiter in Thomas Ziesick aus Kaisersbach, der trompetete: "Eine Gnade für Honecker wäre so gut wie eine Ermunterung für andere Bluthunde in der ganzen Welt." Womit wohl ausreichend erklärt ist, warum es immer noch so viele "Bluthunde" an der Leine des Imperialismus gibt.

Im "Spiegel" fällte man schon Urteile, bevor ein Urteil gesprochen wurde. Verständliche Emotionen von Wessis oder staatlich verordnete Rache? Dem "Stern", der bereits auf die gefälschten Hitler-Tagebücher hereingefallen war, wurden Dokumente zugespielt, die ein Karlsruher Ermittlungsrichter für echt erklärt hatte. Die habilitierte Historikerin Monika Kaiser übernahm selbstlos die Rolle der Denunziantin. Erich Honecker habe im Prozeß vor dem Nazi-Gerichtshof 1936 die mitangeklagte jüdische Antifaschistin Sarah Fodorova verraten, die seitdem unauffindbar sei. (Auch der frühere DDR-Staatsanwalt Peter Przybylski hatte sich schmählicherweise an der "Aufdeckung der Lebenslüge" Honeckers beteiligt.)

Die Wahrheit ist, daß Erich Honecker 1936 zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, während man Sarah Fodorova freisprach. Von Friedrich Wolff, der Honecker verteidigte, wissen wir, wie sehr dieser unter der Verleumdung litt. 1992 aber wendete sich das Blatt.

Die "verschwundene" Sarah Fodorova hatte in Israel, wohin sie ausgewandert war, die Verleumdungen gelesen und in einem Brief an die Illustrierte gegen die lügenhafte Behauptung protestiert. Sie rühmte das Verhalten ihres Mitangeklagten vor dem Nazi-Gericht. Ob der "Stern" sich bei Erich Honecker oder den Lesern entschuldigt hat, ist nicht bekannt.

Zu den Gemeinheiten der Treibjagd gegen diesen gehört auch das Zusammenspiel von bundesdeutscher Justiz und Diplomatie mit gewissen Moskauer Medizinern, die den todkranken Honecker für gesund erklärten, und Jelzin, der den Staatschef der DDR aus der Botschaft Chiles zerren und an seine Todfeinde ausliefern ließ.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Sachliches über die Berliner Volkspolizei in der DDR-Endphase

Schwierige Gratwanderung

Führende Offiziere der VP der Hauptstadt der DDR haben das beachtenswerte Sachbuch "Die Berliner Volkspolizei 1988/89" vorgelegt. Es stellt eine chronologische Dokumentation des Handelns dieses Staatsorgans in den letzten schwierigen Jahren des Bestehens der DDR dar. Bemerkenswert ist dabei die Zurückhaltung der Autoren bei politischen Wertungen. Sie urteilen nicht vom marxistischen Standpunkt aus, lassen sich aber auch keineswegs vom "Mainstream" der Meinungsmache vereinnahmen.

Bei dem Versuch, die Ursachen für das Scheitern des ersten sozialistischen Anlaufs auf deutschem Boden herauszuarbeiten, hatten die Autoren allerdings keinen Erfolg. Dazu steht eine wissenschaftliche Analyse bislang noch nicht zur Verfügung. Dennoch leisten ihre Zeitzeugenaussagen einen Beitrag dazu. Wer die Defizite der DDR beurteilt, darf das unablässige Agieren der BRD gegen sie nicht außer Betracht lassen. Die Wirkungen des Antikommunismus waren bis zum letzten Tag ihrer staatlichen Existenz enorm. Die oppositionellen Gruppen wurden aus dem Westen nicht nur mit Worten, sondern auch materiell und finanziell vielseitig unterstützt.

Dies zeigte sich besonders im Wahlkampf zu Beginn des Jahres 1990. Damals waren die Voraussetzungen einer konterrevolutionären Situation, deren Kriterien denen einer revolutionären Situation unter umgekehrten Vorzeichen entsprechen, durchaus gegeben: Die politisch Herrschenden konnten nicht mehr auf die alte Weise regieren, und die Regierten wollten nicht mehr so weiterleben. Das traf auch auf die DDR zu.

Diese Erkenntnis hatte sich bei vielen Volkspolizisten verfestigt. Da sich die Partei- und Staatsführung als handlungsunfähig erwies, entstanden Voraussetzungen für eine echte Konterrevolution. Ob sie blutig verlaufen würde, hing -wie stets - von den Handelnden ab. Das beweist ein Blick in die Geschichte:

Als die deutsche Novemberrevolution 1919 die kapitalistische Ordnung in Gefahr brachte, ließen die Ebert und Noske Waffen gegen die Arbeiter sprechen und ermordeten deren Führer. Auch die Spanische Republik wurde mit Unterstützung Hitlerdeutschlands und Mussolinis Italien in einem Krieg zu Fall gebracht, an dessen Ende der Sieg von Konterrevolutionären stand.

Warum es 1989 in der DDR zu keinem Blutvergießen kam, wird im Buch der VP-Offiziere überzeugend dargestellt. Das Politbüro der SED verbot den Einsatz von Schußwaffen gegen Demonstranten, und die Volkspolizei ging mit ihrem Gewaltmonopol behutsam um. Auch jene unter den opponierenden Kräften, die tatsächlich eine bessere DDR wollten, traten für Gewaltfreiheit ein. Leider war die daraus resultierende Sicherheitspartnerschaft in der Praxis recht einseitig. Es fragt sich, ob sie nicht auch gewisse Illusionen geweckt und zu einer Unterschätzung möglicher Gefahren geführt hat.

Dies veranschaulichen am prägnantesten die Ereignisse bei der Erstürmung der Zentrale des MfS. Wenn ein Veranstalter öffentlich dazu aufruft, bei einer Demonstration Steine mitzubringen, ist das ein Appell zur Gewalt. Und wenn sich dann hinterher herausstellt, daß der vermeintliche Sicherheitspartner von den seinerseits zugesagten 250 Ordnern nur 30 Prozent gestellt hat, muß das Ganze als Flop betrachtet werden. Dennoch blieb der Berliner Volkspolizei nichts anderes übrig, als an dem Konzept festzuhalten. Sie hatte keine andere Wahl.

Beim Lesen der Einsatzdokumentationen wird heute allerdings kein polizeilicher Verantwortlicher begreifen, warum an jenem Tag keine Wasserwerfer eingesetzt worden sind.

Die Autoren sind der Meinung, daß am 7. Oktober 1989 niemand mit einer so großen Menschenansammlung gerechnet hat. Auch wir im MdI gehörten dazu. Erstmals mußte die Volkspolizei mit massiver Gewalt gegen eine Volksmenge vorgehen. Sie war darauf weder politisch-moralisch noch psychologisch, taktisch und ausrüstungsmäßig vorbereitet. Die angewendeten Mittel waren angesichts der bedrohten höheren Rechtsgüter notwendig und angemessen, sieht man von Ausnahmen ab.

Wenn heute Journalisten "brutale Gewaltorgien" erfinden, dann muß man sie an die Polizeieinsätze zur Auflösung der Protestcamps gegen das Atomkraftwerk Wackersdorf oder am Stuttgarter Hauptbahnhof erinnern.

Die Zusammenarbeit zwischen der Volkspolizei und den Polizeibehörden der BRD verlief widersprüchlich. Im Zuge der Grenzöffnung stellten auch die örtlichen Polizeidienststellen der westlichen Bundesländer fest, daß sich eine Zusammenarbeit mit der Volkspolizei als notwendig erwies. DDR-Innenminister Ahrendt wandte sich deshalb in einem Schreiben an den Bundesinnenminister. Auf diese Initiative wurde nicht reagiert. Gegen notwendige operative Absprachen entlang der Grenze hatte man nichts. Doch man wollte die Modrow-Regierung isolieren.

Anders verhielt sich das Bayerische Staatsministerium des Innern. Am 18. 12. 1989 traf ich mich in meiner Eigenschaft als letzter Chef der DVP mit Staatssekretär Dr. Beckstein in Berlin zu einem Gespräch. Wir verabredeten notwendige Maßnahmen der Zusammenarbeit zwischen den Bezirksbehörden der Volkspolizei und den Bayerischen Polizeidirektionen entlang der Staatsgrenze.

Die im Buch dargestellten Probleme bei der Kooperation zwischen den Berliner Polizeibehörden kann ich bestätigen. Die Zusammenarbeit mit Ministerialdirektor Bode von der Senatsinnenverwaltung war konstruktiv, die mit der neuen Innenverwaltung des Ostberliner Magistrats - den Herren Krüger und Haupt - eher hinderlich. Die kollegiale Zusammenarbeit, die ich als MdI-Vertreter in den Arbeitsgruppen der Innenministerkonferenzen und der Deutsch-deutschen Arbeitsgruppe erfahren habe, änderte sich schlagartig, als klar war, daß die letzte "DDR"-Volkskammer die bedingungslose Kapitulation beschließen würde. Jetzt ging es nur noch um die Erfüllung bundesdeutscher Vorgaben.

Wer das hier rezensierte Buch gelesen hat, wird sich die Frage stellen: Warum haben die Volkspolizisten, vor allem auch deren Führungsoffiziere, buchstäblich bis zur letzten Minute ihre Pflicht getan? War ihnen die konterrevolutionäre Rache der Sieger nicht bewußt, oder hofften sie auf Übernahme durch die BRD? Was sie bekamen, waren die Entlassungsurkunden in die Arbeitslosigkeit. Die Chefs der BdVP, der Präsident der VP Berlin, die Leiter der Volkspolizeikreisämter und VP-Inspektionen erhielten eine lebenslängliche Strafe ohne Gerichtsurteil, ohne Schuldfeststellung und ohne die Chance einer Begnadigung. Die gegen sie verhängte Kollektivstrafe bestand in der Kürzung ihrer Rentenansprüche auf einen Rentenpunkt.

Chefinspekteur a. D. Dieter Winderlich


K.-H. Kriz/H.-J. Gräfe (Hg.): Mittendrin. Die Berliner Volkspolizei 1989/90. edition ost, Berlin 2014, 396 S.. 16,99 €. ISBN 978-3-360-01857-1

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Vor 85 Jahren ließ SPD-Polizeipräsident Zörgiebel auf Arbeiter schießen

Der Berliner Blutmai

Nachdem der Internationale Arbeiterverlag der KPD in den 20er Jahren neben Parteiliteratur bereits Romane und Erzählungen fortschrittlich-demokratischer Autoren veröffentlicht hatte, beschloß die Partei, auch die Arbeiten revolutionär-proletarischer Schriftsteller zu publizieren. Hans Marchwitza, Karl Grünberg, Hans Lorbeer, Willi Bredel, Jan Petersen u. a. hatten 1928 den Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller gegründet, dem sich auch namhafte ehemals linksbürgerliche Literaten wie Anna Seghers, Johannes R. Becher, Ludwig Renn und Erich Weinert anschlossen. Um den Arbeitern den Kauf guter Literatur zu ermöglichen, setzte man den Preis niedrig an und nannte die Edition "Der rote 1-Mark-Roman". 1931 erschien in dieser Reihe auch ein schmales Bändchen von Klaus Neukrantz, das den Titel "Barrikaden am Wedding" trug.

Hintergrund des reportagehaften Romans waren die Ereignisse vom 1. Mai 1929 in Berlin. Damals - vor 85 Jahren - hatte Polizeipräsident Karl Zörgiebel (SPD) in Abstimmung mit seinen Parteigenossen in der preußischen Regierung die Maidemonstration der Berliner Arbeiter verboten. Offensichtlich wollte die sozialdemokratisch gelenkte Staatsmacht den Kommunisten einen Schlag versetzen, zumal die KPD in dieser Krisenzeit rasch anwachsende Zustimmung erfuhr. Fast 16.000 Frauen und Männer, in 250 Betriebs- und etwa 200 Straßenzellen organisiert, gehörten ihr allein in der Hauptstadt an. Bei der Reichstagswahl 1928 stimmten 742.335 Berliner für die Partei Ernst Thälmanns. Das bedeutete gegenüber 1924 einen Zuwachs von etwa einer Viertelmillion Stimmen. Man sprach bereits vom "roten Berlin".

In dieser Situation wollten die Herrschenden den Arbeitern, deren soziale Lage sich von Monat zu Monat verschlechterte, Angst einjagen. Elende Massenquartiere, Hunger und Krankheiten prägten damals die Proletarierviertel. Trotz bis zu 12stündigen Arbeitszeiten am Tag konnten die Ausgebeuteten ihre Familien kaum ernähren. Auf der anderen Seite protzte die Bourgeoisie mit ihrem Reichtum. Heftige soziale Spannungen, Unruhen, Streiks und Demonstrationen waren die Folge.

Zörgiebels Verbot betraf sämtliche Kundgebungen, Aufzüge und Versammlungen unter freiem Himmel. Rigoros lehnte er die Aufforderung des Großberliner Maikomitees ab, diese Entscheidung zurückzunehmen. Der Polizeipräsident wollte die Machtprobe, die Konfrontation, und er suchte sie offensichtlich blutig. Deshalb versetzte er rund 14.000 Polizisten mit gepanzerten Fahrzeugen, Maschinengewehren, Karabinern, Handgranaten und scharfen Hunden in Alarmbereitschaft. Er gab ihnen grünes Licht, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen.

Die Berliner Arbeiter dachten nicht daran, 1929 auf ihre bereits seit 40 Jahren zur Tradition gewordene Maikundgebung zu verzichten. 200.000 von ihnen gingen auf die Straße, um für Arbeit und Brot zu demonstrieren. Kaum hatten sich die Teilnehmer jedoch an ihren Sammelplätzen eingefunden, da setzte bereits der Polizeiterror ein. Mit unglaublicher Brutalität gingen die Büttel unterschiedslos gegen Männer, Frauen und Kinder vor, prügelten und schossen in die Menge. Soweit es ihnen möglich war, setzten sich die Angegriffenen zur Wehr. In Neukölln, Lichtenberg, am Hackeschen Markt und am Bülowplatz, vor allem aber im roten Wedding kam es zu blutigen Straßenschlachten.

Klaus Neukrantz konzentriert sich in seinem Roman auf die Schilderung des Geschehens im Wedding. Das Gebiet um die Kösliner Straße war das Wirkungsfeld der 145. Straßenzelle der KPD. Es galt als der ärmste Ort Berlins. Hier kämpften die Anwohner am hartnäckigsten. Sie errichteten Barrikaden und verteidigten sich drei Tage lang mit Pflastersteinen und anderen Wurfgeschossen. Am Ende beklagten sie zehn Tote und 150 Verwundete. Das erste Opfer war der 52jährige Klempner Max Gemeinhardt, Mitglied der SPD. Wenige Tage nach dem Blutmai, der insgesamt 31 Getötete und viele hundert Verletzte gefordert hatte, trat ein Untersuchungsausschuß zusammen, dem Carl von Ossietzky, Alfred Döblin, Heinrich Mann, Egon Erwin Kisch, Otto Nuschke und weitere namhafte linksbürgerliche Demokraten angehörten. Er vernahm mehr als 300 Zeugen, auf deren Berichte sich Autor Neukrantz stützte.

Zugleich suchte dieser mit seinem Charlottenburger Genossen Willi Pankow die Menschen in der Kösliner Straße auf. So erhielt sein Roman dokumentarischen Charakter. Als dieser Anfang 1931 erschien, wurde er sofort in ganz Deutschland verboten und der Verfasser aus dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller ausgeschlossen. Doch das Buch kam in mehreren Ländern heraus.

Über Klaus Neukrantz ist leider nur wenig bekannt. Vom Jahrgang 1897, stammte er aus einer bürgerlichen Familie, meldete sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst, den er vier Jahre lang im Schützengraben ableistete. Später arbeitete er im Bezirksamt Berlin-Kreuzberg, wo er dem Betriebsrat angehörte.

1923 trat er in die KPD ein. Inzwischen Journalist, schrieb er für "Die Rote Fahne", die "Welt am Abend" und andere linke Blätter. Überdies galt er als Pionier der Nutzung des Rundfunks für Zwecke politischer Bildung. Im März 1933 verhafteten ihn die Faschisten. Sein Leidensweg führte durch Haftanstalten und Konzentrationslager. 1941 soll er ermordet worden sein.

Übrigens teilte der sozialdemokratische "Vorwärts" am 5. November 1930 folgendes mit: "Genosse Zörgiebel, der in den einstweiligen Ruhestand tritt, gewiß aber bald einen seinen hohen Verdiensten und Fähigkeiten entsprechenden Wirkungskreis finden wird, hat sich während der Jahre seiner Berliner Wirksamkeit in den weitesten Kreisen der Bevölkerung Achtung und Sympathie erworben. Wer sein Wirken aus nächster Nähe zu verfolgen Gelegenheit hatte, weiß, daß Menschlichkeit und der Wille zu helfen und zu schützen stets seine leitenden Gesichtspunkte waren."

Günter Freyer

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Gegen "Abgrenzung nach links und Öffnung zur Mitte"

Marxisten nach Strasbourg!

Auch nach Aufhebung der Drei-Prozent-Sperrklausel für die Wahlen zum Europäischen Parlament bleibt die EU eine Fassadendemokratie. In ihr bestimmen der Rat der Staats- und Regierungschefs, der Ministerrat und die Europäische Kommission als Gremien mehrheitlich rechtskonservativ regierter Mitgliedsländer über die interne Machtverteilung. Diese hängt in erster Linie von der wirtschaftlichen und militärischen Stärke sowie der Bevölkerungszahl und der Größe des Territoriums der "Partnerländer" ab. Die BRD und Frankreich spielen dabei eine führende Rolle, auch Großbritanniens Rang sollte nicht unterschätzt werden.

Das bei CDU/CSU und SPD auf wütenden Widerstand gestoßene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die Sperrklausel aufzuheben und auch kleineren Parteien den Zugang zum Europäischen Parlament zu ermöglichen, bedeutet die Gleichwertigkeit deutscher Wählerstimmen. Doch interne Demokratie ist durch deren Gleichbehandlung nicht gewährleistet, da jeder Mitgliedsstaat sein eigenes nationales Wahlrecht besitzt, teils mit Fünf-Prozent-Sperrklauseln. Durch die sogenannte degressive Proportionalität bei der Zuteilung von Parlamentssitzen erhält z. B. Malta mit 400.000 Einwohnern sechs Mandate, während Irland bei 4,5 Millionen nur auf zwölf kommt. Zu den Hegemonialmächten gehört die BRD mit 99 Mandaten.

Fielen Minderheitenstimmen hierzulande bislang gänzlich unter den Tisch, so ist es jetzt möglich, zu den unmittelbar bevorstehenden Wahlen für das Europäische Parlament mit 4000 Unterstützersignaturen anzutreten. Bei etwa 0,5 % kann eine beliebige Partei der BRD einen fraktionslosen Abgeordneten nach Strasbourg entsenden. Dort gab es bisher etwa 300 Abgeordnete mit diesem Status.

Um eine kommunistische Fraktion im Europaparlament bilden zu können, bedürfte es mindestens 25 Abgeordneter aus nicht weniger als sieben Mitgliedsländern.

Die Partei Die Linke hat den Wegfall der Sperrklausel vor der Presse begrüßt. Auf dem Hamburger Parteitag hat sie einen Rechtsschwenk vollzogen und die exakte Definition des Europas der Monopole in der Präambel ihres Wahlprogramms zugunsten nebulöser Allgemeinplätze aufgegeben. Sechs der acht relativ aussichtsreich plazierten Anwärter der Linkspartei sind Vertreter des "Reformer-Flügels". Die ARD-Tagesschau kommentierte Gysis Absichten mit den Worten: "Er wollte, daß seine Partei bis zu den Wahlen 2017 regierungsfähig wird. Dazu kann er linksradikale Quertreiber in Sachen Europäische Union nicht gebrauchen."

Erstmals tritt die DKP mit einer eigenen Liste an, um das Projekt einer künftigen kommunistischen Fraktion im Europaparlament zu unterstützen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gehen Stimmen, die der DKP zufließen, im Falle des Erfolges nicht mehr verloren. Das wäre angesichts des dokumentierten Fehlverhaltens mancher bisheriger Mandatsträger der Europäischen Linkspartei - auch aus der BRD - ein Vorteil. Bei der letzten Europawahl war die Zahl der Mandate der ELP auf 34 geschrumpft, wobei nur die acht PDL-Abgeordneten einen Zuwachs bedeuteten. Der damalige Wählertrend in der BRD begünstigte ein solches Ergebnis.

Die DKP hat durch die Sammlung von 7000 Unterschriften einen Wahlvorschlag einreichen können und die Chance, ein Mandat zu erringen. PDL-Mitglieder und -Wähler könnten also einer Kandidatur von Kommunisten bei den Europawahlen positiv gegenüberstehen und müßten nicht der Devise "Abgrenzung nach links und Öffnung zur Mitte" folgen. Wir brauchen endlich auch ein marxistisches Korrektiv im Europarlament. Das sage ich als Mitglied der PDL, das zu einer Unterschrift für die Wahlzulassung der DKP bereit war.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Was will die "Erinnerungsbibliothek DDR"?

Im August 2012 haben wir den Verein "Erinnerungsbibliothek DDR" gegründet. Er hat sich die Aufgabe gestellt, möglichst viel biographisches Material von einstigen Bürgern der DDR oder über sie zu sammeln und für die Nachwelt sicher zu verwahren.

Entstanden war die Idee, nachdem das Leben in dem untergegangenen Staat - dem ersten Versuch des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft auf deutschem Boden - von Politikern wie Medien auf Kampfbegriffe wie Mauer, Stasi und Unrecht reduziert wurde.

Die das Ende der DDR herbeiführenden Ereignisse der Jahre 1989/90 hatten zur Folge, daß zahllose Menschen in zuvor verantwortlichen Positionen, oft gerade auf dem Höhepunkt ihres Leistungsvermögens, von heute auf morgen in die "Wüste" geschickt wurden: Botschafter, die am 2. Oktober 1990 noch als hochangesehene Diplomaten galten, waren am nächsten Tag arbeitslos. Hochschullehrer, Schuldirektoren und Pädagogen, Betriebs- und Kombinatsdirektoren, Generäle und Offiziere der NVA, der Volkspolizei, des Zolls und des MfS saßen plötzlich ohne jede Absicherung auf der Straße. Nicht anders ging es Funktionären der Parteien und Massenorganisationen, Chefs von Krankenhäusern und Polikliniken, Kreistierärzten, LPG-Vorsitzenden und Leitern volkseigener Betriebe.

