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ROTFUCHS/152: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 198 - Juli 2014


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 198, Juli 2014





Inhalt

  • "Deutsche Rundschau", Kanada: Gewalt ist keine Lösung
  • "Spiegel"-Fechterei
  • Wortmeldung aus Minsk
  • Helmuth Hellge: Befreier und Befreite
  • EU-Wahlen: DKP legte im Osten zu
    Mutige Bachelor-Arbeit aus München
  • Warum Rußland nicht imperialistisch ist
  • Die Devise heißt Gleichschaltung
  • Wie faschistoide Kirchenkreise Hitler mit Gott verwechselten
  • Jugendhochschule: Wilhelm Pieck hielt die Eröffnungslektion
  • Das Phantom der DDR-"Altschulden"
  • Pumpspeicherwerk Markersbach - eine fette Beute der Kapitalisten
  • Heinz Birch erzählt (4 und Schluß)
  • DDR-Meinungsforschung: Enttäuschte Erwartungen
  • Über papageienhaftes Nachplappern
  • Als "Der einfache Frieden" erklang
  • RF-Extra - Über die Kontinuität des Rechtsextremismus in Deutschland
  • RF-Extra - Zum 100. Jahrestag der Entfesselung des 1. Weltkrieges
  • Friedrich Engels und der 1. August 1914
  • Brüssel: Eine Schau, die schaudern läßt
  • Belgiens PTB: Eine viertel Million Stimmen gegen das Kapital
  • Rwanda: Hintergründe eines Genozids
  • Südafrika nach den fünften freien Wahlen
  • USA: Völkerrechtsbrüche ohne Ende
  • Krim-Referendum entsprach der UNO-Charta
  • Kuba: Gesetz über ausländische Investition
  • Ein Orden Havannas für Ramsey Clark
  • Antwort auf einen Hilferuf aus Ghana
  • Zu F. C. Weiskopfs "Abschied vom Frieden"
  • Ein großer Wurf Rudi Bergers
  • Kurt F. Neuberts Geißelung des Krieges
  • Laudatio auf ein geschmähtes Wort
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

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Plädoyer für einen antifaschistischen Schutzwall

Am 13. August 1961 verschlossen die Staaten des Warschauer Vertrages der USA-geführten NATO die Berliner Einfallstore in das antifaschistische, sozialistische Deutschland.

In jenen schicksalhaften Tagen, die über Krieg und Frieden in Europa entschieden, arbeitete ich nach dem fünf Jahre zuvor erfolgten Abschluß des Jurastudiums als Kreisstaatsanwalt in Güstrow. Jeden Tag kamen die Lageberichte des Volkspolizeikreisamtes auf meinen Tisch. In jenem Sommer enthielten sie stets Listen neuer Republikflüchtiger, wie wir ohne Genehmigung Ausreisende damals nannten. Die über Nacht Fortgegangenen waren - von sehr persönlichen Beweggründen einmal abgesehen - entweder den antikommunistischen Propagandalügen der BRD-Medien erlegen oder vom Sog des vor allem mit Marshallplan-Milliarden auf die Beine gebrachten westdeutschen Wirtschaftswunders erfaßt worden. Voller Sorge beobachteten wir das scharenweise Abwandern von Bauern, aber auch von Fachkräften vieler Bereiche, die auf DDR-Kosten ausgebildet worden waren. Bei offener Grenze ließ sich der Trend nicht stoppen. In dieser Situation wurde von uns die Nachricht, daß in Berlin eine Mauer, wie sie auch die Mehrzahl der DDR-Bürger sofort nannte, errichtet worden war, mit Erleichterung aufgenommen. Nicht nur Genossen empfanden das als einen regelrechten Befreiungsschlag.

Die Helden jener Tage trugen Kampfgruppendreß, die Uniform der Nationalen Volksarmee oder die weiße Kluft von Maurern, welche die Plünderer der DDR kurzerhand aussperrten. Nun war Schluß mit dem Abräumen der oft noch knappen DDR-Warenbestände, die mit Hilfe eines manipulierten Umtauschkurses für Spottpreise von Westberlinern eingesackt wurden. Endlich konnten auch die Ostberliner wieder in ihren Restaurants Plätze bekommen.

In der DDR zog innenpolitisch Ruhe ein. Da nahm man es hin, daß für die Schließung der Grenze durch ein auch in anderen Staaten - darunter den USA - nicht ungewöhnliches Mauerwerk etwas abgehobene Vokabeln eingeführt wurden. Aber nur disziplinierte Nachahmer vorgestanzter Formulierungen bedienten sich auch in ihrer Alltagssprache des wortgewaltigen Begriffs "Antifaschistischer Schutzwall". In jener noch recht frühen Etappe der DDR-Geschichte, als Politiker verschiedener Ebenen Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe, Fußballstadien und Hochschulen nach sich selbst benannten, gehörte verbale Bombastik zum rhetorischen Marschgepäck der führenden Partei. Doch die solide und verläßliche Sicherung der Staatsgrenze der DDR war in politischer und ökonomischer Hinsicht ein Segen, obwohl nicht verkannt werden sollte, daß etliche auseinandergerissene Familien darunter sehr zu leiden hatten, wobei spätere Lockerungen durchaus möglich gewesen wären. Aus historischer Sicht schufen die Maßnahmen des 13. August 1961 indes eine günstige Ausgangsposition für den weiteren Aufbau des Sozialismus in der DDR.

Ein wichtiger Aspekt ihrer Innenpolitik war die Verhinderung des Eindringens offen faschistischer Ideologie, das vom Westen her drohte. Während Nachfolgeorganisationen der Nazi-Verbände in der BRD sofort legalisiert wurden und bald auch zum Parteienfächer der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" gehörten, sorgte die Staatsmacht der DDR dafür, daß Leuten dieses Schlages auf ihrem Territorium keine Chance zur Entfaltung geboten wurde. Die Bonner Schirmherren der neuen Faschisten nannten das zynisch "verordneten Antifaschismus".

Mit dem Anschluß der DDR an die BRD schwappte die braune Brühe sofort in den Osten hinüber, konnte sich die NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sogar auf Landtagsebene etablieren.

Damit wären wir beim eigentlichen Thema: der faschistischen Offensive im Europa unserer Tage.

Während ich nach der Grenzschließung in Zeitungsartikeln, Kommentaren und Interviews für Rundfunk und Fernsehen sowie bei sogenannten propagandistischen Großveranstaltungen die schwergewichtige Wortkombination Antifaschistischer Schutzwall vermied, verwende ich sie jetzt sehr bewußt: Die Entwicklung auf dem Kontinent und hierzulande erfordert dringend und zwingend einen wirksamen antifaschistischen Schutzwall gegen die ansteigende Nazi-Welle. Natürlich ist damit keine neue "Mauer" gemeint, sondern eine intakte Verteidigungslinie gegen das weitere Vordringen faschistischer Kräfte.

Das Ergebnis der jüngsten Wahlen zum Europaparlament signalisiert den Ernst der Lage. Die massenhafte Stimmabgabe für faschistische oder faschistoide Parteien - in Verschleierung der Realität von den Medien neuerdings als "rechtspopulistisch" verharmlost - muß alle Demokraten alarmieren. Dadurch vermochte sich in Strasbourg eine starke Fraktion rechtsextremistischer Mandatsträger aus verschiedenen europäischen Staaten - teils im Verbund mit der CDU-dominierten Europäischen Volkspartei - zu formieren. Deren Gefährlichkeit wird nicht dadurch eingeschränkt, daß sich die Akteure vorerst ohne SA-Stiefel, Totenkopf-Embleme oder sonstige Nazi-Insignien, die sie in manchen Herkunftsländern durchaus verwenden, der EU-Öffentlichkeit präsentieren.

In Ungarn stellen von den Jobbik-Faschisten unterstützte prononcierte Rechte der FIDESZ die Regierung, während in Frankreich der gleichgeartete FN Le Pens jede vierte Wählerstimme erhalten hat. Auch das Votum für extrem reaktionäre Parteien in Österreich, Großbritannien, Belgien, Dänemark, Griechenland, Holland, Italien und anderen europäischen Ländern muß Besorgnis hervorrufen.

Im Staat von Merkel und Gauck hat die jetzt von der Nadelstreifen-AfD flankierte NPD nicht um ihren legalen Status zu bangen, während sich die BRD-Justiz an einer beispiellosen Farce abarbeitet: dem angeblich gegen Nazi-Mörder gerichteten Münchner NSU-Prozeß, der sich als pseudo-antifaschistische Show erweist.

Während die bundesdeutsche Medien-Mafia in ihrer Berichterstattung über Aufmärsche ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS in den baltischen Mitgliedsstaaten des Brüsseler Paktsystems äußerste Zurückhaltung an den Tag legt, spielt sie unablässig die ukrainische Karte. Dabei verschweigt man bewußt die Tatsache, daß die durch einen faschistischen Putsch ans Ruder gebrachte Kiewer Kamarilla von Obamas Vizepräsident Biden, Merkels Außenminister Steinmeier und weiteren "westlichen Repräsentanten" hofiert und installiert worden ist. Es handelt sich keineswegs nur um einen Austausch von Oligarchen an der Staatsspitze der Ukraine oder die Einsetzung eines langjährigen CIA-Agenten als "Premier" der mit Nazis der Swoboda-Partei und des Rechten Sektors vollgestopften "Exekutive". Weit mehr als das: Ein großes europäisches Land wurde auf einen äußerst gefährlichen Weg gestoßen. Die vom Kiewer Regime mit Hilfe "privater" US-Killerkommandos in der Ostukraine begangenen Untaten rufen die Erinnerung an schlimme Geschehnisse in der Zeit der Naziokkupation wach.

Nachdem bereits die Bevölkerung der urrussischen Krim in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht für die Rückkehr ins historische Vaterland optiert hatte, stellte auch die Proklamierung der demokratisch legitimierten Volksrepubliken Donezk und Lugansk einen Akt der Souveränität dar. Beim Widerstand der Ostukrainer handelt es sich um eine antifaschistische Abwehrschlacht, die in der Tradition des Großen Vaterländischen Krieges der Völker der Sowjetunion steht.

Überall in Europa muß den Braunen die rote Karte gezeigt werden. Ein Agieren zwischen den Fronten, wie es einige zu betreiben suchen, darf nicht stattfinden, eine Schuldzuweisung an beide Seiten spielt nur den Faschisten und deren imperialistischen Hintermännern in die Hände. Der Kampf gegen alte und neue Nazis muß ohne sektiererische Beschränktheit oder die Sicht einengende Scheuklappen geführt werden. Jeder aufrechte Antifaschist ist als Bundesgenosse willkommen. Nur so kann ein wirklicher Schutzwall gegen die Machenschaften des NATO-gestützten Kiewer Klüngels und anderer Kräfte gleichen Schlages entstehen, welcher den Ansturm der Nachahmer Hitlers, Mussolinis, Petains und Banderas aufzuhalten vermag.

Klaus Steiniger

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DR-Chefredakteur Juri Klugmann trifft ins Schwarze

Gewalt ist keine Lösung

Die in Kanada erscheinende und international verbreitete "Deutsche Rundschau" veröffentlichte in ihrer April-Ausgabe den folgenden - von uns im Wortlaut nachgedruckten - Leitartikel ihres auch von Andersdenkenden geschätzten Chefredakteurs Juri Klugmann. Das renommierte Blatt stellte - wohl auch, um Vergeßliche an früher Gesagtes zu erinnern - das bekannte Symbol christlicher Kriegsgegner "Schwerter zu Pflugscharen" in das Zentrum des Beitrags.


Liebe Leserinnen und Leser!
Unsere internationale Deutsche Rundschau ist mit ihrer Gründung vor 17 Jahren angetreten, eine Völker, Kulturen und Religionen verbindende Monatszeitung, eine unabhängige Stimme und Interessenvertretung im Ausland lebender Deutsch sprechender und lernender Menschen zu sein. Dies ist und bleibt die Richtschnur unseres journalistischen Handelns. Aus diesem Grund werden wir uns zum Thema Ukraine weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen. Wir sind überzeugt, daß Sie sich ein eigenes Urteil bilden und bieten Ihnen deshalb mit unseren Pro- und Contra-Beiträgen und Kommentaren Denkanstöße an.

Meine Gedanken zu diesem Thema sind von persönlichen Erinnerungen geprägt. Vor 44 Jahren besuchte ich zum ersten Mal Kiew und die Hafenstädte am Schwarzen Meer. Vier Jahre später arbeitete ich zusammen mit Tausenden anderen begeisterten Jugendlichen aus der damaligen DDR am Bau der Erdgasleitung vom Ural bis nach Westeuropa. Unser Abschnitt war der durch die Ukraine. Doch das spielte keine Rolle, denn sie gehörte ebenso zur früheren Sowjetunion wie deren Kern Rußland.

Begeisterung für das Projekt und für die Freundschaft führte mich dorthin - so wie andere ostdeutsche Jugendliche auch. Sie alle trugen das blaue Hemd der Jugendorganisation FDJ, das auch die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Jugend begleitete. Wir fühlten uns an der vordersten Front. Im Kreis der Rohrleger, Schweißer und all der anderen Bauarbeiter in Krementschuk wuchs die Freundschaft zu Ukrainern ebenso wie zu Russen. Ob Kiew, Berlin oder Moskau auf der Geburtsurkunde stand, war egal.

Dann kam ein schwerer Unfall, der mich in allen Fasern meines ums Überleben kämpfenden Körpers spüren ließ, wie wichtig Völkerverständigung ist. 1976 lag ich für Wochen im Krankenhaus in Krementschuk, aufopferungsvoll betreut von ukrainischen Ärzten wie Roman, Sascha, Nina und Larissa. Später lud ich sie alle aus Dankbarkeit zu mir nach Berlin ein.

Im Krankenhaus hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich hörte von der Ukraine, die als Kornkammer Europas und "Lebensraum Osten" jahrhundertelang die Eroberungsgier fremder Diktatoren, Herrscher und Mächte auf sich zog und in verheerenden Kriegen enorme Opfer gebracht hatte.

Betroffen stand ich an den Gräbern unbekannter Soldaten und Zivilisten und auf blutgetränkter Erde. Wie können Ukrainer und Russen jemals wieder freundschaftliche Beziehungen zu uns Deutschen pflegen?, fragte ich mich. Und doch, trotz alledem, luden sie meine Freunde und mich in ihre Häuser und Familien ein, bewirteten uns und sangen uns ihre schwermütig klingenden Volkslieder vor. Die slawische Volksseele ist Fremden schwer verständlich.

Wer von all den heute die westliche Welt Regierenden weiß von der Kiewer Rus? Welche Politiker, die sich heute so besorgt in ukrainische und russische Angelegenheiten einmischen, interessiert es, daß Russen, Ukrainer und Weißrussen gemeinsame Wurzeln haben?

Wer das Selbstbestimmungsrecht der Völker fordert, sollte diese Elle überall anlegen und dabei die Geschichte nicht vergessen. Die Krim, um die jetzt so heftig gestritten wird, war immer Spielball der Mächte. Vor 200 Jahren eroberte sie Katharina die Große. Sie gründete die Stadt Sewastopol, damit Rußland einen Zugang zum Schwarzen und dadurch zum Mittelmeer bekam. Vor 60 Jahren schlug der damalige sowjetische Parteichef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow die Krim per Dekret der Ukraine zu. Weder das russische noch das ukrainische Volk wurden je von den Mächtigen befragt, ob sie das so wollten. Jetzt gibt es die Chance, das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchzusetzen.

Wer die slawischen Brüder Ukrainer und Russen zum Bruderkrieg anstachelt, hat nicht die Interessen dieser Völker im Sinn, sondern seine eigenen geopolitischen Machtinteressen. Man muß kein Freund von Wladimir Putin sein, um zu erkennen, daß große Teile der Bevölkerung seines Landes hinter ihm stehen. Viele hoffen, daß er Rußland wieder zu einstiger Macht und Bedeutung verhilft.

Und man darf nicht übersehen, daß es viele Menschen in der Ukraine nach Europa zieht. Von dort erwarten sie Fortschritt und Wohlstand. Sanktionen, Boykotte und Drohungen werden Putin weder einschüchtern noch in die Knie zwingen, sondern seine Machtposition im eigenen Land eher stärken. Ausbleibende Hilfe für die am Rande des Staatsbankrotts stehende Ukraine wäre ebenso fatal. Weitere Unruhen würden das Land noch mehr schwächen. Die Folgen sind auch anderswo auf der Welt zu sehen und reichen von wachsender Armut bis zu anschwellenden Flüchtlingsströmen.

Es ist die Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden. Gewalt gehört nicht dazu. In der Stunde der Diplomatie sollten eigene Machtinteressen zurückstehen. Der schwelende Konflikt um die Krim ist ein Problem der Weltgemeinschaft. Unsere internationale "Deutsche Rundschau" tritt für die friedliche Verständigung der Völker ein. Sie auch?

Juri Klugmann

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"Spiegel"-Fechterei
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Was sich hinter der Verunglimpfung der "Russen" verbirgt

Wortmeldung aus Minsk

Allein das Bestehen des mächtigen Staates Rußland inspiriert die führenden USA-Politiker dazu, dessen Wirkung auf die Weltgemeinschaft reduzieren und seine Wirtschaft drosseln zu wollen. All das geschieht mit dem Ziel des Ausbaus der eigenen militärischen und ökonomischen Vormachtstellung.

Als die UdSSR noch bestand, war deren kommunistische Ideologie angeblich das Haupthindernis für die Zusammenarbeit beider Staaten. Aber auch jetzt hat sich am Verhalten der maßgeblichen US-Politiker nichts geändert. Rußland mit seinen enormen Vorräten an Erdöl und Erdgas, die es gestatten, wirtschaftlich auf die Weltgemeinschaft einzuwirken, besteht immer noch und konkurriert gewissermaßen mit den Vereinigten Staaten. Vor allem aus diesem Grund ist man bestrebt, den russischen Menschen zu verunglimpfen, ihm negative Eigenschaften aller Art anzudichten und die Rolle des von Putin geleiteten Staates herabzusetzen. Zugleich nehmen die USA von einigen früheren Sowjetrepubliken, die heute selbständige Staaten sind, kaum Notiz. Wenn es diese aber - wie Belarus - wagen, einen eigenständigen Kurs zu verfolgen, erhebt sich sofort wildes Geschrei. Von "Mangel an Demokratie" und "Diktatur" ist dann die Rede. Mehr noch: Es wird beliebig viel Geld für die Formierung oppositioneller Kräfte ausgegeben, um ungeliebte Regierungen zu Fall zu bringen. "Orangefarbene", "samtene" und andere "Revolutionen" sind da stets das mehr oder weniger sichtbare Werk von Politikern aus Übersee. Es gibt sogar ein "absolut demokratisches" Institut, das mit Hilfe seiner Fonds entsprechende "Kader" vorbereitet, um sich Regierungen zu entledigen, die Washington nicht genehm sind. Falls dies nicht auf Anhieb gelingt, sind jene zur Stelle, die stets bereitstehen, benötigte Summen gehörig aufzustocken. Was verschafft den USA solche Möglichkeiten weltweiter Einwirkung?

Die Situation ist dadurch charakterisiert, daß die Dollar-Milliarden, welche für solche Interventionen aufgewandt werden, eigentlich überhaupt keinen Wert besitzen. Schon 1972 wurde die Golddeckung des Dollars abgeschafft. So bekommt die von den USA finanzierte Opposition gewisser Länder lediglich bunte Scheinchen mit den Porträts verflossener amerikanischer Präsidenten in die Hand. Hier zählen nur die Kosten des Papiers und der Herstellung. Natürlich gibt es bei solcher Art von "Hilfe" keine quantitative Begrenzung beim Gelddrucken, was allerdings früher oder später zu galoppierender Inflation und zum Börsenkrach führt. Das ist vorerst in den USA noch nicht der Fall. Solange andere Staaten die US-Wirtschaft de facto stützen, wird Washington der Welt auf Grund seiner angeblich stabilen Finanzlage die Bedingungen diktieren.

Derzeit können sich nur China und Rußland diesen Segnungen widersetzen. Nicht ohne Grund nimmt die Russische Föderation auf Washingtons Liste der Schurkenstaaten nach wie vor einen "Ehrenplatz" ein. Die USA scheuen keine Mittel, um sogenannte Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen, die dazu in der Lage wären, die politische Situation in Rußland und anderen dem Westen unliebsamen Staaten nach amerikanischen Vorstellungen zu ändern.

Das jüngste Beispiel dafür liefern die Ereignisse in der Ukraine. Um deren traditionelle Bande mit Rußland zu zerschneiden, haben die USA ungeachtet ihrer gewaltigen Inlandsverschuldung auf Anhieb fünf Milliarden Dollar für Kiews Pseudo-Revolution lockergemacht. Sie ziehen dabei nicht in Betracht, daß inzwischen Nachkömmlinge der einst mit den Hitlerokkupanten zusammenarbeitenden ukrainischen Faschisten in Machtpositionen etabliert wurden.

Es entsteht übrigens der Eindruck, daß gewisse Politiker der EU-Staaten nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet haben, Rußland alle Todsünden in die Schuhe zu schieben, darunter auch für das, was sich jetzt in den östlichen und südöstlichen Regionen der Ukraine ereignet. Dabei wittern sie angeblich russische Panzer nicht nur an der Grenze dieses Staates, sondern auch zu den baltischen Republiken und zu Polen.

Im April 2014 hat der "RotFuchs" einen Artikel "Faschistischer Umsturz in der Ukraine" veröffentlicht. Darin wird eine objektive Wertung der Ereignisse vorgenommen und die Tatsache unterstrichen, daß NATO und EU die Putschisten in der Ukraine aktiv unterstützen. In den Artikel sind auch die Auffassungen linker Publikationen wie "Initiative Communiste" (Paris) und "Solidaire" (Brüssel) eingeflossen.

In absehbarer Zeit werden die USA ihr Weltwährungsmonopol einbüßen. Der Dollar, dessen massenhafte Emission Washington noch immer die Möglichkeit verschafft, seine internen Staatsschulden zu negieren, ist in Wirklichkeit nur ein Schatten seiner selbst. Der chinesische Yuan und der russische Rubel sowie möglicherweise auch weitere Währungen werden ihn in den internationalen Verrechnungen der Staaten ersetzen.

Die gegen Rußland verhängten "Sanktionen" dürften zur Verringerung seiner Abhängigkeit vom Dollar beitragen. Erste Schritte in dieser Richtung hat Moskau bereits unternommen. Die Vereinigten Staaten werden ihre Position als erste Weltwirtschaftsmacht bald an China verlieren.

All das dürfte zweifellos dazu führen, daß auch ihre politische Ausstrahlung auf viele Länder der Erde mehr und mehr abnimmt.

Boris A. Popow, Minsk


Unser Autor (Jahrgang 1922) war stellvertretender Direktor des belorussischen Filmstudios, nicht aber - wie in früheren RF-Ausgaben fälschlicherweise berichtet - beim Fernsehen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

"Meinst Du, die Russen wollen Krieg ..."?
Dieses Foto entstand am 9. Mai 2014 irgendwo zwischen Kaliningrad und Wladiwostok. Am Tag des Sieges ehrte man überall im territorial größten Land der Welt noch lebende Veteranen des Heiligen Krieges der Sowjetunion gegen den Faschismus. Die Rotarmisten von einst hatten nicht nur ihr Land befreit, sondern waren auch Sieger über den Krieg geblieben. Den teuer erkauften Frieden werden die Russen und die anderen Völker ihres Staates weder aufs Spiel setzen noch preisgeben.

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Befreier und Befreite
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Europawahlen: DKP legte im Osten zu

Die insgesamt auf niedrigem Niveau etwa gleich gebliebene Stimmabgabe für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) zu den Europawahlen erbrachte im Westen und im Osten der BRD völlig unterschiedliche Resultate. Während die Partei im Westen nur in den Bundesländern Hessen (+ 16 %) und Hamburg (+ 8 %) Zuwächse verzeichnen konnte, nahm die Zahl der DKP-Wähler in Mecklenburg-Vorpommern (um 20 %), in Berlin (um 54 %) und in Brandenburg (um 55 %) deutlich zu. Unter den Berliner Bewerbern war auch RF-Chefredakteur Klaus Steiniger.

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Wie "seriöse" BRD-Blätter Obama weißwaschen und Putin anschwärzen

Mutige Bachelor-Arbeit aus München

Zu einer Zeit schlimmster BRD-Hetze gegen Rußland unterzog ich mich einem Experiment: In einem typischen Berliner Zeitungsladen schaute ich mir bei unterschiedlichsten Printausgaben der Konzernblätter Überschriften und Texte an, die irgendwie mit Putin oder den Russen zu tun hatten. Dabei tauschte ich gedanklich das Wort "Russen" gegen "Juden" aus. Ich bekam eine Gänsehaut! Plötzlich bemerkte ich, daß nicht wenige Schlagzeilen und Sätze - allen voran bei Erzeugnissen aus dem Hause Springer - eine erschreckende Ähnlichkeit mit der Sprache der Nazi-Medien hatten. Gerade die Aufmachungen von BZ und "Bild" erinnerten nicht selten an Titelseiten der "Stürmer"-Ausgaben des in Nürnberg gehenkten Julius Streicher.

2012 veröffentlichte Mirjam Zwingli von der Hochschule für angewandte Sprachen an der Fachhochschule des Sprachen- & Dolmetscher-Instituts München ihre Bachelor-Arbeit unter dem Titel "Tendenziöse Attributierung in deutschen Printmedien: Putin vs. Obama - eine linguistische Analyse". Die Verfasserin untersucht anhand der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) - einem konservativen Blatt des Großkapitals - und der eher als gemäßigt liberal geltenden "Süddeutschen Zeitung" (SZ) die tendenziöse Berichterstattung über den US-Präsidenten und dessen russischen Widerpart. Beide Blätter gelten in der BRD als häufig zitierte Qualitäts- und Leitmedien. Beispielthema ist für Mirjam Zwingli der NATO-Raketenschirm in Europa. Sie untersuchte 109 Artikel der SZ, die zwischen 2007 und 2012 erschienen, und 80 der FAZ aus dem Zeitraum von 2000-2012 auf drei Ebenen: Wort, Satz und Text.

Auf der Ebene "Wort" wird der Raketenschirm von FAZ und SZ mit Vokabeln wie Schutzschild, Schutzprojekt, Chancen, Gemeinschaft, Sicherheit, Idee, Vorteil, gewähren, umarmen, modern, schützen, ermöglichen, sinnvoll und intelligent bedacht. Obama begleiten Worte wie hoffnungsvoll, redlich, begeistert, Vision, Traum, Wahrheit, Glaubwürdigkeit, Wunsch, Perspektiven und Überzeugung. Alles ist in unserem Denken positiv besetzt. Begriffe wie "Schutzschild" sollen Gefühle der Geborgenheit wecken. Obama erscheint als selbstloser, nur dem Frieden verpflichteter Visionär. Es soll der Eindruck entstehen, als ginge es beim Raketenschirm und in Obamas Außenpolitik ausschließlich um die Schaffung einer friedlichen, schönen Welt voller Harmonie. Zweifel am Sinn des Projekts oder den Motiven der Person werden von vornherein ausgeschlossen. Alle Worte sind bewußt so gewählt, daß kaum noch Auslegungs-Spielräume bleiben.

Putin hingegen erscheint als der böse Störer. In der FAZ und in der SZ besitzt er schlechte Karten. So fallen hier Worte wie Macho, Sowjetrhetorik, Drohgebärden, KGB-Mann, Zorn, Kalter Krieger, Kampfrhetorik, Gasprom-Imperialismus, Machtmensch, Knüppel-Demokratie, drohen, angreifen, berechnend, antiwestlich oder konfrontativ. Die Worte sollen beim Leser negative Gefühle auslösen. Gedanken an Größenwahn werden eingeprägt, wobei man Putin mit Begriffen wie "Großmachtgehabe" immer wieder karikiert. Aber auch Angst und Haß vermittelt man.

Ähnlich sieht das Ergebnis der Untersuchung in bezug auf ganze Sätze aus. Hier wird für die Politik der USA durchweg Verständnis aufgebracht. "Priorität hat für Washington verständlicherweise der vorgelagerte Abwehrschirm", heißt es in der FAZ, während man in der SZ liest: "Dieses Druckmittel hat Obama nicht aus der Hand gegeben - zu Recht, denn der bereitwilligen Kooperation Moskaus kann er sich nicht sicher sein." Selbst wenn es sich absolut nicht vermeiden läßt, Putins Politik auch positive Züge zu bescheinigen, wird dies sofort durch negative Adverbien abgewertet: "SPD-Chef Beck lobte sogar die Offenheit und Ehrlichkeit Putins." Der russische Präsident soll als Betrüger und gefährlicher Irrer erscheinen: "Rußlands Führung hat nur darauf gewartet, daß neues Treibgut vorbeischwimmt, an dem sie sich festhalten kann" oder: "Lange hätte es nicht mehr gedauert, und Rußland würde den USA vermutlich sogar anlasten, daß in Moskau seit Wochen die Sonne nicht mehr scheint." Man spürt, wie witzig sich der Journalist der SZ bei der Formulierung dieses Satzes vorgekommen sein muß.

