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ROTFUCHS/178: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 224 - September 2016


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 224, September 2016



Inhalt
  • Auf nach Berlin zur Friedensdemonstration am 8. Oktober!
  • Der Ministerpräsident und das Parteiprogramm
  • Friede für alle, die leben!
  • Ein historischer Appell aus Hiroshima
  • Kuba: Exportschlager Gesundheit
  • In der DDR zum Antifaschismus erzogen
  • Zum 65. Jahrestag der Bildung des Außenpolitischen Nachrichtendienstes der DDR
  • Luis Corvalán ("Don Lucho") - presente!
  • Nachruf auf Prof. Dr. Georg Grasnick
  • "No pasaran - Pasaremos!"
  • Robert Steigerwald ist tot
  • Dramatische Warnung Leonardo Boffs
  • Vereinigte Staaten von Europa?
  • Meine Erfahrungen mit den "Antinationalen"
  • Braune Wurzeln ...
  • Waffen des Imperialismus
  • FIR: Stoppt den historischen Revisionismus!
  • RF-Extra - Jürgen Kuczynski: Sprache des Friedens
  • RF-Extra - Zur Geschichte des demokratischen Rundfunks (Berlin 1945/46)
  • Marx' Lebensweg bis zur Ausarbeitung des Kommunistischen Manifests (Folge 3)
  • Heinz Fischer - Ein Leben als Komplize
  • Generalangriff auf türkische und kurdische Linke in der BRD
  • Ingeborg Rapoport - Promotion mit 102 Jahren
  • Falsche Bullen und andere Warnhinweise
  • Th. Weißenborn: Was Sprache verschweigt
  • Willi Bredel im neuen Lexikon deutscher Spanienkämpfer 1936-1939
  • Zeitzeugen zur Zeitgeschichte
  • Stimmen aus aller Welt über die DDR (Folge 3)
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

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Mußte Europas Geschichte in den 1. September 1939 münden?

So lautete die Überschrift über einem Aufsatz des Historikers Kurt Pätzold, der am 3. Mai 2010 in der "jungen Welt" erschien.

Kennt die Geschichte Alternativen? Angesichts dessen, daß erfolgreiche Revolutionen selten, Konterrevolutionen und Restaurationen um so zahlreicher sind, ist das eine ernste Frage an den historischen Materialismus, der von Fortschritt in der Menschheitsgeschichte ausgeht. Nach zwei Weltkriegen und Faschismus, nach der Niederlage des realen Sozialismus in Europa finden viele Menschen darauf nur eine resignative Antwort. Dabei ist die Frage seit der Existenz von Atomwaffen zu einer Überlebensfrage der Menschheit geworden.

Dem Erreichen und der Erhaltung eines strategischen militärischen Gleichgewichts und letztlich der atomaren Abrüstung galten daher die Anstrengungen der Sowjetunion. Gibt es nach deren Auflösung nur fatales Verhängnis? Bei einem Blick auf das militärische Kräfteverhältnis in der Welt, gemessen an den Militäraufwendungen, scheint die Antwort zunächst "Ja" zu lauten.

Mit dem angeblichen Ende des kalten Krieges gingen die weltweiten Militärausgaben zwar zunächst tatsächlich zurück, laut Berechnungen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich aus dem Jahr 2013 von 1,45 Billionen (konstanten) US-Dollar 1990 auf 992 Milliarden US-Dollar 1996. Nach drei Jahren auf diesem Niveau stiegen sie ab dem Jahr 2000 wieder an und erreichten 2011 den Stand von rund 1,8 Billionen US-Dollar. Es folgten einige Jahre mit leichten Rückgängen, dann ging es 2015 wieder hinauf auf 1,68 Billionen US-Dollar. Mehr als die Hälfte davon entfallen auf die USA (fast 600 Milliarden US-Dollar) und die NATOStaaten. Die VR China wandte etwa 219 Milliarden US-Dollar auf, Saudi-Arabien lag mit 87,2 Milliarden auf dem dritten Platz, Rußland folgte mit 66,4 Milliarden.

Entscheidender als die Zahlen ist die mit ihnen jeweils verbundene Politik: Die USA und ihre Verbündeten führten zahlreiche Kriege imperialistischen Charakters, setzten in Kiew eine aggressiv-antirussische Marionettenregierung ein und rüsteten insbesondere in Osteuropa und in Asien-Ozeanien weit überproportional auf. Das zielt klar auf China und Rußland. Die Idee, mit beiden Ländern über kollektive Sicherheit zu verhandeln, wird vom Westen nicht verfolgt, im Gegenteil: Sie werden als Hauptgegner bezeichnet.

Das weist Parallelen zu den 30er Jahren auf. Pätzold wies darauf hin, daß es damals gegen den deutschen Faschismus das Konzept kollektiver Sicherheit gab - allerdings fast nur in der Außenpolitik der Sowjetunion. In heutigen deutschen Schulbüchern werde dieses Konzept nicht erwähnt, sowjetische Außenpolitik vor 1939, vor dem "Hitler-Stalin-Pakt" gab es demnach nicht. So läßt sich das Märchen erzählen, Großbritannien und Frankreich hätten in München 1938 gegenüber Hitler und Mussolini eine Beschwichtigungspolitik verfolgt, wollten den Frieden erhalten und hätten sich leider geirrt. Tatsächlich, so Pätzold, lehnten die Westmächte 1938 endgültig ein System kollektiver Sicherheit ab und wiesen mit dem Münchener Abkommen, mit dem sie die Tschechoslowakei den Nazis zum Fraß vorwarfen, denen zugleich den "Weg nach Osten", d. h. zum Krieg gegen die Sowjetunion. In den Schulbüchern der DDR fehlten im Gegensatz zu den westdeutschen die Namen von Politikern nicht, die einen Weg suchten, der nicht zum 1. September 1939 geführt hätte, etwa der des 1934 ermordeten französischen Außenministers Jean Louis Barthou oder seines sowjetischen Amtskollegen Maxim Litwinow.

Wem die Verhältnisse als alternativlos erscheinen sollen, dem darf Geschichte nicht als eine solche von konkreten Alternativen dargestellt werden.

Am 2. August 2016 titelte das "Handelsblatt": "Das neue Wettrüsten". Die EU-Staaten stockten seit 2015 ihre Militäretats wieder auf, sie folgten einem "globalen Trend". Einen Tag zuvor teilte die US-Verwaltung für atomare Sicherheit (NNSA) mit, die ingenieurtechnischen Arbeiten für die Herstellung modernisierter Sprengköpfe vom Typ B61-12 seien abgeschlossen. Die faktisch neuartige Atomwaffe werde 2020 in Serienproduktion gehen. Nach den beim NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 beschlossenen Aufrüstungsschritten sprach Rußlands Präsident Wladimir Putin von "Deeskalation". Es gibt Alternativen.

Arnold Schölzel

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Kein Frieden mit der NATO!

Vor 35 Jahren, am 8. Mai 1981, rief die Berliner Friedenskoordination zu ihrer ersten Demonstration gegen die Stationierung der atomaren US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden auf. Seitdem sind alle nennenswerten Friedensaktivitäten, bis 1989 in Westberlin und danach für die gesamte Stadt, von der Friedenskoordination organisiert worden.

Über die Höhepunkte unserer Arbeit wie dem Stationierungsherbst 1983, die Kampagne "Unsere Stadt gegen Atomwaffen", den Friedensfilmpreis bei der Berlinale, das internationale Tribunal gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien und vieles mehr kann auf unserer Webseite www.frikoberlin.de nachgelesen werden. Das, was zwischen den Höhepunkten getan werden muß, was den großen Aktivitäten vorangeht, ist viel Kleinarbeit, sind die oft zitierten Mühen der Ebene, das eigentlich Wichtige. Dazu gehört an erster Stelle, daß wir uns selbst friedenspolitische Informationen erarbeiten. Denn Aufgabe der Friedensbewegung ist es, Gegeninformation in die Öffentlichkeit zu bringen, Bedrohungs- und Kriegslügen zu entlarven, und Widerstand zu organisieren. Das geschieht u.a. mit Referaten zu aktuellen Themen mit anschließender Diskussion auf dem Plenum der Friedenskoordination, einem öffentlichen monatlichen Treffen von Organisationsvertretern und Einzelpersonen. Oft ergeben sich aus solchen Diskussionen Arbeitsaufträge und Aktionsideen, die dann in einer Arbeitsgruppe umgesetzt werden, um danach diese Ergebnisse in die Öffentlichkeit zu bringen. Das können Unterschriften- und Flugblattaktionen sein, Organisation von Mahnwachen und Demos oder öffentliche Veranstaltungen. Arbeitsgruppen in der Friko wie z.B. die Kampagne gegen Kampfdrohnen arbeiten langfristig.

Neben diesen inhaltlichen Aufgaben steht gleichberechtigt wichtig das Werben um Bündnispartner, die Suche nach gesellschaftlichen Kräften, die sich im Kampf um eine Welt ohne Krieg und aus Sorge um eine friedliche Zukunft an die Seite der Friedensbewegung stellen. Das sollten in erster Linie die Gewerkschaften, Kirchen, linke Parteien bzw. linke Kräfte in Parteien sein. Nur mit ihrer Hilfe kann sich eine Bewegung in der Gesellschaft verankern. Wir pflegen Kontakte zu Abgeordneten, besonders der Linkspartei, ebenso zu ver.di, IG Metall und GEW, es gibt in den Gewerkschaften gute Beschlüsse zum Frieden, aber Beschlüsse allein tun es nicht.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich anmerken, daß Friedensbewegung nicht von vornherein eine linke Bewegung ist. Das wäre eine unzulässige Verengung und ist nicht im Sinne des Friedensanliegens. Friedensbewegung sind alle die Menschen, die aus Sicht eines humanistischen Weltbildes Krieg und Militarismus ablehnen und bereit sind, das auch öffentlich auszudrücken.

Die Aufgaben, denen diese engagierte, zahlenmäßig z. Zt. nicht sehr große Bewegung gegenübersteht, sind riesig. Es gibt zur Zeit 17 Auslandseinsätze auf der Welt, in die die Bundeswehr involviert ist. Der Rüstungshaushalt soll bis 2024 von 35 auf 60 Milliarden erhöht werden. Von der Leyen spricht von 130 Milliarden bis 2030. Beim Rüstungsexport steht Deutschland auf dem dritten Platz in der Welt, an erster Stelle in Europa. An Kleinwaffen, den modernen Massenvernichtungswaffen, beträgt der deutsche Anteil 10 Prozent.

Die Anschaffung von Drohnen bedeutet den Einstieg in eine neue Qualität der Kriegführung. Obwohl extralegale Tötungen völkerrechtswidrig sind, wird die Bundeswehr von vier Drohnen zwei Kampfdrohnen anschaffen.