Manch einer ist an dieser Situation zerbrochen. Doch viele haben sich hingesetzt und vor sich selbst wie vor ihren Angehörigen Rechenschaft über ihren Lebensweg abgelegt.

Als am Heiligabend 2011 in der Wochenendbeilage des ND ein Beitrag über den "Traum von einer ganz besonderen Bibliothek" erschien, in dem ich mitteilte, ich wollte möglichst viele Autobiographien sammeln, um diesen wertvollen Schatz für spätere Generationen aufzubewahren, brach eine wahre Flut von Anrufen, E-Mails und Briefen über mich herein. Niemals hatte ich mit einer derart überwältigenden Reaktion gerechnet. Und so zeichnete sich bald ab, daß dieses Projekt einen einzelnen hoffnungslos überfordern würde, so daß sich nur ein gemeinnütziger Verein dieser großen Aufgabe stellen könnte.

2012 kam es zur Gründung des Vereins "Erinnerungsbibliothek DDR". Wir haben einen arbeitsfähigen Vorstand und inzwischen rund 100 Mitglieder. Über 500 Bücher sind bereits in unserem Besitz und ein Großteil davon auf unserer Homepage unter www.Erinnerungsbibliothek-DDR.de anzuschauen.

Wer sich mit unseren Autoren und deren Büchern vertraut macht, wird schnell erkennen, daß wir durchaus keine Märchenbuchsammlung zusammenstellen, in der alles verherrlicht wird, was DDR gewesen ist. Nein, Bürger haben authentisch über ihr Leben geschrieben, und das war ja nicht immer nur konfliktfrei.

Mancher hat sich heftige Beulen geholt und berichtet darüber in großer Ehrlichkeit. Man kann aber auch immer wieder lesen, wie Mädchen und Jungen nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg vor dem Nichts standen, die Entwicklungs- und Bildungschancen, die ihnen geboten wurden, nutzten, die ABF oder andere Schulen und dann die Universitäten besuchten und in der Folge zu hoch geachteten Persönlichkeiten heranwuchsen.

Ich möchte mich an all jene wenden, die gleich uns Aufzeichnungen über die DDR zu Papier gebracht haben, und sie bitten, mit uns Kontakt aufzunehmen und uns möglichst ihre Autobiographien zukommen zu lassen.

Dr. Rolf Funda,
1. Vorsitzender des Vereins

Telefon: 0 39 25/30 03 12

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Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (2)

Heinz Birch erzählt

Nachdem wir die Hürde einer Einreise nach Großbritannien genommen hatten, reiften weitere Pläne. Zu meinem Arbeitsbereich in der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED gehörten auch die Beziehungen zur Kommunistischen Partei der USA und zur Kommunistischen Partei Kanadas.

1972 fand in New York der 20. Parteitag der KP der USA statt, und wir hielten es für angebracht, der Einladung zur Teilnahme unbedingt zu folgen. Leiter der Delegation sollte das ZK-Mitglied Horst Brasch, Generalsekretär der Liga für Völkerfreundschaft, sein. Er hatte während der faschistischen Diktatur als Emigrant in Großbritannien gelebt und sprach fließend Englisch. Als Begleiter war ich ausersehen. Zur Einholung der Visa fuhren wir zum Generalkonsulat der USA, das sich neben dem Hauptquartier der in Westberlin stationierten Einheiten der U.S. Army befand.

In der Clay-Allee wurden wir nicht unfreundlich empfangen. Nachdem wir unser Anliegen vorgetragen hatten, bat man uns, einen Augenblick Platz zu nehmen, da man erst den Generalkonsul unterrichten müsse. Nach der Vorstellung lud er Genossen Brasch zu einem Gespräch in sein Arbeitszimmer ein. Mir wurde Mr. Meyer mit der Bemerkung präsentiert, er sei erst kürzlich angereist und solle Erfahrungen in der Gesprächsführung mit Besuchern sammeln.

Mr. Meyer bat mich in sein Zimmer und begann mit Fragen, die ganz und gar nichts mit unserem Reisebegehren zu tun hatten. Er wußte, daß wir SED-Mitglieder waren und zu einer Veranstaltung der KP seines Landes reisen wollten. Seine Erkundigungen, die ich noch immer im Ohr habe, lauteten: "Wie und warum sind sie Mitglied der SED geworden? Was haben Sie für Hobbies?" Mich verdroß die plumpe Manier des Herangehens an ein Gespräch. Doch ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen, sondern entgegnete, wir seien wegen eines Reisevisums gekommen, wobei die Beweggründe für meinen SED-Eintritt wohl keine Rolle spielten.

Zur Erläuterung sei gesagt, daß wir im Antrag angeben mußten, ob wir einer "kommunistischen Organisation" angehörten, wobei sogar Gewerkschaften einbegriffen waren. Zu den dort schwarz auf weiß gestellten Fragen gehörten auch Erkundigungen nach Geschlechts- oder Erbkrankheiten, Drogengenuß und der Summe zur Verfügung stehender Valuta-Reisemittel.

Während die Unterhaltung des Generalkonsuls mit Horst Brasch recht lange dauerte, befragte mich Mr. Meyer nach meinen nationalen Eß-Vorlieben - chinesisch oder mexikanisch. Danach wollte er mir etwas von New Yorks China Town erzählen, wovon ich sicher noch nichts gehört hätte. Leider mußte ich ihn enttäuschen, weil mir die Thematik bestens bekannt war. Die Minuten vergingen qualvoll, doch irgendwann konnten wir das illustre "Gespräch" beenden.

Horst Brasch erschien mit dem Generalkonsul in der Tür, und nun war ich bei ihm an der Reihe. Die Unterhaltung dauerte nicht lange, da sich der Konsul über unser Anliegen inzwischen bestens informiert fühlte. Einen positiven Bescheid konnte er uns nicht in Aussicht stellen, betonte aber, wenn es nach ihm persönlich ginge, hätte er uns gern die Visa ausgestellt. Doch leider, leider müsse er ja zunächst das State Department informieren und die dortige Entscheidung abwarten. Wir sollten in zwei bis drei Wochen nachfragen.

Als ich mich nach dieser Frist abermals zum Generalkonsulat begab, lautete die Auskunft: "Leider können wir Ihnen die Visa nicht erteilen." Gründe dafür wurden nicht genannt. So konnten wir den Verlauf und die Ergebnisse des 20. Parteitags der KP der USA nur anhand der gedruckt vorliegenden Dokumente verfolgen. Zeitungen, Zeitschriften und Literatur über Entwicklungen in den USA standen mir ja reichhaltig zur Verfügung. Die Gespräche mit Mitgliedern der KP, die in der DDR zu Besuch weilten, boten die Möglichkeit, die Bedingungen ihrer politischen Arbeit und ihres Kampfes kennenzulernen. Doch nichts kann einen Aufenthalt an Ort und Stelle ersetzen. Erst dort bekommt man ein reales Bild vom Land und ein echtes Gespür für Entwicklungen, Schwierigkeiten und Perspektiven. Deshalb gab ich den Plan nicht auf, eines Tages in die USA reisen zu können.

Im Institut für Marxismus-Leninismus, in dessen Gebäude sich auch das Zentrale Parteiarchiv der SED befand, arbeitete man in den 70er Jahren an der Gesamtausgabe der Werke von Marx und Engels.

Mit dem Leiter des Parteiarchivs, Prof. Dr. Heino Voske, unterhielt ich seit längerer Zeit gute Kontakte. Er war ständig auf der Suche nach Schriften der Klassiker, die auf die eine oder andere Weise in die USA geraten waren. Daß es dort einiges zu holen gab, hatten wir mit Hilfe von Insidern und vor allem mit Unterstützung des USA-Forschers Prof. Philip S. Foner bereits erkunden können. Solches Material war oftmals recht teuer, besonders wenn es sich um Originale handelte. Tatsächlich unterhielten Marx und Engels vielfältige Verbindungen nach Übersee. Sie führten eine ausgedehnte Korrespondenz und veröffentlichten in Zeitschriften der Vereinigten Staaten ihre Artikel.

Heino Voske fragte mich eines Tages, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm in die USA zu reisen. Er wollte eigene Recherchen anstellen und versuchen, möglichst viele Dokumente von der Hand der beiden Großen oder über sie zu erwerben. Natürlich bedurfte es dazu eines Beschlusses der Parteiführung. Paul Markowski, mein Abteilungsleiter im ZK, unterstützte das Anliegen sofort.

Nachdem die Entscheidung getroffen war, mußten wir uns in das Generalkonsulat der USA nach Westberlin begeben. Empfangen wurden wir - welch Wunder! - einmal mehr von Mr. Meyer. Alles lief in ähnlicher Weise wie im Falle unseres Antrags vor dem 20. Parteitag der KP der USA ab. Heino Voske war vielleicht weniger "anrüchig", da er als Professor ein Archiv verwaltete und nicht in der Zentrale der Partei saß. Als entsendende Institution gaben wir das Institut für Marxismus-Leninismus an, wobei wir den Zusatz "beim ZK der SED" wegließen.

Im Gespräch, das Mr. Meyer mit mir führte, spielten wieder Dinge eine Rolle, die mit dem Antrag nichts zu tun hatten. Ich handelte auch diesmal nach dem Motto: Viel reden, ohne etwas zu sagen! Über eine Formulierung meines Antrags konnte Mr. Meyer jedoch nur schwer hinwegkommen. Er könne nicht begreifen, wieso ich mich nun als "Berater des IML" um eine Einreise bewerbe. Ob ich denn den Job gewechselt hätte, erkundigte er sich. Natürlich konnte ich dazu nicht bejahend antworten. Ich erklärte ihm deshalb, daß ich mit Prof. Voske befreundet sei und mich neben meiner eigentlichen Arbeit im IML wissenschaftlich betätigte. Auf Grund unserer Freundschaft und seiner mangelnden Sprachkenntnisse im Englischen habe mich der Professor um eine Begleitung gebeten. Meine Arbeitsstelle beurlaube mich für diesen Zeitraum.

Der Generalkonsul stellte uns gegenüber wiederum seine Hilflosigkeit zur Schau und betonte, daß er nur allzu gerne die Visa erteilen würde. Leider aber habe Washington hier das letzte Wort.

Uns war von Beginn an klar, daß die Erlangung einer Einreisegenehmigung mit Schwierigkeiten verbunden sein würde. So informierten wir Prof. Foner, der uns zuvor schon vielfältige Hilfe erwiesen hatte, über die Antragstellung. In Abstimmung mit ihm legten wir den Termin der An- und Abreise fest. Auch die Flugkarten wurden bereits gebucht. Gewissermaßen handelten wir nach Che Guevaras Motto: "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!"

(wird fortgesetzt)

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Christa Lufts RF-Extra - Auftakt zu produktivem Meinungsstreit

Pro und Contra

Zu dem Beitrag von Prof. Christa Luft im März-RF möchte ich unter einem Aspekt Widerspruch anmelden. Es geht mir um die Charakterisierung der Eigentumsverhältnisse in der DDR. Bekanntlich sprachen wir stets von Volkseigentum. Christa Luft vertritt demgegenüber die Auffassung, es habe kein wirkliches Volkseigentum gegeben, wobei sie den Begriff in Anführungsstriche setzt, weil es sich - wörtlich - "in der Verfügungsgewalt von Politbürokraten" befunden habe, also nicht von der "realen Verfügung der Produzenten" begleitet gewesen sei.

Daraus ergibt sich die durchaus logische Konsequenz: "Das realsozialistische Eigentums- und Planungsmodell eignet sich nicht als Blaupause für eine Gesellschaft, die eine zukunftsfähige Alternative zum Realkapitalismus ist."

Auch ich bin weit davon entfernt zu behaupten, bei uns wäre schon alles perfekt gewesen. Ganz und gar nicht. Ich stimme sogar Christa Luft in der Darstellung vieler Details durchaus zu.

Doch worum ging es? Wie bei jeder zukunftsfähigen Alternative zum Kapitalismus kam es uns darauf an, die produktiven Potentiale der Gesellschaft all ihren Mitgliedern - also dem ganzen Volk - zugute kommen zu lassen und nicht nur einzelnen Unternehmern oder auch Betriebskollektiven. (Das scheint mir Christa Luft im Sinn zu haben.) Deshalb Volkseigentum! Wenn es also im Sozialismus darum geht - und daran ist doch eigentlich nicht zu zweifeln -, daß das Produkt der gemeinschaftlichen Arbeit aller auch sämtlichen Mitgliedern der Gesellschaft in angemessener Weise zur Verfügung gestellt werden soll, kann man sich zur Verwirklichung einer solchen Grundauffassung kaum eine andere Variante als zentrale staatliche Planung vorstellen. Mit anderen Worten: Das politisch klar definierte Ziel muß durch direkt darauf ausgerichtete verbindliche Planentscheidungen entsprechender staatlicher Fachorgane untersetzt werden. Das gilt übrigens nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.

Daß die DDR und die anderen sozialistischen Staaten vom perfekten Funktionieren eines solchen Mechanismus noch sehr weit entfernt waren, darf uns keinesfalls zu der Auffassung verleiten, die zentrale Planung generell in Frage zu stellen.

Schließlich unterbreitet Christa Luft in ihrem Artikel ja selbst eine ganze Reihe von Argumenten, die den Nachweis führen, welche tatsächlichen realsozialistischen Ergebnisse die DDR vorzuweisen hatte, z. B. Arbeit und hohe Bildungschancen für alle. Wurden diese Resultate trotz der "Politbürokratie", wie unsere Gegner behaupten, wenn sie nicht umhin können, Erfolge der DDR zu benennen, erzielt? Gegen Ende ihres Artikels wirft Christa Luft ja selbst die Frage auf, "... wem die neu geschöpften Werte zugute kommen, ob sie parasitär, zum Beispiel für Rüstungsausgaben ... oder sozial ... zukunftsorientiert verwendet werden". Darauf hatten wir seinerzeit in Worten und durch Taten klar geantwortet. Die dafür zuständigen politischen Führungskräfte der DDR im nachhinein schlechthin als "Politbürokraten" darzustellen, die zudem auch noch weitgehend die Verfügung über das Volkseigentum ausgeübt hätten, halte ich nicht für akzeptabel.

Zur "Politbürokratie" noch eine Bemerkung: In keiner Gesellschaft geht es ohne eine von den Herrschenden gegebene politische Orientierung ab. Auch in der BRD gilt das für "Energiewende", "Mindestlöhne" und "Bankenkontrolle", vor allem aber auch in bezug auf die Erhaltung der kapitalistischen Produktions- und Verteilungsverhältnisse. In der DDR stellte man den Menschen in den Mittelpunkt. Das aber mußte politisch organisiert und abgesichert werden. Die Partei- und Staatsführung nahm das sehr ernst, wobei sie nicht selten überzog. Daraus herzuleiten, die Politik habe sich aus Wirtschaftsfragen herauszuhalten, scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein.

Ich habe den Eindruck, daß Prof. Christa Luft einer Konzeption folgt, bei der eine zentrale Planung eher in Ausnahmefällen eingreifen darf, während den Betriebskollektiven jegliche Entscheidungen über die Verwendung von Gewinnen aus Investitionen überlassen werden müßten. Wenn ein solches Lockerlassen der Zügel nicht zum Kapitalismus zurückführt, dann begünstigt es zumindest chaotische Verhältnisse. Handelt es sich hier nicht um eine Art von "sozialistischem Neoliberalismus"? Denke ich an solche Zusammenhänge, fühle ich mich an Ota Sik, den Ökonomen und Ideologen des Prager Frühlings, erinnert.

Dennoch! Christa Luft wird offensichtlich von dem Gefühl des Unzufriedenseins mit der Praxis unserer Planung und Leitung der Wirtschaft getrieben worden sein. Darin sind wir uns möglicherweise einig.

Meine Schlußfolgerung weicht aber von der ihrigen ab. Ich bin der Auffassung, daß alle wirtschaftlichen und darüber hinausgehenden gesellschaftlichen Prozesse ohne Abstriche eindeutig sozialistisch determiniert sein müssen und nur auf dem Weg bewußten Organisierens durch entsprechende Organe - eben die zentrale staatliche Planung - zum Ziel führen können. Daß es hierbei krasse Überziehungen administrativer Art gegeben hat, liegt auch daran, daß man befürchtete, eine Lockerung hinsichtlich eigenständiger Investitionsentscheidungen der Betriebe und Kombinate könne zu totalem Chaos führen. Nicht das (übertriebene) administrative Planungssystem war aus meiner Sicht das Haupthindernis, sondern die völlig unterentwickelte Interessiertheit der Betriebs- und Kombinatsleitungen, von sich aus höchste Leistungsangebote zur Erarbeitung und Untersetzung "optimaler" Planzielstellungen vorzulegen.

Es wäre zu klären gewesen, wie man die Marktmechanismen, die den Kapitalismus wirtschaftlich antreiben, für sozialistische Zielsetzungen hätte nutzen und in ein gesamtstaatliches Planungssystem einordnen können. Dazu hätte es bei Übermittlung und Bewahrung positiver Erfahrungen für künftige linke Wirtschaftsstrategien noch erheblicher Denkarbeit bedurft.

Peter Elz, Königs Wusterhausen

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RF-Extra

Über die Biermann-Legende

Anfang der sechziger Jahre bekam ich einen neuen Freund. Damals war ich leicht zu begeistern, und der neue Freund bot dafür Anlässe. Wolf Biermann kam als junger Kommunist aus Hamburg in das bessere Deutschland, zunächst als Gast, dann als Bürger, stellte sich also unter die Gesetze dieses Landes - was für eine begeisternde Entscheidung!

Damit alles so schön blieb, brauchte er gute Freunde. Wir liebten Lieder und die anderen schönen Künste, waren beide begabte Wichtigtuer am Anfang einer möglichen Karriere, also schwelgten wir in Plänen und setzten einige um. Der Barde war klein, dicklich und verfressen, für einen Studenten - Wunschstudium: Philosophie! - nichts Besonderes an unserem beliebten Freitisch.

Es gab viele Gründe, den begabten Neuen zu verteidigen, auch gegen Mahner, die ihn zu frech, obszön und anmaßend nannten, auch unerträglich eitel.

Das war er freilich. Aber die Mauer war gebaut, ihre Nötigkeit eingesehen, jedenfalls von uns. Wir fanden nur, daß es enger wurde, ideologisch, geistig und kulturell. Das hatten wir uns anders erhofft. Frischer Wind tat gut, und es hätte doch ein wenig entspannter sein können. Denn nun hauten die Absolventen nach teurer Ausbildung nicht mehr sofort ab, wir wurden nicht mehr alltäglich ausverkauft, und nach draußen funktionierte der antifaschistische Schutzwall fast perfekt. Nach innen, rein zu uns, konnte allerdings nahezu jeder. Eben auch dieser junge Kommunist aus Hamburg, der einzige Sohn eines ermordeten jüdischen Widerstandskämpfers. Welch ein "Enkel" für unsere alten, oft einsam gewordenen Antifaschisten, Politiker wie Künstler.

Wir dachten nicht darüber nach, als er sofort eine komfortable Wohnung bekam, eine, die später für eine große Familie reichte.

Sein Auto hatte er mitgebracht, er verdankte es sicher Emma, seiner lebensstarken Mutter, deren einzige schwache Stelle die Liebe zum Sohn war.

Ich lernte diesen jungen Wolf kennen, als ich mir für eine Anthologie ein paar Liebesgedichte aussuchen wollte. Das war wichtig, denn Liebesgedichte waren gerade als überflüssig ausgegeben worden: kleinbürgerlich, Liebe ist schließlich Privatsache, so wie Kleingarten, wir brauchen revolutionäre Begeisterung unserer Künstler, nicht sentimentales Rumdichten über Gefühle. So etwa hatte es auch in der "Neuen Deutschen Literatur" gestanden. Dagegen wollte ich etwas tun. Und es kam auch zu einer ersten Auflage, mit Texten von sechzehn Dichtern der DDR, von Maurer bis Biermann, und Werken unserer Maler und Zeichner. An einer Grafik von Harald Metzkes und einem Gedicht von Biermann ist die zweite Auflage gescheitert. Ich machte mich sofort an die Arbeit für ein neues Buch zum selben Thema, diesmal ohne Gedichte von Biermann. Warum? Darum geht es, das ist die Geschichte. Aber ich bin noch bei der Freundschaft.

Wir haben in der Belforter Straße in Berlin einen Saal ausgebuddelt, mit Schippe und Besen. Ronald Paris war dabei, Heinz Kahlau, auch Biermann, der sang zu unserer Arbeit. An viele andere Helfer kann ich mich namentlich nicht mehr sicher erinnern.

Wir führten die Erstpremiere des Stückes "Der Schuhu und die Prinzessin" von Peter Hacks auf. Es war ein großer Erfolg, so wie unsere Freundschaft mit Biermann.

Wir hörten oft das jeweils neue Lied als Erste und bewahrten es auf Band. Die U-Bahn in der Schönhauser ist darauf zu hören, und unser Beifall, unser "Bravo".

Heinz Kahlau und ich organisierten in Herbert Sandbergs Veranda ein vormittägliches Sonderkonzert mit Manfred Krug, Wolf Biermann und Perry Friedman. Illustres Publikum sollte Ruhm verbreiten.

Krug und Biermann konnten sich sofort nicht ausstehen. Platzhirsche, die den anderen als Dieb der Zeit für eigene Darbietung sahen. Das blieb auch. Sie wußten damals ja noch nicht, daß Biermann einmal den Nagel bieten würde, an den sich der eigene Hut hängen ließ. Als Krug viel später ausreisen wollte, lange und gut vorbereitet, hat er Biermann zum Opfer der DDR und zum Freund erklärt.

Aber zurück zu den schönen Anfängen. Ich wollte Biermann bekannt machen, und da wir Krug gerade mit der Hauptrolle in "Auf der Sonnenseite" durchsetzen konnten, hielten wir uns für stark. Perry Friedman allerdings war für gemeinsame Veranstaltungen mit den beiden anderen nicht mehr zu gewinnen, er hielt sie für politische Spinner. Er förderte die Singeklubs.

Ohne die zu kennen, nannte Biermann die jungen Leute, die auch sangen und Lieder schreiben wollten, "Kaisergeburtstagssänger". Nun, an seine Vorbilder konnten die natürlich nicht ran. Er hielt sich an Brecht, Bellmann und Villon, Heine und Rimbaud. Seine Vorbilder waren, Zitat "... auch so direkt, so unverschämt".

Wir waren Freunde, und also öffnete ich auch um drei Uhr nachts die Tür, als Biermann schwitzend erschien und mich an die Schreibmaschine drängte, um seinen grad in einer Veranstaltung gesungenen Text umzuschreiben.

