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ROTFUCHS/171: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 217 - Februar 2016


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 217, Februar 2016



Inhalt
  • Welch ein Glück, daß solche Menschen zu uns gehören: die Cuban Five
  • Wurde die UdSSR totgerüstet?
  • Wahrheiten des Hauptmanns Tregubow
  • Prof. Dr. Herbert Meißner: Meine russischen Jahre
  • Vorschläge des Stadtverbandes Strausberg der PDL zum BRD-Weißbuch 2016
  • H. Bidstrup: Rollenverteilung im Kapitalismus
  • Über Antisemitismus und Ausländerhaß
  • Wie sich CDU-Minister Meyer profilierte
  • Ein Arbeiter stellt Vergleiche an
  • Selektion wie in alten Tagen
  • 70 Jahre nach Nürnberg
  • Die Flüchtlingskrise aus historischer Sicht
  • ver.di sollte differenzierter beurteilt werden
  • Der Schlichter von Bischofferode
  • Bundeswehr-"Traditionspflege": der Fall Mölders
  • Was will die Bundesluftwaffe in Syrien?
  • Wer seinem Land treu dient, sage NEIN!
  • RF-Extra - Gauck-Birthler-Jahn-Behörde: Rückfall ins tiefste Mittelalter
  • RF-Extra - Hô Chi Minhs politisches Testament
  • Julius Fucik: Menschen, ich hatte euch lieb - seid wachsam!
  • Afghanistan: Krieg am Hindukusch geht weiter
  • Der syrische Leidensweg
  • Polen: "Machtergreifung" in Warschau?
  • Zur neuen Lage in Venezuela
  • Belgien: Rot und Grün gehören zusammen
  • Irland: Schlacht für das Menschenrecht auf Wasser
  • Spanien: Falange-Nachfolger unterlagen - doch wie weiter?
  • "RotFuchs" und Ernst-Busch-Chor - mein starkes "Geländer"
  • Christa Kozik: Ein Mädchen aus Randberlin (1)
  • Marianne Walz: "Die gepanzerte Doris" von Ruth Werner
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Veranstaltungen und Glückwünsche
  • Leserbriefe

*

Wiederholt sich die Geschichte?

Die Welle grausamer imperialistischer Kriege - inzwischen immer öfter mit bundesdeutscher Beteiligung - und die unablässig steigende Flut der große Teile Europas überschwemmenden Faschisierung legen den Gedanken nahe, daß Gewesenes noch einmal über uns hereinzubrechen beginnt. Blinder Haß vor allem auf Muslime - eine neue Variante des Antisemitismus - sowie deutschnationaler Größenwahn, aber auch französischer Chauvinismus entladen sich auf keineswegs vom Himmel gefallene Flüchtlingsströme. Da fragen sich viele der Alten und Älteren, in denen die Erinnerung an selbst Erlebtes nicht erloschen ist, zwangsläufig: Alles noch einmal? Es gibt Gründe, Schlimmes zu befürchten.

Zweifellos kennt die Geschichte Parallelen und einander ähnelnde Situationen, wobei sie sich niemals auf dieselbe Weise wiederholt. Dabei unterliegt sie bestimmten Gesetzmäßigkeiten, läßt sich aber weder antreiben noch aufhalten. Das gilt auch für fundamentale gesellschaftliche Umwandlungsprozesse.

Hier gibt es neben Bremsern auch redliche Mitstreiter, die allzusehr in Eile sind und den Kapitalismus verständlicherweise in kürzester Frist und möglichst gleich weltweit aus den Angeln heben wollen. Solche auf die Wiederholung historischer Glanzzeiten Vertrauende, die der Gefahr unterliegen, sich um den Bau von Wolkenkuckucksheimen zu bemühen, steht tatsächlich Großes vor Augen.

Sie wissen um Ernst Thälmanns grandiose KPD der späten 20er und frühen 30er Jahre mit sechs Millionen Wählern, Hunderttausenden Mitgliedern und dem ersten Rang in der deutschen Hauptstadt. Um der "roten Gefahr" zu begegnen, griff das Kapital 1933 nach der braunen Notbremse.

Unsere allzu optimistischen Freunde haben wohl auch die seinerzeitige FKP von Maurice Thorez im Blick, als jeder fünfte Franzose und jeder zweite Arbeiter der Grande Nation die kommunistische Liste wählten. Oder sie denken an Palmiro Togliattis IKP, deren Genossen in den Garibaldi-Brigaden gegen die deutschen und italienischen Faschisten kämpften, den Diktator Mussolini selbst zur Strecke brachten und jahrzehntelang eine das politische Leben der Italiener maßgeblich prägende Kraft waren. Für die zeitweilig zwei Millionen Mitglieder zählende Partei so standhafter Marxisten-Leninisten wie Armando Cossuta votierten bis zu 33 % der Stimmberechtigten.

Manche, deren Gedanken zum Mut- und Kraftholen in die Vergangenheit schweifen, gehen davon aus, daß solche großen Zeiten so oder so irgendwann zurückkehren müssen. Doch realistisch betrachtet, sind derzeit gerade in den drei genannten einstigen Hochburgen der revolutionären Arbeiterbewegung bei Marx, Engels und Lenin gebliebene kommunistische Parteien leider eine recht überschaubare Größe. Diese Situation, um deren Veränderung von den besten Kräften hartnäckig gerungen wird, macht ein solides und solidarisches Zusammenwirken von Sozialisten, Kommunisten und anderen Linksgerichteten zu einem politischen Imperativ. Dabei steht uns Älteren in Deutschland der historische Händedruck von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl im April 1946 stets vor Augen. Parallel dazu geht es darum, einen maximalen Beitrag zur Friedensbewegung zu leisten, um der akuten Kriegsgefahr entgegenwirken zu können.

Die bekannte Formel "Alles hat seine Zeit" betrachten wir weder als Haltesignal noch als Impulsgeber zu voluntaristischem Antreibenwollen der Geschichte.

"Wissen ist Macht" ... Ohne theoretischen Kompaß wird selbst der erfahrenste Praktiker zum zahnlosen Tiger. In unseren Reihen hat es neben Realistischen und Weitsichtigen immer auch flotte Sprücheklopfer und vom Leben abgeschottete Buchstabengelehrte gegeben. Pseudoradikale Durchreißer, für die das Maß des jeweils Möglichen überhaupt keine Rolle spielte, fehlten nicht minder. Bekannt ist die Äußerung eines umstrittenen Moskauer Spitzenpolitikers, der ungeachtet noch bestehender eklatanter Versorgungslücken unverdrossen verkündete, bis 1980 werde der Aufbau des Kommunismus in der UdSSR abgeschlossen sein.

Extremismen der einen wie der anderen Art führen nicht zum Ziel. Das gilt auch für die Bewertung von Sieg und Niederlage. Deshalb ist es unerläßlich, die historischen Dimensionen bestimmter Vorgänge sorgfältig zu erfassen.

Der Sieg der Bolschewiki um Lenin im Oktober 1917 stieß ohne Zweifel die Tore zu einer neuen geschichtlichen Epoche auf: Er setzte den Sozialismus erstmals als realisierbares Gesellschaftsmodell auf die Tagesordnung der Menschheit. Mit dem Sieg der Roten Armee über den deutschen Faschismus wurde seinem Aufbau in Teilen Europas eine historische Chance eröffnet. 1917 und 1945 waren positive Eckdaten der Geschichte und symbolisierten tatsächlich Siege von epochalem Charakter.

Wer davon ausgeht, bei den in Europa und Teilen Asiens erfolgten Konterrevolutionen habe es sich lediglich um schnell wieder auszuwetzende Scharten gehandelt, dürfte Entscheidendes dabei verdrängen: Auch hier handelte es sich um einen tiefen historischen Einschnitt - allerdings negativer Art. Zwischen 1989 und 1992 erlitt die revolutionäre Arbeiter- und Volksbewegung auf dem Weg zum Sozialismus in Teilen der Welt eine epochale Niederlage. Die Möglichkeit des Durchbruchs einer Reihe europäischer Länder zum Sozialismus konnte aufgrund objektiver und subjektiver Defizite im 20. Jahrhundert nicht dauerhaft in Wirklichkeit umgewandelt werden.

Dabei stimme ich unserem Autor Hermann Jacobs (s. S. 3) durchaus zu, daß beim Niedergang der Sowjetunion die Tatsache eine gewichtige Rolle gespielt haben dürfte, daß sie seit dem durch Hiroshima und Nagasaki bewiesenen US-Nuklearbombenbesitz zu einem permanenten waffentechnischen Kräftemessen mit der imperialistischen Hauptmacht gezwungen wurde. Für die Rüstungsparität und die Sicherung des Weltfriedens mußten enorme Mittel und Ressourcen aufgeboten werden, die anderswo fehlten. Während es gelang, das eigene Land und die Menschheit vor dem atomaren Inferno zu bewahren, verlor die UdSSR immer mehr an dringend benötigter Potenz für den Fortgang und die Vertiefung des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses in den eigenen Grenzen. Von Beginn an hatten es die tonangebenden Kräfte in den USA darauf angelegt, ihren Todfeind Sowjetunion systematisch "totzurüsten".

Wie müssen sich progressive Kräfte in dieser komplexen Situation verhalten? Für Menschen unserer Art gibt es keinen Grund aufzustecken oder den Kampf gegen Krieg und Kapital auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Doch Augenmaß und Nüchternheit sind geboten. Man sollte dabei die eigenen Möglichkeiten weder unter- noch überschätzen. Bisher hat der weltweite Übergang von einer Gesellschaftsformation zu einer anderen Jahrhunderte in Anspruch genommen. Ziel unseres Handelns muß es sein, die historische Existenzdauer der letzten Ausbeuterformation, von der das Weiterbestehen der Menschheit in höchste Gefahr gebracht wird, maximal zu verkürzen. Denn je länger es den Kapitalismus gibt, um so größer ist das Risiko eines Infernos.

Was auch immer kommen mag: Wir folgen der alten Berliner Volksweisheit: Bange machen gilt nicht! Diese Erkenntnis betrachte ich übrigens auch als das Resümee meines langen politischen Lebens, in dem ich als Journalist und Klassenkämpfer in zahlreichen Ländern der Welt Erfahrungen habe sammeln können. Im Dezember waren es 67 Jahre, daß ich mich in Westberlin der von bei Marx gebliebenen Sozialdemokraten und Kommunisten gegründeten SED angeschlossen habe.

Klaus Steiniger

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Welch ein Glück, daß solche Menschen zu uns gehören!

Am 17. Dezember 2014 kehrten die letzten drei der als "Cuban Five" weltweit bekanntgewordenen kubanischen Kundschafter nach Havanna zurück. Anführer des bald darauf als "Helden Kubas" ausgezeichneten Quintetts todesmutiger antiterroristischer Kämpfer der unsichtbaren Front, von denen die gegen ihre Heimat gerichteten finsteren Pläne exilkubanischer Banditen in Miami aufgedeckt und durchkreuzt wurden, war Gerardo Hernández. Seit 1998 befand sich der zu lebenslanger Haft Verurteilte in US-Gefängnissen.

Am 7. Januar 2015 brachte Gerardos Frau Adriana Perez O'Connor die kleine Gema zur Welt. Millionen Kubaner übernahmen damals die Patenschaft über das Töchterchen des Ehepaares.

Im Herbst 2015 waren Gerardo und seine Lieben umjubelte Gäste bei "Manifiesta" - dem jährlichen Presse- und Volksfest der belgischen Partei der Arbeit. Katrin Demuynck, die viele Jahre zu den engagiertesten Vorkämpfern der Weltkampagne "Freiheit für die Cuban Five!" gehört hatte, machte das Mut und Kraft vermittelnde Foto für "Solidair/Solidaire".

*

Blieb der Sozialismus in der UdSSR beim Rüstungswettlauf auf der Strecke?

In bezug auf die im Oktober-"RotFuchs" vertretene These, die Sowjetunion habe sich "im Verlauf von Jahrzehnten zersetzt", bin ich zu folgenden Überlegungen gelangt. Die UdSSR sah sich nicht zeit ihres Bestehens, sondern erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Hauptmacht des Imperialismus - den USA - direkt konfrontiert.

Das begann mit der Potsdamer Konferenz der Siegermächte. Dort wurde Stalin als Leiter der sowjetischen Delegation durch den neuen USA-Präsidenten Truman, der Roosevelt nach dessen Tod gefolgt war, davon in Kenntnis gesetzt, daß die Vereinigten Staaten eine Bombe "mit großer Sprengkraft" besäßen. Stalin gab sich äußerlich unberührt. Daß dem aber nicht so war, zeigte sich in seiner sofortigen Anweisung, ein sowjetisches Atomprogramm aufzulegen, um selbst in den Besitz einer solchen Waffe zu gelangen. Die USA forderten also die Sowjetunion heraus, und Moskau reagierte entsprechend. So begann der Rüstungswettlauf, bei dem es bis heute geblieben ist.

Wir sollten uns des Charakters dieser besonderen Herausforderung bewußt werden: Die Sowjetunion mußte bei Strafe des Untergangs von nun an zumindest einen Gleichstand in waffentechnischer Hinsicht erreichen. Das Erfordernis, diesen zu wahren oder immer wieder herzustellen, hatte nichts mehr mit dem Niveau der Bewaffnung im Zweiten Weltkrieg zu tun, sondern war etwas qualitativ völlig Neues in der Geschichte von Staaten und Völkern. Die Atombombe als eine bisher unbekannt gewesene Waffe mußte Kontrahenten auf ebenso neue Weise, also auf ganz anderem rüstungstechnischem Niveau herausfordern, als sie das bisher - unabhängig von der Gesellschaftsordnung - je erfahren hatten.

Vermochte die Sowjetunion in diesem Prozeß zu bestehen? Zweifellos hat sie die Prüfung bestanden und das heutige Rußland, das in gesellschaftlicher Hinsicht mit der UdSSR nicht gleichzusetzen ist, aber an deren waffentechnischem Niveau durchaus partizipiert, ganz offensichtlich auch. Es gab in diesem geheimgehaltenen bzw. unbekannt gebliebenen "Wettstreit" eine Art Stafettenwechsel - mal hatte diese, mal jene Großmacht einen Vorsprung auf dem einen oder anderen Gebiet erzielt. Doch im Prinzip konnte dieser vom jeweiligen Widerpart aufgeholt werden. Es wurde ein geschichtsmächtiger Gleichstand erreicht. So kam es nicht zu einem mit atomaren Waffen geführten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Rußland. Die Menschheit hat dieser Tatsache ihr Überleben zu verdanken.

Da es sich allein um einen waffentechnischen Gleichstand handelte, steht der Gesellschaftscharakter der beiden Kontrahenten hier zunächst einmal nicht zur Debatte. Die Frage lautet ausschließlich, ob sich einer von ihnen bei der Anstrengung, das Niveau des anderen zu erreichen und aufrechtzuerhalten, ökonomisch erschöpft hat. Die adäquate Vokabel heißt in diesem Fall: totrüsten! Der Grad einer solchen Erschöpfung hat sich seit Beginn der Reagan-Administration ergeben, als die Vereinigten Staaten ihren Rüstungsetat für die kommenden fünf Jahre auf 1,5 Billionen Dollar hochtrieben - fast so viel, wie in den 35 Jahren von 1945 bis 1980 ausgegeben worden war. Für die UdSSR ergab sich eine äußerst brisante Situation. Es war offensichtlich, daß sie zusätzlich zu ihren enormen rüstungstechnischen Anstrengungen die gestellten gesellschaftlichen Ziele nicht zu erreichen vermochte. Sie verzichtete de facto auf das, was sie in dieser Hinsicht nicht mehr zu garantieren vermochte: ihren Anspruch, den Sozialismus weiter zu vervollkommnen, den Kommunismus aufzubauen und so der bestimmende Maßstab für die arbeitenden Klassen des eigenen Landes wie weltweit zu sein. In der Friedensfrage hielt sie stand, in ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht lagen die Dinge indes anders. Alles wurde mehr oder weniger auf den Faktor reduziert, den militärischen Widerstand gegen die kapitalistische Hauptmacht und ihr Paktsystem im Interesse der Landesverteidigung und des Weltfriedens zu organisieren.

Es handelt sich hierbei um eine äußerst komplizierte Problematik, über die weiter nachgedacht werden muß. Die Auswirkungen dieser Entscheidung eines bestimmten Kreises in der sowjetischen Führung - denn nicht alle in diesem Gremium haben sie verstanden und geteilt - bestehen bis heute fort. Es handelt sich um ein Ende des Bruchs der Logik in gesellschaftlicher Hinsicht, aber um keinen Bruch unter staatlichen Aspekten.

Die Frage, ob es möglich gewesen wäre, den vor 30 Jahren begonnenen Prozeß umzukehren, ist schwer zu beantworten.

Dieselbe Herausforderung, mit der sich die Sowjetunion konfrontiert sah, ist so nicht auf die USA übertragbar, obwohl auch sie in mancher Hinsicht sicher an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stießen. Doch das kapitalistische System in den USA stand dabei nicht zur Debatte. Noch nicht.

Hermann Jacobs, Berlin

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Wahrheiten des Hauptmanns Tregubow

Am 19. November 1948 erschien in der Tageszeitung "Neues Deutschland" der Artikel ihres zeitweiligen Chefredakteurs Rudolf Herrnstadt "Über die Russen und über uns". Der RF berichtete bereits darüber. Der Autor ging von zwei Feststellungen aus: 1. Es gibt für die deutsche Arbeiterschaft keine Orientierung im Klassenkampf, keine Überwindung der materiellen und ideologischen Schwierigkeiten, keinen Weg zum Sozialismus ohne richtige Einschätzung der Rolle der Sowjetunion, ohne rückhaltloses Bekenntnis zu ihr, ohne uneingeschränkte Unterstützung der UdSSR.

2. Sogar die Einstellung der SED zur Sowjetunion, also des fortschrittlichsten Teils der deutschen Arbeiterbewegung, ist in dieser Frage nicht frei vom Einfluß des Gegners. Die Folge besteht bis heute darin, daß allein das Thema von Teilen der Partei als "Belastung" empfunden wird.

Rudolf Herrnstadts Artikel löste in der sowjetischen Besatzungszone lebhafte Debatten aus. An zwei Diskussionsabenden wurde im großen Saal des Berliner Hauses der Kultur der Sowjetunion - dem späteren Maxim-Gorki-Theater - über diesen Artikel stürmisch diskutiert. Am 7. Januar 1949 erteilte der Gesprächsleiter Prof. Peter Alfons Steiniger dem sowjetischen Hauptmann Tregubow das Wort. Angesichts der Greueltaten der deutschen Faschisten an der sowjetischen Bevölkerung und der Verwüstung weiter Landesteile der UdSSR zeigte dieser menschliche und politische Größe. Hier einige Ausschnitte aus seinen Ausführungen:

"... In der Diskussion über die 'Russen und über uns' möchte ich zu Ihnen als ein Vertreter jener Nation sprechen, die heute hier zur Debatte steht. Aber ich möchte das Thema so formulieren: 'Über die Deutschen und über uns.' Ich hoffe, daß Sie mir das gestatten. Wie ich aus der Diskussion ersehe, ist die Problemstellung für Sie erst im Mai 1945 entstanden. Für uns aber ist das Problem 'Die Deutschen und wir' bereits am 22. Juni 1941, als Hitlerdeutschland wortbrüchig die Völker der Sowjetunion überfiel, akut geworden. Tatsächlich entstand es für uns noch früher, nämlich an jenem Tage, als auf dem Opernplatz in Berlin die Bücherverbrennungen stattfanden, als Werke von Thomas Mann und Maxim Gorki, Marx und Lenin den Flammen zum Opfer fielen, ja überhaupt seit dem Tag des Machtantritts der Hitleristen.

Ich bin seit dem 22. Juni 1941 in der Sowjetarmee und weiß sehr gut, welche Gedanken die russischen Soldaten und Offiziere am Tage des Überfalls hatten. Jeder von uns wußte, daß der Hitlerismus alle demokratischen Kräfte Deutschlands zerschlug. Aber jeder von uns glaubte, daß die Arbeiter und Bauern Deutschlands doch nicht gegen die Macht der Arbeiter und Bauern in der Sowjetunion kämpfen würden.

Mich, den einfachen Soldaten der Roten Armee von 1941, haben die deutschen Arbeiter und Bauern sehr enttäuscht. Nehmen Sie mir das nicht übel! Sie haben mich gezwungen, vier Jahre hindurch ununterbrochen die Waffe nicht aus der Hand zu legen. Vier Jahre lang dauerte der grausame Krieg, der durch den deutschen Hitlerismus entfesselt worden war. Vier Jahre lang floß das Blut von Millionen sowjetischer Menschen. Vier Jahre lang und noch heute weinten und beklagten Millionen russischer Frauen ihre Männer, Brüder und Kinder. Kein Land, welches von den Hitlerhorden überfallen wurde, hat so große Verluste erlitten wie meine Heimat und mein Volk. Ungeheure Anstrengungen kostete uns der Sieg über Hitlerdeutschland. Die Faschisten zerstörten 1710 sowjetische Städte, über 70.000 Kleinstädte und Dörfer. Sie zerstörten mehr als sechs Millionen Häuser und machten damit 25 Millionen sowjetische Menschen obdachlos. Der Schaden, welcher der Volkswirtschaft und den Bürgern der UdSSR zugefügt wurde, überstieg die Summe von 128 Mrd. Dollar. Aber kann man den Wert des Lebens der Millionen und aber Millionen Gefallenen, der Wunden und des Blutes der Verstümmelten und des Leids der Hinterbliebenen ermessen?!

Diese großen Opfer waren der Preis für den Sieg über den Faschismus. Die Rote Armee rettete nicht allein das eigene Land und dessen Menschen vor dem sicheren Untergang, sondern auch andere Länder und Völker, darunter das deutsche Volk. Wäre die Sowjetarmee 1945 nicht nach Deutschland gekommen, hätten sehr viele der hier Anwesenden den Tod in den Konzentrationslagern gefunden.

Doch seit dem ersten Tag des Krieges unterschieden die Russen, zu denen auch ich gehöre, zwischen dem Hitlerstaat und dem deutschen Volk. Wir kämpften gegen die Hitleristen, gegen den Hitlerismus, aber nicht gegen das deutsche Volk, nicht gegen seine Kultur, nicht gegen seine demokratischen Traditionen und seine nationale Souveränität. Die Sowjetarmee zerschlug den Faschismus und schuf dadurch die Voraussetzungen für den Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands.

Was war das für ein Soldat, der im Mai 1945 nach Berlin kam? War das ein Tourist, oder kam er etwa auf Einladung der Deutschen dorthin? Nein, das war ein Soldat, der 3000 Kilometer verbrannter sowjetischer Erde hinter sich gelassen hatte. Er zog vielleicht an seiner eigenen Heimatstadt vorbei, wo er sein Haus und seine Angehörigen nicht mehr fand. Seine Braut war vielleicht als Sklavenarbeiterin nach Deutschland verschleppt worden. Dieser Soldat befreite nicht nur seine Braut, sondern auch einen Teil der Deutschen, die zwölf Jahre lang Sklaven waren.

Die Schreiberlinge bei den Zeitungen "Kurier", "Telegraf" und ähnlichen Tagesspiegeln, die sich mit Hetze beschäftigen, regen sich gar nicht darüber auf, daß jemand bei den Kriegshandlungen die Uhr abhanden gekommen ist, sondern sie regen sich darüber auf, daß dank der Sowjetarme in einem Teil Deutschlands den Kriegsverbrechern und Großindustriellen ihre Werke und den Großagrariern ihre Güter abgenommen und dem deutschen Volk übergeben wurden!

Wir Russen ließen uns niemals von den Gefühlen des Hasses und der Rache leiten. Unser Volk will vergessen und hat schon fast alles vergessen, was uns Deutsche angetan hatten. Unser Volk führt einen hartnäckigen Kampf für die Einheit, die Souveränität und die Demokratie Deutschlands. Lesen Sie eine x-beliebige sowjetische Zeitung oder Zeitschrift! Hören Sie unseren Rundfunk! Sie werden dort keine Spur des Hasses gegen das deutsche Volk finden.

Kübel von Schmutz einer verleumderischen Propaganda aber werden Tag für Tag über das Sowjetvolk ausgegossen. Dieselben faschistischen Kräfte sind noch am Werk. Aber ich glaube, daß für die Mehrheit des deutschen Volkes klar ist: Wie sich auch der Faschismus tarnen möge, wie er sich kleiden und wie er heißen mag - daß er doch immer abscheulich und völkerfeindlich bleibt. Dieses Gift ist sogar in homöopathischen Dosen gefährlich und, wie Sie wissen, verabfolgen es manche dem deutschen Volk sogar eimerweise. Gegen solches verbrecherisches Tun muß es Stellung nehmen, wenn es für den Frieden sein will.

Früher pflegte man zu sagen: Sag mir, mit wem du verkehrst, und ich sage dir, wer du bist. Heute kann man das in die Worte fassen: "Sag mir, wie du zu den Russen stehst, und ich werde dir sagen, wer du bist." (Stürmischer Beifall)

RF

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Prof. Dr. Herbert Meißner: Meine russischen Jahre

Cilly Kellers "Unvergeßliche Eindrücke" aus ihrer Leningrader Studienzeit (RF 215) sind für die Beibehaltung unseres klassenmäßig geprägten Blickes auf die Sowjetunion wertvoll und verdienen Erweiterung. Dies besonders angesichts der in den groß- und kleinbürgerlichen Medien herrschenden Russophobie. Diese Russenfeindlichkeit macht leider auch vor manchen Linken nicht halt. Ich war fassungslos, als ich im ND vom 24./25. Oktober 2015 unter der Balkenüberschrift "Rußland hat eine neue Phase des Tötens eingeleitet" folgendes las: "Mit den Luftangriffen Rußlands im syrischen Krieg wurde eine neue Phase des Mordens und Tötens eingeleitet." Stefan Liebich, Mitglied mehrerer Leitungsgremien der PDL, hält also die Bombardements der militärischen Anlagen des IS durch Franzosen, Briten und andere NATO-Piloten für eine Verteidigung der Menschenrechte, die von Damaskus erbetene Beteiligung russischer Streitkräfte hingegen für eine "neue Phase des Mordens und Tötens". Er erklärt damit die russischen Piloten zu Mördern. Meines Wissens hat sich bisher kein leitender PDL-Funktionär von dieser Position distanziert.