Der absolute Irrsinn aber ist der Plan, wieder Atomwaffen ins Spiel zu bringen. An ihm arbeiten Strategen der Bundeswehr-Akademie. Sie wie auch die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik sprechen von der Notwendigkeit einer "glaubhaften Abschreckung", die auf zwei Säulen ruhen soll, der konventionellen und der nuklearen, und sie betonen, Atomwaffen seien nicht zum Verschrotten gebaut. Auf der NATO-Ratstagung Anfang Juli wurden diese Pläne beraten. Und zur Begründung muß, wie in den achtziger Jahren, die Lüge von der "Bedrohung aus dem Osten" herhalten.

Um dieser mörderischen Politik unseren Kampf anzusagen, rufen die beiden großen Friedensnetzwerke - Kooperation für den Frieden und Kasseler Ratschlag - sowie die Berliner Friedenskoordination zu einer gemeinsamen Demonstration am 8. Oktober in Berlin auf.

Die Zeit bis dahin muß für eine möglichst intensive Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden!

Laura von Wimmersperg

Die Vorsitzende der Berliner Friedenskoordination schrieb diesen (von uns geringfügig gekürzten) Beitrag für "ISOR aktuell".

In einem Gespräch, das Isabell Rarisch für die "junge Welt" mit ihr führte ("jW", 8. Juli 2016), ging es um dieselbe Thematik:

Sie sind bereits seit 1980 in der Friedensbewegung engagiert. Können Sie sich an eine ähnlich bedrohliche Lage wie die jetzige erinnern? So ein Vergleich ist eine schwierige Sache, weil sehr viele einzelne Faktoren beachtet werden müssen. Heute sind wir weiter als damals, wissen mehr. Spricht man auf der Straße mit den Menschen, dann sind sie sehr besorgt über die Atomwaffen. Gerade für die Älteren gilt das. Unter ihnen gibt es noch Wissen über die Verheerungen des Krieges.

Und die Jüngeren? Für die Friedensbewegung scheinen sie sich kaum begeistern zu können.

Jüngere Leute gehen anders an die Sache heran. Bei den Protesten gegen den Jugoslawien-Krieg oder gegen den Irak-Krieg - da waren ein Haufen Jugendlicher mit dabei. Sie schwänzten die Schule, organisierten Demonstrationen. Aber es ist leider so, daß ein Teil der Jugend sich gar nicht für das Thema interessiert. Einerseits ist das die Schuld der Medien. Auf verantwortungslose Weise werden die Menschen dummgehalten. Auf der anderen Seite sind sie, wohl auch durch die Kommunikation über den Rechner, zunehmend vereinzelt.

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Auf nach Berlin zur bundesweiten Demonstration am 8. Oktober!

Unterschiedliche Initiativen der bundesdeutschen Friedensbewegung verabredeten auf der Aktionskonferenz Anfang Juli in Dortmund, gemeinsam gegen die aktuellen Kriege und ihre Ausweitung aktiver zu werden und auf die Straße zu gehen.

Die Friedensbündnisse der "Kooperation für den Frieden", des "Bundesausschusses Friedensratschlag" und der "Berliner Friedenskoordination" einigten sich auf eine gemeinsame Plattform, um am 8. Oktober 2016 unter dem Mot to "Die Waffen nieder - Kooperation statt NATO-Konfrontation - Abrüstung statt Sozialabbau" in Berlin gegen die aktuelle Politik der Bundesregierung auf die Straße zu gehen. Die Friedensbewegung wirbt für ihre Aktion um breite Unterstützung von Organisationen, Gewerkschaften und Initiativen, um die Friedensfrage wieder zum zentralen Punkt der politischen Auseinandersetzung in unserem Land zu rücken.

(Siehe auch den Artikel von Reiner Braun im August-"RotFuchs", S. 2)

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Die Waffen nieder!

Kooperation statt NATO-Konfrontation! Abrüstung statt Sozialabbau!

Die aktuellen Kriege und die militärische Konfrontation gegen Rußland treiben uns auf die Straße.

Deutschland befindet sich im Krieg fast überall auf der Welt. Die Bundesregierung betreibt eine Politik der drastischen Aufrüstung. Deutsche Konzerne exportieren Waffen in alle Welt. Das Geschäft mit dem Tod blüht.

Dieser Politik leisten wir Widerstand. Die Menschen in unserem Land wollen keine Kriege und Aufrüstung - sie wollen Frieden. Die Politik muß dem Rechnung tragen.

Wir akzeptieren nicht, daß Krieg immer alltäglicher wird und Deutschland einen wachsenden Beitrag dazu leistet: in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen, Mali. Der Krieg in der Ukraine ist nicht gestoppt. Immer geht es letztlich um Macht, Märkte und Rohstoffe. Stets sind die USA, NATO-Mitgliedstaaten und deren Verbündete beteiligt, fast immer auch direkt oder indirekt die Bundesrepublik.

Krieg ist Terror. Er bringt millionenfachen Tod, Verwüstung und Chaos. Millionen von Menschen müssen fliehen. Geflüchtete brauchen unsere Unterstützung und Schutz vor rassistischen und nationalistischen Übergriffen. Wir verteidigen das Menschenrecht auf Asyl. Damit Menschen nicht fliehen müssen, fordern wir von der Bundesregierung, jegliche militärische Einmischung in Krisengebiete einzustellen. Die Bundesregierung muß an politischen Lösungen mitwirken, zivile Konfliktbearbeitung fördern und wirtschaftliche Hilfe für den Wiederaufbau der zerstörten Länder leisten.

Die Menschen brauchen weltweit Gerechtigkeit. Deshalb lehnen wir neoliberale Freihandelszonen wie TTIP, CETA, ökologischen Raubbau und die Vernichtung von Lebensgrundlagen ab.

Deutsche Waffenlieferungen heizen die Konflikte an. Weltweit werden täglich 4,66 Milliarden Dollar für Rüstung verpulvert. Die Bundesregierung strebt an, in den kommenden acht Jahren ihre jährlichen Rüstungsausgaben von 35 Milliarden auf 60 Milliarden Euro zu erhöhen. Statt die Bundeswehr für weltweite Einsätze aufzurüsten, fordern wir, unsere Steuergelder für soziale Aufgaben einzusetzen.

Das Verhältnis von Deutschland und Rußland war seit 1990 noch nie so schlecht wie heute. Die NATO hat ihr altes Feindbild wiederbelebt, schiebt ihren politischen Einfluß und ihren Militärapparat durch Stationierung schneller Eingreiftruppen, Militärmanöver, den sogenannten Raketenabwehrschirm - begleitet von verbaler Aufrüstung - an die Grenzen Rußlands vor. Das ist ein Bruch der Zusagen zur deutschen Einigung. Rußland antwortet mit politischen und militärischen Maßnahmen.

Dieser Teufelskreis muß durchbrochen werden. Nicht zuletzt steigert die Modernisierung genannte Aufrüstung der US-Atomwaffen die Gefahr einer militärischen Konfrontation bis hin zu einem Atomkrieg. Sicherheit in Europa gibt es nur MIT und nicht GEGEN Rußland.

Wir verlangen von der Bundesregierung den Abzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen, die drastische Reduzierung des Rüstungsetats, den Stopp der Rüstungsexporte und die Ächtung von Kampfdrohnen, keine Beteiligung an NATO-Manövern und Truppenstationierungen entlang der Westgrenze Rußlands. Wir sagen nein zu Atomwaffen, Krieg und Militärinterventionen. Wir fordern ein Ende der Militarisierung der EU. Wir wollen Dialog, weltweite Abrüstung, friedliche zivile Konfliktlösungen und ein auf Ausgleich basierendes System gemeinsamer Sicherheit.

Für diese Friedenspolitik setzen wir uns ein.
Wir rufen auf zur bundesweiten Demonstration am 8.10. in Berlin.
www.friedensdemo.org

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Der Ministerpräsident und das Parteiprogramm

Als wir Ende vergangenen Jahres beschlossen, das Augustheft 2016 der "Mitteilungen" als Sonderheft zur Friedensfrage herauszugeben, wußten wir natürlich noch nicht, welche lichtvollen Äußerungen Bodo Ramelow im Juli 2016 zur NATO machen würde. Wir wußten allerdings eines: Wenn es in unserer Partei Leute gibt, die davon träumen, nach den Bundestagswahlen 2017 Mitglied einer Bundesregierung zu werden, dann wissen sie, daß - wie es SPD-Fraktionschef Oppermann unlängst wieder betonte - "die Linkspartei Änderungen in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik" vornehmen muß. Oppermann weiter im "Tagesspiegel am Sonntag" vom 10. Juli 2016: "Die Linke" müsse "ohne Vorbehalte akzeptieren, daß jede Bundesregierung der internationalen Verantwortung Deutschlands etwa im Rahmen der NATO gerecht werden muß". Spätestens Herr Gauck hat den Begriff "internationale Verantwortung" zum Synonym für Kriegseinsätze werden lassen. Oppermann beklagt nun, daß in Teilen der "Linken" Verantwortung abgelehnt und mit zugespitzten Parolen Stimmung gemacht würde. Und er fordert in absolut dreister Manier: "Wenn die Linkspartei regieren will, dann darf sie solche radikalen Vertreter nicht für den Bundestag nominieren. Eine Koalition mit der SPD kann es nur geben mit verläßlichen Abgeordneten." Mit anderen Worten: Nur, wenn unsere Partei ihre friedenspolitischen Grundsätze über Bord wirft und keine Kandidaten für den Bundestag aufstellt, die an diesen Grundsätzen festhalten wollen, besitzt die laut Wahlumfragen inzwischen auf ca. 20 Prozent abgewrackte SPD die unendliche Güte, eventuell mit der "Linken" zu koalieren.

Ist es denkbar, daß die SPD-Protagonisten von dieser arroganten Position abrücken? Es ist so gut wie undenkbar. Denn es geht hier nicht um Charakterfragen, um Bescheidenheit oder Arroganz, sondern es geht um die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Wer auf Bundesebene mitregieren will, hat diese zu akzeptieren. Ein bißchen Akzeptanz gibt es hier nicht. Die Staatsräson läßt sich nicht einfach auch mal beiseite legen. Da hat Oppermann völlig recht.

Und hier schließt sich der Kreis. Da wir mittlerweile über ein Vierteljahrhundert die Erfahrung machen, daß es manche in unserer Partei nahezu in die Bundesregierung drängt und somit die Frage nach unseren im Parteiprogramm fixierten friedenspolitischen Grundsätzen von ihnen wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden muß, entschieden wir uns vor acht Monaten, dieses Sonderheft herauszugeben. Wir bedanken uns bei Bodo Ramelow dafür, daß er so frühzeitig so klare Worte fand, die unser Anliegen für jeden nachvollziehbar machen. "Ich rate meiner Partei", so der erste Ministerpräsident der Linkspartei, "an der NATO-Frage diese Koalitionsmöglichkeit nicht unmöglich zu machen. ... Das heißt ja nicht, daß wir begeisterte NATO-Anhänger werden müssen."