Er war sicher, daß beim Heimkommen die Stasi auf ihn wartet, und er mußte sie mit dem geänderten Text überzeugen, daß sie sich verhört hatten. Also habe ich den originalen Text versteckt, denn ich dachte, begabte Leute müssen übertreiben, und es tut nicht gut, wenn Eierköpfe sie schon beim Über-Mut abgreifen. Zu viele Begabte waren weggegangen. Von jenem Plenum, das andere Opfer kostete, soll hier nicht die Rede sein.

Biermann gab sich wenig Mühe, die Paten seiner Lieder zu verschleiern, er ahmte nach, oder nahm fast wörtlich. Seine "Kompositionen" ähnelten sich, aber das Ganze war originell, sehr sinnlich und anders, neu und frisch.

Er wird sich noch zügeln, dachten wir und nahmen ihn mit zu Veranstaltungen, zu denen er nicht geladen war. Wir verlangten vor Ort, ihn auftreten zu lassen, sonst würden wir streiken. In Halle waren Rainer und Sarah Kirsch dabei und erpreßten ebenfalls. Erik Neutsch versuchte, uns gütig, nachsichtig sogar, von unserem Vorgehen abzubringen, aber wir gaben nicht nach. Biermann war dann nicht wieder von der Bühne zu kriegen - und die Leute wollten ihn hören, ihn, nicht uns.

Wenige Tage später trugen wir in einem Vorort von Berlin unsere Beiträge zuerst vor, damit er dann das Publikum nach Belieben unterhalten konnte. Nach dem dritten Lied forderte er die Anwesenden auf, endlich mal die Regierung abzusetzen und die Mauer einzureißen, sie sollten nicht so feige Arschlöcher sein.

Das war unsere letzte gemeinsame Veranstaltung. Ich dachte damals, daß manche kritische Biographie über einen Künstler wohl noch sehr milde ist. Mir fiel zum ersten Mal auf, wie schnell Biermann mit dem erwünschten Tod anderer zugange war. Er ist jung, schränkte ich das Unbehagen ein, ist ein Hitzkopf, ein übertreibender Idealist. Er sieht sich umstellt von Gegnern. Auch Feinden? Wer waren die? Das hätte ich gern gewußt. Frauen waren entweder seine potentiellen Geliebten, auf deren Nacken er gern seinen Fuß setzte, oder er denunzierte sie als dumm, dick und überflüssig. Ein Teil seines Charakters aber schien es zu hassen, wenn er seinen Willen bekam, und sich nach neuer Schwierigkeit umsehen mußte, die es wiederum zu zerstören galt.

Ich ging den Verlagen in Berlin auf die Nerven, bis mir der Chef des Verlags Das Neue Berlin zusagte, einen Band Balladen von Biermann zu veröffentlichen.

Das teilte ich dem Künstler freudig am Telefon mit. Seine Antwort war: "Bist du wahnsinnig? Ich habe die Rechte längst an Wagenbach in Westberlin gegeben, und nicht die Absicht, in der DDR etwas zu veröffentlichen." "Und warum hast du mich losgeschickt?" - "Ich dachte doch nicht, daß du es schaffst."

Nicht deswegen habe ich Biermann Anfang 1963 aus meinem Leben entfernt. Es war auch nicht, weil ich merkte, daß er uns ständig belog. Er versorgte uns ausschließlich mit Informationen, die für ihn nützlich waren. Und blieb uns gegenüber nur der verwaiste, selber verfolgte Judenjunge, der für jede Hilfe dankbar war.

Es war der Abend, an dem Ernst Busch in der Akademie der Künste von der Öffentlichkeit Abschied nahm. Wir waren mit Blumen dabei und mit unserem Dank für ein großes Leben. Singen konnte Busch nicht mehr, seine Lieder wurden eingespielt.

Am Schluß stand Biermann an der Tür. Er lud uns und einige andere in seine Wohnung ein; man müsse ja etwas tun, um sich über den Schwachsinn und Kitsch dieses Abends gegenseitig wegzuhelfen. Das sagte er laut, noch innerhalb des Raumes. Warum waren wir so blöd, hinzugehen? Wir hatten einen Schriftsteller aus Rumänien zu Gast, vielleicht deshalb. Alle saßen auf der Erde, und Biermann schüttete sich aus über Busch, der noch nie was konnte und sich jetzt aufspielt ­... Erster Akt!

Zweiter Akt: Biermann kündigte uns die Premiere seiner Lieder vom großen DraDra an, also seine Drachenlieder. Es war kurze Zeit nach der Premiere des Stückes von Jewgeni Schwarz im Deutschen Theater.

Ich habe die Lieder gehört. Und hielt das nicht aus. Nun war es nicht mehr schöpferischer Zorn, es war unkünstlerischer Haß, Wut, Mordlust - es war unerträglich persönlich, eigentlich privat. Gegen wen richtete sich solche Wut? Bürokraten, Funktionäre - genauer kriegten wir es nicht.

Ich bin vor der Diskussion gegangen, allein und sehr uneins mit mir.

Es ging also um Bürokraten, um Leute, die in Sesseln sitzen, die wollte er lebendig begraben, auf die Schnauze hauen, aufhängen. Mindestens.

Er wurde sicher rund um die Uhr abgehört. Aber was haben die Zuständigen mit den Informationen gemacht? Mich hat bei meiner Bettelei um seine Karriere niemand aufgehalten.

Aber der Barde hielt mich auf. Noch immer war er nicht ohne Gitarre unterwegs, und meist hatte er ein kleines Stühlchen bei sich, auf dem er sich jemandem zu Füßen setzen konnte, um, psychologisch raffiniert, zu diesem aufzublicken, sich scheinbar zu erniedrigen. Aber Biermann war feige. Nicht er selber zog mit den Farbeimern los, die ihm Emma aus Hamburg mitbrachte. Er schickte junge Leute in Mutproben, die ihnen allerdings gerade recht waren. Einige kamen aus intellektuellen antifaschistischen Familien, in denen häufig die häusliche Rede über die Politik der DDR nicht zum öffentlichen Auftreten paßte.

Ihre gelangweilten Kinder haben aber nicht zu Hause, sondern für Guru Biermann aufgetrumpft - in der Schule, auf der Straße, mit offenem Aussprechen oder dummer Provokation. Unter Benutzung von verfälschten Zitaten der Klassiker. Diese jungen Leute wurden kurzfristig eingesperrt oder flogen von der Schule. Das nahmen sie alle - damals noch! - auf sich, um nicht hinter Biermanns Mut zurückzustehen.

Den gab es nicht. Wir wußten nicht, warum der Geduldsfaden so lang war. Wir erfuhren erst nach seiner Ausreise, welcher Dank da von einer Ministerin an die Mutter von Biermann abgestattet werden sollte. Als auch Margots Vater den Nazis zum Opfer fiel, nahm Emma das Kind auf und zog es liebevoll, wie eine Tochter, groß. Die Väter waren Genossen und Freunde gewesen.

Biermann folgte der Einladung seiner Ziehschwester und kam in die DDR, nahm, was er kriegen konnte und tat den Undank und die Narrenfreiheit oben drauf.

Seine Wohnung hatte er zu einem internationalen Treffpunkt und einer medialen Produktionsstätte ausgestaltet. Die westlichen Journalisten und Produzenten gingen bei ihm ebenso ein und aus wie all die unzufriedenen Begabten, die in der Chausseestraße geistige Erbauung im Widerstand gegen die DDR fanden. Auch Anknüpfungen an den ersehnten Markt in der "Freiheit": Zeitungen, Medien und Verlage.

Das muß nicht minder bekannt gewesen sein, jedenfalls setzte Biermann es voraus und amüsierte sich darüber. Gesetze? Die interessierten ihn nicht. Später hat er geschrieben, er habe Manuskripte im märkischen Sand versteckt.

Kopien vielleicht, denn es standen immer genügend Empfänger für den Transport nach drüben bereit. Zumal er darauf baute, daß die DDR es sich wegen der großen Augen der Weltpresse nicht leisten konnte, ihm etwas zu verweigern oder gar anzutun. Seine Absichten und Handlungen und das Verhalten der alten mächtigen Männer in der Partei und der Regierung trafen zu einem gefährlichen Stillstand zusammen.

Ich habe ihn noch einmal besucht und wollte ihm sagen, daß ich unsere Freundschaft aufkündige. Aber da schneite Professor Havemann herein und erzählte lachend, daß er in der Akademie der Wissenschaften eben aus der Partei geworfen worden war. Wie schwer die sich damit getan hätten, wie sie gedruckst, und auf ein alles wendendes erlösendes Wort von ihm gewartet hätten.

Ich habe Biermann nicht wieder gesehen. Dem ging noch etwas voran: Ihm war klar, daß einige alte Kämpfer mit der defensiven Politik der "Führung", nicht zurechtkamen. Er suchte die berühmten alten Männer auf und legte im Namen seines Vaters sowohl seine grenzenlose Verehrung als auch sein Verständnis der Konflikte in ihr Herz. Und sang und sang. Sie holten dann den Bittersaft ihrer Tagebücher und nicht verwendbaren Ideen aus dem untersten Fach und lasen vor, was zur Zeit nicht für das öffentliche Auge bestimmt war.

Biermann hatte ein glänzendes Gedächtnis. Er ging davon und machte sich Notizen. Aus dem Material der Aufgesuchten und Getäuschten knüpfte er ein langes Lied, in dem er sie alle offenbarte und denunzierte, sie zynisch aburteilte. Dieses Lied schickte er auf einem Tonband an Klaus Gysi, den damaligen Kulturminister.

Nach der Ablieferung rief Biermann mich an und erzählte mir von seinem Coup. Ich sagte: "Aber das ist Verrat." Er sagte: "In der Politik ist Verrat ein Mittel wie jedes andere." - "Und warum erzählst du mir das?"

Seine Antwort: "Weil du ein Weib bist und es herumtratschen wirst."

Ich habe es niemandem erzählt. Erst Jahre später traf ich Klaus Gysi bei einer Veranstaltung. Wir standen gelangweilt am Buffet, allein. Ich fragte: "Was hast du eigentlich mit dem Tonband von Biermann gemacht, damals?" Er sagte: "Ich habe ihm einen Brief geschrieben. Daß durch ein technisches Versehen beim ersten Abspielen das Band leider unbrauchbar geworden ist. Und er möge von weiteren postalischen Sendungen absehen." Ich glaubte ihm und habe ihm das nie vergessen.

Daß Freundschaften wegen Biermann auch unter den Schriftstellern zerbrochen sind, daß wir uns nach seiner "Ausbürgerung" alles gesagt haben, was lange vorher schon auf der Zunge lag, das war dramatisch. Denn der letzte Schachzug von Biermann war, daß er jedem, der schon lange nach einem Absprung gesucht hatte, den Vorwand dafür lieferte.

Als Mitglieder des Vorstandes bekamen wir von der Partei den Auftrag, unseren Kollegen, auch Freunden, das auszureden. Wir haben uns lächerlich gemacht und konnten darüber in den Westzeitungen lesen, die uns anonym zugestellt wurden. Widerlegen durften wir nichts, wir durften uns nicht wehren. Nicht einmal in einer Anglerzeitung hätten wir uns verteidigen dürfen. "Wir tragen doch unsere schmutzige Wäsche nicht vor den Klassenfeind." Doch, das geschah, aber wir durften nicht aufdecken, was wir wußten, keinen Einspruch erheben gegen den Vorwurf, wir seien nur zu feige gewesen, die undurchdachte Kampagne für Biermanns Rückkehr zu unterstützen.

Lange vorher hatte es einer der Funktionäre der Partei, Konrad Naumann, auf den Punkt gebracht: "Es gibt drei Dinge, die wir nicht überleben würden: Wenn wir die Hundesteuer erhöhen, einen Feiertag abschaffen oder den Biermann einsperren. Dann gibt es einen weltweiten Kampf, wie um Angela Davis."

Nicht ganz so ist es gekommen. Biermann hat es geschafft, daß der DDR nichts anderes blieb, als den Sohn eines ermordeten Widerstandskämpfers, Jude noch dazu, entweder ein- oder auszusperren.

Max Frisch nannte Biermann, nach einem Besuch, "Clown" und "Poet". Hacks, aufgesucht, um konterrevolutionäre Pläne zu schmieden, warf ihn raus und hieß ihn einen wichtigtuerischen Quatschkopf. Und zahlte diese Meinung, nach Veröffentlichung, mit einem Boykott seiner Werke.

Herr Wowereit hat Wolf Biermann zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt.

Gisela Steineckert

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EUropa - Friedensmacht oder Kriegsprojekt?

Ungeachtet der Frage, ob und in welchem Maße die Europäische Union dazu beigetragen hat, den Frieden im Inneren mit zu bewahren - nach Außen sah es seit eh und je ganz anders aus. Spätestens als im Jahr 1999 beschlossen wurde, eine militärische Eingreiftruppe im Umfang von 60.000 Soldaten aufzubauen, wurde darüber hinaus die Entscheidung getroffen, die eigenen Interessen fortan auch direkt mittels gewaltsamer Interventionen durchzusetzen. Daß von einer "Zivilmacht EUropa" heute leider keine Rede mehr sein kann, davon legen die mittlerweile etwa 30 Einsätze im Rahmen der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" ein beredtes Zeugnis ab. Und selbst vor Militäreinsätzen im Inland scheint man inzwischen nicht mehr zurückzuschrecken.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nannte in einer Rede im März 2013 drei Gründe, weshalb die EU starke militärische Fähigkeiten benötige: "Erstens, um die Umsetzung der europäischen Ambitionen auf globaler Ebene zu gewährleisten. Das zweite Argument ist operativer Natur: Um zu gewährleisten, daß Europa über die richtigen militärischen Fähigkeiten verfügt, um handlungsfähig zu sein. Und der dritte Grund ist ökonomischer Natur: Hier geht es um Arbeitsplätze, Innovationen und Wachstum."

Keiner dieser Gründe hat auch nur entfernt etwas mit Frieden zu tun: Die ersten beiden zielen darauf ab, ökonomische und strategische Interessen gewaltsam durchzusetzen, und sind nichts anderes als eine moralische Bankrotterklärung. Dies auch noch als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme darstellen zu wollen, hat ebenfalls nichts mit der Realität zu tun. Wie man es also dreht und wendet, all dies muß zu der Schlußfolgerung führen: Kein Mensch braucht das Militär und eine militarisierte Europäische Union!

Wenn Catherine Ashton von den "europäischen Ambitionen auf globaler Ebene" spricht, so stellt sich natürlich die Frage, worin diese bestehen. Hier wird inzwischen Klartext geredet, die - tatsächliche oder vermeintliche - pazifistische Vergangenheit muß nun zugunsten einer militärisch gestützten Weltmachtpolitik ad acta gelegt werden. Nur so könne es gelingen, im globalen Gerangel um Macht und Einfluß einen Sitz in der vordersten Reihe der Großmächte zu ergattern.

In aller Deutlichkeit hat dies der frühere britische Premierminister Tony Blair im Juni 2011 auf den Punkt gebracht: "Für Europa ist es wesentlich, daß es versteht, daß die einzige Möglichkeit, um Unterstützung für Europa zu erhalten, heute nicht auf einer Art Nachkriegssicht basieren kann, daß die EU notwendig für den Frieden ist. [...] Die Existenzberechtigung Europas basiert heute auf Macht, nicht auf Frieden. [...] In einer Welt, in der vor allem China dabei ist, zur dominierenden Macht des 21. Jahrhunderts zu werden, ist es für Europa vernünftig, sich zusammenzuschließen, um sein kollektives Gewicht zu nutzen, um globalen Einfluß zu erlangen." Militärische Fähigkeiten gelten dabei allem Anschein nach als eine Art Leitwährung, über die man verfügen muß, um glaubhaft einen Anspruch als Globalmacht geltend machen zu können. So schreibt Nick Whitney, der ehemalige Leiter der EU-Verteidigungsagentur: "Der Wert der bewaffneten europäischen Streitkräfte besteht nicht so sehr darin, speziellen 'Gefahren' zu begegnen, sondern weil sie ein notwendiges Instrument von Macht und Einfluß in einer sich schnell verändernden Welt darstellen, in der Armeen immer noch wichtig sind." Ganz ähnlich äußert sich auch der CDU-Verteidigungsexperte Andreas Schockenhoff: "Europa muß auch im 21. Jahrhundert in der Lage sein, militärische Macht einzusetzen, wenn dies der Wahrung und Durchsetzung seiner Interessen und Werte entspricht sowie völkerrechtlich legitimiert und politisch geboten ist. 'Militärische Macht' bleibt ein Strukturprinzip internationaler Beziehungen."

Wo und für welche konkreten Zwecke möchte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton "handlungsfähig" sein, um dem europäischen Weltmachtanspruch Nachdruck verschaffen zu können?

Am 15. Oktober 2013 veröffentlichte sie ein Strategiepapier, in dem sie den gesamten Nachbarschaftsraum, der sich von Nordafrika bis in den Kaukasus erstreckt, zur eigenen Einflußsphäre und zu einem möglichen Zielgebiet von EU-Interventionen deklarierte: "Das neue Augenmerk der USA für die asiatisch-pazifische Region ist eine logische Konsequenz der geostrategischen Entwicklungen. Sie bedeutet auch, daß Europa mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die seiner Nachbarschaft übernehmen muß. [...] Die Union muß in der Lage sein, als Sicherheitsgarant - mit Partnern so möglich, autonom wenn nötig - in seiner Nachbarschaft entschieden zu handeln, dies schließt direkte Interventionen ein. Strategische Autonomie muß sich zuerst in der Nachbarschaft der Europäischen Union materialisieren."

Fragt man nach den Interessen, die zu einem Militäreinsatz führen können, so sind selbstverständlich an vorderer Stelle die Auseinandersetzungen um knapper werdende Rohstoffe zu erwähnen. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Im von der sozialdemokratischen Abgeordneten Maria Eleni Koppa angefertigten Bericht des Europäischen Parlaments zur "Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" wird offen gesagt, beim EU-Militäreinsatz ATALANTA vor der Küste Somalias gehe es darum, Handels- und Tankerrouten zu sichern: "Das Europäische Parlament [...] fordert den Europäischen Rat auf, erneut die Bedeutung des Zugangs zu Energieressourcen und der Energieversorgungssicherheit Europas zu bekräftigen; weist darauf hin, daß die Operation ATALANTA bereits eine Rolle in der Energiesicherheit einnimmt, indem Piraten bekämpft werden, die seit 2008 einige Öltanker entführt haben."

Ganz generell geht es aber auch darum, sich über neoliberale "Reformen" - wenn möglich exklusive - Investitions- und Absatzgebiete zu erschließen und hierdurch Länder und ganze Regionen auszubeuten.

Dies bedeutet aber auch (im Notfall), bereitzustehen und hieraus resultierende Armutskonflikte so weit als möglich militärisch zu deckeln, um so die "Stabilität" des gesamten Weltwirtschaftssystems zu garantieren. Dies wird teils auch erschreckend offen eingeräumt: Im Mai 2011 erschien die deutsche Ausgabe des Sammelbandes "Perspektiven für die europäische Verteidigung 2020", der von der hauseigenen Denkfabrik der Europäischen Union, dem "Institute for Security Studies" in Paris herausgegeben wurde. Darin heißt es: "Abschottungseinsätze - Schutz der Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen. Da der Anteil der armen, frustrierten Weltbevölkerung weiterhin sehr hoch sein wird, werden sich die Spannungen zwischen dieser Welt und der Welt der Reichen weiter verschärfen - mit entsprechenden Konsequenzen. Da es uns kaum gelingen wird, die Ursachen dieses Problems, d.h. die Funktionsstörungen der Gesellschaften, bis 2020 zu beseitigen, werden wir uns stärker abschotten müssen. [...] Für den Schutz der Ströme werden globale militärpolizeiliche Fähigkeiten (Schutz von Seewegen und kritischen Knotenpunkten etc.) und eine gewisse Machtprojektion (Verhinderung von Blockaden und Bewältigung von regionaler Instabilität) erforderlich sein."

Weil die verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik auch die zunehmende Verarmung der Menschen innerhalb der Europäischen Union zur Folge haben, wird mittlerweile sogar unüberhörbar darüber nachgedacht, im Falle von Sozialprotesten o. ä. notfalls auch EU-Militär im Inland einzusetzen. Es ist der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon, der hierfür Tür und Tor geöffnet hat. Denn in der "Solidaritätsklausel" des parallel verabschiedeten "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV, Artikel 222) heißt es: "Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um [...] im Falle einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen."

Jahrelang wurde vergeblich in Erfahrung zu bringen versucht, was eigentlich unter einer "vom Menschen verursachten Katastrophe" zu verstehen ist. Erst Ende Dezember 2012 wurde diese Passage in dem von der EU-Außenbeauftragten und der EU-Kommission vorgelegten "Gemeinsamen Vorschlag für einen Ratsbeschluß zur Solidaritätsklausel" präzisiert. Dort wird in Artikel 3 folgende Definition präsentiert: "Katastrophe: jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann;" Auch eine "Krise" kann die "Solidaritätsklausel" auslösen, wobei diese wie folgt umschrieben wird: "Krise: eine ernste, unerwartete und häufig gefährliche Situation, die rechtzeitige Maßnahmen erfordert; eine Situation, die Menschenleben, die Umwelt, kritische Infrastrukturen oder wesentliche gesellschaftliche Funktionen betreffen oder bedrohen kann und auf eine natürliche oder von Menschen verursachte Katastrophe oder Terroranschläge zurückgeht." Insgesamt will man sich auch eine maximale Flexibilität bewahren: "Reaktion: jede Maßnahme, die während oder nach einer Katastrophe oder einem realen oder drohenden Terroranschlag zur Bekämpfung der unmittelbaren schädlichen Auswirkungen getroffen wird."

Zumindest potentiell ist damit der Weg geebnet, Militär auch zur Niederschlagung von Sozialprotesten im EUInland einzusetzen. Dieser Verdacht ist jedenfalls alles andere als aus der Luft gegriffen. Das zeigt die Tatsache, daß EU-Projekte bereits genau solche Szenarien im Auge zu haben scheinen. So schreibt "Focus" über ein Projekt im Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms zur künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur: "Generell könnte die Europäische Union häufig militärische Kapazitäten für die innere Sicherheit auf Basis einer weiten Auslegung der Solidaritätsklausel verwenden. Militärische Kräfte würden Hilfe während ziviler Unruhen und Aufstände liefern, etwa beim Schutz kritischer Infrastruktur, zur Strafverfolgung, zur Katastrophenabwehr und bei Großereignissen."