Mein Verhältnis zu den russischen Menschen und ihrem Land lasse ich mir durch solche Bösartigkeiten nicht verderben.

Als ich im September 1952 mit vier Aspiranten und einer kleinen Studentengruppe zur weiteren Ausbildung an der dortigen Universität in Leningrad eintraf, waren die Kriegswunden der Stadt noch nicht verheilt. Zerstörte Wohnviertel hatten nicht so schnell wieder aufgebaut werden können, und die zerbombten Elektrizitäts- und Wasserwerke waren vorerst nicht völlig funktionstüchtig. Es gab keine Familie, die nicht durch Kriegshandlungen, Hunger und Kälte schmerzliche Verluste erlitten hatte.

In diese von der faschistischen Kriegsmaschine aufs schwerste heimgesuchte Stadt kamen wir als erste junge Deutsche. Und was geschah?

Trotz allgemeiner Wohnungsnot erhielten wir Zimmer in einem Studentenheim am Ufer der Newa mit Blick auf die Ermitage. Den Raum, wo vier Doppelstockbetten standen, bewohnte ich mit zwei tschechischen, zwei bulgarischen, zwei russischen und einem rumänischen Genossen. Umgangssprache war Russisch, das zunächst keiner der ausländischen Studenten beherrschte. Doch der Zwang zur Verständigung und ein ebenso intensiver wie hochqualifizierter Sprachunterricht trugen wesentlich dazu bei, den von Beginn an in Russisch durchgeführten Vorlesungen und Seminaren immer besser folgen zu können. Wir bemühten uns, dem durch Fleiß und Arbeitsintensität gerecht zu werden. Wenn man um zwei oder drei Uhr nachts in die Lesesäle und Bibliotheken schaute, waren sie vorwiegend von chinesischen und DDR-Studenten frequentiert.

Aber wichtiger war etwas anderes: Die leidgeprüften Leningrader, die uns Deutschen anfangs mit kritischer Aufmerksamkeit begegnet waren, entwickelten rasch eine großzügige Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. Wenn wir im Lebensmittelladen hilflos in der Schlange standen, fand sich stets ein Erklärer: Du mußt erst an die Warentheke gehen und auswählen, dann zur Kasse und mit dem Kassenbon zur Verkäuferin. Und wenn wir im vollbesetzten Bus oder in der Straßenbahn mühsam versuchten, zur Lösung des Fahrscheins bis zum Fahrer vorzudringen, wurden wir freundlich belehrt, daß hier das Fahrgeld von Hand zu Hand nach vorn gereicht würde und der Fahrschein samt Wechselgeld auf gleichem Wege zurückkomme. Nicht eine einzige Kopeke ging dabei verloren.

Apropos Bahn und Bus: In keinem der Länder, die ich später kennenlernte, habe ich so viel junge und alte Leute mit einem Buch auf den Knien lesend gesehen. Der Hunger auf Bildung und Wissen aller Art war außergewöhnlich und ging quer durch die Bevölkerung.

Auch über die Universität hinaus knüpfte ich Bekanntschaften, die von gegenseitigem Vertrauen geprägt waren. Dadurch erhielt ich wiederholt Hinweise auf innenpolitische Probleme der Sowjetunion. Dies war sonst lange Zeit gegenüber Ausländern ein Tabu. Nach Stalins Tod 1953 lockerte sich das, und ich erfuhr auch manches, was mich erschütterte. Später setzte ich mich damit gründlich auseinander, so in meinen Büchern über Trotzki sowie zum Thema "Gewaltlosigkeit und Klassenkampf". Dies erwähne ich hier nur, um nicht schönfärberischer Nostalgie bezichtigt zu werden.

Nach Promotion und im Sommer 1956 erfolgter Rückkehr in die DDR wurden mir Forschungsaufträge erteilt und leitende Aufgaben im Wissenschaftsbereich übertragen.

In diesem Rahmen unterhielt ich weiterhin enge Kontakte zu entsprechenden Institutionen der Sowjetunion und vielen herausragenden Persönlichkeiten wie Prof. Eugen Varga. Nach der Veröffentlichung meiner Dissertation in Moskau brachten sowjetische Verlage einige meiner Bücher heraus. Andererseits konnte ich das 1959 in Moskau erschienene Werk des namhaften russischen Ökonomen I.E. Bljumin über Geschichte und Gegenwart der bürgerlichen Politischen Ökonomie übersetzen und 1962 beim Dietz-Verlag herausbringen.

Meine Studienaufenthalte und privaten Kontakte beschränkten sich indes keineswegs auf Leningrad und Moskau. Ich lernte auch Odessa und Taschkent sowie Samarkand und Buchara mit ihrer phantastischen osmanischen Architektur kennen. Nach Kursk wurde ich vom dortigen "Haus der Wissenschaften" zu Vorträgen eingeladen. Im Kursker Kriegsmuseum erklärte man mir am Modell die Panzerschlacht am Kursker Bogen, welche nach Stalingrad die endgültige Wende im II. Weltkrieg herbeiführte. Mein Kontakt mit dieser Stadt besteht immer noch.

Als ich mit einer von Alma Ata (heute Astana) aufbrechenden kleinen Delegation tief in der kasachischen Steppe eine Woche bei Nomaden in deren Jurte lebte, fühlten wir uns alle wie Brüder. Dabei wurde mir die Ehre zuteil, das aus einem gekochten Ochsenkopf herausgelöste komplette Auge des Tieres auf einem Suppenlöffel in einem Schluck herunterzuschlürfen. Nur sofortiges Wodkatrinken vermochte das Ochsenauge daran zu hindern, den Rückweg aus meinem Magen anzutreten. Danach haben wir dann gemeinsam russische und deutsche Volkslieder gesungen.

All das bestimmt unzerstörbar mein Verhältnis zu den Russen und ihren befreundeten mittelasiatischen Nachbarn. Daran können auch großmäulige Wichtigtuer, denen der Antikommunismus wie ein Zipfel aus der Rocktasche hängt, nichts ändern.

Es handelt sich um jene Russen, in deren Namen Jewgenij Jewtuschenko die Frage stellt: "Meinst du, die Russen wollen Krieg?" Heute sind sie es, die zusammen mit der Volksrepublik China und anderen Kräften unsere große Hoffnung auf den Erhalt des Weltfriedens verkörpern.

Unser Autor war Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR

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Vorschläge des Stadtverbandes Strausberg der PDL zum BRD-Weißbuch 2016

Ausgehend von der steigenden Gefahr für die Erhaltung des Friedens und im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Weißbuches der Bundesrepublik Deutschland durch die Bundeswehr haben wir im Stadtverband der "Linken" die beigefügten Vorschläge erarbeitet und dazu auch Diskussionsrunden organisiert. Wir bitten den "RotFuchs", dieses Material zu veröffentlichen, um auch auf diesem Wege die Debatte über Fragen der Sicherheitspolitik und den Kampf zur Erhaltung des Friedens weiter voranzubringen.

Dipl.-Ing. Wolfgang Neidhardt,
Generalleutnat der NVA a. D.

Die derzeitige Lage in der Welt wird durch eine prinzipielle Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses zugunsten der aufstrebenden BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika) und den schrittweisen Verlust der Rolle der USA als alleiniger Führungsmacht charakterisiert. Die USA wirken dieser Entwicklung vorwiegend mit militärischer Gewalt und durch die Einbeziehung der von ihnen abhängigen Blockbündnisse entgegen. Dadurch entstehen internationale Spannungen, wächst die Gefahr für die Erhaltung des Friedens. Parallel dazu erkennen wir eine Rechtsentwicklung (Stärkung des Nationalismus, ja Faschisierung) in einigen Ländern Europas, darunter auch in der BRD, und teilweise auf weiteren Kontinenten.

In dieser Situation haben die Großmächte Volksrepublik China, USA und Russische Föderation ihre Sicherheitspolitik neu geregelt und entsprechende Dokumente veröffentlicht. Mit der Entscheidung zur Erarbeitung eines neuen Weißbuches beabsichtigt auch die Bundesregierung, einen solchen Schritt zu tun.

Der Stadtverband der Partei Die Linke Strausberg lud zu einer Diskussionsrunde darüber ein. Die ortsansässigen anderen Parteien nahmen daran nicht teil, ein Vertreter der Bundeswehr war bei einer Veranstaltung zugegen und informierte im wesentlichen über den zeitlichen Ablauf. Der "Kampf um die Köpfe" ist im Gange. Im Stadtverband der Linken wurden nachfolgende Vorschläge ausgearbeitet, dem Bundesverteidigungsministerium übergeben und auf dessen Website veröffentlicht.

Die Verhinderung von Kriegen und eines weltweiten Wettrüstens sollte als zentrales politisches Ziel festgelegt werden.

Die historischen Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts sowie die daraus entstehende Verantwortung zur dauerhaften Erhaltung des Friedens erfordern Schritte analog des Helsinki-Prozesses und des daraus abgeleiteten Schlußdokuments. Darin wurden von allen teilnehmenden Staaten Prinzipien zur friedlichen Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen, nuklearen Abrüstungsmaßnahmen sowie des KSZE-Prozesses anerkannt. Später kamen in diesem Sinne die Zwei-plus-vier-Verhandlungen und die Charta von Paris hinzu.

Diese Erfahrungen zeigen, daß sich grundlegende stabile friedliche internationale Beziehungen nur durch geduldige Verhandlungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Beachtung der Interessen aller beteiligten Staaten erreichen lassen.

Der wichtigste Ansatz zur Bewältigung der neuen Gefahren und Herausforderungen muß daher eine vorausschauende Außenpolitik sein, die Krisen verhindert und die Destabilisierung anderer Staaten weder befördert noch zuläßt.

Das neue Weißbuch sollte daher als grundlegende Aufgabe für die Sicherheit auf einen ähnlichen Prozeß wie den Helsinki-Prozeß orientieren. Ziel der Außen- und Sicherheitspolitik sollte die in der Charta von Paris angestrebte gesamteuropäische Friedensordnung sein, die auch im Weißbuch der Bundesrepublik fest verankert werden müßte.

Als Urheber zweier Weltkriege trägt Deutschland eine besondere Verantwortung, die sich aus der Notwendigkeit der Sicherung des Friedens - besonders durch vertrauensbildende Schritte - ergibt. Hier sehen wir die gewachsene Verantwortung der Bundesrepublik gegenüber anderen europäischen Staaten, die zugleich auch von weltweiter Bedeutung ist. Diesem Ziel sollten die Aufgaben der Bundeswehr dienen. Als deren erster Grundsatz muß gelten, daß die eigene Sicherheit nur bei Gewährleistung der Sicherheit der Gegenseite erreichbar ist, und zwar durch:

  • Die Nichtangriffsfähigkeit der Streitkräfte,
  • Verzicht auf Auslandskampfeinsätze,
  • Verzicht auf die Darstellung von Bedrohungsszenarien im Weißbuch,
  • Verzicht auf Überlegenheitsziele, auf die z. B. durch die Beschaffung von Drohnen und anderen Waffen orientiert wird.

Dieser Geist sollte den Inhalt des Weißbuches 2016 bestimmen.

Es ist noch nicht erschienen, die in der letzten Zeit eingeleiteten Maßnahmen der Bundesregierung lassen jedoch das Gegenteil des hier Geforderten erkennen. Das zeigt sich in

  • der Verstärkung der Bundeswehr in Mali;
  • der militärischen Beteiligung am sogenannten Antiterrorkampf gegen den IS durch Aufklärungsflugzeuge sowie den Einsatz von Kriegsschiffen;
  • der Verkündung eines verlängerten Bundeswehreinsatzes in Afghanistan.

Das angebliche Eingeständnis von Fehlern ist reine Demagogie! Ein Blick auf die Landkarte genügt! Dahinter stehen Interessen geostrategischer Art.

Unabhängig davon, ob diese gefährliche Entwicklung im Interesse der USA oder bestimmter Kreise der BRD erfolgt - sie ist eine Gefahr für den Frieden!

Dagegen sollten wir alle linken Kräfte für die Erhaltung des Friedens mobilisieren. Von besonderer Bedeutung ist dabei, die Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen, wie Kriege gemacht werden und damit auch, wie sie verhindert werden können.

Der Aufruf führender Generale und Offiziere der NVA der DDR erfolgte in zeitlicher Nähe zum 60. Jahrestag der Bildung der NVA. Die Nationale Volksarmee der DDR war die einzige Armee Deutschlands, die nie einen Krieg führte. Darauf sind wir stolz. Die Erhaltung des Friedens ist und bleibt nach wie vor unser prinzipielles Anliegen.

Nutzen wir die Möglichkeiten aller linken Kräfte und zugleich auch die Kenntnisse und Fähigkeiten der ehemaligen Angehörigen der NVA, um gemeinsam den Frieden zu erhalten!

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Rollenverteilung im Kapitalismus Bildserie: Herluf Bidstrup

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Bildserie von Herluf Bidstrup wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Über Antisemitismus und Ausländerhaß
Wie der Rassenwahn einst in Berlin hochgepeitscht wurde

Im Herbst 1923 kam es in Berlin zu einem Vorfall, der angesichts der gerade in jenem Jahr - dem letzten der gebündelten Ereignisse (Höhepunkt der Inflation - Ruhrbesetzung - gewaltsame Auflösung der Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen - Hamburger Aufstand - Münchner Hitlerputsch) - weniger Beachtung fand und später gezielt verdrängt wurde: dem Pogrom im Scheunenviertel.

Zunächst der Hintergrund: Nach 1918 gab es hierzulande drei Gruppen von Immigranten. Die meisten waren Deutsche, die nach Gebietsabtretungen aus Polen, Dänemark und Frankreich übersiedelten. Dem folgte die weiße Emigration aus Sowjetrußland, die aber zumeist gen Westen weiterzog und von der Bevölkerung kaum wahrgenommen wurde.

Ganz anders verhielt es sich hingegen mit den sogenannten Ostjuden, die vor Pogromen und sozialem Elend vor allem aus dem ostpolnischen Galizien geflohen waren. In Deutschland fühlten sie sich relativ sicher. Die meisten von ihnen waren auf karitative Hilfe angewiesen. Es handelte sich um mehr als 30.000 Menschen, die überwiegend nach Berlin kamen.

Durch sie nahm der jüdische Bevölkerungsanteil dort um ein Fünftel zu. Die Einwanderer konzentrierten sich im Scheunenviertel, einer Gegend zwischen Alexanderplatz und Friedrichstraße.

Ostjuden unterschieden sich in vieler Hinsicht von deutschen Juden, die religiös und weltlich aufgeklärter waren. Durch die in der Weimarer Verfassung garantierte Gleichberechtigung besaßen diese volle staatsbürgerliche Rechte, was ihnen einen sozialen Aufstieg - auch in die Kapitalistenklasse - ermöglichte.

Demgegenüber trugen Ostjuden nicht nur ärmlichere Kleidung, sondern waren als streng Gläubige auch durch Haartracht und - soweit es Männer betraf - Bärte schnell auszumachen. In den Augen vieler umgab sie etwas Mysteriöses. Untereinander sprachen sie neben jiddisch auch russisch und polnisch, also Sprachen, die extremen deutschen Nationalisten und rabiaten Antikommunisten besonders verhaßt waren. An ihnen sollte sich der in Deutschland latente, nach der Kriegsniederlage 1918 noch heftiger aufflammende Antisemitismus entladen.

Linke Intellektuelle jüdischer Herkunft hatten sowohl in der Novemberrevolution als auch während der Bayerischen Räterepublik eine exponierte Rolle gespielt. Die Bedeutendsten von ihnen - Kurt Eisner, Rosa Luxemburg und Eugen Leviné - waren schon 1919 ermordet worden. 1922 wurde mit Außenminister Walther Rathenau sogar ein jüdischer Angehöriger der herrschenden Klasse von faschistoiden Gewalttätern umgebracht.

Die Rechten bezeichneten die Weimarer Republik als "Judenrepublik". Sie zu beseitigen war nicht nur das Ziel der besonders auf Antisemitismus setzenden faschistischen Hitlerpartei, sondern auch breiter Schichten der durch diese aufgehetzten Bevölkerung.

Ostjuden waren in der Propaganda der Nazis der Prototyp des Juden überhaupt. Unter Einflüsterungen rassistischer Stimmungsmacher und entsprechender Presseorgane galten sie in den Augen vieler als "feindliche Ausländer", die sich angeblich nur Sozialhilfe und politischen Einfluß erschleichen sowie durch kriminelle Machenschaften ihr Dasein im krisengeschüttelten Deutschland bestreiten wollten.

Sie waren die ersten Fremden, denen gegenüber sich aus einer Mischung von Unverständnis, Mißtrauen und Ablehnung handfester Haß entwickeln ließ.

Am 5. November 1923 - nur vier Tage vor Hitlers Putsch in München - standen unweit des Berliner Scheunenviertels Massen von Arbeitslosen um Unterstützung an. Als der Zahlstelle das Geld ausging, verstreuten rechte "Agitatoren" flugs das Gerücht, Juden hätten es an sich gerissen. Daraufhin zogen Tausende Aufgebrachte unter Führung rassistischer Scharfmacher in das zentral gelegene Viertel, griffen Juden oder Menschen, die sie für solche hielten, unterschiedslos an, plünderten oder zerstörten deren Geschäfte und drangen in Wohnungen ein. Es gab zahlreiche Verletzte, aber keine Todesopfer. Das angeblich gesuchte Geld wurde natürlich nicht entdeckt.

Die Polizei, die sonst sogar bei kleinen Delikten hart durchgriff, schritt diesmal nicht ein, obwohl sie die Gewalttaten mit Leichtigkeit hätte unterbinden können; Eigentum, Leben und Gesundheit von Juden waren in ihren Augen nicht schützenswert. Verhaftet oder gar vor Gericht gestellt wurde niemand.

Andererseits hatten im Scheunenviertel wiederholt Razzien stattgefunden, deren vorgebliches Ziel darin bestand, "organisierter jüdischer Kriminalität" das Handwerk zu legen.

Ohne Zweifel war das gegenüber dem, was später im Genozid von Auschwitz gipfeln sollte, nur eine Episode, die von der linken und demokratischen Öffentlichkeit scharf verurteilt wurde. Doch historisch betrachtet handelte es sich um weitaus mehr: Erstmals wurden in Deutschland nicht nur Juden, sondern zugleich auch wehr- und schutzlose Ausländer, die sich dort sicher wähnten, so pauschal angegriffen. Der Anschlag erfolgte mit Duldung der Staatsmacht.

Schlimmer noch: Die Ereignisse trugen sich in einer von Sozialdemokraten regierten Reichs- und Landeshauptstadt zu, die als rot galt und in der die KPD zu Beginn der 30er Jahre stärkste Partei werden sollte. Die meisten der gewalttätigen Erwerbslosen waren Arbeiter, die auf ein gezielt ausgestreutes Gerücht hereinfielen und sich zu Gewalttaten hinreißen ließen. Das geschah lange bevor die Nazis in Berlin massiv Fuß fassen konnten. Es handelte sich demnach um einen Vorläufer des Amoklaufs der deutschen Faschisten, denen es darum ging - wie Hitler später schrieb - "die Massen zu nationalisieren".

Die Geschehnisse im Berliner Scheunenviertel machten deutlich, wie leicht es in der kapitalistischen Gesellschaft ist, in Not Geratene und Unzufriedene, darunter auch Proletarier, gegen ihre eigenen Interessen zu mobilisieren.

Heute wird das durch die ununterbrochenen Brandanschläge auf Notquartiere hilfs- und schutzbedürftiger Flüchtlinge einmal mehr unter Beweis gestellt.

Dr. Bernhard Majorow

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Wie sich CDU-Minister Hans Joachim Meyer als Hexenjäger profilierte

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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In was für einem Land lebe ich eigentlich?
Ein Arbeiter stellt Vergleiche an

Im Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947 konnte man lesen: "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben sein. ..."

Was ist daraus geworden, und wo stehen wir heute? Jahrgang 1941, habe ich nach dem Krieg in einem Land gelebt, das angeblich eine "SED-Diktatur" war, in der "Stasi", "Stacheldraht" und "Schießbefehl" niemals fehlten - jedenfalls nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Herren Hubertus Knabe und Prof. Dr. Klaus Schröder.

Ich aber habe in diesem Land DDR eine allseitige und umfassende Bildung erhalten und konnte einen Beruf erlernen und ausüben, der meinem Wunsch und meinen Fähigkeiten entsprach.

Ich habe in einem Land gelebt, das sich der Verwirklichung der sozialen Rechte aller und vor allem der Sicherung des Friedens verpflichtet hatte.

Ich habe in einem Land gelebt, in dem meine Kinder eine kostenlose und solide Schulausbildung erhielten.

Ich habe in einem Land gelebt, in dem ich als Arbeiter die Möglichkeit hatte, mit staatlicher finanzieller Unterstützung und betrieblicher Hilfe ein Eigenheim zu errichten.

Und: Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Begriffe Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit absolute Fremdworte waren.

Rückblickend auf die Jahre 1989/90 muß ich sagen, daß mir damals noch nicht so klar wie heute war, wohin die "friedliche Revolution" führte: in ein von Macht, Gier und Egoismus dominiertes System, wo das Kapital und der Profit über den Menschen stehen. Heute lebe ich in einem mir aufgezwungenen Staat

  • der Milliarden Euro in die Bankenrettung und die Entwicklung von Waffensystemen steckt, während immer mehr Menschen sozial absteigen müssen;
  • in dem Parteien, welche Träger der faschistischen Ideologie sind, von den Herrschenden und deren Staatsschutzorganen nicht verboten werden;
  • ein Rostocker Ex-Pfarrer von gewissen Medien als "Bundespräsident der Herzen" gefeiert wird, obwohl er Wesentliches über seine DDR-Biographie verschweigt;
  • sich eine selbsternannte "Elite" mit unverdienten akademischen Graden schmücken und hohe Regierungsposten bekleiden darf;
  • Wirtschaftsbosse durch ihre Lobbyisten in Regierung und Parlament Gesetze diktieren, die anschließend vom Bundestag durchgewunken werden;
  • der Wissenserwerb vor allem vom Geldbeutel der Eltern abhängt, während sich die Chancen von Kindern und Jugendlichen ohne entsprechendes Hinterland auf Bildung und berufliche Perspektive ständig verringern;
  • das Rentenniveau seit 2004 trotz Erhöhungen um 12,4 % gesunken ist;
  • die Anzahl der "Tafeln" von etwa 300 zu Beginn der 90er Jahre auf derzeit über 800 angestiegen ist;
  • die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes, so man einen hat, ein ständiger Begleiter ist;
  • prekäre Beschäftigung und Leiharbeit unablässig zunehmen;
  • Minijob-Inhaber eine Entlohnung erhalten, die für den Lebensunterhalt nicht ausreicht, so daß sie vom Arbeitsamt "aufgestockt" werden müssen;
  • Minijobs kein Sprungbrett in reguläre Beschäftigung, sondern eine Niedriglohnfalle sind;
  • man ab 45 als qualifizierte Kraft auf dem Arbeitsmarkt kaum noch Chancen besitzt;
  • nach einer Studie vom März 2012 jährlich elf Mio. Tonnen Lebensmittel in den Abfall kommen und etwa ein Drittel der durch die EU subventionierten Schweinefleischproduktion vernichtet wird;
  • die Beteiligung der Streitkräfte an "Auslandseinsätzen" durch den Bundestag als Friedensmission verklärt werden darf, obwohl sie Artikel 87a des GG widerspricht;
  • die Themen Maut und Porsche weitaus wichtiger sind als der soziale Wohnungsbau;
  • Korruption und Betrug zum Alltagsgeschäft gehören;
  • Rassenhaß und Ausländerfeindlichkeit immer aggressiver werden;
  • Horrorfilme rund um die Uhr in den Medien angeboten werden dürfen;
  • Pflegenotstand und Angst vor dem Altwerden landesweit herrschen;
  • Rußland durch die Lügenpresse im Ukraine- wie im Syrienkonflikt als Aggressor hingestellt werden darf, während man den Rechten Sektor und die Al-Nusra-Front hofiert.

Ich bin so wütend, daß ich hier mit dem Aufzählen der "Vorzüge" des bundesdeutschen Alltags Schluß machen muß.

Jetzt lebe ich in einem Land, das sich demokratisch nennt, während in Wirklichkeit nur der "Vollziehende Ausschuß des Kapitals" an der Macht ist.

USA-Präsident Franklin Delano Roosevelt bemerkte einst zu diesem Thema: "Die Freiheit einer Demokratie ist nicht sicher, wenn die Menschen das Wachstum privater Macht bis hin zu dem Punkt tolerieren, daß sie stärker wird als der demokratische Staat selbst. Wenn die Regierung zum Eigentum eines Individuums, einer Gruppe oder jeder anderen Form der Kontrolle durch private Mächte wird, ist das in seiner Essenz faschistisch."

In einem solchen Land muß man Angst vor der Zukunft haben! Angesichts dessen frage ich mich besorgt: Wo sind die gemeinsam handelnden linken Kräfte, die dem Wüten und unkontrollierten Treiben des Kapitals und der von ihm ausgehenden Faschisierung Einhalt gebieten?

Peter Müller, Freital

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Zur gezielten Kriminalisierung sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge
Selektion wie in alten Tagen

Der Begriff des "Wirtschaftsflüchtlings", der nach Deutschland kommt, um auf "unsere Kosten" leben zu wollen, bezeichnet eine künstlich geschaffene Haßfigur in den populistischen Flüchtlingsdebatten der systemtragenden Parteien, in den Sammlungsbewegungen "besorgter Bürger" bis hin zum notorischen Stammtisch. Seine Heimat aus wirtschaftlichen Gründen zu verlassen, scheint eine Todsünde zu sein. Kaum jemand unter den "Besorgten", die den dumpfen Parolen von PEGIDA, AfD, NPD und solcher Musterdemokraten wie Thomas de Maizière auf den Leim gehen, scheint sich zu fragen, warum Menschen eigentlich ihre Heimat verlassen, Tausende Kilometer unter großen Gefahren und Entbehrungen zurücklegen, um in einem anderen Land mit einer ihnen völlig fremden Kultur einen neuen Anfang zu wagen.