Da kommt uns die Dankbarkeit hoch. NATO ja, aber ohne Begeisterung. Dann ist es ja gut. Wenn wir von der NATO begeistert sein sollten, dann wäre es eine unüberwindliche Hürde. Aber unbegeistert können wir durchaus in eine Dreierkoalition gehen und damit unbegeistert die Entsendung der Bundeswehr in Kriege und Konflikte mitverantworten und unbegeistert Rüstungsexporte mittragen. Täten wir es mit Begeisterung, so würden wir unsere Seele verkaufen; aber so ... Und deshalb rät Ramelow seiner Partei, eine Dreierkoalition müsse lernen, "Themen, die wegen unterschiedlicher Positionen der drei Partner nicht zu regeln sind, auch mal beiseite zu legen". Das ist etwa so, als würde man einem absoluten Gegner jeglicher Prostitution Aktien an einem Freudenhaus anbieten mit dem Vermerk, er möge doch den Gedanken an die Prostitution auch mal beiseite legen.

Es ist unglaublich, wie hier eine linke Amtsperson das Parteiprogramm ignoriert. Das läßt sich nicht einmal damit begründen, daß er ja Ministerpräsident aller Thüringer ist. Es sei denn, er will Thüringen separat in die NATO führen, was aber unwahrscheinlich ist. Unglaublich ist auch der Zeitpunkt, zu dem Bodo Ramelow im Kontext mit der NATO äußert: "Ich gebe meine Zurückhaltung jetzt auf." Die NATO beschließt auf ihrer Tagung vom 9./10. Juli 2016 in Warschau die Stationierung von Tausenden Soldaten in den russisches Territorium einkreisenden NATO-Staaten. Sie hebt die Bedeutung nuklearer Waffen hervor und beschließt, den neuen Atombombentyp B61-12 auch in Europa zu stationieren. Dieser Typ kann von allen Trägerflugzeugen der Mitgliedstaaten abgeworfen werden. Und der Warschauer Gipfel feiert das Erreichen der "Anfangsoperationsfähigkeit" der US-Raketenabwehr in Rumänien und anderen NATO-Staaten, so in Polen. Außerdem wird in Warschau beschlossen, die Truppenstationierung in Afghanistan zu verlängern, AWACS-Aufklärungsflugzeuge zur Überwachung des Luftraumes über Syrien und dem Irak einzusetzen und an der EU-Marineoperation vor Libyen teilzunehmen.

Der sicher auch von Bodo Ramelow hochgeschätzte Michail Gorbatschow kritisierte in einem Interview am 10. Juli 2016 diese Pläne als "unverantwortlich". Die NATO habe angefangen, sich auf den Übergang vom kalten Krieg zu einem heißen Krieg vorzubereiten. "Wenn es zu einem Krieg kommt, wird es der letzte sein", warnte Gorbatschow. Könnte Bodo letzteres etwa mißverstanden haben und sich darauf freuen, daß die Kriege bald ein Ende haben werden? Gorbatschow hingegen hatte wohl eher an Einstein gedacht, der über einen möglichen dritten Weltkrieg gesagt hatte: "Ich bin mir nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen."

Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Die Kriegsangst geht wieder um - aus sehr nachvollziehbaren Gründen. Wenn wir eine linke Partei bleiben und wenn wir gewählt werden wollen, müssen wir Antikriegspartei bleiben. Sonst sind wir es nicht wert, weiterzuexistieren.


Aus Heft 8/2016 der "Mitteilungen" der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke, redaktionell geringfügig bearbeitet

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Zum Weltfriedenstag am 1. September
Friede für alle, die leben!

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Ein historischer Appell aus Hiroshima

Vor 71 Jahren, am 6. August 1945, fiel die erste Atombombe. Drei Jahre danach fand in Stuttgart eine erste Gedenkstunde statt - auch die vielen folgenden wurden zumeist mit einer Botschaft aus Hiroshima eingeleitet. Im Sommer 1962 nahm der damalige Bürgermeister, Shinzo Hamai, an einer Friedenskonferenz ("World without the bomb") in Accra teil, weshalb sein Appell die Veranstalter, eine "Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Friedensverbände" in jenem Jahr erst mit Verspätung erreichte.

Heute gedenken wir jenes für Hiroshima so grauenvollen Tages. Und obwohl jetzt schon 17 Jahre seit damals vergangen sind, können wir uns noch mit erschreckender Lebhaftigkeit an die Ereignisse jenes furchtbaren Tages erinnern. Das äußerste an Qualen und Martern, das Menschen sich jemals ausdenken konnten, an jenem Tage kam es über uns. Mit unseren eigenen Augen wurden wir Zeugen dieser entsetzlichen Szenen: Menschen, gezwungen, den Pfad der Hölle zu gehen, Menschen mit leeren Augenhöhlen, Menschen mit verstümmelten Armen und Beinen, Menschen als lebende Fackeln in den rasenden Bränden; wir sahen unsere geliebten Kinder, Frauen und Männer auf unvorstellbare Weise umkommen. Aber es war keine Naturkatastrophe, die außerhalb der menschlichen Kontrolle stand, nein, es war eine Katastrophe, ausgelöst durch menschlichen Willen.

Unser wiederholtes Nachdenken über die Ereignisse dieses Tages brachte uns zu der Erkenntnis, daß seine Bedeutung weit über das Schicksal einer einzigen Stadt oder eines einzigen Staates hinausgeht. Deshalb legten wir unseren Kummer und unseren ohnmächtigen Zorn beiseite und wandten uns an alle Völker, an alle Menschen, uns dafür einsetzend, daß sich ein gleiches Verbrechen niemals wiederhole. Wieder einmal richten wir diesen Appell an die Menschheit, um unserer tiefen Sorge Ausdruck zu geben.

Das grauenvolle Blutbad und die riesigen Zerstörungen während des zweiten Weltkriegs übertreffen wohl bei weitem die Folgen der Katastrophe Hiroshimas. Was aber hier betont werden sollte, ist deren Art, weniger ihr Ausmaß. Verglichen mit den gigantischen nuklearen Waffen von heute nehmen sich die Bomben von Hiroshima und Nagasaki wie winzige Zwerge aus. Aber während wir vor der ganzen Welt die verheerenden Folgen dieser einzigen Miniatur-Bombe bezeugten, bedrückte uns ein schrecklicher Gedanke: Wir sahen voraus, daß es für die immer rascher voranschreitende Wissenschaft und Industrie nicht völlig unmöglich wäre, wenn sie sich auf zerstörerische und mörderische Ziele konzentrieren würde, schließlich eine Waffe herauszubringen, mit der die totale Vernichtung der Menschheit mit einem einzigen Knopfdruck leicht und schnell durchgeführt werden könnte. Wie die vergangenen 17 Jahre bewiesen haben, näherte sich die Wirklichkeit immer mehr unserer Vorahnung. Dies sollte tatsächlich die Lehre von Hiroshima und gleichzeitig eine eindringliche Warnung sein!

Die Bombe von Hiroshima hatte eine Stärke von 20.000 Tonnen TNT. Nach zuverlässigen Meldungen werden aber heute von den USA wie von der UdSSR Bomben hergestellt und getestet im Bereich von 10 bis 100 Megatonnen TNT. Allein die Vorstellung, daß eine 100-Megatonnen-Bombe die 5000fache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe hat, ist nahezu unmöglich. Darüber hinaus sind diese schrecklichen Bomben heute nicht mehr das Monopol einer begrenzten Zahl von Staaten. Sollten die gegnerischen Nationen offene Feindseligkeiten gegeneinander beginnen und dabei diese Bomben voll einsetzen, so besteht kein Zweifel, daß beide, Washington und Moskau, schon in den ersten Anfängen des Krieges völlig vernichtet würden, wobei mehrere Millionen Menschen in einem einzigen Augenblick getötet würden. Schlimmer noch ist, daß die Zerstörung nicht auf die kriegführenden Nationen beschränkt sein würde; die radioaktiven Ausfallprodukte der explodierten Bomben würden vielmehr über die ganze Erde niedergehen. Das aber würde die restlose Auslöschung allen Lebens bedeuten.

Ursprünglich entstand der Krieg wohl zur Verteidigung eines Landes oder eines Volkes. In diesem Atomzeitalter sollte es jedoch völlig klar sein, daß ein Krieg mit diesem Ziel nicht mehr zu vereinbaren ist. Wäre etwa eine Verteidigung denkbar, die diesen schrecklichen Waffen wirksam begegnen könnte? Wie berichtet wird, bauen einige Länder unterirdische Bunker, wobei sie allen Ernstes glauben, sich dadurch vor der Vernichtung durch diese Waffen schützen zu können. Angenommen, sie überstünden den eigentlichen Schlag lebend, wie könnten Menschen der sich über die ganze Erde verbreitenden Radioaktivität entgehen?

Man sollte endlich erkennen, daß es heute völlig sinnlos ist zu hoffen, man könne in einer Art Arche Noah dem Untergang entkommen. Im Falle Hiroshimas hatten nicht wenige Menschen von außerhalb versucht, in die ausgebombte Stadt zu gelangen und erste Hilfe zu bringen - sie wurden ein Opfer der Radioaktivität, erholten sich nie, der Tod war der einzige Dank für ihre Menschlichkeit. Zurückgebliebenes radioaktives Material hatte sie gemordet. Das zwingt uns zu der einleuchtenden Folgerung, daß schon ein nuklearer Test eine durch kein moralisches System entschuldbare Sünde ist, bringt er doch direkt oder indirekt durch die Vergiftung der Atmosphäre und der Ozeane unendliches Leid über die Menschheit.

Dumdumgeschosse, Bakterien und Giftgas sind durch internationales Gesetz als Waffen verboten mit der Begründung, sie seien unmenschlich. Jeder Versuch, bei dem die unmenschlichen nuklearen Waffen benutzt werden, sollte als ein grober Verstoß gegen das Völkerrecht angesehen werden.

Wenn im Namen der Gerechtigkeit die Verletzer des Völkerrechts verurteilt werden können, so müßten zuerst diejenigen, die nukleare Waffen benutzt haben, bestraft werden. Weiterhin ist zu beachten, welch riesige wirtschaftliche Last der Menschheit durch das gegenwärtige Wettrüsten aufgebürdet ist. Die Bürger unterwerfen sich willig, verführt durch den doch durchaus annehmbaren Gedanken der "nationalen Verteidigung". Wirkliche Verteidigung aber liegt nicht in einer sich immer mehr steigernden militärischen Expansion, nein, sie liegt vielmehr in einer sofortigen Beendigung des Wettrüstens. Diese Tatsache klar zu erkennen und die Regierungen dazu zu drängen, eine schnelle Übereinkunft mit ihrem Gegner über ein Verbot der Kernwaffen wie über eine allgemeine und völlige Abrüstung zu erzielen, das, so glauben wir, wäre ein Zeichen höchster Weisheit.