Kommen wir zum letzten Argument Ashtons, weshalb ein Militärapparat notwendig sei: die "segensreichen" Wirkungen der Rüstungsindustrie für "Arbeitsplätze, Innovationen und Wachstum". Ganz abgesehen davon, daß dies wohl kaum eine Rechtfertigung darstellt, mit seinem Militär in der ganzen Welt herumzufuhrwerken, ist diese Aussage Ashtons auch noch schlicht falsch.

Immer wieder wird darauf angespielt, militärische Innovationen kämen auch der Privatwirtschaft zugute. Hochtechnologie ist aber heute Sache ziviler Firmen, und die Rüstungsindustrie greift auf deren Know-how zurück und nicht umgekehrt. Insgesamt ist festzuhalten, daß der volkswirtschaftliche Einfluß des Rüstungssektors, gelinde gesagt, stark übertrieben wird. Am Beispiel Deutschland argumentieren Lühr Henken und Peter Strutynski: "Der Umsatz der Rüstungsindustrie in Deutschland (2011 waren das nach Angaben des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie - BDSV -28,3 Mrd. Euro), macht gerade einmal 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus (es handelt sich dabei um jene Werte, welche pro Jahr neu geschaffen werden). Setzt man den Exportwert der Rüstung (12,5 Mrd.) in Beziehung zum Gesamtexport der deutschen Wirtschaft, so landen wir sogar bei unter einem Prozent."

Auch die Verweise auf den "Jobmotor Rüstungsindustrie" halten keiner näheren Betrachtung stand. So verwies William Hartung auf neuere Studien aus den USA, in denen untersucht wurde, wie viele Arbeitsplätze durch Investitionen in verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren geschaffen werden. Das Ergebnis: "Ausgaben im Militärbereich sind weniger effektiv, was die Schaffung von Arbeitsplätzen anbelangt, als so gut wie jede andere Form von Regierungsaktivität." Wiederum auf Deutschland bezogen, relativieren auch Henken und Strutynski die Bedeutung der Rüstungsindustrie für den Arbeitsmarkt: "Der BDSV spricht von 98.000 Rüstungsarbeitsplätzen (andere Schätzungen liegen bei nur 80.000). Aber auch diese höhere Zahl bedeutet nur einen Anteil von 0,24 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. Mit anderen Worten: Die Rüstungswirtschaft ist eine marginale Größe in Deutschland."

Dies alles zeigt: Es wäre durchaus möglich, die Rüstungsproduktion auf die Herstellung ziviler Güter umzustellen. Doch hierfür fehlt der politische Wille - und dies hat nichts mit Arbeitsplätzen oder Frieden zu tun, sondern damit, daß das Militär ein zentrales Mittel für deutsche und europäische Weltmachtambitionen darstellt.

Sabine Lösing


Unsere Autorin ist außen- und friedenspolitische Sprecherin der Linken im Europaparlament.

Ende RF-Extra

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Zu den Gewaltorgien gegen das bolivarische Venezuela

Die Revolution ist in Gefahr

Der am 14. April 2013 als Nachfolger des kurz zuvor verstorbenen Revolutionsführers Hugo Chávez zum Präsidenten der Bolivarianischen Republik Venezuela gewählte einstige Busfahrer Nicolas Maduro ist ein bewußter Sohn seiner Klasse. Er betrachtet die von den Chavistas angestrebte Überwindung der Vorherrschaft einer mit dem Auslandskapital verfilzten parasitären Oberschicht der venezolanischen Gesellschaft als ein Kapitel Klassenkampf.

Und er sucht als Spitzenpolitiker der einflußreichen Vereinigten Sozialistischen Partei (PSUV) die inhaltliche Kooperation auch mit den traditionsreichen Kommunisten Venezuelas.

Erste Unruhen wurden bereits kurz nach Maduros Wahlsieg angezettelt. Seit dem 10. Februar versuchen teils maskierte und bewaffnete Gegner des revolutionären Weges - von den westlichen Medien einmal mehr als "demokratische Volksbewegung" apostrophiert - das zu erreichen, was ihnen an den Wahlurnen viermal hintereinander verwehrt blieb und auch in diesem Nicht-Wahljahr auf demokratischem Wege unmöglich sein wird: den Sturz Präsident Maduros.

Erstens wollen sie nicht bis zum neuerlichen Parlamentsvotum Ende 2015 warten, und zweitens haben sie von diesem auch nichts zu erhoffen. So flüchten sie sich in Straßenterror und bewaffnete Zusammenstöße mit der Staatsmacht.

Während sich der eigentliche Oppositionsführer - der frühere Mitarbeiter der USA-Botschaft in Caracas Henrique Capriles - derzeit eher im Hintergrund hält, gibt eine andere Formation der Ultrarechten, auf die bei den letzten Wahlen nur zwischen drei und fünf Prozent der Stimmen entfielen, den Ton an: Der "Volkswille" (Voluntad Popular) eines gewissen Leopoldo Lopez fordert ungeachtet der Tatsache, daß Venezuelas Verfassung erst nach dreijähriger Amtszeit des Staatschefs ein Referendum über dessen Abberufung vorsieht, Maduros sofortigen Rücktritt. Eine Ende Februar erfolgte Meinungsumfrage erbrachte indes, daß 81,6 % der Bürger des lateinamerikanischen Staates die derzeitigen Proteste als "gewalttätig" betrachten und 85 % die von den rechten Provokateuren errichteten Straßensperren für illegitim halten.

Da es in Venezuela - vor allem auf Grund des Boykotts und der Sabotage der Bourgeoisie - derzeit erhebliche Versorgungsengpässe, Produktionsausfälle und eine sich weiter beschleunigende Inflation gibt, verschafft diese Tatsache der zahlenmäßig weitaus kleineren Opposition eine gewisse Massenbasis. Nach einer Reihe von Tötungsverbrechen ordnete das Gericht die Inhaftierung des selbsternannten Oppositionsführers Lopez an, der daraufhin das Land zu verlassen suchte. Die politische Rechte rief sofort zu einer "Verteidigungskampagne auf, während US-Außenminister Kerry mit "ernsten negativen Konsequenzen" drohte, falls Venezuela Lopez arretieren sollte, was inzwischen geschehen ist.

Die Gegner der Chavistas, die mehr als 90 % der Medien kontrollieren und unzensiert zur "freien Meinungsbildung" beitragen können, verbreiten unablässig die Mär, Venezuela sei ein Maulkorbstaat. Die großen Blätter und Sender attackieren zugleich den Präsidenten und dessen Anhänger mit haßerfüllten Schlagzeilen, Spots und Karikaturen.

Einige der bei den Unruhen ums Leben Gekommenen wurden - wie der Chavista-Aktivist Juan Montoya - eindeutig von der Rechten umgebracht. Erwiesen ist ebenfalls, daß mehrere Regierungsgegner nach der auch in Kiew praktizierten Methode von den eigenen Leuten getötet worden sind, um die Haßatmosphäre auf den Siedepunkt zu bringen. Anfang März waren 18 durchweg von Bürgermeistern aus den Rechtsparteien verwaltete Munizipien Schauplatz von Gewaltorgien, während in den 300 übrigen zu diesem Zeitpunkt Ruhe herrschte.

Bei den fast täglich stattfindenden Demonstrationen beider Seiten wurde die Trennlinie zwischen den Gesellschaftsklassen offenkundig. Gegen Maduro agieren Angehörige der wohlhabenden Bevölkerungsschichten, Geschäftsleute, höhere Angestellte und Studenten privater Universitäten, für ihn mehrheitlich Arbeiter und einfache Leute.

In Venezuela handelt es sich nicht, wie aus den USA verlautet, um einen Volksaufstand, sondern um konterrevolutionäre Subversion und Agitation mit mächtigen Verbündeten im Hintergrund. Die Tatsache, daß in den rechten Hochburgen Merida und San Cristobal die Jagd auf Rotgekleidete - die Farbe der Chavistas wie der Kommunisten - entfesselt wurde, zeigt das ideologische Profil der Akteure.

In den an Kolumbien grenzenden Bundesstaaten Tachira und Merida wurden mit israelischen Waffen ausgerüstete Angehörige paramilitärischer Banden dingfest gemacht. Unter ihnen befanden sich Experten für Straßen-und Häuserkampf. Bewaffnete Gegner der venezolanischen Revolution haben in den letzten Monaten Krankenhäuser, Schulen, Kraftwerke, Ministerien, Polizeireviere, Transport- und Telekommunikationseinrichtungen, Universitäten, Hotels und Supermärkte angegriffen.

Da sie davon ausgeht, auch in absehbarer Zukunft an den Wahlurnen nicht siegen zu können, strebt die venezolanische Reaktion einen Machtwechsel auf anderem Wege an. Ermuntert wird sie durch Obamas Ruf nach einer ausländischen Intervention, der wiederum ein Indiz dafür ist, daß man einheimischen Kräften einen Erfolg im Alleingang derzeit nicht zutraut.

Übrigens charakterisierte Außenminister Elías Jaua das Geschehen in einem der ölreichsten Staaten der Welt mit den Worten, Venezuela sehe sich "einer faschistischen Attacke" gegenüber, die "durch Gruppen von Leuten erfolgt, welche in der Begehung von Gewalttaten eigens trainiert worden sind".

Da man eine solche Entwicklung lang- und mittelfristig anstrebte, wurden "bewährte Hilfsorganisationen" auf das Land der Chavistas angesetzt: die National Education for Democracy und die U.S. Agency for International Development.

RF, gestützt auf "People's World", New York, und "Morning Star", London

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Wie westliche Geheimdienste Nazikollaborateure übernahmen

Der Antibolschewistische Block der Nationen

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges etablierte der Chef des damaligen US-Geheimdienstes OSS Allen Dulles den Antibolschewistischen Block der Nationen, welcher auf drei rechtsextremen Pfeilern ruhte: der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), der hauptsächlich in Polen und den baltischen Staaten aktiven Prometheus-Liga und der Intermarium-Konföderation, welche überwiegend von Faschisten der als katholisch geltenden mitteleuropäischen Staaten Tschechoslowakei, Kroatien, Slowenien und Ungarn getragen wurde.

Herausragend war in diesem Trio die bereits 1929 von Stefan Bandera ins Leben gerufene OUN. Er und sein Stellvertreter Janoslaw Stetsko standen unter dem Einfluß der Hitlerfaschisten und der Schwarzhemden Mussolinis. In den 30er Jahren war Terror ihre Hauptwaffe: Gewaltsame Operationen wurden in der damals unter polnischer Oberhoheit stehenden Westukraine (Galizien) und der einen Teil der Sowjetunion bildenden Zentralukraine unternommen.

Hitlers Admiral Canaris sorgte dabei für logistische Unterstützung durch die deutsch-faschistische Abwehr. Jüdische Siedlungen wurden für blutige Pogrome ausgewählt.

Der US-Diplomat George F. Kennan beschrieb die OUN-Killer als "Marionetten, die von deutschen Agenten hinter den Kulissen manipuliert werden". In ihrer Nachfolge befindet sich heute die faschistische Swoboda-Partei, die bei den Ereignissen auf dem Kiewer Maidan Regie führte und dort ein bedeutendes Kontingent stellte. Anfang 1957 schafften es frühere Nazikollaborateure, die als Flüchtlinge nach Kanada, Großbritannien, Australien und in die USA ausgewandert waren, den Antibolschewistischen Block der Nationen wieder neu zu beleben. Er unterstützte weiterhin Terrorakte auf sowjetischem Gebiet und startete zugleich eine intensive Medienkampagne, wobei sich die Akteure als "antikommunistische Nationalisten" ausgaben, was zur Zeit des Kalten Krieges eine attraktive Maskierung war.

In Australien schrieb Mark Aarons, die "erfundenen und gefälschten Geschichten dieser Einwanderer" seien dazu geeignet, ihnen die Aura hingebungsvoller Patrioten zu verschaffen. Sie verbreiteten phantastische Stories vom Mut ihrer Landsleute, die gleichermaßen gegen Nazis und Kommunisten kämpften, sowie furchterregende Berichte über "Brutalität und Massenmorde unter dem Kommunismus". Die ukrainischen Faschisten wurden von der CIA finanziert, obwohl in Washington bekannt war, daß die Armee der Aufständischen (UPA) und die ukrainische Hilfspolizei ein besonders brutaler Teil der sogenannten Einsatztruppen in den von Hitlerdeutschland eroberten Ostgebieten waren.

Die Anfänge der Prometheus-Liga gehen bis in die 30er Jahre zurück, als sie in Warschau von polnischen, baltischen, ukrainischen und belorussischen Faschisten formiert wurde. Ihre Kontakte reichten bis nach Frankreich, in die Türkei und Japan. Vor Kriegsausbruch wurden die Prometheus-Banditen vom britischen Geheimdienst SIS finanziert sowie für Sabotage- und Terrorakte ausgebildet. Dann übernahm auch hier Hitlers Admiral Canaris das Zepter. Die belorussische Prometheus-Abteilung unterstand Radoslaw Ostrowski - einem Quisling, den die Nazis einsetzten, und Stanislaw Stankiewitsch, der 1941 das Massaker in Borisow anrichtete. Nach Kriegsende reorganisierte der britische Geheimdienst die Führung der Prometheus-Liga.

Die Intermarium-Konföderation war eine Allianz militant antikommunistischer katholischer Laienorganisationen. Vor dem Kriege stand sie ebenfalls mit dem britischen Geheimdienst in Verbindung und wurde später von Hitlers Abwehr übernommen.

In einem Bericht des Counter Intelligence Corps der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 1947 heißt es, daß Intermarium als eine "geheime internationale Organisation" zu betrachten sei, welche ihre Mitglieder überwiegend aus der Bevölkerung katholischer Gebiete rekrutiere, die "zwischen den Meeren" lägen. Mit anderen Worten: vom litauischen Baltikum bis zum Mittelmeer und zum Schwarzen Meer. Es gab damals Pläne für die Schaffung einer katholischen Donau-Konföderation als Bollwerk gegen den "atheistischen Kommunismus". Dabei ging es um die Zerstückelung der UdSSR, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei sowie um die Eingliederung dieser künftig "freien" Länder in einen katholischen Staatenbund.

Nach Kriegsende unterstützte der Vatikan etliche Organisationen, die sich mit der Rettung belasteter Naziaktivisten und deren Untertauchen im Westen befaßten. Einer dieser notorischen "Rattenpfade" war Intermarium.

Wie Heinrich von Bülow in seinem Werk "Im Namen des Staates" nachweist, deuten Äußerungen aus Vatikankreisen darauf hin, daß die Überzeugung vorherrschte, nur eine ideologische und programmatische Konzeption wie die der Nazis sei dazu imstande, den kommunistischen Einfluß einzudämmen und dessen weltweite Verbreitung zu verhindern.

Die vom US-Geheimdienst CIA finanzierte antikommunistische Propaganda, welche über die Sender "Radio Free Europe" und "Radio Liberty" Verbreitung fand, bediente als Hauptthema unablässig die angebliche sowjetische Bedrohung. Als allerdings der britische Oberkommandierende Montgomery während des Krieges die UdSSR besuchte, berichtete er anschließend über das unvorstellbare Maß der Zerstörung und den Erschöpfungsgrad der Bevölkerung, aus denen er schloß, daß die Sowjetunion mindestens 10 bis 15 Jahre brauchen werde, um überhaupt an einen Krieg denken zu können.

Dr. Vera Butler, Melbourne

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Zu den eigentlichen Hintergründen der Haßkampagne gegen Putin

Die Rechnung ohne den Wirt gemacht

Die Rechnung der von Faschisten befehligten Kiewer Sturmabteilungen sowie ihrer Regisseure aus NATO und EU ist nur zum Teil aufgegangen. Zwar führte der rechtsradikale Umsturz im Westen der Ukraine und der dort gelegenen Landeshauptstadt Kiew zur Ersetzung einer immerhin aus Wahlen hervorgegangenen Exekutive durch eine nicht per Urnengang bestimmte provisorische Regierung mit offenen Nazi-Anbetern und Antisemiten. De facto kontrollieren jetzt die faschistische Swoboda-Partei und der Rechte Block die Schlüsselbereiche Armee, Polizei und Sicherheitsorgane. Doch das strategische Konzept des Westens, auch aus Moskau einen rechtsradikalen Tummelplatz nach der Art des Maidan und die Krim zum am weitesten vorgeschobenen antirussischen Stützpunkt der NATO-Seestreitkräfte zu machen, war auf Sand gebaut. Angesichts der konsequenten und prinzipienfesten Haltung des von den nationalen Interessen Rußlands ausgehenden - bislang oft unterschätzten - Moskauer Staatsmannes Wladimir Putin verfehlte die Kanonade ihr Ziel. Das europäisch-asiatische Riesenland erwies sich in der bisher schwersten Belastungsprobe seit 1991 als wiedererstandene Weltmacht. Daher der ganze Haß. Die Krim wurde dem Imperialismus durch die politische Kühnheit und Standhaftigkeit ihrer eigenen Bevölkerung, denen die russischen Brüder zu Hilfe kamen, entrissen. Die Erwartungen der an den Umgang mit Marionetten gewöhnten imperialistischen Spitzenpolitiker in Washington, Berlin, Paris und London, auch diesmal Widerstände niederzuwalzen und mühelos an ihr Ziel zu gelangen, erfüllten sich nur zum Teil.

Doch wenden wir uns noch einmal der Situation in der Ukraine zu, um das dortige Geschehen besser einordnen zu können.

Seit dem 1991 erfolgten Auseinanderbrechen der Sowjetunion durch Verrat, Kapitulation und Führungsschwäche ist die Bevölkerungszahl der Ukraine - sie stand nach der RSFSR in dieser Hinsicht unionsweit an zweiter Stelle - von 51,4 Millionen auf 45 Millionen zurückgegangen.

Die Gründe dafür liegen im Absinken der Geburtenrate und im Anstieg der Mortalität - einer Folge des weitgehenden Zusammenbruchs entscheidender Teile des ukrainischen Gesundheitswesens. Das Schrumpfen der Einwohnerschaft hängt aber auch mit der enormen Emigrationswelle zusammen. Derzeit leben 6,6 Millionen Ukrainer im Ausland. Während viele der im Osten der Republik Beheimateten ihren Lebensunterhalt in der Russischen Föderation verdienen, wo deutlich höhere Löhne gezahlt werden, sind Millionen Westukrainer in andere europäische Staaten als Arbeitsuchende ausgewandert, um krasser Armut zu entfliehen.

Die offizielle Arbeitslosenziffer liegt im Kiewer Machtbereich bei acht Prozent. Nach Regierungsangaben beträgt der Anteil als arm Geltender ein Viertel der Landesbevölkerung, andere Quellen verweisen auf knapp 80 %. Unter Bedingungen extremster Mittellosigkeit vegetieren nach amtlichen Angaben nur 2 bis 3 % der Ukrainer - glaubwürdige Informationen gehen indes von 16 % aus. Die ländlichen Regionen in der Westukraine gelten als Elendszone. Ist es da ein Wunder, daß die Mehrheit der Menschen dort verzweifelte Hoffnungen mit einem Beitritt zur EU verbindet, von der man sich einen durch die Medien ständig in Aussicht gestellten Wandel zum Besseren verspricht? Vor allem junge Leute träumen vom westeuropäischen Schlaraffenland.

Für die multinationalen Konzerne und Banken ist die Ukraine eine begehrte Beute. So läuft der Aufkauf riesiger Flächen einstigen Kolchosen- und Sowchosen-Landes auf Hochtouren. Die britische Landcom-Gruppe erwarb z. B. auf einen Schlag 100.000 Hektar, während ein russischer Hedgefonds gleich das Dreifache dessen an sich riß.

Zu sowjetischen Zeiten prägten den mehrheitlich russischsprachigen Osten der Bergbau und eine entwickelte Industrie. Die dortige Arbeiterbevölkerung kann auf alte revolutionäre Traditionen zurückblicken. Nicht zufällig zählte die Ukraine - der Name entstand übrigens erst nach der Oktoberrevolution - 1922 zu den Mitbegründern der UdSSR. Der lange Zeit durch Polen annektierte Landeswesten wurde von der Sowjetunion erst 1939 und 1945 "zurückgewonnen".

1954 verschenkte Nikita Chruschtschow, vormals 1. Sekretär des ZK der KP der Ukraine, die seit dem 18. Jahrhundert Rußlands Flotte beherbergende Krim im Alleingang an Kiew. Übrigens spielen bei der faktischen Teilung des Landes auch unterschiedliche Religionen eine Rolle. Während im Osten die russisch-orthodoxe Kirche den Ton angibt, dominiert im Westen der griechisch-orthodoxe Klerus.

Wie man sieht, ist die Ukraine, die einst zu Zeiten der "Kiewer Rus" als Wiege Rußlands galt, heute politisch und kulturell gespalten.

Das öffnet einerseits imperialistischer Einmischung die Tore, während es sie dieser andererseits auch wieder zu verschließen vermag, wie das grandiose Ergebnis der demokratischen Volksbefragung auf der Krim unter Beweis gestellt hat.

Der Kampf um die Ukraine ist - aus Moskauer Sicht - eine strategische Schlacht ersten Ranges, nachdem bereits Estland, Lettland, Litauen, Georgien, Rumänien, Polen und Aserbaidschan der NATO für antirussische Operationen zur Verfügung stehen.

Zur Einkreisung Rußlands gehört übrigens auch der sogenannte Antiraketenschirm der USA mit seinen Basen in Osteuropa. Dabei handelt es sich keineswegs um Verteidigungs-, sondern um Angriffswaffen des Pentagons.

Nicht zuletzt sollte man in Betracht ziehen, daß Rußlands antifaschistische Abwehrschlacht unmittelbar an die Erfahrungen des Großen Vaterländischen Krieges der UdSSR anknüpft. In seiner beeindruckenden Kreml-Rede erklärte Wladimir Putin: "Die Krim war immer russisch, ukrainisch und krimtatarisch - aber sie wird niemals den Bandera-Leuten gehören." Diesem Nazikollaborateur wurden im Westen der Ukraine etliche Denkmäler errichtet, während man dort die Lenin-Monumente gestürzt hat.