51 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Ihre Motive haben ganz überwiegend mit der durch die "westliche Wertegemeinschaft" diktierten ungerechten Verteilung und der Art der Erlangung des Reichtums auf unserem Planeten zu tun. Zweifellos sind Kriege ein Hauptgrund für das Entstehen der Flüchtlingsströme, wobei deren Verursacher möglichst anonym bleiben möchten. Den davon Betroffenen wird gerade noch ein legitimer Fluchtgrund zugestanden. Doch Flucht, um einem Leben in Armut zu entgehen, wird als selbstsüchtige Tat mutwilliger Räuber fremder Kassen geschmäht. Man tut so, als kämen die Betroffenen wie Diebe in der Nacht, die es sich auf unserem Sofa bequem machen wollen.

Nein, der größte Teil von ihnen flieht, weil er wirklich arm und durch ein verbrecherisches Wirtschaftssystem zum Vegetieren in bitterer Not gezwungen ist.

Ich will in diesem Beitrag die Fluchtursache Krieg bewußt einmal ausklammern. Über sie ist im RF bereits Wichtiges ausgesagt worden. Mir geht es darum, die Umstände anzudeuten, welche Menschen dazu zwingen, aus wirtschaftlichen Motiven ihre Heimat zu verlassen. Unter dem Deckmantel angeblicher Förderung des internationalen Handels wurden in den letzten Jahrzehnten etliche arme Länder von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds zu "Strukturanpassungsprogrammen" als Bedingung für Kreditgewährung gezwungen. Diese hatten eine "neoliberale" Angleichung ihrer Wirtschaft mit den bekannten Folgen zum Ergebnis. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Löhne sanken, und das ohnehin grassierende Elend nahm durch immer mehr Verschuldung zu.

Vorteile brachten solche Maßnahmen allein den reichen westlichen Industriestaaten durch fallende Zollschranken, extrabillige Arbeitskräfte und sinkende Rohstoffpreise. Mit Hilfe eines "Ökonomischen Partnerschaftsabkommens" drängt Brüssel arme Länder wie Kenia zum Kauf subventionierter Lebensmittel aus der EU und zerstört damit deren einheimische Märkte. Sogenannte Rohstoffinitiativen solcher "Partner" wiederum dienen allein der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen betroffener Länder ohne Rücksicht auf deren eigene Interessen.

Die Verschuldung der Staaten der dritten Welt basiert in erster Linie auf der Kreditpolitik des Westens. Diese zwingt den davon Heimgesuchten Kredite auf, die Vorbedingung der oben genannten "Strukturanpassungsmaßnahmen" sind. Zur Kreditaufnahme waren die "Bittsteller" vor allem wegen der seit Beginn der 70er Jahre fallenden Rohstoffpreise gezwungen. Da sie meist nichts anderes als diese Ressourcen besitzen, nahm die Verarmung vieler Entwicklungsländer mit dem Preisverfall ständig zu.

Die Schulden der dritten Welt sind im Vergleich mit dem Reichtum der Industriemagnaten des Westens geradezu lächerlich. In den armen Ländern aber verhindert der Zinsendienst jede Zukunftsinvestition in Bildung, Gesundheit, Ernährung und Wirtschaftsentwicklung. Alle Entschuldungsinitiativen werden von den Gläubigerstaaten gezielt unterlaufen. Durch Lebensmittelspekulation an Warenterminbörsen treibt man zugleich die Preise für Grundnahrungsmittel in den armen Ländern künstlich in die Höhe. Der Hunger wird also bewußt von spekulierenden Großbanken und Konzernen forciert, um mit den Preisschwankungen spekulieren zu können. Dazu hält man Nahrungsmittel künstlich zurück, um an dem durch die daraufhin steigende Nachfrage vorweggenommenen Preisanstieg partizipieren zu können. Das trifft natürlich die Ärmsten der Armen besonders hart. In Ghana müssen z. B. die Arbeitenden über 70 % ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel aufwenden!

Durch Landnahme werden Tausende Kleinbauern von Großanlegern ihrer Böden beraubt, die auf diesen Rohstoffe für den Markt der Industrieländer anbauen. Hier spielt sich oftmals noch ein weiteres Drama ab. Unter dem Vorwand des Umweltschutzes werden auf riesigen Flächen Hunderte Millionen Tonnen Getreide nur dafür erzeugt, um in Form von Agrartreibstoff verpulvert zu werden. Allein die USA verbrannten 2011 über 138 Millionen Tonnen Mais. Wie viele Menschen hätten davon ernährt werden können?!

Alle fünf Sekunden verhungert auf der Welt ein Kind unter zehn Jahren. Eine Milliarde Erdbewohner ist permanent auf das schwerste unterernährt. Obwohl unser Planet problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte, sterben täglich Unzählige, um das von Pegida und anderen Heilsbringern verklärte Abendland erstrahlen zu lassen! Es handelt sich um einen Krieg, der ohne Bomben ausgefochten wird! Die nicht von den armen Ländern verursachte Erderwärmung wird überdies in Zukunft Klimakatastrophen auslösen, die zu einer weiteren Verknappung von Trinkwasser führen. Schon jetzt ist es in der dritten Welt vielerorts äußerst knapp oder gar nicht mehr vorhanden. Was würden wir in einer solchen Situation tun? Würden wir lieber verdursten? Oder würden wir uns auf den Weg machen, um solchem Elend zu entrinnen?

Jeder Mensch hat das Recht, sich auf die Suche nach einem besseren Leben zu begeben. Das hat man offenbar in jenen Kreisen, welche sonst die Menschenrechte Tag für Tag in den Mund nehmen, absolut vergessen. Die Wirtschaftsflüchtlinge kommen zu uns, um ihren Anteil an dem ihnen zuvor geraubten Recht auf Nahrung, Gesundheit und schlichtes Lebensglück einzufordern! Und sie konfrontieren die Räuber mit deren Taten.

Diese wiederum brauchen AfD, Pegida & Co. sowie deren dumpfe Parolen, um große Bevölkerungsteile von der Unmoral ihres eigenen Tuns abzulenken.

Wir müssen den Ausbrüchen der Ausländerhasser wie deren Parolen mit der Feststellung entgegentreten: Armut ist kein Verbrechen! Vor Armut zu fliehen, auch nicht! Doch Armut gezielt zu erzeugen, um grenzenlosen Reichtum auf Kosten anderer zu ergattern, ist in höchstem Grade kriminell!

Ulrich Guhl

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Wie der BRD-Konzern Wintershall aus Libyens Zerschlagung Rekordprofite zieht
70 Jahre nach Nürnberg

Am 14. März 2013 veröffentlichte die "Ost-Thüringer Zeitung" das Foto des Technikers Josef Heskamp beim Bedienen einer Chemiegroßanlage des bundesdeutschen Öl- und Gaskonzerns Wintershall. Der Begleittext zur Aufnahme lautete: "Erdöl aus Libyen und Erdgas aus Rußland haben dem Konzern 2012 erneut einen Rekordgewinn in die Kassen gespült. Das Ergebnis stieg um fast 13 % auf 1,2 Milliarden Euro. Der Umsatz des Konzerns erhöhte sich von 12,1 Mrd. Euro (2011) um 39 % auf 16,7 Milliarden."

Das aufschlußreiche Material fiel mir kürzlich wieder in die Hände und animierte mich angesichts der gegenwärtigen Situation im arabischen Raum zu den folgenden Bemerkungen. Allgemein, besonders aber von unseren Politikern, hört man nur noch das flache Gerede von der so überaus komplizierten Lage in Sachen Flüchtlingskrise. Über deren wirkliche Ursachen und ihre Bekämpfung wird indes nur in vagen Andeutungen geredet.

Ob gewollt oder auch nicht, hat der OTZ-Redakteur seinerzeit im knappen Begleittext auf eine ganz wesentliche Ursache der gegenwärtigen Situation hingewiesen: Die rabiate Ausbeutung mehrerer Länder der Region durch westliche Großunternehmen. Wintershall ist dabei nur einer von vielen bundesdeutschen, europäischen und überseeischen Blutsaugern, die im Interesse der Erzielung von Maximalprofiten die in Ländern wie Libyen entstandene Situation bewußt mit herbeigeführt haben. Unsere christdemokratischen Volksvertreter samt Koalitionspartner sind dabei lediglich die Willensvollstrecker eben dieser Konzerne und das ungeachtet der Tatsache, daß viele von ihnen vor und während der sogenannten Wendezeit den pseudopazifistischen Bewegungen "Schwerter zu Pflugscharen" und "Gewaltfrei leben" Beifall gezollt haben, angehörten oder ihnen sogar vorstanden. Heute entsenden solche Leute gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit Bundeswehrsoldaten zur Durchsetzung völlig entgegengesetzer Ziele in etliche Länder. Diese erhalten dann für besondere "Heldentaten" das Tapferkeitskreuz, während es andere bis zum General bringen. Und das ungeachtet der Tatsache, daß durch ihren Kriegseinsatz bis dahin funktionierende Nationalstaaten aus den Angeln gehoben, ihre Infrastruktur zerstört und unzählige Zivilisten getötet werden. Offiziell ist dann - wie bei dem durch die U.S. Air Force bombardierten Krankenhaus in Kundus - von Kollateralschäden die Rede. Kapitalhörige Marionetten, dadurch ans Ruder gelangt, gelten als das kleinere Übel. Hauptsache bleibt, erstmals oder wieder in den Besitz der begehrten Rohstoffquellen zu gelangen, um diese selbst ausbeuten zu können. Genau das ist nach Gaddafis durch NATO-Staaten herbeigeführtem Sturz, der in der Ermordung des Präsidenten gipfelte, in Libyen eingetreten. Um einen solchen Krieg führen zu können, greift man zu übelsten Tricks.

Karl Marx schrieb schon 1856 in einem mit der Schlagzeile "Englisch-Persischer Krieg" getitelten Zeitungsbeitrag: "... dann wird das Opfer beschuldigt, irgendeinen angenommenen oder wirklichen Vertrag verletzt, ein imaginäres Versprechen gebrochen, eine Einschränkungsbestimmung überschritten oder irgendeinen nicht greifbaren Frevel begangen zu haben, und dann wird der Krieg erklärt." (MEW, Bd. 12, S. 71)

Begriffe wie Machthaber, Diktator, Schurkenstaat, Menschenrechtsverletzer und Tyrann müssen heute herhalten, um solche Kriege zu rechtfertigen. Im Namen von Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit werden bis dahin zufrieden lebende Menschen wie in Libyen, das seinerzeit als der Staat Afrikas mit dem höchsten Lebensstandard galt, kurzerhand zu "Rebellen" verwandelt, finanziell und militärisch gut ausgestattet und gegen ihre eigene Regierung in Marsch gesetzt. Geht diese Rechnung nicht auf, gilt der Einsatz des eigenen Militärs wie in Afghanistan, Mali und Syrien als Ultima ratio. Letztes Zufluchtsmittel des Königs - "Ultima ratio regis" - stand seinerzeit auf den Kanonenrohren der Artilleristen seiner Majestät.

Karl Marx erinnerte an die Worte des Gewerkschafters J. Dunning: "Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit. ... Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens." (MEW, Bd. 23, S. 788)

Da spielt das Völkerrecht dann keine Rolle mehr. Der Export der westlichen Demokratie durch die imperialistischen Hauptstaaten besonders in die arabische Welt hat sich als Flop erwiesen. Die Geister, die ihre Politiker riefen, werden sie nun nicht mehr los. Die Flüchtlingsströme, die sich seit 2015 in die BRD ergießen, sind das beste Beispiel dafür.

Allerhand fadenscheinige Vorwände zur Begründung der "verschärften Sicherheitslage" werden als vermeintliche Rechtfertigung der aufgeputschten Bevölkerung vorgegau(c)kelt. Das Volk wird systematisch auf große und größere Kriege, angeblich gegen den Terrorismus, eingeschworen.

Das Ganze geschieht makabrerweise 70 Jahre nach Beginn des Nürnberger Prozesses gegen die faschistischen Hauptkriegsverbrecher. Ein Anstoß zum Nachdenken!

Günter Schwarze, Probstzella

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Die Flüchtlingskrise aus historischer Sicht

Völkerwanderungen hat es in der Geschichte der Menschheit immer gegeben. Als es den ersten Hominiden in Afrika zu voll wurde, haben sich einige von ihnen (wahrscheinlich gezwungenermaßen) aufgemacht, sich anderswo niederzulassen, und weil die Menschen vergleichsweise clevere "Tierchen" waren, haben sie sich allmählich bis in die letzten Winkel verbreitet, bis in die Arktis und auf die Inseln im Pazifischen Ozean.

Auch Krieg, Vertreibung, Unterjochung und Ausrottung hat es gegeben, seit die bewohnbare Erde erst einmal besetzt war. Die Neandertaler waren sicherlich auch nicht begeistert, als die "modernen" Cro-Magnon-Menschen bei ihnen auftauchten, und auch die jungsteinzeitliche Megalith-Kultur ging unter, als sich die Indoeuropäer - Kelten, Germanen, Griechen, Römer, Slawen, Perser, Inder u. a. - ausbreiteten.

Die Germanen haben auf der Flucht vor den Hunnen das Römische Reich zerstört und so das finstere Mittelalter eingeläutet, das erst ein knappes Jahrtausend später endete. Auch den Sachsen mußten ihre heute so bitter verteidigten christlich-abendländischen Werte ursprünglich noch mit dem Schwert beigebogen werden.

Ackerbau und Viehzucht, Schrift und Zahlensystem und eben auch das Christentum haben wir aus dem Vorderen Orient, wo heute der Islamische Staat Angst und Schrecken verbreitet. Die muslimischen Länder und Gemeinwesen sind jetzt untereinander aber mindestens genauso zerstritten, wie es Deutschland zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und Europa bis vor 70 Jahren noch waren. Sicherlich: Perser, Araber und Türken stammen aus einst expansiven Kulturen, so wie Engländer, Franzosen, Deutsche, Spanier und US-Amerikaner auch. Aber nach Hunnen- und Mongolensturm und den Türken vor Wien waren es eigentlich vor allem die Europäer, die andere Länder und Völker erobert, unterworfen und kolonisiert haben - in Sibirien und Amerika, in Afrika und Australien und schließlich sogar die uralten Hochkulturen in Asien wie Arabien, Persien, Indien und China.

Das historische Gedächtnis der meisten stolzen, um ihre hegemoniale Kultur so besorgten Deutschen, von denen sich etliche allzugern "konservativ" nennen und doch nur reaktionär sind, reicht wahrscheinlich kaum weiter als bis zum Ersten Weltkrieg; der eine oder die andere mag dann noch wissen, daß schon Martin Luther gegen Juden und Türken gehetzt und dazu aufgerufen hatte, aufständische Bauern "wie tolle Hunde" totzuschlagen.

Urdeutsch ist offenbar die Angst vor "Horden" aus dem Süden und/oder Osten, seien es nun "Ungläubige" oder "Glaubensbrüder" (aus Rußland, Rumänien, Serbien oder Nigeria). Die dulden wir nur, solange sie für "kleines Geld" unseren Dreck wegmachen, unsere Kinder und Alten betreuen, unseren Spargel stechen und unser Vieh schlachten und im übrigen möglichst unsichtbar bleiben.

Aber heute kommen die Fremden nicht als Eroberer, sondern als Vertriebene; sie bilden keineswegs eine homogene Gruppe, sondern ein buntes Gemisch von Einzelschicksalen; und sie wollen "uns" mitnichten vertreiben oder unterwerfen, sondern nur einen Platz zum Überleben finden, halbwegs menschenwürdig. Sie wünschen sich vielleicht, ein bißchen an unserem vergleichsweise höheren Lebensstandard teilzuhaben und dabei auch ein wenig von ihrer eigenen Kultur aufrechterhalten zu dürfen. Und da müssen kleinliche Bedenken wie die Befürchtung, der Immobilienwert des schmucken Eigenheims könnte darunter leiden, wenn nahebei eine Moschee oder eine Flüchtlingsunterkunft gebaut würde, zurückstehen.

Sicherlich: Viele von denen, die kommen, sind bisweilen zornige junge Männer, und vor denen habe auch ich manchmal Angst, gleich, ob sie nun als fremdländische "Ghetto-Gangster" oder als alkoholisierte deutsche Hooligans daherkommen. Dennoch: Die heutige vernetzte Welt und die "Flüchtlingskrise" haben mit den alten (und noch gar nicht wirklich überwundenen) Stammes- und Staatenkriegen von einst nicht mehr viel zu tun. Ein "Aufeinanderprallen der Kulturen" gibt es so nicht mehr in der globalen Gesellschaft. Die Menschen aller Kontinente sind so informiert und mobil wie nie zuvor. Nun muß es darum gehen, sie auch menschenwürdig zu versorgen - und zwar dort, wo sie sind oder sein möchten.

Besitzstandswahrung wird nicht funktionieren - und es kann ja wohl auch nicht richtig sein, daß sich Europa jetzt nur die "Guten", Jungen, Gesunden und Qualifizierten aus der zweiten und dritten Welt herauspickt und so wiederum andere Länder ausbeutet.

Vielleicht sollte man statt dessen die Reicheren und vor allem die Superreichen konsequenter besteuern oder teilweise enteignen und das Land wie die Ressourcen weltweit gerecht neu aufteilen ...? Ein Mindest-Lebensstandard auf dem Niveau eines hiesigen Sozialhilfeempfängers (mit Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung, Strom und Internetanschluß) wäre dann sicherlich schon heute für alle Menschen erreichbar.

Und wenn erst sämtliche Mittel, die derzeit durch Konkurrenz, Grenzsicherung, Bürokratie, Überwachung verschwendet werden, in einer mit- statt gegeneinander organisierten globalen Gesellschaft frei würden, könnte es vielleicht sogar gelingen, wirklich menschheitsbedrohende Gefahren wie regionale Überbevölkerung und Klimawandel gemeinsam abzuwenden.

Thomas Movtchaniouk, Düsseldorf

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ver.di sollte differenzierter beurteilt werden

Mit Recht hat Klaus Steiniger im RF-Leitartikel 12/2015 darauf hingewiesen, daß es nötig ist, mit Bündnispartnern enger zusammenzurücken, auch wenn diese nur ein Stück Weges mitzugehen bereit sind. Zu ihnen gehört die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Allerdings gilt es dabei darauf zu achten, wer sich unter Umständen mit anderen Hintergedanken in die Reihen der Bündnispartner begibt. Als seit fast 40 Jahren aktiver Gewerkschafter - zunächst in der IG Druck und Papier (BRD), dann in der IG Medien, schließlich in ver.di - will ich das erläutern.

Mit der Gründung von ver.di als dem Zusammenschluß der fünf Einzelorganisationen Deutsche Postgewerkschaft (DPG), Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV ), Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) und Industriegewerkschaft Medien (IG Medien) im Jahr 2001 befanden sich 17 Bildungsstätten im Eigentum der neuen Supergewerkschaft. Bereits im Mai 2002 beschloß der ver.di-Gewerkschaftsrat - das höchste Gremium zwischen den Bundeskongressen, der Empfehlung des Bundesvorstandes zu folgen, sechs der Häuser zu schließen und zu verkaufen. Darunter fiel auch die Bildungsstätte der IG Medien in Springen/Taunus, ein Haus, das schwarze Zahlen schrieb.

Die Proteste dagegen aus Reihen der Ex-IG-Medien beantwortete der ver.di-Bundesvorstand mit der Zusicherung, daß jede einzelne Quellgewerkschaft mindestens eine von ihr eingebrachte Bildungsstätte behalten würde. Für die IG Medien war dies das Heinrich-Hansen-Haus in Lage-Hörste/Teutoburger Wald, das für viele Mitglieder der alten Mediengewerkschaft eine gewerkschaftliche, politische und kulturelle Heimat geworden war.

Im September 2014 wurde das 60jährige Bestehen des Heinrich-Hansen-Hauses dort gefeiert. Es ist die einzige Bildungsstätte der zu jenem Zeitpunkt bestehenden ver.di-Häuser, die nach dem 2. Weltkrieg von Mitgliedern und Funktionären der damaligen Druckergewerkschaft in Eigenleistungen erbaut wurde. Dort konnten Kulturtagungen, Seminare wie die "Druckertage", die "Tage der Typographie", Fachseminare, Versammlungen der in ver.di organisierten Künstlerinnen und Künstler sowie politische Veranstaltungen stattfinden.

Ein Haus zu erhalten, erfordert finanzielle Mittel. Im zweiten Halbjahr 2014 wurde das zur Beseitigung von Mängeln des Heinrich-Hansen-Hauses erforderliche Budget vom ver.di-Bundesvorstand auf 3,5 Millionen Euro geschätzt. Im Februar 2015 aber empfahl er dem ehrenamtlichen Gewerkschaftsrat als Entscheidungsgremium, das Heinrich-Hansen-Haus Ende 2015 zu schließen. Einziges Argument: Die nötigen 3,5 Millionen Euro an Investitionen müßten im Erhaltungsfall der Streikkasse entnommen werden, die dadurch gefährdet sei.

Beraten wurde die Entscheidung allerdings bereits viel früher: Schon Anfang Dezember 2014 erfuhren Mitglieder und Funktionäre von den Schließungsplänen. Es ist davon auszugehen, daß diese schon im September 2014 zur Jubiläumsfeier vorlagen, bei der Verantwortliche der ver.di-Immobilienverwaltung und hochrangige Berliner ver.di-Funktionäre das Haus lobten und ihm eine goldene Zukunft versprachen.

Eine beispiellose Solidaritätskampagne, ausgelöst durch einen schnell gegründeten Unterstützerverein, rang dem Gewerkschaftsrat eine zweimonatige Frist ab, innerhalb derer die Unterstützer ein tragfähiges Konzept zur Weiterführung der Bildungsstätte vorlegen sollten. Bis Mai 2015 wurden rund 200.000 Euro Spenden zum Erhalt des Hauses gesammelt. Vor allem aber legten die Unterstützer das geforderte Konzept vor. Die übergroße Mehrheit des Gewerkschaftsrates verwarf dieses am 11. Mai 2015, meist, ohne es überhaupt zur Kenntnis genommen zu haben.

Im nachhinein wurde bekannt, daß zwischen den beiden Tagungen des Gewerkschaftsrats (GR) einzelne hauptamtliche Funktionäre mit Disziplinarmaßnahmen bedroht wurden, sollten sie sich der Kampagne für den Erhalt des Hauses anschließen. Es existieren außerdem Berichte, denen zufolge GR-Mitglieder vor der zweiten Tagung massiv bedrängt und genötigt wurden, für die Schließung des Heinrich-Hansen-Hauses zu stimmen.

Auf dem ver.di-Bundeskongreß im September 2015 hielt Frank Werneke, stellvertretender Vorsitzender und verantwortlich für die ver.di-Finanzen, seinen Rechenschaftsbericht. Er erläuterte, daß allein im ersten Halbjahr 2015 an Streikgeldern 110 Millionen Euro ausgezahlt worden seien. Doch noch immer sei die Streikkasse ausreichend gefüllt und werde weiter beschickt.

Anfang 2015 standen nach ver.di-internen Berechnungen etwa 550 Millionen Euro an Streikgeldern zur Verfügung. Selbst wenn es weniger gewesen sein sollten, so hätte der - ohnehin zu hoch angesetzte - Betrag von 3,5 Millionen Euro für die Sanierung des Heinrich-Hansen-Hauses noch nicht einmal zwei Prozent dieser Summe ausgemacht.

Von einer Gefährdung der Streikkasse - einziges Argument für die Schließung! - konnte also keine Rede sein. Mittlerweile wird dies vom ver.di-Bundesvorstand auch nicht mehr dementiert und lediglich damit beantwortet, daß die Schließung beschlossene Sache sei.

Im übrigen hätte ein Bruchteil der Gelder, die im Poststreik 2015 ausgezahlt wurden, für den Erhalt des Heinrich-Hansen-Hauses ausgereicht. Das aber war ein Ausstand, der ohne Urabstimmung begann und beendet wurde, wobei er das Angebot der Unternehmerseite vor der Arbeitsniederlegung zum Ergebnis hatte.

Warum also wurde gegen den erklärten Willen der Mitglieder die Schließung des letzten Hauses der Alt-IG-Medien durchgesetzt?

Bereits zweimal hatte der Fachbereich 8 (die Ex-IG-Medien) in den letzten Jahren die Pläne des ver.di-Bundesvorstands durchkreuzt: Einmal, als er aufgelöst werden sollte, zum anderen, als der ver.di-Bundesvorstand zunächst das Zusammenspiel von DGB und Unternehmerverband zwecks "Tarifeinheitsgesetz" mittrug und erst der Fachbereich Medien das Ruder herumriß.

Ein solches Querschießen der Drucker, Setzer, Journalisten und Künstler läßt natürlich Pläne reifen, diese unbequeme Mitgliedschaft auszuschalten. Die letzten Reste der einzigen Industrie-Quellgewerkschaft, der IG Medien, sollen entsorgt werden, weil sie bei Umbauplänen stören:

Viele originäre Gewerkschaftsaufgaben werden wie in Großkonzernen an Fremdfirmen vergeben: Internetauftritt, Mitgliederwerbung, Redaktionen von Mitgliederzeitungen und vor allem die als "Perspektive 2015" bezeichneten Umbaupläne, nach denen ver.di systematisch und schleichend ihres Gewerkschaftscharakters beraubt werden soll.

Eine Solidaritätsspende der alten IG-Medien-Mitglieder im Bezirk des Unterzeichneten an die 25 Beschäftigten des Heinrich-Hansen-Hauses, die bald nach der Schließung erwerbslos wären, wurde übrigens von der Berliner ver.di-Bundeszentrale ausdrücklich untersagt.

Von Bedeutung ist auch der Umstand, daß die meisten Mitglieder des im September 2015 bestätigten Bundesvorstands aus keiner ursprünglichen Industriegewerkschaft kommen. Wenn sich eine solche Linie weiter durchsetzen sollte, dürfte von der Schlüsselgewerkschaft IG Druck und Papier - der kämpferischsten unter den fünf ver.di-Gründern - nichts mehr übrigbleiben.

Hans Dölzer, Hirschberg


Unser Autor ist Vorstandsmitglied im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie bei ver.di Rhein-Neckar.