Die Schilderung der Themenanalyse ganzer Artikel in Mirjam Zwinglis Arbeit würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Die Autorin weist auf wunderbar schlüssige Art die manipulative Ausrichtung einiger ausgewählter Texte beider Zeitungen nach, wobei sie sich nicht allein aus linguistischer Sicht mit diesen befaßt. Sie scheut sich nicht, den Fakten der jeweiligen Thematik nachzugehen, um Lügen und Halbwahrheiten zum Raketenschirm sowie zur Politik der USA und Rußlands in beiden Blättern aufzudecken. Es amüsiert geradezu, wie oft sich die "Qualitätsjournalisten" der beiden "Leitmedien" selbst ein argumentatives Bein stellen -vor allem, wenn man bedenkt, daß sie sich eigentlich für perfekte Rechercheure halten.

Die Bachelor-Arbeit der Absolventin hätte es verdient, in guten Buchläden Eingang zu finden. Auch die Auswahl des Themas durch Mirjam Zwingli verdient Respekt, braucht man dazu doch heute schon einigen Mut.

Seit Jahren, ganz besonders aber in letzter Zeit, erleben wir in Sendern und Blättern einen permanenten politischen Aufruf zum Völkerhaß, der an die Zeit des Nazismus erinnert. Das nimmt nicht wunder, war doch die alte BRD dadurch geprägt, daß etwa zwei Millionen Mitglieder der Hitlerpartei nach 1945 zur Gründergeneration in Politik, Verwaltung, Justiz, Polizei und Bundeswehr, aber auch in den Medien gehörten.

Mirjam Zwingli zitiert Brigadegeneral a. D. Heinz Loquai, der mutig den Kosovo-Krieg brandmarkte und dafür durch SPD-"Verteidigungsminister" Scharping entlassen wurde: "Krieg beginnt nicht erst, wenn geschossen wird und Bomben fallen. Zunächst wird immer eine Sprache für den Krieg erfunden, eine Sprache ... des Gut gegen Böse ... Sobald eine solche Sprache erfunden ist, übernehmen alle dieses Vokabular, ohne die Folgen zu bedenken."

Es lohnt sich, die im Internet einsehbare Bachelor-Arbeit zu lesen. Dabei kann es auch nicht von Schaden sein, Victor Klemperers berühmtes Werk LTI (Die Sprache des Dritten Reiches) wieder einmal zur Hand zu nehmen. Und vielleicht wäre es nicht einmal verfrüht, eine Lingua Quartum Imperii - die Sprache des Vierten Reiches - gedanklich in Betracht zu ziehen.

Ulrich Guhl

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Warum Rußlands oligarchischer Kapitalismus nicht imperialistisch ist

Keine Restauration klassischer Art

Für die Leserzuschriften zu dem im Januar-RF veröffentlichten Artikel "Die Würfel fielen in Moskau" möchte ich mich herzlich bedanken. Zugleich will ich auf die darin geäußerten Überlegungen, Ergänzungen und Einwände reagieren.

Zunächst soviel: Die Ereignisse in der Ukraine sind nicht nur geeignet, das Rußland von heute besser zu verstehen, sondern auch jenes von einst. Damit meine ich die UdSSR der letzten sowjetischen Periode. Erst jetzt, da Moskau auf Prozesse reagiert, die unmittelbar an die russischen Grenzen herangetragen werden, erscheint dieses Land wieder auf Positionen, die uns gar nicht so fremd vorkommen. Man muß den Begriff Konterrevolution, der vor gut 20 Jahren gefunden wurde, um die Zerstörung des RGW und des Warschauer Vertrages zu erklären, in bezug auf Rußland gar nicht aufgeben, sollte ihn aber relativieren.

Tun wir das anhand von Tatsachen: Die weitgehende Wiederherstellung kapitalistischer Eigentumsstrukturen in Gestalt der Herrschaft sogenannter Oligarchen hat im Zusammenhang mit den ukrainischen Ereignissen und der wachsenden faschistischen Gefahr in weiten Teilen Europas einen Schock erfahren. Rußlands politische Führung muß in dieser Situation die Einheit des Staates als vordringlichste innenpolitische Aufgabe betrachten.

Und außenpolitisch? Rußland will mit kapitalistischen Staaten friedlich zusammenarbeiten, was - so wie die Dinge liegen - zwangsläufig ein Prozeß im Rahmen des Kapitalismus ist.

Dr. Vera Butler schreibt im RF zur Rolle Juri Andropows, er habe Gorbatschow quasi als seinen Protegé "angelernt". Mir scheint, wir sollten den Personenbezug im Prozeß der Ereignisse in der späten Sowjetunion nicht außerhalb eines Sachbezugs diskutieren oder erklären wollen. Hinge alles nur von Personen ab, könnte einem im Hinblick auf den Sozialismus des ersten Jahrhunderts seiner staatlichen Existenz angst und bange werden. Nein, es muß nach einem realen Grund geforscht werden, der das Entstehen einer neuen Fraktion in der KPdSU-Führung, aber auch in der Schicht der politischen Funktionäre und in der sowjetischen Intelligenz erklärbar macht.

Aus meiner Sicht gibt es dafür zwei Gründe: Erstens handelt es sich um deren Unzufriedenheit mit ihrer materiellen Situation, die in eine allgemeine Kritik am "sozialistischen gesellschaftlichen System" umschlug. Der Systemrückbau bis hin zu einer gewissen Form des Kapitalismus wurde von ihr bewußt betrieben, um das zu ändern.

Als zweiten Grund betrachte ich die Sicherheitslage des Landes. Sie war durch enorme Mittel verschlingende ständige Hochrüstung am Ende instabil geworden, weshalb führende Politiker in Moskau nach einer anderen Außenpolitik mit gesellschaftlichen Konsequenzen Ausschau hielten.

Im günstigeren Falle ging es dabei um die Außenpolitik eines friedlichen, als kapitalistisch geltenden Landes, das sich von seiner sozialistischen Vergangenheit abgrenzt. In der Folge käme es weniger auf die durchgehende Kapitalisierung des Landes und mehr darauf an, daß der "westliche" Kapitalismus es als glaubwürdig betrachtet, daß Rußland ein durch Schwäche zum Kapitalismus zurückgezwungenes Land sei. Es könnten auch beide Gründe für die sowjetische Politik der letzten Jahre bestimmend gewesen sein.

RF-Leser Konrad Hannemann setzt auf innere Reformen nach Maßgabe - sagen wir - des Neuen Ökonomischen Systems der DDR. Aber dann geht seine Erklärung für die "in Moskau gefallenen Würfel" mit dem Versagen der sowjetischen Form der Planwirtschaft einher. Abgesehen davon, daß ein solcher Zusammenbruch nicht belegt ist, käme letztlich eine Ehrenrettung für die Konterrevolution dabei heraus. Durch sie sei Rußland schließlich vor dem völligen Kollaps gerettet worden. ("Denn der russische Staat ist ja nicht untergegangen.")

Nein, es ging nicht um innere Reformen, sondern um ein Signal nach außen. Aber so, wie der Aufbau des Sozialismus als Prozeß betrachtet werden muß, verhält es sich natürlich auch mit der Rekonstruktion des Kapitalismus.

Wo steht das europäisch-asiatische Riesenland heute in gesellschaftlicher Hinsicht? Ist es den "Bewegungsgesetzen des kapitalistischen Systems ausgesetzt", wie RF-Leser Harry Pursche meint? Meine Antwort darauf: Man sollte sich jetzt vor allem auf Rußlands Außenpolitik konzentrieren. Sie sagt mehr über den Stand der Innenpolitik aus als diese selbst. Obwohl noch etwa 50 % der großen Produktionsmittel in Staatsbesitz sind, dominiert der Kapitalismus. Aber ist jeder Kapitalismus gleich auch imperialistisch? Überschrieb nicht Lenin sein großes Werk mit den Worten "Der Imperialismus - das höchste Stadium des Kapitalismus"?

Wie ist ein Land einzuschätzen, das auf Imperialismus so reagiert wie Moskau heute? Übrigens hat die UdSSR, die bekanntlich mit England und Frankreich die Antihitlerkoalition einging, stets mit kapitalistischen Ländern zusammengearbeitet, wo sich Zwänge dazu ergaben.

Das heutige Rußland tut das nicht minder. Einst stand die Frage von Koalitionen unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme. Heute geht es um neue Aspekte in gleichgesellschaftlichen Zusammenhängen. Im Falle Rußlands, das derzeit eine antifaschistische Schlacht für den Frieden schlägt, würde ich noch immer von einem Primat der Politik über die Ökonomie sprechen.

Wir sollten auch nach den Gründen für die weitgehende personelle Identität führender Persönlichkeiten der UdSSR und des heutigen Rußland fragen, das ja unmittelbar aus der Sowjetunion hervorgegangen ist. Eine solche Deckungsgleichheit ist ohne Parallele zu den anderen ehemals sozialistischen Ländern Europas.

Bei der Friedens- und Staatssicherung mußte es um möglichst weitgehende Kontinuität der Vertreter der Sowjetunion und der Russischen Föderation gehen. Warum ist denn ein so erfahrener antiimperialistischer Diplomat wie Lawrow russischer Außenminister, von Putin ganz zu schweigen?

Die Antwort könnte lauten: Weil es von Beginn an klar war, daß an das postsowjetische Rußland früher oder später dieselben Probleme herangetragen würden wie an die UdSSR. Und warum? Weil ein imperialistischer Westen sich nie mit einer selbstbestimmten, nicht von ihm exportierten Konterrevolution in Rußland zufriedengeben würde. Diese verfügte im Unterschied zu allen geschichtlich bekannten Prozessen über keine sie tragende eigene Klasse und konnte auch nicht von einer solchen ersonnen werden. Eine den Sozialismus liquidierende Restauration konnte unter diesen Bedingungen keine klassische Konterrevolution sein. 70 Jahre nach der Oktoberrevolution gab es auf sowjetischem Boden keine Bourgeoisie mehr, was zur Folge hatte, daß ein Umsturz auch nicht von ihr vollzogen werden konnte. So existiert im heutigen Rußland zwar die parasitäre Schicht der Oligarchen und eine Vielzahl von Neureichen, aber noch kein ausgereifter Kapitalismus.

Hermann Jacobs, Berlin

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Über das Servieren immer derselben Lügenbouillon

Die Devise heißt Gleichschaltung

Massenmedien und Nachrichtenagenturen besitzen eine ungeheure Macht. Im Kapitalismus handelt es sich überwiegend um privatwirtschaftliche, also gewinnorientierte Unternehmen. Eine Konzentration in den Händen gigantischer Konzerne hat sich hierzulande längst vollzogen. 2009 hielten Großverleger einen Marktanteil von 60 % der BRD-Tagespresse, bei Unterhaltungsblättern waren es sogar 80 %. Zuvor prägten mittelständische Regionalzeitungen noch weitgehend den Angebotsfächer. Auf einstigem DDR-Gebiet wurden die 39 dort erscheinenden Tageszeitungen sofort von Großunternehmen wie der Verlagsgruppe Dirk Ippen übernommen. Gab es in der BRD bisher mehr als 100 Vollredaktionen, so sind davon nur noch 17 übriggeblieben. Die Lokalzeitungen werden jetzt von Zentralredaktionen aus gesteuert und mit Material beliefert.

Da 95 % der Tagespresse ihre Nachrichten über internationale und überregionale Ereignisse von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) beziehen, haben Zentralen und Agenturen als "Schleusenwärter" der Meldungsangebote eine Schlüsselfunktion. Der jeden Tag servierte Einheitsbrei des Informations-"Mainstream" - also der gerade vorherrschenden öffentlichen und politischen Meinungsbilder - schwappt dann sogar in die Kommentare und Diskurse unabhängiger Vollredaktionen über.

Beispiele waren die vom TV-Magazin "Panorama" ausgelöste Kampagne um die seinerzeitige niedersächsische Landtagsabgeordnete mit DKP-Mitgliedsbuch Christel Wegner und das Schmierentheater wegen der PDL-Geburtstagsgrüße an Fidel Castro. Die militaristisch-expansive, Kiews Faschisten begünstigende Berichterstattung über den von EU und NATO inszenierten Putsch in der Ukraine ist gleichen Schlages.

Schon beim "Zeitungskönig" William Randolph Hearst (1863-1951), in der BRD bei Axel Cäsar Springer oder Rudolf Augstein antichambrierten Politiker in der Hoffnung auf Wohlwollen. Ex-Bundespräsident Wulff hat das ebensowenig geholfen wie anderen, die den politischen Absichten der Pressezaren in die Quere kamen.

Seit 1991 hat ein schleichender Prozeß zum raschen Niedergang unabhängiger Regionalzeitungen wie zu deren Übernahme und Einstellung geführt. Selbst die Konzernpresse konzentriert und zentralisiert sich, was weitgehend vom Leser unbemerkt geschieht. Als "Publizistische Einheiten" (PE) gelten alle redaktionell nichtselbständigen Zeitungen mit inhaltsidentischen Teilen. Ab 1954 ging deren Zahl von damals 225 auf nur noch 134 Titelgruppen im Jahr 2010 zurück.

Zeitungen finanzieren sich jeweils zur Hälfte aus Anzeigen und Abonnements. Hinzu kommt der freie Verkauf in Läden und an Kiosken, die oft von Lieferdiensten bestückt werden. Sowohl die Zahl der Abonnenten als auch die der Anzeigenkunden ist bei den regulären Tageszeitungen stark zurückgegangen: Lag der Leseranteil im Jahre 1990 noch bei 71 % der über 14jährigen, so ging er inzwischen auf 41 % zurück (2010). Von den 14- bis 29jährigen lesen unterdessen nur noch sechs Prozent eine Zeitung! Dafür haben sie Internet-Zugang im Übermaß, "twittern", "googeln" und "bloggen" ihre eigenen Nachrichten per Schlagwortliste mit kompetenzeinschränkender Tunnelperspektive.

Daß es nicht so sein muß, zeigen andererseits politisch-kritische Blogger-Foren. Diese liegen jedoch abseits des mit Werbung gespickten kommerziellen Internet-Marktes, der seine Kunden in die konsumhörige Verwirrung lenkt. Internet-Ausgaben der Lokalzeitungen ändern an einem solchen Benutzerprofil wenig. Im gedruckten Blatt lesen 73 % fast alle Seiten, 61-72 % verfolgen politische und andere lokale Ereignisse. In der Internet-Ausgabe sind das jedoch nur 11-15 %, während etwa 41 % die Terminangaben zu Veranstaltungen bevorzugen.

Mit speziellen Aktivitäten wie Karaoke-Wettbewerben, Kinderseiten und knalligen Beilagen versuchen sich etablierte Lokalzeitungen Zugang zu jüngeren Lesern zu verschaffen. Das findet allerdings bei Eltern mehr Anklang als bei dem auf Mobiltelefone ausgerichteten Nachwuchs. Kostenlose kommerzielle "Werbeblätter" im Gewand von Wochenzeitungen machen der Regionalpresse Konkurrenz.

Die Großverleger der jeweiligen Gruppen reagieren auf die "Zeitungskrise" zuerst mit Einsparungen beim Personal. Es muß nun in "crossmedialen" Großraumbüros zusammengelegten Schichtbetrieb leisten. Da bleiben Freiheit, Kreativität und Ethos der Journalisten total auf der Strecke.

Bei alldem geben die Verursacher der chaotischen Reizüberflutung, die reaktionäre Ideologien aller Art verbreiten, dem strukturellen Wandel durch die "neuen Medien" die Alleinschuld für solche Veränderungen negativer Art. Allerdings boten fast sämtliche technologischen Neuerungen, die der Kapitalismus hervorbringt, eigentlich auch positive und fortschrittliche Nutzungsmöglichkeiten. Das haben die jungen Leute unserer Tage richtig erkannt. Sie wollen es auch nutzen und verteidigen, erkennen aber meist das entscheidende Hindernis dabei nicht: die Tatsache, daß sich der Strukturwandel im Rahmen kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und reaktionärer Politik sowie im Konflikt mit dem System innewohnenden Zwängen zu Wachstum, Konkurrenz und Profitmaximierung vollzieht. Zu Recht traf Marx die Feststellung: Das kapitalistische System gerät in Widerspruch zu den Möglichkeiten der von ihm herbeigeführten rasanten Entwicklung der Produktivkräfte. Es ist außerstande, diese zum Fortschritt und Wohl der Menschen einzusetzen.

Nur gut, daß es noch von Lesern und Spendern getragene unabhängige Blätter wie die "junge Welt", die UZ und unseren "RotFuchs" gibt, die wir unbedingt erhalten, medial ausbauen und auf eine breitere Basis stellen müssen.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Wie faschistoide Kirchenkreise Hitler mit Gott verwechselten
[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Von den Anfängen der Jugendhochschule am Bogensee

Wilhelm Pieck las die Eröffnungslektion

Im Januar 1951 - ich war damals Agitations- und Propaganda-Sekretär der FDJ-Kreisleitung im mecklenburgischen Demmin - traf der Jugendverband eine für mein ganzes weiteres Leben weichenstellende Entscheidung: Er delegierte mich zum ersten Einjahreslehrgang an die Jugendhochschule am Bogensee, die dann jahrzehntelang Wilhelm Piecks Namen trug. Vom Marxismus-Leninismus hatte ich bis dahin gerade einmal soviel mitbekommen, wie mein Bürge in der SED - der damalige Leiter unserer Kreisparteischule Bruno Follmann - mir an langen Abenden beizubringen vermochte. Er gab mir stets etwas zum Lesen - natürlich das "Kommunistische Manifest", aber auch viel aktuelle Literatur. Anschließend diskutierten wir über den von mir jeweils bewältigten Stoff.

Nun sollte ich ein ganzes Jahr lang marxistische Philosophie, politische Ökonomie sowie die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und der deutschen Arbeiterbewegung systematisch studieren können. Das empfand ich als Glück.

Die im Barnim - einer Landschaft Brandenburgs - gelegene Jugendhochschule bestand damals lediglich aus Holzbaracken mit Seminarräumen und unseren Unterkünften. Hinzu kamen ein Vorlesungssaal und ein festes Gebäude, bei dem es sich um die jetzt humanistischen Zwecken dienende einstige Villa des Nazi-Cheflügners Joseph Goebbels handelte. Darin befanden sich der Speisesaal und die Küche.

Der Tag begann für uns mit Sport. Nach dem anschließenden Frühstück hatten wir Unterricht. Unsere Lehrer waren überwiegend Genossen, die an Antifa-Schulen für Kriegsgefangene in der Sowjetunion ihr politisches Wissen erworben hatten.

Unvergeßlich bleibt mir die Eröffnungslektion, die Wilhelm Pieck hielt. Vier Stunden lang sprach der kampferfahrene Präsident der jungen DDR - stehend und ohne Manuskript - über deutsche Geschichte, von den Bauernkriegen bis zur Gegenwart. Abends saß er mit uns am Lagerfeuer, wo wir gemeinsam Kampf- und Jugendlieder sangen.

Da ich der Literaturobmann unserer Seminargruppe war, hatte ich die Aufgabe, das jeweils Notwendige an Büchern und Broschüren zu beschaffen und es den Teilnehmern des Lehrgangs zum Kauf anzubieten.

Von unserem Stipendium - es betrug nach meiner Erinnerung 130 Mark - waren 30 Mark für den Erwerb von Büchern vorgesehen, was indes nie reichte, obwohl diese in der DDR sehr wenig kosteten.

Vorlesungen, Selbststudium und Seminare wechselten einander ab. Hinzu kam "Ausgleichsarbeit": Wir rodeten Baumstubben im umliegenden Wald, um für die später errichteten repräsentativen Schulgebäude Platz zu schaffen. Mit dem Holz beheizten wir unsere Quartiere.

Zweimal wöchentlich wurden Filme gezeigt. Uns begeisterten die frühen DEFA-Streifen und sowjetische Produktionen.

Unvergeßlich blieb mir "Wie der Stahl gehärtet wurde". Als mir jedoch einer der Filme weniger gefiel, hielt ich damit nicht hinter dem Berg und heftete einen Artikel an die Wandzeitung. Das ging daneben, handelte es sich bei den Helden des Geschehens doch um ein blindes Mädchen, aber auch um führende Funktionäre der KPdSU. So übte ich Selbstkritik - an gleicher Stelle.

Ein besonderer Höhepunkt war für uns der Einsatz vor und während der 3. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die im August 1951 in Berlin stattfanden. Für die Dauer des Festivals waren wir dem Internationalen Organisationskomitee zugeteilt. Als einer der "Kuriere" begab ich mich auf die Suche nach ungarischen Fahnen, die während eines Fußballspiels im Stadion abhanden gekommen waren, weil man sie mit den italienischen Farben eines damals sehr populären Spielers verwechselt hatte. Wir beschafften Holz für das Friedensfeuer bei der Kundgebung mit dem KPD-Vorsitzenden Max Reimann und der französischen Friedenskämpferin und Kommunistin Raymonde Dien, die sich in der Absicht, einen Waffentransport für den Kolonialkrieg gegen das vietnamesische Volk zu blockieren, auf die Schienen gelegt hatte. Und wir organisierten die Verpflegung der koreanischen Delegation, deren Teilnehmer damals direkt von der Front des Kampfes gegen die US-Aggressoren gekommen waren und deshalb die ganz besondere Sympathie aller Festivalteilnehmer genossen.

Nachdem wir das Studium am Bogensee wieder aufgenommen hatten, faßte der FDJ-Zentralrat seinen populären Beschluß über das "Frohe Jugendleben". Zu Sport- und Kulturveranstaltungen, die es bereits gab, kamen jetzt auch noch Tanzkurse. Die Mädchen waren da besser und erklärten sich deshalb zu Patenschaften über uns Jungen bereit. Sie brachten uns Walzerschritte und Foxtrott bei. Einige erlernten in jener Zeit auch das Klampfe-Spiel. Alles in allem erinnere ich mich an unsere Jugendhochschulzeit immer wieder mit großer Freude.

Vielen Absolventen des 1. Einjahreslehrgangs wurden später verantwortungsvolle Aufgaben in der SED und im Staatsapparat übertragen. Manchen begegne ich heute noch. So ist Genosse Fritz Ulrich, der vor seinem Besuch der Hochschule die Funktion des 1. Kreissekretärs der FDJ im traditionellen Berliner Arbeiterbezirk Wedding bekleidet hatte, heute trotz schwerer Krankheit einer der Aktivsten in unserer hauptstädtischen "RotFuchs"-Regionalgruppe. Und Peter Eichberg, der ebenfalls mit mir am Bogensee war, wirkt da nicht minder zuverlässig mit.

Nach Errichtung der neuen Gebäude der Jugendhochschule wurde sie technisch auf das modernste ausgestattet. Sie entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum der Solidarität mit jungen Antiimperialisten aus vielen Ländern. Tausende herausragende Kämpfer befreundeter Jugendverbände, darunter nicht wenige Illegale, haben dort ihr theoretisches Wissen und ihre politische Bildung erworben. Etliche von ihnen stehen im Befreiungskampf ihrer Völker noch immer an vorderster Front.

Die finnische Absolventin des letzten Einjahreslehrgangs Kirsi Marie Liimatainen hat Jahrzehnte später über ihre einstige Bildungsstätte einen Dokumentarfilm gedreht, in dem sie Mit-Studenten darüber befragt, wie sie heute denken und handeln.

Es ist eine Schande, daß das Wilhelm Pieck gewidmete Haus unter den neuen Machthabern mehr und mehr zu einer Ruine verkommt.

Dr. Ernst Heinz


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die Finnin Kirsi Liimatainen, die 1988/89 an der Jugendhochschule studierte, erkundete - inzwischen Regisseurin - 24 Jahre später in Nikaragua, Südafrika, Chile, Bolivien, Libanon, der BRD und Finnland den jetzigen politischen Standort früherer Hörer dieser Institution. Daraus entstand ihr Dokumentarfilm "Genossen, wo seid ihr heute?"

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Wie das BRD-Bankkapital den Super-Bluff inszenierte

Das Phantom der DDR-"Altschulden"

In den anderen einstmals sozialistischen Ländern Europas sollen vor allem "Oligarchen" das Vermögen des Volkes gestohlen haben. Von der DDR, die nach Treuhand-Version aus "Schrott" bestand, blieben indes lediglich "Schulden" übrig. Um was handelt es sich bei dieser Unterstellung?

Neben der Einforderung uralter Schuldverschreibungen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945, die sich damals bei der "Arisierung" von Banken, Immobilien und Wertpapieren an vorderster Front mitwirkende deutsche Privatbanken heute wieder hervorzuholen trauen, aktiviert man auch die vermeintlichen Altschulden der DDR. Die Bundesregierung kontrolliert weder die Legitimation dafür noch deren Ursachen. Wesentliche Beweise sind immer noch unter strengem Verschluß.

Ein wichtiges Dokument, das vieles aufdecken würde, ist der Bericht des Bundesrechnungshofes über den "Verkauf" der Banken der DDR. Er war nicht einmal den dort Tätigen bekannt, geschweige denn der Öffentlichkeit zugänglich.

Seitdem der "Spiegel" am 23. Oktober 1995 Auszüge aus diesem Dokument veröffentlichte, herrscht Schweigen im Walde. Mit gutem Grund: Darin stehen nämlich wahre Ungeheuerlichkeiten. So habe sich die private Berliner Bank AG bei den Verhandlungen mit der Berliner Stadtbank, die u. a. auch aus der Staatsbank der DDR hervorging, eine Schadensersatzsumme von 115 Millionen DM für den Fall des Scheiterns der Fusion festschreiben lassen. Andererseits "kaufte" sie dann die Berliner Stadtbank für 49 Millionen DM und erwarb damit Ansprüche auf "Altschuldenforderungen" in Höhe von 11,5 Milliarden DM! Für die Berliner Bank AG bedeutete dies einen Profit von 10.000 Prozent.

Das Papier ist "vertraulich" und wird im Tresor des Bundestages verwahrt. Zugang hat nur eine Handvoll Abgeordneter. Diese Geheimniskrämerei hat gute Gründe: Das Dokument bescheinigt nämlich den Bonnern auf 48 Seiten ein hohes Maß an Schluderei und Unfähigkeit beim "Abwickeln" der DDR. In jahrelanger Puzzlearbeit hat der Bundesrechnungshof teure Flops und Pannen beim Verkauf der volkseigenen DDR-Geldinstitute an westdeutsche Banken zusammengetragen. Die Vorwürfe der Prüfer reichen von Verschleuderung öffentlicher Mittel in Milliardenhöhe bis zu erpresserischen Methoden.

Die Rechnungsprüfer stellten in ihrem Dossier fest, daß die Zwischenschaltung privater Banken zur Abwicklung von "Altschulden" volkseigener Betriebe der DDR die Zinshöhe enorm aufgebläht habe. Damit sei der Preis für Sicherheiten und Kredite ganz erheblich gestiegen.

Die privaten Bankhäuser konnten ihre Kreditforderungen ohne jedes Risiko erwerben. Sie erhalten über einen Ausgleichsmechanismus aus dem Bundesetat rund 98 Mrd. Mark erstattet. Die Steuerzahler kommen damit für "Altschulden" auf, die in der Regel gar keine sind. Den Privatbanken und privaten Kreditinstituten hätten zeitweilig mehrere Milliarden DM aus "doppelten Zinszahlungen" zur Verfügung gestanden, erfährt man. Teilweise kassierten sie für ein und denselben Kredit Zinsen von der Treuhandanstalt, vom Altschuldner und vom Bund.

Im Bericht des Bundesrechnungshofes heißt es weiter, die "Käufer" hätten zu Vorzugspreisen Zugang zu Filialen, zum Kundenstamm und zu den Immobilien der DDR-Banken erhalten. So "erwarb" z. B. die Deutsche Bank Anteile der ehemaligen "Deutschen Kreditbank" (DKB) samt 112 Niederlassungen für lediglich 310 Millionen Mark. Die Rechnungsprüfer bezeichneten das als einen "unangemessen niedrigen Kaufpreis". Für 41 Grundstücke mit Gebäuden aus früherem Besitz der Deutschen Kreditbank AG - der ehemaligen Staatsbank der DDR - zahlte eine Tochter der Dresdner Bank lediglich 87,3 Millionen DM. Eine Tochter der Deutschen Bank legte für 74 Grundstücke derselben Bank nur 164,4 Millionen DM auf den Tisch. Dabei handelte es sich überwiegend um "beste Filetstücke" innerstädtischer Immobilien.