Ein sofortiges Ende sollte dem vorhandenen Teufelskreis von nuklearen Tests und militärischer Expansion gesetzt werden. Heute bedeuten einzelne Staaten nicht mehr die größte Gemeinschaft, in der Menschen zusammen dasselbe Schicksal tragen. Die ganze Welt ist zur einen menschlichen Gemeinschaft geworden, in der jeder das Los des Nächsten teilt. Wir sollten es uns nicht erlauben, Kriege zuzulassen, die den Selbstmord der Menschheit bedeuten würden und die Zerstörung von Städten wie Washington, Moskau, London, Paris, Tokio oder irgendeiner anderen Stadt der Welt mit sich bringen. Im Licht der menschlichen Solidarität ist jede von ihnen ein unschätzbares Zeugnis jahrhunderte-, ja jahrtausendelanger Bemühungen unserer Ahnen. Der Mißbrauch von Wissenschaft und Schaffenskraft, den Blüten des menschlichen Geistes, zu völliger Zerstörung und Ausrottung ist offensichtlich das schrecklichste Verbrechen, zu dem menschliche Wesen fähig wären.

Heute, da wir den 17. Jahrestag der Bombardierung Hiroshimas begehen, drücken wir unsere tiefste Sorge über die gegenwärtige internationale Situation mit ihren dauernden, gefährlichen Krisen aus und rufen es wieder einmal hinaus in alle Welt: Dulden wir keine Wiederholung solchen Verbrechens!

Shinzo Hamai, Bürgermeister von Hiroshima
(6. August 1962)

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Exportschlager der Revolution

Kuba hebt sich ab. Drei Errungenschaften seiner Gesellschaft markieren den Unterschied zu anderen Ländern der Region besonders: das allen offen stehende Bildungssystem, die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und sein Gesundheitswesen.

Nach wie vor garantiert der kubanische Staat allen Bürgern eine kostenlose medizinische Versorgung. Ein dichtes Netz aus Vorsorgeeinrichtungen, Familienärzten und Polikliniken steht im Alltag bereit. Die Medizin ist grundsätzlich präventiv ausgerichtet und - Not macht erfinderisch - setzt stark auf alternative und Naturheilmethoden. So vorbildlich das Gesundheitswesen organisiert ist, hat auch diese Perle der Karibik durch die schwere Wirtschaftskrise ab 1991 nach dem Wegfall der sozialistischen Partnerländer Kratzer abbekommen. Wie der Rest der Bevölkerung erlebten auch Ärzte und medizinisches Personal die weitgehende Entwertung ihrer Einkommen. Ausbleibende Investitionen ließen Einrichtungen verfallen, medizinisches Gerät veralten. Bei wichtigen Medikamenten und Verbrauchsmaterialien setzte Mangel ein. Die aus zwingenden Gründen eingeführte Doppelwährung aus nationalem Peso und dem Touristendollar CUC führte auch auf diesem Gebiet zu Ungleichheiten, das harte Geld verkürzt mitunter Wartezeiten oder verschafft Zugang zu besserer Behandlung.

Dennoch: Kubanische Ärzte zählen zu den besten weltweit. Die gute Vorsorge und medizinische Versorgung spiegeln sich statistisch unter anderem in einer hohen durchschnittlichen Lebenserwartung und einer niedrigen Säuglingssterblichkeit wider. Gesundheit ist ein Feld, aus dem das sozialistische System viel symbolisches Kapital schlägt. Und neben Prestige auch bare Münze: Die Humanmedizin ist längst einer der wichtigsten Wirtschaftszweige und ein Exportschlager. Die in diesem Sektor erzielten Einnahmen - in Form von Öl oder Devisen - helfen dabei, Kubas Energieproblem zu lösen, dringend benötigte Importe zu realisieren und auch die Gesundheitsversorgung für seine eigenen Bürger zu verbessern.

Der Kollaps der Volkswirtschaft konnte überwunden werden. Wichtige Eckpfeiler der Gesellschaft, welche die Revolution unter Führung von Fidel Castro 1959 errichtete, blieben erhalten. Neue Märkte und Einnahmequellen waren dafür nötig. Kuba öffnete sich dem internationalen Tourismus. Heute spielt der Gesundheitssektor dabei zunehmend eine wichtige Rolle. Die Welt konnte wahre Wunder der medizinischen Forschung aus Kuba bestaunen: Hier wurden mit die ersten Impfstoffe gegen Meningitis und Hepatitis hergestellt, neue Therapien und Medikamente gegen Krebs entwickelt. Mehr dem Genuß als der Gesundheit dienlich: Kubanischer Rum eroberte den europäischen Markt und macht dort den Plagiaten von Bacardi ihren Platz streitig. Und nicht zuletzt: Bauarbeiter und Ingenieure wurden ins Ausland entsandt, um Geld zu verdienen: für sich und für die ebenso klammen Kassen des Staates.

Das gleiche gilt für ein ganzes Heer von Ärzten und medizinischem Personal: "Hecho en Cuba". Zehntausende Angehörige des kubanischen Gesundheitswesens verrichten ihre Arbeit außerhalb des Landes. Kubaner im weißen Kittel sind nicht nur in der sogenannten Dritten Welt gefragt. Denn ihre Ausbildung und Motivation sind erstklassig. Ob Patientenpflege oder ärztliche Praxis: Hohe ethische Maßstäbe gelten, die ganzheitliche Zuwendung zum Patienten ist selbstverständlich.

Ebenso wichtig wie Diagnosen sind Gespräche, die Erforschung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Seit 1999 wird solches Wissen und Können an der "Escuela Latinoamericana de Medicina" (ELAM - Lateinamerikanische Hochschule für Medizin) an Medizinstudenten aus über 100 Ländern, sogar solchen aus den USA, meist kostenfrei weitergegeben.

Kubanische Ärzte gehen auch dorthin, wo sich dieser Berufsstand in anderen Ländern wegen mangelnder Einträglichkeit eher rar macht. Seit 2003 leben und arbeiten Jahr für Jahr bis zu 20.000 Mediziner und Krankenschwestern im Rahmen des Gesundheitsprogramms Misión Barrio Adentro in den Armenvierteln von Caracas und an anderen Orten Venezuelas. Das südamerikanische Bruderland gibt dafür vor allem von Havanna dringend benötigtes Erdöl zurück. Konnte Kuba in zurückliegenden Jahren sogar noch einen Teil des Energieträgers auf dem Weltmarkt zu Geld machen, zieht nun wieder Knappheit ein. Durch den Verfall des Ölpreises und die politische Destabilisierung steht Venezuelas Regierung von Präsident Nicólas Maduro, der 2013 in die übergroßen Fußstapfen des verstorbenen Hugo Chávez trat, selbst mit dem Rücken zur Wand.

Ärztemangel an den Peripherien der Megastädte und in abgelegenen Regionen wird auch in Brasilien dank einer Kooperation mit Kuba begegnet. Gegen den Protest der überwiegend konservativen Ärzteschaft des Landes holte Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) im Rahmen des 2014 begonnenen Programms "Mais Médicos" (Mehr Ärzte) 4000 kubanische Fachkräfte. Auch wenn deren Löhne kläglich sind, der Löwenanteil in den Haushalt ihres Staats fließt, sind solche in der Regel zweijährigen Einsätze für Kubaner durchaus lukrativ. Bei ihrer Rückkehr haben sie für heimische Verhältnisse ein kleines Vermögen zusammen. Attraktiv ist auch die Möglichkeit, andere Teile der Welt kennenlernen zu können. "Mais Médicos" hat sich für die ärmeren Bevölkerungsteile im größten Land Südamerikas längst bewährt. Das rechte Rollback in Brasiliens Politik aber setzt auch hinter diese Zusammenarbeit für die Zukunft ein Fragezeichen.

Auf dem ganzen Kontinent berühmt ist die 2004 von Kuba initiierte "Misión Milagro" (Mission Wunder). Kubanische Augenspezialisten beseitigen kostenlos Blindheit oder Sehstörungen bei Menschen mit niedrigen Einkommen aus Lateinamerika und der Karibik. Millionen erhalten dabei ihre Sehkraft zurück. Internationale medizinische Hilfe leistet das sozialistische Kuba von Beginn an anderen Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika und Lateinamerika. Nach Naturkatastrophen wie den Erdbeben 2010 in Haiti und Nepal 2015, bei Hilfsmaßnahmen wie gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika handelt Kuba schneller und aktiver als die reichen Länder. Trotz intensiven Versuchen des Brain-Drains, des Abwerbens von Spezialisten in die USA, gehen nur wenige Mediziner bei Auslandsmissionen von der Fahne.

Neben der Schönheit des Landes und der Neugier auf seine Gesellschaft voller Widersprüche sind es gerade das medizinische Know-how und günstige Angebote an Patienten aus aller Welt, die immer mehr Gäste auf die Insel locken. Dafür sorgt das Unternehmen Comercializadora de Servicios Médicos Cubanos (SMC). Verkaufschefin Dr. Iliana Reyes lvarez hat dabei auch Deutschland fest im Blick. Es bestehe ein reger wissenschaftlicher Austausch auf diesem Gebiet zwischen beiden Ländern. Das reiche bis in die DDR-Zeit zurück, berichtet sie im Gespräch, schließlich hätten nicht wenige Kubaner im ostdeutschen Staat studiert. Wie Reyes betont, folge SMC bei seiner Arbeit "den Prinzipien einer sozialistischen Gesellschaft. Kubas Gesundheitswesen hat einen ethisch-humanistischen Charakter."

Peter Steiniger

Weitere Infos: www.erka-med.de oder cubainfo.de

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In der DDR zum Antifaschismus erzogen

Im Jahr 1953 in der DDR (Berlin) geboren, verbrachte ich dort meine Kindheit, meine Jugend, mein Leben bis zur Annexion. Ich lernte, studierte (Jura an der Humboldt-Universität), arbeitete und lebte in diesem, meinem Land.

Wer behauptet, eine Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit Deutschlands sei in der DDR nicht erfolgt, und diese Zeit sei in der Schule nicht thematisiert worden, der hat keine Kenntnis vom Bildungssystem der DDR, der weiß weder etwas über die Inhalte der Lehrpläne noch etwas über Literatur und Kunst dieses Landes.