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Thüringens Landesregierung - Erfolg oder Debakel der PDL?
Der Schlichter von Bischofferode

Seit dem "Machtantritt" der Koalitionsregierung aus Linken, SPD und Grünen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (PDL) ist im Freistaat Thüringen deutlich mehr als ein Jahr vergangen. Die von einigen an die Wand gemalte Revolution hat nicht stattgefunden. Am Ruder befindet sich eine Kabinett, das sich von anderen bürgerlichen Teams nicht unterscheidet. Thüringens wenige Marxisten, die eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft anstreben, besitzen derzeit keine Massenbasis und sind auch nicht im Kabinett Ramelow vertreten.

Dabei gab es in der thüringischen Geschichte schon ganz andere Kapitel. Ein Rückblick in das Jahr 1923 mag das verdeutlichen.

Nach dem Sturz der Reichsregierung Wirth kam das Kabinett des HAPAG-Direktors Cuno zum Zuge. Es war das bis dahin "reaktionärste Team" der Weimarer Republik.

Am 11. August 1923 beschloß die Vollversammlung der Berliner Betriebsräte einen dreitägigen Generalstreik zum Sturz der Cuno-Regierung. In Hamburg waren die Werftarbeiter bereits zwei Tage zuvor gegen Entlassungen und Geldentwertung in den Streik getreten. Es gab dort aber kein gemeinsames Handeln von KPD und SPD. Am 13. August ließ der sozialdemokratische Hamburger Polizeisenator sogar im Stadtzentrum auf demonstrierende Arbeiter schießen. Es gab Tote und Verletzte. In jenen Tagen streikten in Berlin, Rheinland-Westfalen und Südwestdeutschland, aber auch in Sachsen und Thüringen mehr als 3,5 Millionen Arbeiter und Angestellte. Sie zwangen die Cuno-Regierung zum Rücktritt.

Am 10. Oktober bildeten in Sachsen und am 16. Oktober in Thüringen Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsame Regierungen. Deren Aufgabe wäre es gewesen, als demokratische Machtorgane die Arbeiter zu bewaffnen und der Konterrevolution Paroli zu bieten. Das aber scheiterte am Schwanken linker Sozialdemokraten und einer opportunistischen Haltung kommunistischer Minister. Beide Regierungen trafen nicht nur keine Maßnahmen zur Organisierung der revolutionären Massenbewegung, sondern versäumten es auch, Schritte zur unmittelbaren Verbesserung der Lage der Werktätigen in die Wege zu leiten. Am 13. Oktober 1923 wurde mit den Stimmen der SPD-Abgeordneten vom Reichstag ein erstes Ermächtigungsgesetz beschlossen. Nach Verhängung des Ausnahmezustandes durch Reichspräsident Ebert (SPD) stellte das einen weiteren Schritt in Richtung Militärdiktatur dar.

Ende Oktober marschierte die Reichswehr auf Eberts Befehl in Sachsen ein und gebärdete sich dort als Bürgerkriegstruppe. 50 Arbeiter wurden erschossen. Sie besetzte die Ministerien, das Landesparlament wurde aufgelöst, ein Reichskommissar ernannt. Anfang November rückte die Reichswehr auch in Thüringen ein, vertrieb die Arbeiterregierung aus dem Amt, begann Jagd auf Linke zu machen. Von einer solchen Situation ist man im heutigen Freistaat Thüringen subjektiv wie objektiv natürlich meilenweit entfernt. Ein Hauptgrund dafür ist die Tatsache, daß es derzeit in Deutschland keine marxistische Partei mit Masseneinfluß wie die damals erst vier Jahre alte KPD gibt. Auch deshalb kann die Bundeswehr getrost in ihren Kasernen bleiben und Kriegsministerin von der Leyen ihre Quadrille reiten. Von Thüringens Ramelow-Regierung geht keine Gefahr für die Herren in den Chefetagen der Wirtschaft und des Bankwesens aus.

Ich möchte auf einige charakteristische Ereignisse aufmerksam machen.

Am 6. und 7. November 2015 fand das 14. Symposium "Recht und Gerechtigkeit - Die strafrechtliche Aufarbeitung von Diktaturen in Europa" in Weimar statt. Ein Hauptausrichter war die sogenannte Landeszentrale für politische Bildung im Freistaat Thüringen.

Das Programm wurde in drei Sektionen realisiert: Die Sektion I befaßte sich u. a. mit der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Tätern in der BRD und in der DDR. Sie behandelte auch den Umgang der "SED-Diktatur" mit den NS-Euthanasie-Verbrechen in Stadtroda. Hier findet sich bereits ein negativer Bezug auf die DDR.

In der Sektion II wurde man thematisch noch deutlicher. Dort ging es um die "strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen der SED-Diktatur" und die "juristische Aufarbeitung von DDR-Unrecht", wobei auch die sogenannten "Mauerschützenprozesse" nicht fehlen durften.

In der Sektion III stand die "strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen kommunistischer Regimes in Ost-, Mittel- und Südosteuropa" auf dem Programm.

Bei der illustren Veranstaltung war Ramelows Landesregierung durch eine Staatssekretärin von Anfang bis zu Ende vertreten. Den Abschluß der zweitägigen Horrorshow bildete eine Führung durch die vom Kabinett des PDL-Ministerpräsidenten betreute "Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße" - die ehemalige U-Haft-Anstalt des MfS.

Dem ostdeutschen Unternehmermagazin "Wirtschaft & Markt" (November/Dezember 2015) gab Thüringens "sozialistischer" Regierungschef ein Interview, in dem er von seiner zehnjährigen Erfahrung als DGB-Sekretär in Mittelhessen berichtete. Anschließend kam er 1990 nach Thüringen. Als Landesvorsitzender der Gewerkschaft HBV war er maßgeblich am Schlichterspruch im Kaliwerk Bischofferode beteiligt, wo die sich zum Widerstand erhebenden Kumpel der sonst überwiegend in Passivität verharrenden DDR-Arbeiterschaft ein leider rares Beispiel der Kampfbereitschaft gaben.

Schon damals agierte Ramelow gegen die Interessen der im Hungerstreik stehenden Bergleute, um den Verkauf an die westdeutsche Kali & Salz AG sicherzustellen. Wenige Monate danach wurde das Werk "abgewickelt", wobei 700 Bergleute ihre Arbeitsplätze verloren. Wahrlich ein Skandal, der heute wieder an Aktualität gewinnt, nachdem sich herausgestellt hat, daß die damals angeblich nicht mehr erschließbaren Lagerstätten nunmehr vom Konzern zum Kauf angeboten werden.

Herrn Ramelow fällt dazu im Interview lediglich ein: "In Bischofferode war ich es, der letztlich den Arbeitskampf geschlichtet hat." Und: "Aber heute stehe ich bei K & S und eröffne mit dem Vorstand des Unternehmens das neue Forschungszentrum. Ich bin richtig positiv davon berührt, wieviel Geld K & S in die Forschung hier vor Ort bereits investiert hat." Ein Minimum an Schamgefühl gehört wohl nicht zu den Eigenschaften dieses Mannes.

Im selben Heft nimmt Ramelows Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) Unternehmen wie Banken die Angst vor dieser stinknormalen Regierung, indem er lapidar erklärt: "Es gibt nach wie vor Bananen, und die Betriebe sind nicht verstaatlicht."

Konstantin Brandt

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Wie sich die Bundeswehr mit Mölders schmückt

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Was will die Bundesluftwaffe in Syrien?

Nach dem Abschuß des russischen Flugzeugs vom Typ Suchoi 24 durch "unsere" türkischen NATO-Verbündeten meinte US-Präsident Obama, jedes Land habe das Recht, sein Territorium und seinen Luftraum zu verteidigen.

Seit über einem Jahr führt eine internationale Koalition mit den USA an der Spitze den Luftkrieg gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien und Irak mehr oder weniger erfolglos. Ein völkerrechtliches Mandat für diese Kriegshandlungen auf der Grundlage des Kapitels VII, Art. 41, 42 der Charta der Vereinten Nationen liegt dafür nicht vor. Allerdings gibt es eine zweite völkerrechtliche Möglichkeit für Kampfeinsätze ausländischer Truppen. Von ihr hat der rechtmäßige syrische Präsident Assad jedoch nur gegenüber Rußland Gebrauch gemacht.

Es ist somit der einzige Staat, der legal Militärflugzeuge über syrischem Hoheitsgebiet einsetzen darf.

Demgegenüber besitzt die Entsendung von Kampfflugzeugen durch sieben fremde Mächte für Luftschläge auf syrischem Territorium keinerlei völkerrechtliche Grundlage.

Das wissen Frau Merkel und ihr Außenminister Steinmeier sehr genau. Um so frappierender ist es, daß sich die BRD mit Billigung einer Bundestagsmehrheit an diesem Völkerrechtsbruch mit sechs Kampfmaschinen beteiligt, wobei dieser Kriegseinsatz nicht ohne reale Gefahr für Leib und Leben deutscher Soldaten erfolgt. Denn Syrien soll ja inzwischen auch über von Rußland gelieferte Raketensysteme zur Luftverteidigung verfügen, mit denen es sich gegen jeden unerwünschten Eindringlich verteidigen kann.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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Wer seinem Land treu dient, sage NEIN!

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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RF-Extra
Wie die BRD-Regierung den Hexenjägern Steuer-Milliarden in den Rachen warf
Rückfall ins tiefste Mittelalter

Immer wieder lese ich, mit welch finanziellem Aufwand die Behörde des Bundesbeauftragten für die "Stasi"-Unterlagen (BStU) das Archiv des MfS der DDR "aufzuarbeiten" versucht. Dafür werden alljährlich mehr als 100 Millionen Euro an Steuergeldern verpulvert. In der "Behörde" beschäftigt man mehr als 1600 Mitarbeiter.

Bei diesem enormen Einsatz von Steuergeldern mit dem Ziel, nachträglich herauszufinden, wer wohl für die "Stasi" gearbeitet haben könnte, stellte ich mir die Frage: Welche Steuergelder wurden eigentlich bei uns, in der Alt-BRD, für die Aufklärung von Naziverbrechen aufgewendet? Im Zeitalter des Internets besitzt ja auch ein Rentner die Möglichkeit, sich Informationen zu beschaffen, die er in der Zeit des Kalten Krieges nicht besaß.

Ich begann also die Suche, was aber nicht so leicht war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Stationen meiner Recherche waren zunächst das Bundesarchiv des SPD-Vorstandes und die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung. Ohne Erfolg. Nach über einem Jahr ergebnislosen Nachforschens geriet ich dann an die Württembergische Landesbibliothek. Dort erhielt ich die Auskunft, daß die Haushaltsrechnungen von Baden-Württemberg für die Jahre 1958 bis 1989 in der Bayerischen Staatsbibliothek archiviert seien. So war ich endlich am Ziel der Suche angelangt. Bei einer Fahrt in das 170 Kilometer entfernte München wurde ich fündig. Dort bekam ich sämtliche Daten des bereits genannten Zeitraums. Mir fiel sofort auf, daß die Adenauer-Regierung erst 13 Jahre nach Kriegsende dazu bereit war, eine Behörde zur Aufklärung der NS-Verbrechen ins Leben zu rufen. Die BStU wurde demgegenüber bereits im Jahr nach der "Wiedervereinigung" gegründet.

Vorweg sei gesagt: Die Zahlen für die Aufklärung unter Hitler begangener Verbrechen habe ich den Haushaltsrechnungen (1958-1989) von Baden-Württemberg und die Zahlen der Aufarbeitung des MfS der DDR (1991-2014) den jeweiligen Tätigkeitsberichten der "Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik" entnommen.

Für die Aufklärung von Naziverbrechen stellten die Regierungen der Alt-BRD insgesamt 32.082.804 Euro zur Verfügung. Allein die Personalkosten in der Ludwigsburger Zentralen Stelle betrugen 28.197.652 Euro. In der Spitzenzeit waren dort 121 Mitarbeiter beschäftigt.

Für die BStU mußten die Steuerzahler von ihrer Gründung im Jahr 1991 bis 2014 insgesamt 2.262.233.272 Euro aufbringen. Die Personalkosten beliefen sich in der BStU auf 1.831.399.016 Euro. 1994 waren dort 3162 Mitarbeiter, im Jahre 2014 immer noch 1605 Mitarbeiter beschäftigt. 2014 betrug das Jahresdurchschnittsgehalt eines BStU-Mitarbeiters 49.131 Euro. Doch interessanter wird diese Zahl noch, wenn man das jährliche Durchschnittsgehalt dort mit anderen Branchen vergleicht. In der Metallurgie belief es sich zum Beispiel auf 53.000 Euro.

Erschüttert mußte ich feststellen, daß die BStU in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 2014 ebenso viele Steuergelder in Anspruch nahm, wie die Ludwigsburger Zentrale Stelle für die Aufklärung der NS-Verbrechen in 31 Jahren den aufeinanderfolgenden Alt-BRD-Regierungen wert war.

Ich konnte das zuerst nicht glauben. So habe ich sämtliche Zahlen nochmals nachgeprüft. Für die BStU mußten die Steuerzahler tatsächlich 70mal mehr zahlen als für die Aufklärung der Untaten Hitlerdeutschlands. Ich konnte mir diese enorme Diskrepanz nicht erklären. So überlegte ich, wer mir wohl mehr Auskunft als die im Bundestag vertretenen Parteien erteilen könnte. Bis auf "Die Linke" waren alle anderen Parteien einschließlich der FDP während dieser Jahre in Regierungsverantwortung. So schrieb ich an alle Fraktionsvorsitzenden im Reichstagsgebäude und stellte ihnen zwei Fragen:

1. Was sind die Gründe, daß das für die BStU im 25-Jahre-Vergleich 152mal mehr an Steuermitteln aufgewendet wurde als für die Aufklärung von Naziverbrechen? Warum wird in der BStU eigentlich 26mal mehr Personal benötigt als seinerzeit für die Zentrale Stelle in Ludwigsburg?

2. Im Jahre 2014 betrug das Durchschnittsjahresgehalt der Mitarbeiter der BStU 49.131 Euro. Frage: Ist meine Annahme richtig, daß bei einem solchen Supergehalt die BStU alles unternehmen wird, damit diese aus Steuermitteln finanzierte Behörde niemals aufgelöst wird? Falls ich mit meiner Annahme falsch liege, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir auch die Gründe dafür nennen würden."

Die Partei Die Linke antwortete umgehend. Die FDP gab mir den Rat, ich solle mich doch an die Bundesregierung wenden. Das war mir zuwenig. So erinnerte ich diese Partei daran, daß sie immerhin 32 Jahre in der BRD Regierungsverantwortung getragen habe. Bei den anderen Parteien herrschte absolute Funkstille. Nach vier Wochen habe ich sie an meine Fragen erinnert. Bündnis 90/Die Grünen gaben mir jetzt ebenfalls den Rat, ich solle mich doch an die Bundesregierung wenden.

Daraufhin erinnerte ich sie an die Tatsache, daß sie zwischen 1998 und 2005 der Bundesregierung angehört hätten. Endlich - zehn Wochen nach meiner ersten Anfrage - bekam ich Antworten auch von CDU/CSU und SPD.

Hier die Reaktion der SPD: "Die Aufarbeitung ist eine sehr komplexe Angelegenheit, die diverse Bereiche des sozialen und gesellschaftlichen Lebens betrifft. Um all den verschiedenen Aufgaben, vom Gedenken über die Aufklärung bis hin zum künftigen Umgang gerecht zu werden, braucht es eine breit angelegte Aufarbeitungslandschaft. So ist für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht allein die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg (ZSt) zuständig, sondern neben ihr auch viele weitere Gedenkstätten, Forschungseinrichtungen, Museen, Archive und viele andere Erinnerungsorte, die sich mit der (doppelten) geschichtlichen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzten. Die Arbeit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR hat eine große nationale und internationale Bedeutung für den Umgang mit der diktatorischen Vergangenheit. Da seit dem Ende der SED-Diktatur nunmehr über 25 Jahre vergangen sind und sich seitdem auch hier eine vielfältige Aufarbeitungs- und Gedenkstättenlandschaft aus zivilgesellschaftlichen Initiativen und staatlichen Einrichtungen gebildet hat, stellen Sie hier zu Recht die Frage nach den Entwicklungsperspektiven dieser Sonderbehörde."

Die CDU/CSU schrieb mir: "Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß wir der Aufarbeitung unserer jüngeren deutschen Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus genügend Bedeutung beimessen und die Erinnerung wachhalten. Das ist und bleibt breiter politischer Konsens und ist auch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD festgeschrieben: 'Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und den Widerstand gegen das NS-Regime auch in seiner europäischen Dimension werden wir wachhalten. Dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden sowie an anderen Völkern und Gruppen wird in der deutschen Erinnerungskultur immer eine außerordentliche Bedeutung zukommen. ... Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar ist in Deutschland ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag.'"

CDU/CSU wie SPD gingen also mit keiner Silbe auf meine beiden konkreten Fragen ein. Ich werde jedoch so lange nachfragen, bis mir alle Parteien diese beantwortet haben. Daß mein Drängen durchaus berechtigt ist, zeigt mir der Beitrag von Joachim Riedel in dem Buch "Die Ermittler von Ludwigsburg. Deutschland und die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen". Es wurde 2008 im Auftrag des Fördervereins Zentrale Stelle e. V. herausgegeben. In diesem Artikel stellt Riedel fest: "Die Start- und Rahmenbedingungen waren für die Aufarbeitung des NS-Unrechts von Anfang an in vielfacher Hinsicht wesentlich ungünstiger als für die Aufarbeitung des SED-Unrechts, mit der Folge, daß letztere schon nach rund 10 Jahren im wesentlichen beendet war, während die Aufarbeitung des NS-Unrechts noch immer andauert und erst allmählich dem Ende entgegengeht." Legt man diese Zeitangabe zugrunde, dann ist im Jahr 2000 das Wesentliche in Sachen "Aufarbeitung des SED-Unrechts" erforscht gewesen. Für die Steuerzahler stellt sich da schon die berechtigte Frage, warum dann bis 2019 jährlich über 100 Millionen Euro für etwas ausgegeben werden sollen, das ja schon lange bekannt ist. Ich erspare mir an dieser Stelle weitere Anmerkungen.

Wer die Presseberichte zur "Arbeit" dieser Behörde verfolgt, vermag unschwer zu erkennen, weshalb und für welche Zwecke sie weiterhin gebraucht wird - zu Lasten der Steuerzahler, versteht sich.

Bei der Betrachtung der Unsumme von 2.262.233.272 Euro an Steuergeldern, die für die BStU verschleudert wurden, stellt sich die Frage, wie lange das noch so weitergehen soll. Bis 2019 ist die Aufrechterhaltung der BStU vom Bundestag beschlossene Sache, wodurch sich diese Summe auf 3 Milliarden Euro erhöhen dürfte. Bei solchen Superbeträgen - ich denke hier auch an das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen in der BRD - kann ich es mir einfach nicht vorstellen, daß diese einst mit Herrn Gauck an der Spitze begründete BStU, für deren Aufrechterhaltung seine Nachfolger gesorgt haben, jemals "nach getaner Arbeit" aufgelöst werden dürfte. Wer ihr "Treiben" über die Jahre verfolgt hat, kann heute schon ermessen, welche Aktivitäten in die Wege geleitet werden dürften, um die Abgeordneten im Reichstag zu einem Votum für die Unersetzbarkeit dieser dubiosen "Behörde" gelangen zu lassen.

Ganz abgesehen vom politischen Auftrag der BStU frage ich mich als einfacher Bürger, welchen Nutzen die bundesdeutschen Steuerzahler von einer Institution haben sollen, für die ihre Regierung weiterhin Jahr für Jahr 100 Millionen Euro auszugeben gedenkt. Bisher konnte mir diese Frage noch niemand beantworten.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)

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Unter weiser Führung besiegte eine kleine Nation zwei Großmächte
Hô Chi Minhs politisches Testament

Am 10. Mai 1969 - nur knapp vier Monate vor seinem Tod - verfaßte Hô Chi Minh handschriftlich folgenden Text:

Selbst wenn noch größere Schwierigkeiten entstehen und uns noch mehr Opfer und Entbehrungen auferlegt werden sollten, wird der Kampf unseres Volkes gegen die amerikanische Aggression und für die Rettung der Nation mit Sicherheit vom endgültigen Sieg gekrönt sein. Das ist gewiß.

Am Tage des Sieges hatte ich die Absicht, den gesamten Süden und Norden zu bereisen, unsere heldenhafte Bevölkerung, Kader und Kämpfer zu beglückwünschen, unsere Alten und Jugendlichen und unsere geliebten Kinder zu besuchen.

Anschließend wollte ich alle Bruderländer des sozialistischen Lagers und die befreundeten Länder aller fünf Kontinente besuchen und ihnen im Namen unseres Volkes für die selbstlose Unterstützung und Hilfe im Kampf unseres Volkes gegen die amerikanische Aggression und für die Rettung der Nation danken.

Der berühmte chinesische Dichter der Tang-Dynastie Du Fu sagte einmal: "Zu allen Zeiten erreichte nur selten jemand das siebzigste Lebensjahr." In diesem Jahr werde ich 79 Jahre alt und zähle damit zu diesen "Seltenen". Obwohl sich meine Gesundheit im Vergleich zu früheren Jahren verschlechterte, sind Geist und Hirn noch hellwach. Wenn man über siebzigmal den Frühling erlebt hat, erfreut man sich nicht mehr der besten Gesundheit, was durchaus verständlich ist.

Deshalb ist es schwer zu sagen, wie lange ich noch der Revolution, dem Vaterland und dem Volk dienen kann.

Also schreibe ich diese Worte nieder, damit meine Brüder und Genossen im ganzen Land und die Freunde überall nicht überrascht sind, wenn ich mich eines Tages zu Karl Marx und Lenin und anderen revolutionären Ahnen begebe.

Zunächst über die Partei: Unsere Partei hat seit ihrer Gründung unser Volk im aktiven Kampf vereinigt, organisiert und geleitet und es von Erfolg zu Erfolg geführt. Das war nur möglich durch festen Zusammenhalt und das Bewußtsein, der Klasse, dem Volk und dem Vaterland mit Herz und Verstand zu dienen.

Der Zusammenhalt ist eine äußerst wertvolle Tradition unserer Partei und unseres Volkes. Vom Zentralkomitee bis zu den Parteigrundorganisationen müssen die Genossen die Einheit und Geschlossenheit der Partei wie ihren Augapfel hüten.

Eine breite Demokratie und ständige ernsthafte Kritik und Selbstkritik in der Partei sind die besten Mittel, um ihre Einheit und Geschlossenheit zu festigen und zu entwickeln. Jeder soll dem anderen ein guter Freund und Kamerad sein.

Unsere Partei hält die Macht in den Händen. Jedes ihrer Mitglieder, jeder Kader muß sich die revolutionäre Moral zu eigen machen, die in Fleiß, Sparsamkeit, Lauterkeit, Rechtschaffenheit und Uneigennützigkeit im Interesse der gemeinsamen Sache besteht. Jeder muß die Reinheit unserer Partei hüten. Sie muß sich als ein wahrhafter Führer und treuer Diener des Volkes erweisen.

Die Mitglieder unseres Jugendverbandes und unsere Jugend überhaupt sind wertvolle Menschen, die freiwillig und voller Eifer alle Aufgaben lösen, keine Schwierigkeiten scheuen und unablässig nach dem Fortschritt streben. Es ist Aufgabe der Partei, die Jugend zur revolutionären Moral zu erziehen und sie zu "roten" und zugleich "hochqualifizierten" Erbauern des Sozialismus heranzubilden, die unser Werk fortsetzen.

Es ist sehr wichtig und notwendig, für die Zukunft revolutionäre Generationen heranzubilden.

Unsere werktätige Bevölkerung in der Ebene wie im Gebirge mußte seit Generationen Schwierigkeiten und Entbehrungen auf sich nehmen. Sie wurde von Feudalismus und Kolonialismus ausgebeutet und unterdrückt und durchlebte viele Jahre des Krieges.

Heldentum und Mut, Enthusiasmus und Fleiß unseres Volkes sind jedoch nicht zu brechen. Seit der Gründung der Partei steht das Volk stets hinter ihr und ist ihr treu ergeben.

Die Partei muß sehr gute Pläne ausarbeiten, um Wirtschaft und Kultur zu entwickeln und den Lebensstandard der Bevölkerung ständig zu erhöhen.

Der Widerstandskampf gegen die amerikanische Aggression kann noch lange währen. Es könnte sein, daß von unseren Landsleuten neue Opfer an Hab und Gut und Menschenleben gefordert werden. Auf jeden Fall müssen wir entschlossen sein, bis zum endgültigen Sieg gegen den USA-Aggressor zu kämpfen.

Unsere Berge, unsere Flüsse, unsere Menschen werden alles überdauern.

Nach dem Sieg über den amerikanischen Feind werden wir unser Vaterland schöner denn je aufbauen.

Wie groß die Schwierigkeiten und Entbehrungen auch sein mögen, es ist gewiß, daß unser Volk den endgültigen Sieg erringen wird. Es ist gewiß, daß eines Tages alle amerikanischen Aggressoren aus unserem Land verjagt werden.

Es ist gewiß, daß unser Vaterland wiedervereinigt sein wird. Es ist gewiß, daß unsere Landsleute im Süden und im Norden wie eine Familie zusammenleben werden. Unserem Land wird der Ruhm zukommen, als kleine Nation in tapferem Kampf zwei große imperialistische Mächte - den französischen und den amerikanischen Imperialismus - besiegt und einen würdigen Beitrag zur nationalen Befreiungsbewegung geleistet zu haben.

Zur kommunistischen Weltbewegung: Da ich mein ganzes Leben in den Dienst der Revolution gestellt habe, bin ich stolz auf das Erstarken der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung. Um so mehr schmerzt mich die gegenwärtige Uneinigkeit zwischen den Bruderparteien.

Möge unsere Partei ihre ganze Kraft einsetzen, um aktiv dazu beizutragen, daß die Bruderparteien auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus, geleitet von Herz und Verstand, ihre Einheit wiederherstellen.

Ich glaube fest, daß sich die Bruderparteien und Bruderländer unbedingt wieder zusammenschließen werden.

In eigener Sache: Mein Leben lang diente ich mit ganzem Herzen, mit all meiner Kraft dem Vaterland, der Revolution und dem Volk. Wenn ich jetzt von dieser Welt Abschied nehmen muß, so gibt es nichts, was ich zu bereuen hätte. Ich bedaure nur, daß ich unserer Sache nicht noch länger und in größerem Maße dienen kann.