Der Bundesrechnungshof bemängelt weiter, die Geldhäuser hätten für die Reorganisation des DDR-Banksystems zu hohe Entgelte erhalten. So kassierte die Westdeutsche Landesbank Girozentrale z. B. für die "Abwicklung der Altgeschäfte" der DDR-Außenhandelsbank über die reine Kostenerstattung hinaus eine "Erfolgsprämie" von 89 Millionen DM.

Den Verfassern des brisanten Dossiers ist offenbar nicht klar gewesen, daß die angeblichen Altschulden in Wirklichkeit überhaupt keine Schulden waren, denn die vermeintlichen "Kreditverschreibungen" stellten unter DDR-Bedingungen keine Kredite im BRD-üblichen Sinne dar. Sie waren statt dessen der in den Volkseigenen Betrieben (VEB) erwirtschaftete Gewinn, der den Werktätigen zwar nicht bar ausgezahlt wurde, ihnen aber in Gestalt der großzügigen Sozialpolitik, der kostenlosen Bildung und der Kultur indirekt zugute kam. Ein erheblicher Teil wurde auch für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie für die Erweiterung der Betriebe aufgewendet. Diese Summen waren auf gar keinen Fall zurückzuzahlen, da ja das Volk selbst der Gläubiger war.

Diese vermeintlichen Kredite wurden beim Verkauf der Staatsbank einfach als angebliche Außenstände mit verkauft.

Am groteskesten ist wohl die Tatsache, daß der Staat BRD, der auf die geschilderte Weise die größten Banken gemästet und ihnen unglaubliche Schnäppchen beschert hat, sie überdies durch "Bankenrettungspakete" zusätzlich "stabilisierte". Schwächere Kreditinstitute, denen solche Vorteile nicht zugute kamen, wurden gnadenlos niederkonkurriert.

Der Bundesrechnungshof gelangte zu dem Ergebnis: "Die direkte Übernahme der Altschulden in den Bundeshaushalt wäre um etliche Milliarden günstiger gewesen als der Umweg über ein teures Schuldenkarussell mit privaten Geschäftsbanken." ("Spiegel" a.a.O.)

Das Dokument der Rechnungsprüfer könnte erhebliche Auswirkungen auf den künftigen Umgang mit "Altschulden" im Osten haben. Wohnungsbaugesellschaften, Rechtsnachfolger von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, einstige Treuhandbetriebe und Kommunen stehen bei den Banken mit fiktiven Milliardensummen aus alten Zeiten in der Kreide. Tilgung und Zinsen für solche "Altkredite" haben dem vielgepriesenen "Aufschwung Ost" systematisch den Weg verlegt.

Verantwortungsbewußte Bundestagsabgeordnete sollten dieses Thema möglichst rasch noch einmal aufgreifen. Die Rechnungsprüfer geben ihnen dabei Rückendeckung. Noch sei nicht ausgemacht, schreiben sie in ihrem Bericht, ob der Bund nicht selbst für diese Schulden aufkommen müsse, um die Betriebe vor einer Pleitewelle zu bewahren.

Dr. Helga-Helena Liebecke, Berlin

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Pumpspeicherwerk Markersbach - eine fette Beute der Kapitalisten

Wo einst 22.000 Erbauer mit anpackten ...

Der Standort des Pumpspeicherwerkes Markersbach (PSW) soll auf ingenieurtechnische Erkenntnisse aus den 30er Jahren zurückgehen. Der Bau wurde damals jedoch nicht mehr in Angriff genommen, weil die Hitlerfaschisten alle Kräfte auf Vorbereitungen für den Zweiten Weltkrieg konzentrierten.

Zu Zeiten der DDR wurde der Gedanke wieder aufgegriffen. Auf den Abschluß der Erkundungsarbeiten in den 60er Jahren folgte 1970 die Errichtung des PSW. Das gewaltige Objekt konnte 1980 fertiggestellt und übergeben werden. Dem Vernehmen nach wird das PSW heute vom Energiekonzern Vattenfall privatwirtschaftlich betrieben.

Bei Baubeginn fungierte als Generalauftragnehmer (GAN) das Volkseigene Kombinat Kraftwerksanlagenbau Berlin. In der "Hierarchie" der ihm Nachgeordneten gab es mindestens vier Hauptauftragnehmer (HAN) - den VEB Schachtbau Nordhausen, den VEB Wasserbau Weimar, den VEB Bau- und Montagekombinat Süd sowie das gleichfalls volkseigene Skoda-Werk in Brno (CSSR), das für die Herstellung und Installation der Wasserturbinen verantwortlich zeichnete.

Um die Dimension des Vorhabens anzudeuten, sei hinzugefügt, daß jeder HAN wiederum mehrere Nachauftragnehmer hatte. Insgesamt waren in der Bauphase rund 22.000 Arbeitskräfte beteiligt. Zu den ersten Gebäuden, die entstanden, gehörte ein Verwaltungs- und Sozialtrakt mit eigener Großküche, Speisesaal, Büroräumen des späteren Betreibers und einer Waschkaue für die Untertagearbeiter. Eine neue Umgehungsstraße vom Verladebahnhof Grünstädtel zur Baustelle, die heute durch Markersbach führt, stand ebenfalls auf dem Programm.

Überdies ging es damals um die Schaffung von Arbeiterwohnunterkünften in Raschau und Schwarzenberg sowie den Bau eines achtgeschossigen Bettenhauses mit eigener Großküche am Oberbecken. Das Bettenhaus sollte später vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) als Ferienobjekt genutzt werden, wurde aber nach der Konterrevolution sehr bald abgerissen.

In der Anfangsphase ging es auch um die Täufung eines sogenannten Hilfsstollens. Von diesem aus wurde die etwa 100 Meter unter der Erdoberfläche liegende Kaverne für das dort ebenfalls befindliche Maschinenhaus eingerichtet.

Die anfallende Gesteinsmasse transportierten sowjetische 16-Tonnen-Lkw vom Typ Krass zur Aufschüttung des Unterbecken-Dammes ab. Von der Kaverne aus wurden mit einer Steigung von ca. 35 Grad zwei Tunnel für die Aufnahme der Triebwasserleitungen aufgefahren. Eine von ihnen war für jeweils drei Turbinen vorgesehen, von denen insgesamt sechs installiert wurden.

Die Leitungen wiederum teilten sich in der Kaverne in drei Zuflußrohre für die Turbinen. Sie waren mit jeweils drei Kugelschiebern verschließbar. Ein einziger davon wog 60 Tonnen. Die Triebwasserleitungen vom Oberbecken zur Kaverne hatten einen Durchmesser von sechs Metern. Sie bestanden aus sowjetischem Stahl.

In einer extra dafür bestimmten Werkhalle am Oberbecken wurden die Rohrsegmente gefertigt. Man brachte sie dann auf Flugzeugfahrwerken in das Oberbecken. Auf Eisenbahnschienen wurden sie in die Tunnel zu Tal gelassen und von unten verschweißt. Das Unterbecken sollte etwa 6,5 Mill. m⅓ Wasser und das Oberbecken 4,5 Mill. m⅓ speichern.

Die Fertigstellung der Anlagen untertage wurde vom VEB Schachtbau Nordhausen vollbracht. Dieser wiederum besaß einen polnischen Nachauftragnehmer. Es handelte sich dabei um eine Bergbaufirma aus der Gegend von Katowice. Auch österreichische Tunnelbauer sollen in Markersbach tätig gewesen sein, vor allem als Berater.

Die Kraftwerksturbinen stammten vom Kombinat Blansko (CSSR) und waren ein Prototyp, der sich von den früheren Turbinen für die Beförderung des Wassers in ähnliche Oberbecken unterschied. Dazu wurden gesonderte Pumpen benötigt. Die Turbinen erzeugten Strom, und im entgegengesetzten Lauf entnahmen sie ihn aus dem Netz und pumpten das Wasser damit in das Oberbecken.

Pumpspeicherwerke wirken wie große Akkumulatoren. Des nachts wird der überschüssige Strom, um die Kohlekraftwerke nicht zurückfahren zu müssen, dafür verwendet, die riesigen Pumpen in Aktion treten zu lassen, wodurch das Wasser aus dem Unterbecken in das Oberbecken geleitet und den Generatoren zugeführt wird, um diese zur Stromerzeugung anzutreiben. Für die DDR-Volkswirtschaft war das deshalb von außerordentlicher Bedeutung, verfügte man doch so in den Spitzenzeiten über eine enorme Kraftreserve.

Nach der konterrevolutionären Wende wurde das PSW Markersbach wie alles andere vom Volk der DDR Geschaffene fast über Nacht privatisiert und den kapitalistischen Haien in den Rachen geworfen.

Ich habe diesen Bericht geschrieben, um jüngeren Generationen vor Augen zu führen, wie gigantisch der Raubzug der "Ritter der Wiedervereinigung" gewesen ist.

Manfred Schwallmann, Schwarzenberg

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Erlebnisse eines erfahrenen DDR-Diplomaten (4 und Schluß)

Heinz Birch erzählt

Wieder gingen Jahre ins Land, ohne daß ich von Mr. Meyer etwas gesehen oder gehört hätte. Nach Abschluß meiner Tätigkeit in Indien war ich Stellvertreter des Leiters der Abteilung USA-Kanada-Japan-Australien-Neuseeland im DDR-Außenministerium. In dieser Zeit lernte ich viele US-Diplomaten neu kennen. Die Lage hatte sich verändert, und die Steifheit früherer Jahre war etwas gewichen. Man versuchte nicht mehr, sich möglichst aus dem Wege zu gehen.

In der einen oder anderen Frage gab es sogar Ansätze zur Zusammenarbeit. Aber Freunde konnten wir nicht werden, wußten wir doch, daß das erklärte Ziel der USA-Politik nach wie vor darin bestand, den Status quo zu überwinden, was die Beseitigung der DDR und des Sozialismus bedeutete.

Nach langen und zähen Verhandlungen erzielten wir einen Fortschritt in den Beziehungen mit Kanada. Sein Botschafter in Warschau, Alan McLain, der zugleich in Berlin akkreditiert war, hatte maßgeblichen Anteil daran, daß wir Anfang 1988 in Ottawa eine Botschaft errichten konnten. Im Februar traten Lilo und ich die Reise dorthin an. Kurz danach wurde ich als Botschafter akkreditiert. So hatten wir das Glück, noch zu den Olympischen Winterspielen in Calgary fahren zu können. Danach aber begann der Alltag des diplomatischen Lebens in Kanada.

Den Regeln des Protokolls entsprechend standen in den ersten Monaten die Antrittsbesuche bei den anderen Botschaftern an. Das führte mich eines Tages auch zum Leiter der Vertretung der Vereinigten Staaten. Der Leser wird bereits ahnen, wer mich dort erwartete.

Die USA-Botschaft befand sich in einem imposanten alten Gebäude mit einem weit ausladenden Portal. Die prächtigen Arbeitsräume meines Amtskollegen befanden sich im 1. Stock. Für einen Mann seines Ranges und den Repräsentanten einer Weltmacht ziemte es sich offensichtlich nicht, mich - wie üblich - am Eingang des Hauses selbst zu begrüßen. Dazu hatte er seine Leute. Ich fuhr in unserer Staatskarosse vor, stieg aus, das Portal öffnete sich, und wer stand - zu meinem Empfang angetreten - vor mir? Mr. Meyer hieß mich willkommen, als ob es das Normalste auf der Welt wäre, daß ausgerechnet er es sein mußte, der mir auf exterritorialem Gebiet der USA in Kanada als erster die Hand schütteln durfte. Er plauderte munter drauf los, als wir die Stufen zum Arbeitszimmer des Botschafters emporstiegen, erzählte begeistert von seiner Zeit in Israel und freute sich - zumindest verbal - über das erneute Wiedersehen. Er halte es für ein Wunder, daß man sich nach so langer Zeit wiederbegegne. Sicher hätten wir noch viele Gelegenheiten, einander zu sehen.

An ein Wunder glaubte ich in diesem Moment allerdings nicht und meinte, an seinen Augen ablesen zu können, daß Mr. Meyers Euphorie über diesen "Zufall" vorgetäuscht war. Was seinen Wunsch in bezug auf "viele Gelegenheiten des Wiedersehens" betraf, hatte ich keinerlei eigene Wünsche, jedenfalls nicht solche, die den seinen hätten entsprechen können.

Sicher war ich nicht der Nabel der Welt, und Mr. Meyer erfüllte bestimmt Aufgaben vielfältiger Natur, die wohl kaum auf mich als Person ausgerichtet sein konnten. Dennoch erschien es mir schon recht merkwürdig, daß ich ihn nun wiederum dort vorfand, wo ich meine Aufgaben für die DDR zu versehen hatte. Ein bißchen erinnerte das Ganze an die Geschichte vom Hasen und vom Igel. Nur rief mir Mr. Meyer nicht entgegen: "Ich bin schon hier!" Nein, er betonte natürlich stets den Zufall. Aber unverhofft dürfte das alles wohl kaum gewesen sein!

Aus seinem Westberliner Nest heraus hatte sich Mr. Meyer einige Kenntnisse über die DDR und die Mentalität ihrer Menschen aneignen können, was ihn in den Augen der CIA offensichtlich dafür prädestinierte, gezielt zu beobachten, auf welchem Gebiet in Kanada die Interessen und Aktivitäten des sozialistischen deutschen Staates liegen würden. Wir waren also gewarnt und wußten, daß in der Botschaft der USA jemand saß, für den wir - die Mitarbeiter der Botschaft der DDR und zugleich auch unsere kanadischen Partner - von einem gewissen Interesse sein durften.

Manchmal begegnete ich Mr. Meyer in Ottawa auf Empfängen, konnte ihn aber meist auf Distanz halten, was nicht bedeutete, daß ich ihm damit immer zu entkommen vermochte.

Als Diplomat unterhält man Kontakte der verschiedensten Art. Es gibt Menschen, mit denen man gern zusammentrifft. So freut man sich, ihnen wieder und wieder zu begegnen. In manchen Fällen ergeben sich daraus durchaus von Sympathie getragene Beziehungen, die an Freundschaft grenzen. Aber selbst in solchen Situationen darf man die gebotene Vorsicht nicht außer acht lassen. Schließlich befanden wir uns in Kanada, also - bei aller Freundlichkeit der Menschen und der Höflichkeit seiner Politiker, Parlamentarier und Beamten - nicht in einem verbündeten Land.

Während unserer Tätigkeit in Ottawa spürten wir natürlich die Spannungen, die sich aus dem Kampf der Systeme ergaben. Besonders deutlich wurde das in der Zeit zwischen November/Dezember 1989 und der Volkskammerwahl am 18. März 1990. Mit ihr wurde de facto das Erlöschen der staatlichen Existenz der DDR eingeleitet, in der sich meine berufliche Entwicklung bis zum Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter vollzogen hatte. Nun wurde deutlicher denn je, wer und wo unsere Freunde waren. Zugleich verstärkten sich die Anfeindungen - bis hin zu Drohungen.

Mr. Meyer wird es gefreut haben, als wir mit dem Niedergang der DDR aus Kanada abzuziehen gezwungen waren. Vermutlich hat er es als Sieg, zumindest aber als Teilerfolg auch seiner Aktivitäten betrachtet. Man kann in diesem Fall nur Mutmaßungen anstellen. Wo immer er danach tätig gewesen ist - es dürfte wohl kaum im Interesse einfacher Menschen gelegen haben. Hinter seiner Maske der Freundlichkeit verbarg sich die Gesinnung eines Mannes, der die aggressiven Ziele und Absichten seiner Auftraggeber umsetzte.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten Europas sind diese Ziele noch deutlicher hervorgetreten. Sie haben zu Kriegen auf dem Balkan, in Afghanistan und Irak, zu katastrophalen Entwicklungen in Afrika, zum Niedergang der Kultur und des Humanismus geführt. Doch eines Tages werden positive Veränderungen im Kräfteverhältnis auch in unserem Teil der Welt erzwungen werden, gegen welche die "Meyers" machtlos sein dürften. Davon bin ich zutiefst überzeugt, auch wenn Menschen meiner Generation das sicher nicht mehr erleben werden.

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Zur kurzen Geschichte der Meinungsforschung in der DDR

Enttäuschte Erwartungen

Umfragen sind heutzutage in aller Munde. Gerade vor Wahlen haben sie Hochkonjunktur. Das war nicht immer und überall so. Wer weiß denn noch etwas von der Existenz eines Instituts für Meinungsforschung in der DDR? Ich will auch deswegen an das diesjährige 50. Jubiläum der Gründung dieses Instituts erinnern, weil es exemplarisch für die politische und wissenschaftliche Aufbruchsphase in der DDR steht.

Das Folgende ist meine persönliche Sicht auf das 1964 unter dem Dach des ZK der SED gegründete Institut, dessen Mitarbeiter ich von 1972 bis zu seiner abrupten Auflösung Anfang 1979 gewesen bin. Danach war eine weitere Beschäftigung mit dieser Thematik für mich wie für alle anderen dort tätig Gewesenen leider weder möglich noch erwünscht.

Das Kapitel Meinungsforschung in der DDR gehört zum Reservoir jener vertanen Chancen, die von großen Hoffnungen getragen waren und bitter enttäuscht wurden. Das geschah lange vor dem Untergang des Staates. An die uns bei der unrühmlichen Schließung des Instituts abverlangte Schweigeerklärung hatte ich mich wie alle anderen auch bis 1989 gehalten, habe danach aber dem Historiker Prof. Heinz Niemann mit Informationen und Dokumenten bei dessen Veröffentlichungen über das Institut zur Seite gestanden. Er stellt die Arbeit des Instituts sachlich dar. Sein Hauptverdienst besteht darin, daß er dessen Berichte, die einer vom Politbüro angewiesenen Vernichtung entgingen, publik gemacht hat.

Die von ihm dokumentierten Materialien betrachte ich als einen Glücksfall für die zeitgeschichtliche Analyse. Als das erste Buch "Meinungsforschung in der DDR - die geheimen Berichte des Instituts für Meinungsforschung an das Politbüro der SED" im Jahre 1993 erschien, löste das begreiflicherweise ein lebhaftes Medien-Echo aus. Als dann zwei Jahre später "Hinterm Zaun - Politische Kultur und Meinungsforschung in der DDR" herauskam, blieb es schon deutlich ruhiger.

Das "Geheimnisumwitterte" des Instituts beruht nicht nur auf seiner plötzlichen, nie gründlich geklärten Schließung. Der mir vorliegende ZK-Beschluß zur "Beendigung der Tätigkeit des Instituts" war so geheim, daß er nicht einmal an alle Mitglieder des Politbüros ging. Im Text gibt es keinerlei Begründung für die getroffene Entscheidung.

Damals waren alle Umfragen als "Streng vertraulich" oder "Vertrauliche Verschlußsache" gekennzeichnet. Es gab und gibt bis heute widersprüchliche Interpretationen zu deren Wert. Das läßt sich auch nicht mehr klären, da mit 25 erhalten gebliebenen Berichten nur etwa 10 % der gesamten Umfrageergebnisse nach 1989 verstreut in Akten einzelner Politbüromitglieder aufgefunden und bewertet werden konnten.

Zur Gesamtzahl gibt es unterschiedliche Angaben. In der mir vorliegenden Archivierungsliste von 1979 ist von 268 Meinungssondierungen, bei denen fast 6000 Fragen an eine halbe Million Menschen gestellt wurden, die Rede.

Doch zurück zur Gründung des Instituts, die auf einem Beschluß des Sekretariats des ZK der SED vom 22. April 1964 beruhte. Sie ordnet sich in die Periode der Einführung einer umfassenden Wirtschafts- und Wissenschaftsreform unter der Bezeichnung Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft ein.

Es wurde 1963 - also nach dem VI. Parteitag der SED - auf die Tagesordnung gesetzt. In diesem Rahmen sollte eine wissenschaftlich exakte Meinungsforschung anhand repräsentativer Umfragen mehr zuverlässige Informationen zur Stimmung der DDR-Bürger liefern, als das mit den bis dahin üblichen Instrumenten des staatlichen und parteiinternen Berichtswesens möglich war. Bei den Beteiligten herrschte damals Klarheit darüber, daß mit unserem Institut absolutes Neuland betreten wurde. Keiner aus der Gründungsmannschaft kam aus der Soziologie, die damals bei uns ohnehin noch in den Kinderschuhen steckte. Es mußten also zunächst methodische und technische Grundlagen erarbeitet, Probebefragungen vorbereitet, ehrenamtliche Interviewer ausgewählt und geschult werden. Das begann im Juni 1964, während der 1. Soziologiekongreß der DDR erst 1969 stattfand.

Diese Art der Meinungsforschung war als ein Informations- und Analyseinstrument der Parteiführung gedacht und sollte das Erkenntnismonopol der Partei unterstreichen, weshalb sie auch direkt dem Politbüro unterstellt war. Das gab dem Institut eine besondere Position und verlieh ihm in manchen Augen sogar einen "von oben kommenden Heiligenschein". Wir wähnten uns damit unangreifbar, was sich indes als Illusion herausstellte. Im Gründungsbeschluß hieß es: "Die Leitung des Instituts erhält ihre Anleitung und ihre Aufträge vom Politbüro." Das damit parteieigene Institut unterstand anfangs Albert Norden, ab 1967 Werner Lamberz, dessen Tod bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen (1978) zugleich auch der Sargnagel für das Institut war. Das Politbüromitglied Lamberz - für einen weiteren steilen Aufstieg vorgesehen - war ein gebildeter Funktionär, bei dem wir uns gut aufgehoben fühlten. Allerdings setzte auch er die Umfrageergebnisse vorrangig als "Panzerschrankwissen" zur Sicherung seiner eigenen Position ein. Er allein entschied, an wen die Ergebnisberichte gehen sollten - an das gesamte Politbüro oder nur an einzelne Mitglieder und ausgewählte Abteilungen des ZK. Wir gehörten damit zu seiner "Hausmacht".

Die Meinungsforschung in der DDR war als Teil des politischen und ideologischen Instrumentariums der SED den Schwankungen der Tagespolitik ausgesetzt. An denen ist sie auch gescheitert. Walter Ulbricht wollte sich als einer der Gründerväter des Instituts auf exakte Kenntnisse zur Massenstimmung stützen, was unter Erich Honecker zunehmend nicht mehr der Fall war. In seiner Zeit wurde das IfM dann auch klamm und heimlich "abgewickelt".

Fazit: Trotz aller Professionalität des Instituts besaßen dessen Umfragen leider nur eine geringe politische Wirkung und verfehlten so ihr eigentliches Ziel.

Dr. Hans Erxleben, Berlin

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Wie ausgeschaltetes Denken zu mechanischen Reflexen führt

Über papageienhaftes Nachplappern

Wie allgemein bekannt, ist das Gehirn ein enorm wichtiges Organ, komplexer, komplizierter als alle übrigen. Aber eben auch nur ein Organ. Deshalb braucht es wie der übrige Körper regelmäßige Beanspruchung. Es wächst gewissermaßen mit seinen Aufgaben. Ein angeborener hoher IQ schützt nicht vor Dummheit, wenn er nicht zum Denken und Lernen genutzt wird.

Immer wieder fasziniert mich der Widerspruch: Wieso glauben und reden kluge und sogar hochintelligente Menschen so offenkundigen Unsinn? Möglicherweise erreichen die Informationen, die sie aufnehmen, nur eine relativ niedrige Stufe ihres Gehirns, so daß sie lediglich verbal verstanden werden. Wenn solche Informationen nun tiefer eindringen möchten, um sich mit Inhalt, Bedeutung und anderen Dingen auseinanderzusetzen ist die "Tür zu".

Warum? Weil diese Menschen zu eigenständigen Überlegungen zu bequem sind, selbst wenn sie vom angeborenen Intellekt her durchaus dazu fähig wären. Sie beschränken sich vor allem beim Gehörten darauf, einige gängige Vokabeln oder Redewendungen im Gedächtnis zu speichern und bei passender Gelegenheit von sich zu geben.

Ein Beispiel unter vielen ist die derzeit häufig gebrauchte Redewendung "Das war noch in tiefster DDR." Die meisten einstigen DDR-Bürger wollen damit nur ausdrücken, daß ein Ereignis etliche Jahrzehnte zurückliegt. Um "in" zu sein, akzeptieren sie, damit aber zu signalisieren, daß sie damals in der DDR kulturell, wirtschaftlich, sozial und wissenschaftlich auf niedrigstem Niveau gelebt haben sollen. Nicht wenige von ihnen unternahmen in den letzten 20 Jahren halbe Weltreisen, häufig dank ihrer Ersparnisse aus der "tiefsten DDR". Sie haben die Not der Menschen in Afrika, Asien, Lateinamerika, ihre Elendshütten, in denen sie ohne Strom, Kanalisation und sauberes Wasser leben müssen, in Augenschein genommen. Wenn man sich mit dieser sozialen Rückständigkeit nur so weit befaßt, wie es ein Urlaubsfoto erfordert, dann fällt einem der Unterschied zur "tiefsten DDR" mit ihrer sozialen Sicherheit, ihrer hohen Kultur, ihren unentgeltlichen Bildungschancen für alle und vielem anderem möglicherweise gar nicht mehr auf. Denn jeder Mensch, der nicht selber denkt, ist in erheblichem Maße manipulierbar, bis er kein Individuum mit eigenständigen Gedanken, Ansichten und Gefühlen mehr ist.

Wenn ich mich täglich mehrmals vor den Käfig meines Papageis stelle und ihm immer wieder denselben Satz vorspreche, wird er eines Tages bei meinem Anblick krächzen "Lori ist Muttis Liebling". Dabei hat er nicht die geringste Ahnung was dieser Satz bedeutet. Begriffen hat er nur die Erwartungshaltung und die positive Reaktion, wenn er sie erfüllt. Schon bald darauf gibt Lori ihren Satz unaufgefordert von sich, wenn auch nur irgend jemand in ihre Sichtweite kommt.

Heute scheint es mir so, als sei die DDR voller "Loris" gewesen. Die Platitüden werden ihnen von Medien vorgegeben. Sie lernen sie auswendig, und wenn sie Gesprächspartnern begegnen, lassen sie ihre Sprüche ganz automatisch vom Stapel. Dabei ist es ihnen wie Lori egal, mit wem sie über was sprechen. Das ist ebenfalls nicht mehr als eine Reaktion, von der sie glauben, daß sie von ihnen erwartet wird und ohne die man sie nicht für voll nehmen würde.

Fidel Castro hat das in einem Interview mit Ignacio Ramonet wunderbar formuliert: "Als die Massenmedien aufkamen, haben sie sich des Geistes bemächtigt, und sie steuern nicht nur Lügen, sondern auch konditionierte Reflexe. Eine Lüge ist nicht das gleiche wie ein konditionierter Reflex. Die Lüge beeinträchtigt das Wissen, der konditionierte Reflex aber die Fähigkeit zu denken. Und es ist nicht das gleiche, ob man desinformiert ist oder ob man das Denkvermögen verloren hat, weil die Reflexe deinen Verstand beherrschen: 'Der Sozialismus ist schlecht, der Sozialismus ist schlecht, er nimmt dir das Sorgerecht, er nimmt dir das Haus, er nimmt dir die Frau.' Und alle Unwissenden, alle Analphabeten, alle Armen und Ausgebeuteten wiederholen: 'Der Sozialismus ist schlecht, der Sozialismus ist schlecht.'"

Die Tatsache, daß Fidel Castro ein Phänomen so treffend beschreibt, mit dem man in Deutschland täglich konfrontiert wird, zeigt, daß es sich dabei um eine weltweite Erscheinung handelt. Ich frage mich, wohin das alles nur führen soll. Hightech, die manchmal wie ein Wunder anmutet, und millionenfach ausgeschaltetes eigenes Denken - wie paßt das zusammen?

Eveline Sperling, Berlin

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Suhler Antifaschisten trotzen Nazi-Renaissance in der BRD

Als "Der einfache Frieden" erklang

Wie in jedem Jahr traf sich die Basisgruppe der VVN/BdA Südthüringen auch diesmal am 4. und 5. April auf dem Friedhof in Suhl-Heinrichs zu einer Gedenkveranstaltung. Im Auftrag des "Bündnisses für Demokratie, Toleranz - gegen Rechtsextremismus" sowie unserer Vereinigung pflegen mein Mann und ich ganzjährig diese Stätte des Gedenkens.