RF, gestützt auf die tägliche Internetausgabe der Monatsschrift "Solidaire", Brüssel, und "The Guardian", Sydney

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Schweiz: Votum gegen Ausländer

Martin Schulz, der sozialdemokratische EU-Parlamentspräsident, BRD-Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Merkels Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) kündigten der Schweiz für den Fall Gegenmaßnahmen an, daß diese das Ergebnis des Volksentscheids über die Begrenzung der Zuwanderung umsetzen sollte. Schulz sprach über die Neuverhandlung von Verträgen zwischen der EU und Bern. Die Schweiz sei schließlich nahezu vollständig in den EU-Binnenmarkt integriert. Schäuble drohte subtiler: "Wir bedauern diese Entscheidung. Das wird eine Menge Schwierigkeiten für die Schweiz verursachen." Dabei ist er sich durchaus dessen bewußt, daß bei einem Volksentscheid über Zuwanderungsbegrenzungen in der BRD mit Gewißheit ein ähnlich unerfreuliches Ergebnis zustande kommen würde. Er ist sichtlich froh, daß hierzulande - anders als in der Schweiz - keine Volksentscheide stattfinden.

Am 13. Februar kam auch EU-Kommissionspräsident Barroso aus der Deckung: "Wir werden nicht über das Prinzip der Freizügigkeit verhandeln. Darüber kann man nicht verhandeln." Der Ausländeranteil an der Bevölkerung der Schweiz beträgt derzeit 23,4 % - in der BRD vergleichsweise etwa 9 %. Die Zahl der jährlichen Zuwanderer in die Schweiz liegt bei 80.000 - das ist ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2000 waren es 10.000. Jedes Jahr werden rund 40.000 Einwanderer zu Schweizern erklärt. In Deutschland beträgt die Einbürgerung bei einer zehnfach größeren Bevölkerungszahl rund 100.000 Personen.

Ein solcher Druck ließ erwarten, daß rechte Populisten und faschistoide Kräfte irgendwann einen von der Schweizer Verfassung vorgesehenen Volksentscheid initiieren würden. Das Ergebnis war knapp. Für eine Begrenzung der Zuwanderung sprachen sich 50,3 % der Abstimmungsberechtigten aus. Die Beteiligung lag bei 56 %. Von 26 Kantonen und Halbkantonen votierten 17 für eine "Zuwanderungsregulierung".

Die Schweizer hatten sich schon einmal per Abstimmung gegen ihre Regierung gestellt. Das betraf 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit der heimlichen Option auf EU-Vollmitgliedschaft. Beim EWR geht es um eine Freihandelszone für Industriewaren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen der EFTA und der EU.

Dem EWR-Abkommen traten ab Anfang Januar 1994 nur Island, Norwegen und Liechtenstein bei. Die Schweiz ratifizierte es nicht, da die Mehrheit der Kantone das ablehnte. Deshalb mußten politische, wirtschaftliche und andere Beziehungen über eine Vielzahl von Einzelverträgen geregelt werden. Inzwischen sollen über 120 solcher Abmachungen zwischen der Schweiz und der EU getroffen worden sein. Man habe sie an die "absolute" Zuwanderungsfreiheit für Ausländer gekoppelt, heißt es. Diese Verträge werden nun durch Brüssel zur Druckausübung genutzt und in Frage gestellt.

Die EU war und ist ein undemokratisches Instrument zur Auflösung der Nationalstaatlichkeit und zur Beseitigung der staatlichen Souveränität. Die Schweiz hingegen ist ein kapitalistischer Schlüsselstaat, dessen Finanzindustrie mehr Geld und Kapital bewegt, als das eigene Bruttoinlandsprodukt ausmacht. Bei ihr setzt Brüssel jetzt Daumenschrauben an, wobei Drohung und "sanfte" Erpressung gleichermaßen praktiziert werden. Wenn das EU-Imperium die Schweiz wie die kleine römische Kolonie Helvetia behandeln will, dann verbirgt sich dahinter die Angst vor ähnlichen Entscheidungen auch in anderen EU-Mitgliedsländern.

Was soll man den Schweizern raten? Die alten Bunker wieder in Betrieb zu nehmen, die einst gegen eine deutsche Invasion gebaut worden waren?

Bei Friedrich Schiller weigerte sich der Volksheld Wilhelm Tell, dem "leeren Hut" des Habsburger Vasallen Geßler die Ehre zu erweisen. Heute genügt es nicht zu sagen: "Durch diese hohle Gasse muß er kommen. Es führt kein andrer Weg" ... nach Brüssel.

Vorerst haben die Beteiligten drei Jahre Zeit, sich irgendwie zu einigen. Die einen werden sich bemühen, das Gesicht zu wahren, die anderen bestrebt sein, das Ergebnis des Volksentscheids auszuhöhlen. Am Ende aber dürfte die Schweiz durch die EU überrannt werden.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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Kubas Ärzte betreuten weltweit 21 Millionen Patienten

Ein Ruhmesblatt des Humanismus

Ein kleiner mittelamerikanischer Inselstaat, dessen Bürger ein monatliches Durchschnittseinkommen von weniger als 50 Dollar beziehen, hat die mächtigsten Länder der Welt seit Jahrzehnten in einer kardinalen Frage ausgestochen: bei qualifizierter ärztlicher Hilfe. Kuba unterhält derzeit mehr medizinisches Personal im Ausland als sämtliche hochentwickelten Staaten zusammengenommen.

Im April 2012 arbeiteten 38 868 ausgebildete Fachleute in 66 Ländern - darunter 15.047 Ärzte, 22 % aller Mediziner des karibischen Landes. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 135.000 im kubanischen Gesundheitswesen Beschäftigte an Auslandseinsätzen einmal oder des öfteren teilgenommen.

In Havanna neigt man nicht zum Begriff "medizinische Hilfe". Man empfindet ihn als zu bevormundend. Statt dessen spricht man von Zusammenwirken. Übrigens beteiligt sich Kuba auch nicht an sogenanntem Katastrophentourismus. Einsätze sind stets von längerer Dauer. Sie erstrecken sich in der Regel auf zwei Jahre, wobei im Bedarfsfalle die einen Kubaner durch andere abgelöst werden.

Ziel ist es, in den betreffenden Ländern ein belastbares eigenes Gesundheitssystem aufzubauen, wozu Kräfte aus der jeweiligen Bevölkerung einbezogen und ausgebildet werden. Die kubanischen Helfer leben unter und mit den jeweils Betreuten. Es versteht sich, daß alle medizinischen Leistungen unentgeltlich gewährt werden.

Von Bedeutung ist die Tatsache, daß die bei den Auslandseinsätzen verwandten Mittel und Methoden Kubas eigenes Gesundheitswesen widerspiegeln. Dort betrachtet man dessen Inanspruchnahme als in der Verfassung verankertes Menschenrecht.

Die Ausbildung kubanischer Ärzte konzentriert sich auf die Vermittlung diagnostischer Fähigkeiten, da die Verfügbarkeit modernster Medizintechnik - vom Röntgengerät bis zum Ultraschall - im Ausland oft sehr begrenzt ist.

Kubas Gesundheitsfürsorge legt den Akzent auf Vorbeugung und Verhütung. Wenn Medikamente eingesetzt werden, verwendet man meist im Lande selbst hergestellte Präparate, zumal dieses dazu imstande ist, 80 % des Bedarfs aus heimischer Produktion zu decken. Die Arzneimittelpreise der Apotheken machen nur einen Bruchteil in anderen Ländern geforderter Beträge aus.

Havannas internationalistisches Hilfsprogramm wurde weltweit erst wahrgenommen, als Kuba 2005 nach dem Hurrikan "Katrina", der in New Orleans enorme Schäden angerichtet und viele Menschenleben gefordert hatte, die sofortige Entsendung von 1500 Ärzten und Technikern in die USA anbot, was durch George W. Bush prompt abgelehnt wurde.

Dabei hatte sich der kleine Karibikstaat schon seit 1960 in ähnlicher Weise engagiert, als er in das von einer Erdbebenkatastrophe betroffene Chile seine Mediziner-Teams entsandte. 1963 folgte dann eine zahlenmäßig starke Equipe, die dem gerade befreiten Algerien Ben Bellas zu Hilfe kam.

In den 15 Jahren ihres Bestehens hat die kubanische medizinische Brigade 314.363 Menschen das Leben gerettet und insgesamt 20.946.528 Patienten betreut, davon 6.792.394 bei Hausbesuchen. In diesem Zeitraum wurden von ihr 373.513 chirurgische Eingriffe vorgenommen und 150.336 Geburten unterstützt.

Nachdem Castros Barbudos am 1. Januar 1959 in Havanna Einzug gehalten hatten, stand Kuba fast ohne Ärzte da. Nahezu die Hälfte des gesamten medizinischen Personals hatte sich nach Miami abgesetzt. Die revolutionäre Regierung konnte nur noch mit etwa 3000 approbierten Doktoren rechnen.

Inzwischen hat sich Kuba als Ärzte-Exporteur Nr. 1 profiliert, wobei es anderen Staaten ohne ideologische Bedingungen Unterstützung gewährt. Hunderte Mediziner arbeiten z. B. seit Jahren in Honduras, obwohl Raúl Castro 2009 scharf gegen die Ausschaltung des demokratisch gewählten Präsidenten Zelaya protestiert hatte. In gleicher Weise verurteilte Kuba den durch die Oligarchien herbeigeführten Sturz des paraguayischen Präsidenten Lugo im Jahr 2012, ohne seine Mediziner abzuziehen.

Als 1998 Hurrikan "Mitch" über Zentralamerika hinwegfegte und 20.000 Opfer forderte, leitete Kuba sofort entsprechende Schritte ein, obwohl es zu einer Reihe von Staaten der Region keine diplomatischen Beziehungen unterhielt. Innerhalb weniger Tage trafen die ersten 424 Spezialisten in den Unglückszentren ein - am Ende waren es etwa 2000.

Auch in anderen Weltregionen erwies sich Kuba als hilfsbereitestes Land. Nach der 1986 eingetretenen Reaktorkatastrophe von Tschernobyl behandelten seine Mediziner in Krankenhäusern und Sanatorien der Insel 26.000 Betroffene, hauptsächlich Kinder. Das Programm lief aus, als es die UdSSR schon lange nicht mehr gab.

Ein besonders ruhmreiches Kapitel war Kubas Solidarität mit Haitis Bevölkerung. Seit dem Hurrikan "George", der den Nachbarstaat 1998 verwüstete, waren dort ohne Unterbrechung 340 Fachleute als Helfer tätig. Nach dem Erdbeben vom Januar 2010 leistete Kuba den entscheidenden Beitrag, um ein Übergreifen der Choleraepidemie auf ganz Haiti zu verhindern. 76.897 Cholerapatienten wurden bei einer Sterblichkeitsrate von lediglich 0,35 % medizinisch behandelt.

Die größte aller Initiativen Kubas zur Verbesserung der Lage im Gesundheitswesen war und ist Venezuela gewidmet. Dort werden insgesamt 25.000 Medizinstudenten von kubanischen Professoren auf ihre künftige Tätigkeit vorbereitet. 8000 von ihnen - darunter 77 % Frauen - haben die Ausbildung bereits abgeschlossen.

Übrigens beschränkt sich die Hilfe Kubas keineswegs auf den eigenen Kontinent. Hochschullehrer von der Insel der Freiheit haben auch in Jemen, Guyana, Äthiopien, Uganda, Ghana, Gambia, Äquatorial-Guinea, Guinea-Bissau und Timor-Ost bei der Gründung medizinischer Bildungsstätten mitgewirkt.

Nicht unerwähnt bleiben sollte schließlich die Tatsache, daß Kubas ophtalmologisches Programm "Milagro" gegen den Grauen Star bisher mehr als 2.000.000 Menschen in 34 Ländern die Sehkraft zurückgegeben hat.

RF, gestützt auf "the Beacon", Melbourne, Zeitschrift der Unitarischen Kirche

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Vom Neokolonialismus zurück zur klassischen Kolonialherrschaft

Die "Befriedung" Zentralafrikas

Frankreich gibt - von der BRD sekundiert - den Vorreiter bei der Wiederherstellung klassisch-kolonialistischer Verhältnisse in seinen früheren "Besitzungen" auf afrikanischem Boden. Nach der Intervention in der Elfenbeinküste (2010), dem maßgeblich von Paris in Szene gesetzten imperialistischen Überfall auf Libyen (2011) und der "uneigennützigen Hilfe" für Mali (2012) soll auch die Zentralafrikanische Republik (RCA) "auf Linie gebracht" werden. Anfang Dezember 2013 lancierte François Hollandes rechtssozialdemokratische Regierung ihre "Operation Sangaris". Sie diente als Vorwand zur Verstärkung der militärischen Präsenz Frankreichs im Herzen des Schwarzen Kontinents. Offizielle Begründung für die klassisch-kolonialistische Einmischung war - wie immer in solchen Fällen - das angebliche Bedürfnis, humanitäre Hilfe zu erweisen: Diesmal ist der Schutz der Zivilbevölkerung vor Unbeteiligte massakrierenden islamistischen und christlichen Banden das angebliche Handlungsmotiv.

Schon am 5. Dezember erhielt Hollande vom UN-Sicherheitsrat grünes Licht für diese neue Intervention. Frankreich hätte sich allerdings - wie im Fall Mali - lieber auch noch eine "begleitende Mission" von UNO-Blauhelmen gewünscht - aus kosmetischen Gründen. Doch angesichts des Widerstandes der Afrikanischen Union wurde die Entscheidung darüber zunächst vertagt. Bald darauf hat sie jedoch 6000 Mann in die RCA geschickt, um dort 1400 Soldaten der "Gemeinschaft Zentralafrikas" zu ersetzen. Verstärkungen aus den Kasernen der Grande Nation folgten rasch. Nachdem Präsident Hollande die neueste Variante der Einmischung in fremde Angelegenheiten wortreich begründet hatte, stimmte auch die Linkspartei Mélenchons der Operation zu, während sich allein die FKP dem Coup widersetzte.

Das unzählige Opfer fordernde jüngste Blutbad in Südsudan und die "Operation" in der Ende des 19. Jahrhunderts von Frankreich kolonisierten heutigen RCA sind durch die Medien der Bourgeoisie ausführlich kommentiert worden. Einmal mehr sollte damit das Bild eines Afrika vermittelt werden, das sich in großen Schwierigkeiten befindet und dringend der Hilfe seiner einstigen europäischen Kolonialmächte bedarf.

Doch was ist in der Zentralafrikanischen Republik, die über ergiebige Vorräte an Uran, Gold und Erdöl verfügt, tatsächlich geschehen? Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten der RCA und unmittelbar vor Verkündung der Unabhängigkeit des Landes kam der herausragende antikolonialistische Führer in der Region, Barthélémy Boganda, bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben. Seitdem hat Frankreich seine ökonomischen Interessen in der RCA immer skrupellos wahrgenommen, wobei die aufeinanderfolgenden Staatschefs eng an Paris gekettet waren.

Zuletzt amtierte François Bozizé, der am 24. März 2013 durch einen Staatsstreich zu Fall gebracht wurde. Islamistische Rebellenmilizen marschierten dann auf die Hauptstadt Bangui. Ihr Anführer Michel Djotodia ernannte sich selbst zum Präsidenten, während sich Hollandes im Lande befindliches Militär auf den Schutz der Anlagen des Erdölkonzerns Total und anderer französischer Unternehmen sowie des Flughafens der Hauptstadt beschränkte. Der Putschistenführer erklärte unverzüglich, er werde alle erst kurz zuvor mit China geschlossenen Verträge "einer Überprüfung unterziehen".

Zwischen März und Dezember 2013 terrorisierten Djotodias Milizen die mehrheitlich christliche Bevölkerung der RCA, was Gegenreaktionen in Gestalt der Formierung von "Selbstverteidigungseinheiten" auslöste. Diese begingen wiederum Grausamkeiten an Anhängern des Islam.

Es entstand eine humanitäre Krisensituation: Bis zum 15. Januar 2014 hatten 886.000 Menschen ihre Wohnorte fluchtartig verlassen müssen, zwei Millionen Hungernde brauchten dringend Nahrungsmittel. Die Massaker nahmen ihren Fortgang.

Wichtigste Aufgaben wären in dieser Situation die sofortige Entwaffnung der radikalsten Milizen beider Seiten und die Begünstigung eines Dialogs zwischen der moslemischen Bevölkerungsgruppe (15 %) und der christlichen Mehrheit (50 %) sowie den traditionellen Gemeinschaften (35 %) gewesen. Die zuletzt Genannten setzten sich übrigens aktiv für die Verständigung zwischen den sich Befehdenden ein.

John Ging, UNO-Direktor für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, konstatierte bedauernd, von den in Aussicht gestellten Hilfslieferungen im Wert von 247 Mill. Dollar seien im Dezember nur Güter für 15,5 Mill. eingegangen.

Am 20. Januar trafen sich in Brüssel die Außenminister der EU-Staaten. Djotodia wurde als Präsident der RCA ausgebootet, da er keine Kontrolle über seine amoklaufenden Anhänger mehr besaß. Einige Wochen zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat die Französische Republik mit der bereits erwähnten Parallel-Operation "Sangaris" zu beginnen ermächtigt.

Frankreich wolle eine Großmacht in der Welt bleiben und eine entscheidende Rolle in Afrika spielen, vernahm man aus Paris. "Angesichts seiner kolonialen und neokolonialen Vergangenheit ist das schwerlich zu akzeptieren", schrieb der Afrika-Spezialist Tony Busselen in "Solidaire". Deshalb wolle Hollande lieber unter dem Signum "Europa" operieren. Der Pariser "Figaro" zitierte einen "Verantwortlichen aus dem Elysee-Palast": "Besonders nach Libyen, Mali und Zentralafrika ist es für Frankreich politisch schädlich, allein zu intervenieren. Die Europäisierung zwingt sich auf."

Beim Start von "Sangaris" erklärte Hollande auf einem europäischen Gipfeltreffen: "Ich tue das nicht für Frankreich, sondern im Interesse Europas. Frankreich geht in Afrika nur Europa voraus, und dieses wird sich anschließen."

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ließ wissen, sie habe "das Projekt" bereits seit Juni vergangenen Jahres vorbereitet.

Doch auch die BRD spielte bei dem schmutzigen Unterfangen keinen geringen Part. Berlin sei auf der Ministerberatung eine treibende Kraft gewesen, um eine "europäische Militärkoalition" auf die Beine zu bringen, die Frankreich in der RCA unterstützen könne, erfuhr man. Wenig später beschloß die Merkel-Regierung, das Bundeswehrkontingent in Mali aufzustocken, um dem französischen NATO-Partner die Verlegung eines Teils seiner dortigen Truppen in die Zentralafrikanische Republik zu ermöglichen und sich "in Form von strategischem Lufttransport in die Hauptstadt Bangui" auch direkt zu beteiligen.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Vor 95 Jahren wurde der Meister des Folk geboren

Pete Seeger - ein Sänger, der Sieger blieb

Der am 27. Januar verstorbene große Folk-Sänger Pete Seeger hat 80 seiner 94 Jahre in den Kampfreihen des "anderen Amerika" gestanden. Seine Lieder bewegten bis zuletzt Millionen Menschen in aller Welt. Er war der Troubadour beim Aufbau der fortschrittlichen CIO-Gewerkschaften in den 30er Jahren.

Gemeinsam mit seinem Freund Woody Guthrie erhob er seine Stimme gegen den als "Jim Crowism" bezeichneten, das gesamte gesellschaftliche Leben durchdringenden Rassismus im eigenen Land und die dem republikanischen Spanien an die Kehle gegangenen Faschistenhorden Francos, Hitlers und Mussolinis.

In den 50er Jahren setzten die antikommunistischen Hexenjäger McCarthys Pete und Paul Robeson - seinen Bruder im Geiste - auf die schwarze Liste der wegen ihrer Mitgliedschaft in der KP der USA verfolgten und von den Mainstream-Medien totzuschweigenden Künstler. Sein entschiedener Widerstandswille wie seine andauernde Nähe zur Arbeiter- und Volksbewegung sorgten dafür, daß Pete Seeger in den Augen von Millionen Amerikanern ein Volksheld blieb, den auch künstlerische Zeitgenossen wie Bruce Springsteen bewunderten. In der Hoffnung auf einen anderen Barack Obama stimmten beide bei der feierlichen Amtseinführung des von einer breiten Volksbewegung ins Weiße Haus getragenen ersten schwarzen US-Präsidenten im Jahr 2009 "This land is your land" an.

Am 3. Mai wäre Pete, der mich seit der 9. Klasse begleitete, 95 Jahre alt geworden. Damals sangen wir sein "If I had a hammer". Was plagten wir uns mit der Übersetzung, sollte sie doch das Leben und den Kampf dieses populären Musikers ausdrücken. Damit wurden wir voller Wärme durch unsere Englischlehrerin vertraut gemacht. Mit Inbrunst stimmten wir das "Hammer-Lied" auch in unserem Singeclub an, und bewiesen damit, daß wir seinen Song verstanden hatten. Er wurde zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung in den USA, Victor Jara sang ihn als "El martillo" in Chile. Erstmals erklang das Lied 1949 auf einer Benefizveranstaltung für die von McCarthy verfolgten Kommunisten. "Der Hammer", Symbol mit der dazugehörigen Sichel, ist eine Ode auf die Gerechtigkeit, die Gleichheit, die Freiheit. "Es ist das Lied von der Liebe zu meinen Brüdern und Schwestern überall in diesem Land", endet die letzte Strophe.

Was trieb den Sohn eines Musikwissenschaftlers und einer Geigenlehrerin zu dieser Haltung? Mit seinem legendären Banjo eilte Pete der Arbeiterbewegung, den Minderheiten und den armen Völkern aller Länder zu Hilfe, unterstützte er nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion 1942 die Entscheidung des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, an deren Seite in den Krieg einzutreten. Im gleichen Jahr gründete er die Folk-Musiker-Gewerkschaft "People's Songs".

Nach 1945 ging seine Interpretation von "We shall overcome" um den Erdball - das weltweit meistgesungene Freiheitslied, der globale Hymnus für Menschenrechte. Das war Grund genug, Pete 1955 vor den McCarthy-Ausschuß zu zerren, wo er die Aussage verweigerte. 1961 wegen seiner kommunistischen Überzeugung zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wurde er aufgrund der Revision dieses Urteils nach einem Jahr wieder entlassen. Aber die Diskriminierung hielt Jahrzehnte an.

In der DDR wurde Pete Seeger wiederholt stürmisch gefeiert. Nach einem Konzert in der "Volksbühne" am Berliner Luxemburg-Platz im Januar 1967 würdigte er seine Zuhörer mit den Worten: "Ich habe die Moorsoldaten noch nie so gut von einem Publikum gesungen gehört wie hier."