Anders als in der BRD war die Zeit von 1933 bis 1945, war die Vermittlung von Kenntnissen über die Ursachen, den Beginn und das Ende des Zweiten Weltkriegs Bestandteil der schulischen Bildung, die von Rostock bis Suhl einheitlich umgesetzt worden ist. Die Ehrung der Opfer dieser Zeit kam auch zum Ausdruck in der Gestaltung der Konzentrationslager zu Mahn- und Gedenkstätten, in Gedenktafeln und Straßenbenennungen nach Widerstandskämpfern wie Ernst Thälmann, Dietrich Bonhoeffer oder den Geschwistern Scholl. Bereits unmittelbar nach der Konterrevolution wurden viele Straßen und Plätze in der früheren DDR, die die Namen von Widerstandskämpfern trugen, umbenannt - und das unabhängig davon, ob diese Sozialisten, Kommunisten oder Christen waren. Im Gegensatz dazu waren in der alten BRD Kasernen, Plätze und Straßen nach Menschen benannt, die in der Wehrmacht aktiv waren, oder nach Politikern, die bereits während des Faschismus Karriere gemacht hatten. Ich bin Atheistin, im Sinne des Sozialismus, Kommunismus und Antifaschismus erzogen. Vorurteile und Haß gegenüber Menschen, die anders denken, anders glauben, anders aussehen, anders leben, sind mir fremd. Ich respektiere jede Überzeugung und jeden Glauben, sofern sie nicht im Interesse von Macht, Gier, Unterdrückung und Entmenschlichung mißbraucht werden.

Sehr früh schon erfuhr ich von den während der Zeit des Faschismus begangenen Verbrechen, von den Nürnberger Rassegesetzen, vom Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen, von den Untaten vieler Soldaten der Wehrmacht, der Angehörigen der SS und der Gestapo gegenüber Polen, Franzosen, Ungarn, Belgiern, dem Sowjetvolk, der jüdischen Bevölkerung in all diesen Ländern, bei der Vertreibung aus ihren Häusern, der anschließenden Deportation in Konzentrationslager oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland, der Ermordung Unzähliger. Diese Nationen stehen stellvertretend für das millionenfache, willkürliche Morden der Deutschen und das unvorstellbare Leid, das der Faschismus über die Welt brachte.

Dieses Wissen vermittelte man uns im Geschichtsunterricht, ich erweiterte es während des Studiums und vertiefte es durch Bücher, Prozeßdokumente, Berichte Überlebender, Dokumentarfilme sowie historische Abhandlungen. In Vorbereitung der Jugendweihe fuhr meine Klasse (ich war 14 Jahre alt) nach Weimar und besuchte auch das Konzentrationslager Buchenwald. Von unserem Lehrer hörten wir, ergänzend zum Unterricht, mehr über die Geschichte Deutschlands während der Jahre 1933 bis 1945, vom Zweck der Konzentrationslager und den Verbrechen, die dort begangen wurden.

Ich war 15 Jahre alt, als ich zum ersten Mal das Konzentrationslager Auschwitz besichtigte. Nicht nur einmal war ich dort! In späteren Jahren besuchte ich auch die Konzentrationslager Sachsenhausen, Ravensbrück und Theresienstadt.

Ich gedachte der Opfer des Faschismus in Kazimierz (Kraków), in Warszawa (Jüdisches Ghetto) und auf Venedig.

Es sind nicht nur gläubige Menschen, die der Opfer des Völkermords an den Juden gedenken, sich gegen Antisemitismus in Deutschland wehren und Stellung beziehen. Alle progressiven Kräfte, unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Weltanschauung, haben einen gemeinsamen Feind - das Kapital. Dieser Feind kann nur mit vereinten Kräften besiegt werden.

Unlängst fand ich im GNN-Verlag, Schkeuditz, neben anderen hochinteressanten Büchern, das Buch "Völkermord statt Holocaust. Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR" von Matthias Krauß. Mit diesem Buch polemisiert der Autor gegen die weitverbreitete und immer wieder - zu Propagandazwecken - gern benutzte Lüge, in der DDR sei eine Auseinandersetzung mit dem Völkermord nicht erfolgt.

Völkermord - neudeutsch Holocaust genannt, in der alten BRD so bezeichnet seit dem gleichnamigen US-amerikanischen Film. Übrigens setzt sich der Autor auch mit den Ursachen und Gründen der Verwendung des Begriffes "Holocaust" auseinander und entwickelt dazu interessante, durchaus nachvollziehbare Theorien. Daß es sich bei dem Vorwurf der Nichtaufarbeitung des Holocaust in der DDR um eine Zweckbehauptung handelt, die sich in eine Vielzahl von Unwahrheiten, historischen Verzerrungen bis hin zu gezielten Lügen einreiht, welche nur den Zweck der Diskreditierung der DDR und damit der sozialistischen Idee verfolgen, wissen die Leser des "RotFuchs". Wissen sollten das aber darüber hinaus auch alle, die in den Genuß des DDR-Bildungswesens kamen! Man erinnere sich nur an Romane wie "Nackt unter Wölfen", "Das siebte Kreuz", "Wie der Stahl gehärtet wurde", "Nathan der Weise", "Professor Mamlock", "Abschied", "Jakob der Lügner", die hier nur beispielhaft aufgeführt sind, an Gedichte, Lieder und vieles mehr.

Beate Wesenberg-Schlosser, Berlin

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Völkermord statt Holocaust

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Zum 65. Jahrestag der Bildung des APN der DDR

Am 1. September 1951 gab der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, den Beschluß der DDR-Regierung über die Bildung eines Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung (IWF) bekannt.

Das war die Tarnbezeichnung für den Außenpolitischen Nachrichtendienst (APN) der DDR, der nunmehr die Aufgabe übernehmen sollte, durch zunächst politische, wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Aufklärung sowie die Bearbeitung der westalliierten Einrichtungen in der BRD und in Westberlin Politik und geplante Störmaßnahmen gegen die DDR festzustellen und damit Hilfe für den weiteren Aufbau und die Sicherung der DDR zu leisten - also eine wesentliche Ergänzung der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit, welches bereits am 8. Februar 1950 gegründet worden war. Bis dahin hatten diese Aufgaben noch die in der DDR stationierten UdSSR-Dienste übernommen. Deshalb ging die Initiative zur Bildung eines Außenpolitischen Nachrichtendienstes der DDR vor allem von sowjetischer Seite aus. Es kam zu Gesprächen mit den führenden DDR-Repräsentanten Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Otto Grotewohl. Die sowjetische Seite beauftragte den während des Krieges gegen den deutschen Faschismus vielseitig bewährten Mitarbeiter Grauer und ein Team ebenso bewährter Mitarbeiter mit der Unterstützung der DDR-Seite. Als Leiter des APN wurde Anton Ackermann, Mitglied des Politbüros der SED und Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, berufen. Das entsprach dem sowjetischen Vorbild. Auch dort war die Auslandsaufklärung zu dieser Zeit ein Bereich des Außenministeriums unter Molotow. Zu ersten leitenden Mitarbeitern des APN wurden Richard Stahlmann, verdienter antifaschistischer Widerstandskämpfer und enger Vertrauter und Mitarbeiter von Georgi Dimitroff, und der 28jährige Markus Wolf, Mitarbeiter in der DDR-Botschaft in Moskau und spätere langjährige Chef des Dienstes, berufen. Es folgten weitere verdienstvolle antifaschistische Widerstandskämpfer wie Robert Korb, Gustav Scinda, Herbert Hentschke, Heinrich Weiberg, Robert Großkopf und Gerhard Heidenreich. Der erste Dienstsitz war nach kurzem Provisorium in Pankow Berlin-Mitte, Rolandufer.

Ende 1951, Anfang 1952 wurden weitere erste Mitarbeiter für den Dienst gewonnen. So z.B. Horst Jänicke und Kurt Gailat, die beide in sowjetischer Kriegsgefangenschaft waren und dort Antifa-Schulen besucht hatten. Horst Jänicke arbeitete als Lehrer an einer Parteischule, Kurt Gailat war FDJ-Funktionär. Auch Werner Prosetzky, der für den Dienst gewonnen wurde, war FDJ-Funktionär gewesen. Alle drei waren langjährig im Dienst in leitender Funktion tätig. Horst Jänicke ging 1987 als Generalleutnant in Rente, Werner Prosetzky als Generalmajor 1989 wie auch Kurt Gailat als Oberst.

Im April 1952 begann der erste Lehrgang einer neueingerichteten APN-Schule mit Sitz in Berlin-Pankow, Tschaikowskistraße. Ich gehörte zu den ersten Kursanten, von denen die meisten dann 1953 in den aktiven Dienst eintraten und ebenfalls teils langjährig leitende Funktionen ausübten und in und mit ihren Kollektiven für die DDR und den Warschauer Pakt bedeutende Arbeitsergebnisse erzielten. Beispielhaft seien genannt die Oberste Klaus Rößler, Wolfgang Lange, Günter Herrschel, Gerhard Peyerl.

Als das Ministerium für Staatssicherheit nach den Ereignissen um den 17. Juni 1953 aufgelöst und als Staatssekretariat in das Innenministerium der DDR eingegliedert wurde, wurde auch der APN als Hauptabteilung XV Teil des Staatssekretariats für Staatssicherheit. Markus Wolf wurde stellvertretender Staatssekretär und Leiter der Hauptabteilung XV. Das entsprach auch wieder den Veränderungen in Moskau. Auch dort war die Auslandsaufklärung wiederum ins Komitee für Staatssicherheit eingegliedert worden. Damit war für uns als Mitarbeiter des APN auch die Übernahme in den militärischen Dienst verbunden. Ich wurde z.B. zum Oberleutnant ernannt. 1954 wurde die Aufgabenstellung der HA XV auf die Bearbeitung des Amts Blank, Vorläufer des Bundesverteidigungsministeriums, erweitert. Als 1955 die Staatssicherheit wieder ein eigenes Ministerium unter Minister Wollweber wurde, blieben wir die Hauptabteilung XV unter Leitung von Markus Wolf, der in dieser Eigenschaft auch zum stellvertretenden Minister ernannt wurde. 1956 erfolgten Umstrukturierungen im MfS. Die Hauptabteilung XV wurde zur Hauptverwaltung A (HVA). Dies blieb sie dann bis zum Ende des MfS 1989.

Als letzter Leiter der HVA nehme ich die hiermit gegebene Möglichkeit wahr, allen noch heute lebenden ehemaligen Mitarbeitern der HVA in Berlin, denen in den Abteilungen XV der Bezirksverwaltungen des MfS, den vielen Tausenden DDR-Bürgern, die uns oft über viele Jahre als inoffizielle Mitarbeiter gedient haben, und vor allem den vielen ebensooft über viele Jahre oder gar Jahrzehnte überaus erfolgreich tätigen Kundschaftern herzlich zu danken. Allen bereits Verstorbenen gebührt ein ewiges ehrendes Gedenken.

Werner Großmann, Berlin

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Luis Corvalán ("Don Lucho") - presente!