Ernst König, Erhard Schübel, Gottlieb Heß waren drei Heinrichser Bürger, die sich im aktiven Kampf gegen Faschismus und Krieg bewährt hatten und unter Hitler ermordet wurden. Ihnen und den über 200 so ums Leben gekommenen Antifaschisten der Region galt einmal mehr unsere Ehrerbietung. Zur Einstimmung vernahmen die Teilnehmer das von Gisela Steineckert geschriebene und durch Klaus Schneider vertonte Lied "Der einfache Frieden", gesungen von Gisela May. Das war ein sehr starkes emotionales Erlebnis. Unter den Anwesenden sah man Hans Schübel, den Sohn des gefallenen Widerstandskämpfers, und dessen engste Familienangehörige.

Am 4. April vor drei Jahren hatten wir - Dr. Gerd Kaiser, Elke Pudszuhn und ich - unsere Gemeinschaftspublikation "Aufrecht und stark - Frauen und Männer aus Suhl und Umgebung im Widerstand gegen Faschismus und Krieg" der Öffentlichkeit vorgestellt.

Mit 29 Lebensbildern haben wir den ermordeten Antifaschisten ein Gesicht gegeben, auch weitere 229 Helden in finsterer Zeit mit Biogrammen dem Vergessen entrissen.

Ende März/Anfang April 1945 war Suhl bereits von amerikanischen Truppen befreit. Da wuchs die Hoffnung der von hier stammenden Eingekerkerten auf ein baldiges Ende ihrer Qualen. Die Angehörigen rechneten mit einem Wiedersehen, doch schon bald folgte dem die schmerzliche Gewißheit, daß es nicht mehr dazu kommen werde.

Hans Schübel schrieb später: "Am 28. März 1945 wurde mein Vater vom 2. Senat des Volksgerichtshofes zum Tode verurteilt. Die sogenannten Richter haben Namen und Titel: SA-Obergruppenführer Günther, Kammergerichtsrat Dr. Reimers, Landgerichtsrat Welp sowie Volksgerichtsrat Dr. Koehler."

In der Nacht vom 4. zum 5. April wurde Erhard Schübel im Webicht bei Weimar erschossen. Mit ihm starben die Suhler Antifaschisten Guido Heym und Robert Gladitz. Insgesamt gingen 149 Kämpfer gegen Faschismus und Krieg diesen Weg, getötet durch Kopfschuß und in Bombentrichtern verscharrt.

Im Todesurteil wurde Erhard Schübel kommunistische Mundpropaganda, Verbreitung illegaler Schriften, Sammlung von Spenden, Herstellung organisatorischen Zusammenhalts durch politische Aussprachen sowie sonstige umstürzlerische Tätigkeit zur Last gelegt. Der Volksgerichtshof kam nicht umhin festzustellen, daß "Erhard Schübel ein geschulter Funktionär war, deshalb auch bei seinen Gesinnungsgenossen ein besonderes Ansehen genoß und schließlich auch einen Meisterposten im Betrieb bekleidete".

Den Angehörigen war weder das Todesurteil noch die Ermordung ihres Lieben in den letzten Kriegstagen bekannt. Seine Frau Marie wartete noch beim Eintreffen der Alliierten auf ihren Mann. Erst später erfuhr sie von seinem Tod. Ein Grab gibt es nicht. Auch deshalb wurde der Ort des Gedenkens geschaffen. Die Straße, in der das Wohnhaus der Schübels steht, trägt den Namen des durch die Faschisten Hingerichteten. In Suhl-Neundorf gab es eine Erhard-Schübel-Schule. Nach der Annexion der DDR wurde die Gedenktafel gestohlen.

Ernst König, dessen Namen wir ebenfalls an der Statue finden, wurde am 5. Januar 1945 zusammen mit den Widerstandskämpfern der Friedberggruppe im Lichthof des Landgerichts Weimar enthauptet. Ihm zu Ehren erhielt in Heinrichs eine Straße seinen Namen. Am 29. Mai 2010 weihten wir dort einen Stolperstein ein, der an Ernst König erinnert.

Gottlieb Heß, ein anderer durch uns Geehrter, wurde am 13. November 1943 im KZ Buchenwald ermordet. Die Heinrichser Widerstandskämpfer gehörten Gruppen an, die in ihren Wohngebieten, in Rüstungsbetrieben und auch überregional wirkten. Sie sabotierten den Nachschub für die faschistischen Truppen, verbreiteten Nachrichten ausländischer Sender über den Kriegsverlauf, verfaßten Flugblätter und halfen Kriegsgefangenen wie Zwangsarbeitern. Doch Verräter sorgten für ein jähes Ende ihrer illegalen Tätigkeit.

Einer großen Verhaftungswelle folgten Grausamkeiten aller Art. Wieviel Kraft und Standhaftigkeit haben angesichts des Terrors dazu gehört, die eigene Gesinnung nicht preiszugeben. Doch die Gefolterten und für das Schafott Bestimmten blieben sich bis zuletzt treu.

24 Jahre nach der Einverleibung der DDR durch die BRD steht auch in Thüringen von all dem kaum etwas in Geschichtsbüchern. Stauffenberg und andere Männer des 20. Juli 1944 seien fast die einzigen Widerständler gewesen, wird da behauptet. Leute aus dem Bürgertum, die lange für Hitler gekämpft hatten und erst angesichts der nahenden Niederlage des deutschen Faschismus in Aktion traten, gelten als die wahren Helden.

Uns ist es ein wichtiges Anliegen, den antifaschistischen Widerstand aufs engste mit dem heutigen Kampf gegen den wieder erstarkenden Faschismus in Deutschland und Europa zu verbinden. Vor allem die Jugend müssen wir mit der geschichtlichen Wahrheit ausrüsten. In Suhl gelang das durch die Einbeziehung von Schülern in die Ausstellung "Opfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland", die 2009 gezeigt wurde. Wir erteilten den Jugendlichen konkrete Aufträge und führten mit ihnen Seminare durch, die ihre Kenntnisse und Erkenntnisse zur Thematik erweiterten. Inzwischen kommen wir aber kaum noch in die Schulen hinein, während die Bundeswehr dort für sich und ihre Kriegseinsätze wirbt.

2011 hatten der CDU-Kreisvorsitzende und die hiesige Junge Union massiv gegen die Suhler Ausstellung der VVN/BdA Südthüringen "Neofaschismus in Deutschland" interveniert. Man entfernte ohne vorherige Ankündigung Tafeln und bezog Staatsanwaltschaft wie Polizei ein. Doch wir setzten uns durch. Die Ausstellung fand beachtliche Resonanz.

Auch bei Aufmärschen oder Kundgebungen von NPD-Mitgliedern und -Anhängern greift unsere Vernetzung: Die Gegendemonstranten wehren sich erfolgreich mit Aktionen antifaschistischen Charakters. So widersetzten wir uns auch der Hexenjagd gegen die angesehene Geschichtslehrerin Heidemarie Schwalbe, die unserem Bündnis angehört.

Suhl soll nicht länger als Waffenstadt, sondern als Stadt des Friedens gelten, wie es der Stadtrat 1991 beschlossen hatte.

Dagmar Schmidt, Suhl

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RF-Extra

Zur Kontinuität des Rechtsextremismus in Deutschland

Nicht nur in braunen Stiefeln

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Eine historische Betrachtung zum 100. Jahrestag der Entfesselung des 1. Weltkrieges

Die Schlachtbank der Völker

Am 28. Juli 1914 jährt sich zum 100. Mal der Beginn des 1. Weltkrieges. Dieser Tag wäre Anlaß genug, der Opfer zu gedenken und die Toten zu ehren, in Deutschland zu trauern.

Was aber geschieht im Vorfeld dieses Jubiläums? Ganze Heerscharen von Geschichtsfälschern sind unterwegs, um die Ursachen des großen Gemetzels zu verschleiern, vergessen zu machen, was damals und zuvor tatsächlich geschah. Über den Charakter des Krieges und die Verantwortlichen dieses bis dahin größten Völkermordens wird der Mantel des Schweigens gebreitet. Es finden dubiose Meinungssondierungen statt, die verdrängen sollen, wer diesen Krieg vom Zaun gebrochen hat. So möchte man mit der jüngsten Forsa-Umfrage eine "Kollektivschuld" aller am Krieg beteiligten Mächte konstruieren. Lesern, Hörern und Zuschauern wird durch die Medien suggeriert, Menschen aus allen 38 involvierten Nationen hätten Schuld am Krieg und dessen Folgen getragen. Bei der Verwendung des Begriffs der Nation wird natürlich ausgeblendet, daß diese stets durch Klassen, Klassengegensätze und Klassenkämpfe gespalten ist. Zwischen den Interessen der werktätigen Mehrheit und den profitgetriebenen Machtinteressen der Monopolbourgeoisie klaffen Abgründe. Das bedeutet, daß die herrschende Klasse jeder beteiligten Nation die Schuld am Krieg trug.

Solche Umfragen sind lediglich ein Bestandteil des Versuchs, den wirklichen Ablauf des Geschichtsprozesses zu entstellen und zu verfälschen.

Der 1. Weltkrieg hatte wie jeder militärische Konflikt konkrete Ursachen und einen entsprechenden Charakter. So besaß auch das 1914 begonnene Völkermorden eine Vorgeschichte, die man kennen muß, um urteilsfähig zu sein.

Klaus Steiniger traf im Leitartikel des RF 173 die Feststellung: "Kriege fallen nicht vom Himmel. Sie sind nicht 'Gottes Werk', sondern werden von Menschen gemacht, die dabei handfeste Interessen verfolgen. Vorgespiegelte Ideale oder angeblich hehre patriotische Ziele sollen nur vom großen Raubzug ablenken."

Die Hauptursachen des 1. Weltkrieges waren die ungleichmäßige ökonomische Entwicklung der kapitalistischen Staaten und die um 1900 beendete Aufteilung der Welt unter den stärksten Mächten. Das kaiserliche Deutschland war zu spät und zu kurz gekommen. Es strebte deshalb eine Neuaufteilung der Welt an. Dadurch verschärften sich die Widersprüche zwischen den entwickelten kapitalistischen Staaten. Der krasseste Gegensatz entstand zwischen Großbritannien als der führenden Kolonialmacht und dem imperialistischen Deutschland, das nicht weniger als die Weltherrschaft zu erringen trachtete. Um diese beiden Mächte bildeten sich aggressive Blöcke: die Mittelmächte mit Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien, dem sogenannten Dreibund. Später kamen hierzu noch die Türkei und Bulgarien. Der Gegenpol war die Entente mit Großbritannien, Frankreich und Italien, das die militärischen Blöcke gewechselt hatte, Rußland und Japan. Auf seiten der Entente standen im 1. Weltkrieg insgesamt 27 Staaten.

Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt begann mit der Vorgeschichte dieses gigantischen Zusammenpralls. Dazu zählt zweifellos die als Boxeraufstand bekanntgewordene chinesische Massenerhebung von 1900/1901. Sie richtete sich gegen die Truppen der konkurrierenden Staaten Rußland, England, Frankreich, Japan, USA und Deutschland sowie die von ihnen ausgehende koloniale Unterdrückung. Die am Aufstand Beteiligten sahen sich 40.000 schwerbewaffneten Soldaten der erwähnten Mächte gegenüber, die eine grausame Strafexpedition vollzogen. Bekannt ist der als "Hunnenrede" in die Geschichte eingegangene Appell Kaiser Wilhelms II., in China wie einst die Hunnen zu wüten.

1904/1905 fand der Russisch-Japanische Krieg statt, bei dem es um die Vorherrschaft in Ostasien ging, besonders in der Mandschurei.

1905 kam es zur ersten "Marokkokrise". Ziel der deutschen Imperialisten war es, ihre französischen Konkurrenten aus dem nordafrikanischen Maghreb zu verdrängen. Ihr Vorhaben scheiterte, da Frankreich von Großbritannien und Italien Unterstützung erhielt.

1911 folgte die zweite "Marokkokrise", die ebenfalls zum Anwachsen der Kriegsgefahr beitrug.

Beim 1. Balkankrieg (Oktober 1912 bis Mai 1913) kreuzten sich die politischen und ökonomischen Interessen nahezu aller imperialistischen Staaten. Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro brachten der Türkei eine schwere Niederlage bei und setzten der byzantinischen Herrschaft in weiten Regionen ein Ende.

Im 2. Balkankrieg (Juni/Juli 1913) erlitt Bulgarien eine Niederlage gegen Serbien, Rumänien, Griechenland und die Türkei. Der Balkan war zu einem "Pulverfaß" geworden. Ein einziger Funke konnte den Weltbrand auslösen.

Die deutschen Imperialisten und Militaristen betrieben vor 1914 eine umfangreiche ideologische Kriegsvorbereitung, wobei sie Schulen, Universitäten, Theater, Kirchen und vor allem die Presse in ihren Dienst zu stellen suchten. Um die Volksmassen für einen Eroberungskrieg einspannen zu können, wurden den Chauvinismus anheizende Propagandazentralen wie der Alldeutsche Verband, die Deutsche Kolonialgesellschaft, der Ostmarkverein, der Deutsche Flottenverein, der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie, der Deutsche Wehrverein und zahlreiche Kriegervereine ins Leben gerufen.

Die psychologische Kriegsvorbereitung ging mit verstärkter Aufrüstung einher. Die deutschen Waffenschmieden wurden enorm aufgestockt. Mit den Flottengesetzen von 1898 und 1900 begann auch das Wettrüsten zur See, welches insbesondere den Konflikt mit Großbritannien verschärfte. Von 1902 bis 1913/14 stiegen die Ausgaben für Kriegsgerät und Munition von 965 Mio. Mark auf 2,11 Mrd. Mark an. Worin bestanden die Absichten und Ziele der Kontrahenten des drohenden großen Zusammenpralls?

Deutschland: Vorherrschaft auf dem Weltmarkt. Erweiterung des Kolonialbesitzes, Annexion fremder Gebiete östlich und westlich der Reichsgrenze. Herabdrücken verbleibender Nachbarstaaten auf den Status von Vasallen.

Großbritannien: Inbesitznahme der deutschen Kolonien. Beseitigung von dort ausgehender Konkurrenz. Erbeutung der deutschen Handelsflotte, Aufteilung der Türkei.

Frankreich: Vereinnahmung Elsaß-Lothringens und des Gebiets an der Saar. Zugriff auf deutsche Kolonien. Zerstückelung des Mutterlandes. Aufteilung der Türkei und Syriens.

Rußland: Vorherrschaft auf dem Balkan. Aufteilung der Türkei mit Zugriff auf die Dardanellen. Vereinnahmung Ostgaliziens.

Die herrschenden Klassen aller erwähnten imperialistischen Mächte wollten den Krieg. Es fehlte nur noch der Anlaß, um losschlagen zu können. Er fand sich. Am 28. Juni 1914 wurde der österreichisch-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo durch ein Attentat serbischer Nationalisten getötet.

Seitdem wird der Anlaß oftmals als Ursache ausgegeben. Es bedurfte indes des Zeitraums von 30 Tagen, um den Krieg zu beginnen. Österreichs Regierung mußte sich erst der Unterstützung Berlins vergewissern. Am 28. Juli erklärte die k.u.k.-Monarchie Serbien den Krieg. Jetzt begann das Räderwerk der Militärbündnisse zu arbeiten. Dabei griff Reichskanzler von Bethmann-Hollweg, der bereits am 9. September 1914 Berlins Kriegsziele formuliert hatte, zu einer Geschichtslüge.

Er erklärte, daß Rußland der Schuldige sei. Bereits am 30. Juli 1914 aber hatte Moltke, der Chef des deutschen Generalstabs, die österreichisch-ungarische Monarchie gedrängt, sofort gegen Rußland mobil zu machen. Die These von der "russischen Gefahr" wurde zum Hauptargument sowohl der kaiserlichen Regierung als auch des opportunistischen Flügels der deutschen Sozialdemokratie.

Am 31. Juli erfolgte die Mobilmachung in Österreich-Ungarn und in Deutschland, am 1. August in Frankreich sowie die Kriegserklärung Deutschlands an Rußland. Am 3. August erklärte Berlin dem Nachbarland Frankreich den Krieg. Am 4. August begann der Einfall der deutschen Truppen in das neutrale Belgien, um die Blitzkriegsstrategie des sogenannten Schlieffen-Planes umzusetzen. Die Verletzung der belgischen Neutralität bot England den Anlaß zum Kriegseintritt. Am 6. August erklärte Österreich-Ungarn dem russischen Zarenreich den Krieg. Serbien tat das gegenüber Deutschland, Montenegro gegenüber Österreich-Ungarn und Deutschland, während Frankreich und England am 12. August den gleichen Schritt in bezug auf Österreich-Ungarn unternahmen.

Da die deutsche Öffentlichkeit von der kaiserlichen Regierung nur einseitig und falsch unterrichtet wurde, ließ sich die Mehrheit des Volkes angesichts der augenscheinlich ungünstigen Mächtekonstellation die Notwendigkeit einer Vaterlandsverteidigung einreden. Die SPD-Führung verkündete ebenfalls, der Krieg sei angesichts der Haltung Rußlands unvermeidlich geworden.

Das löste beim überwiegenden Teil des jahrzehntelang nationalistisch und militaristisch indoktrinierten deutschen Volkes chauvinistische Kriegsbegeisterung aus. Doch die Bilanz war furchtbar: Die Regierungen der 38 beteiligten Staaten führten insgesamt 23 Millionen Soldaten der Mittelmächte und die Entente 42 Millionen Mann in das bis dahin größte "Menschenschlachthaus" Europas. 8,1 Millionen Soldaten überlebten den Wahnsinn nicht.

Grenzenloses Leid verbirgt sich hinter diesen Zahlen. 18,9 Millionen Verwundete kehrten zwar zu ihren Familien zurück, doch ein großer Teil von ihnen starb an den Folgen ihrer Kriegsverletzungen.

Der 1899 geborene und am 22.9.1918 in Frankreich gefallene Bruder meiner Großmutter schickte kurz vor der Vereidigung seiner Einheit eine Postkarte zu den Eltern in Staßfurt. Darauf stand: "Die herzlichsten Grüße von hier sendet Euch Euer Paul. Morgen werden wir vereidigt. Haben heute Scharfschießen gehabt. Habe 10,11,12 geschossen, also der beste Schütze mit. Dafür kriegen wir Urlaub ..." Am Tage seines Todes schrieb er: "Liebe Eltern und Geschwister! Teile Euch mit, daß ich noch gesund und munter bin. Wir liegen jetzt den Franzosen, Schwarzen und Amerikanern gegenüber. Rücken heute wieder in Stellung. ... Wenn es auch schwere Stunden gibt, so hoffe ich doch alles glücklich zu überstehen, denn einmal muß der Krieg doch vorbei sein ... Auf Wiedersehen." Welche Ironie des Schicksals!

Es gab kein Wiedersehen. Die Eltern konnten das Grab ihres Sohnes niemals besuchen. Unwillkürlich fragt man sich: Was hatten ihm die Franzosen getan? Was hatte er dort zu suchen? Wer hat ihn dort hingeschickt? Er kannte Frankreich nur aus dem Erdkundeunterricht. Was er allerdings in der Schulstube auch gehört hatte, war "... Jeder Stoß ein Franzos." Welche Menschenverachtung!

Wenn man aus Anlaß des 100. Jahrestages des Beginns des 1. Weltkrieges den Versuch einer Aufhellung des objektiven Geschichtsverlaufs mit Ursachen, Wirkungen und Folgen für die Menschen unternimmt, dann handelt es sich dabei nicht schlechthin um Nostalgie. Es gilt, aus der unglückseligen deutschen Vergangenheit endlich die richtigen Schlußfolgerungen ziehen und zu verhindern, daß Kinder und Enkelkinder 100 Jahre nach dem Schreckensdatum von 1914 und 75 Jahre nach der Entfesselung des 2. Weltkrieges erneut Kanonenfutter der Kriegsparteien werden.

Das 20. Jahrhundert ging als eines der verheerendsten Centennien in die Geschichte ein. Zwei Weltkriege und unzählige mörderische Konflikte regionaler oder lokaler Dimension gehören zu seiner Chronik. Ein Weltkrieg im 21. Jahrhundert hätte angesichts der modernen Waffentechnik und des Vorhandenseins atomarer Massenvernichtungsmittel noch weitaus schlimmere Folgen. Er würde die Existenz der ganzen Menschheit aufs Spiel setzen. Doch der Kapitalismus vermag dem zur Methode gewordenen Wahnsinn nicht Einhalt zu gebieten. Noch immer sind Millionen Arbeiter weltweit in Rüstungsbetrieben beschäftigt.

Und auch das sollte man nicht außer acht lassen: Im 1. Weltkrieg waren 5 % der Getöteten Zivilisten, im 2. Weltkrieg stieg deren Anteil auf 48 %! Im Koreakrieg ging man sogar von 84 % und im Vietnamkrieg von 92 % getöteten Zivilisten aus.

Die Regierung der BRD hat aus all dem nichts gelernt. Während sie einerseits eine rigorose Sparpolitik verfolgt und die Sozialausgaben kürzt, verhält sie sich andererseits gegenüber der Rüstungsindustrie mehr als "kulant". 1980 betrugen die Militärausgaben im Weltmaßstab 110 Dollar pro Kopf. Seitdem sind sie unaufhörlich weiter gestiegen. 1996 fanden 25 regionale Kriege statt, 2013 waren es nicht weniger. Und die BRD bekundet - gleich mit welcher Regierung - stets ihre Bereitschaft, alle militärischen Interventionen und Einzelaktionen der NATO, ob in Kosovo, Afghanistan oder derzeit erneut in Afrika, zu unterstützen.

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 verlangte Bundespräsident Gauck in seiner Rede, "als gutes Deutschland" dürfe die BRD aus der historischen Schuld der Deutschen nicht länger ein "Recht auf Wegsehen" ableiten. Was indes unter einer "aktiven Rolle Deutschlands in der Welt" zu verstehen ist, wissen die Völker sehr genau. Spätestens seit 1914.

Dr. Wolfgang Reuter, Magdeburg

Ende RF-Extra

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Orakeln aus dem Kaffeesatz oder marxistische Voraussicht?

Friedrich Engels und der 1. August 1914

Am 1. August 1914 brach das kaiserliche Deutschland gemeinsam mit dem habsburgischen Österreich den Ersten Weltkrieg vom Zaun, der ein bis dahin noch unbekanntes, sich über vier Jahre erstreckendes Völkergemetzel zur Folge hatte.

Das durch Versailles geschwächte und gedemütigte Frankreich und das in seinem Vorherrschaftsanspruch auf den Meeren bedrohte England reagierten nicht weniger kriegslustig, ebenso der russische Zar, der sich vor allem Serbien verpflichtet sah. Japan nutzte die Gunst der Stunde, um seine Vorherrschaft gegenüber China zu demonstrieren.

Das gigantische gegenseitige Abschlachten kam nicht von ungefähr. Schwarze Wolken hatten sich schon seit Jahren über Europa und angrenzenden Teilen der Welt zusammengezogen.

Erinnert sei nur an den Panthersprung nach Agadir, wohin der kriegslüsterne, mit geistigen Gaben nicht übermäßig gesegnete Kaiser Wilhelm II. ein Kanonenboot seiner Flotte zu provokatorischen Zwecken entsandt hatte.

Den deutschen Militaristen dauerte die Zeit ohne Krieg seit 1871 zu lange. Sie gierten nach einem neuen Waffengang und "erzogen" die Jugend in säbelrasselnder Weise. "Mutter, Weihnachten sind wir wieder zu Hause!" schrieben sie an die Waggons der Deutschen Reichsbahn, mit denen sie Anfang August als Schlachtopfer an die Westfront transportiert wurden.

Friedrich Engels war sachkundig. Er hatte sich 1848 praktisch und in den darauffolgenden Jahrzehnten auch theoretisch-analytisch mit Militärwesen und -politik in den mächtigsten europäischen Ländern auseinandergesetzt. So unterbreitete er der Öffentlichkeit einen durchaus umsetzbaren Vorschlag zur Abrüstung auf dem Kontinent.

In unseren Augen ist die Vorhersage von Engels, die er am 19. Dezember 1887 zu Papier brachte, ein Meisterstück wissenschaftlicher Prognose. Fast 30 Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges analysierte er nicht nur den aus seiner Sicht zu vermutenden Ablauf des Geschehens auf dem Kriegsschauplatz, sondern auch von ihm ins Auge gefaßte politische Resultate.

"Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt." (MEW, Bd. 21, S. 350 f.)

Engels hielt damals auch nicht mit seinen politischen Vorstellungen zum denkbaren Ausgang dieses Krieges hinter dem Berg: "... absolute Unmöglichkeit, vorherzusehen, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse. - Das ist die Aussicht, wenn das auf die Spitze getriebene System der gegenseitigen Überbietung in Kriegsrüstungen endlich seine unvermeidlichen Früchte trägt. Das ist es, meine Herren Fürsten und Staatsmänner, wohin Sie in Ihrer Weisheit das alte Europa gebracht haben. Und wenn Ihnen nichts andres mehr übrigbleibt, als den letzten großen Kriegstanz zu beginnen -, uns kann es recht sein. Der Krieg mag uns vielleicht momentan in den Hintergrund drängen, mag uns manche schon eroberte Position entreißen. Aber wenn Sie die Mächte entfesselt haben, die Sie dann nicht wieder werden bändigen können, so mag es gehn wie es will: Am Schluß der Tragödie sind Sie ruiniert und ist der Sieg des Proletariats entweder schon errungen oder doch unvermeidlich."

Was Engels damals vorhersah, traf nicht nur für die Dimensionen dieses Weltkrieges, sondern auch für seine Resultate - im wesentlichen - zu, auch wenn er angesichts der wachsenden Stärke der deutschen Sozialdemokratie zu optimistisch war und noch nicht das erst später erkennbare Anwachsen des Revisionismus in dieser Partei sowie das Handeln solcher SPD-Führer wie Noske auszumachen vermochte.

Aber die Prognose traf im großen und ganzen zu: Etliche Monarchien verschwanden. Die Landkarte Europas veränderte sich radikal. Das Deutsche Reich und auch Italien mußten erhebliche Territorien abtreten. Mehrere Staaten entstanden neu oder in anderer Form wieder. Ich nenne nur Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien.

Uns interessieren vor allem auch die Aussagen des großen marxistischen Denkers zu Revolutionen. Am Ende des Ersten Weltkrieges kam es nicht nur zur Oktoberrevolution, sondern kurz danach auch zu anderen Erhebungen oder versuchten Umstürzen. Die russische Revolution des Jahres 1917 brachte nicht nur den weltweit ersten sozialistischen Staat hervor, sondern wirkte auch weit über Europa hinaus. Kampf und Sieg der chinesischen Kommunisten waren ein Widerhall der Oktoberrevolution in Asien. Fast zeitgleich mit der Gründung der DDR entstand die VR China, die heute ein mächtiger Staat ist, der den USA Paroli zu bieten vermag.

Die Saat des roten Oktober ging nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Reihe von ost-, südost- und zentraleuropäischen Ländern auf und führte zum Entstehen volksdemokratischer und später sozialistischer Staaten. Trotz deren schwerer Niederlage keimt sie immer noch. Große Teile der Welt sind durchaus revolutionsträchtig, wenngleich in unterschiedlichsten Formen.

Lenin hoffte, daß die erfolgreiche russische Revolution zum Fanal für tiefgreifende Umwandlungen in Europa, besonders in hochentwickelten kapitalistischen Ländern wie Deutschland werden könnte. Die Geschichte nahm einen anderen Verlauf, weil die reaktionären Kräfte des Großkapitals im Bunde mit rechten SPD-Führern wie Ebert, Scheidemann und Noske die Möglichkeiten der deutschen Novemberrevolution blockierten. Das hatte Engels 1887, als die Sozialdemokratie hierzulande auf dem Vormarsch war und im Reichstag immer mehr Sitze errang, nicht für möglich gehalten.

Prof. Dr. Erich Buchholz, Berlin

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Eine Brüsseler Ausstellung erinnert an das große Gemetzel in Flandern

Die Schau, die schaudern läßt

Am 28. Juli jährt sich zum 100. Male der Tag, an dem das österreichisch-ungarische Kaiserreich Serbien den Krieg erklärte. Das war der Auftakt zum großen Gemetzel des 1. Weltkrieges. Die Großmächte gerieten durch das Attentat von Sarajevo nicht Hals über Kopf in einen politischen Strudel, wie manche behaupten, sondern hatten schon lange zuvor aufgerüstet, um gewaltsam die bestehenden Einflußsphären in der Welt zu verändern.

Vom damals besiegten Deutschland wurde aus gleichem Grund 25 Jahre später versucht, mit einem zweiten Weltkrieg die Ergebnisse des ersten zu revidieren. Auch das scheiterte.

Heute, nach 100 Jahren, soll das bisher mit militärischen Mitteln nicht Gelungene unter dem Konstrukt der EU auf politischem Wege erreicht werden: die Hegemonie des deutschen Imperialismus in Europa, und zwar unter Einschluß der Ukraine, des Baltikums und des Balkans.