Nach meinem Tode sollte man keine großen Trauerfeierlichkeiten veranstalten, um Zeit und Geld des Volkes nicht zu vergeuden.

Zum Abschluß möchte ich sagen, daß dem gesamten Volk, der Partei, allen Armeeangehörigen, den Jugendlichen und Kindern meine unendliche Liebe verbleiben wird.

Meine brüderlichen Grüße gelten ebenfalls den Genossen und Freunden, den Jugendlichen und Kindern in aller Welt. Mein letzter Wunsch ist, daß unsere gesamte Partei, unser ganzes Volk, geeint im Kampf, ein friedliches, einheitliches, unabhängiges, demokratisches und blühendes Vietnam aufbauen und einen würdigen Beitrag zur Weltrevolution leisten mögen.

Ende RF-Extra

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Fučik: Menschen, ich hatte euch lieb - seid wachsam!

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Afghanistan: Krieg und Okkupation gehen weiter

Der als Begründer der Frankfurter Schule geltende Max Horkheimer sagte schon 1939: "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, der sollte auch vom Faschismus schweigen." Heute müssen wir angesichts der den ganzen Erdball erfassenden explosiven Situation sagen: Wer vom Kapitalismus redet, darf vom Krieg nicht schweigen! Doch es wird geschwiegen. Daß die USA und die NATO gerade dabei sind, die Welt mit ihren Waffengängen in Brand zu setzen, findet kaum Erwähnung. Dagegen sind Meldungen über Terrorakte wie der am 13. November in Paris zum Dauerthema geworden, dem man enorm viel Sendezeit widmet.

Doch fallen diese einfach vom Himmel? Niemand wird als Terrorist geboren. Man wird durch die gesellschaftlichen Verhältnisse dazu gemacht, bei denen die Stärkeren die Bomben, Panzer, Kampfjets und Drohnen besitzen. Die Waffe der Schwächeren ist das eigene Leben, das sie als Selbstmordattentäter einsetzen, oder das Risiko, von Sicherheitskräften der Stärkeren erschossen zu werden. Das nennt man in der Politikwissenschaft einen "asymmetrischen Krieg". Wenn der Krieg die Lebensgrundlage von Menschen auf Dauer zerstört, wird Terror ein Reflex der Schwächeren.

Terroristen wie die von ihnen Getöteten oder Verwundeten sind, objektiv betrachtet, beide Opfer des Krieges - eines Krieges, der fast immer von außen kommt. Wer keine Terroristen will, muß die Verhältnisse ändern.

Nehmen wir Afghanistan. Auch das Geschehen in meinem Heimatland ist längst aus den Schlagzeilen der bürgerlichen Medien verschwunden. Dabei findet Krieg, obwohl "offiziell" beendet, dort jeden Tag statt. Weitaus länger als der 2. Weltkrieg, hat er 14 Jahre lang Tod und Verderben gebracht. Bis zur Rückführung der NATO-Kampftruppen kostete er wöchentlich 1,5 Milliarden Dollar. Geldsummen in astronomischer Höhe flossen ununterbrochen auf die Konten Rüstung produzierender Konzerne der kriegführenden Staaten. Darüber hinaus war dieses Land ein exklusives Experimentierfeld für die Erprobung neuester Waffentypen:

  • US-Drohnen - ursprünglich als Aufklärungsdrohnen konstruiert - wurden im Krieg gegen Afghanistan zu Kampfdrohnen weiterentwickelt.
  • Der in Afghanistan zum Einsatz gelangte deutsche gepanzerte "Fuchs" brachte Extraprofit, da er "angepaßt" werden mußte, weil die Innentemperatur aufgrund der dortigen Bedingungen auf 80 Grad Celsius stieg, so daß sich kein Soldat darin aufhalten konnte.
  • Auch ein französischer Kampfjet - ein Nachfolgetyp von "Mirage" - wurde in Afghanistan getestet.

Wie wir jeden Tag erleben, verlassen immer mehr Menschen auch unser Land.

Warum ist das so?

Es sind die Aggressionen der imperialistischen Staaten in Afghanistan, Libyen, Irak, Syrien und anderen Ländern, vor denen die Menschen fliehen.

Es ist der von den USA und den Westmächten betriebene ökonomische Krieg, der Millionen dazu treibt, ihre Heimat zu verlassen: Riesige Schiffe reicher kapitalistischer Länder fischen vor den Küsten Afrikas alles weg. Altkleider-Exporte aus den Industrieländern zerstören die einheimische Textilindustrie wie in Tansania, wo im Vorjahr rund 80.000 Arbeitsplätze verlorengingen. Subventionierte Agrarprodukte aus der EU und den USA vernichten bäuerliche Existenzen an der Peripherie der Welt.

Es sind die politischen Interventionen der USA und von NATO-Mächten in Staaten, die ihnen botmäßig gemacht werden sollen, was zur Folge hat, daß Menschen fliehen, wenn faschistoide Diktatoren an die Macht gebracht oder am Ruder gehalten werden.

Ein entscheidender Grund für die Tragödien, die sich rund um den Erdball ereignen, ist eng mit dem Sieg der Konterrevolution 1989/90 in den europäischen sozialistischen Staaten verbunden. Mit deren Ende ist auch die bipolare Ordnung, die zwischen dem kapitalistischen und dem sozialistischen System bestand, zusammengebrochen. Heute wird deutlicher denn je, welche strategische Bedeutung die sozialistischen Staaten für das Gleichgewicht der Kräfte auf der Welt hatten. Allein die Tatsache ihrer Existenz war ein ausschlaggebender Faktor für eine 40 Jahre anhaltende Friedensperiode in Europa. Jetzt schicken sich die USA - als vermeintlich einzig übriggebliebene Supermacht - an, ihren Weltmachtanspruch mit aller Brutalität durchzusetzen, nachdem sie die Länder des euro-asiatischen Kontinents zu ihrer Interessensphäre erklärt haben. "Eine zweite Macht neben uns dulden wir nicht!", schrieb Zbigniew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, in seinem Buch "Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft" (1997).

Als die Neo-Konservativen um George W. Bush, Dick Cheney, Paul Wolfowitz und Donald Rumsfeld in den USA ans Ruder gelangten, erweiterten sie die "Strategie" Brzezinskis und nannten sie "Greater Middle East" (GME), was nichts anderes bedeutet, als die gesamte Region von Nordafrika bis Bangladesch unter die Kontrolle der USA zu bringen. Man wartete auf einen Anlaß, der mit dem 11. September 2001 geschaffen wurde. Er hat den USA den Vorwand für die auf dem Fuße folgende Aggression in Afghanistan geliefert. Mit dem Einmarsch der US-Streitkräfte in unser Land begann eine neue Runde im Pokerspiel zur Aufteilung der Welt.

Diesmal jedoch waren die vom deutschen Kapital geforderten Konzepte für ein Großdeutschland der Zukunft längst ausgearbeitet. Bereits im März 1993 erklärte der damalige Außenminister Klaus Kinkel: "Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind." Roman Herzog, früherer Bundespräsident, forderte in seiner Berliner Rede am 26. April 1997: "Die Weltmärkte werden neu verteilt, ebenso die Chancen auf Wohlstand im 21. Jahrhundert. Wir müssen jetzt eine Aufholjagd starten."

Krieg, Intervention, Einmischung waren die Mittel. Erinnert sei an die Beteiligung Deutschlands am NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999, an die Erklärung Gerhard Schröders zur "uneingeschränkten Solidarität" mit den USA nach den Ereignissen des 11. September 2001 sowie an die auf massiven Druck der Schröder-Fischer-Regierung erfolgte Erklärung des "Bündnisfalles" nach Artikel 5 des NATO-Vertrages. Damit war der Weg frei für den Einmarsch der Bundeswehr in Afghanistan, wo sie heute noch mit rund 700 Soldaten stationiert ist. Nun plant die Bundesregierung, deren Mandat nicht nur zu verlängern, sondern Deutschlands militärisches "Engagement" dort wieder massiv zu verstärken.

Demgegenüber lautet unsere Forderung: Bedingungslose Beendigung der NATO-Kriege überall! Ablösung der NATO-Einheiten am Hindukusch durch Einheiten aus islamischen und blockfreien Staaten, Einberufung einer Ratsversammlung in Afghanistan, auf der neue politische Strukturen für dieses Land geschaffen werden müssen!

Dr. Matin Baraki

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Der syrische Leidensweg

Jetzt ist der seit 2011 angestrebte "Regime Change" - wie dessen Regisseure die systematische Demontage der Syrischen Arabischen Republik mit ihren ursprünglich 22,5 Millionen Bürgern bezeichnen - bereits im fünften Jahr.

Seit 2011 haben die ununterbrochenen Kampfhandlungen und der Terror etwa elf Millionen Landesbürger ihrer Heimstatt beraubt. Vier Millionen Syrer sind ins Ausland geflohen. Die völkerrechtlich fixierten Grenzen von 1946 werden von den Aggressoren und deren Hintermännern seit Jahr und Tag nicht mehr respektiert.

Mit den vor allem in der BRD ankommenden Refugees - den Flüchtlingsströmen - fällt etwas von der Verantwortung für das Geschehen auf jene zurück, die zu den eigentlichen Schuldigen oder zumindest aktiv Beteiligten am Leidensweg des syrischen Volkes gehören.

Die staatliche Formierung Syriens erfolgte unter extremen Qualen. Es handelte sich um eine äußerst schwierige Geburt. Das von 1516 bis 1918 zum Osmanischen Reich zählende Territorium wurde mit dem imperialistischen "Sykes-Picot-Abkommen" in französische und britische Interessenzonen zerteilt. Bevor Syrien als unabhängiger Reststaat aus der französischen Besatzung entlassen wurde, spalteten die Kolonialherren noch den Libanon ab und gliederten das Gebiet um Iskendurun sowie einen kurdischen Streifen der Türkei an. Aus diesem flohen bis 1960 etwa 200.000 Kurden nach Syrien. Dort entstand ein Staat aus unterschiedlichen Volksgruppen und Religionsgemeinschaften: 74 % sind Sunniten, 10 % Christen, 10 % libertäre Aleviten und etwa 3 % Drusen. Unter den Sunniten taten sich die "Moslembrüder" als fundamentalistische Interessengruppe besonders hervor. 1980 und 1982 unternahmen sie bewaffnete Umsturzversuche. Als Handlanger der Imperialisten stritten sich derweil willige Interessenvertreter der Kompradoren-Bourgeoisie, der Großgrundbesitzer und Unternehmer sowie Stammes-Lobbyisten um Vorrangpositionen. Allein von 1946 bis 1949 fanden in Syrien drei Militärputsche statt.

Wie sollte aus einem solchen Land mit willkürlich gezogenen Grenzen und derartigen Zentrifugalkräften eine die Vormundschaft Europas und der USA abstreifende starke freie Nation mit innerem Zusammenhalt werden?

Die Antwort gab damals die 1946 gegründete Arabische Sozialistische Baath-Partei, die in Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser ihr Vorbild sah. Sie stützte sich auf moderne laizistische Kräfte in Armee und Bildungsbürgertum und gelangte am 30. September 1961 an die Macht. Später beschritt die Regierung von General Hafez Al Assad allen Widerständen zum Trotz einen neuen Weg. Sie tat das trotz der 1957 verkündeten "Eisenhower-Doktrin" zur aggressiven Etablierung antisowjetischer Machtverhältnisse auch im arabischen Raum, wobei sie auf enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu den sozialistischen Ländern setzte. Diese erfolgreiche Politik des seinerzeitigen Präsidenten und Vaters des heutigen Staatschefs fand noch vor seinem Tod im Jahr 2000 durch den Zusammenbruch des RGW und des Warschauer Vertrags-Systems ein jähes Ende.

Unter Assad sen. hatte Syrien eine positive Außenhandelsbilanz, einen hohen Bildungsstand, soziale Sicherheit für das Volk und solide Arbeit in florierenden überwiegend staatlichen Unternehmen. Viele nichtpaktgebundene Staaten fühlten sich mit Syrien verbunden. Sein politisches System beruhte auf der Einbindung mitwirkungswilliger Kräfte aller Schichten, Religionsgemeinschaften und Stämme. Bedingung war, daß Religion und Staat getrennt blieben und die Ziele des "arabischen Sozialismus" anerkannt wurden.

Für die imperialistischen Planer war das ein strategisches Risiko. Als Ziel wurde die Eliminierung des "Assad-Regimes" um jeden Preis proklamiert, um dem internationalen Kapital erneuten Zugriff auf das syrische Volksvermögen zu verschaffen. William Roewuck, seinerzeit US-Botschafter in Damaskus, bereitete den Regime Change vor, um Assad Junior aus dem Sattel zu stoßen.

Ansatzpunkte bot dabei die seit dem Tod seines Vaters veränderte wirtschaftliche und innenpolitische Situation des Landes. Dieser Wandel hatte mit dem Ende der sozialistischen Staatengemeinschaft begonnen. Der reformbereite und politisch unerfahrene junge Präsident sollte mit Hilfe geheimdienstlicher Manipulationen ausgeschaltet werden.

2011, zur Zeit des "Arabischen Frühlings", organisierten die Moslembrüder, ambitionierte Bourgeois und durch den Internettaumel verwirrte Studenten Straßenkrawalle, unter die sich westliche Agenten und Terroristen mischten, die mit Bombenanschlägen für Unruhe sorgten. Die Ordnungsgewalt aber lag in Händen örtlicher Befehlshaber, die oftmals überreagierten oder ihr eigenes Süppchen kochten.

Privatisierungen und Verteuerung lebenswichtiger Güter sowie die Einschränkung kostenfreier Studienmöglichkeiten und der Wegfall sozialer Sicherungssysteme lösten Unmut und die Forderung nach "Reformen" aus. Sie gipfelten schon bald in der Parole "Assad muß weg!" Das wurde zur Frage von Sein oder Nichtsein des syrischen Staates, der immer mehr zerfiel oder in Teilen unter die Kontrolle von Terrorbanden geriet. Bis 2012 hatte man bei der Zerschlagung Syriens das libysche Modell vor Augen: Die Armee sollte ausgeschaltet und die Infrastruktur des Landes zerstört werden. Man bewaffnete und finanzierte immer neue Terroristengruppen, darunter 20.000 beim IS untergekrochene ausländische Desperados. Dabei treibt die überwiegend aus Vorzeigedeserteuren der Regierungstruppen zusammengeschusterte "Freie Syrische Armee" gemeinsam mit etlichen "Exilregierungen" ihr proimperialistisches Spiel. Überall war die BRD mit von der Partie. Nicht zufällig hatte die Bundeswehr in der Türkei ihre "Patriot"-Raketen stationiert und das Spionageschiff "Oker" vor die syrische Küste beordert.

Es waren der Widerstand einiger Staaten mit Rußland an der Spitze sowie das wieder zunehmende Stehvermögen der regulären syrischen Armee, welche die Pläne des Imperialismus durchkreuzten. Das militärische Eingreifen der russischen Luftwaffe zwang auch andere Staaten zu ursprünglich kaum geplanten Aktivitäten. Eine konstruktive Konfliktlösung ist noch nicht in Sicht.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Betreibt Jaroslaw Kaczynski die faschistoide Gleichschaltung Polens?
"Machtergreifung" in Warschau?

An der Weichsel hält inzwischen der sich als Nationalkonservativer ausgebende prononcierte Reaktionär und Zwillingsbruder des am 10. April 2010 bei einem Flugzeugunglück in Smolensk ums Leben gekommenen früheren polnischen Präsidenten Lech Kaczynski alle Fäden in der Hand. Bei den Parlamentswahlen am 25. Oktober 2015 errang seine Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) bei einem Stimmenanteil von nur 37,6 % die absolute Mehrheit der Sejm-Mandate. Diese Situation ergab sich daraus, daß 16 % des Votums auf mehrere kleine Parteien entfielen, die nicht über die festgesetzte Prozenthürde für den Einzug ins Parlament hinauskamen.

In der Vergangenheit war die polnische Reaktion wiederholt daran gescheitert, daß sich kein in ihren Augen geeigneter Koalitionspartner fand. Zuvor - in den Jahren 2006/07 - hatten die Kaczynskis ihre kleineren "Mitregierer" so geschickt an die Wand gespielt, daß sie anschließend völlig aus dem politischen Rennen geworfen wurden. So galt ein Zusammengehen mit PiS in den Augen der noch im Sejm verbliebenen anderen Parteien keineswegs als wünschenswert. Sie wollten nicht ähnliche Erfahrungen sammeln wie ihre Vorgänger. Jetzt hat Kaczynskis scharf rechtsgerichtete Partei sowohl das höchste Staatsamt - die Präsidentschaft - als auch die Spitze der Exekutive unter ihre Kontrolle gebracht.

Vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2015 war Amtsinhaber Bronislaw Komorowski von nahezu sämtlichen Beobachtern der Warschauer Politszene als sicherer Favorit ausgemacht worden, während der für den reaktionären PiS-Klüngel ins Rennen geschickte Andrzej Duda bis zuletzt als Außenseiter gehandelt wurde. Doch er gewann sowohl im ersten Wahlgang als auch bei der Stichwahl. 2015 schlug die PiS dann auch auf Regierungsebene zu und hob die Kaczynski-Vertraute Beata Szydlo als neue Ministerpräsidentin auf den Schild. Warschaus innenpolitischer Kurs ist extrem reaktionär, seine Außenpolitik folgt prononciert nationalistischen Kriterien. Vorbei sind die Zeiten des in die Reihe der EU-Spitzenpolitiker aufgerückten Donald Tusk, der als Ministerpräsident im Interesse eines gewissen Wirtschaftswachstums alles unternommen hatte, um Polens vollständige Eingliederung in das Europa der Monopole vorzubereiten.

Doch bis heute gilt im östlichen Nachbarland der BRD nach wie vor der Zloty als Landeswährung, während der Euro zwar die dominierende Rolle spielt, aber noch immer kein offizielles Zahlungsmittel ist. Vieles spricht inzwischen dafür, daß die distanzierte Haltung gegenüber Brüssel durch das sich eng an Ungarns faschistoide Orbán-Regierung anlehnende Warschauer PiS-Regime wohl kaum aufgegeben werden dürfte.

Die Position des Lagers von Kaczynski erscheint zumindest vorerst relativ stabil zu sein, zumal es in Polen schon seit Jahrzehnten keine einflußreiche linke oder auch nur halblinke Kraft mehr gibt, die den Regierenden in die Tasten greifen könnte.

Parteien, die sich als Nachfolger der einstigen PVAP/PZPR ausgaben und von anfangs sozialdemokratischen Positionen immer weiter abdrifteten, spielen im heutigen Polen eher eine untergeordnete Rolle. Die SLD, wie die derzeit letzte Variante in diesem Auflösungsprozeß heißt, war immerhin ein zu beachtendes Hindernis auf dem Vormarschweg der extremen Reaktion, zumal sie sich für die strikte Trennung von Staat und Kirche einsetzte, was in einem klerikalen Land wie Polen schon etwas heißen will. Doch seit 2015 ist die SLD nicht mehr im Warschauer Sejm vertreten.

Die mutige KP Polens ist bis jetzt leider eine günstigstenfalls regionale Partei geblieben, die im nationalen Rahmen noch keinen Boden erobern konnte.

Obwohl die etliche Staaten in Süd-, West- und Nordeuropa überflutenden Flüchtlingsströme das osteuropäische Land aus geographischen und anderen Gründen fast nicht tangierten, zeigen sich tonangebende Kreise der EU-Bürokratie durch die jüngste Entwicklung in Warschau aus anderen Gründen äußerst beunruhigt.

Auch BRD-Politiker teilen solches Mißbehagen. Als Polens Außenminister Witold Waszczykowski nach den Anschlägen in Paris am 19. November in einem Rundfunkinterview zur EU von "Vasallen Deutschlands" sprach, zu denen sein Land niemals gehören wolle, löste das in Berlin Empörung aus. Im Umfeld Kaczynskis vertritt man nicht nur unterschwellig die Auffassung, eine weitergehende Integration Polens in die Europäische Union liege ausschließlich im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Bisweilen findet auch ein blindes Huhn ein Korn.

Alles in allem: Aus Polen bläst nun ein weitaus schärferer Wind als zuvor. Rabiate Russophobie und aggressives Gebaren gegenüber Moskau gehören dort natürlich weiterhin zum Menü. Doch auf den neuen Politikstil müssen sich alle linken und demokratischen Kräfte inner- wie außerhalb der polnischen Grenzen einstellen. Die Gefahr geht weit darüber hinaus, wie die Aktionen gegen das Verfassungsgericht und der Schlag gegen die öffentlich-rechtlichen Medien zeigten. Strebt Kaczynski eine "Machtergreifung" in Warschau an?

Der sich vielerorts in Polen nicht zuletzt von Gewerkschaften, Bauernverbänden und neu formierten Zusammenschlüssen bereits aufbäumende Widerstand signalisiert die antifaschistische Kampfentschlossenheit erheblicher Teile der Bevölkerung. Noch ist Polen nicht verloren!

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, und "Sozialismus", Hamburg

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Zum Ausgang der Wahlen in Venezuela

Das dem politischen Vermächtnis von Hugo Chávez folgende Linksbündnis Großer Patriotischer Pol, zu dem sich die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV), die KP Venezuelas (PCV) und weitere linke Kräfte zusammengeschlossen haben, kam bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 6. Dezember auf 5,6 Millionen Stimmen (38,9 %). Der Pol gilt nach allgemeiner Darstellung als der große Verlierer, obwohl er rund 175.000 Stimmen dazugewonnen hat. Der Erfolg des Rechtsblocks "Tisch der Demokratischen Einheit" (MUD), der die Unterstützung von 7,7 Millionen Wählern (53,6 %) erhielt, ist vor allem dem Umstand zuzuschreiben, daß es ihm aufgrund der gezielt verschlechterten Versorgungslage und unter Ausnutzung anderer Defizite gelang, bisherige Nichtwähler in großer Zahl für den Urnengang zu mobilisieren. Sein Zuwachs betrug 2.387.000 Stimmen. Zur erheblichen Beeinträchtigung des sozialen Lebens in Venezuela trug neben dem Boykott und der Sabotage bestimmter in- und ausländischer Handelsketten auch der vor allem gegen Venezuela und Rußland gerichtete jahrelange Absturz der Erdölpreise maßgeblich bei. Dadurch verlor Lateinamerikas führender Petrol-Produzent allein 2015 etwa 68 % seiner Außenhandelseinnahmen.

Jetzt stellt der Rechtsblock in der Nationalversammlung eine deutliche Majorität der Abgeordneten, besitzt aber keine ihm weitreichende Möglichkeiten einräumende Zweidrittelmehrheit. Natürlich zielt er, zu dessen Spitzenkandidaten auch der sattsam bekannte Capriles gehörte, der vor seinem Einstieg in die große Politik etliche Jahre bei der USA-Botschaft in Caracas tätig war und als CIA-nah gilt, vor allem auf eines ab: Es will Präsident Maduro so schnell wie möglich aus dem Sattel stoßen.

Venezuelas Bolivarische Verfassung von 1999 sieht vor, daß sich ein Präsident in der Mitte seiner Amtszeit - das wäre bei Maduro im Sommer 2016 - einem Referendum stellen muß. Bis dahin will die Reaktion ihren zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Rädelsführer Leopoldo Lopez freibekommen, um ihn gegen Maduro antreten zu lassen. Bei Lopez handelt es sich um einen eloquenten Hardliner, der bereits seit Jahren darauf hinarbeitet, die unter Chávez beschlossene Konstitution wegzufegen. Die Mehrheit der Venezolaner würde ihn - käme es dazu - wohl kaum wegen seiner politischen und ideologischen Inhalte wählen, über die im Lande nahezu nichts bekannt ist, da die Rechte es stets vermieden hat, ihre Karten im leider erfolgreichen Wirtschaftskrieg gegen die Regierung aufzudecken. Parolen wie das Land stehe am Abgrund, es sehe sich der größten Krise seiner Geschichte gegenüber und "Wandel" tue not, waren wohl das einzige, was man diesbezüglich von ihm zu hören bekam. Dabei leisteten die Medien, die auch nach 17 Jahren Linksregierung noch immer zu etwa 60 % in Privathand sind und unablässig ihre Schreckensbilder von der "sozialistischen Mangelwirtschaft" verbreiten, ganze Arbeit. Sie unterschlugen indes jegliche Berichte über die von der Nationalgarde ausgehobenen reichlich gefüllten Lagerhallen von Spekulanten und Saboteuren.

Man sollte nicht so optimistisch sein anzunehmen, daß die von Präsident Maduro angekündigte Verteidigung der Ergebnisse des Umwandlungsprozesses von allen bisherigen Anhängern der PSUV tatsächlich entschlossen geführt werden dürfte. Wer diesen Prozeß die letzten 17 Jahre mit Sympathie und Anteilnahme für die Fortschrittskräfte verfolgt hat, besitzt ein durchaus differenziertes Bild von den Positionen und dem Wirken unterschiedlicher Sektoren innerhalb der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas. Bis heute gebricht es ihr an klaren ideologischen Konturen. In ihren Reihen finden sich neben aufrechten Verteidigern sozialistischer Ziele auch klassische Karriere-Sozialdemokraten und ultralinke Abenteurer. In der PSUV-Führung wird die marxistische Weltanschauung nicht von allen geteilt. Auch Hugo Chávez widersprach zumindest nicht der Auffassung eines in Mexiko lebenden und Einfluß auf ihn ausübenden deutschen Professors, daß der Marxismus-Leninismus eine Ideologie des 20. Jahrhunderts sei. Damit wurden wichtige Erfahrungen Kubas, zu dem Chávez wie Maduro stets ein enges Freundschaftsverhältnis unterhielten, nicht genutzt.

Die KP Venezuelas hat wiederholt darauf hingewiesen, daß der Klassenkampf gegen die Reaktion nicht mit der notwendigen Konsequenz geführt worden sei. So habe man den verbal angestrebten sozialistischen Aufbau in der Praxis kaum voranbringen können. Hier wurden nur wenige erfolgreiche Vorstöße zur Verwirklichung der in der Bolivarischen Verfassung formulierten Positionen unternommen. Die führende Rolle der PSUV war eher plakativ und auf Proklamationen gerichtet. Präsident Maduro verkündete am 18. November 2014 im Fernsehen den Beginn der "dritten und letzten Phase des Übergangs zum Sozialismus". Staatlich finanzierte Volksräte sollten in den Kleinkommunen geschaffen werden. Diese waren dann, wie sich herausstellte, lediglich für Versorgung und Produktion zuständig - zweifellos wichtige Aufgaben, um dem allgemeinen Mangel entgegenzuwirken. Es handelte sich dabei aber nicht um neue Machtorgane. Inzwischen verlautete aus Caracas, man wolle das Projekt der Volksräte unbedingt wieder aufgreifen.