Vor 100 Jahren, am 14. September 1916, wurde Luis Corvalán in Puerto Montt geboren. Im Alter von 16 Jahren trat er der Kommunistischen Partei Chiles bei. Der ausgebildete Lehrer arbeitete als Journalist für die kommunistischen Zeitungen "Frente Popular" und "El Siglo". Nach dem Verbot der Partei 1947 wurde er für mehrere Jahre in die Gefangenenlager Pitrufquén und Pisagua verschleppt und dennoch 1950 ins Zentralkomitee der KP Chiles gewählt. 1958 wurde Corvalán Generalsekretär der damals stärksten kommunistischen Partei des Kontinents. Er wurde in den Senat gewählt und gehörte zu den wichtigsten Mitbegründern der Unidad Popular, die ab 1970 unter Salvador Allende einen friedlichen Weg zum Sozialismus gehen wollte.

Am 11. September 1973 putschte das Militär, unterstützt von der CIA, gegen den demokratisch gewählten Präsidenten. Viele tausend Menschen wurden ermordet. Luis Corvalán wurde von den Putschisten in das Konzentrationslager Pitroque verschleppt, bis eine riesige internationale Solidaritätsbewegung ihn 1976 freikämpfte. Die Befreiung Luis Corvaláns gehört zu größten Erfolgen der antikapitalistischen Bewegung im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. In einer Zeit, in welcher der Imperialismus in verschiedenen Teilen der Welt daranging, seine Vorherrschaft zurückzuerobern, gelang es, Luis Corvalán der Gewalt der faschistischen Generäle zu entreißen.

Im Nachruf des "nd" auf Corvalán, der am 21. Juli 2010 in Santiago de Chile starb, hieß es: "In der DDR hatte es nach dem Sieg der Unidad Popular 1969 nicht nur enge staatliche Beziehungen zum Chile des sozialistischen Präsidenten Allende gegeben. Es war auch eine starke emotionale Verbundenheit großer Teile der Bevölkerung, besonders der Jugend, mit dem Schicksal der friedlichen Revolution in Chile gewachsen. Der blutige Putsch vom 11. September 1973, verbunden mit dem Tod des Präsidenten Allende sowie der Ermordung oder Einkerkerung Tausender Chilenen, führte deshalb zu einer der größten Solidaritätsaktionen in der Geschichte der DDR.

In deren Zentrum stand der Kampf um die Freilassung Luis Corvaláns, des prominentesten Gefangenen des Regimes. Ähnlich wie wenige Jahre zuvor beim Kampf um die Befreiung der US-Bürgerrechtlerin Angela Davis schickten Kinder und Jugendliche viele tausend Solidaritätspostkarten mit dem Bild des Kommunisten und der Aufschrift 'Freiheit für Luis Corvalán!' nach Chile." RF

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Prof. Dr. Georg Grasnick - Kämpfer und Aufklärer

Die tückische Krankheit war stärker als er - unser Freund, Genosse und unermüdliche Streiter für Frieden und soziale Gerechtigkeit, Georg Grasnick, ist nicht mehr bei uns. Wir werden seinen Rat, seine unerschöpfliche publizistische Arbeit, seinen freundschaftlichen Umgang in der politischen Arbeit mit uns sehr vermissen. Und das betrifft gewiß nicht nur uns - seine Genossen und Freunde -, sondern auch die Menschen in seinem Wohngebiet, die ihn sowohl als einen Mann des Wortes und des Rates als auch als einen der Tat kennengelernt haben.

Zu seinem Leben gehörten die Analyse und publizistische Darstellung der "großen" Weltpolitik genauso wie die aktive Arbeit im Deutschen Friedensrat, in der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde und die ehrenamtliche Arbeit für die Volkssolidarität in seinem Wohngebiet. All das war in seiner Persönlichkeit verbunden, was er mit großer Energie und Hingabe bis ins hohe Alter betrieb.

Woher nahm er immer wieder diese Energie? Ein Teil der Antwort liegt in seinem politischen Lebensweg - der andere in seinem ihm eigenen Charakter, geprägt von unerschütterlicher Treue zu den einmal gewonnenen politischen Überzeugungen, in seiner Fähigkeit zu intensiver wissenschaftlicher Arbeit, in seiner optimistischen Grundhaltung. Letztere bewahrte er sich auch nach den politischen Umbrüchen unserer Zeit. Immer war er progressiv streitbar um der politischen Wahrheit willen, aber auch dann, wenn es um Klarheit und Genauigkeit in der Darstellung politischer Sachverhalte ging.

Georg Grasnick, Jahrgang 1927, Sohn eines Autoschlossers in Berlin-Reinickendorf, besuchte die Volksschule. Von der Oberschulzeit, die sich anschloß, mußte er noch zwei Jahre Kriegsdienst in der faschistischen Wehrmacht leisten. Die Schrecknisse des Krieges und der daraus resultierende Wille, für ein besseres, friedliches Leben einzutreten, bestimmten seinen weiteren Weg - er wurde Mitglied der KPD und engagierte sich in der Antifa-Jugend. Es folgte eine Zeit der politischen "Kleinarbeit", die im damaligen Berlin den Genossen viel abverlangte. Er bewies seine Fähigkeit, mit den Menschen zu reden, bei ihnen Vertrauen in eine bessere Zukunft zu entwickeln. So war es nicht von ungefähr, daß seine Genossen ihn für die Arbeit beim Berliner Rundfunk gewannen. Gewiß hat er damals noch nicht geahnt, daß er einmal - in einem sozialistischen Staat - als "Rundfunkmann" eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Bürger seines Staates, der DDR, und über dessen Grenzen hinaus sowie bei der Verbreitung sozialistischen Gedankengutes spielen würde. Oft hat er davon gesprochen, daß das eine Zeit anspruchsvoller politischer Arbeit, aber für ihn auch eine wichtige Schule war. Waren doch viele seiner Kollegen ältere, in den politischen Kämpfen der Zeit erfahrene Genossen. Zielstrebig hat er deshalb auch im Fernstudium an seiner journalistischen Ausbildung gearbeitet. Er wurde Diplomjournalist und promovierte mit Auszeichnung. Gut vorstellbar, welch hohes Maß an Energie und Organisiertheit ihm dafür abverlangt wurde.

Das Hauptfeld seiner politischen Arbeit sollte allerdings - in seiner späteren Tätigkeit im Staatssekretariat für gesamtdeutsche bzw. westdeutsche Fragen (später Institut für Politik und Wirtschaft der DDR) - die Analyse der imperialistischen Politik der Regierung der BRD gegenüber der DDR werden. Er entlarvte die friedensgefährdende Rolle der BRD in Europa und stellte diese Politik in der Öffentlichkeit dar. Da waren Klarheit der Sprache und Wirksamkeit der politischen Argumentation gefragt. Eine große Zahl von Publikationen, Büchern und Broschüren tragen seinen Namen als Verfasser, und viele von ihnen haben in ihrer Aussage die Zeiten überdauert.

Schon frühzeitig - Georg Grasnick war noch "Rundfunkmann", Chefredakteur des Deutschlandsenders - hatte man ihn in Bonn wegen "agitatorischer Sendungen im Sinne der verbotenen KPD" im Visier. Im Mai 1963 wurde er in Solingen verhaftet, als er als Prozeßbeobachter an der Verhandlung gegen Lorenz Knorr - Mitglied des Präsidiums der DFU - teilnahm, der Generale der Bundeswehr richtigerweise in einer Rede als Nazi-Generäle und Massenmörder bezeichnet hatte. Eine internationale Protestwelle und die Androhung von Gegenmaßnahmen, die Arbeit westlicher Journalisten betreffend, von seiten der DDR erfolgten prompt. Die juristische Grundlage des Willkürakts gegen Grasnick war so dünn, daß für die Bonner Justiz eine Blamage ins Haus stand. Georg Grasnick mußte bald wieder freigelassen werden - er hatte eine ganz persönliche Bekanntschaft mit dem Bonner Rechtsstaat gemacht, wie er später oft bemerkte.

Diese Würdigung für unseren Freund und Genossen Georg Grasnick wäre unvollständig, würden nicht sein konsequentes antifaschistisches Engagement und sein Auftreten gegen jede Art von Geschichtsfälschung erwähnt. Sein umfangreiches Wissen und seine Erfahrungen in den politischen Auseinandersetzungen waren gerade auf diesen Gebieten eine große Hilfe, die er ohne Wenn und Aber zur Verfügung stellte. Er hat damit die Informations- und Aufklärungsarbeit der GBM aktiv unterstützt und zahlreiche Beiträge zu brennenden politischen Themen geschrieben.

Es war ein Gewinn für die politische Arbeit, mit Georg Grasnick zusammenzuarbeiten, seine Texte zu lesen oder einfach auch ihm zuzuhören. Dafür gebühren ihm unser Dank und das Versprechen, in seinem Sinne weiterzuarbeiten.

Arbeitskreis Frieden der GBM
Helmut Semmelmann, Helga Hörning

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Ein gemeinsamer Aufruf von VVN-BdA und KFSR
"No pasaran - Pasaremos!"

Der Bundesausschuß der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und seines Mitgliedsvereins "Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936-1939 e. V." (KFSR) veröffentlichten unter dem Titel "No Pasaran - Pasaremos!" einen gemeinsamen Aufruf zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns in Spanien:

In diesem Jahr erinnert die demokratische Weltöffentlichkeit an den Putsch der reaktionären Generäle, der vor 80 Jahren in Spanien stattfand und knapp drei Jahre später mit der Vernichtung der zweiten Spanischen Republik endete. Heute wissen wir, daß der spanische Krieg 1936-1939 die erste Schlacht des Zweiten Weltkriegs war. Der Sieg Francos und seiner faschistischen Verbündeten markierte einen dramatischen Wendepunkt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Freiwillige aus über 50 Ländern verließen ihre Heimat und Familien und eilten der Spanischen Republik zu Hilfe. Sie formierten sich in den Internationalen Brigaden oder gehörten anderen Einheiten der Spanischen Volksarmee an. Tausende Freiwillige, unter ihnen circa 4000 Deutsche, die in diesem Krieg das bessere Deutschland repräsentierten, kämpften unter Einsatz ihres Lebens an der Seite des spanischen Volkes gegen Faschismus, für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit.

Die Verbundenheit der Kämpfer über die Ländergrenzen hinweg wollen wir als Teil der globalen internationalistischen und antifaschistischen Bewegungen mitnehmen in die Kämpfe der Gegenwart, überall dorthin, wo Menschen heute in ihrem Geiste aktiv sind. In vielen Ländern wird in diesem Jahr der Brigadisten gedacht. Mit vielfältigen Veranstaltungen würdigen Angehörige und Freunde den Einsatz der Freiwilligen. In einigen Ländern, z. B. in Polen, unter schwierigen Bedingungen. In anderen finden die Ehrungen traditionell unter Beteiligung von kommunalen, regionalen und zentralen staatlichen Institutionen statt.