Einziger Mißklang ist die Tatsache, daß sich Rußland weigert, seine Großmachtstellung preiszugeben, wobei es seine wichtigsten strategischen Positionen zu sichern bestrebt ist.

Moskaus Reaktion kam für den Westen so überraschend wie energisch, daß aus den imperialen Herrschaftsansprüchen erneut ein Spiel mit dem Feuer geworden ist.

Mit dieser Gefahr konfrontiert, ist es wichtig und aufschlußreich zu erfahren, wie die Nachbarländer der BRD das Weltkriegs-"Jubiläum" begehen. Seit Februar zeigt man im königlichen Armeemuseum von Brüssel eine bemerkenswerte Ausstellung.

Die belgische Metropole wurde nach der deutschen Besetzung zur Hauptstadt der Provinz Flandern und zum Sitz der Generalgouvernementsverwaltung. Allerdings hielt sich der Verwaltungsaufwand in Grenzen, denn Flandern wurde zu einem der blutigsten Kriegsschauplätze. Dort kam erstmals eine Massenvernichtungswaffe, das Giftgas "Yperit", zum Einsatz, mit dem sich die vom belgischen Heer aufgehaltene deutsche Armee vergeblich den Weg nach Ypern bahnen wollte. Die Stadt gab der todbringenden Chemikalie den Namen. Erfolgreicher verlief das erste Bombardement der Kriegsgeschichte. Am Morgen des 6. August wurde von einem Zeppelin aus das befestigte Lüttich (Liège) attackiert, in das am nächsten Tag deutsche Truppen eindrangen. Flämische Orte wie Langemark symbolisieren noch heute die Schrecken des Krieges. Belgien erinnert daran mit der ersten bedeutenden Ausstellung zum Thema des 1. Weltkrieges. Sie trägt den Namen "Expo 14-18, es ist unsere Geschichte".

Die Schau befindet sich an jenem Ort, wo auch die Darstellung des Weltkriegsgeschehens einsetzt: auf dem Gelände der Weltausstellung von 1910. Im "schönen Sommer von 1914" wird Belgien zentraler Kriegsschauplatz, was auch in räumlicher Hinsicht plastisch gemacht wird, indem die 16 Kapitel der Ausstellung um diesen Mittelpunkt gruppiert sind. Das Kriegsende erlebt der Besucher auf einem Bild der Trümmerlandschaft stehend, während an der Leinwand die Opfer des Krieges gezählt werden.

Bindeglied zwischen den einzelnen Kapiteln ist die stete Gegenüberstellung von König Albert I. und Kaiser Wilhelm II. - als der "großen Gegenspieler". Das Ganze erinnert an die Dramaturgie von Hollywoodfilmen. Die Konfrontation gipfelt im "Showdown" der beiden Monarchen, das Albert I. in prächtiger Uniform glorreich gewinnt, während Wilhelm II. verbittert und einsam auf dem Bahnhof von Eijsden mit nichts weiter als einer Truhe, die er von sächsischen Ulanen und Grenadieren bekommen hatte, in das niederländische Exil reist. Eine gewisse historische Berechtigung besitzt diese Darstellung immerhin, denn schon 1904 hatte der deutsche Kaiser barsch vom belgischen König Unterwerfung unter die gegen Frankreich gerichteten deutschen politischen Ziele verlangt.

Interessanter als solche Hofgeschichten dürfte für die Besucher indes sein, etwas darüber zu erfahren, wie ihre Vorfahren unter den Bedingungen des Krieges gelebt haben. Die Kuratoren scheuten keine Mühe, dies anschaulich zu machen. In der bedrückenden Enge eines Schützengrabens kann man erleben, wie der Soldat seine Umgebung nur durch Sehschlitze wahrzunehmen vermochte. Kälte, Nässe, Ratten und Läuse müssen noch hinzugedacht werden. Wenn sich der Betrachter mit Grauen dem nächsten Ausstellungsgegenstand zuwenden will, wird ihn der Einschlag einer Granate erschrecken. Auch das Verweilen auf der Kommandobrücke eines Kriegsschiffes läßt keine Kreuzfahrtträume aufkommen. Man verspürt das Vibrieren und Tuckern des Diesels. Das Meer ist ein Höllenschlund, von dem man bei einem Treffer des schemenhaft am Horizont erkennbaren Feindes jederzeit verschluckt werden kann. Zahlreiche Dokumente, nachgebaute Amtsstuben, selbst Schenken zeigen, daß auch das Leben im Hinterland für keine der Seiten ein Zuckerschlecken war. Neben Hunger, Elend und barbarischer Willkür gab es Reglementierung bis ins Kleinste. Um das zu dokumentieren, wurden Originalunterlagen - von den Arbeitsbüchern der Belgier bis zur Badeordnung für deutsche Soldaten - zusammengetragen.

Auch die Profiteure werden vorgestellt. Dazu gehört das Unternehmen Mauser, das neben anderem Kriegsgerät das modernste Infanteriegewehr produzierte. Während der Chauvinismus kochte, durften sich die Soldaten der Feindstaaten aus Waffen gleicher Produktion wie der Belgian Mauser M1889, mit der über die Fronten hinweg ihre Armeen ausgerüstet wurden, unter Feuer nehmen. Die Firma ist übrigens einer der Vorläufer des bundesdeutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall.

Weihnachten 1914 fiel auf dem Frontabschnitt zwischen Mesen und Nieuwkapelle den deutschen und britischen Soldaten in den Schützengräben auf, daß sie am 24. Dezember die Geburt des gleichen Gottes feierten. Sie verweigerten den Gehorsam und stellten das Feuer ein. Doch schon bald machten ihnen die kirchlichen Oberhirten klar, daß sie "für Gott und Vaterland" aus allen Rohren gleich welcher Herkunft aufeinander zu schießen hätten.

Zu den Vorzügen der Ausstellung gehört auch, daß andere in Vergessenheit geratene Episoden ins rechte Licht gerückt werden. Dazu gehört, daß auf der Brüsseler Weltausstellung von 1910 wie übrigens auch im Berliner Zoo "Eingeborene" aus afrikanischen Kolonien als lebende Exponate gezeigt wurden. Damals stellten sie in ihrer Heimat eigene militärische Kontingente unter Aufsicht der belgischen Kolonialmacht. Heute werden sie gleichberechtigt unter den Opfern mit aufgeführt.

Dr. Frank Wecker, Leegebruch

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Belgiens PTB schaffte Einzug in drei Parlamente

Eine viertel Million Stimmen gegen das Kapital

Bei den Parlaments- und Regionalwahlen, die am 25. Mai zeitgleich mit dem Votum für das Europäische Parlament in Belgien stattfanden, haben die Partei der Arbeit und deren Bundesgenossen einen grandiosen Erfolg zu erringen vermocht. Sie vereinten eine Viertelmillion Stimmen auf ihre Liste PTB-GO! (Gauche d'Ouverture / Linke Öffnung). Erstmals zog die klassenkämpferische Partei mit zwei Abgeordneten in das belgische Nationalparlament ein. Die Mandate gingen an ihren offiziellen Sprecher Raoul Hedebouw und den gleichfalls jungen Marco van Hees.

Auch in den regionalen Vertretungskörperschaften (Landtagen) des französischsprachigen Wallonien (5,8 % / zwei Mandate) und Brüssels (3,9 % / zwei Mandate) wird die PTB fortan die Rolle des konsequenten Verfechters der Arbeiter- und Volksinteressen übernehmen können. In Flandern, Belgiens dritter Region, wo die Liste der faschistisch durchsetzten rechtsnationalistischen Partei N-VA 31,9 % erhielt, verfehlte die PTB mit einem Anteil von 2,5 % zwar einen Sitz im Nationalparlament, konnte aber die Zahl der für sie abgegebenen Stimmen in Antwerpen sowie etlichen anderen Städten und Gemeinden der Region deutlich erhöhen.

Waren die belgischen Genossen bei der letzten landesweiten Abstimmung mit dem ihre soziale und politische Unterstützungsbasis verbreiternden Signum PTB+ angetreten, so widerspiegelte die diesmal von ihnen gewählte Formel den Willen zur Verständigung mit weiteren Bündnispartnern.

Hierfür sprachen sich außer der traditionsreichen KP Belgiens und der Revolutionären Kommunistischen Liga auch christliche Gewerkschafter und Teile der sozialdemokratisch geführten Arbeiterzentrale FGTB aus. Deren Sektion von Charleroi - der zweitgrößten Stadt Walloniens - hatte ihre Unterstützung folgendermaßen begründet: "Die Parteien der traditionellen Linken - SP und Grüne - unterstützen den Sparkurs der EU ... Die Werktätigen, die Frauen, die Jungen, die Sozialhilfeempfänger und Menschen mit Einwanderungshintergrund aber werden davon hart getroffen. Die Diskriminierung Arbeitsloser hat weiter zugenommen.

Die militärischen Interventionen im Ausland vervielfachen sich." Deshalb bedürfe es einer antikapitalistischen Alternative links von der PS und den Ökologisten. "Wir rufen zur Stimmabgabe für die Liste PTBGO! auf und tun das, obwohl wir nicht die Gesamtheit der im PTB-Programm verankerten Auffassungen teilen, ja sogar ernste Meinungsverschiedenheiten haben."

Zum Erfolg der PTB hat zweifellos deren ebenso prinzipienfestes wie undogmatisches Auftreten beigetragen. Die derzeit am schnellsten wachsende marxistische Partei Westeuropas war gut beraten, vor allem auch jüngere und junge sowie überwiegend proletarische Kandidatinnen und Kandidaten zu nominieren. Als Nr. 1 für den Landtag Walloniens trat der vor einigen Jahren von der PS zur PTB übergewechselte populäre Metallarbeiterfunktionär Fréderic Gillot (51), Stahlwerker bei Arcelormittal in Liège (Lüttich), an. Seine Wahl war von Beginn an gesichert. Für das Regionalparlament in Brüssel bewarb sich der frühere Präsident des Studentenverbandes FEF, der 28jährige Michaël Verbauwhede. Auch er errang als regionaler Spitzenkandidat eines der beiden PTB-Mandate. Obwohl es der erst 21jährige Medizinstudent Jos d'Haese, der die Liste der PTB-GO! in der flandrischen Provinz Antwerpen anführte, nicht in das dortige Regionalparlament geschafft hat, erhielt auch er ein hohes Maß an Zustimmung. Schon bei den Kommunalwahlen im Oktober 2012 hatte Jos - auf dem 33. Listenplatz kandidierend - nicht weniger als 1183 Präferenzstimmen erringen können. "Er ist jung, der Sache ergeben, umgänglich und überdies ökologisch orientiert, kurzum das Symbol all dessen, wofür die PTB heute steht", hatte der Parteivorsitzende und Bestseller-Autor Peter Mertens den Aktivisten des linken Jugendverbandes COMAC den Wählern vorgestellt.

Übrigens wurde der hochbegabte und marxistisch gebildete PTB-Führer kurz nach dem Wahltag vom belgischen König empfangen, was wohl ebenfalls eine Novität gewesen sein dürfte.

Der "RotFuchs", dessen Leser seit Jahren aus den redaktionell genutzten Berichten des PTB-Organs "Solidaire" wertvolle Informationen beziehen, beglückwünscht die couragierten Weggefährten in Brüssel, Wallonien und Flandern zum eindrucksvollen Wahlerfolg.

K. S.

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Vor 20 Jahren flossen in Rwanda Ströme von Blut

Hintergründe eines Genozids

Ein territorial kleines Land in Afrika war 1994 der Schauplatz eines der schrecklichsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Innerhalb von nur drei Monaten wurden in Rwanda, das damals 7 Millionen Landesbürger zählte, zwischen 800.000 und einer Million Menschen regelrecht abgeschlachtet.

Rwanda war von 1916 bis 1962 eine koloniale Besitzung Belgiens und galt auch während der darauf folgenden drei Jahrzehnte als "privilegierter Partner" der offiziell vom schwarzen Kontinent verdrängten früheren Kolonialmacht. Wie in Zaire (der heutigen Demokratischen Republik Kongo), wo die USA inzwischen an die Stelle der Platzhirsche des belgischen Kolonialismus getreten waren, hatte Brüssel seinen historisch gewachsenen Einfluß auch in Rwanda nicht gänzlich verloren. 1984 notierte sein einstiger Vizegouverneur Jean-Paul Harroy: "Im unabhängigen Rwanda haben die beiden aufeinander folgenden Regierungen den rechten Weg fortgesetzt, den die Belgier vor 25 Jahren für sie einrichteten." So wurden zwischen 1962 und 1990 sämtliche hochrangigen Offiziere der rwandischen Armee nach wie vor in Belgien ausgebildet. Unter deren Augen flossen dann 1994 Ströme von Blut. In diesem Zusammenhang sollte man auch nicht die Rolle belgischer Missionare verkennen, die nahezu sämtliche Entwicklungsprojekte im Lande leiteten. Während Idealisten unter ihnen im guten Glauben gehandelt haben mögen, trugen andere maßgeblich dazu bei, daß sich der Genozidgedanke verfestigen konnte.

Als dessen hauptsächliche Triebkraft ist der Rassismus zu betrachten, der die Tutsi-Minderheit und die Hutu-Mehrheit des Landes zu Todfeinden machte. Die Verteidiger des Kolonialismus suchten den Völkermord als Folge eines "jahrhundertealten Hasses zwischen beiden Volksgruppen" zu erklären, der nichts mit dessen auf "Teile und herrsche" begründeter Politik in Afrika zu tun habe. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Schon im Mittelalter hatte es kleine Könige beider Völker gegeben. Kriege zwischen ihnen verliefen mit unterschiedlichen Ergebnissen. Ab 1736 gelang es einer Tutsi-Dynastie, sich Schritt für Schritt des gesamten Territoriums von Rwanda zu bemächtigen. Feudale Herrscher, die sich ihnen widersetzten, wurden samt Anhang massakriert, wobei die ethnische Herkunft keine Rolle spielte. Zwischen beiden Völkerschaften kam es sogar zur Integration. Von den 12 ersten Tutsi-Königen Rwandas waren neun mit Hutu-Frauen verheiratet.

Im Zuge der Kolonialisierung durch europäische Mächte wurden rassistische Theorien und Praktiken dann bewußt zur Spaltung der afrikanischen Völker in Umlauf gebracht. Die deutschen Kolonialherren, die Rwanda als erste in Besitz nahmen, entwickelten die Ideologie von zwei dortigen Rassen: den Hutu und den Tutsi. Nach ihrer Interpretation galten die zuerst genannten als Ureinwohner Rwandas, während die zweiten "von irgendwo aus dem Norden" eingewandert sein sollten.

Eine solche "Invasion" hatte es indes nie gegeben. Doch als belgische Kolonialisten 1916 an die Stelle der Deutschen traten, bedienten sie sich gezielt dieser ahistorischen These. Nach kurzem Zögern, welche der beiden "Rassen" sie unterstützen sollten, erklärten sie unter dem Einfluß der Kirche nunmehr die Tutsi zur "höheren Ethnie". Die Zusammengehörigkeit der beiden Volksgruppen, die jahrhundertelang funktioniert hatte, wurde willkürlich aufgehoben. Menschen, die keinerlei Unterschiede zwischen sich festgestellt hatten, teilte man so in zwei Lager ein.

Reaktionär-rassistische Mythen griffen und wurden zu einer entscheidenden Stütze des Kolonialsystems. Brüssel sorgte in Rwanda für eine regelrechte Tutsifizierung. Der belgische Bischof Monsignore Classe bezeichnete die Tutsi als "geborene Chefs". Eine Oberschule, die geeigneten Tutsi-Nachwuchs heranbildete, erhielt den Namen der belgischen Königin Astrid. All das konnte indes nicht verhindern, daß der Antikolonialismus im Laufe der Jahrzehnte gerade auch unter der jungen Tutsi-Intelligenz eine besondere Ausprägung erfuhr. In gleichem Maße wuchs unter den Hutu-Massen der Haß auf die privilegierten "Tutsi-Feudalen".

So formierte sich eine Hutu-Elite, von der eine Anti-Tutsi-Ideologie entwickelt wurde. Während eine Benennung des Kolonialismus als der wahren Ursache der Bevölkerungsspaltung in Rwanda vermieden wurde, vollzog sie mit belgischer Unterstützung eine "antifeudale Revolution zur Beseitigung der Tutsi-Herrschaft". Am 4. November 1959 rückten 6000 Soldaten der von Brüssel formierten Streitkräfte Kongos unter dem Befehl des belgischen Obersten Guy Longiest zur Unterstützung der "Revolution" gegen die Tutsi in Rwanda ein. Aus der Propagierung angeblicher Überlegenheit wurde buchstäblich über Nacht der Kampf gegen die Tutsi-Unterdrücker. Diese Ideologie war der Nährboden für einen fanatischen Haß, der vor Massenmorden an Frauen und Kindern nicht Halt machen sollte.

Anfangs unterstützten die USA aus taktischen Gründen den antikolonialen Befreiungskampf in Afrika. Ihr Ziel war es, dort den Platz der vertriebenen europäischen Mächte einzunehmen. Nach der Proklamierung der Unabhängigkeit Kongos blieb Belgien nur noch eine drittrangige Rolle in der Region, während es Frankreich gelang, seinen ökonomischen, militärischen und kulturellen Einfluß weitgehend zu wahren. Nachdem der durch die sozialistische Gemeinschaft unterstützte Versuch einiger afrikanischer Staaten, auf dem nichtkapitalistischen Weg voranzukommen, gescheitert war, vermochte Washington seinen strategischen Einfluß auf dem schwarzen Kontinent wesentlich zu verstärken und die Hegemonie unter den imperialistischen Mächten einzufordern.

Zwischen 1983 und 1987, als die Patriotische Rwandische Front (FPR) entstand, bekleideten deren spätere Führer einflußreiche Posten in Armee und Geheimdienst Ugandas. Die FPR forderte für Hunderttausende nach 1959 ins Ausland geflohene Tutsi das Recht auf Rückkehr nach Rwanda ein. Extremistische Hutu-Elemente verkündeten daraufhin ihre Absicht, die Tutsi physisch auszurotten. Am 7. April 1994 begann der Massenmord an ihnen und gemäßigten Hutu. Obwohl sich die Clinton-Administration der USA vollkommen darüber im klaren war, daß in Rwanda ein Genozid größten Ausmaßes erfolgte, der nur an den Untaten der Hitler-Faschisten gemessen werden konnte, zögerte sie ein wirksames Eingreifen so lange hinaus, bis Ströme von Blut geflossen waren.

RF, gestützt auf die Internet-Ausgabe von "Solidaire", Brüssel

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Südafrika nach den fünften freien Wahlen seit dem Ende der Apartheid

Licht und Schatten in der Republik am Kap

Die jüngsten Wahlen in Südafrika vermittelten vordergründig den Eindruck, als ob alles beim alten geblieben sei. Einmal mehr hat der seit dem Ende der rassistischen Apartheid in der Republik am Kap regierende African National Congress (ANC) die Abstimmung für sich entscheiden können. Doch es gibt zwei Unterschiede zu früher: Erstens ist der ANC, auf dessen Listen auch die beiden anderen Partner der historischen Dreierallianz - die einflußreiche Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) und die Gewerkschaftszentrale COSATU - ihre Kandidaten plaziert hatten, nicht mehr mit der Befreiungsorganisation, die das weiße Rassistenregime ablöste, 1:1 gleichzusetzen. Zweitens sind Kontroversen innerhalb des ANC ebenso unverkennbar wie ideologische Flügelkämpfe in SACP und COSATU, von der sich starke und klassenkämpferische Verbände inzwischen getrennt haben.

Dennoch sollte man den fünften ANC-Sieg in Folge nicht kleinreden, obwohl eine gewisse Rückläufigkeit in Einfluß und Wählerunterstützung bei der führenden Kraft im südafrikanischen Regierungslager nicht zu verkennen ist. Hatte der ANC vor 20 Jahren auf Anhieb 62,2 % des Votums eingefahren und seinen Anteil später auf 65,9 %, 66,3 % und 66,7 % zu steigern vermocht, so stimmten diesmal nur 62,2 % für die nationaldemokratische und antirassistische Sammlungsbewegung, der vor allem Nelson Mandela zu Glanz und Ruhm verholfen hatte. Andere Kräfte vermochten dem ANC Wasser abzugraben.

Hier ist an erster Stelle die Demokratische Allianz (DA) als offizielle Opposition zu nennen, die im Lager der politischen Gegenspieler des ANC die erste Geige spielt. Hinter ihr steht die große und mittlere, inzwischen keineswegs nur weiße Bourgeoisie, der die von Politikern des rechten ANC-Flügels durchsetzte Regierung zu keiner Zeit gefährlich geworden ist. Die DA hat in den letzten Jahren ständig an Einfluß gewonnen und bei Wählerstimmen erheblich zugelegt: Votierten 2004 erst 12,4 % der Abstimmenden für ihre Liste, so waren es 2009 bereits 16,7 %. Diesmal errang die Hauptkraft des Anti-ANC-Lagers 22,2 % - mehr als jede fünfte Stimme.

Demgegenüber büßten Formationen rechts von der DA weiter an Boden ein. Die Inkatha Freedom Party des einstigen Bantustanchefs Buthelezi mit Hochburgen in KwaZulu Natal, für die sich 1994 nicht weniger als 10,5 % und 1994 immerhin noch 4,5 % entschieden hatten, kam diesmal nur auf 2,4 %. Noch weiter abgeschlagen war die Freedom Front Plus des rassistisch-faschistoiden harten Kerns der burischen Afrikaner-Bewegung, die von 2,1 % (1994) auf 0,9 % absackte.

Für Wirbel sorgte eine neue politische Kraft: Die sich als Economic Freedom Fighters (EFF) präsentierende militante Gruppierung des 2012 aus dem ANC ausgeschlossenen früheren Chefs seiner Jugendliga (ANCYL) Julius Malema eroberte mit ihrer Korruption und Vetternwirtschaft attackierenden radikalen Rhetorik auf Anhieb einen Stimmenanteil von 6,2 % und 30 Mandate in der südafrikanischen Nationalversammlung. Die Medien interpretierten Malemas Erfolg und den Aufstieg seiner Partei als Debakel des in innere Widersprüche verstrickten ANC und seiner Bündnispartner.

Zweifellos weist die Bilanz des neuen Südafrika Licht und Schatten auf. Die Staatsmacht liegt trotz der Regierungsbeteiligung von Kommunisten und Gewerkschaftern, die auch im Parlament über etliche Sitze verfügen, keineswegs in den Händen der Arbeiter und Bauern. Auf der Habenliste des ANC-Kabinetts stehen Erfolge in der Bekämpfung von AIDS und Tuberkulose - den beiden größten Todesverursachern in Südafrika -, und eine Erhöhung der Lebenserwartung seit 1994 um 5 %. Verbesserungen der Infrastruktur durch Straßen- und Bahnbau sowie die Schaffung neuer Hafenanlagen sind zu vermerken, aber auch die Eröffnung weiterer Universitäten und Schulen.

In den vergangenen fünf Jahren wurde eine Million Haushalte an das Stromnetz angeschlossen. Seit 1994 erhielten drei Millionen Menschen stabile Unterkünfte. Größere Teile der schwarzen Bevölkerung konnten sanitär versorgt werden.

Andererseits gibt es gerade auch in infrastruktureller Hinsicht weiterhin enorme Defizite. Dagegen richteten sich 2013 nicht weniger als 13.000 Protestaktionen. Viele hingen auch mit der nach wie vor grassierenden Arbeitslosigkeit zusammen. Zu den ernstesten Problemen gehört die immer mehr ausufernde Korruption.

Die hier nur angedeuteten Mißstände erklären die Tatsache, daß die EFF Julius Malemas eine solche Durchschlagskraft zu erreichen vermochte. Dessen militante Anhänger treten mit roten Baretten und oftmals auch in militärischen Tarnanzügen oder roten Lederjacken mit dem Logo der Partei auf. Malema bezeichnet sich als Oberkommandierender. Die vom ANC nicht vertretenen Forderungen seiner Partei nach Verstaatlichung der Bergwerke und Enteignung der weißen Plantagenbesitzer stoßen bei großen Teilen der Arbeiterschaft und der Jugend verständlicherweise auf Resonanz. Dabei hat die EFF auf alte Losungen der SACP und der von Kommunisten geführten Gewerkschaftszentrale COSATU zurückgegriffen und diese sprachlich radikalisiert.

In Südafrika dürfte es fortan vor allem darauf ankommen, dem weiteren Vordringen der rechtsgerichteten DA entgegenzuwirken. Übrigens hat diese Partei bei den Mai-Wahlen auch in traditionellen ANC-Hochburgen wie der dichtbesiedelten Provinz Gauteng, in der sich die Metropolen Pretoria und Johannesburg befinden, die Zahl ihrer Stimmen verdoppeln können. Unterstützung erhält sie von Teilen der indischen und der als "coloured" (farbig) bezeichneten Bevölkerungsgruppen, deren spezielle Anliegen durch die vor allem auf Südafrikas schwarze Mehrheit abhebende ANC-Regierung ungenügend beachtet worden sind. Selbst immer mehr an den Rand gedrängte Township-Bewohner folgen den "Empfehlungen" der DA, die auf Vokabeln aus der Befreiungssprache ebenso demagogisch zurückgreift wie auf die ungebrochene Popularität Nelson Mandelas, wobei sie verbalen Rassismus bewußt vermeidet.

In Südafrika gilt auch nach den Wahlen die Parole "Business as usual" - Alles bleibt, wie es ist -, obwohl sich unverkennbare Gefahren am politischen Horizont abzeichnen.

RF, gestützt auf "People's World", New York


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Nelson Mandela in seiner Rede bei der Amtseinführung als Präsident: "Niemals wieder soll es geschehen, daß dieses schöne Land die Unterdrückung des einen durch den anderen erfährt."

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USA: Völkerrechtsbrüche ohne Ende

US-Präsident Barack Obama wurde 1961 auf Hawaii geboren und soll dort einige Lebensjahre verbracht haben. Mit Gewißheit wird er als Jurist über den eklatanten Bruch des Völkerrechts in bezug auf diesen Archipel im Bilde sein. Das Inselreich im Pazifik wurde 1898 durch die Vereinigten Staaten annektiert. Bereits 1893 hatte Washington einen Putsch gegen die dortige Monarchie in Szene gesetzt. In der Folge der Annexion wurden die Ureinwohner durch eine enorme Einwanderungswelle zur Minderheit im eigenen Land. Seitdem drängt man das hawaiische Volk, seine Lebensweise und Kultur systematisch an den gesellschaftlichen Rand.

Im Zweiten Weltkrieg galt Pearl Harbor auf Hawaii als wichtigster Flottenstützpunkt der U.S. Navy im pazifischen Raum. Am 7. Dezember 1941 ließ die US-Regierung die massive Bombardierung ihrer dort stationierten Seekriegsflotte durch japanische Flugzeuge zu. Dieser Angriff sollte die politische Haltung der Amerikaner ändern und diente Washington als Begründung für einen Kriegseintritt gegen das faschistische Deutschland und das kaiserlich-militaristische Japan.

1959 optierte die Mehrheit der Stimmberechtigten bei einem Referendum für Hawaiis Umwandlung in den 50. Bundesstaat der USA. Die Tatsache, daß es sich bei der ursprünglichen Inbesitznahme des Archipels um einen Völkerrechtsbruch gehandelt hatte, bestätigten beide Häuser des US-Kongresses mit der "Apology Resolution" von 1993. Sie entschuldigten sich offiziell für den von außen herbeigeführten Sturz der hawaiischen Monarchie und die Annexion der Inselgruppe durch die Vereinigten Staaten. Von den dort heute lebenden 1,4 Millionen Menschen sind gerade noch 120.000 Nachkommen der Urbevölkerung.

Auch andere eklatante Völkerrechtsbrüche markierten den Aufstieg der USA zur Weltmacht: der Ausrottungsfeldzug gegen die indianische Urbevölkerung und die Verschleppung unzähliger Afrikaner in die Sklaverei. Dieser Weg der Gewalt wurde in der jüngeren Geschichte des Landes fortgesetzt. Auf sein Schuldkonto kamen nach dem Zweiten Weltkrieg die Aggressionen gegen die Völker Koreas und Vietnams, bei denen Millionen Menschen ihr Leben verloren.

Nach der Niederlage des Sozialismus in Europa verfolgten die USA gemeinsam mit ihren NATO-Verbündeten eine Politik zur Veränderung der Grenzen dieses Kontinents. Die Tschechoslowakei wurde in zwei Staaten gespalten und der jugoslawische Vielvölkerstaat gezielt aufgesplittert.