Pete Seeger war auch beim 16. Festival des Politischen Liedes im Februar 1986 dabei. Man bereitete ihm Standing ovations - Anerkennung und Zuneigung des guten Deutschland für den Vertreter des "anderen Amerika". Ich war bei diesem historischen Auftritt zwar nicht zugegen, las aber alles, was darüber berichtet wurde. Wir haben seine Lieder verinnerlicht und waren stolz darauf, daß Pete mit diesem Auftritt unserer sozialistischen Heimat Ehre erwies.

Der große Sänger und Kämpfer hat zu Hause und in aller Welt Unzählige dazu inspiriert, kostbares Liedgut in seinem Geist zu bewahren oder neu zu entwickeln. Viele Künstler folgten dieser Spur. Ich nenne nur Joan Baez, Bob Dylan und Bruce Springsteen. Der nannte Pete den Vater der amerikanischen Folk Music und sagte: "Er besaß die Kühnheit und den Mut, mit der Stimme des Volkes zu singen." Am Ende seines langen Lebens zog Pete Seeger noch einmal Bilanz: "Ich glaube, daß nicht nur Lieder, die das Fleisch unseres Lebens ausmachen, geschrieben werden müssen. Es muß auch gehandelt werden."

Cornelia Noack

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Kanadas "Deutsche Rundschau" würdigt Jenny Marx

Faires aus Ontario

Im beschaulichen Bad Kreuznach sagten am 19. Juni 1843 zwei Kurgäste zueinander ja. Eine der begehrtesten jungen Damen und "Ballkönigin" der Trierer Gesellschaft, Jenny von Westphalen, heiratete nach siebenjähriger Verlobung den vier Jahre jüngeren Philosophen und Freigeist Karl. Beide führten fortan den gemeinsamen Familiennamen Marx. Mit dieser Liebesheirat hat Johanna Bertha Julie Jenny sich gegen einen möglichen gesellschaftlichen Erfolg - ihre Schwester Lisette brachte es zur Schloßherrin auf Hohenerxleben - und für den Außenseiter entschieden.

Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1814 in Salzwedel geboren, wuchs Jenny im behüteten Umfeld einer zum Beamtenadel gehörenden Familie mit gehobenem Lebensstandard und gesellschaftlichem Ansehen auf. Klug, gebildet, kritisch und sensibel für soziale Fragen, war sie stark genug, sich bewußt an die Seite des politisch agierenden, unbequemen und von der Verwandtschaft und Gesellschaft abgelehnten Karl Marx zu stellen. Das bedeutete vor allem ein von Geldsorgen, Ausweisungen und Anfeindungen belastetes Leben im Exil, mit mehrjährigen Aufenthalten in Paris und Brüssel, dann dreißig Jahre in London, das immer Exilort blieb, nie zur Heimat wurde. Während ihrer vierzigjährigen Partnerschaft erlebten Jenny und Karl Marx persönliche Krisen, die Geburten von sieben Kindern, von denen nur drei Töchter das Erwachsenenalter erreichten. Am Todestage ihres Lieblingssohnes, des achtjährigen Musch, aus einem Londoner Elendsquartier buchstäblich auf die Straße geworfen zu werden, muß wohl von beiden als Tiefpunkt menschlichen Daseins empfunden worden sein. Marx' Affäre mit der langjährigen Haushälterin Helene Demuth und die folgende Geburt seines außerehelichen Sohnes hat sie hart getroffen. Nicht immer gelang Jenny der Spagat zwischen der großbürgerlichen Herkunftsfamilie und dem frei gewählten Leben. Von diesen Schicksalsschlägen nicht völlig gebrochen zu werden, ist die eine Seite der Größe von Jenny Marx. Die andere ist ihr zutiefst erlittenes Verständnis für die Bedeutung des Lebenswerks ihres Mannes, dessen Zustandekommen nicht zuletzt mit dem Elend der Familie erkauft werden mußte.

Sie war nicht nur die Gattin an der Seite ihres gleichermaßen verehrten wie bestgehaßten Mannes und die Mutter ihrer Kinder, sondern eine politisch engagierte Frau. Sie war aktive Mitarbeiterin in der sozialistischen Bewegung, eine anerkannte Mitstreiterin ihres Mannes, auf deren Urteil er großen Wert legte. Für die Weggefährten war sie eine zuverlässige Ansprech- und Korrespondenzpartnerin. Für ihn war sie nicht einfach seine Sekretärin, sondern, wie wir heute sagen würden, die "Geschäftsführerin" in Sachen Publikationstätigkeit.

Ohne ihre Abschriften Tausender von in Marx' schwer entzifferbarer Handschrift vorliegender Manuskriptseiten wäre das Buchprojekt zum "Kapital" wohl nie zu einem glücklichen Ende gekommen. Sie führte seine Korrespondenzen weiter, wenn Arbeit oder Krankheit ihn daran hinderten. Mit ihren einfühlsamen Briefen erreichte sie oft, daß die Fäden des gemeinsamen, weltweit geknüpften sozialen Netzwerks hielten oder neu verknüpft wurden, wenn es doch einmal zum Bruch gekommen war.

Nach dem Tod von Jenny und Karl Marx vernichteten ihre Töchter Eleanor und Laura das meiste an Korrespondenz. Überliefert ist nur, was sich in der Hand Dritter befand, aber auch das, was zufällig übersehen wurde. Insgesamt sind es 330 Dokumente, die anläßlich des 200. Geburtstages von Jenny Marx nun erstmals vollständig veröffentlicht wurden. Das Material erwies sich trotzdem als ausreichend, um ein lebensnahes Bild von ihr zu zeichnen.

1880 wurde bei Jenny Krebs diagnostiziert. Im Alter von 67 Jahren starb sie nach langem Leiden am 2. Dezember 1881 in London. Als Atheistin wurde sie am 5. Dezember 1881 in ungeweihter Erde auf dem Highgate-Friedhof in London begraben. Die Trauerrede hielt Friedrich Engels. Marx wurde die Teilnahme an ihrer Beerdigung von seinem Arzt verboten.

In heutigen Zeiten, da soziale Netzwerke 2.0 heißen und mit Mails, SMS, Chats und Tweets geknüpft werden, scheint die Kunst des Briefeschreibens in den Hintergrund gerückt zu sein. Ein rückläufiger Briefverkehr war jedoch nicht der Grund, der den Antrag, die couragierte Briefeschreiberin anläßlich ihres 200. Geburtstages mit einer Sondermarke zu ehren, im sachsen-anhaltinischen Landtag scheitern ließ.

Seine Ablehnung begründete der Minister für Finanzen, Herr Bullerjahn, nicht ohne vorher Rücksprache mit dem Kultusministerium genommen zu haben, u. a. damit, daß Jenny Marx zwar eine große lokale Bedeutung für die Hansestadt Salzwedel und die Region Altmark habe, ihre historische Bedeutung im bundesweiten Kontext allerdings zu bezweifeln sei.

Zudem, fügte er süffisant hinzu, sei Jenny Marx "bereits eine Sonderbriefmarke der DDR im Jahr 1964 aus Anlaß des Frauenkongresses gewidmet worden". (...) Auf der 20-Pfennig-Briefmarke ist als Bildmotiv eine Mutter mit lesendem Kind, im Hintergrund ein stilisiertes, Jenny Marx darstellendes Wandbild und neben den Personen ein kleiner Bücherstapel zu sehen. Eine namentliche Erwähnung erfährt die zu Ehrende somit nur auf einem Sonderstempel ihrer Geburtsstadt anläßlich ihres 150. Geburtstages.

Rüdiger Eckert


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

"Diese 20-Pfennig-Briefmarke ist die einzige, auf der Jenny Marx Erwähnung findet", ließ die "Deutsche Rundschau" - ein in Kanada erscheinendes Blatt mit internationaler Verbreitung - ihre Leser wissen.

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"RotFuchs"-Wegbereiter (12 und Schluß): Arno Fleischer

Als der RF erst wenige Monate alt war, erkundigten wir uns bei dem bekannten Berliner Grafiker Arno Fleischer, ob er uns eine einprägsame Fuchszeichnung für die Titelseite unserer Zeitschrift entwerfen könne. Arno ließ sich nicht lange bitten und begab sich stehenden Fußes in den Berliner Tierpark, um an Ort und Stelle einen echten Reinecke einzufangen und aufs Papier zu bannen. Bis heute lädt Fleischers Fuchs-Profil dazu ein, sich mit der jeweils neuesten Menükarte des RF vertraut zu machen. Der am 15. August 1926 geborene und am 3. Juli 2005 verstorbene vielseitige Künstler war Maler, Grafiker, Karikaturist und Plakatgestalter in einer Person. Auch Offsetdruck, Lithographie, Holzschnitt und Fotomontage gehörten zu seinem weitgefächterten Repertoire.

1942 zur faschistischen Wehrmacht eingezogen und 1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, war der gelernte Landarbeiter zunächst im vogtländischen Oelsnitz und in Bad Elster als Gebrauchswerber tätig. Von 1952 bis 1957 studierte er an der Hochschule für Bildende und Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee, wo Bert Heller und Werner Klemke zu seinen Lehrern gehörten. Seit 1958 arbeitete Arno Fleischer als freiberuflicher Grafiker. Er zählte zu den erfolgreichsten Plakatkünstlern und Schulbuchillustratoren der DDR, widmete sein Schaffen vor allem aber auch der Landschaftsmalerei. Seine Holzschnitte erfuhren hohe Anerkennung.

Arno Fleischer und seine Frau Eva stießen sehr früh zum damals noch kleinen "RotFuchs"-Kollektiv und fühlten sich von Beginn an mit dem Anliegen unserer nicht zuletzt auch Kunst und Kultur zugewandten Zeitschrift verbunden. So ist es uns eine Ehre, an diesen bedeutenden bildenden Künstler der DDR - unseren Wegbereiter und Kampfgefährten Arno Fleischer - in der letzten Folge dieser Serie mit Wärme und Dankbarkeit zu erinnern.

RF

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Maxie Wanders eindringliche Protokolle über Frauen in der DDR

Lust und Mut, von sich zu erzählen

"Konflikte werden uns erst bewußt, wenn wir es uns leisten können, sie zu bewältigen. Unsere Lage als Frau sehen wir differenziert, seitdem wir die Gelegenheit haben, sie zu verändern." Diesen Gedanken stellte die Schriftstellerin Maxie Wander ihrer Sammlung von Selbstzeugnissen unterschiedlicher Frauen aus der DDR voran. Als die Protokolle unter dem Titel "Guten Morgen, du Schöne" 1976 in der DDR und dann auch in der BRD erschienen, lösten sie zahllose Wortmeldungen aus. Christa Wolf schrieb in ihrem Vorwort: "Der Geist, der in diesem Buch (...) am Werke ist, ist der Geist der realen Utopie. (...) Fast jedes der Gespräche weist durch Sehnsucht, Forderung, Lebensanspruch über sich hinaus."


Siebzehn Frauen unterschiedlicher Jahrgänge, Lebensumstände, Berufe und Herkünfte geben freimütig Auskunft über sich. Gemeinsam ist ihnen das Zuhausesein in der DDR und das Bemühen, sich selbst und den Mitmenschen gerecht zu werden. Die Autorin Maxie Wander stammte aus Österreich und war 1958 zusammen mit ihrem Mann Fred Wander in die DDR gekommen. Sie erkannte die Größe der historisch einzigartigen Veränderung, die sich vor ihren Augen im Leben der Frauen vollzogen hatte - als "neue Schwesterlichkeit". Um 1975 waren gesetzliche Gleichstellung und das Recht auf Arbeit im damals gerade 25 Jahre bestehenden jungen deutschen Staat zur selbstverständlichen Lebenspraxis geworden. Eine Grundlage war entstanden, um neue, frauengemäße Weisen des Menschseins zu erfragen, zu erkunden und einzufordern. Maxie Wander fand in der protokollarischen Form ein eindringliches Gestaltungsmittel. Sie ermutigt Rosi, Doris, Christl, Susanne und weitere Dialogpartnerinnen zum Sprechen, unterstützt und begleitet ihr Ringen um Ausdruck, läßt ihrer Alltagsrede und der Heimatmundart die Klangfarben, dringt in das innere Befinden jeder einzelnen Gesprächspartnerin vor. Die Befragten formulieren ihre Träume und Ängste in der Arbeit und in der Liebe. Politik kommt kaum darin vor, und doch ist das Gesellschaftliche in jedem Satz gegenwärtig.

Tastendes Suchen nach dem wirklichen Frausein manifestiert sich darin und immer wieder die Zuversicht, daß es gelingen kann. Christa Wolf erklärt dazu in ihrem Vorwort: "Die Verhältnisse in unserem Land haben es Frauen ermöglicht, ein Selbstbewußtsein zu entwickeln, das nicht zugleich Wille zum Herrschen, zum Dominieren, zum Unterwerfen bedeutet, sondern Fähigkeit zur Kooperation. Zum erstenmal in ihrer Geschichte definieren Frauen (...) ihr Anderssein; zum erstenmal entfalten sie nicht nur schöpferische Phantasie: Sie haben auch jenen nüchternen Blick entwickelt, den Männer für eine typisch männliche Eigenschaft hielten."

In der DDR waren die vielen Gespräche über "Guten Morgen, du Schöne" in den Betriebskollektiven oder Hausgemeinschaften begleitet von Fernseh- und Rundfunkproduktionen sowie zahlreichen Bühnen-Inszenierungen.

Und in der Bundesrepublik fühlten sich die Streiterinnen für die Gleichberechtigung von der selbstbewußten, eher unideologischen Art fasziniert, mit der die DDR-Frauen ihren Emanzipationsanspruch vortragen. Sie sprechen ihn deutlich aus, aber in einer Weise, die ohne die Gegnerschaft der Männer auskommt. Hinter dieser Erscheinung steht die einfache, im Westen jedoch bestaunte Wahrheit: Die Herrschaft des Kapitals, nicht die der Männer ist es, die der Selbstwerdung von Frau und Mann den Weg verstellt.

Das Buch erreichte in der BRD Hunderttausender-Auflagen. Zwei Wortmeldungen zu "Guten Morgen du Schöne" aus voneinander weit entfernten politischen Positionen markieren das breite Echo auch von westlich der Elbe, wo jene unerhörte "reale Utopie" bis heute Bewunderung hervorruft: Der Kölner Romanautor Erasmus Schöfer, mit seiner 2008 erschienenen Tetralogie "Die Kinder des Sisyfos" bekannt als Chronist der fortschrittlichen Linken in der BRD, läßt die Protokolle von Maxie Wander in die Hand der Theaterfrau Lena Bliss geraten. Lena ist eine der Hauptfiguren in Schöfers Romanhandlung zu "Winterdämmerung", und ihr werden jene Selbstzeugnisse der DDR-Frauen zum Auslöser für einen ehrgeizigen Lebensentwurf. Lena fordert konsequent ihr Recht auf Selbstverwirklichung ein, qualifiziert sich von der Kostümschneiderin zur Schauspielerin. In der Hauptrolle zur Theater-Inszenierung "Guten Morgen, du Schöne" feiert sie schließlich beglückende Erfolge, aber sie hat für den Triumph Ehe und Mutterschaft preisgeben müssen.

Und im Feuilleton der erzkonservativen FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) schrieb Maria Frisé am 31.3.1978: "Die Emanzipation der Frau hat sich im anderen Teil Deutschlands (...) ohne die kämpferisch schrillen Töne (vollzogen), die hierzulande zuweilen zu hören sind. Der Beruf und die damit verbundene Unabhängigkeit ist die Norm, nichts, was man sich erst erstreiten muß. (...) Im Vordergrund steht (...) Allerpersönlichstes (...). Keine der siebzehn Frauen, von der sechzehnjährigen Schülerin bis zur vierundsiebzigjährigen Großmutter, fühlt sich ausgeliefert. Sie sehen durchweg ihre Chancen, sich selbst zu verwirklichen, und nehmen sie wahr."

Könnte die 1977 verstorbene Maxie Wander ihre Arbeit unter den jetzt veränderten Bedingungen wiederholen, vielleicht die Jüngeren unter den 17 Frauen nochmals aufsuchen, die Auskünfte klängen gewiß anders. Mag sein, daß sich diese oder jene mit dem Dasein als Bundesbürgerin arrangiert hat. Doch zukunftsgreifend mitmenschliche Erwartungen wie 1977 würden sie wohl kaum wieder artikulieren.

Die abgehobenen Dispute über Quotenfrauen in den Konzern-Kommandozentralen oder über die Vorschrift auf dem Arbeitsmarkt, die feminine Sprachform zu benutzen - sie tragen eher wenig zur Frauengleichstellung bei. Hingegen lohnt es sich, das Buch von Maxie Wander wieder aufzuschlagen. Es vermag jenem "Geist der realen Utopie" gedanklichen Raum zu schaffen.

Marianne Walz

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Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen

Griff in die literarische Schatztruhe (19)

Kurt Huhn zählte bereits in den 20er Jahren zu den stärksten lyrischen Begabungen in der proletarisch-revolutionären Literatur. Seine beruflichen Stationen waren nach der Schlosserlehre die Wanderschaft sowie Tätigkeiten als Land- und Grubenarbeiter, Buchhandlungsgehilfe und - ab 1925 - Betriebsschlosser. Als Siebzehnjähriger verfaßte er seine erste Erzählung "Geburtstag in der Fabrik". Im Jahr darauf veröffentlichte Kurt Huhn erste Gedichte in der "Roten Fahne" und in der "Linkskurve", um nur zwei Blätter zu nennen. Für seinen Gedichtband mit dem kompromißlosen Titel "Kampfruf!" (1925) wurde ihm ein Hochverratsprozeß angehängt. Zeitgenosse Emil R. Greulich aus Berlin-Bohnsdorf schrieb: "In seinen Gedichten rief er die Arbeiterschaft klangvoll zum Denken und Handeln auf."

Kurt Huhn wurde Mitbegründer und Vorstandsmitglied des "Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller". Ab 1930 schrieb er seinen Roman "Blut und Eisen", der erst 1962 unter dem Titel "Peter gibt nicht auf" erscheinen konnte. Bis 1933 war er Redakteur der Zeitschrift "Der Steinklopfer". Er wurde von den Nazis verhaftet und in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Neugamme geworfen.

Nach 1945 erwarb sich Kurt Huhn große Verdienste bei der Förderung schreibender Arbeiter und war ab 1957 Chefredakteur der Zeitschrift "Schatulle". Es erschienen seine Skizzen- und Erzählbände "Das tägliche Brot" (1946) und "Flügelschlag der Epochen" (1948). In den Lyriksammlungen "Nur der Gleichschritt der Genossen singt" und "Linksrum geht der Lauf der Welt" vereinte Kurt Huhn seine wichtigsten Verse. In dem Roman "Die stählernen Harfen" schilderte er die Qualen hinter Kerkermauern und KZ-Stacheldrahtzaun. Danach erschien sein Sammelband "22 Erzählungen", für den ihm der Kunstpreis der FDGB zugesprochen wurde. Kurt Huhn starb 1976.

Dieter Fechner

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Ein neues Unwort: Urkatastrophe

Wieder wabert ein politisches Schlagwort durch den bürgerlichen Medienwald: "Urkatastrophe".

Sofort denkt man an Urschleim oder Urknall, also Naturgegebenes. Tatsächlich gemeint ist der Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren. Er begann mitten in Europa und stürzte nicht nur dort Millionen Menschen in Tod, Elend und Verzweiflung. Eine Katastrophe? Für die Masse ja, aber nicht für jene, welche daraus milliardenfach blanke Münze schlugen.

Man fragt sich, was derart schwammige Begriffe eigentlich bewirken sollen. Offenbar will man den Anschein erwecken, man habe aus der Geschichte gelernt, was ja bei "herrschenden Eliten" selten der Fall ist.

In Ausstellungen und Dokumentationen, mit Dichterzitaten und einem Foto-Wald wird man daran erinnert, mit welchem nationalistischen Größenwahn-Taumel der Erste Weltkrieg im Sommer 1914 begann. Damals begleitete ein großer Teil des deutschen Volkes in unbegreiflicher Verblendung die später auf gespenstische Weise unter Hitler ins Maßlose gesteigerte Wiederholung des Gemetzels mit Hurrapatriotismus. Doch es gab auch warnende Stimmen der Anklage und des Zorns auf jene, welche unaufhörlich zu Lande und zu Wasser aufgerüstet hatten. Das kaiserliche Deutschland gierte nach "einem Platz an der Sonne". In Basel hatten die Sozialisten aus vielen Ländern 1912 die Weltöffentlichkeit vergeblich vor der Gefahr gewarnt. Einer Weltkriegsgefahr, die schon Friedrich Engels vorausgesehen hatte (s. RF 195, S. 19).

Ich bin wie viele meiner Generation unendlich dankbar dafür, daß mir als Schulkind bereits in den ersten Jahren der DDR durch Lieder, Gedichte, Erzählungen und Filme die wahren Schuldigen an den Katastrophen des 20. Jahrhunderts erkennbar gemacht wurden. Hier sei an Hans Marchwitzas Gedicht "Wir lieben das Leben" aus der Kantate "Eisenhüttenkombinat Ost" erinnert, das Otmar Gerster vertonte. "Wir lieben das Leben, das Leben ist schön. Doch Leben heißt kämpfen, dem Trug widerstehn. Wir wollen keinen Krieg, der nur dient dem Profit und Vorteil bringt dem Mann, der nie am Kriege litt", heißt es dort.

Eines der meistgesungenen Lieder im Osten Deutschlands war die Hymne der demokratischen Weltjugend. "... unser Glück auf dem Frieden beruht", verkündet sie. Und sie endet mit den appellierenden Worten "Freundschaft siegt!".

"..., daß ein gutes Deutschland blühe wie ein anderes gutes Land" bekannte sich Johannes R. Becher zu jenem deutschen Staat, der zwischen 1949 und 1989 unablässig Signale des Friedens aussandte.

"Urkatastrophe?" Was für ein irreführendes Wort!

Werner Voigt, Kromsdorf

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Auch dieser bittere Frühling wird von überwältigender Schönheit sein. Ich erfreue mich wieder an Maiglöckchen und erliege dem Duft von blauem und weißem Flieder.

Ich wurde im Mai geboren, aber es gibt keinen weiblichen Stier. Ich bin eine Kuh, ein ziemlich blödes Tier. Das weiß ich, seit ich die Kühe hüten mußte, immer einen unendlich langen Tag, ohne Uhr, ohne Brot - und ohne ein Buch. Ich habe gar nichts gelernt, von den Kühen, und die nichts von mir.

Aber das stimmt auch nicht. Ich kann seit damals meist auf die Minute genau sagen, wie spät es gerade ist.