Die offizielle Politik der Bundesrepublik hat in dieser Beziehung noch großen Nachholbedarf. Gemeinsam mit ihrem Mitgliedsverein "Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936-1939 e.V." (KFSR) ruft der Bundesausschuß der VVN-BdA alle Mitglieder, Unterstützer und Gruppen, Antifaschistinnen und Antifaschisten, Initiativen und junge Antifa-Gruppen, die kommunalen und Länderparlamente sowie den deutschen Bundestag auf: Ehren wir die Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in Spanien gekämpft haben! Erinnern wir an ihren Beitrag für ein antifaschistisches und demokratisches Europa! Machen wir den Monat Oktober zum Gedenkmonat für die Internationalen Brigaden!

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Ein großer Verlust
Robert Steigerwald ist tot

Wie wir bereits im Juli-"RotFuchs" kurz meldeten, ist unser Freund und Genosse Robert Steigerwald am 30. Juni 91jährig in Eschborn gestorben.

Er wurde am 24. März 1925 geboren und wuchs in einer kommunistischen Arbeiterfamilie auf. Nach dem Abitur wurde er zur faschistischen Wehrmacht eingezogen und zum Piloten ausgebildet. Nach kurzem Kriegseinsatz ging er freiwillig in US-amerikanische Gefangenschaft, aus der er im Mai 1945 floh und nach Frankfurt zurückkehrte. Ein sozialdemokratischer Onkel erklärte ihm, was der Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten sei: Beide hätten dasselbe Ziel, die Sozialdemokraten wollten es auf demokratischem, die Kommunisten auf diktatorischem Weg erreichen. Steigerwald trat in die SPD ein, gründete deren Jugendverband "Die Falken" mit und wurde in den Vorstand der "Falken" für die Westzonen berufen.

Er begann, sich mit marxistischer Theorie zu befassen. Steigerwald geriet in Widerspruch zur Politik der SPD. 1947 suchte er das Gespräch mit Kurt Schumacher und fragte ihn, auf welcher Seite die SPD stehen würde, wenn es - wie damals zu befürchten war - zum Krieg zwischen den Westmächten und der Sowjetunion kommen würde. Schumacher antwortete: auf der Seite des von Labour regierten England. Steigerwald verließ die SPD und trat 1948 in die KPD ein. Der Hessische Rundfunk, bei dem Steigerwald als Jugendredakteur tätig war, entließ ihn daraufhin.

Steigerwald hatte bereits während seiner Arbeit beim Radio Geschichte und Philosophie studiert. Die Jahre 1949 und 1950 verbrachte er an der Parteihochschule "Karl Marx" der SED in Kleinmachnow, anschließend lehrte er dort ein halbes Jahr lang Philosophie.

1951 kehrte er in die Bundesrepublik zurück und beteiligte sich am Widerstand gegen die Remilitarisierung und die Bildung der Bundeswehr. Weil er die von der Adenauer-Regierung verbotene Volksbefragung über die Wiederbewaffnung mit organisierte, wurde er 1953 zum ersten Mal verhaftet. 1956 verurteilte ihn der Bundesgerichtshof zu dreieinhalb Jahren Haft als "Rädelsführer" in einer "staatsgefährdenden Organisation". Insgesamt saß Steigerwald wegen seiner politischen Tätigkeit als Kommunist fünf Jahre in Straf- und Untersuchungshaft. In der Haft ließ er sich zum Schriftsetzer ausbilden und nutzte die Zeit zum weiteren Studium des Marxismus-Leninismus.

1951 hatte die Bundesregierung den Antrag gestellt, die KPD zu verbieten. Es dauerte bis 1956, bis das Bundesverfassungsgericht das Verbotsurteil fällte, das die Grundlage für die erneute Verfolgung der Kommunisten werden sollte. Steigerwald war der letzte noch Lebende, der an diesem Prozeß beteiligt war: Er arbeitete in der Arbeitsgruppe des Parteivorstandes der KPD mit, welche die juristische Verteidigung koordinierte und gegen die Begründung des Verbots argumentierte.

Daß seine Partei nun verboten war, hielt Steigerwald nicht davon ab, nach der Haftentlassung die Arbeit wieder aufzunehmen. Er leitete die Abteilung Theorie und marxistische Bildung beim Vorstand der illegalen Partei. 1963 beteiligte er sich daran, die Zeitschrift "Marxistische Blätter" zu gründen. Später wurde er ihr Chefredakteur und blieb bis zu seinem Tod Mitherausgeber.

Für die wissenschaftliche Arbeit fand er in der DDR, frei von der Verfolgung der Adenauer-Behörden, die besseren Bedingungen vor - 1968 wurde er in der DDR bei Manfred Buhr mit der Arbeit "Herbert Marcuses dritter Weg" promoviert (1978 Promotion B zum Dr. sc.). In dieser Schrift kritisiert er die Theorie des zur "Frankfurter Schule" gehörenden Philosophen Herbert Marcuse, der damals großen Einfluß in der westdeutschen Studentenbewegung hatte. Die Schrift hatte insofern praktisch-politische Bedeutung, als sie auch dazu diente, das Verhältnis der Marxisten zu der Ideologie der "antiautoritären" Studentenbewegung zu bestimmen. In den 70er und 80er Jahren trat Steigerwald an vielen Universitäten auf - oft auf Einladung des MSB Spartakus -, er diskutierte und stritt mit "antiautoritären" Studierenden, vertrat marxistische Positionen und suchte gleichzeitig Gemeinsamkeiten zwischen Kommunisten und Studentenbewegung.

Steigerwald setzte sich umfassend mit Marcuses Dialektikverständnis auseinander - insbesondere anhand Marcuses Schriften über Georg Friedrich Wilhelm Hegel, so daß die Schrift über den unmittelbaren Gegenstand hinaus ein Beitrag zur marxistischen Philosophie und zur Auseinandersetzung mit der "Frankfurter Schule" ist. Steigerwald forschte auf dem Gebiet der marxistischen Philosophie, gleichzeitig arbeitete er dafür, den Marxismus zu verbreiten und besonders für Jugendliche aus der Arbeiterklasse verständlich zu machen. In den späten 1960er Jahren wurde er Vorsitzender des Zusammenschlusses der marxistischen Arbeiterbildungsvereine (MAB).

Er war lange Vorsitzender, zuletzt Ehrenvorsitzender der Marx-Engels-Stiftung. Seine Einführung in die marxistische Philosophie, die unter verschiedenen Titeln, in mehreren Auflagen und Übersetzungen erschien, bietet einen anschaulichen Zugang zu Fragen der marxistischen Dialektik, Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie.

1968, als sich das Klima in der Bundesrepublik veränderte, nutzten die Kommunisten die Möglichkeit, um trotz KPD-Verbot wieder eine legale kommunistische Partei zu bilden. Sie konstituierten sich neu als DKP. Steigerwald war daran beteiligt, von Anfang der 70er Jahre bis 1990 war er Mitglied des Parteivorstandes der DKP. Neben der philosophischen Forschung und der Verbreitung des Marxismus war die Arbeit an der Programmatik der kommunistischen Partei ein Feld, auf dem Steigerwald jahrzehntelang tätig war. Vor allem arbeitete er den Gedanken aus, daß die Kommunisten dafür eintreten, alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenzuschließen, deren Interessen im Widerspruch zu den größten Banken und Konzernen stehen - den Gedanken der Strategie des antimonopolistischen Bündnisses.

Die sogenannte Wende, das Ende der europäischen sozialistischen Staaten, sah Steigerwald als einen Rückschlag. Für den marxistischen Philosophen änderte das nichts an der Erkenntnis, daß die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft zu ihrer Auflösung durch den Sozialismus drängen. In der Diktion der "FAZ" (12.2.1990) wurden er und Willi Gerns als "zwei dieser alten Schlachtrösser" qualifiziert, die "in verstocktem Sinne ehrlich" die Ereignisse in der DDR als "konterrevolutionären Prozeß" bezeichneten. Die Niederlage von 1989 brachte ihn nicht dazu, den Marxismus aufzugeben - aber dazu, die Grundfragen der marxistischen Philosophie erneut zu stellen. Solange es seine Gesundheit erlaubte, nahm er an der Arbeit der DKP teil, hielt Vorträge und forschte. RF


Buchtips

• Materialistische Philosophie.
Eine Einführung für junge Leute, verschiedene Auflagen

• Herbert Marcuses dritter Weg.
Pahl-Rugenstein-Verlag, Köln 1969

• Marxistische Klassenanalyse oder spätbürgerliche Mythen (Lenin-Verfälschung / Linksrevisionismus / Antikommunismus). Akademie-Verlag, Berlin 1972

• Marxismus - Religion - Gegenwart.
Akademie-Verlag, Berlin 1973

• (mit W. Gerns) Probleme der Strategie des antimonopolistischen Kampfes. Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt/Main 1973

• (mit J. Milhau) Lenin und der Revisionismus in der Philosophie. Akademie-Verlag, Berlin 1975

• (mit M. Buhr) Verzicht auf Fortschritt, Geschichte, Erkenntnis und Wahrheit. Zu den Grundtendenzen der gegenwärtigen bürgerlichen Philosophie. Akademie-Verlag 1981

• Marxismuskritik heute. Probleme - Widersprüche - Widerlegungen. Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt/Main 1986

• Abschied vom Materialismus? Zur Antikritik heutiger
Materialismuskritik, 2. Auflage, GNN, Schkeuditz 1999

• Philosophie und Politik. Festschrift für Robert Steigerwald. Herausgegeben von W. Gerns, H. H. Holz, H. Kopp, Th. Metscher, W. Seppmann in Zusammenarbeit mit der Marx-Engels-Stiftung, Wuppertal. Neue-Impulse-Verlag, Essen 2005

• Das Haus im Sandweg. Eine sozialistische Familienchronik. Neue-Impulse-Verlag, Essen 2008

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Dramatische Warnung Leonardo Boffs

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Zum Gedenken an Daniel Berrigan

Friedensbewegung und Befreiungstheologie werden von der vom herrschenden System korrumpierten Kirchenhierarchie und von dem ihr ergebenen theologischen Personal als kommunistische Gespenster wahrgenommen. Wie sich christlicher Glaube in der historischen Realität widerspiegeln kann, zeigen die befreiungstheologisch handelnden US-Priester Daniel Berrigan und Philip Berrigan. Unter Inkaufnahme vieler persönlicher Risiken kämpften sie aktiv gegen den Völkermord der USA in Indochina, sie engagierten sich in der internationalen Friedensbewegung gegen Kriegsrüstung und Krieg, gegen Unterdrückung, Versklavung und Elend von aber Millionen Menschen. In der Verbindung christlicher und marxistischer Elemente des Humanismus wird die revolutionäre Umkehrung der Verhältnisse zur Hoffnung der Gegenwart.