Den Gipfel der Völkerrechtsbrüche in dieser Region stellte 1999 der NATO-Überfall auf Serbien und die willkürliche Abtrennung Kosovos dar. Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bestätigte dieses Verbrechen in einem Interview vom 9. März 2014, in dem er die Mitschuld der von ihm geführten Bundesregierung ausdrücklich einräumte. In Kosovo ging es um die Schaffung eines riesigen militärischen Aufmarschgebietes für NATO-Truppen. Noch gravierender waren die darauf folgenden Interventionen der imperialistischen Mächte in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien.

Summa summarum: Die USA und die sogenannte westliche Staatengemeinschaft haben ihre Machtinteressen stets unter massivem Bruch des Völkerrechts und diplomatischer Gepflogenheiten mit aller Brutalität durchgesetzt. Washingtons neueste Untat ist - wie verlautet - die Investition von mehr als fünf Milliarden Dollar in den gemeinsam mit Faschisten organisierten Umsturz in Kiew. Ohne Zweifel handelt es sich auch hier um Einmischung größten Stils in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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Krim-Referendum entsprach der UNO-Charta

Bei Streitigkeiten über internationale Fragen berufen sich die Kontrahenten im Namen ihrer Regierungen oft auf dieselben Normen des Völkerrechts, interpretieren diese aber völlig konträr. Wie ist das zu erklären? Viele Grundbegriffe sind im internationalen Recht gar nicht oder nur vage definiert, so daß sie verschieden ausgelegt werden können.

In jüngster Zeit erlangte der Begriff Volksentscheid, auch als Referendum bezeichnet, besondere Bedeutung. Das Referendum, das dem durch die UNO-Charta fixierten Selbstbestimmungsrecht der Völker entspricht, kommt in der gesellschaftlichen Praxis vieler Staaten kaum zur Anwendung. In der BRD gestattet nicht einmal das Grundgesetz - bis auf den Ausnahmefall einer Neugliederung des Staatsgebietes und Regelungen in den Länderverfassungen - den Volksentscheid. Warum ist das so? Die Antwort liegt auf der Hand:

Weil die Politiker befürchten, daß das Volk anders entscheiden könnte, als Parlament und Regierung es wollen. Mit anderen Worten: Weil die Interessen des Volkes mit den Zielen der herrschenden Klasse und gewisser Politiker nicht übereinstimmen. Ein konkretes Beispiel: Bei einem BRD-weiten Referendum über das Afghanistan-"Engagement" der Bundeswehr hätte sich die Mehrheit der Deutschen mit Gewißheit dagegen ausgesprochen.

Als Teilnehmer am Zweiten kapitalistischen Weltkrieg - mit 17 mußte ich 1944 noch Soldat werden - kann ich das nur bestätigen. Unsere Schlußfolgerung hieß: Nie wieder Krieg! Das hatten unsere Großväter und Väter schon 1918 gesagt.

Demgegenüber forderte Kriegsministerin von der Leyen, auch bundesdeutsche Truppen und Waffen an den Grenzen zwischen der EU und Rußland zu stationieren. Entspricht das etwa den Interessen des deutschen Volkes? Wie würde es sich in einem Referendum entscheiden? Ein solches Verlangen ist eine Beleidigung der Russen. Sie haben gemeinsam mit anderen Völkerschaften der UdSSR und den Alliierten der Antihitlerkoalition den deutschen Faschismus besiegt. Während des Zweiten Weltkrieges fanden über 65 Millionen Menschen den Tod. Am stärksten war die Sowjetunion betroffen. Sie verlor mehr als 28 Millionen Menschen.

Ein Wort zur Krim: N. S. Chruschtschow hat 1954 diese russische Halbinsel der Ukrainischen Sowjetrepublik vermacht, womit er gleich zweimal gegen das Völkerrecht verstieß. Einmal durch Verletzung der territorialen Integrität damals bestehender Staatsgebiete der UdSSR, zum anderen durch Mißachtung des Selbstbestimmungsrechts der Russen, weil er handelte, ohne sie gefragt zu haben. Durch das Referendum auf der Krim und die nachfolgenden Maßnahmen wurde die historische Gerechtigkeit wiederhergestellt. Zugleich konnte vereitelt werden, daß atomare US-Waffen im Falle eines späteren NATO-Beitritts der Ukraine auf der Halbinsel stationiert werden können. Warum aber erfolgt die Einkreisung Rußlands mit Raketen des Westens? Was würde Washington sagen, wenn Moskau ein zweites Mal Raketen auf Kuba installierte? Warum verschärfen sich die Beziehungen zwischen den USA und Rußland?

Aus meiner Sicht gibt es dafür nur eine Erklärung: Die USA wollen Rußland als konkurrierende Weltmacht wirtschaftlich, militärisch, politisch und territorial schwächen. Doch das ist Utopie. Dennoch sind die von der NATO eingeleiteten Maßnahmen äußerst gefährlich.

Ein wichtiges Instrument zur Sicherung des Friedens ist der demokratische Volksentscheid, das Referendum. Fordern wir, daß diese scharfe Waffe der Demokratie endlich in das Grundgesetz aufgenommen wird. Erst damit würde dem Grundsatz "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (GG, Art. 20) wirklich Rechnung getragen werden.

Dr. Ernst-Ludwig Hischer, Rostock

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Gesetz über ausländische Investition in Kuba beschlossen

Das Parlament des sozialistischen Kuba beschloß im März 2014 das Gesetz Nr. 118. Sein Titel lautet: "Über die ausländische Investition". Ende Juni 2014 ist es in Kraft getreten. Volkswirtschaftlich und sozial wesentliche Bestimmungen sind: Bildung internationaler wirtschaftlicher Vereinigungen sowie weiterer gemischter Unternehmen (Joint-ventures) mit kubanischen Staatsunternehmen in Form von Aktiengesellschaften (ohne Begrenzung des ausländischen Kapitalanteils) sowie Zulassung der Tätigkeit von Gesellschaften, die zu 100 % mit ausländischem Kapital gegründet werden; Schaffung von Sonderwirtschaftszonen für die Ansiedlung derartiger Unternehmen; befristete Verpachtung von Bodenflächen für wirtschaftliche Aktivitäten, auch außerhalb der "Sonderwirtschaftszonen"; befristete Geschäftsgenehmigung für Unternehmen mit ausländischem Kapital; Vergabe befristeter Konzessionen für öffentliche Dienstleistungen (z. B. Energie- und Wasserversorgung) sowie die Nutzung nationaler Ressourcen (Forst, Bodenschätze, marine Ressourcen; Beiträge der Investoren zum Stammkapital der Unternehmen können in Valuta, Maschinen und Ausrüstungen sowie in Nutzungsrechten für "Know-how" bestehen; Leitungs- und Spezialistenpositionen der Unternehmen werden durch ausländische Fachkräfte besetzt; Vermittlung - für die übrigen Positionen - kubanischer Arbeitskräfte ausschließlich über ein staatliches Beschäftigungsunternehmen nach dem Leiharbeiterprinzip, das von den nach internationalen Lohntarifsätzen in konvertierbarer Währung zu entrichtenden Beträgen einen Anteil für seine Dienstleistung einbehält und die Restsumme nach einem eigenen Umrechnungskoeffizienten in nationaler Währung an die Beschäftigten auszahlt; Befreiung der Unternehmen von der Lohnsteuerzahlung sowie Herabsetzung der Verkaufs- und Dienstleistungssteuer für sie auf 50 % der üblichen Sätze; keine Besteuerung der Unternehmensgewinne in den ersten acht Jahren bei möglicher Fristverlängerung (danach werden Gewinne aus der Nutzung nationaler Ressourcen mit bis zu 50 % besteuert, die übrigen mit 15 %); erzielte Netto-Unternehmensgewinne sind frei transferierbar und im Falle der Re-Investition in Kuba steuerbefreit.

Volkswirtschaftliche Effekte der ausländischen Investitionen sollen sein:

  • die Einführung moderner Technologien und Erschließung natürlicher Ressourcen Kubas;
  • die Umgestaltung der Energiebasis des Landes durch stärkere Nutzung nachhaltiger Quellen;
  • die Verbesserung der Effizienz der Betriebsführung;
  • die Erhöhung der Qualität der Produkte, um sie international vermarkten zu können;
  • die Erzielung eines Beitrags zur "nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung" Kubas

Die ausländischen Investoren müssen nicht ausschließlich eigenes Kapital einsetzen. Sie dürfen auch mit Krediten wirtschaften, welche sie auf dem internationalen Finanzmarkt beschaffen. Ihnen wird in Kapitel 30.1 des Gesetzes die Letztentscheidung in der Betriebsführung übertragen.

Bei Verkündung des Gesetzes wurde auf eine spezielle "Projektliste" des Ministeriums für Außenhandel und ausländische Investition (Stand 2012) verwiesen, auf der insbesondere Großprojekte der Energieund Rohstoffwirtschaft sowie des Tourismus ausgeschrieben sind. Darin werden nur staatliche kubanische Unternehmen als potentielle Partner für ausländische Investoren benannt. Genossenschaften und private (Klein-)Unternehmer bleiben unerwähnt. Das Gesetz bestimmt nichts darüber, wie die Ausbildung und Weiterqualifizierung von Arbeitskräften in den ausländischen Kapitalunternehmen zu erfolgen hat. Das Bildungswesen ist von einer "ausländischen Beteiligung" ausdrücklich ausgenommen.

Das Gesetz wird in den kubanischen Online-Medien lebhaft diskutiert. Die Debatte betrifft vor allem die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Es wird befürchtet, daß dieser sich in einen "ersten" und einen "zweiten" spalten könnte. Höher qualifizierte Arbeiter würden versuchen, in der staatlichen "Zeitarbeitsfirma" angestellt zu werden, um die trotz Abzug und Umrechnungskoeffizient besseren Löhne und die Statusverbesserung zu erhalten. Sie werden in den "Gemischten Unternehmen" allerdings keine gewerkschaftlichen Lohnverhandlungen führen dürfen und weder Mitbestimmungs- noch Streikrecht haben.

Kritisch betrachtet wird in der Debatte, daß die anvisierten Projekte mit ausländischer Beteiligung nicht der Versorgung der eigenen Bevölkerung dienen, sondern der Gewinnung exportfähiger Rohstoffe (Erdöl, Mineralien und Metalle), der Erzeugung tropischer Früchte für den Export in die kapitalistischen Industriestaaten und der Versorgung weiter wachsender Touristenströme aus diesen Ländern.

Die ausgeschriebene Anzahl von mehr als 20.000 Hotelzimmern "gehobenen Standards" läßt auf jährlich mindestens 500.000 zusätzliche Gäste in dieser Kategorie schließen. Der Minister für Tourismus, Manuel Marrero, rechnet bis 2020 mit mehr als einer Million zusätzlich im Lande zu verpflegender Personen. Diese Touristen werden zwar "im Lande" beköstigt, aber keineswegs vollständig "aus dem Lande". Mindestens die Hälfte der in "Hotels des gehobenen Standards" verbrauchten Güter müssen zuvor importiert werden.

Hinsichtlich des einzuführenden technologischen Know-hows stellt die veröffentlichte Projektliste keine besonders zukunftsweisenden Ansprüche. Im Energiesektor werden zur Erschließung küstennaher Petroleumfelder Investitionen von etwa 6 Mrd. US-Dollar erwartet, für die Erschließung von Windkraft jedoch nur ein Zehntel dieser Summe. Den noch produzierenden Zuckerfabriken sollen Biomassekraftwerke zugeordnet werden, wofür man Investitionen im Umfang von etwa 3 Mrd. Dollar veranschlagt. Weitere benannte Vorhaben betreffen die Erzeugung von Paneelen ("Großplatten") für den Wohnungsbau, die Papierherstellung und die Gewinnung von Bauholz und Holzkohle in Forstplantagen.

Bemerkenswert ist, daß Kubas Zuckersektor durch "Betreibergesellschaften" modernisiert und effizienter gemacht werden soll. So etwas gab es schon in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals geriet die kubanische Zuckerwirtschaft allerdings in die Hände des USA-Kapitals. Soll der 1960 nationalisierte Sektor wieder dem ausländischen Kapital geöffnet werden? Um, wie im Gesetzestext gefordert, zum nachhaltigen Wohlergehen der sozialistischen Gesellschaft, also der Kubaner selbst, beizutragen, könnte der erzeugte Zucker mit einheimischen Früchten und Säften zu Süßwaren und mit einheimischem Kakao zu hochwertigen Schokoladen veredelt werden. Reisschälmühlen, Molkereien, Fleischverarbeitungsbetriebe und verwandte Einrichtungen würden das Angebot an Lebensmitteln aus eigenem Aufkommen vielseitiger gestalten.

Vielleicht hat der Diskussionsteilnehmer "Eddy" den richtigen Blick gehabt, als er bereits am 30. März auf der Webseite "cubadebate.cu" bemerkte: "Wir erwarten, daß unsere Investoren klug genug sind und keine Irrtümer begehen." Sie sollten sich der Losung des revolutionären Kuba der 60er Jahre erinnern: "Cuba no se rinde, no se vende!" - "Kuba ergibt sich nicht, es verkauft sich nicht!"

Dr. Hermann Wollner, Berlin

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Ein Orden Havannas für Ramsey Clark

Ramsey Clark war in der USA-Administration John F. Kennedys, der Anfang Januar 1961 in das Weiße Haus einzog, Attorney General (Generalstaatsanwalt) - ein Posten, der in den Vereinigten Staaten dem eines Justizministers entspricht. Inzwischen gilt der greise Politiker als einer der engagiertesten Freunde Kubas im imperialistischen Hauptland. Ende November 2013 wurde ihm anläßlich des 9. Kolloquiums für die Befreiung der fünf kubanischen Helden in Holguin der Orden der Solidarität - eine von Kubas Staatsrat verliehene hohe Auszeichnung - feierlich überreicht. Nächste Familienangehörige der durch die Justiz des US-Bundesstaates Florida in Miami zu drakonischen Strafen verurteilten kubanischen Kundschafter, von denen noch immer drei in Haft gehalten werden, nahmen die Dekorierung vor.

Die Cuban Five waren mit dem klar definierten Auftrag in die Hochburg konterrevolutionärer Exilkubaner entsandt worden, von diesen geplante Terroranschläge gegen ihr Land rechtzeitig in Erfahrung zu bringen, um deren Vereitelung zu ermöglichen. In einem Interview mit der in Havanna erscheinenden kommunistischen Tageszeitung "Granma" berichtete Ramsey Clark, er habe noch das alte Kuba mit seinen Spielhöllen und Bordellen, die zahlungskräftigen "Gästen" aus den USA ihre speziellen Dienste offerierten, in schlimmer Erinnerung. Damals gehörte Havannas Straßenbahn einer einzigen Person - dem US-Bürger Campbell aus Miami.

Als im April 1961 die Landung exilkubanischer Söldner der CIA an der Playa Giron erfolgte, war Ramsey Clark Kennedys Attorney General. Da der Präsident von den Hintergründen und Details des Geschehens in der Schweinebucht keine exakte Kenntnis besessen habe, sei er auf den Gedanken gekommen, John F. Kennedy schriftlich darüber zu informieren.

Dieser Brief geriet in falsche Hände. Der seinerzeitige CIA-Direktor - ein persönlicher Freund des Präsidenten - sorgte dafür, daß Ramsey Clark zwei Tage später beurlaubt wurde. Da die Ermittlungen der CIA indes den Verdacht gegen ihn nicht bestätigten, blieb er bis Januar 1969 im Amt.

In der Folgezeit habe er sich intensiver mit der gegen Kuba gerichteten Außenpolitik der Vereinigten Staaten beschäftigt, sagte der Interviewte. Seit längerem unterstütze er aktiv die Kampagne für die Freilassung der Cuban Five. "Das, was gegen die fünf unternommen wurde, ist ein riesiger Justizskandal. Er hat das kubanische Volk tief verletzt und unseren Beziehungen zu ihm geschadet", betonte der frühere Attorney General gegenüber "Granma". "Jetzt ist es für mich vollkommen klar, daß das Ziel der fünf nur darin bestand, jene Art von Gewalt zu verhindern, die auf dem Territorium der USA gegen Kuba organisiert wurde." Und Ramsey Clark fügte hinzu: "Menschen, die ihre Freiheit riskieren, um andere Leben zu retten, sind Helden."

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Antwort auf einen Hilferuf aus Ghana

Die These "Überzeugung ist nicht käuflich" ist im Rahmen der nachrichtendienstlichen Tätigkeit der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des MfS durch Haltung und Erlebnisse von Oberst a. D. Dr. Jürgen Rogalla eindrucksvoll belegt worden. Sein Freund Dr. jur. Heinz Günther berichtet darüber in einem unlängst erschienenen Buch. Darin werden über die Medien der Bourgeoisie verbreitete Klischees zu Haltung und Handeln der Mitarbeiter des MfS ad absurdum geführt.

Jürgen Rogalla riskierte so manches in seinem Leben. In Gewehrläufe putschender ghanaischer Soldaten zu blicken und zu wissen, daß die Akteure in solchen Situationen eine Hinrichtung als persönliche Großtat betrachten, ist bedrückend genug. Doch nachzuempfinden, was es bedeutet, das Angebot der Gegenseite als Preis für Verrat abzulehnen und dennoch aus dieser Lage befreit zu werden, bedarf wohl keiner näheren Erklärung. Doch nicht allein die in Aussicht gestellte Freilassung, sondern auch die Jürgen Rogalla angebotene hohe Geldsumme vermochte an seiner Ablehnung nichts zu ändern. Später erklärte er: "Mit einem Verrat meiner Genossen und Vertrauten hätte ich meinen eigenen Lebenssinn aufgegeben."

Diese Haltung war für die meisten Mitarbeiter und Kundschafter der HV A durchaus charakteristisch. Die im Buch geschilderten Ereignisse sind spannend wie eine Kriminalgeschichte und unterscheiden sich dennoch grundlegend von ihr: Sie sind wahr. Jede Begebenheit, selbst jeder Dialog ist weitgehend authentisch und belegbar. Wie es zu diesen Situationen kam, hat Heinz Günther anschaulich in Worte gefaßt.

Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre hatten sich mehrere Staaten Afrikas für einen "nichtkapitalistischen Entwicklungsweg" entschieden und dabei den Versuch gewagt, sich sozialistischen Strukturen anzunähern. Zugleich aber nahmen der Kalte Krieg und die Blockauseinandersetzung immer schärfere Formen an, was auch in Afrika Wirkung zeigte. Die USA und andere imperialistische Mächte taten alles, um progressive Entwicklungen zu blockieren. Geheimdienstliche Aktivitäten, Putschversuche, Anschläge und politische Morde spielten dabei eine besondere Rolle.

Im Rahmen der Unterstützung nichtpaktgebundener Staaten gewann die Gewährleistung ihrer Sicherheit große Bedeutung. Auch die Republik Ghana unter ihrem linksgerichteten Präsidenten Dr. Kwame Nkrumah wandte sich an die Regierung der DDR mit der Bitte um Hilfe bei der Ausbildung eigener Sicherheitskräfte. Diese Aufgabe wurde 1964 Jürgen Rogalla übertragen. In dem Buch wird geschildert, wie der im Einsatz Rogallas zum Ausdruck kommende Geist der Solidarität und Verbundenheit mit der sozialistischen Sache bis in die letzten Stunden der DDR und darüber hinaus für Offiziere wie Kundschafter Lebensmaxime war. Sie wiesen ihnen unterbreitete Angebote - in einigen Fällen bis zur Millionenhöhe - als Preis für Verrat zurück und nahmen dafür oftmals ein Leben in gesellschaftlicher Ausgrenzung, Diskreditierung und Existenzgefährdung in Kauf.

Armin Lufer, Berlin


Heinz Günther: Überzeugung ist nicht käuflich. Das Leben des Aufklärers Jürgen Rogalla. Verlag am Park in der edition ost, Berlin 2014, 258 Seiten mit Abbildungen, 16,99 Euro, ISBN 978-3-89793-218-0

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Die Sicht des Schriftstellers F. C. Weiskopf auf das Jahr 1914

Als der Frieden verlorenging

Die literarische Rückschau auf die explosive politische Atmosphäre und die scharfen Klassengegensätze während der Vorkriegsetappe am Beginn des 20. Jahrhunderts unternahm Franz Carl (F. C.) Weiskopf zu einer Zeit, als er auch um das darauf Folgende wußte. 1938 aus Nazideutschland emigriert, schrieb er sein Romanwerk "Abschied vom Frieden". In einem farbenreichen Sittengemälde zeigt er die überlebte Habsburger "k.u.k-Herrlichkeit im Prag jener Jahrhundertwende. Rund um die Gestalt des freigeistigen Zeitungsverlegers Alexander Reither spannt der Romandichter das vielschichtige Netzwerk einer großbürgerlichen Familie. Besonders die von ihm porträtierten Frauen fordern auf jeweils eigene Weise ihren Anteil an selbstbestimmtem Leben. Dem unfreien, sinnentleerten Dasein einer "Tochter aus bestem Hause" entgeht jedoch nur die junge Adrienne. Sie schließt sich dem Kampf der sozialistischen Arbeiterbewegung an.

Der angesehene Reither-Verlag ist ein Medienzentrum auf der Höhe der Zeit. Bis hinauf in höchste Kreise von Politik und Wirtschaft pflegt er gekonnt seine Verbindungen. Ein agiler Endfünfziger führt das renommierte Haus: der früh verwitwete Alexander Reither, gebildet, tolerant, weltläufig und sinnenfroh. Er gönnt seinen beiden herangewachsenen Enkelinnen Adrienne und Valérie, genannt Wally, alle Freiheiten eines wohlhabend privilegierten Daseins, die er selbst in vollen Zügen genießt. Seine standesdünkelhafte Schwester Karoline Edle von Treuenfels jedoch findet diese Freizügigkeit immer wieder anstößig. Regelmäßig versammelt sie die Ihren zu feiertäglichen Tischrunden in ihrem Salon. Dort obliegen die Familienmitglieder der gepflegten Konversation, die dann oft mit Migräneanfällen der edlen Dame endet. Das geschieht zum Beispiel, wenn Alexander seine schöne Geliebte, die noch nicht geschiedene Irene von Claudi, vorstellt. Oder wenn Wally ihr Verlöbnis mit Marko Gelusich verkündet: Sie hat sich in dieses zweifelhafte amouröse Abenteuer verstrickt, da es ihr widerstrebt, sich in eine langweilige Ehe wegsperren zu lassen, wie es ihren Tanten Ottilie und Helene geschah. So empfindet sie flüchtige Genugtuung darin, den skrupellos-brutalen Geschäftemacher Gelusich - einen ungebärdig wüsten, kaum vorzeigbaren Kerl - erotisch zu beherrschen ...

Mit seinen fast schwelgenden Beschreibungen habsburgischer Behaglichkeit, mit meisterlich gestalteten Dialogen, ob aus Familienkrächen, Liebesgeflüster oder dem Geschäftsalltag des Zeitungsunternehmens, wiegt F. C. Weiskopf seine Leser in Beschaulichkeit, bis in der Mitte des Romans die Idylle unvermittelt abbricht. Da ist Adrienne, beseelt von Verliebtheit und Revolutionsromantik, aus dem Elternhaus getürmt. Auf der Suche nach ihrem Liebsten, dem Druckereiarbeiter und Jungsozialisten Josef Prokop, hat sie Zuflucht in der Küche von Mutter Kalivoda gefunden. Die böhmische Arbeiterfrau tröstet sie und erzählt, wie ihr Vater, Häuer in einem Braunkohlenbergwerk, durch ein schlagendes Wetter getötet worden war, und wie sie, damals fünfzehnjährig, die Sorge für eine gelähmte Mutter und drei kleine Geschwister hatte übernehmen müssen. Wie sie Jahre hindurch um fünf Uhr aufgestanden, eine Stunde weit zur Fabrik gewandert, elf Stunden an der Spinnmaschine gestanden habe. Die Proletarierin berichtet auch von den Mühen und Kämpfen für eine andere Welt, bei denen ihr Mann den Tod fand und für die ihr Sohn Robert und dessen Genossen weiter einstehen.

Adrienne Reither blickt in Mutter Kalivodas Küche erstmals über die Grenzen ihrer Klasse hinaus, überwindet sie, schließt sich den Unbeirrbaren um Robert Kalivoda und Josef Prokop an. Sie bleibt der Organisation auch verbunden, als Josef ihre zärtliche Zuneigung nicht erwidert und seine Mitstreiter ihr die Herkunft zum Vorwurf machen. Sie steht zur Sache, als sie nach einer Streikkundgebung inhaftiert wird.

Aus der Lektüre von Schriften der sozialistischen Klassiker, aus Kampfaktionen und Gesprächen mit Genossen ergeben sich ständig neue Fragen, aber auch Antworten darauf: So Roberts Urteil über die angeblich gemütliche, doch verrottete Donaumonarchie: "Diese scheinbar liebenswürdige, schlampige österreichische Abart des Liberalismus" sei, eben weil sie grundsätzlich alles treiben und weiterstolpern lasse, "aus einer Avantgarde der Bourgeoisie zu einen bloßen Anhängsel der feudalen Mächte geworden". Sie regiere "Österreich in eine Katastrophe hinein ... und wer weiß, vielleicht nicht nur Österreich." Demgegenüber läßt sich Gelusich, Wallys reaktionärer "Verlobter", ganz anders über das Kaiserreich aus. "Der Donauraum braucht zur Entwicklung seiner Wirtschaftskräfte und seiner Expansionswege eine machtvolle staatliche Organisation", verkündet er.

Zugleich gehe es um "den Zusammenschluß aller Südslawen innerhalb einer Reichsgrenze und die wirtschaftliche Durchdringung Albaniens, Bulgariens, Rumäniens, vielleicht auch der Ukraine". "Im alleräußersten Fall" sei Krieg angesagt. Spätestens beim Stichwort Ukraine drängen sich Parallelen zur heutigen Expansion von NATO und EU auf!

Der pazifistisch gesinnte Alexander Reither spürt im Frühjahr 1914 fast körperlich das nahende Unheil. Inmitten der nun brandgefährlichen Spannungen zwischen den imperialen Mächten Europas haben sich die Feindseligkeiten zwischen Österreich und Serbien am sichtbarsten zugespitzt.

Da signalisiert man aus Belgrad die Bereitschaft zum Einlenken, wie aus einer in Journalistenkreise lancierten Nachricht hervorgeht. Alexander nutzt seinen Wissensvorsprung und gute Kontakte zur Regierung für einen verzweifelten Versuch, den Frieden wenigsten um einige Monate zu verlängern. Doch seine Vorsprache beim Außenminister schlägt fehl. Als nur Tage darauf die Schüsse in Sarajevo fallen, weiß er, daß der Frieden verloren ist. Nichts von der vertrauten alten Welt wird so bleiben, wie es war.

Marianne Walz

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Ein großer Wurf Rudi Bergers

Wer Rudi Bergers jüngst erschienenes Buch lesen will, sollte sich gut in der Literatur auskennen. Oder anders gesagt: Nach der Lektüre wird er sich nach einigen Werken der von Berger zitierten Schriftsteller umsehen. Im Untertitel seines Buches formulierte der Autor: "Schlachtfeld Literatur - Schlachtfeld Deutschland. Essayistische Exkurse und ein Credo Poesie" Ich gestehe, daß ich anfangs nicht viel damit anfangen konnte, wenn er im ersten Kapitel einen Dialog mit einer ominösen "Poesita" beginnt. Aber Seiten später erschließt sich mir, daß er sich als schreibender Sozialist mit vielen anderen seiner Zunft auseinandersetzt.

Berger ist eine ehrliche Haut. Er ist nicht als Humanist vom Himmel gefallen. Jahrgang 1924, von dem nur wenige seinesgleichen aus der großen zweiten Schlächterei des 20. Jahrhunderts zurückkehrten, hatte er auch Blut an den Händen. Doch er durchlief einen schmerzhaften Lern- und Läuterungsprozeß, der ihn erkennen ließ: "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!"

Die Literatur, die deutsche allemal, half ihm, seinen eigenen Weg in ein neues Leben zu finden. Als Gewährsmänner standen Rudi Berger zur Seite: Goethe und Thomas Mann, Jakob Michael Lenz und Friedrich Schiller, Johannes R. Becher und Ludwig Börne. Mit ihren analytischen, mahnenden oder aufrüttelnden Vers- und Prosabüchern tritt er seiner Lieblingsgestalt fordernd gegenüber, läßt sich von ihr aber auch nach dem Was und Wie seines Beitrags als Schreibender für eine menschengerechte Welt befragen.