Würden sich Wendehälse und Karrieristen unter den Anhängern der PSUV fortan neu orientieren, käme dies sicher einer wirklichen Stabilisierung dieser bedeutenden linken Sammlungspartei zugute.

Von großem Gewicht wird die Frage sein, ob und in welchem Grade es gelingt, die ärmeren Schichten des Volkes für die aktive Verteidigung des in den letzten 17 Jahren Errungenen zu mobilisieren. Dabei dürfte die Tatsache zu Buche schlagen, daß Venezuela trotz des empfindlichen Rückgangs seiner Außenhandelseinnahmen auch weiterhin 42 % der im Budget 2016 vorgesehenen Ausgaben für Erziehung und Wissenschaft, Gesundheitswesen, den zügigen Fortgang des Baus von Sozialwohnungen und andere gemeinnützige Zwecke vorgesehen hat.

Mit dem "Großen Kongreß des Heimatlandes", den Venezuelas linke und demokratische Kräfte am 15. Januar abhielten, wurde der auf Sieg setzenden Reaktion eine Kampfansage erteilt.

Florian Adler, Limburger Hof

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Belgien: Zu einer neuen Symbolik der PTB

Auf ihrem jüngsten Kongreß zeigte die marxistische Partei der Arbeit Belgiens (PTB/PvdA) erstmals neben den traditionellen roten Sternen nun auch einen grünen Stern in ihren Bannern. Dahinter verbirgt sich keineswegs eine Verwässerung ihrer traditionell klassenkämpferischen und auf die Arbeiterschaft orientierten Positionen. Es handelt sich vielmehr um eine wichtige und richtige Entscheidung von strategischem Charakter. Die sich hinter der Ergänzung verbergende Aussage lautet nämlich: Rot und Grün gehören zusammen.

In dieser Hinsicht wurden in Europa bereits nützliche Erfahrungen gesammelt. In Portugal ist die schon vor etlichen Jahren erfolgte Gründung der Coligação Democrática Unitária (Demokratische Einheitskoalition) - kurz CDU - zu einem Erfolg geworden. Die Kommunisten der PCP und die Ökologisten der PEV haben ein festes Bündnis geschmiedet, das unterdessen die von der sozialdemokratisch orientierten Partei gestellte Regierung unter Druck zu setzen vermag.

Im Unterschied zu manchen sich lieber sektiererisch abschottenden und keine zusätzlichen Türen öffnenden Linken anderswo geht nun auch die im Nationalparlament mit zwei Abgeordneten vertretene belgische PTB kooperationsbereit auf am Zusammenwirken interessierte Grüne zu. Der entsprechende PTB-Slogan lautet: Nicht gegeneinander, sondern miteinander!

Unter der Dachzeile "Rot ist das neue Grün" griff jetzt auch die PTB-Monatszeitschrift "Solidaire" das von anderen Linken noch als "heißes Eisen" empfundene Thema auf.

"Eine fundamentale Frage in der gesamten Klimadebatte ist die Suche nach den tieferen Ursachen des klimatischen Wandels", schrieb das Blatt.

Die kanadische Wissenschaftlerin Naomi Klein traf in ihrem jüngsten Buch "Alles kann sich ändern. Der Kapitalismus und der Klimawechsel" die Feststellung: "Wer dem Klimawechsel wirklich entgegenwirken will, muß sich für eine glaubhafte Gesellschaftsalternative entscheiden."

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Irland: Erbitterte Schlacht für das Menschenrecht auf Wasser

In den Grenzen Irlands wird seit Jahren ein recht ungewöhnlicher sozialer Konflikt ausgetragen, dessen Kontrahenten bisweilen heftig aufeinanderprallen.

Anfang 2015 verwirklichte die Regierung in Dublin eine seit langem über den Iren schwebende Drohung: Während der Wasserpreis bis dahin als Bestandteil der sonstigen Abgaben gegolten hatte, führte sie nun eine separate Wassersteuer ein. Diese beträgt im Jahr durchschnittlich etwa 600 Euro pro Haushalt. In der Vergangenheit waren Vorstöße in dieser Sache immer am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Schließlich erschien den Regierenden die zugespitzte Wirtschaftskrise dazu geeignet, die Maßnahme für durchsetzbar zu halten.

Bereits 2010 hatte Dublin eine Übereinkunft mit der Brüsseler EU-Kommission, der Europäischen Entwicklungsbank und dem Internationalen Währungsfonds getroffen, mit der als irische Gegenleistung für die in Aussicht gestellte Bankenrettung der Bevölkerung ein ganzes Paket einschnürender Sparmaßnahmen - darunter auch die heiß umstrittene Wassersteuer - aufgezwungen werden sollte.

2014 kam es als Reflex auf erste diesbezügliche Schritte in der Hauptstadt zu drei aufeinanderfolgenden Massendemonstrationen ohne Beispiel in der Geschichte des Landes. Ein Großteil der Iren ließ sich von der ihnen zugemuteten Erpressung nicht beirren. Dabei spielte die durchgesickerte Information eine Rolle, daß die bislang für die Wasserversorgung alljährlich im Staatshaushalt aus Steuereinnahmen bereitgestellte Summe von 1,2 Mrd. Euro stillschweigend in die Bankenrettung mit eingeflossen war. Das 2013 gegründete Unternehmen Irish Water erhielt den Regierungsauftrag, die zusätzlich erhobenen Steuern bei den Bürgern einzuziehen. Als dieses dann überall Wasserzähler zu installieren suchte, flammte der Widerstand noch heftiger auf.

Im Juli 2015 verweigerten 57 % der Haushalte Irlands die Entrichtung von Gebühren. Irish Water mußte auf Einnahmen in Höhe von 30,5 Mill. Euro verzichten.

Unter dem Druck der Proteste wich Dublin zurück, reduzierte die geforderten Höchstsummen und verzichtete auf die zuvor erhobenen Gebühren für die Zählerinstallation.

Doch die Mehrheit der Iren bleibt hart und bekundet ihre Entschlossenheit, die Schlacht um das Menschenrecht auf Wasser kompromißlos fortzusetzen.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Wahlen in Spanien: Die Falange-Nachfolger unterlagen

Die spanischen Parlamentswahlen vom 20. Dezember widerspiegelten wesentliche Verschiebungen in der politischen Szenerie des iberischen Königreichs, schufen aber zugleich eine Situation, in der rasche und zugleich stabile Lösungen nach der Ära Rajoys wohl schwer zu erreichen sein dürften.

Was hat der Urnengang den Spaniern gebracht? Die rechtskonservativ-faschistoide Volkspartei (PP), die seit dem 1976 eingeleiteten Übergang von Francos Gewaltherrschaft zu einer eingeschränkten bürgerlichen Demokratie im Wechsel mit der sozialdemokratischen PSOE in Madrid am Ruder gewesen ist, erlitt eine schwere Niederlage. Sie erklärte sich mit einem Stimmenanteil von 28,7 % und 123 der 350 Parlamentssitze zwar dennoch zum Sieger, verlor aber 3,7 Millionen Wähler und büßte mit dem Verlust von 64 Mandaten die absolute Mehrheit im Parlament ein.

Auch die PSOE (22 %), die den zweiten Rang "eroberte", verlor 20 Mandate und 6 % des Votums. Sie verbuchte für sich das schlechteste Wahlergebnis seit dem Ende der Franco-Diktatur.

Hauptgewinner der Wahlen war die erst 2014 gegründete linkszentristische Formation Podemos des jungen Politologen und Fernsehmoderators Pablo Iglesias, die sich ähnlich wie Griechenlands Syriza als linke Kraft versteht, wobei sie zugleich den weiter zurückgefallenen konsequenteren Linken der Izquierda Unida (IU) erhebliche Stimmen- und Mandatsverluste bescherte, da diesmal auch viele ihrer früheren Stammwähler aus Opportunitätsgründen für Podemos votierten.

Hierbei schlug zweifellos zu Buche, daß Iglesias in einer Fernsehansprache auch an die kommunistische Führerin Dolores Ibarruri und den unter Franco ermordeten Federico Garcia Lorca sowie den ins Exil getriebenen Dichter Rafael Alberti erinnerte. Die neue Partei errang mit 20,6 % und 69 Mandaten auf Anhieb den dritten Rang.

Die aus der KPS hervorgegangene IU, die diesmal als Unidad Popular für sich warb, verlor 9 ihrer 11 Sitze und verfehlte damit das Ziel, wieder Fraktionsstärke zu erreichen.

Wie "demokratisch" übrigens das spanische Wahlsystem ist, illustriert die Tatsache, daß die beiden großen Parteien für jeweils einen Sitz nur etwa 60.000 Stimmen benötigten, während die IU/UP dafür 400.000 aufbringen mußte.

Zur viertstärksten Kraft wurde die gleichfalls von "neuen und jungen" Rechten formierte Bewegung "Ciudadanos" (Bürger), die von der Reaktion offensichtlich in Windeseile aufgebaut worden war, um wankende Wählerschichten der erkennbar abstiegsbedrohten PP Mariano Rajoys aufzufangen und so die Fortsetzung der Rechtsregierung in Form einer Koalition zu ermöglichen. Das mit 13,9 % und 14 Mandaten aus dem Rennen hervorgegangene "neue Politikum" verfehlte jedoch das ins Auge gefaßte Ziel, das PP-Regime auf "demokratischem Wege" fortsetzen zu können. Angesichts dieser Tatsache erklärten die "Bürger", sie wollten - wie alle anderen Parteien einschließlich der jetzt durch Alberto Garzón geführten PSOE - eine Koalition mit der PP zumindest vorerst ausschließen. (Übrigens bezeichnen Kenner der Materie die "Ciudadanos" unterdessen längst als eine Erfindung von IBEX - des Zusammenschlusses der börsennotierten Konzerne Spaniens.)

Während viele Linksorientierte ebenso große Sympathien wie Illusionen in bezug auf Podemos hegen, sollte man auch diese Bewegung unbedingt differenzierter betrachten. Wie bei der griechischen Syriza gibt es in ihr weit auseinandergehende Flügel.

Auf ihrem Gründungskongreß im Herbst 2014 vermochte die Gruppe um Iglesias weiter linksstehende Kräfte bei der Wahl des 65köpfigen Parteivorstandes mit Erfolg abzudrängen. Seitdem herrscht dort ein extrem personenbezogener Führungsstil. So bleibt abzuwarten, ob die neue Partei auf Dauer eine widerständige Kraft sein oder sich in Spaniens neue Sozialdemokraten verwandeln, also den Platz der geschwächten PSOE einnehmen wird.

Noch ein Wort zur überragenden Rolle der jungen und dynamischen Bürgermeisterin von Barcelona. Die einstige Anführerin der Bewegung gegen Zwangsräumungen Ada Colau spielte den wohl wichtigsten Part bei der Formierung des Wahlbündnisses "En Comú Podem" (Gemeinsam können wir es) aus Podemos, IU und linksgrüner Regionalpartei ICY, das in Katalonien 24,7 % der Stimmen gewann, während die bürgerlichen Nationalisten dort auf nur 15,1 % zurückfielen. Überhaupt haben die um Podemos zusammengeschlossenen Kräfte in einer Reihe besonders umkämpfter Regionen wie Asturien, dem Baskenland und Valencia überdurchschnittlich gut abgeschnitten.

Am 13. Januar - nach Redaktionsschluß dieser RF-Ausgabe - nahm das Madrider Parlament seine Tätigkeit auf. Sollte es zu keiner Mehrheitsentscheidung für ein neues Kabinett kommen, obliegt es dem König, ihm geeignete Personen zu benennen, die bei absoluter Mehrheit im 1. und bei relativer Mehrheit im 2. Wahlgang als bestätigt gelten. Beim Scheitern in beiden Fällen müssen nach spanischem Recht innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen stattfinden, die von den Parteien offensichtlich nicht gewünscht werden.

RF, gestützt auf "Sozialismus", Hamburg,
"Solidaire", Brüssel, "Granma", Havanna,
People's World, New York

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"RotFuchs" und Busch-Chor: mein starkes "Geländer"

Monat für Monat verteilt Peter Wokittel bei unseren Proben den "RotFuchs". Die Exemplare sind immer schnell vergriffen, obwohl viele von uns diese "Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland" bereits abonniert haben. Letztens kam Hans zu mir: Hast du schon den neuen "RotFuchs"? Er blättert die Seite mit dem Glückwunsch zu meinem Geburtstag auf. Die herzlich warmen, ehrenden Zeilen treiben mir die Tränen in die Augen. Danke dafür, doch vor allem für die klaren richtungweisenden Worte, auf die ich bei jeder neuen Ausgabe begierig warte. Danke auch für die vielen interessanten Beiträge aus allen Himmelsrichtungen.

In dieser schwer erträglichen Zeit könnte man leicht die Orientierung verlieren, kraft- und mutlos werden.

Da braucht man ein Geländer, um sich daran festzuhalten. Ich habe zwei - den "RotFuchs" und den Ernst-Busch-Chor. Den "RotFuchs" kennt der Leser, den Chor will ich hier vorstellen. Unser Chor wurde 1973 auf Anregung des Oktoberklubs als Veteranenchor gegründet und trägt seit 1983 den Namen des Sängers und Schauspielers Ernst Busch. Seinem künstlerischen und humanistischen Schaffen fühlen wir uns verpflichtet. Zu unserem Repertoire gehören inzwischen mehr als 200 Lieder aus aller Welt in fast einem Dutzend Sprachen. Wir singen Friedenslieder, Lieder der Solidarität, der Hoffnung, der Empörung, der Lebensfreude, der Trauer, des Kampfes für Gerechtigkeit, aber auch Volkslieder, Scherzlieder, Liebeslieder und Lieder des klassischen wie des zeitgenössischen Musikerbes von Mozart, Beethoven und Händel über Schwaen bis zu Brecht und Eisler.

Heimat, Proben- und häufiger Auftrittsort ist der Münzenbergsaal im Bürogebäude am Franz-Mehring-Platz, in dem auch das ND seinen Sitz hat.

Zum sozialen Singen waren wir in zahlreichen Seniorenstiften und natürlich bei den Rentnern in der Begegnungsstätte "Stille Straße". Mitwirken bei der Fête de la Musique und Seniorenchortreffen im Britzer Garten sind selbstverständlich. Die Ehrung zum 35. Todestag von Ernst Busch an der Stele vor dem Friedhof Pankow III, gemeinsame Konzerte mit dem Hans-Beimler-Chor und traditionelle Januarkonzerte im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur sind fest eingeplant. Solidarität ist uns Herzenssache. So sammeln wir für Kuba, laden Flüchtlingskinder ein und beschenken sie, beteiligen uns an Demonstrationen, kaufen Eintrittskarten für Flüchtlingshelfer.

Vor allem aber singen wir. In Dresden war unser Motto: "Der Krieg ist kein Gesetz der Natur, und der Frieden ist kein Geschenk". Wir unterstützten eine Festveranstaltung des DDR-Kabinetts Bochum und sangen mit dem dänischen Oktoberkoret in Kopenhagen.

Über ein weiteres Konzert schrieb die UZ: "Im themenbezogenen Konzert am Wochenende mit dem Brecht-Eisler-Koor aus Brüssel bestanden rund 60 Sängerinnen und Sänger des gastgebenden Veteranenchors vor großer und mitgerissener Anhängerschaft eine anspruchsvolle Selbstherausforderung im 'International', dem repräsentativen Kino an der Karl-Marx-Allee."

Der Zuschauer G. Sch. schrieb uns dazu: "Ein sehr emotionales Konzert ließ uns die Bedrohung des Friedens fast körperlich spüren. Könnten doch viele Menschen Ihnen lauschen und Ihre Aussagen in Tätigsein umsetzen!"

Zum Tag der Befreiung lud das Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde zu einem Konzert mit Musik von Hanns Eisler und Mikis Theodorakis, mit Texten von Bert Brecht, Johannes R. Becher und Jewgeni Jewtuschenko ein. Auch Gert Natschinski stand auf dem Programm. Der Chor war gut vorbereitet, dennoch machte ich mir Sorgen, als wir lange auf unseren Anschlußzug warten mußten. Wird der Lokführerstreik die Menschen davon abhalten, zu uns zu kommen?

Schon auf dem Weg sah ich viele Leute, die dem ND-Gebäude zustrebten, sich in den Münzenbergsaal drängten. Alle Reihen waren besetzt, auf den Fensterbrettern hockten und vor den offenen Türen standen zahlreiche Zuhörer, selbst beim Einsingen in der Eingangshalle sammelten sie sich, um uns zu hören.

Lange warteten wir auf den Auftritt, die Begrüßungsredner brauchten ihre Zeit. Doch dann waren wir im Saal. Sofort spürte ich den Funken, der im Publikum zündete, zurückschlug und uns anfeuerte - eine beglückende Übereinstimmung. Viele bekannte Lieder wurden mitgesungen, mehr als einmal versetzte mich das in frühere Lebenszeiten.

Ich sang wieder wie 1960 im Studentenchor: Heimat meine Trauer/Land im Dämmerschein/Himmel du mein blauer/du mein Fröhlichsein. Der Chorleiter, der das damals mit uns einstudierte, war enttäuschenderweise plötzlich "nicht mehr da". Er war in ein Land gegangen, in dem der 8. Mai kein Tag der Befreiung ist. Wir aber waren auch dieses Mal ganz bei den Menschen im Saal und fragten eindringlich: Meinst Du, die Russen wollen Krieg?

Lied folgte auf Lied, schmerzendes Kreuz und lahme Füße waren vergessen.

Nach der Pause verzauberte Ilja Kurtev mit dem Bajan die Hörer im Saal und uns, die auf dem Flur Wartenden. Als er das russische Soldaten- und Kampflied "Auf dem Weg" von Wassili Solowjew-Sedoi spielte, sangen wir - und so etwas habe ich noch nie erlebt - hinter der Tür laut mit. Beschwingt ging es zurück auf die Bühne, die Chorstufen hinauf. Wir sangen Schostakowitsch, Eisler, die Völker verbindende Lieder, keine Bitterkeit im Gedenken an die Befreiung.

Wacht auf, Verdammte dieser Erde! Die Menschen im Saal standen und schlossen sich an. Wieder hatten wir im vergangenen Jahr ein Weihnachtskonzert. So etwas beim Ernst-Busch-Chor? Geht das? Doch, doch, auch das paßt zu uns.

In der Pause wurde ich im Zuschauerraum angesprochen, erhielt Glückwünsche von Bekannten zum freundlichen Geburtstagsgruß im Dezember-RF". Wie schön, den "RotFuchs" und meinen Chor so dicht beieinander zu wissen - meine doppelte Orientierung, mein starkes Geländer!

Edda Winkel

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Compañera Christa: Für junge und jung gebliebene Rotfüchse
Ein Mädchen aus Randberlin (Teil 1)

Die Landschaften des Krieges begrünten sich, in jenem Mai 1945, der Europa den Frieden brachte. Wir - meine Mutter, meine ältere Schwester und ich - hatten im Februar die Flucht vor der Ostfront bei Liegnitz nach Thüringen lebend überstanden. Wir waren nicht von Bomben getötet worden, nicht erfroren und nicht verhungert. Dieses Glück ließ uns dankbar und bescheiden sein. Durch den täglichen Lebenskampf um das Beschaffen von Essen, Trinken, Kleidung und Heizmaterial waren die vergangenen Schrecken bald vergessen. Die überlebt hatten, betrauerten die Toten. Sie trösteten sich und andere, teilten, was sie besaßen. Als Flüchtlinge lebten wir arm, aber solidarisch miteinander, und dank guter Gesetze gelang es, daß wir bald in die Dorfgemeinschaft aufgenommen wurden.

Rückblickend bleibt für mich diese Zeit von der Sehnsucht der Menschen nach Frieden und einem gewaltigen Aufbauwillen geprägt. Das gab ihnen eine starke Hoffnung. "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt ..." Diese Zeilen der Nationalhymne sangen wir zur Geige unseres wunderbaren Lehrers Fritz Riemann in der Dorfschule. Wir waren arme, aber zugleich auch glückliche Kinder, lebten wir doch in den Frieden hinein und wurden zu Humanismus und Völkerfreundschaft erzogen. Als ich im Alter von zwölf Jahren mein Kinderdorf Wogau bei Jena verlassen mußte, fiel mir der Abschied schwer.

Stahnsdorf bei Berlin war meine dritte Lebensstation. Mutters Onkel Gustav - schon über achtzig und pflegebedürftig - holte uns zu sich. So zogen wir im Sommer 1953 dorthin. Der Umzug verlief dramatisch. Eine Frau, ein dünnes Mädchen und ein Dackel in einer Einkaufstasche fuhren im Zug mit Koffern, Taschen, Federbetten und einem großen Radio von Jena nach Berlin. Dort setzte uns die Bahnpolizei zunächst einmal fest, da wir keine Zuzugsgenehmigung für die Hauptstadt besaßen. Stahnsdorf galt als Randberlin und war überdies Grenzgebiet. Nach 24 Stunden in der Berliner Bahnhofsmission erhielten wir die nötigen Papiere. Onkel Gustavs kleines Haus in der Stahnsdorfer Beethovenstraße bot uns Quartier. Aus dem schlesischen Kriegs- und Flüchtlingskind wurde nun eine Randberlinerin. Der Ort liegt nur wenige Kilometer von Berlin-Wannsee entfernt und besaß damals noch einen S-Bahnhof.

Wir hatten freundliche Nachbarn, und Renate wurde meine Freundin, die mir die neue Heimat zeigte. Wir fuhren mit Fahrrädern zum Baden im Güterfelder See oder halfen beim Entstehen des Stahnsdorfer Schwimmbades, das im Rahmen des "Nationalen Aufbauwerkes" geschaffen wurde. Das Eintrittsgeld fürs nahe Kino "Parkkiste" entsprach dem Gegenwert einer leeren Bierflasche mit Porzellanverschluß. Dafür bekamen wir 30 Pfennige, 25 für die Eintrittskarte und fünf für einen Lutscher. Wenn der Gong ertönte und sich der rote Samtvorhang öffnete, war ich wie verzaubert. An die "Feuerrote Blume" oder "Sturm über Asien" erinnere ich mich noch heute. Bestimmt haben diese häufigen Kinobesuche den Grundstein für meine spätere Filmtätigkeit gelegt.

In der Stahnsdorfer Grundschule lebte ich mich anfangs schwer ein. Man verspottete mich wegen meines Dialekts. Ich sprach wohl ein handfestes Thüringisch, was ich selbst nur am Gelächter der anderen merkte. Meine Schulfreundin Johanna gab mir unterwegs Sprechunterricht, aber auch Nachhilfe in Russisch. Unser Pionierleben war locker und ohne Militanz. Es gab wöchentliche Pioniernachmittage, einen Mal- und Zeichenzirkel, Chor, Volkstanz und Sportgruppen. Der Pionierleiter hieß Günther und war nicht viel älter als wir. Die Pionierkleidung, blaues Röckchen - weiße Bluse und blaues Halstuch - trugen wir nur zu besonderen Anlässen. Wer das nicht wollte, konnte sich entziehen.

In meinem Fotoalbum ist neben dem Bild in Pionierkleidung auch mein Konfirmationsfoto.

In der 8. Klasse ging ich zum Konfirmandenunterricht. Mutter wollte nicht aus der Reihe tanzen, da damals noch fast alle Schüler daran teilnahmen.

Die Einsegnung erlebte ich indes mit halbem Herzen. Ich lernte das Vaterunser und die zehn Gebote. Freude hatte ich an einigen biblischen Geschichten. Mich störte aber, daß alles so fest gefügt im Imperativ stand. Warum mußte ich Gott lieben und fürchten? Gefürchtet hatte ich mich im Krieg genug. Und warum ließ Gott solche Grausamkeiten überhaupt geschehen? Für meine Mutter war Gott wohl im Krieg gestorben, hatte sie doch in der Nazizeit so viel Schreckliches erlebt.

Nach Abschluß der 8. Klasse wurde ich auf die Oberschule in Kleinmachnow delegiert. Meine Konfirmation war kein Hinderungsgrund.

Die 9. und 10. Klasse habe ich in sehr trauriger Erinnerung. Onkel Gustav hatte Magenkrebs und weigerte sich, ins Krankenhaus zu gehen. Mutter arbeitete als Verkäuferin im Potsdamer Warenhaus, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. So stand ich in der Pflicht, nach dem Schulunterricht meinen Onkel zu pflegen, ihn zu waschen, zu füttern und zu versorgen. Während meine Schulkameradinnen von Elvis Presley, Petticoats und Nylonstrümpfen schwärmten, hatte ich einen todkranken alten Mann zu betreuen. Ich tat es bis zuletzt gern und war erschüttert, als ich ihn eines Morgens tot in seinem Bett fand.

Ich wußte, daß ich Mutter helfen mußte, denn sie war selbst zu erschöpft und durch die schwere Zeit im faschistischen Gefängnis seelisch zerstört. Solange sie lebte, mußte ich ihr beistehen, das Leid ihrer Vergangenheit zu bewältigen. Das überschattete meine Kindheit und Jugend. Mich aus der Wirklichkeit wegzuträumen, war mein Fluchtweg. Ich war kein Kind mehr, noch lange nicht erwachsen und dennoch gezwungen, Entscheidungen für mein Leben bereits selbst zu treffen.

Eigentlich wollte ich Jura studieren. Doch als mir Mutter in Phasen von Kraftlosigkeit und Verzweiflung vorwarf, sie könne mich nicht länger ernähren, beschloß ich, mir in den Sommerferien eine Lehrstelle zu suchen. Nach der 10. Klasse verließ ich die Schule und begann eine Ausbildung als Zeichnerin beim Kartographischen Dienst Potsdam.