Ich mag meine Geburtstage nicht und möchte sie nicht feiern. Manchmal haben das liebe Menschen für mich durchgesetzt. Als Kind habe ich mich vorher übermäßig gefreut, jedes Jahr. Und dann war nichts, gar nichts. Wehrt man sich zu lange, könnte es wieder so werden.

In dem Land, in dem ich die Kühe hütete, galt der Geburtstag nichts, nur der Namenstag wurde beachtet.

Dieser Frühling, erwartet wie jeder nach der Kälte des Winters, weist alle kindlichen Enttäuschungen zurück in das Fach "übertriebene Gefühle".

Damals, im Mai vor fast siebzig Jahren, waren wir noch nicht erwachsen, aber wir haben gesehen, wie sich das überlagerte, die Erleichterung über das Ende des Krieges, und das Entsetzen darüber, daß nun, unaufhaltsam, die Folgen der Verbrechen ins eigene Leben reichten.

Die Niederlage war unser Glück, und die Naziverbrechen wurden im Laufe der Zeiten eine stete Quelle der Belehrung.

Wir, die Halbwüchsigen von damals, können unser Leben niemals in Erinnerungen erschöpfen, die nur unser persönliches Reifen und Werden betreffen. Wir wissen über die mehr als fünfzig Millionen Opfer; es gibt eine nie aufzulösende Bitterkeit, eine Last auf der Seele. Warum?

Weil wir nur zu jung waren, um schuldig zu werden, ein oder zwei Jahre zu jung. In den letzten Monaten, beim letzten Aufgebot, galt das auch nicht mehr. Und wir waren nicht zu jung für Gift im Hirn. Nun haben wir auszuhalten, daß uns die Erinnerung an Schulaufsätze beschämt. Unser Kopf behielt Haßlieder, und wir hoben den rechten Arm.

Später sind wir vordem verfolgten Menschen begegnet und haben sie verehrt oder geliebt, wir haben ihre Freundschaft gewonnen, waren stolz darauf, und manchmal sogar unbefangen.

Ich mußte beides annehmen: den Schrecken über das, was aus mir geworden wäre, wenn es jenen Mai nicht gegeben hätte, und die Notwendigkeit jener absoluten Niederlage, die dem Morden ein Ende setzte.

Ich habe Sachsenhausen besucht, war in Salaspils, in Ravensbrück und in Buchenwald und habe mich davor gedrückt, mit Peter Edel und seiner Frau nach Auschwitz zu fahren. Diesen Wunsch haben wir beide ihm nicht erfüllt. Ich war mit dem Oktoberklub auch in einem ehemaligen Lager nahe bei Hamburg, wo die Schrecknisse scheinbar nicht stattgefunden haben. Es muß eine Naturkatastrophe gewesen sein. Der Rasen der Versöhnung deckt alles mit vielfältigem Grün und schöner Buntheit. Für Waffen gibt's heut keinen Sieg.

Dieser wunderbare Frühling schmeckt so bitter, weil wir die furchteinflößenden Versuche erkennen, den nächsten Schritt der einseitigen Weltbeherrschung zu gehen, was immer es kostet.

Es ist kein Alptraum, es ist die nüchterne Wahrheit.

Sie sind wieder und immer noch unterwegs, mit Strategie und Taktik, im verdeckten oder offenen Kampf um alles, was unter der Erde noch darauf wartet, geschöpft, hochgeholt, als Reichtum beschlagnahmt zu werden. Es geht um Zugänge, Transportwege, um Sicherung von oben und unten, um die Fortsetzung aller Kriege der Welt, von denen kein einziger jemals Frieden gesät hat. In einem Lied singt Dirk Michaelis: "Am Ende der Schlacht sanken sie todmüde nieder. Zum Hassen zu schwach waren Besiegte und Sieger ..."

So stand Lanzelot, auf sein Schwert gestützt, nach dem Sieg über den Drachen vor uns - ergraut und unendlich müde. "Sieg" hieß da nur, daß die nötige Arbeit getan war. Es gab keinen Grund, zu feiern. Womit haben wir es in diesem Frühling zu tun? Mit einem Potential aus mißbrauchten politischen und strategischen "richtigen Zeitpunkten".

Das Bitterste ist, für einen langen Augenblick wie gelähmt zu sein, und dem Gedanken zu erliegen, daß wir nichts tun können dagegen, wie geübt sich Deutschland an jedem Brennpunkt zu eigenem fragwürdigem Nutzen einmischt. Sehend, wie die Politiker schamlos mit denen paktieren, die das Volk, den dummen Lümmel, mit falschen Erwartungen füttern und es glauben machen, es trete tapfer an für ein besseres eigenes Leben.

In der Ukraine bin ich bisher nie gewesen. Der Tod von Polizisten entsetzt mich ebenso wie harter Zugriff. Man greift ja nicht die wahren Schuldigen.

Es gab olympische Spiele in Sotschi. Ich habe am Bildschirm gesehen, daß viele Menschen gelacht, geweint, triumphiert und gefeiert haben. Anderen ist es widerfahren, zu versagen, trotz bester Vorbereitung. Es war, wie es bei solchen Höhepunkten im Leben der Sportler immer ist, ein Fest unter Konkurrenten, auch unter bewährten und neuen Freunden. Aber ich habe noch nie eine so niederträchtige Kommentierung der Reporter gehört, wie die in deutscher Sprache. Dieses Lauern auf eine Panne, vielleicht ein Unglück, auf irgend etwas, das die düsteren Prophezeiungen rechtfertigt.

Was für ein Niveau! Was für ein Winter der Redekultur!

Ich sehne mich nach einem Frühling für meine politischen Einsichten und Hoffnungen. Ich klammere mich daran, daß wir nicht allein sind. Für einen historischen Augenblick hatte ich wieder diese düstere Ahnung, die Menschheit werde trotz aller gestiegenen Gefährlichkeit kriegerischer Unternehmungen wieder nichts tun, gar nichts, sie werde glotzen, und hinterher, Stammtisch oder Regierungspartei, alles besser wissen und erklären. Die besten Schauspieler könnten uns erneut das verdammte Gefühl geben, wir hätten vorher halt etwas falsch verstanden. So, wie sie es uns bei dem Kundus-Befehlshaber Klein vermitteln wollten.

Zum ersten Festival des politischen Liedes, in den siebziger Jahren, wollte Jürgen Walter ein Lied singen, das Jewtuschenko geschrieben hat, und das uns sehr ans Herz ging.

Ich hätte es anmaßend gefunden und wollte nicht, daß der Sänger in die Uniform eines Rotarmisten schlüpft. So habe ich für ihn den Text aus seiner Sicht geschrieben. Die unersetzbare Titelzeile habe ich übernommen. In dem Lied heißt es unter anderem:

Meinst du, die Russen wollen Krieg?
Ich frage dich, für welchen Sieg?
Den russischen Soldaten frag
er liegt dort, wo er sterbend lag.
Die Russen brauchen keinen Sieg!
Meinst du, die Russen wollen Krieg?
­...

sie haben einen Krieg gehabt
viel tiefer, als ihr jemals grabt ...

Ich war in Leningrad. Damals hieß die Stadt noch so. Ich bin mit einem ehemaligen freiwilligen Lastwagenfahrer zum Ladogasee gefahren und habe ihm dort zugehört.

Und wünsche mir einen überwältigenden Frühling. In den Köpfen, deinem, meinem, im Hirn von jedermann.

Wenn wir uns nicht wehren, wird sich nichts ändern. Ich werde meinen Geburtstag allen Enttäuschungen meiner Kindheit zum Trotz mit ein paar Gleichgesinnten begehen - und wir werden uns begeistern bei dem Gedanken, wieviel Zorn und wieviel Mut noch in uns steckt. Es ist ja schon tapfer, eine Meinung zu haben. Sie auch noch zu äußern, kommt in die Nähe einer Tat.

Was für ein schöner Frühling. Ich lebe, liebe noch, und gehe wieder an die Arbeit.

*

Leserbriefe an RotFuchs

Von meiner Tochter Irina habe ich eine E-Mail erhalten, die ich den "RotFuchs"-Lesern nicht vorenthalten möchte:
"Ich habe die Rede von Putin zur Aufnahme der Krim und Sewastopols ins Deutsche übersetzt.
Am liebsten würde ich sie ja allen EU- und USA-Politikern zukommen lassen, aber die begreifen es ja sowieso nicht. Ach, wie gerne würde ich jetzt mit den Menschen in Moskau und auf der Krim feiern. Meine russische Seele steckt noch ganz schön tief in mir drin. ...
Putins Rede ist ziemlich lang, aber wirklich sehr lesenswert. Ich habe noch nie einen Staatsmann so klar sprechen hören."

Edith Poprawa, Mohorn


Kalter Krieg - oder darf es etwas mehr sein? Die Medien überschlagen sich in Drohungen gegen Putin. Ob das der "Friedensnobelpreisträger" aus Übersee, der bundesdeutsche Außenminister oder Frau Merkel ist - sie alle unterstützen den faschistischen Putsch in der Ukraine.
Würden sie nur die Hälfte der Energie aufbringen, um den Millionen Arbeitslosen, Obdachlosen und anderen Armen im eigenen Land zu helfen!
Putin wird deshalb sicher nicht den Kopf verlieren. Was in seinem Land und mit dessen Menschen geschieht, dürfte seinen Überlegungen weit näher sein als das Gekeife anderer.

Elisabeth Monsig, Gartz


Die Imperialisten hassen Putin, weil er ihnen sein Land nicht zum Fraß vorgeworfen hat, aber auch, weil er dabei ist, ihm nach den durch Gorbatschow und den Alkoholiker Jelzin verschuldeten leidvollen, bitteren und demütigenden Jahren des Niedergangs wieder zu Selbstbewußtsein, Patriotismus, Stärke und Stolz zu verhelfen. Aus ist der Traum, Rußlands Schätze zum Nulltarif einsacken zu können.
Die Vorstellung, als einzig verbliebene Weltmacht könnten die USA allen anderen ihren Willen aufzwingen, hat ihr Fundament verloren. Wichtig ist für den Frieden auf der Erde, daß Rußland heute - im Einklang mit anderen aufstrebenden Mächten - den Weltmachtgelüsten Washingtons und seiner Vasallen immer wirkungsvoller entgegentreten kann. Das ist Putins Verdienst.

Hans-Peter Hoffmann, Velten


Die Zeit war reif für den RF-Leitartikel "Über 'die Russen' und über uns" im März-RF - gerade auch angesichts der jüngsten Vorgänge in der Ukraine. Ich möchte mich nur zu dem Satz äußern: "Es ist schockierend zu erleben, wie Medien und Politiker der BRD nahtlos vom Antisowjetismus zum Russenhaß übergegangen sind." Die latente Russophobie in den osteuropäischen oder an Rußland grenzenden Staaten ist weitaus älter als die Sowjetunion. Sie war auch in manchen Sowjetrepubliken nie ganz verschwunden. Zweifellos war Rußland in ökonomischer und kultureller Hinsicht gegenüber entwickelten kapitalistischen Staaten zurückgeblieben. Doch die so geprägten Menschen vollbrachten die Große Sozialistische Oktoberrevolution. Von der ersten Stunde der Existenz der UdSSR an wurde der latente Russenhaß in antisowjetische Hetze umfunktioniert. Aus dieser erwuchs nach dem Ende der Sowjetunion die potenzierte Russophobie als eine Symbiose aus traditioneller Diffamierung der einstigen Supermacht und Wut auf Rußlands wieder wachsende Ausstrahlungskraft.

Helmut Müller, Berlin


Der schockierende Russenhaß zeigte sich nicht zuletzt in der monatelangen Hetzkampagne gegen "Putins Spiele". Doch der Versuch, den olympischen Wettkampf von Sotschi im voraus in Verruf zu bringen, stieß ins Leere. Die Sportler trafen hervorragende Bedingungen an. Wer entschuldigt sich jetzt bei Rußland?

Dr. Manfred Bewersdorf, Neubrandenburg


Ist eigentlich einmal hinterfragt worden, wer den monatelangen Aufstand auf dem verunstalteten Maidan finanziert hat? Klitschko, dessen Familie in Hamburg lebt, und die anderen sind doch nur Strohmänner. Wer sind die eigentlichen Drahtzieher, die dazu imstande waren, unzählige plötzlich aufgetauchte Fahnen, Tausende Autoreifen für den Barrikadenbau, Technik aller Art und Verpflegung für zigtausend Maidan-Besetzer zu bezahlen?

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


Chruschtschow hat 1954 die russische Halbinsel Krim der Ukrainischen Sowjetrepublik, ohne das Volk zu fragen, einfach geschenkt. Demokratie heißt aber Volksherrschaft. Wenn der Westen wirklich in jedem Land der Erde, wie behauptet wird, Demokratie will, dann muß er das Ergebnis des Krim-Referendums bedingungslos anerkennen. Warum? Die Völker unter Einschluß nationaler Minderheiten wollen nicht länger fremdbestimmt sein, sondern über die Hauptfragen ihres Lebens selbst entscheiden. Das völkerrechtlich anerkannte Instrument zur Lösung solcher Fragen aber ist das Referendum.

Dr. Ernst-Ludwig Hischer, Rostock


US-Außenminister John Kerry bezeichnete vor dem Referendum die Sicherheitsmaßnahmen an den russischen Militärstützpunkten auf der Krim als "freche Aggression". "Man darf nicht unter einem erfundenen Vorwand in ein anderes Land eindringen, um seine eigenen Interessen wahrzunehmen", sagte Kerry in einem NBC-Interview. Damit bezog er sich allerdings nicht auf Washingtons Vorwände und Methoden bei seinen Militäreinsätzen im Ausland.
Regelmäßig liefert Kerry sonderbare Bewertungen zu der sich rasch verändernden Situation in der Welt. Bret Stephens vom "Wall Street Journal" hatte bereits 2011, also noch vor dessen Ernennung zum US-Chefdiplomaten, festgestellt: "Einen Tag nach der ersten Massenkundgebung gegen das Assad-Regime sagte John Kerry, Assad sei ein 'Mann des Wortes', der sich ihm gegenüber 'sehr edelmütig' verhalten habe." Als Kerry damals nach Washington zurückkehrte, bezeichnete er Assad noch als "lieben Freund". Erst später erhielt er einen anderen Text und verglich den "lieben Freund" dann am 2. September 2013 mit Hitler und Saddam Hussein.

Siegfried R. Krebs, Weimar


Der Hauptgrund, der die imperialistischen Kräfte des Westens veranlaßt, wilde Drohungen gegen den russischen Bären auszustoßen, dürfte folgender sein: Die Halbinsel Krim ist ein strategischer Schwerpunkt im Kampf um die Weltherrschaft. Da die Ukraine sie jetzt verloren hat, ist sie auch der NATO "abhanden" gekommen. Deren Dolch hat hier an Schärfe eingebüßt. So lädt man die ideologische Artillerie mit den üblichen westlichen Phrasen über Freiheit und Menschenrechte. Mit Hilfe der Medien wird Salve auf Salve in die Massen gefeuert. Jetzt zieht die Kampftruppe des Kapitals gegen die Entscheidung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung der Krim zu Felde, sich von der faschistisch dominierten Kiewer Regierung zu trennen. Doch als die Albaner im Kosovo ein gleiches Vorhaben gegenüber Serbien umsetzten, wurden sie von der NATO mit allen militärischen Mitteln, einschließlich Bomben und Granaten, unterstützt. Kosovo, das jahrhundertelang zu Serbien gehörte, wurde Knall auf Fall abgetrennt. Jetzt aber sollte eine Halbinsel gewaltsam an die Ukraine gekettet bleiben, die erst seit 60 Jahren durch eine "großzügige Schenkung" des Erfinders der "Wurst am Stengel" zu ihr gehörte.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg


"Wir warnen Rußland vor einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine", tönt es in den Medien. Denn, so müßte man fortfahren, "wo wir uns einmischen, hat Rußland nichts zu suchen".
Politiker und eine Vielzahl von "Beratern" aus der EU und den USA waren Tag und Nacht, öffentlich oder verdeckt, auf dem Maidan präsent. Neben dem gemeinsamen Ziel, die Ukraine aus der russischen Einflußsphäre herauszubrechen, verfolgten sie durchaus eigene Ambitionen. Während es der EU um die Ausweitung ihres Einflusses und die Rohstoffe des Donezbeckens geht, liegt der Schwerpunkt der USA-Interessen im geopolitisch-militärischen Bereich, um eine deutliche Schwächung Rußlands zu erreichen. Ein hoher Beamter des US-Außenministeriums berichtete am 23. Februar ganz ungeniert, US-Vizepräsident Biden habe Janukowitsch vor praktisch jeder Entscheidung in der letzten Phase seiner Amtszeit angerufen und ihn "ermutigt", zurückzustecken oder ihm "abgeraten", energischer durchzugreifen.
Für mich ist es erstaunlich, daß sich die neue Kiewer "Regierung" und deren Hintermänner von Moskaus Reaktion "überrascht" zeigten. Hatten sie wirklich geglaubt, Rußland werde nichts unternehmen, wenn so massiv gegen seine Interessen vorgegangen wird?

Horst Neumann, Bad Kleinen


Das Erbärmlichste bei den Kiewer Vorgängen war aus meiner Sicht, daß sich Merkels Außenminister Steinmeier beim Empfang in der dortigen BRD-Botschaft stolz an der Seite des Führers der ukrainischen Swoboda-Faschisten zeigte. Das ist allerdings keine Überraschung, da der NPD und ähnlichen Kräften auf deutschem Boden nicht Paroli geboten wird.
Die Tatsache, daß sich so viele Bürger ehemaliger Sowjetrepubliken vor den Karren fremdbestimmter Interessen spannen lassen, empfinde ich als schockierend. Sind die Greuel der deutschen Faschisten denn ganz vergessen?
Um so höher ist die gegenwärtige Rolle des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin und seines Außenministers Lawrow zu bewerten.

Hans-Georg Vogl, Zwickau


In unserer Zeitung "Freies Wort" läuft seit langem eine Kampagne mit dem Tenor: die guten Amerikaner und die bösen Russen. Dazu erscheinen seitenlange Artikel über einen angeblich geplanten Atomkrieg in der Region Fulda/Rhön, der - natürlich - von den Amis verhindert worden sei. Mehrere Folgen behandeln "Großtaten" von US-Offizieren bei der Rettung von Kultur- und Goldschätzen im Kalibergwerk Merkers (Kreis Bad Salzungen) vor dem Zugriff der "Russen". Auf Point Alpha in der Rhön, der Giftküche des Kalten Krieges, wird in großem Stil Geschichtsfälschung betrieben. Täglich erscheint ein Kalenderblatt zur Vorbereitung auf den 25. Jahrestag des Beginns der Konterrevolution. Man darf das alles nicht so stehenlassen, sondern muß die Dinge ins rechte Licht rücken.
P. S.: Leider hat sich in meinen Leserbrief (RF 194) ein Fehler eingeschlichen. Der bereits am 27.3.1968 tödlich verunglückte Juri Gagarin besuchte die DDR natürlich nicht 1983, sondern 1963.

Oberst a. D. Hans Linke, Suhl

Bemerkung der Redaktion:
Der Fehler hat sich nicht "eingeschlichen", sondern beruhte auf einer Nachlässigkeit der Redaktion.


Bei einem Besuch der Peter-Sodann-Bibliothek in Staucha habe ich den Klassiker "Wie der Stahl gehärtet wurde" erworben. Die Vorgänge um den Helden Pawel Kortschagin sind in der Ukraine zur Zeit des Bürgerkrieges und der Intervention nach 1917 angesiedelt. Mir wurde klar, daß es sich dabei um den Beginn jenes konterrevolutionären Prozesses handelte, der heute - von außen organisiert - in Kiew zunächst einmal die Oberhand gewonnen hat. Eine Bitte: Nehmt Euch die Zeit, um die Peter-Sodann-Bibliothek zu besuchen. Der Mann leistet eine Titanen-Arbeit, um die Literatur des sozialistischen Realismus nicht der Bewertung durch die bürgerlichen Historiker zu überlassen.

Peter Pöschmann, Döbeln


Zum Leitartikela "Über 'die Russen' und über uns" möchte ich anmerken: Die DDR war für mich die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung. Und dennoch lohnt es sich, auch über die andere Option nachzudenken: ein neutrales, nichtpaktgebundenes, wenn auch kapitalistisches Deutschland hätte vielleicht einen Schutz gegen die Rollback-Politik der aggressivsten Westmächte bieten können.
Denkbarerweise hätte es eine "Österreich-Lösung" der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten ermöglicht, in großem Umfang Ressourcen aus der Rüstung in schnelleren ökonomischen Fortschritt oder bessere Versorgung der Bevölkerung umzuleiten. Ob das realisierbar gewesen wäre und wie lange es Bestand gehabt hätte, kann ich nicht beurteilen. Einen Hinweis dazu aber liefert die Politik des Feindes. Von Adenauer stammt aus dieser Zeit der Satz: "Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb."
Jedenfalls sehe ich keinen Grund, Stalin die Verfolgung einseitiger Großmachtpolitik zu unterstellen, weil er "das ganze Deutschland halb" vorgezogen hat.

Fritz Dittmar, Hamburg


Nicht wenigen, die unser "RotFuchs" vereint, wird es ähnlich gehen wie mir. Seit geraumer Zeit kommt ein Gefühl von Wut und Lähmung in mir auf, wenn ich am Morgen eine der Tageszeitungen aufschlage, die sich unaufhörlich der freien Meinungsäußerung und des unabhängigen Journalismus rühmen. Kein Tag vergeht, ohne daß uns die unterschiedlichsten Kommentare, Berichte oder Meldungen aufwühlen und nicht mehr loslassen. Die militanten Töne und Forderungen werden immer lauter. Selten gab es in der Geschichte heraufziehender Kriegsgefahr weniger Regungen gegen drohendes Unheil.

Roland Winkler, Aue


Mein Dank dem RF für den ehrenden Nachruf zum Tode Hans Schroeders. Der "Vater" des Herrn Fuchs war nicht nur ein begnadeter, feinfühliger Kunst- und Puppen-Versteher, sondern auch ein guter, den Geist der Zeit erfassender Dokumentar-Regisseur. Er war Mitentwickler neuer, vorwiegend agrarpolitischer Lehrsendungen im DDR-Fernsehen, so bei der langjährigen Kooperationsakademie der LPG. Zu ihr gehörten viele Sendungen, die den Fachleuten der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften eine Tribüne verschafften.
In Reportagen aus Vietnam und Kuba dokumentierten wir Zusammenarbeit, Solidarität und Internationalismus, berichteten wir über Probleme und Mühen beim Ringen um die ländliche Entwicklung und damit die Abwehr vielfacher imperialistischer Pressionen. Unsere TV-Filme, in engem Zusammenwirken mit diesen Ländern realisiert, liefen nicht nur auf der Leipziger Dok-Woche. Sie wurden, vielfach übersetzt, von unseren Partnern im Pazifischen Raum wie in der Karibik in deren TV-Programmen ausgestrahlt.
Auch dafür steht Hans Schroeder. Er war mir, dem Verantwortlichen für die Landwirtschaftssendungen des DDR-Fernsehens, persönlich stets ein aufrechter Weggefährte, parteilos, Internationalist, kein Wendehals. Im Zenit seines Wirkens und der Auseinandersetzung mit den neuen Gegebenheiten schlug er schließlich auch seinen Weg zum "RotFuchs" ein.