In den folgenden Kapiteln geht der Autor mit gewissen Gegenspielern der Vernunft und des Menschenrechts auf Frieden und Hoffnung ins Gericht. Da wird ein Reinhard Jirgl auseinandergenommen und ihm sein Büchner-Preis um die Ohren gehauen. Als Sohn des Greizer Landes seziert er mit ätzender Schärfe Sätze und Sentenzen eines Reiner Kunze. Auch unser aller Joachim Gauck wird als Ergebnis der Erziehung durch zwei "alte Kämpfer" der NS-Jahre wie auch eigener lernunwilliger Beharrung verstanden. Jorge Semprun - einst ein spanischer Kommunist und Buchenwaldüberlebender, der seinem Glauben als einem grandiosen "Irrtum" abschwört - gerät in Bergers Visier. Mit seinem Essay "Was für ein schöner Sonntag ..." gibt er dem Gauckler die Stichworte zu einer Rede im Bundestag. Und noch andere Geister und Ungeister werden vom Autor beim Namen genannt: Uwe Tellkamp mit seinem "Turm", Günter Ullmann (wieder ein Greizer wie Reiner Kunze) und andere.

Berger, dem die Haltung eines Thomas Müntzer aus dem Herzen spricht, ist mit seinem Buch ein großer Wurf gelungen.

Dieser Bruder Thomas, der sicher gern den Triumph seiner und der Bauern Hoffnung genossen hätte, nimmt den eigenen Tod gefaßt in dem Gedanken hin, daß es die Enkel besser ausfechten werden. Am Schluß seines Buches, aus dem der RF übrigens vor der Drucklegung größere Abschnitte als Serie veröffentlichte, läßt Rudi Berger auf dem Theaterplatz von Weimar in Abwesenheit des großen Dichterpaares einen Literaturzwist vom Stapel, in welchem sich die Träumer und Humanisten, die Sucher und Sezierer, die Kämpfer und die Gestrandeten unter den Literaten ein vielstimmiges Wortgefecht liefern. Dieses endet mit Bergers Einsicht, die er in Formulierungen Georg Maurers hüllt:

Arbeit ist die große Selbstbegegnung des Menschen.
Wüßte er sonst, wer er ist?
Sammelt er das Wasser am Staudamm, so sammelt er sich.
Läßt er sich gehen, so ist er nur Wasser, das verrinnt.
Facht er das Feuer an im gemauerten Ofen, so ist er es, der wärmt.
Wütet er, ist er nur Feuer, das Städte und Menschen frißt.
Geht er nicht die Bahnen der Sterne, bleibt er das grasende Vieh.
Fühlt er nicht die Sehnsucht der Menschheit, ist er der Stein, der erschlägt.

Peter Franz



Rudi W. Berger: Dran, dran, solang ihr Tag habt.
Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2013,
266 S., 14 €, ISBN 978-3-95514-010-6

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Kurt F. Neuberts einprägsamer Antikriegsroman

"Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg" lautet der Titel eines spannungsgeladenen Entwicklungsromans von Kurt F. Neubert, Jahrgang 1924. Frappierend wirklichkeitsnah zeichnet er das Leben eines jungen Deutschen nach, der als Panzersoldat durch die Hölle des großen Gemetzels ging. Fast jede Zeile verrät den Zeitzeugen.

Wer war dieser Karl Hellauer? Was er im Rückblick auf das Erlebte schreibt, steht für tiefe Eindrücke vieler aus seiner Generation, die sich blutjung zum Kriegsdienst meldeten, den verlogenen Parolen der Nazis glaubten und sich kopfüber in die Katastrophe stürzten.

Es ist ein sehr lesenswerter Antikriegsroman, der in überzeugender Weise Antwort auf viele Fragen gibt, die sich Nachgeborene stellen.

Wie war es möglich, daß sich der Held des Geschehens selbst dann noch, als der Krieg schon längst als verloren galt und seine ursprüngliche Begeisterung auf den Nullpunkt gesunken war, dennoch zum Weitermachen und Durchhalten entschloß? Mit detaillierten Schilderungen der menschenverachtenden Abrichtungsmethoden einiger seiner Ausbilder in Neuruppin führt der Autor dem Leser vor Augen, wie die Soldaten der faschistischen Wehrmacht zu blindem Kadavergehorsam und zur widerspruchslosen Ausführung ihnen erteilter Befehle so abgerichtet wurden, daß eigene Entscheidungsfindungen gar nicht mehr möglich waren. Nachdem sein Panzer einen Volltreffer erhalten hatte und er selbst dem Tod nur knapp entronnen war, fand sich der Held des Romans mit schwersten Verbrennungen im Lazarett wieder.

Kurt F. Neuberts literarisch verdichteter autobiographischer Rapport geht weit über die bloße Verarbeitung von Kriegserlebnissen hinaus. In einfühlsamer Weise werden auch die ersten tastenden Liebesbeziehungen des jungen Mannes offenbart.

Frauengestalten, von der Mutter bis zur Lebenspartnerin, nehmen einen wichtigen Platz im Roman ein. Aus meiner Sicht gehören diese zauberhaften, emotional berührenden Darstellungen zu jenen Seiten, welche das Buch so lesenswert machen.

Wie von einer schweren Last befreit, schildert der Autor das Ende des Krieges. Bereits auf dem Weg nach Hause, gerät er in amerikanische Gefangenschaft. Im offenen Feldlager auf den Rheinwiesen bei Bad Kreuznach wird er zum Leidensgefährten derer, die mit dem Tod ringen. Denn auch hier geht das Sterben weiter. Damit endet im Roman die Wandlung Kurt F. Neuberts vom Hitlerjungen zum Pazifisten. Es ist aber nicht das Ende seines Selbstveränderungsprozesses. Der führt ihn in eine neue antifaschistische und später sozialistische Gesellschaft.

Es brauchte seine Zeit, bis der Heimkehrer durch gründliches Überdenken des im Krieg Erlebten und Erfahrenen so weit war, sich aktiv an allem beteiligen zu können.

Kurt F. Neubert ist mir seit langem gut bekannt. Uns verbinden die Freundschaft Gleichgesinnter und der gemeinsame Offiziersdienst bei den Grenztruppen der DDR. Mit Bewunderung verfolge ich, wie es ihm mit seinen Buchlesungen und Auftritten in Bibliotheken, vor Schulklassen und anderswo immer wieder gelingt, besonders bei jungen Menschen Interesse und Gesprächsbereitschaft zu wecken. Auch das widerspiegelt die Tatsache, daß "Karl Hellauers Wandlung" ganz offensichtlich ins Schwarze trifft.

Oberstleutnant a. D. Fritz Fleischer, Zeuthen


Kurt F. Neubert: Karl Hellauers Wandlung im Zweiten Weltkrieg.
epubli-Verlag, Berlin 2013, 276 S., 17,50 €

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Laudatio auf ein geschmähtes Wort

Wer sich heute in der publizistischen Öffentlichkeit traut, Gedanken über eine nichtkapitalistische Gesellschaft zu äußern und sich dabei gar des Terminus Kommunismus bedient, dem ist eines sicher: Über derart Kühne wird eine heulende Journalistenmeute à la Klaus Kleber, Marietta Slomka oder Franz Josef Wagner herfallen. Denn Kommunismus ist für die Wortführer der Kapitalmedien nicht nur das ewige "Unwort". Für sie und ihre Auftraggeber gilt es, seine Inhalte zu bekämpfen. Ins Visier geraten dabei vor allem jene, welche sich zum Sinn dieses "Unwortes" bekennen. Nicht nur Gesine Lötzsch kann ein Lied davon singen.

Ein Literaturwissenschaftler, ein Rechtsphilosoph und ein Journalist - Wolfgang Beutin, Hermann Klenner und Eckart Spoo - haben sich dennoch nicht abschrecken lassen, auf 200 Druckseiten eine Sammlung positiver Aussagen zur kommunistischen Idee einer ausbeutungs- und unterdrückungsfreien Gesellschaft vorzulegen. Dafür haben sie den Fundus der Weltliteratur nach Aussagen durchforstet, deren Verfasser sich direkt oder indirekt zu jener Gesellschaft äußern, in der die Menschen als Freie und Gleiche ein erfülltes Leben finden können. 103 Namen von Frauen und Männern verzeichnet das Register der drei Autoren. "Ausgewählt zumeist aus der Fülle des in Europa Überlieferten", schreibt Hermann Klenner in seinem Vorwort, "wird in den nachfolgenden Fundamentalsätzen kommunistischer Denk- und Lebensweise deren Wirklichwerden erhofft, gefordert oder erwartet, in wenigen Fällen auch über wirkliche Ansätze berichtet. Sie sind in durchaus unterschiedlicher Weltanschauung eingebettet. Deren Autoren verstanden sich keineswegs alle als Kommunisten, die allermeisten aber als Gegner von Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Verdummungsverhältnissen in der Gesellschaft ihrer Zeit. Einige von ihnen haben für ihre Überzeugungen mit dem Leben gezahlt."

Schon beim Durchblättern kommt der Leser aus dem Staunen nicht heraus, bei wem die Herausgeber auf Substantielles stießen: Platon und Marc Aurel, Paracelsus und Rousseau, Heinrich Heine und Étienne Cabet, Hermann Hesse und Thomas Mann, Fritz Reuter und Oscar Wilde - um nur einige zu nennen. Und natürlich fehlen Marx und Engels, Lenin und Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci und Fidel Castro nicht.

Es ist dies kein Buch, das man wie Romane in einem Zug liest und dann beiseite legt. Es ist ein Bändchen, zu dem man immer mal wieder greifen wird. Und das nicht nur in Mußestunden, sondern gerade auch in Momenten der ideologischen Auseinandersetzung mit Antikommunisten der Gegenwart.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß diese Publikation zugleich eine typographische und gestalterische Augenfreude ist. Dazu tragen die geistvollen Illustrationen des Malers und Grafikers Thomas J. Richter ganz wesentlich bei. Sie lohnen mehr als einen flüchtigen Blick, zumal sie "unter trotziger Verwendung von Symbolen, die in einigen EU-Ländern verboten wurden oder werden sollen", zustande kamen. Den Mut, dieses Buch vorzulegen, hatte der die gleichnamige Zweiwochenschrift herausgebende Verlag Ossietzky. Bleibt zu hoffen, daß der Titel "Lob des Kommunismus" viele Käufer findet.

Am Schluß dieser Rezension mögen die eindrucksvollen Zeilen Étienne Cabets stehen: "Seit ihrem ersten Auftreten werden die Kommunisten verleumdet, mundtot gemacht und verfolgt. Was tut's! Man braucht Mut für seine Überzeugung; man muß sagen, was man ist. Ich bin Kommunist!"

Dr. Edmund Schulz, Leipzig


Lob des Kommunismus. Alte und neue Weckrufe für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen. Herausgegeben von Wolfgang Beutin, Hermann Klenner, Eckart Spoo. Illustriert von Thomas J. Richter.
Verlag Ossietzky, Hannover 2013, 200 S., 20 Euro,
ISBN 978-3-944545-02-08

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Sie machen Geschäfte und Politik, ohne eine Spur von der Botschaft Jesu.

Das schreit zum Himmel - aber es könnte sich etwas verändern, drei Grasspitzen Hoffnung.

Ein starrsinniger alter Mann hat sich zur Ruhe gesetzt, sein öffentlich gezeigter Segen war keiner. Die Menge auf dem weiten Platz in Rom, oder die Ärmsten, wenn er sie besuchte, nahmen seinen Segen, aber es war nur Zeremonie, niemals Lebenshilfe, war keine Erleichterung.

Die katholische Kirche ist glaubensfest und sehr erfahren darin, sich alles vom Hals zu halten, was die Dogmen in Frage stellen könnte. Mit ihrer eigenen Geschichte gehen viele ihrer Vertreter um, als sei sie nur ruhmreich. Obwohl Papst Pius so lange gezaudert hat, bis kein Geschäft mit Hitler mehr zustande kam und die Juden vor der Deportation nicht zu retten waren. Ich erinnere mich auch an den unseligen Spruch auf dem Koppelschloß, der behauptete, daß Gott ausgerechnet die eigenen kriegerischen Untaten schützt.

Der spätere Schriftsteller und Grafiker Peter Edel wollte seine junge Ehefrau Esther in den Schutz eines Klosters bringen. Er sprach mit Mönchen und Nonnen, bat, wartete verzweifelt. Obwohl es solche Beispiele von Lebensrettung gegeben hat, starb Esther in Auschwitz an medizinischen Experimenten. Ist ihr Schicksal nur eine Ausnahme?

Oder einer der Beweise dafür, daß sich die katholische Kirche in der Nazizeit vor einer klaren antifaschistischen Haltung gedrückt hat? Es blieb dem einzelnen Pfarrer, im Hirtenbrief oder in der Predigt, bei den Verurteilten in der Zelle oder durch heimliche Überbringung letzter Nachrichten für die Angehörigen überlassen, das eigene Leben zu riskieren.

Die Festung Kirche ist sehr reich und sehr sicher, die unantastbaren Dogmen sorgen für jene Ängste bei den Gläubigen, die jede Macht braucht: Angst vor Strafe, der Verdammnis, dem Übermaß der eigenen Verantwortung.

Ich sehe mich als Halbwüchsige im Innviertel, im österreichischen "Neureich", das eben ans Altreich angeschlossen wurde, damals zur überwiegenden Begeisterung der Bevölkerung, auch bei uns im Dorf. Die Pferde wurden ausgespannt, wenn Hitler sprach. Unser Pfarrer las alte Texte, und man hätte beim besten Willen keinen widerständigen Sinn erkennen können. Vor dem Essen stellten wir uns, nach Rang, in einer Reihe auf und beteten laut. Gläubige Menschen, Katholiken, aber ich kannte alle ihre Geheimnisse. Die waren sehr irdisch. Auf dem Platz des jungen Bauern saß der Kriegsgefangene Raymond. Er war auch zu Hause Bauer, und wer das querliegende Kalb mit bloßen Händen aus der Kuh holt, dem Zuchtstier auf die Kuh hilft und die Pferde auf dem regennassen Acker antreibt und hält, der sitzt auf dem Platz des eigentlichen Hausherrn Karl, der sich gerade am Kursker Bogen militärischen Befehlen beugte, was den Gefreiten das Leben kostete. Hat er gebetet, im letzten Augenblick, hat er 1943 gewußt, daß der großdeutsche Endsieg nicht stattfinden würde?

In Rom wurde nun als Papst ein gütiger Mann gewählt. Franziskus nennt sich nach seinem berühmten Vorbild, und führt das einfache Leben fort, für das er in seiner südamerikanischen Heimat zum Vorbild wurde. Er wohnt nicht in den Prunkgemächern seiner Vorgänger, scheint noch ganz bei Trost zu sein, fährt bisher nicht mit dem gepanzerten Papamobil, sondern mit seinem gewohnten Auto und redet mit Staatenlenkern auch mahnend, mit der Menge ziemlich normal.

Das hat ein anderer vor ihm scheinbar auch getan, nur unterstützte er damit eine Konterrevolution in Polen, die den Arbeitern alles versprach und nichts hielt. Seine eigene Aufgabe als Oberhirte hat er niemals kritisch befragt, mit ihm gab es kein Überdenken jahrhundertealter strenger und lebensfremder Vorschriften.

Franziskus scheint ein Mensch zu sein, mit dem die Kirche zu ihrer eigentlichen Aufgabe reifen könnte: dem Menschen ein Helfer zu sein.

Ich war Katholikin. Das hat man mir gesagt. Da es niemand besser wußte, ging ich zur Kommunion, wurde gefirmt und heiratete siebzehnjährig gesegnet. Der Pfarrer war aber kein Katholik, sondern Protestant, und seine Kirche, von Schinkel entworfen, war protestantisch, was keinem meiner Verwandten je auffiel. Sie hatten als Katholiken alle ihre Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern in der protestantischen Kirche begangen.

Ich will glauben, daß Papst Franziskus zunehmend kritisch die katholischen Dogmen am normalen Leben mißt, und die Diskrepanz zwischen geforderter und dem Menschen möglicher Moral wenigstens verringert. Nur die katholische Kirche hält Wiederverheiratete in der ersten Ehe fest. Papst Franziskus könnte uns auch aus der Empörung über das Verbot von Verhütung und Schutz vor Ansteckungen mit tödlichen Krankheiten erlösen.

Männer und Frauen begehren das andere Geschlecht, oder das eigene, aber das ist nicht krank, sondern Natur, das bunte Leben. Unmoralisch kann ein Mensch jeglichen Geschlechtes sein, dazu braucht es keine Spielart.

Wir haben lange genug mit den Folgen falscher Vorschriften und sogar verbrecherischen Besitzschutzes gelebt. Vertreter aller Religionen haben auch vor mörderischer Macht versagt, sie geduldet und eigene Ziele in ihr untergebracht. Immer war es der einzelne Mensch, der uns belehrte über das, was Kirche sein und was sie leisten kann.

Wir hatten einen alten Katecheten, der uns langweiligen Religionsunterricht gab. Uns war kein Streich zu blöd. Und er war ein Heiliger, hat uns nie bestraft. Aber er sparte von seiner Lebensmittelkarte, was er brauchte, um den Konfirmanden kleine Kuchen als Geschenk zu backen. Andere schenkten Zettel mit Sprüchen.

Er, dessen Namen ich vergessen habe, während mir seine dünne lange Gestalt und sein hageres Vogelgesicht eingebrannt sind, hat keine Butter und keinen Zucker gegessen. Er kam bei jedem Wetter sonntags in unsere Schloßkapelle, ohne Frühstück, acht Kilometer Weg, und eines Tages brach er nach den ersten Worten auf der Kanzel zusammen.

Hunger, Kälte, Entbehrung. Es hieß, daß er sein Häuschen nie geheizt hat. Als er starb, durchforschte mein Blick gerade die Skelette zweier Märtyrer, die mit bunten, manchmal glitzernden Steinen besetzt waren. Darunter sollten noch immer echte Edelsteine sein. Die wollte ich mir später einmal holen.

Ich war bei seiner Beerdigung. Und wenn ich einen Grund brauche, beschämt zu sein, tritt er durch meine Tür. Er sieht mich nicht an. Er hat mich nie angesehen. Auch wir haben uns verfehlt.

Ich habe tiefe Ehrfurcht vor Janusz Korczak. Er hat die ihm anvertrauten Waisenkinder bis in die Gaskammer begleitet. Das war Selbstmord. Und Selbstmord ist für die katholische Kirche eine Todsünde. Korczak hat sie auf sich genommen. Moral läßt sich eben im Leben nicht nur über Gebote regeln, über lebensfremde Verbote schon gar nicht.

Auch über Korczak und Pastor Kolbe sollten wir den Nachgeborenen besser vermitteln, was wir aufrechten und unvergeßlichen Christen zu danken haben.

Ich bin gegen die Ohrenbeichte und die damit verbundene Schweigepflicht für den Pfarrer. Auch Kindermörder können durch Gebete von ihrer Schuld entbunden werden, ohne daß ihnen damit geholfen wäre.

Die Kirche braucht einen Prüfstand für ihre ganze Geschichte, ihre Verdienste und ihre Verbrechen.

Ja, ich hoffe. Sie haben schließlich auch aufgehört, unschuldige Weiber zu verbrennen.

Die katholische Kirche darf ihre Gläubigen nicht länger in Nöte bringen, die sie nur durch Sünden lindern können. Wenn sie nicht vereinsamen will, wird es dafür höchste Zeit.

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Leserbriefe an RotFuchs

Herzlichen Dank für Eure Zeilen zu unserem Imperialismus-Papier! Wir werden gerne in Kontakt bleiben und sind interessiert am weiteren Ausbau solidarischer Beziehungen mit dem "RotFuchs".
Die Kommunistische Partei der italienischen Schweiz ist durch eine leninistische Erneuerung der alten Partei der Arbeit (Partito del Lavoro) in Verbindung mit einer radikalen Verjüngung des Mitgliederbestands hervorgegangen. Am Kongreß von Locarno 2007 nahm sie den heutigen Namen (Partito Comunista) an. Im Jahre 2013 hat sich auch die wiedergegründete PdA des dreisprachigen Kantons Graubünden mit der Tessiner Partei zusammengeschlossen.
Mit solidarischen Grüßen Kommunistische Partei der italienischen Schweiz

Massimiliano Ay, Politischer Sekretär, Locarno


Dieser Tage habe ich von einem Tessiner Genossen Informationen über den "RotFuchs" erhalten. Ich möchte Euch wissen lassen, daß Ihr jederzeit die auf unserer Homepage "kommunisten.ch" publizierten Texte verwenden könnt.

Marcel Hostettler, Bern


Das Ziel der jüngsten Operation Washingtons, Berlins und Brüssels war eindeutig: Die Ukraine sollte unverzüglich unter den NATO-Schirm geholt werden. Sie wollten ihre Landserstiefel vor Putins Rußland setzen, wie sie es bereits in Moldawien, Armenien und Aserbaidschan getan haben. Und sie gedachten die Krim an sich zu reißen, um sie zum Flottenstützpunkt ihrer Armada zu machen. So sollte der Prozeß der Einkreisung Rußlands vollendet werden. Wie stets in solchen Fällen fanden sich auch diesmal einheimische reaktionäre Kräfte als Aushängeschild für eigenes Handeln. Der durch die BRD auserkorene Millionär und Boxchampion Vitali Klitschko sollte das Feuer des Maidan anheizen. Flugs erschienen Vertreter der NATO und der EU, allen voran Merkels Außenminister Steinmeier, der den versammelten Swoboda-Faschisten die Hände schüttelte und Hilfe versprach.
War es da ein Wunder, daß wenig später eine angebliche Beobachtergruppe der OSZE auftauchte, um das potentielle Schlachtfeld in der Ostukraine zu inspizieren? Die Tatsache, daß diese Gruppe ausgerechnet von einem Obristen der BRD, dem weitere vier Bundeswehroffiziere zugeordnet waren, angeführt wurde, spricht Bände! Man stelle sich einmal vor, in Berlin würden fünf russische Offiziere eintreffen, um schnell mal "nach dem Rechten zu schauen"! Was würde da wohl passieren?

Hans-Peter Ackermann, Oberviechtach (Bayern)


Ja, es gibt gute Gründe, einen Toast mit Krimsekt auszubringen. Danke, Klaus Steiniger, für Deinen Leitartikel im Juni-Heft! Ich schließe mich aus ganzem Herzen und mit voller Zustimmung dem darin Gesagten an und teile die dort vorgenommene Lageeinschätzung sowie die Bewertung der Absichten der NATO und der EU zur Schwächung des russischen Einflusses. Die NATO-Strategen, vor allem USA-Präsident Obama und BRD-Kanzlerin Merkel, waren sich schon ziemlich sicher, Rußland politisch, militärisch und ökonomisch weiter zurückdrängen und zur Regionalmacht degradieren zu können. Das aber ist ob der klugen Politik Putins, vor allem aber auch dank der Haltung der russischen Bevölkerung, einschließlich jener auf der Krim und im Osten der Ukraine, gründlich gescheitert. Wie tief dies Frau Merkel getroffen hat, zeigte ihre Miene auf der Gedenkfeier in der Normandie, als sie Putin begegnete. Das war zur Schau gestellte Wut. Für Putin aber bedeutete es eine Bestätigung der Richtigkeit seiner Politik. Allen friedliebenden Menschen gibt Moskaus Haltung die Hoffnung, den imperialistischen Großmachtgelüsten Einhalt gebieten zu können.

Generaloberst a. D. Werner Großmann, Berlin


Mich empört die ständige Hetze gegen Putin und das Schüren einer antirussischen Stimmung, die täglich mehr hochgeschaukelt werden. Sie erinnern mich sehr an die antisowjetische Hetze der Nazis, die ich als Kind erlebt habe. Es ist ja nicht mehr so wie zu Zeiten Goethes, der im "Faust" einen Bürger sagen ließ:

"Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen."

In unseren Tagen ist die Ukraine sehr nahe. Ich hoffe und wünsche nur, daß es nicht zu einem großen Krieg kommt.

Beate Bölsche, Brielow


Putins Politik ist umstritten. Tatsache ist jedoch, daß der russische Präsident dem unaufhörlichen Drang der NATO nach Osten Einhalt gebietet - ganz im Gegensatz zu Gorbatschow und Jelzin. Das ist sein historisches Verdienst. Schimpfkanonaden, Säbelrasseln und Sanktionen sind Antworten seiner "dialogbereiten" Gegner.

Günther Röska, Leipzig


1997 schrieb der US-Strategieplaner Zbigniew Brzezinski: "Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Rußland kein eurasisches Reich mehr ... Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangt Rußland automatisch die Mittel, ein mächtiges, Europa und Asien umspannendes Reich zu werden."
Liest man diese Zeilen, dann erklärt sich die Strategie und Taktik der US-Außenpolitik auf logische Weise. Der Kalte Krieg ist nicht "wieder ausgebrochen", sondern hat sich nach dem Zerfall der UdSSR weiter fortgesetzt. Man könnte ihn "postsowjetischen Antisowjetismus" nennen.

Peter Pöschmann, Döbeln


Am 69. Jahrestag der Befreiung habe ich mit Interesse den RF-Artikel "Die Rechnung ohne den Wirt gemacht" über Hintergründe des Kampfes gegen Putin gelesen. Man muß dem dort Gesagten weitgehend zustimmen. Russen und Ukrainer sind seit Menschengedenken Brudervölker, ihre Volkswirtschaften eng miteinander verwoben. Die Krim ist für Rußland aus vielen Gründen unverzichtbar und darf niemals zur Einflußzone der NATO werden. Auch gilt es, der Einkreisungspolitik der USA und der NATO gegenüber Rußland Einhalt zu gebieten.
Etwas mißverständlich erscheint mir die Aussage des Artikels, Rußland sei eine "wiedererstandene Weltmacht". Auf dem Wege dorthin ist das Land sicher, aber dazu gehört mehr als nur ein entsprechendes militärisches und besonders nukleares Potential. Die Sowjetunion gibt es leider nicht mehr. Das gegenwärtige Rußland aber ist keineswegs sozialistisch. Dennoch muß man davon ausgehen, daß die Krim in Rußland besser aufgehoben ist als in der Ukraine. Das gilt sowohl für ihre Bevölkerung als auch für den Frieden in Europa.

Generalmajor a. D. Heinz Bilan, Leipzig


Eine Meldung internationaler Nachrichtenagenturen rief meine Aufmerksamkeit hervor. Demnach "hat am 5. Mai in Estland das Militärmanöver 'Frühlingssturm' begonnen, an dem NATO-Mitgliedsländer teilnehmen. Am Vortag wurde auf dem Luftstützpunkt Ämari bei Tallinn feierlich eine Kompanie der 173. US-Fallschirmjägerdivision begrüßt. Recherchiert man hierzu in unterschiedlichen Medien, so ergibt sich ein Bild, das sich voll und ganz in die Ereignisse um die Ukraine und die Pentagon-Strategie zur Einkreisung Rußlands einordnet. Bemerkenswert erscheint, daß die vorgenannte US-Kompanie bis zum Jahresende in Estland bleiben soll. Für einen längerfristigen Einsatz werden polnische NATO-Jagdflugzeuge in Litauen stationiert. Am Manöver beteiligen sich rund 6000 NATO-Soldaten aus mehreren Ländern, darunter erstmals eine Cyberschutzgruppe aus Frankreich. Vor dem Hintergrund der ukrainischen Ereignisse und in Kenntnis der NATO-Verbrechen im Jugoslawienkrieg und bei anderen Aggressionen erscheinen diese Aktivitäten mehr als bedenklich.

Dietmar Hänel, Flöha


Unlängst war ein kolumbianischer Arzt, der in Berlin wohnt und in Neuruppin arbeitet, in unserer Ferienpension auf Rügen zu Gast. Er freute sich bei der "RotFuchs"-Lektüre besonders über Artikel zu internationalen Themen. Wir tun das auch. Unsere Gedanken sind jetzt oft bei den ukrainischen Genossen im Donezk-Becken. Dort war ich 1993 mit Solidaritätsgütern.

Renate Rega, Lauterbach


Als Leser Eurer Zeitschrift bin ich sehr froh, in den Artikeln des RF historische und aktuelle Wahrheiten zum Weltgeschehen zu finden. Natürlich war ich besonders daran interessiert zu erfahren, wie Ihr die Ereignisse in der Ukraine betrachtet und kommentiert. Mit allem, was dazu im "RotFuchs" stand, stimme ich überein.