Christa Kozik

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"Die gepanzerte Doris" zog kleine DDR-Leser in ihren Bann
Ein Kinderbuch von Ruth Werner

Es steht zwischen den Zeilen in den Büchern von Ruth Werner (1907-2000), geborene Ursula Maria Kuczynski: Die Schriftstellerei war ihr eine Herzensangelegenheit. Doch erst im Alter von über 50 nach Vollendung eines außergewöhnlichen Lebenswerkes im antifaschistischen Widerstand und als Kundschafterin der Sowjetunion, war sie ihrer dichterischen Berufung gefolgt. Mit "Sonjas Rapport", dem Selbstzeugnis über ein in steter Todesgefahr an der unsichtbaren Front verbrachtes Kämpferleben, wurde sie 1977 einem breiten Publikum bekannt.

In den meisten ihrer Bücher spricht Ruth Werner heranwachsende Leserinnen und Leser an. Sie, die ihre eigenen Kinder unter gefahrvollen Bedingungen gebar und großzog, beschreibt den kostbaren, einfachen Frieden. Da ist ein Kind, das zwei gute Eltern hat.

Die neunjährige Gerti begegnet einem ihr fremdartigen, urtümlichen Wesen. Sie gewinnt es lieb und muß schließlich mit einem schmerzlichen Verlust fertig werden. Diese 1973 zuerst erschienene Geschichte vermittelt neben ihrer unaufdringlich politischen Aussage auch eine naturwissenschaftlich-ökologische Botschaft. Allein wegen der brandaktuellen Stellungnahme für die bedrohte Lebenswelt verdient "Die gepanzerte Doris" eine Neuauflage. Gertrud Zucker hatte die Ausgabe des Kinderbuchverlags illustriert.

Ruth Werner, zweifache Rotbannerorden-Trägerin und Offizierin der Roten Armee a.D. im Range eines Oberst, erzählt über "Die gepanzerte Doris". Doch weder von einer sowjetischen Panzersoldatin noch der Kommandeurin eines NVA-Kettenfahrzeuges ist die Rede, sondern von einer südeuropäischen Landschildkröte. Ein Reptil also, das stammesgeschichtlich seit über 200 Millionen Jahren die Erde bewohnt und das als Individuum doppelt so alt wie ein Mensch werden kann. Die Tiere mit wissenschaftlichem Namen Testudo hermanni sind heute in Zoohandlungen käuflich und gerade deshalb in ihren natürlichen Habitaten bedroht. Gertis Vater, in der Volksrepublik Bulgarien als Monteur unterwegs, hatte eine solche Schildkröte hilflos in städtischer Umgebung aufgefunden und seiner Tochter zum Geburtstag nach Hause geschickt. Gerti, dritte Klasse, entziffert auf der Sendung neben ihrer Adresse die Etiketten "Lebende Fracht", "Aufrecht stellen", "nicht schütteln", packt vorsichtig aus - und nimmt sich der unfreiwillig Zugereisten an. "Die Schildkröte ist ganz allein in einem fremden Land. Sicher fürchtet sie sich und hat Heimweh." Das Kind weiß: "Alle Tiere mit vier Beinen haben ein Herz", sucht nach weiteren Informationen im Lexikon des Herrn Meyer, denkt über Grundsätzliches nach: "Gibt es großes Wichtiges und kleines Wichtiges? Bestimmt man selbst, was wichtig war? Kann man es sich aussuchen?" und fragt schließlich die Mutter. "Bei wichtigen Dingen durfte Gerti ans Chemische Labor telefonieren. Ein vor Hunger sterbendes Geburtstagsgeschenk war wichtig." Das bedeutet, um 1975 hatte in Berlin/DDR kein sogenannter Arbeitgeber einklagbare Hoheitsrechte über eine Frau und Mutter zwischen deren Arbeitsbeginn und -ende gekauft. Von dieser zurückhaltenden Art ist das Politisch-Gesellschaftliche in Ruth Werners Kinderbuch. Nur bei der Namensverleihung für Gertis neue Freundin wird es etwas akzentuierter. Das Mädchen will ihr Haustier "Achter Mai" nennen, und die Mutter erwidert: "(...) 'Du kannst doch die Schildkröte nicht nach unserem Tag der Befreiung nennen. Das ist unernst.' - 'Aber Menschen kann man so nennen?' fragte Gerti (...). 'Vaters Brigade heißt so, und das sind Menschen.' Die Mutter zögerte. 'Vielleicht als Nachname‹, sagte sie. 'Gut', erwiderte Gerti, 'und als Vorname Doris.' So hieß die Schildkröte 'Doris Achtermai'."

Gerti lernt Doris' Bedürfnisse kennen und respektieren, beschützt sie vor den noch unwissenden Geburtstagsgästen und verteidigt sie heldenhaft gegen Klaus Schöpke, einen stadtviertelbekannten jungen Rabauken. Die Sommerferien verbringt Doris mit Gerti, den Eltern und Bruder Rolf am Ostseestrand, muß dort eine eigensinnige Hundebesitzerin und deren Liebling Benno ertragen, aber darf an langer Leine gesichert im Sand buddeln. Ein kluger, freundlicher Strandburgnachbar läßt sich von Doris zum Erzählen einer Abenteuergeschichte über Schildkröten und Menschen anregen: Einst meuterten die Seeleute eines Seglers gegen den tyrannischen Kapitän. "Die Mannschaft übernahm das Schiff. Aber niemand hatte den Aufstand richtig vorbereitet. Er war wie von selbst gekommen. Das ginge noch. Viel schlimmer war, daß niemand überlegte, wie es weitergehen sollte." Eine Metapher auf die Tragik verlorener Revolutionen? Vielleicht!

Doch weiter mit den gepanzerten Tieren: Fast verdurstet notlandeten die Seeleute auf einer unbekannten Insel, die nur von Riesenschildkröten bevölkert war. Schiffsjunge Pedro findet auf deren Rücken laufend durch den Dschungel zur Wasserquelle, die Menschen trinken daraus und sind gerettet. Sie stärken sich mit dem wohlschmeckenden Fleisch der großen Meeresbewohner und reisen weiter. Die Legende habe später den Handel mit der Delikatesse befeuert. "Heute sind nur noch ganz wenige (Meeresschildkröten) am Leben", beendet der Miturlauber seine Erzählung.

Auch Gertis Schildkröte geht verloren. Ihre Sicherheitsleine versagt am letzten Strandferientag. Das Mädchen sucht vergeblich nach Doris Achtermai, trauert zu Hause vor dem leeren Terrarium, doch besinnt sich: "Ich weiß doch, es gibt Millionen Tiere auf der Welt, und dauernd sterben welche, und dauernd gibt es neue - bei Menschen ist es auch so. Immer ist man traurig, wenn etwas fortgeht, das man liebhat." In Gerti formt sich eine Vision; sie will Naturforscherin werden, und sie teilt sich dem Vater mit: "Kann man zum Beispiel durch Nachdenken aufhören zu weinen oder gar nicht erst anfangen?" - "Du meinst, den Verstand benutzen, um mit dem Kummer fertig zu werden? Das ist ein sehr guter Weg!"

Marianne Walz

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Die armen Oligarchen verlassen möglichst fluchtartig das verarmte Land, das ihnen so reiche Schätze wußte. Ihre Prachtvillen können gar nicht mehr teuer verkloppt werden und wer weiß, ob sie nicht am Ende doch noch Porto für die mitgeschleppten Millionen aus der Muttererde Rußlands bezahlen müssen.

Was ist noch angesagt in dieser bisher besten aller Welten? Ist sie das? Gemach! Das Wissen hat sich in ihr vervielfacht. Um den Preis, daß ehemals gesicherte alte Kundigkeit sich verringert hat.

Was hält sie eigentlich um die hochgetragene Nase herum so "bei der Stange"? Der Glaube daran, daß der Astronaut bei ferner Suche auch ein neues warmes und gemütliches Zuhause entdecken wird, in das die Betuchten einfach nur umsteigen müßten, um am eigenen Lebensstil und dem gewohnten luxuriösen Umgang mit Ressourcen nichts aufgeben zu müssen?

Ich frage mich, warum wir uns von denen eigentlich überhaupt etwas vorschreiben lassen, was mit Bildung, Gemüt und Herz gefüllt sein müßte, statt mit Reisezielen, an denen sie dann ebenso dämlich herumstehen, wo sie dann genauso ihr Stück Umwelt vergiften, und weshalb dieser Einfluß überhaupt zustande kommen kann. Das ist eine Frage, die mag unwichtig erscheinen, aber sie ist es zu einem Teil natürlich nicht. Ärgerlich, aber ist das eigentlich unsere Sache? Wenn die Frauen sich vorschreiben lassen, mit welcher Absatzhöhe sie sich ihr Rückgrat demolieren? Es ist zweifelsfrei nachgewiesen, daß die jetzt teuersten Schuhe schädlich für die Gesundheit sind. Nicht nur für den Rücken, sondern auch für den Bauch. Die Trägerinnen werden im Alter an Schmerzen abbüßen, was sie ihrem Körper jetzt antun.

Aber nicht genug damit. Sie kaufen sich ein unnatürliches Aussehen, das sie durch innere Zufriedenheit, Erfolg in der Arbeit und Glück in der Liebe sicher nicht erreichen könnten. Man lacht mit sechzig anders als mit zwanzig, aber vielleicht ja auch ein bißchen leiser, angemessener, vorsichtiger. Die Welt wäre reich, wenn ein jedes Menschenkind auf ihr die Chance hätte, gesund zu essen, geliebt zu werden und so viel lernen zu dürfen, wie das Streben danach sich in ihm entwickelt. Das muß unterstützt werden, dazu braucht es gute Lehrer und gute Eltern. Zwei Elternteile, wenn möglich. Die Welt hätte genügend damit zu tun, Kinder vor dem immer noch häufigen Gegenteil ihrer Chancen zu bewahren. Aber schlecht ausgestattete Ämter für das Kindeswohl liegen uns ja bei weitem nicht so auf der Seele wie es ein "In"-Restaurant vermag, das seinem Ruf nicht gerecht wird. Was dann auch gleich Seiten und Sendungen füllt.

Jede Regierung hat das Recht, von mir aus in Nachtsitzungen und den ganzen Tag, darüber zu beraten, wie sie mit einer unerwartet hohen Anzahl neuer Bewohner umgehen soll. Kann sie das "stemmen"? Woher das Geld nehmen? Wie den vielleicht später sicheren Gewinn durch allseits zu investierende Vorleistungen erbringen?

Die Diskussionen darüber sind zu einem Teil verständlich, zu einem größeren notwendig und immer noch erschreckend. Da scheint es nicht um Menschen zu gehen, sondern um eine neue Plage für die Erde. Mit so schrecklicher Ehrlichkeit, so entmutigender Schamlosigkeit sah ich kaum vorher Menschen ihr wahres Selbstbild und ihr Bild vom anderen offenbaren. Im Umfeld von eben ausgebrochenen und also besonders einseitig haßbesetzten Kriegen, das wohl. Wir haben es in Serbien, und wir haben es in Afghanistan erlebt. Andere Namen von Kriegsherden mag sich jeder selbst ergänzen. Aber es entwickelt sich eine alte Ideologie neu. Der Broträuber als Freßfeind? Der Dunkelhaarige als Sexkonkurrent? Das Kind, das aufmerksame mit den großen schönen Augen, als Bedrohung der Schulleistungen unseres eher gelangweilten Kindes? Das wir nicht genügend mit Liebe und Respekt an die Hand nehmen, um ihm die unfaßbare, zu Teilen aber erlernbare Sicht auf die Schönheiten der Natur, von Menschenwerk und die Erhabenheit vieler Erscheinungen des Lebens nahezubringen.

Die Erde ist so voller Möglichkeiten. Für mich, dich und jeden anderen, der sich an unsere Seite stellen mag, um zu beschützen, was von Zerstörung bedroht ist. Wir brauchten mehr Hände, um zu verhindern, daß eine Meute von Quälern und Zerstörern, von blindwütig auf Gebäude oder Kinder losdreschenden Personen, die ihre Individualität als Menschen aufgeben, um ihren Instinkten in der Masse folgen zu können, noch länger diese Erde zu einem unsicheren Ort macht.

Wir sind dem Blitzschlag nicht gewachsen und dem Verbrechen nicht, wenn es ausgeklügelt in Momenten und an Orten stattfindet, wo es niemand erwarten konnte. Wo die Warnung nicht ernst genommen wurde, weil die Freude auf etwas größer war. Ob New York oder Paris oder Dutzende von Malen, ohne daß es so schrecklich im Mittelpunkt stand: wenn eine Schule überfallen wird und kleine Mädchen geraubt, entführt, vergewaltigt werden. Nicht nur daß sie ihren Eltern weggenommen werden, sie werden von sich selber entfernt. Von jeder Chance, die sie im Leben gehabt hätten. Oder wenn abenteuerlustige, übermütige Jungs rekrutiert werden, mit der hohen Ehre eines Selbstmords bedacht, um zu Wonnen zu gelangen, die ihnen im Leben sonst nicht erlangbar geworden wären.

Jüngst hat die betuchte Welt die Nase darüber gerümpft, daß der Milliardär Mark Zuckerberg und seine Frau ihr Glück als Eltern kaum fassen konnten. Sie waren bereit, dafür einen hohen Preis zu bezahlen, einen Preis, der ihnen in dieser neuen Lage als Eltern auf einmal bezahlbar, nämlich unwichtig, schien. Ihre kleine Tochter gab ihnen den Gedanken ein, ihre Unmasse an Geld - nicht ererbt, sondern selbst erworben - für andere kranke und gesunde Kinder einzusetzen. Ja, nicht einfach herzuschenken, was sie besaßen, sondern es arbeiten zu lassen zum Glück anderer. Das können wir nicht, wir Normalos. Wir haben so viel, daß es reicht, und wir haben manchmal von allem so viel, daß es uns reicht.

Ich möchte nicht das Unmögliche. Ich wünschte mir nur, daß diese Papierverschwendung zur Unterstützung der Blödheit von sogenannten angesagten Menschen gemindert wird oder aufhört. Die aus dem Privatfernsehen leider manchem bekannten schrecklichen Geissens sind ja wirklich die schrecklichen Geissens, wenn sie immer wieder jemand aus ihrer satten Gleichgültigkeit und ihren netten Plaudereien über gar nix reißt, und die Mädchen, die ihren kurzen Augenblick in der Öffentlichkeit mit anschließender Bedeutungslosigkeit bezahlen, aus der sie nur eben im Glanze des Urwalds oder einer Serie aufgetaucht waren. Die versäumen ein vielleicht etwas unbequemeres Leben als nette Personen, die sich zu vernünftigen Erwachsenen entwickeln könnten. Ohne Fotografen natürlich.

Ohne unangemessene Honorare - je gewagter, desto lohnender. Will uns das Fernsehen wirklich im aufgeklärten Europa glauben machen, eine hochgepuschte Frau und ein feingemachter Mann brauchten nur über eine Schwelle zu treten, um zehn Minuten später zu heiraten? Ja, sie sind nicht mehr ganz taufrisch, ja, sie haben lange gewartet und nie den richtigen Partner gefunden. Ja und? Diese fette Ernährung von falschen Erwartungen, falscher Vorstellung davon, was zwei Menschen eigentlich denken, fordern und geben müssen, damit es für einen längeren Weg miteinander paßt, macht die, die noch nicht dran waren, zu Übernehmern eines Exposés, das sich in ihrem eigenen Leben nur ungut auswirken kann. Wenn's so einfach wäre!

Wir müssen die Welt ändern. Wenn es irgendeinen Sinn ergäbe, würde ich das sogar in diesen dämlichen hochhackigen Schuhen und mit einem Ausflug auf den Mars tun.

An Gaudi wird's ja im Februar nicht fehlen. Wer's mag ...

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- Neu erschienen -

Das "RotFuchs"-Jahresinhaltsverzeichnis 2015 kann ab sofort beim Vertrieb unter Tel. 030/53 02 76 64 oder per E-Mail vertrieb@rotfuchs.net angefordert werden.

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Hinweis

Durch ein Versehen sind die RF-Nummern 207-216 auf Seite 1 als 17. Jahrgang benannt, tatsächlich war das aber schon der 18. Jahrgang. Ab dieser Ausgabe (Nr. 217) erscheint der "RotFuchs" also im 19. Jahrgang.

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Leserbriefe an RotFuchs

Dem RF-Chefredakteur ging die folgende E-Mail zu, die für Leser und Freunde unserer Zeitschrift deshalb von Interesse sein dürfte, da sie - zumindest indirekt - auch an sie gerichtet ist.

Lieber Klaus, für Deine guten Worte zum Interview hab Dank. Ich weiß sie zu schätzen, kommen sie doch von einem alten unermüdlichen Kämpfer an der ideologischen Front. Ich wünsche ... Dir gute Ideen für unseren "RotFuchs", damit er weiterhin dazu beiträgt, daß die Menschen lernen, "hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klasse zu suchen". (Lenin)
Es bleibt noch viel zu tun! Mit herzlichen Grüßen Deine

Margot Honecker, Santiago de Chile


Solidarische Grüße aus Brasilien. Ich habe die Universitäten aus familiären Gründen wechseln müssen. Wir leben nicht mehr in Rio de Janeiro, sondern in Natal (Rio Grande do Norte). Jetzt bin ich an der dortigen Universität als Professor tätig.
Über jüngste Entwicklungen in unserem Land habt Ihr sicher schon einiges erfahren. Handelte es sich bereits zuvor um den Ruin, so liegen die Dinge jetzt noch schlimmer. Die ökonomische Krise vertieft sich, wozu die Ernennung eines Technikers des großen Kapitals zum Finanzminister in besonderem Maße beiträgt. Hinzu kommt eine gefährliche politische Krise. Die Rechtsparteien haben sich zusammengeschlossen, um die Amtsenthebung der gewählten Präsidentin Dilma Rousseff zu erreichen und deutlich schlechtere Kräfte ans Ruder zu bringen. Bei all dem spielen massive Korruptionsvorwürfe gegen Politiker der regierenden Partei der Arbeit (PT) eine Rolle. Das Schlimmste daran ist, daß diese ja ursprünglich eine Linkspartei war, die sich inzwischen immer mehr übelster kapitalistischer Praktiken bedient. Bei der Erhaltung der Macht wird das Volk an den Rand gedrängt, alte fortschrittliche Bindungen zur Arbeiterklasse verschwinden zunehmend.
Die Medien nutzen diese Situation dazu aus, die gesamte Linke - besonders uns Kommunisten - zu attackieren, wodurch sich ein gefährlicher Spielraum für faschistische und nazistische Gruppierungen eröffnet. Ich glaube, daß dieses Phänomen, das derzeit ja auch zur europäischen Realität gehört, in Brasilien auf sehr spezifische Art zutage tritt.
Ich wünsche Euch viel revolutionäre Energie.
Seid umarmt!

Prof. Henrique Wellen, Lagoa Nova, Brasilien


Meine lieben Rotfüchsler! Die Voraussagen einer pauschalen Militarisierung Australiens im Dezember-RF halte ich für etwas übertrieben. Seit mehr als 60 Jahren diente dieses Land als Basis für westliche Militärspionage. Als der seinerzeitige Labour-Premier Gough Whitlam Zugang zu Pine Gap verlangte, wurde ihm nur die Empfangshalle gezeigt. Und als er auf Einlaß ins Zentrum bestand, setzte ihn Mr. Kerr, der Generalgouverneur seiner Majestät, als Regierungschef einfach ab und ernannte den Oppositionsführer Frazer an seiner Stelle. Die USA spielten die englische Karte.
Die derzeitige Lage unter dem neuen Premier Turnbull sieht anders aus. Der Sohn eines bekannten australischen Advokaten ist ebenfalls ein angesehener Anwalt. Er ist in seinen Äußerungen zu Themen wie Islam oder einer australischen Militärbeteiligung im Nahen Osten sehr vorsichtig.
Die Jesuiten-Zöglinge um den vorherigen Premier Tony Abbott, auf dessen ruhmlose Ära sich der RF-Artikel ja bezog, unternehmen alles, um Turnbulls Position zu schwächen. Allerdings mit wenig Erfolg. So steht es derzeit um Australiens "militärische Beteiligung".
Ich denke an Euch und freue mich jedesmal über den "RotFuchs".
Eure

Dr. Vera Butler, Melbourne


Auf einer in Handarbeit zauberhaft gefertigten Glückwunschkarte stand folgender Satz:
Liebe Genossen, bitte nehmt meine herzlichen Grüße und guten Wünsche von einer begeisterten und treuen Leserin Eurer Zeitschrift entgegen.

Ditte Mikkelsen, Trige/Dänemark


Hans Linke aus Suhl schrieb in seinem Leserbrief (Januar-RF) u. a., daß der RF-Förderverein im Bündnis mit anderen Linken nur Filetstücke akzeptiere und die Partei Die Linke in ihrer Gesamtheit nicht einbeziehe.
Da ich den von ihr bestätigten Bericht an die Mitgliederversammlung als Mitverfasser vorgetragen habe, möchte ich kurz darauf eingehen. Darin hieß es wörtlich: "Unser Hauptanliegen bleibt das Einheitsstreben, um eine linke Gegenmacht aufzubauen. Uns geht es um das Zusammenführen von Kommunisten und Sozialisten, unabhängig von ihrer konkreten Parteibindung. Wir sind solidarisch mit der DKP, der KPD, der KPF, dem Marxistischen Forum, der AKL der Linkspartei und den im OKV zusammenwirkenden linken Vereinen. Wir fühlen uns jenen Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke verbunden, die die friedenspolitischen Positionen des Erfurter Parteiprogramms energisch verteidigen.
Wir sind prinzipienfest und bündnisfähig, aber nicht sektiererisch. Der 'RotFuchs'-Förderverein ist keine kommunistische Partei. Als marxistischer Bildungsverein wirken wir unter allen Linken. Unsere Überlegungen sind stets darauf zu richten, noch mehr Linke und uns Wohlgesonnene für das gemeinsame politische Gespräch zu den drängenden Fragen der Gegenwart zu gewinnen."
Es ist also das entscheidende Anliegen des Vereins und Praxis in all unseren Regionalgruppen, den sachlichen offenen politischen Dialog unter Linken zu fördern. Niemand wird ausgegrenzt.
Leider ist festzustellen, daß maßgebliche Funktionäre der Partei Die Linke sich gegenüber anderen linken Formationen abschotten und das Gespräch zu drängenden Fragen ablehnen. Auf eine schriftliche Anfrage des Ostdeutschen Kuratoriums der Verbände vom November 2014 an den PDL-Parteivorstand zur künftigen Zusammenarbeit gibt es bis heute keine Antwort.
Die Gründe dafür sind kein Geheimnis: Wer die Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat ablehnt, die Äquidistanz im Friedenskampf nicht teilt und die beabsichtigte Beteiligung an einer Regierung mit Befürwortern der Kriegseinsätze kritisiert, ist für den Vorstand der PDL und deren ostdeutsche Landesvorstände kein Gesprächspartner.
Wir hoffen, daß sich vor allem die Mitglieder der PDL für ein breites linkes Bündnis an der Basis engagieren.

Wolfgang Dockhorn, Berlin


Meine Meinung zum SPD-Parteitag, auf dem Sigmar Gabriel mit nur 74,3 % der Delegiertenstimmen wiedergewählt wurde. Die Medien verkaufen diesen "Wahlsieg" als Erfolg. Dabei wird unterschlagen, daß sich immerhin ein Viertel der Delegierten gegen ihn entschieden hat. Das bedeutet, daß es in der SPD durchaus Mitglieder gibt, die sich den sozialdemokratischen Ursprüngen ihrer Partei näher fühlen als dem neoliberalen Kurs der heutigen SPD-Spitze.
Die Intoleranz und das Unverständnis, die unterschiedliche kulturelle und geschichtlich bedingte Voraussetzungen und Vorstellungen vom Linkssein hervorbringen, sind ein Hemmschuh. Der müßte ebenso abgestreift werden wie die Konzentration allein auf das eigene Land. Linkes Denken und linke Arbeit müssen international sein, sonst handelt es sich um einen Kampf gegen Windmühlen. Man bedenke, daß ja auch Banken und Konzerne international agieren.
Vielleicht sollten wir zunächst für den Dialog offene Leute in der SPD suchen und finden. Linke Toleranz heißt indes nicht, eigene Vorstellungen aufzugeben, sondern Menschen dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Ich bin überzeugt, daß Sahra Wagenknecht das ganz ähnlich sieht.
Gerade bei den Jüngeren und Jungen fehlt meist das nötige geschichtliche und politische Hintergrundwissen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Die heutige Schulbildung läßt ja wichtige Fakten und Entwicklungsprozesse einfach aus. Meine Kinder waren bis zur 10. Klasse in Geschichte gerade knapp im 20. Jahrhundert angekommen. Auffällig ist dabei die Oberflächlichkeit, mit der die neuere Geschichte im Vergleich zu weiter zurückliegenden Epochen behandelt wurde. Nicht alle Familien gleichen diese Bildungslücken aus. Hier müssen Wege gefunden werden, objektives Wissen stärker zu vermitteln.

Steffi Hoffmann, E-Mail


Wenn ich mich hin und wieder im Vogtland aufhalte, nehme ich dort noch rudimentäre Spuren vom Dasein in der DDR wahr. Sie lebt durchaus im ostdeutschen Alltagsbewußtsein. So erblickte ich z. B. beim Fleischer in Markneukirchen eine Tafel außerhalb seines Ladens, auf der "DDR-Bockwurst" angeboten wurde. Im Spreewald stieß ich vor einem Jahr in einem Café auf das Kommunistische Manifest. Vergleichbares erlebte ich in einem Torgauer Lokal. In beiden Fällen wollte ich die Exemplare erhandeln, doch deren Besitzer bestanden auf deren Unverkäuflichkeit. Im Sommer dieses Jahres stutzte ich über zwei Anzeigen in der "Freien Presse". Die eine lautete: "Kaufe DDR-Kinderzeitschriften Mosaik, Atze, Frösi." ... Mit der anderen wurden DDR-Turnschuhe gesucht - "gebraucht, weiß, Gymnastikschlappen. Zahle 20 Euro."
Man kann nur mutmaßen, warum sich jemand für solche Dinge aus DDR-Tagen interessiert. In jedem Falle sieht man auch daran, daß die DDR lebt. Vor dem 3. Oktober machte ich auf einem Werbeplakat am Straßenrand in Zwota folgende Entdeckung: Man lud zur "DDR-Party" in den "Gambrinus" nach Klingenthal ein. Der Text war von DDR-Fahnen und einem FDJ-Emblem umrahmt.
Doch selbst hier in Bayern, wo ich derzeit lebe und arbeite, hatte vor Jahren eine 17jährige Schülerin ihren "Wunschzettel" an die Zimmertür im Internat geheftet: 1. Liebe 2. Frieden 3. Sozialismus. So was läßt Optimismus aufkommen.