Manfred Schröder, Berlin


Mein Beitrag im RF 191 hat eine lebhafte Debatte hervorgerufen. Sie erfreute mich, zumal sie - auch kritisch-kameradschaftlich - dem "RotFuchs" gut zu Gesicht steht. Mir ging es nicht darum, den Eindruck zu vermitteln, daß die "DDR" damals noch zu retten gewesen sei, sondern um die ausgeschlagene Möglichkeit, die marxistische Partei für einen Neuanfang in der Folgezeit zu wappnen. Deshalb wiederhole ich Horst Schneider: "Als die Partei am nötigsten war, wurde sie zersetzt." Den zutreffenden "Mängelkatalog" von Jürgen Stenker (RF 193) könnte ich aus eigenen bitteren Erfahrungen noch erheblich erweitern. Er hat recht, daß bereits vor dem Parteitag die Messen gesungen waren - und zwar historisch schon lange davor durch den Verlust der Leninschen Qualität unserer Parteitheorie. Dies ist eine Frage, die zur Analyse der Ursachen der Niederlage gehört.
Hermann Jacobs hat mit seinem Beitrag "Die Würfel fielen in Moskau" (RF 192) den Weg angedeutet.
Viele "Genossen" - auch führende - versenkten eine zuvor geheuchelte kommunistische Gesinnung im Orkus. Ohne theoretische Erkenntnis des Putsch-Parteitages, die sich bei mir erst später einstellte, habe ich in der Folgezeit einen jahrelangen Kampf gegen die Aufgabe des Marxismus in der PDS geführt. Hiervon zeugen nicht nur meine vielen Einzelpublikationen, sondern auch mein Buch "Eine Partei gibt sich auf" (edition ost, 2004).
Ich stimme dem von mir geschätzten Peter Franz zu: "Der eigentliche Putsch war eine schleichende Erosion" (RF 193). Sie begann natürlich schon vor dem Sonderparteitag. Der verfolgte eine strategische Orientierung, die allerdings nicht von heute auf morgen umgesetzt werden konnte. Inzwischen agiert die Partei Die Linke als sozialdemokratische Partei der besonderen Art.

Prof. Dr. Ingo Wagner, Leipzig


Zum ersten Mal war ich im Deutschen Theater und erlebte dort die Gesprächsreihe "Gysi trifft Zeitgenossen". Gast war der Vorstandsvorsitzende des Springerverlages Mathias Döpfner. Was Gysi sich dabei dachte, diesen führenden Repräsentanten eines der reaktionärsten Verlage Europas zu sich zu holen - für mich bleibt nur Schaudern zurück. Wochenlang hoffte ich, daß irgendwo eine kritische Nachfrage zu einer solchen Entgleisung erfolgen würde - vergebens. Um so erfreulicher war es für mich zu lesen, daß "RotFuchs"-Chefredakteur Klaus Steiniger mit klaren und fundierten Argumenten diese Veranstaltung als reines Schmierentheater entlarvte.
45 Jahre lebte ich in Südhessen. In dieser Zeit nahm ich an vielen Aktionen der Friedensbewegung teil. Dabei erfuhr ich, wie Springers "Bild" in der widerlichsten Art pauschal und undifferenziert seinen ganzen Dreck auf uns ausschüttete.
Vor den Toren Mutlangens, hinter dessen Zäunen sich ein gewaltiges Waffenpotential befand, welches die Erdbevölkerung vielfach zu vernichten imstande gewesen wäre, dokumentierten Friedensbewegte mit einer Sitzblockade ihr Verlangen nach Abrüstung. Neben mir saß Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll, der danach ins Fadenkreuz der Springer-Presse geriet. Er wurde attackiert und diffamiert. Man rückte ihn sogar in die Nähe von Terroristen und forderte ihn auf, das Land zu verlassen. Er erzählte mir, daß sein Briefkasten Tag für Tag mit Schmähpost gefüllt sei.
Herrn Gysi sei dringend empfohlen, sich zu überlegen, mit welchen Gästen er sich in Zukunft abgeben möchte. Für mich ist es jedenfalls völlig unverständlich, wie sich ein linker Spitzenpolitiker mit einem Mann wie Döpfner in der Öffentlichkeit zeigen kann.

Günter Born, Berlin


Der Leserbrief von Horst Joachimi im RF 194 enthält die Aussage: "Wichtige Erfahrungen der Leninschen Neuen Ökonomischen Politik (NÖP)" hätten auf der 3. Tagung des ZK im November 2013 "bei der Neuorientierung der KP Chinas Pate gestanden ... Es handelt sich offenbar darum, daß das wichtigste Prinzip der Diktatur des Proletariats durch weitreichende Dezentralisierung der Industrie umgesetzt wird. Dazu schlug Lenin bereits 1921 vor, das Privatkapital auf die Bahnen des Staatskapitalismus zu lenken."
So etwas kommt dabei heraus, wenn sich ein Nicht-Ökonom über "Ökonomische Politik" ausläßt. Erstens ist es vollkommen undialektisch, wirtschaftliche Zustände eines zurückgebliebenen Agrarlandes des Jahres 1921 mit nur dünnen Fäden zum "Weltmarkt" mit denen eines Industrie-Agrar-Staates, der mit dicken Strängen bereits erheblich den Weltmarkt beeinflußt, 92 Jahre später in einen Topf zu werfen. Zweitens war "Staatskapitalismus" nicht das von Lenin gewählte Wort für die bevorstehende Phase. Drittens nagelt der in Schlagworte verliebte Horst Joachimi "Diktatur des Proletariats" - die Bezeichnung einer Staatsform - und "Dezentralisierung der Industrie" - die Bezeichnung einer wirtschaftlichen Strategie - derart zusammen, daß weder das eine noch das andere erklärt wird.
Wenn man sich die historische Situation im "westlichen" Rußland des angebrochenen 20. Jahrhunderts vergegenwärtigt und diese mit der historischen Situation des "östlichen" China im beginnenden 21. Jahrhundert in irgendeinen Zusammenhang bringen will, dann wird "Pate Lenin" darin eine sehr viel geringere Rolle spielen als der globale Marktkonkurrent "Uncle Sam".

Dr. Hermann Wollner, Berlin


Den RF lese ich Monat für Monat vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Er vermittelt mir viele interessante Einschätzungen aus Vergangenheit und Gegenwart mit Blick auf die Zukunft. Mittlerweile 77, nahm ich im Oktober 1949 als Zwölfjähriger mit meinem Klassenlehrer an der Demonstration aus Anlaß der Gründung der DDR teil, die Unter den Linden stattfand. Mit Freude haben wir damals Wilhelm Pieck und die junge Republik begrüßt. Seitdem stand ich immer fest zur DDR: KVP und NVA, Raketschik und Politstellvertreter waren meine Stationen.
Ich würde mir wünschen, daß besonders für die Jugend mehr verständlich geschriebene Beiträge über den Marxismus-Leninismus erscheinen. Gut fand ich Prof. Ingo Wagners Artikel zu Lenins "Was tun?"

Richard Schöffl, Torgelow


"Denk ich an Deutschland in der Nacht ..." heißt es in Heines "Wintermärchen". Dieser Satz läßt mich nicht los, seitdem auf der Münchner Sicherheitskonferenz hochrangige Militärs, Rüstungsindustrielle und BRD-Spitzenpolitiker ihre Ziele bekanntgegeben haben. Besonders hervorgetan hat sich Bundespräsident Gauck, der in seiner Eröffnungsrede meinte, auch Deutschland müsse das Ordnungsgefüge aufrechterhalten. Welches? Natürlich das kapitalistische! Deutschland sei eine stabile Demokratie, wohlhabend und weltoffen, überdies dazu in der Lage, globale Verantwortung zu übernehmen.
Eine Demokratie? Sieht eine Demokratie so aus, daß zwei Drittel der Staatsbürger bei Meinungsumfragen Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnen, dennoch aber Milliarden an Steuergeldern bei solchen sinnlosen Operationen verpulvert werden? Bei jedem Kauf von Dingen des täglichen Bedarfs bin ich gezwungen, 19 % Mehrwertsteuer an den Staat abzuführen. Damit bezahle ich unfreiwillig auch die Waffenproduktion und militärische Auslandseinsätze.
Ich wäre erfreut, wenn sich Pfarrer Gauck eingedenk des christlichen Gebots "Du sollst nicht töten" an die Losung "Schwerter zu Pflugscharen!" erinnern würde.

Josef Grohmann, Boxberg


Vom Jahrgang 1956, stieß ich im Sommer 2013 durch Zufall im Internet auf den "RotFuchs" und hatte sofort das Gefühl, dies seien alles Leute, welche die gleiche politische Einstellung haben wie ich. Seitdem bekomme ich Ihre Zeitschrift im Abo. Ich lese sie von vorn bis hinten. Zugleich möchte ich Sie wissen lassen, daß die Lektüre für mich Probleme mit sich bringt. Es geht mir um den Begriff "Konterrevolution". Theoretisch ist mir das alles klar, aber im Rückblick auf meine eigene politische Haltung seit dem Machtantritt von Gorbatschow habe ich Schwierigkeiten, die offensichtlich damit zusammenhängen, daß ich diesen Lebensabschnitt für mich noch nicht endgültig aufgearbeitet habe. Ich gehörte damals zu den überzeugten "Gorbatschowisten" in der SED. Ihn jetzt als Konterrevolutionär zu sehen - da bekomme ich noch nicht so richtig die Kurve. Die Lektüre des ND verursacht bei mir einen Würgereiz. Mir tun die Bäume leid, die dafür sterben müssen. Bleibt wirklich nur der "RotFuchs" als Sprachrohr für Kommunisten und marxistische Sozialisten. Es ist von elementarer Bedeutung, daß es ein solches Blatt gibt.

Hans-Dieter Rosenbaum, Golßen


Mit Interesse habe ich den Niedersachsen betreffenden Beitrag von Jobst-Heinrich Müller über den "Kopf der braunen Schlange" gelesen. Herr Dr. Althusmann hat demnach gesagt, die CDU sei aus dem "christlich motivierten Widerstand" gegen die Nazis entstanden.
Meine Erfahrungen als Kind bei Verwandtschaftsbesuchen im Braunschweiger Land erinnern mich an ganz anderes. In den 70er Jahren betraten nicht wenige mit erhobenem rechten Arm den Raum. Auf meine naive Frage nach der Bedeutung der oft erwähnten Zahl 88 - sie steht für ein doppeltes H -, sagte unsere Tante nur: "Dat war früher, dat war besser." Bekannte hatten häufig den Namensvorsatz "PG", was bei den Faschisten die Abkürzung für Parteigenosse war. Eine eindeutige Aussage machte der Onkel in betrunkenem Zustand. Er ließ sich als "Kreisvorsitzender der NSDAP, 'schuldigung, das heißt ja jetzt CDU", schimpfend über uns städtische "Kommunistensäue" aus.
Niedersachsen und die CDU waren tiefbraun. Seit 1964, als mit dem Ende der Kontrollratsgesetzgebung wieder die "guten und eindeutigen Gesetze des Deutschen Reiches" - des dritten - galten, war man endlich wieder jemand.

Stefan Scholz, Schönberg


Die Artikel im RF machen mir immer wieder Mut, für den Marxismus und gegen die Verfälschung der DDR-Geschichte zu kämpfen. Sehr gerne lese ich die meisten Zuschriften. Im März-Heft fand ich von meinem einstigen Lehrer an der Berliner Humboldt-Universität, Genossen Dr. Graichen, eine Äußerung zu Fälschungen in der Nazizeit, die ich ergänzen möchte. 1954 lernte ich in Adlershof einen damals etwa 60jährigen Mann kennen. Er berichtete mir, daß 1935 in Berlin ein Wehrmachtsmanöver stattgefunden habe, zu dem eine sowjetische Militärdelegation unter Leitung von General Tuchatschewski erschienen war. 1936 habe ihm SS-General Heidrich befohlen, einen angeblich von diesem verfaßten Brief zu schreiben. Dafür seien ihm Originale der Handschrift des sowjetischen Militärs vorgelegt worden. In ihr sollte er einen Text zu Papier bringen, den Heidrich gleich mitbrachte. Er tat das. Der gefälschte Brief war sehr freundschaftlich gehalten, mit Dankesworten, Anerkennung für die Einladung zum Manöver und dem Wunsch nach weiterer Zusammenarbeit. Dieses Schreiben sei dann dem britischen Botschafter in der Schweiz zugespielt worden, der es seinem Berner sowjetischen "Amtsbruder" habe zukommen lassen. Es wurde Stalin übergeben und war Ausgangspunkt für die Verurteilung zahlreicher sowjetischer Heerführer einschließlich Tuchatschewskis, die zu Agenten der Hitlerwehrmacht erklärt wurden. Damit hatten die Faschisten erreicht, daß die Führung der Roten Armee sehr stark geschwächt wurde. Das war für die anfänglichen Erfolge der Wehrmacht beim Überfall auf die UdSSR von großer Bedeutung.

Werner Gericke, Berlin


Am 1. Februar trafen sich in der Gemeinde Beesenstedt (Sachsen-Anhalt) zwölf ehemalige Studenten der FDJ-Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" um einen Verein zu gründen. Am Bogensee gelegen, war sie von 1946 bis 1990 die höchste Bildungseinrichtung der Freien Deutschen Jugend. Seit März 2007 kommen jedes Jahr einstige Studenten, Lehrer, Mitarbeiter und deren Angehörige an der Schule unweit von Wandlitz zusammen. Ein Freundeskreis übernahm die Vorbereitung, ist aber inzwischen mehr als ein Org.-Büro. Es gilt, unsere Geschichte zu bewahren, sich mit der inhaltlichen Arbeit der Einrichtung auseinanderzusetzen und noch vorhandene Dokumente zu archivieren. Gedacht ist auch an die eventuelle Einrichtung einer kleinen Gedenkstätte. - Weitere Informationen vermittelt unsere Internetseite www.jugendhochschule.org

Uwe Künzel, Thale (Harz)


Die RF-Lesergruppe Altenberg beschäftigte sich in einer Nachbetrachtung mit den Olympischen Winterspielen von Sotschi. Unsere Region ist dafür bekannt, eine der erfolgreichsten in der Geschichte des deutschen Biathlon-Sports gewesen zu sein. Das Osterzgebirge stellte allein drei Olympiasieger, während vier Sportler Silbermedaillen, sechs Bronzemedaillen errangen. Hinzu kamen 20 Weltmeistertitel sowie 13 Silber- und 17 Bronzemedaillen. Vier unserer Sportler wurden Sieger beim Welt-Cup. Im Juniorenbereich konnten wir 37 Weltmeister vorweisen.
Leider ist all das Geschichte. Viele gute Sportler und Trainer verließen nach dem Ende der DDR unsere Region, da sie keine entsprechenden Möglichkeiten sahen, ihren Sport auf Grund der schlechten Infrastruktur weiter auszuüben.
Der Nachwuchs wird derzeit mit den geringsten Mitteln gefördert und ist de facto lahmgelegt. Man sollte die guten Erfahrungen der DDR nicht ignorieren.

Peter Roetsch, Altenberg


Der Sozialismus-Kommunismus ist eine feine Sache, finde ich, nur mit dem Großteil der Menschen leider nicht zu machen. Vieles aus DDR-Zeiten weiß ich erst heute zu schätzen, weil man ja als Hineingeborener nichts Schlechteres kannte.

Rolf Heine, Dresden


Der interessante und logisch aufgebaute Beitrag von Peter Elz ("Gründe für Stolz und Schmerz", RF 193, Extra I) veranlaßt mich zu diesen Zeilen. Heute 69, wurde ich in einer Zeit geboren, in der ich von den Wiederaufbaujahren bis zur Gründung der DDR nicht viel mitbekommen habe. Doch ich bin immer noch beeindruckt, unter welchen Bedingungen die Kriegsfolgen von Trümmerfrauen und übriggebliebenen Männern in einer sehr schweren Zeit behoben wurden. In der DDR habe ich eine ordentliche Schul- und Berufsausbildung genießen und eine Familie gründen können. Sicher war unser Sozialismus noch nicht ausgereift, und manches hätte getan werden können, was durch eine sture Haltung Verantwortlicher blockiert wurde. Peter Elz verwies in seinem Beitrag darauf, daß in Diskussionen immer wieder Reisefreiheit, Versorgungslücken oder Bespitzelung erwähnt wurden. Lockerungen hätten der DDR keineswegs wehgetan.
Am wichtigsten aber war es, den Frieden in der Welt zu erhalten und dafür zu sorgen, daß von Deutschland kein neuer Krieg ausgehen konnte. Alles in allem lebten wir in einem System der sozialen Sicher- und Geborgenheit. Es ist nur schade, wie viele einstige DDR-Bürger, die selbst Nutznießer der heute so schlechtgemachten Gesellschaftsordnung waren, all das aus ihrem Gedächtnis gestrichen haben.

Siegfried Tietz, Altenberg


Unlängst präsentierte ein Sender seine "Umwelt-Berichterstattung" über die DDR. Dort wurde ein ehemaliger Facharbeiter aus dem Chemiekombinat Bitterfeld interviewt. Der Mann behauptete, zu seiner Zeit seien pro Woche zig Tonnen reinen Chlorgases in die Luft abgelassen worden, wobei der Fallout bei regnerischem Wetter sogar noch in weit entfernten Städten große Löcher in die Nylonstrümpfe junger Frauen geätzt habe.
Ich selbst habe jedenfalls die DDR nur so kennengelernt, daß man bemüht war, die Einheit von Theorie und Praxis zu wahren, mit gegebenen Ressourcen sparsam umzugehen und diese so produktiv wie möglich einzusetzen. Da Chlor einen wesentlichen Grundstock zur Herstellung von PVC darstellt, kann ich mir auch angesichts gewisser Unzulänglichkeiten oder Restriktionen mit Blick auf die chemische Industrie der DDR eine derartige Vergeudung bei gleichzeitiger massiver Verätzung der umliegenden Natur beim besten Willen nicht vorstellen.

Rolf Siegfried Plötner, Mendig


Im Beitrag Edda Winkels "Elbflorenz heute" bezeichnet die Verfasserin das Dresdner Reiterstandbild August des Starken in abwertender Weise als goldprotzig und aufgemotzt. Wie dem Reisebuch DDR aus dem VEB Tourist-Verlag Leipzig 1987 zu entnehmen ist, stand die Figur bereits damals dort. Sie war 1956 im Rahmen der 750-Jahr-Feier Dresdens wieder aufgestellt und frisch vergoldet worden.
Ich finde es höchst anerkennenswert, daß sich Dresdener damals der Verantwortung gestellt haben, ihr kulturelles Erbe zu bewahren - und dies in einer Zeit, als die Kriegsfolgen noch überall unübersehbar waren.

Eduard Breuer, Dudenhofen


Durch Zufall habe ich beim Stöbern auf dem Dachboden das Buch "Schatten über Notre-Dame" von Herbert Schauer und Otto Bonhoff entdeckt, das 1969 im Deutschen Militärverlag Berlin erschienen ist. Ein kenntnisreicher, spannender und historisch exakter Polit-Krimi. Buch und Autoren waren mir bis dahin unbekannt, da ich erst 1992 hierhergezogen bin. Ob es noch andere Veröffentlichungen der beiden Autoren gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Wären sie aber nicht eine Erwähnung in der Rubrik "Griff in die literarische Schatztruhe" wert? Das Buch könnte auch neu verlegt werden. Es fände bestimmt seine Leser.

Dr. Jürgen Wengler, Malschwitz


Egon, der Chef der Olsen-Bande aus der dänischen Filmserie, und Steuerbetrüger Ulrich Hoeneß haben Gemeinsames und Unterschiedliches. Gemeinsamkeit: Beide denken nur in Millionen. Unterschied: Egon Olsen war schon im Knast ...

Günther Röska, Leipzig


Das Studium jeder neuen Ausgabe des RF ist für mich ein Genuß - vom Leitartikel bis zu den Leserbriefen. Die Materialien beweisen, daß solides marxistisch-leninistisches Wissen und eine wirkliche Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse in Vergangenheit und Gegenwart sowie die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für künftige Entwicklungen durchaus möglich sind.
Mich erschreckt, mit welcher Arroganz die in der BRD Herrschenden als "Weltverbesserer" auftreten, wobei sie sich zunehmend in innere Angelegenheiten anderer Staaten einmischen.
Die Freiheit der Andersdenkenden gilt in der BRD nur dann und insoweit, wie sie sich in den Grenzen eigener Vorstellungen und Interessen bewegt. Eine allzu bekannte Melodie.

Ernst Gallert, Rudolstadt


An die Botschaft der Russischen Föderation Unter den Linden, Berlin
Der Vorstand der RotFuchs-Regionalgruppe Teterow teilt Ihnen zur Weiterleitung an Ihre Regierung folgendes mit:
Mit Empörung haben wir die provozierende und beleidigende Rede des Präsidenten der USA gegenüber dem russischen Volk und seinem Präsidenten, die am 25. Mai in Brüssel gehalten wurde, über das Fernsehen verfolgt. Wir distanzieren uns davon und verurteilen eine solche Sprache des Kalten Krieges. Zum bekanntgewordenen Telefongespräch von Frau Timoschenko mit einem ihrer Vertrauten stellen wir fest: So sprechen nur Faschisten!
Wir erklären uns solidarisch mit der Haltung und dem Vorgehen des Präsidenten der Russischen Föderation, ihres Parlaments und ihrer Regierung in allen Fragen, welche die Krim betreffen. Wir beglückwünschen die Bevölkerung der Krim zu ihrer Entscheidung zur friedlichen und demokratischen Wiedervereinigung mit ihrem Mutterland und wünschen dem russischen Volk eine friedliche Zukunft.

Erwin Mitzkat, Teterow

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Quelle:
RotFuchs Nr. 196, 17. Jahrgang, Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2014