Manfred Wild, Berlin


Mit den Bemerkungen zu Putin im RF 196 bin ich einverstanden, obwohl mir einiges an seiner Politik mißfällt, so zum Beispiel, daß der Aufmarsch der USA zum Völkermord in Afghanistan über russisches Territorium erfolgen konnte. Putin ist sicher kein Sozialist, aber er hat die Auslieferung Rußlands an den Westen, die Gorbatschow und Jelzin betrieben, beendet. Jetzt hat er verhindert, daß die NATO, die schon bis an die Grenzen Rußlands vorgedrungen ist, sich auch noch die Krim mit Sewastopol unter den Nagel reißen konnte.
Auch die Einschätzung der EU im Mai-Leitartikel findet meine Zustimmung. Leider hat eine Mehrheit der Delegierten auf dem Hamburger Parteitag der "Linken" aus der Präambel den vom Parteivorstand vorgeschlagenen Satz gestrichen, wonach die EU eine neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht ist. Es fehlte noch der Hinweis, daß es sich um eine im höchsten Maße unsoziale Institution handelt. Die Charakteristik sei zu düster, wurde in Hamburg bemerkt. Wenn es um die DDR und den Sozialismus geht, kann es dagegen manchen gar nicht düster genug sein. Es ist eine Anmaßung, von Europa zu sprechen, wenn nur die Europäische Union gemeint ist. Zu Europa gehören nicht nur die flächenmäßig größten europäischen Staaten Rußland und Ukraine, sondern auch Norwegen und die Schweiz.

Dr. Kurt Laser, Berlin


Den 40. Jahrestag der Nelkenrevolution haben wir in Portugal verbracht. Während wir im vergangenen Jahr den 25. April in Balaizão - dem Märtyrer-Dorf im Alentejo, wo die junge Streikführerin der Landarbeiter, die Kommunistin Catarina Eufémia, 1954 erschossen wurde, verbrachten, zog es uns diesmal nach Grândola. Die Stadt ist ja durch das gleichnamige Lied José Afonsos, das vor 40 Jahren zum Signal des antifaschistischen Aufstands wurde, weltweit bekannt geworden.
Dieser Abstecher bildete den krönenden Abschluß eines politisch wieder sehr aufregenden und interessanten Winters in unserer zweiten Heimat. Höhepunkte des mehrmonatigen Aufenthalts in Portugal waren ein Abend mit Jerónimo de Sousa, dem Generalsekretär der portugiesischen KP, die Feier zum Internationalen Frauentag in Faro und eine Solidaritätsveranstaltung der PCP mit kubanischen Genossen, an der auch die Frau eines der Cuban Five teilnahm. Wir waren bei zahlreichen Demonstrationen zugegen und haben etliche Streiks miterlebt. Dieses Portugal ist einfach liebenswert und gut für unsere "politische Seele".

Biggi und Lutz Manke, Aue


In den Kriegsjahren lebte unsere Familie in Meißen. Als ich an einem Sommertag des Jahres 1943 aus der Haustür trat, um in die Schule zu gehen, blieb ich wie erstarrt stehen. Vor mir stand das kaum noch benutzbare Wrack einer Schubkarre, auf dem ein Haufen Lumpen lag. Zwischen den Griffen stand ein Mann, bis auf die Knochen abgemagert, in einem abgerissenen schmutzigen Militärmantel der Roten Armee. Eine Sekunde lang sahen wir uns in die Augen. Seine lagen tief in schwarzen Höhlen. Es war keine Angst darin, nur eine abgrundtiefe Resignation. In diesem Moment bewegten sich die vermeintlichen Lumpen auf der Schubkarre, und ich bemerkte zu meinem Entsetzen, daß darunter etwas lag, was früher einmal ein ganz normaler Mensch gewesen sein mußte.
Wie von Sinnen rannte ich davon, einmal, um dieses entsetzliche Bild loszuwerden, zum anderen aus Angst, irgend jemand könnte bemerkt haben, daß ich diese Elendsgestalten gesehen und nicht sofort angezeigt hatte. Die Erinnerung an diese Begegnung ist bis heute - ich bin jetzt 86 - in mir wachgeblieben.
Der RF-Beitrag über sowjetische Kriegsgefangene veranlaßte mich zu diesem Bericht. Er zeigt, daß sie in Deutschland menschenverachtend behandelt und - wenn überhaupt - kaum verpflegt wurden. Denn das, was man ihnen gab, ging ja zwangsläufig der deutschen Bevölkerung verloren. Diese "Untermenschen" aber konnten doch nicht zum Nachteil der wertvollen Deutschen durchgefüttert werden. Nach Kriegsende fand die Rote Armee unweit von Kamenz ein riesiges Massengrab sowjetischer Gefangener, von denen die meisten wahrscheinlich verhungert waren.

Dr. Eva Hoffmann, Berlin


Vielen Dank für die Mai-Ausgabe. Daß mich der Leitartikel meines Genossen Klaus Steiniger sehr erfreut, ist sicher nachvollziehbar. Darüber hinaus aber war auch die diesmal gelbe "Mitte" wieder von hoher Qualität. Ohne Sabine Lösing zurücksetzen zu wollen - der "Biermann" von Gisela Steineckert ist inhaltlich, literarisch und zeitgeschichtlich ein Leckerbissen.

Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, Essen


Ich bedanke mich für die beiden hervorragenden Beiträge von Gisela Steineckert. Auch wenn sie ihre Geburtstage nicht feiern mag - mögen ihr und uns noch recht viele davon vergönnt sein!

Hannelore Baumgarten, Zeuthen


Die Mai-Ausgabe des RF hat mir wegen des Artikels über Biermann fast die Sprache verschlagen. Ich kannte ihn aus seiner Hamburger Zeit. Damals war er noch Gymnasiast, ich ein junger Kulturredakteur der "Hamburger Volkszeitung". Biermann verfaßte für uns Artikel, wobei der Redaktion nicht verborgen blieb, daß er ein begabter Schreiber war. Ich wußte auch, daß die Nazis seinen Vater ermordet hatten und Mutter Emma, ein aktives Mitglied unserer KPD, in grenzenloser, unkritischer Liebe an ihrem Sohn hing.
Erst jetzt nach dem Artikel von Gisela Steineckert reimt sich mir zusammen, weshalb Emmis Wort in der KPD-Landesleitung Wasserkante so viel galt. Ich wurde sogar in deren Kaderabteilung gerufen, weil ich Beiträge Wolf Biermanns redigiert und gekürzt hatte. Oft habe ich an diesen beispiellos arroganten Menschen denken müssen, der total frei von Selbstkritik war.

Günther Wilke, Hamburg


5. Mai. Am Vormittag habe ich den "RotFuchs" aus dem Briefkasten geholt und anschließend sofort zu lesen begonnen. Danach beschloß ich, einen Brief zu schreiben. Auch deshalb, weil ich in dieser Ausgabe bei 34 veröffentlichten Zuschriften nur drei weibliche Vornamen entdeckte.
Doch der Hauptgrund: Ich sende einen ganz lieben Gruß an Frau Gisela Steineckert. Mit Freude habe ich festgestellt, daß sie seit kurzem zum Autorenkreis gehört. Ihr Artikel "Hand aufs Herz" deckt sich mit meinen Eindrücken und Gefühlen. Zum Extra-Beitrag über Wolf Biermann in dieser Ausgabe möchte ich sagen: Ja, die Zusammenhänge der Ereignisse mußten einmal aufgeschrieben werden - spät, aber noch nicht zu spät. Hoffentlich nehmen viele Leserinnen und Leser davon Kenntnis.

Ruth Kurth, Gera


Natürlich kannte ich, was Hermann Kant, Günter Görlich und Klaus Höpcke über die Biermann-Affäre geäußert haben. Und im Bezirk Prenzlauer Berg erlebte ich Biermann selbst im sogenannten BAT (Berliner Arbeiter- und Studententheater) mit seinem "Bum-Bum-Bum, Mauer, fall bald um ...". Was Gisela Steineckert im Mai-RF dazu geschrieben hat, finde ich hervorragend! Es erhellt, warum wir bei aller Rücksicht auf die engagierte Biermann-Mutter und seinen Vater, den antifaschistischen Widerstandskämpfer, gar nicht umhin kamen, uns dieses antikommunistischen, in sich selbst verliebten "Barden" zu entledigen, leider in einer Weise, die uns selbst geschadet hat ... Ich denke, wir können Genossin Gisela Steineckert für diesen Beitrag nur dankbar sein.

Dr. Ernst Heinz, Berlin


Vielen Dank für den Abdruck des Artikels "Über die Biermann-Legende" von Gisela Steineckert. Er dürfte für viele Leser aus der Alt-BRD sehr interessant sein.
Am 6. Februar richtete Biermann einen offenen Brief an Vitali Klitschko, der im "Tagesspiegel" erschien. Auch hieran kann man sehen, wes Geistes Kind Biermann ist. Ein Auszug mag genügen. Er schrieb: "Weil wir Sie kennen und schätzen, senden wir Ihnen persönlich ein paar Worte der Ermutigung an all die Menschen, die jetzt in der Ukraine für wahre Demokratie ... so tapfer kämpfen. Auf vielen Kontinenten tobt der ewige Freiheitskampf, der seit Generationen in immer neuen Kostümen und historischen Kulissen ausgefochten wird. Aber die Ukraine ist hier in Europa unser Nachbar, und also berührt dieser Streit viel direkter auch unsere eigenen Interessen und unser Schicksal ... Wir Deutschen erleben diesen Kampf nur am Fernsehapparat, so wie sonst Ihre Boxkämpfe. Wir bestaunen und bewundern, daß dieser ukrainische Weltmeister mehr kann als mit den Fäusten sprechen. Wir erwarten mit Zorn und Bangen, daß die Hoffnung auf einen unblutigen Sieg Ihnen und ihren Freunden in Kiew nicht verlorengeht."

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)


Mit Genugtuung habe ich gelesen, was Gisela Steineckert zu Biermann geschrieben hat. Jedes ihrer Worte ist notwendig, richtig und ein Teil der Wahrheit, die bisher so noch nicht auf den Tisch gekommen war. Als die Ernennung Biermanns zum Ehrenbürger Berlins bevorstand, äußerte sich auch Markus Meckel dazu. Der war seit April 1990 Außenminister der Regierung de Maizière und in dieser Eigenschaft mein Chef. Außerdem gehörte er für die SPD dem Bundestag an.
Meckel bezeichnete B. als ehrenwerten Mann. Auf diese Aussage nahm ich in einer Mail an ihn, die nie beantwortet wurde, Bezug und ergänzte sie mit dem folgenden Biermann-Text aus dem "Spiegel": "Falls im Grauen des Morgengrauens, wenn die Diktatur gestürzt ist und das neue demokratische Recht noch nicht gilt, der Pöbel schreit: Hängt das Pack auf! - dann gehöre ich zum Pöbel. Und wenn dann die empörten Menschen in ihrem Zorn ein paar besonders verächtliche Menschenquäler töten, will ich ihnen nicht in den Arm fallen. Im Gegenteil, ich würde sie umarmen. So eine verbrecherische Triebabfuhr im Affekt mindert den gefährlichen Selbsthaß des demoralisierten Volkes."

Werner Heiden, Berlin


Danke für die erstmalige Zustellung des RF. Ich schreibe Ihnen, weil ich begeistert bin. Ganz besonders beeindruckt haben mich Giselas Steineckerts Berichte, die wundervoll geschrieben sind. "Hand aufs Herz" geht tatsächlich tief ins Herz hinein. Der Frühling, ihr Geburtstag (mindestens 100 soll sie werden!), ein Stück ihres Lebensweges, verbunden mit ihrem Standpunkt zur jetzigen politischen Lage, sind informativ und beeindrucken mich restlos. Am Ende gibt sie einen Ausblick auf die kommende Zeit, der auch mir Kraft schenkt.
Endlich weiß ich über Biermann nicht nur bruchstückhaft Bescheid. Diesen Artikel las ich mit Spannung. Bis jetzt war mir dieser Mensch weitgehend fremd, außer, daß er mir frech und anmaßend erschien.
Noch einen Artikel muß ich benennen: "Das Mosaik in der Krypta" hat mich sehr bewegt. Harry Popow schreibt so schön über seine Mutter, daß einem das Herz aufgeht. Er findet einen wunderbaren Schluß, der Hoffnung auf eine bessere Welt macht.

Barbara Ludwig, Berlin


Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, Gisela Steineckert für den Beitrag über den Bänkelsänger Wolf Biermann zu danken. Er ist ebenso wichtig wie nötig, um einer Verklärung dieser Person entgegenzuwirken, die leider nach wie vor keine Gelegenheit ausläßt, gegen alles, was kommunistisch oder sozialistisch denkt, zu wettern. Damit tritt Biermann das Vermächtnis seines Vaters mit Füßen.

RA Ralph Dobrawa, Gotha


Herzlichen Dank Gisela Steineckert, die dazu beitrug, die "Biermann-Legende" zu zerstören. Da der "Liedermacher" von bürgerlichen Medien bis heute - neben Robert Havemann - als "Dissidenten"-Ikone gehandelt wird, ist das von aktueller Bedeutung. Als er ausgebürgert worden war, jammerte er über sein Schicksal und ließ die Welt wissen, daß er "vom Regen in die Jauche" gefallen sei.
Aber in dieser Jauche ist er zu Ruhm und Reichtum gelangt. Der Ruhm ist meßbar, wie die Liste seiner Auszeichnungen verrät:

1969: Fontane-Preis der Stadt Berlin;
1970: Jacques-Offenbach-Preis;
1973, 1975 und 1976: Deutscher Schallplattenpreis;
1979: Deutscher Kleinkunstpreis für Chanson;
1989: Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg;
1991: Mörike-Preis der Stadt Fellbach;
1992: Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf;
1998: Deutscher Nationalpreis;
2001: Heinz-Galinski-Preis;
2006: Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik;
2006: Großes Bundesverdienstkreuz;
2007: Ehrendoktorwürde der Stadt Berlin;
2008: Theodor-Lessing-Preis;
2009: Ehrendoktor der Philosophie der Humboldt-Universität Berlin.

Gibt es einen anderen Deutschen, der eine solche Liste vorweisen könnte? Wie ist dieser verordnete Ruhm zu erklären? Damit, daß ein gelernter Bär für jeden tanzt, der ihn bezahlt?
In der MDR-Sendung "Riverboat" tauchte die Frage auf, ob Biermanns Aufenthalt in der DDR für ihn ein Glück gewesen sei. Biermann bejahte das und sagte, der Übertritt in die DDR sei das Beste gewesen, was er je vollbracht habe. Seine Begründung verblüffte. Damit sei ihm erspart worden, in Hamburg Mitglied der KPD zu werden, wie es seine Mutter gewünscht hatte. Damals - 1953 - lief bereits der Verbotsprozeß gegen die KPD an.
2007 erklärte Biermann unter Anspielung auf einen Text von Heinrich Heine: "Wer das Himmelreich auf die Erde zwingen will, der landet in der totalitären Hölle." Das Wort Sozialismus heiße "seit dem Tierversuch an lebendigen Menschen nur noch: Indoktrination, Erziehungsdiktatur, Folter, Willkür, Okkupation, Spitzelstaat, Maulkorb, Rechtlosigkeit".
Im Mai 2014 war Biermann Gast des "Bautzen-Forums", bei dem seit 1990 an das "Gelbe Elend" erinnert wird. Der Barde erklärte sich zum Fast-Märtyrer: Wenn er damals dort statt in den paradiesischen Westen eingeliefert worden wäre, würde es ihn wohl nicht mehr geben, tat er kund. Ob er die "damals" in Bautzen inhaftierten Harich oder Janka besucht hat, ist nicht bekannt.

Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden


Ich möchte an den letzten Satz des Artikels von Gisela Steineckert anknüpfen: "Herr Wowereit hat Wolf Biermann zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt." Dazu kann man nur sagen: Ehre, wem Ehre gebührt! Im DDR-Fernsehen gab es eine Serie "Krupp und Krause". Da wurde der antifaschistische Arbeiter Krause von einem Nazigericht zum Tode und zu "Ehrverlust" verurteilt. Er kommentierte das so: "Meine Ehre können Sie mir nicht nehmen. Meine Ehre ist nicht Ihre Ehre, meine Herren!" In diesem Sinne haben die Beauftragten der Herren in Berlin schon den Richtigen geehrt. Er hat sich wahrhaftig um deren Interessen sehr verdient gemacht.

Fritz Dittmar, Hamburg


Bemerkenswert ist der Beitrag Gisela Steineckerts über den von allerlei Schuften zur konterrevolutionären Attacke benutzten Superschuft Biermann. Es entbehrt objektiv nicht einer gewissen Tragik, wenn jemand mit dieser Herkunft seinen Charakter verliert, die Gesinnung tauscht und zum Verräter wird.

Rudolf Krause, Berlin


Ich danke für den erhellenden Beitrag Gisela Steineckerts "Über die Biermann-Legende". Schade nur, daß der letzte Satz nicht ein paar Worte länger war. Er hätte heißen können: "Herr Wowereit hat Wolf Biermann zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt, und die PDS-Fraktion hat sich in der Abstimmung darüber der Stimme enthalten."

Ernst Leonhardt, Dresden


Der Beitrag von Gisela Steineckert über den Giftzwerg Biermann ist sehr aufschlußreich. Darf ich ihn in meinen Blog übernehmen?

Gerrit Junghans, Pößneck


Soeben haben Herbert (Prof. Dr. Herbert Hörz - RF) und ich den Beitrag Klaus Steinigers zur Europawahl gelesen, der als Leitartikel in der Mai-Ausgabe des RF erschienen ist. Wir finden es gut, daß er sich mit den begründeten Positionen zur Wahl gestellt hat. Uns beschäftigt die von ihm geschilderte Situation auch. Zum Thema EU fand Ende vergangenen Jahres übrigens eine Tagung der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung für Weltwirtschaft und Weltpolitik (IWVWW) statt. Herbert war einer der beiden Referenten, ich sprach in der Diskussion über meine UNO-Erfahrungen.

Prof. Dr. Helga Hörz, Berlin


Vor einer halben Stunde habe ich unsere Zeitschrift aus dem Briefkasten geholt. Wie stets "verschlang" ich zuerst den Leitartikel und dann die Leserbriefe. Während die in der BRD gleichgeschalteten Medien, maßgebliche Politiker und deren Hintermänner in ungeheuerlicher Weise gegen Rußland und Putin hetzen, wird im "RotFuchs" klar und objektiv dagegen Stellung bezogen.
Meine Hochachtung vor Klaus Steiniger! Trotz seiner unermüdlichen Arbeit für den "RotFuchs" und gesundheitlicher Probleme entschloß er sich dazu, auf der Liste der DKP für das Europäische Parlament zu kandidieren. Wir sind also weder geschlagen nach Haus gezogen, noch überlassen wir erst unseren Enkeln den Kampf. Nur so können sie auf den Schultern der vorausgegangenen Generationen stehen.
Noch eine persönliche Anmerkung: Der "RotFuchs" ist für mich das beste Antidepressivum!

Norbert Kornau, Hannover


Ich bin seit 2009 "RotFuchs"-Leser, weil ich mich in der Zeitschrift als DDR-Bürger wiederfinde. Zum Beitrag "Schwierige Gratwanderung" im Mai-RF möchte ich bemerken: Vom 18. bis zum 53. Lebensjahr war ich Angehöriger der Volkspolizei.
Die Inbesitznahme der VP-Inspektion Berlin-Treptow habe ich hautnah erlebt. Zunächst verhielten sich die Westbeamten "kollegial", um Land und Leute kennenzulernen. Viele von ihnen hatten gar nicht in den Osten gewollt, waren aber mit Beförderung und anderen Anreizen geködert worden. Nachdem diese Prozedur abgeschlossen war, ging man zur Aussonderung wegen MfS-Kontakten über. Ich selbst wurde 1994 gleich zweimal gekündigt, einmal fristlos und - für den Fall, daß dieses nicht griff - fristgemäß. Im Prozeß vor dem Arbeitsgericht fällte man ein politisches Urteil, das schon vor Verhandlungsbeginn feststand, ohne daß man mich angehört hatte. Nach neunmonatiger Arbeitslosigkeit erhielt ich eine ABM-Stelle im Wald - bis zur Berentung.

Joachim Langner, Berlin


Herzlicher Dank gebührt Rainer Albert, der in elf Artikeln an den kulturpolitischen Wert unserer DDR-Briefmarken erinnert hat. Leider gibt es Alt-Bundesbürger, die inzwischen enorm viel Geld aus ihnen machen. Dieser Tage erhielt ich das Angebot eines Briefmarkenhändlers für DDR-Sonderausgaben des Jahres 1950. Es handelte sich um die Serien "Erkämpft den Frieden!" und Leipziger Messe". Damals besaßen sie einen Nennwert von 2,35 Mark der DDR. Heute aber soll ich dafür 129 Euro - eine Steigerung um 1000 % - auf den Tisch legen.
So verdienen gewisse Leute noch im 25. Jahr nach der Einverleibung der DDR an deren Erbe. Was für ein Rechtsstaat!

Hellmut Michel, Dohna


Der deutsche Fußballbund (DFB) läßt bei Aktionswochen renommierte Spieler immer mal wieder Statements gegen Rassismus verlesen. Gegen Faschismus fällt dem DFB leider nichts ein. Das ist unverständlich, oder doch nicht?
Am 12. Mai war in Hamburg ein Training angesetzt. Da die Imtech-Arena des HSV nicht zur Verfügung stand, wich man auf das FC St. Pauli-Stadion "Am Millerntor" aus. Hier lenkt seit Jahren ein Banner mit der Aufschrift "Kein Fußball den Faschisten!" die Aufmerksamkeit auf sich. Der DFB-Elf paßte das offensichtlich nicht. So ließ man die Worte "den Faschisten" verhüllen. Demnach wurde im Stadion "Am Millerntor" lediglich "Kein Fußball ..." gespielt. Bemerkenswert war die Begründung des DFB. Er ließ verlauten, man habe das Stadion "neutralisieren" wollen. Neutral gegenüber Faschisten? Sehr merkwürdig!

Wilfried Steinfath, Berlin


Den im Beitrag von Günter Bartsch (RF 196) getroffenen Festellungen zur Persönlichkeit Walter Ulbrichts stimme ich uneingeschränkt zu. Allerdings veranlassen mich einige daraus abgeleitete Feststellungen zu den folgenden Bemerkungen: Ich halte die Aussage, die DDR habe das sozialistische Modell der UdSSR übernommen, für fragwürdig. Es gibt den wissenschaftlichen Sozialismus und grundlegende Gesetzmäßigkeiten beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung, die unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Besonderheiten in Rechnung zu stellen sind. Ein "Modell" gibt es nicht. Dieser Begriff ist hier unangebracht.
Vorrangig geht es mir aber um ein anderes Problem. Günter Bartsch schreibt, die sowjetischen Führer hätten auf den Festlegungen des XVIII. Parteitags der KPdSU (1939) beharrt, der auf einen raschen Übergang zum Aufbau des Kommunismus orientierte, und es verabsäumt, nach Stalins Tod "solche vereinfachten Vorstellungen gründlich zu analysieren und sich von ihnen zu trennen". Dann ist in dem Beitrag die Rede davon, daß die sowjetische Partei 1961 auf diesem unrealistischen Fundament ihr neues Programm ausgearbeitet habe, welches die Aufgabe stellte, innerhalb von 20 Jahren die kommunistische Gesellschaft zu errichten. "Das waren Chruschtschows lebensfremde Traumschlösser."
Der Gedanke, daß nach der Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse unmittelbar der Übergang zum Kommunismus erfolgen sollte, hatte sich zu dieser Zeit erledigt. Stalin selbst korrigierte diese Auffassung. Chruschtschow träumte nicht mehr von den "lichten Höhen des Kommunismus".
Nach Stalins Tod erfolgte bekanntlich ein völliger Umbruch in der Politik der KPdSU, der 1956 mit Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU begann - ein "Werk", das Gorbatschow mit der Zerstörung des Sozialismus in der UdSSR vollendete.

Dr. Klaus Schwurack, Dresden


Im letzten Absatz meines Beitrags im RF 196 wurde durch eine redaktionelle Korrektur Johannes R. Becher zum Autor von Worten Bertolt Brechts. Die erwähnte Zeile stammt tatsächlich aus Brechts berühmter "Kinderhymne" "Anmut sparet nicht noch Mühe ...", also nicht von Becher.
Ich habe 1961/62 für meine Staatsexamensarbeit an der PH Potsdam über Brechts didaktische Lyrik vom Typus seines "Lob des Kommunismus" geforscht und geschrieben, weshalb ich wiederholt ins Berliner Brecht-Archiv gefahren bin. Seitdem betrachte ich mich als Brecht-Fan.

Werner Voigt, Kromsdorf


Mich empört die angeblich durch eine "wissenschaftliche Studie" belegte Behauptung, Westdeutsche hielten fester zusammen und entwickelten mehr Gemeinsinn als Ostdeutsche. Warum predigen ausgerechnet einstige "Bürgerrechtler" solchen Unsinn? Machten sie nicht den Menschen im Osten ihre zu DDR-Zeiten entwickelte Kollektivität gerade zum Vorwurf? Und waren sie es nicht auch, die bestimmte Gruppen von Mitbürgern wegen ihrer "DDR-Vergangenheit" stigmatisierten, wodurch sie die Gesellschaft spalteten und Begriffe wie Gemeinschaft, Zusammenhalt und Solidarität bewußt aus den Köpfen zu tilgen suchten? Hat nicht auf diesem Wege die Ellenbogengesellschaft der Alt-BRD, in der sich jeder selbst der Nächste ist, sehr rasch die Hirne und Herzen eines beachtlichen Teils der Ostdeutschen erobert?
Ist es nicht aufschlußreich, daß Leute dieses Schlages heute "mehr Gemeinsinn" einfordern? 1990 bestand eine der ersten Amtshandlungen der Plauener "Wende"-Stadtverwaltung darin, die Straße der Solidarität umzubenennen.

Siegfried Wunderlich, Plauen


Zum Beitrag "Ein Ruhmesblatt des Humanismus" im Mai-RF. Grundsätzlich gefällt mir dieser Artikel sehr gut, aber leider fehlt ein wichtiges Detail. Zwar trifft es zu, daß Kuba in Länder wie Haiti kostenlos Ärztemissionen entsendet und unentgeltlich nachhaltige Katastrophenhilfe erweist - doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die 25.000 kubanischen Ärzte und medizinischen Fachkräfte, die in Venezuela tätig sind, verrichten ihre Arbeit für Geld, genauer gesagt: für Erdöllieferungen an ihr Land. Gleiches gilt für Ärzte, die derzeit in Brasilien oder Portugal im Einsatz sind.
Allein in diesem Jahr will Kuba 8,2 Milliarden US-Dollar durch den Export medizinischer Dienstleistungen erzielen - knapp 20 % seiner Staatseinnahmen.
Diese Tatsachen relativieren den humanistischen Charakter der kubanischen Revolution in keiner Weise. Doch der Satz, es verstehe sich von selbst, daß alle medizinischen Leistungen unentgeltlich erbracht würden, trifft so nicht zu. Es handelt sich einerseits um ein humanistisches Werk, anderseits aber auch um die wichtigste Devisenquelle Kubas.

Marcel Kunzmann, Jena


Hallo "RotFuchs"! Hallo Dr. Klaus Steiniger!
Bin noch nicht lange bei Euch, werde aber bleiben. Ich will Euch weder kritisieren noch kluge Ratschläge erteilen. Als gelernter Fahrradmechaniker habe ich seit dem Eintritt in das Rentenalter - also vor 25 Jahren - in Kuba Fahrräder repariert und tue das immer noch.
Eure Zeitschrift rief mir die Erinnerung an Angela Davis und Portugals Nelkenrevolution ins Gedächtnis. Auch den Indianer-Artikel "Wir sind ein Teil der Erde" habe ich mit Interesse gelesen.
Freundschaft! y saludos de Kora, meiner kubanischen Frau.

Hans Kuprat, Matanzas, Kuba

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RF-Bezugsbedingungen

Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
Tel.: 030/654 56 34
E-Mail: arminneumann@ewt-net.de
Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.



IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Großmann

LAYOUT: Rüdiger Metzler

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

INTERNET-PRÄSENTATION: Sylvia Feldbinder

Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

AUTORENKREIS:
Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
Dieter Fechner
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Dr. Ernst Heinz
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Rico Jalowietzki
Siegfried R. Krebs
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Prof. Dr. Herbert Meißner
Wolfgang Metzger
Jobst-Heinrich Müller
Horst Neumann
Cornelia Noack
Erhard Richter
Prof. Dr. Horst Schneider
Prof. Dr. Rolf Sieber
Joachim Spitzner
Gisela Steineckert
Bruni Steiniger
Dr.-Ing. Peter Tichauer
Marianne Walz
Johann Weber
Prof. Dr. Zbigniew Wiktor (Wroclaw)
Edda Winkel

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt, Günter Endlich,
Heinz Herresbach, Klaus Parche,
Heinrich Ruynat, Renatus Schulz,
Gertrud Zucker

VERSAND UND VERTRIEB:
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Quelle:
RotFuchs Nr. 198, 17. Jahrgang, Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2014