Sonja Navarro, Volkach


Unlängst fand ich in meinem Hausbriefkasten eine raffiniert aufgemachte Postwurfsendung der NPD. Es handelte sich um eine massive Attacke auf die "Zögerlichkeit" der Merkel-Regierung in der Flüchtlingsfrage. Obwohl die neuen Nazis aus den Reihen von AfD und Pegida heute noch nicht vor der "Machtergreifung" stehen, erinnern sich viele angesichts der von ihnen projizierten Bilder an Geschehnisse der Zeit vor 1933.
Ich komme aus einem Elternhaus mit Erfahrungen in dieser Hinsicht. Mein Vater gehörte zu den frühen Opfern des faschistischen Regimes. Er wurde als Gewerkschaftsfunktionär verhaftet und durch die unverzüglich gleichgeschaltete Justiz zu zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Strafe mußte er sofort antreten und im berüchtigten Zuchthaus Luckau verbüßen.
Die Nazis unserer Tage lassen nichts aus, um der Errichtung einer neuen faschistischen Diktatur den Weg zu bahnen, wobei sie sich auf einflußreiche Gewährsleute im Staatsapparat und in den bürgerlichen Parteien stützen können.
Die damals von den Faschisten Verfolgten und Eingekerkerten vermögen ihre Stimme selbst nicht mehr zu erheben. Deshalb müssen wir ihnen Nachfolgende ohne Verzug alles tun, um zu verhindern, daß unsere Kinder, Enkel und Urenkel auf das Geschwätz der neuen Nazis hereinfallen.

Gerd Rossignol, Berlin


Es drängt mich, Euch meinen Dank auszusprechen. Für mich ist der "RotFuchs" eines der wichtigsten Theorieorgane in Deutschland. Er hat mir stets Ideen und Impulse vermittelt. Aus meiner Sicht ist es von höchster Bedeutung, daß die Erfahrungen - Erfolge wie Mißerfolge - des bisher praktizierten Sozialismus dargestellt und diskutiert werden. Mir bedeutet Eure Zeitschrift wirklich sehr viel, weshalb ich die Jahrgänge auch für die Zukunft erhalten will. Inzwischen sind sie fest eingebunden worden.

Florian Adler, Limburgerhof


Liebe Genossen, vielen Dank für die geistige Kost des vergangenen Jahres. Jede Ausgabe Eurer Zeitschrift ist ein Genuß. Weiter so - zum Wohl unserer gemeinsamen Sache.

Anneliese Schellenberger, Leipzig


Die redaktionelle Vorbemerkung zum Beitrag von Günter Herlt "Anstelle einer kirchlichen Fürbitte" (Dezember-RF) bedarf einer Korrektur. Es handelte sich nicht um die "alternative Festtagssitzung der ostdeutschen Verbände", sondern um die seit nunmehr neun Jahren stattfindende alternative Einheitsfeier des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden e. V. - also um eine Protestveranstaltung.
Warum dieser korrigierende Einwurf? Das OKV feiert an diesem Tag, dem 3. Oktober, natürlich nicht den Tag der Annexion der DDR durch die BRD, auch nicht "in alternativer Form". Es bringt statt dessen Jahr für Jahr seinen Protest zur offiziellen Politik dieses Staates zum Ausdruck - seit einigen Jahren auch visuell in der UCI-Kinowelt in Berlin-Friedrichshain. Auf seinen Veranstaltungen sind namhafte Wissenschaftler, Publizisten, Journalisten, Landtagsabgeordnete und profunde Kenner der Außenpolitik wie Wolfgang Gehrcke aufgetreten. Chöre, Gesangsgruppen, Schauspieler sowie Prominente aus Funk und Fernsehen gaben diesen Veranstaltungen Profil und trugen zu ihrer Nachhaltigkeit bei.

Helmut Holfert, Berlin

Die zu Recht gerügte fehlerhafte Formulierung, es habe sich um eine "alternative Festtagssitzung der ostdeutschen Verbände" gehandelt, war eine RF-Nachlässigkeit. Wir entschuldigen uns, zumal der RF-Förderverein dem OKV seit 2003 selbst angehört.


Am 17. Januar 2006 - also vor 10 Jahren - fand in der Ernst-Barlach-Stadt Güstrow die erste Zusammenkunft unserer Regionalgruppe statt. Die Initiative dazu hatten die leider inzwischen verstorbenen Professoren Hans Luther und Ingrid Schäfer sowie der langjährige Vorsitzende Wilfried Schubert und ich ergriffen. Seitdem entwickelte sich unsere RF-Gruppe zu einem Kollektiv, das aus der politischen Landschaft dieser mecklenburgischen Kleinstadt nicht mehr wegzudenken ist. Der RF ist längst ein Bestandteil des politischen Lebens der ganzen Region. Im Schulterschluß mit linksorientierten Bürgern, Vereinen, Verbänden, Mitgliedern der Partei Die Linke und der SPD ist unsere RG inzwischen nicht nur eine konstante, sondern zugleich auch prägende "Institution" mit weit über 100 Mitgliedern und Sympathisanten geworden.
Zu ihren monatlichen Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen erscheinen stets zahlreiche Wißbegierige, denen die Teilnahme an diesen Zusammenkünften längst zu einem Bedürfnis geworden ist. Sie wollen einfach dabeisein und die Nähe der anderen spüren, um gemeinsam ihnen Wichtiges zu erleben und Akzente gegen die alltägliche politische und soziale Verdummung zu setzen. Natürlich spielten auch die wachsende Kriegsgefahr und die heraufziehende Faschisierung dabei eine Rolle. Sämtliche Aktivitäten der RF-Regionalgruppe Güstrow entsprechen dem Grundgesetz der BRD. Unser breitgefächerter Zusammenschluß hat sich in diesen zehn Jahren bewährt, wobei die Alten und Älteren die Arbeit durch ihre Erfahrungen aus DDR-Zeiten bereichern. Dabei ist nicht simple Nostalgie im Spiel. Wir wollen unsere Arbeit auch in den nächsten zehn "RotFuchs"-Jahren auf weiter steigendem Niveau fortsetzen.

Walter Krüger, Güstrow


Die Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg und ihre Bündnispartner, zu denen auch die DKP vor Ort gehört, hat für die Elektrifizierung von Ärztehäusern mit Solarenergie in Kubas Bergregionen unlängst 585 Euro gesammelt und die Spende an den Verein zur Förderung alternativer Energien in der Karibik überwiesen. Die Elektrifizierung entlegener Regionen bedeutet, behinderten Menschen eine bessere medizinische Betreuung zu ermöglichen. Zur Ausstattung von Ärztehäusern gehören u. a. auch ein Funktelefon sowie ein Kühlschrank für Antibiotika und Diabetes-Medikamente.
Ab 8. Januar sammelt die Friedensinitiative vier Monate lang Geld für den Bau eines Frauen- und Kinderzentrums sowie die Förderung von Beratungs- und Bildungsprogrammen auf Haiti.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord


Am 23. November hatte mein jüngster Bruder Ferdinand Geburtstag. Er war zwei Jahre älter als ich, und als ich 19 wurde, gab es von ihm und meinem Bruder Klemens schon keine Feldpostbriefe mehr. Der älteste Bruder Hans, den wir als Deserteur monatelang versteckten, starb nach Kriegsende mit 33 Jahren an den Folgen seiner schweren Verwundung.
Sollte da noch eine Frage offenbleiben, warum ich Kriegstreiber, Rüstungsbosse, Militaristen, Faschisten sowie alle Geld- und Machtgierigen bis an mein Lebensende hasse?!

Elisabeth Monsig, Gartz


Aus besonders "nachhaltigen" Ereignissen des Vorjahres ergeben sich für mich zwei Fragen.
Da fällt am 31. Oktober über dem Sinai eine Passagiermaschine vom Himmel. Es ist eine russische! In der offiziellen Erklärung wird festgestellt, es habe sich um einen Terrorakt des IS gehandelt. Doch warum mußte es ein russisches Flugzeug sein?
Am 13. November wird in Paris ein schreckliches Blutbad angerichtet, dem 139 unschuldige Menschen zum Opfer fallen. Die Mörder, deren Handeln den Behörden eine monatelange Verhängung des Ausnahmezustandes ermöglichte, waren ebenfalls dem IS zuzuordnen.
In der "jungen Welt" vom 16. November wurde gefragt, ob nicht hinter all dem die Regie von US-Geheimdiensten zu vermuten sei. Der Pariser Anschlag hätte ja nach dem französischen Eingreifen eine Warnung an Rußland gewesen sein können, sich aus Syrien herauszuhalten. Jedenfalls hatte der Absturz auf Sinai einen solchen Hintergrund.
Alles nur Phantasie? Möglicherweise. Doch wer - wie einige vermuten - Wolkenkratzer im eigenen Land in die Luft jagen läßt, um seinen weltweiten Krieg gegen "Schurkenstaaten" entfesseln zu können, für den sind Flugzeugabstürze und Bombenanschläge nur Peanuts.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg


Charakteristisch für die Moral in dieser Gesellschaft ist die Tatsache, daß die Regierenden dem immer dreister auftrumpfenden "Rechtspopulismus" und anderen Strömungen faschistischer Tendenz nahezu tatenlos begegnen.
Den jetzt in Berlin den Ton Angebenden war der antifaschistische deutsche Staat - die DDR - aus gutem Grund ein Dorn im Auge. Nach seinem Wegfall erhalten wir alle die Quittung. Der braune Mob gewinnt in großen Teilen Europas einschließlich der BRD immer mehr Oberwasser. Das Anwachsen der Unterstützung für die AfD und Pegida ist dafür ein deutliches Symptom. Dabei spekulieren deren Strippenzieher nicht zuletzt darauf, daß 2017 in der BRD wieder ein Wahljahr ist und jüngste Umfragen von erheblichen Zuwächsen der Neonazis und ähnlicher Strömungen künden. Da ist es höchste Zeit, daß die Älteren, die Hitlers "Tausendjähriges Reich" noch hautnah erlebt haben, gemeinsam mit Angehörigen neuer Generationen den parlamentarischen und außerparlamentarischen Widerstand organisieren.

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Sehr bewegt haben mich die berechtigten Zweifel am "Sonderparteitag" im Dezember 1989, zu denen sich Klaus Glaser bereits im Oktober-RF geäußert hat. Ich arbeitete damals noch im Parteiapparat und erfüllte Aufgaben sowohl im Gebäude des ZK als auch in der Volkskammer, wo ich als Parlamentsstenograf tätig gewesen bin. Etliches von dem, was sich damals ereignete, habe ich gar nicht erfahren oder inzwischen wieder vergessen. Im Gedächtnis haften blieb mir indes die Frage, die ich mir damals schon stellte: Wo ist eigentlich der agile Rechtsanwalt so plötzlich und ganz ohne Legitimation hergekommen? Er war buchstäblich über Nacht in diesem das ZK ersetzenden Arbeitsausschuß, trat im großen Saal des ZK-Gebäudes vor die Mitarbeiter des Hauses, hielt dort eine Rede, in der er die Anwesenden mit Sie ansprach, was keiner dort je erlebt hatte. Edwin Schwertner, damals Leiter des Büros des Politbüros, spielte Gysi einen Zettel zu, um ihn zum parteiüblichen Du zu veranlassen. Der begann seine Arbeit im "Großen Haus" übrigens wie ein Staatsanwalt: Die Mitarbeiter wurden unter Generalverdacht gestellt und mußten abends eine Taschenkontrolle über sich ergehen lassen. Damals hatte ich so manches Mal das Gefühl, als spürte ich einen Hauch von Putsch. Irgendwann wurde ich Gysi zugeordnet, um ihm bei der schriftlichen Niederlegung seiner Vorstellungen behilflich zu sein. Wir saßen beide ganz allein in jenem großen Raum, in dem zuvor das Politbüro getagt hatte. Da kam er zu einem Punkt, der lautete: Einstellung parteiloser politischer Mitarbeiter. Ich sagte: "Das ist doch nicht etwa Dein Ernst", worauf er antwortete: "Na ja, irgendwo müssen wir ja mal anfangen." Meine Frage: "Womit anfangen?" überhörte er.
Ich strich dann die Segel und wechselte in die Volkskammer. Dort war das Treiben noch bunter und die Arbeit des stenografischen Dienstes mit nebenamtlichen Kräften nicht mehr zu bewältigen. Die neuen "freigewählten" Abgeordneten spielten parlamentarische Demokratie, obwohl die Würfel längst gefallen waren. In einem Fall mußten wir sogar um die Hilfe von Stenografen des Bundestages bitten.

Rudolf Krause, Berlin


Ein Wort zum Umgang mit dem IS: Verhandlungslösungen, Einsatz von Mitteln der Diplomatie, Aufdecken und Austrocknen von Finanzierungsquellen, Stop aller Rüstungsexporte in die Kriegsregion, Erteilung eines UN-Mandats, internationale Vernetzung von Friedensorganisationen und andere Maßnahmen sind im Kampf gegen das Terrornetzwerk Islamischer Staat unbedingt notwendig.
Läßt sich aber eine derart verhandlungsresistente und gnadenlose Terrororganisation davon so beeindrucken, daß sie ohne überlegene militärische Komponente aller Gegenkräfte von sich aus aufhört, fremde Territorien zu besetzen, Menschen anderen Glaubens viehisch abzuschlachten und Kulturstätten wie Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu vernichten?
In der jetzigen Situation ist es notwendig, den IS mit einer koordinierten militärischen Aktion möglichst vieler Staaten unter Einbeziehung der genannten nichtmilitärischen Maßnahmen so einzudämmen, daß seine Anführer zu Verhandlungen über die Beendigung ihrer Operationen in Syrien und dem Irak gezwungen werden. Nur parallel und durch möglichst viele Staaten der Welt realisierte nichtmilitärische und militärische Aktivitäten gegen den IS und andere terroristische Gruppierungen können zum Erfolg führen. Dabei ist die völkerrechtlich definierte Souveränität jener Staaten, welchen Hilfe erwiesen werden soll, unbedingt zu respektieren.

Oberst a. D. Gerhard Giese, Strausberg


Das Thema "Europäische Union" ist mindestens 100 Jahre alt. Der "RotFuchs" berichtete darüber, daß schon 1915 - mitten im 1. Weltkrieg - ein solches Projekt in der internationalen Arbeiterbewegung diskutiert wurde. Damals handelte es sich um ein Projekt "Vereinigter Staaten von Europa", das zur Diskussion stand. Lenins Warnung davor dürfte manchem Kenner seiner Werke noch im Gedächtnis haften. Solange die private Aneignung von Profit im Zentrum ökonomischen Handelns stehe - so Lenin -, sei eine europäische Einigung bestenfalls eine Übereinkunft zur Aufteilung von Kolonien, Herrschaftsgebieten und zur gemeinsamen Unterdrückung der Arbeiterklasse.
War schon die "deutsche Finanz-, Wirtschafts- und Währungsunion" im Ergebnis der Konterrevolution von 1989 ein knallharter imperialistischer Raubzug, so würde die nächste Etappe - die Globalisierung der "Europäischen Union" durch das TTIP-Abkommen - noch weitaus schwerwiegendere Auswirkungen haben. Auch die aktuelle Flüchtlingskrise ist Ausdruck einer scharfen Zuspitzung von Gegensätzen und dient der herrschenden Klasse dazu, die Menschen zu verunsichern, sie zu spalten und damit ihre organisierte Handlungsfähigkeit zu lähmen.

Peter Pöschmann, Döbeln


Auch mehr als 25 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD haben die Versuche nicht nachgelassen, die Wirklichkeit von 40 Jahren DDR umzulügen oder schlichtweg zu verschweigen. Das betrifft fast alle Gebiete - von der Bildungspolitik bis zur Außenpolitik.
Ein Bereich, in dem man besonders raffiniert vorgeht, ist der Umgang mit dem Naziregime in der Frühzeit beider deutscher Staaten. Da die BRD auf diesem Gebiet besonders viele weiße oder - besser gesagt - braune Flecken aufzuweisen hat, versucht man das Ganze zu bagatellisieren, indem man der DDR ein gleiches oder ähnliches Versagen bei der Besetzung wichtiger Funktionen in jener Periode unterstellt.
Die Wissenslücken über die antifaschistischen Biographien vieler Persönlichkeiten, welche die DDR in deren Anfangsjahren prägten, sind in den westlichen Bundesländern und bald auch unter Jüngeren im Osten gewaltig.
Der 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr und auch der Beitrag des ehemaligen DDR-Diplomaten Werner Heiden im Oktober-RF brachten mich auf die Idee, einen Fakten-Check zu Biographien und Traditionen der Offizierskader und Armeen beider deutscher Staaten anzuregen. Es wäre von großem Nutzen, wenn DDR-Persönlichkeiten wie Armeegeneral Heinz Hoffmann, Armeegeneral Heinz Keßler, Admiral Waldemar Verner mit der Nazigeneralität der Bundeswehr und den Ribbentrop-Diplomaten, die im Bonner Auswärtigen Amt anfangs 60 % stellten, konfrontiert würden.

Franz Tallowitz, Saterland


Zum Beitrag "Was geschah am Altonaer Blutsonntag?" im Dezember-RF möchte ich bemerken: Es war verdienstvoll, daß der Historiker Leon Schirrmann 1992 erreichte, daß die am 1. August 1933 im Gefängnis von Hamburg-Altona hingerichteten Kommunisten Bruno Tesch, Walter Möller, Karl Wolff und August Lütgens rehabilitiert wurden.
In der DDR wurde dieses Ereignis im Unterschied zur BRD keineswegs außer acht gelassen. Richtig ist, daß 1951 der DEFA-Film "Das Beil von Wandsbek" nach dem Roman Arnold Zweigs dieses Thema aufgriff und den Opfern ein Denkmal setzte. Das geschah aber auch in der historischen Literatur der DDR, so z.B. 1966 im Band 4 der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und in der Chronik zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Teil 2, sowie 1980 in der Thälmann-Biographie.
Joachim Augustin erwähnt in seinem Beitrag auch den sogenannten Preußenschlag - den Staatsstreich des Reichskanzlers von Papen. Daß die SPD hingegen nicht wie die KPD zum Generalstreik aufrief, gehört zu ihren von Gabriel geleugneten schweren Fehlern. Die SPD stellte in Preußen die Regierung, der die Polizei unterstand, und sie verfügte über die Wehrorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, die im Unterschied zum Rotfrontkämpferbund der KPD nicht verboten war. Die Geschichte hätte also auch anders verlaufen können. ...

Dr. Kurt Laser, Berlin


Der "RotFuchs" schreibt viel über die Gründer der KPD Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie über den einstigen KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann. Eigentlich werden alle kommunistischen Führer wie Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, aber auch Hans Beimler so gewürdigt, wie es sich gehört. Heute finden wir Kommunisten in der DKP und der KPD, die zu Jahresbeginn 1990 auf DDR-Gebiet wiedergegründet wurde. Im Herbst 2015 führte die KPD, zu deren Vorsitzendem Torsten Schöwitz wiedergewählt wurde, ihren 29. Parteitag durch. Der "RotFuchs" hat diese Tatsache einfach ignoriert. Alle namhaften Kommunisten der KPD aus vergangenen Tagen werden geehrt, nur die heutige KPD scheint für den "RotFuchs" einfach nicht zu existieren.

Peter Schmuck, E-Mail


Bereits kurz nach Ausbruch des 1. Weltkrieges schrieb Rosa Luxemburg: "Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend - so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie, nicht wenn sie geleckt und sittsam Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt - als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit; so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt."
Der Kapitalismus befindet sich heute in einer ähnlich instabilen Situation wie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Nach Beendigung des 1. Weltkrieges entstand eine länderübergreifende Bewegung der Arbeiterklasse zur Änderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse, für eine neue Gesellschaftsordnung. Im Ergebnis der russischen Oktoberrevolution entwickelte sich eine marxistisch-leninistisch geprägte Ordnung mit internationaler Ausstrahlung, die sich in der weltweiten Formierung kommunistischer Parteien manifestierte. Heute liegen die Dinge völlig anders. Jetzt gilt es vor allem, die weitgefächerten Kräfte der Linken und der Friedensbewegung gegen Krieg und Faschismus zu bündeln.

Horst Rothenhagen, Berlin


Die offizielle bundesdeutsche Politik wundert sich über den Erfolg der AfD und hat auch der Pegida nichts entgegenzusetzen. Wie sollte sie auch, sind doch die Regierenden auf dem rechten Auge blind. Es hätte den politischen Akteuren sonst längst auffallen müssen, daß "völkische Siedlungsprojekte" völlig ungehindert in Deutschland bestehen.
In Schleswig-Holstein und der Lüneburger Heide gibt es sie schon seit Hitlers Tagen. Sie kultivieren die "Blut-und-Boden"-Ideologie der Nazis - die Volksgemeinschaft - und gründen "reinrassige" Familien mit vielen Kindern. Hier wird der Nazislogan "Schaffende Tätigkeit auf eigener Scholle" als antisemitisches Gegenstück zum "raffenden Kapital" propagiert. Ihr "Brauchtum" bezieht sich auf einen "nordisch-germanischen Glauben". Die Kinder verbringen ihre Freizeit bei Organisationen wie "Sturmvogel" oder dem "Bund Heimattreuer Jugend". Diese "völkischen Siedler" operieren unterdessen in neun von 16 Bundesländern. Sie befinden sich vorerst "in Wartestellung" und verstehen es, sich mitunter geschickt in die jeweilige Dorfgemeinschaft zu integrieren.

Wilfried Steinfath, Berlin


Danke allen Beteiligten für die wieder sehr interessant gestaltete Dezemberausgabe des RF. Ich bin begeistert vom völlig neuen Erscheinungsbild beim "RotFuchs"-Online-Auftritt. Den finde ich wirklich gelungen.

Andreas Herrmann, E-Mail


Der Artikel von Oberst a.D. Horst Nörenberg im Dezember-"RotFuchs" hat mich zutiefst bewegt. Ich bin 1956 in Hamburg in die KPD eingetreten, dann in die DDR übergesiedelt und habe auf der Warnow-Werft in Rostock-Warnemünde gearbeitet, wo ich Sekretär einer FDJ-Grundeinheit war. Als ich dann aber ein Wahlverfahren innerhalb des Jugendverbandes kritisierte, wurde ich meiner Funktion unter abwegigen Beschuldigungen enthoben. Für mich jungen Kommunisten war das ein sehr schmerzliches Erlebnis. So ging ich nach Hamburg zurück, wurde aber nie ein Feind der DDR und betrachtete das Verhalten mir gegenüber als ein durch einzelne Jugendfreunde verursachtes Vorgehen, das leider auf fruchtbaren Boden fiel. Ich stimme dem Schlußsatz von Horst Nörenberg zu: "Einen diskreditierten Sozialismus kann man nur durch absolute Ehrlichkeit rehabilitieren."
Ich danke Dr. Klaus Steiniger für sein ehrliches und kämpferisches Wirken!

Dieter Schütt, "Der Funke", Hamburg


Oberst a.D. Nörenberg muß wohl Politoffizier gewesen sein, weil er sich bei Lenin so gut auskennt. Er hat recht, wenn er schreibt: Wir haben verbraucht, was noch gar nicht erarbeitet war und auch darin, daß der Wirtschaftssekretär des ZK der Wirtschaftsallmächtige (in vielen Entscheidungen) gewesen ist. Aber schon dort, wo er recht hat, beginnt die falsche Aussage: Der VIII. Parteitag hat nie eine "Verschiebung von der Akkumulation zur Konsumtion" beschlossen. Das von N. gelobte "große Potential an Gesellschaftswissenschaftlern" wußte übrigens sehr wohl, daß es kein Entweder - Oder gab, sondern immer nur ein ganz bestimmtes Verhältnis zwischen Akkumulation und Konsumtion geben mußte. Das hatte stets die jeweils gegebenen Verhältnisse inner- wie außerhalb des Landes zu berücksichtigen. Beim Volkseigentum mußte das subjektiv bestimmt werden, beim Privateigentum regelt es die Profitrate. Im ersten Fall können Fehler vorkommen. Der zweite Fall ist der Fehler.
Im "Kalten Krieg" ... kannte der Kampf der Feinde des Sozialismus gegen uns keine Grenzen", schreibt Oberst a.D. Nörenberg richtig. Hatte das etwa keine Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik der Partei und alle wesentlichen politischen Bereiche? "Die DDR war die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung", erkennt er an. Frage: Wegen oder trotz der SED?
Ich empfehle Oberst a.D. N., das großartige Interview Margot Honeckers, das die "junge Welt" nachdruckte. Dort findet er die von ihm geforderte "absolute Ehrlichkeit".

Gerhard Naumann, Berlin


Liebes "RotFuchs"-Team! Auch wenn 2015 für alle friedliebenden Menschen kein Optimismus vermittelndes Jahr war, so sollten wir den Mut und die Hoffnung nicht verlieren, daß eine bessere Welt möglich ist. Das Gebaren der gängigen Medien und die Lügen der momentan Herrschenden sind längst ins Unerträgliche angewachsen.
Ihr leistet durch Eure unermüdliche Arbeit einen wichtigen Beitrag dazu, jene Menschen, welche es schon besser wissen, zu bestärken und anderen, die noch nicht so weit sind, die Augen zu öffnen.

Michael Ernst, Wernburg



Das Jahr ist weder schlecht noch gut.
Allein der Mensch weiß, was er tut.
Und weiß er es trotz allem nicht,
Erblickt im Jahr er sein Gesicht.
Ob nun ein Tag, sogar Sekunden,
Sie können stets sein Tun bekunden.
Und sucht er sich zur Nacht ein Bett,
wär's gut, wenn er ein solches hätt'.
Das Jahr ist weder schlecht noch gut.
Der Mensch muß wissen, was er tut.

E. Rasmus, Berlin

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Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
Dr. Peter Elz
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
Christa Kozik
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Bruno Mahlow
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Prof. Dr. Herbert Meißner
Wolfgang Metzger
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Horst Neumann
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Prof. Dr. Gerhard Oberkofler (Innsbruck)
Erhard Richter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2016

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