Gerhard Oberkofler: Friedensbewegung und Befreiungstheologie. Marxistische Fragmente zum Gedenken an den Friedenskämpfer Daniel Berrigan SJ. trafo-Wissenschaftsverlag (Hochschulschriften, Band 42), Berlin 2016, 124 S., ca. 14 €

Daniel Berrigan wurde am 9. Mai 1921 in Virginia, Minnesota, geboren; er starb am 30. April 2016 in New York City, New York

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Vereinigte Staaten von Europa?

Vor 70 Jahren, am 19. September 1946, hielt Winston Churchill jene berühmte Rede, die die Idee der "europäischen" Einigung in die politische Praxis einführte. Die Idee war nicht neu und hatte eine lange Geschichte. Wladimir Iljitsch Lenin und Rosa Luxemburg hatten schon während des ersten Weltkrieges nachgewiesen, daß ein solches "vereinigtes Europa" reaktionär sein würde oder nicht zustande käme.

Nach dem Kriegsende 1945 verbanden sich in London, Paris und Bonn höchst unterschiedliche Ziele und Interessen mit dem "einigen" Europa. Der antifaschistische Widerstandskämpfer und Theologe Helmut Gollwitzer erklärte 1964: "Alle Großstaaten entwickeln bestimmte, von ihren Interessen diktierte europäische Konzeptionen." Jedes "Europa"-Bild zeige nationale Färbungen. Das betraf die Politik Adenauers in besonderem Maße. Zu den ersten Schritten auf dem "europäischen" Wege gehörte der Vertrag von Dünkirchen vom 4. März 1947 und der Brüsseler Fünfmächtepakt (Westunion) vom 17. März 1948, den England und Frankreich mit den Benelux-Staaten abschlossen. Bemerkenswert war, daß die Verträge eine neue deutsche Aggression verhindern sollten. Diese Begründung wählte auch noch der erste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay. Nach den Worten Ismays sollten die USA "drin", die UdSSR "draußen" und Deutschland "unten" (keep down) bleiben. Diese Ausgangsbedingungen bestimmten die Außenpolitik Adenauers, der 1964 in seinen Erinnerungen rückblickend erklärte: "Das Wichtigste war, unser Land nach seiner völligen Niederlage und seinem Zusammenbruch aus der Isolierung herauszuführen. Ich mußte alles versuchen, unsere Gegner aus dem Zweiten Weltkrieg zu Verbündeten und zu Freunden zu gewinnen. Das erforderte ein sehr vorsichtiges psychologisches Vorgehen. Mein Hauptanliegen war, Deutschland als gleichberechtigten Staat in die Völkergemeinschaft zurückzuführen und die Eingliederung Deutschlands in die freie Welt zu erreichen."

Mit der "Westbindung" auf antisowjetischer Grundlage, differenzierter "Versöhnungs"-Politik und ökonomischer Stärke erlangte die BRD hinter der Nebelwand der "europäischen Einigung" eine Stärke und Stellung, die ihr jene Politik erlaubte, die Helmut Kohl als Komplize der USA 1989/90 betrieb. Mitterrand, Thatcher und Andreotti leisteten anfangs noch hinhaltenden Widerstand gegen die Machtausdehnung des deutschen Imperialismus. Als Gorbatschow die "Osterweiterung" des deutschen Imperialismus akzeptierte und nicht einmal der NATO-Ausdehnung nach Osten einen wirksamen Riegel vorschob, gab auch London seinen Widerstand auf. Lord Ismays Hoffnung, Deutschland werde "down" gehalten, hatte sich nicht erfüllt. Für England mit seiner Empire-Tradition entstand nach 1990 eine neue Lage. ln den Jahrzehnten zuvor hatte es sowohl unter den Konservativen als auch in der Labour Party heftige Auseinandersetzungen um ihre Stellung zu "Europa" gegeben. Erst 1975 erfolgte der Beitritt Großbritanniens zur EWG, nachdem es Sonderbestimmungen durchgesetzt hatte, die Angela Merkel heute "Rosinen" nennt.

Der Volksentscheid über den Austritt Englands aus der europäischen Gemeinschaft machte mit 52 % für und 48 % gegen den Brexit sichtbar, daß das Land gespalten ist. In Schottland sind die Kräfte stärker geworden, die über ein Referendum für die Unabhängigkeit in die EU zurückkehren wollen.

Mit Sicherheit ist der Brexit ein tiefer Einschnitt in der Geschichte Europas, für England der tiefste Einschnitt seit 1945, der ein "Weiter so" nicht zuläßt. Führende PDL-Politiker erklärten: "Mit dem heutigen Tag ist der Kampf um eine neue soziale und politische Idee für ein Europa des Friedens und der Weltoffenheit neu entbrannt." Vielleicht können Lenins und Luxemburgs Ratschläge bei diesem Kampf helfen.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Meine Erfahrungen mit den "Antinationalen"

In der letzten Zeit hört man immer wieder etwas über diese skurrile Bewegung. Hier in Potsdam im alternativen Jugendzentrum "Freiland" fand vor kurzem eine Veranstaltungsreihe unter dem Motto "never united" statt. Unterstützt wurde die Reihe unter anderem von der Amadeo-Antonio-Stiftung, die auch von der Ford Foundation, einem amerikanischem Großkonzern, finanziert wird. Mir wurde von den Veranstaltern erklärt, daß sie als Gegenveranstaltung zu den Treffen der Regionalgruppe Potsdam des "RotFuchs"-Fördervereins bestimmt sei, die wir dort regelmäßig durchführten. Wir hatten schon vorher feststellen müssen, daß dieses Jugendzentrum unter dem Einfluß der "Antideutschen" stand. Hatte man uns doch kurzfristig für eine Veranstaltung mit Reiner Braun die Raumnutzung untersagt mit dem Vorwurf, er sei ein "Querfrontler". Das gleiche war schon ein Jahr zuvor bei einer Veranstaltung über den Konflikt Israel - Palästina geschehen, für die wir Irene Eckert, Mitglied des Arbeitskreises "Für Friedenspolitik - Atomwaffenfreies Europa", gewonnen hatten. Sie wurde bezichtigt, Antisemitin zu sein.

Auch der DKP war eine Zusammenkunft zum Thema faschistische Ausschreitungen in Odessa untersagt worden. In Gesprächen erklärte man uns, der Begriff "Antideutsche" sei, weil er in Verruf gekommen wäre, ausgetauscht worden durch das Wort "Antinationale". Selbstverständlich waren wir bei den Veranstaltungen anwesend. Der Saal war gefüllt mit vorwiegend jungen Menschen, die weitgehend widerspruchlos das, was ihnen dort geboten wurde, aufnahmen. Gestört haben nur wir mit unseren Ansichten. Nach den Ausführungen des ersten Referenten wurde uns endgültig klar, was es mit den "Antinationalen" auf sich hat. Keine Kritik am USA-Imperialismus, Schuldzuweisungen nur an Rußland. Wenn man etwas gegen die Politik der USA sagte, war man Anti-Amerikaner, wenn man Verständnis für Rußland zeigte, war man ein "Russenfreund", wenn man den Wahrheitsgehalt bürgerlicher Medien anzweifelte, war man "Verschwörungsideologe". Kritisierte man die Siedlungspolitik Israels im Westjordangebiet und im Gazastreifen, war man Antisemit. Verleumdet wurden die Friedensbewegung, die Ostermärsche, ehrenwerte Persönlichkeiten wie Edgar Snowden, Evelyn Hecht-Galinski, Konstantin Wecker, Eugen Drewermann, die gesamte Linke, die VVN/BDA - kurzum, alle Gegner des kapitalistischen Systems und die aktivsten Friedenskämpfer.

Den Vogel schoß dann Jan Rathje von der Amadeo-Antonio-Stiftung ab, der in seinen Ausführungen über Bernie Sanders, Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei der USA, herzog. Dieser erklärte, daß 1 % der Bevölkerung der USA 50 % des Gesamtvermögens des Landes besitzen und 99 % die anderen 50 %, was in einem Verhältnis von 1 zu 99 steht.

Ich fragte ihn: "Sie verteidigen hier das kapitalistische System." Die Antwort: "Ja, das ist eben so."

Anschließend erläuterte er ein Zehnpunkteprogramm mit Vorschlägen, wie man mit Kritikern umgehen müsse: isolieren, nicht wahrnehmen, ignorieren und ähnliches. So ist dann auch mit uns verfahren worden. Man hat uns die Zusammenarbeit aufgekündigt und die weitere Nutzung der Räumlichkeiten im "Freiland" untersagt.

Was tun? Die Argumente der "Antinationalen" sind inzwischen in Teilen der Linkspartei, in bestimmten Antifa-Gruppen, auch in linken Presseorganen zu hören. Sie wirken wie ein Spaltpilz in den antikapitalistischen Organisationen und Gruppierungen. Anklang finden sie bei Jugendlichen, weil sie aktiv gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Nazis auftreten, sie zu Gegenaktionen organisieren und das dafür nutzen, unter ihnen ihre diffusen und unserer Sache schädlichen Positionen zu verbreiten.

Der "RotFuchs" steht für die Einheit aller wahren linken und Friedenskräfte. Den "Antinationalen" sollten wir gemeinsam mit unseren Verbündeten eine deutliche Abfuhr erteilen. Sie sind das Werkzeug unserer ideologischen Gegner, die die größte Gefahr für ihr kapitalistisches System in der Einheit der linken Kräfte und der Friedensbewegung sehen.

Michael Brix, Potsdam

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Über die Remilitarisierung Westdeutschlands und einige "Väter" von Bundeswehr, BND und Grenzschutz

Braune Wurzeln ...

Der von den deutschen Faschisten angezettelte II. Weltkrieg war kaum beendet, da verlangte der spätere westdeutsche Bundeskanzler, Konrad Adenauer, im Jahre 1946 eine "europäische Armee" mit deutscher Beteiligung. General Hans Speidel, dessen militärische Karriere bereits im I. Weltkrieg begann, forderte im Juni 1948 in einer Denkschrift die "Gleichbehandlung" einer künftigen deutschen Armee. Speidel brachte es in seiner militärischen Laufbahn - I. Weltkrieg, II. Weltkrieg und Bundeswehr - bis zum Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Mitteleuropa. Speidel war seit 1948 "Berater" von Konrad Adenauer. Ein weiterer Berater war Adolf Heusinger, Berufssoldat seit 1915, ab 1937 im Generalstab der faschistischen deutschen Wehrmacht. Er hatte sich "Verdienste" erworben als Ostfeldzugplaner, Partisanenbekämpfer und Erfinder des Volkssturms. Seine militärische Karriere gipfelte am 1. März 1957 in der Ernennung zum ersten Generalinspekteur der Bundeswehr.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Ein weiteres Beispiel: Friedrich Foertsch, seit 1918 Reichswehr, ab 1943 Generalstabschef Ostfront, beteiligt an der 900 Tage dauernden Belagerung Leningrads. In der Sowjetunion wurde Foertsch wegen Kriegsverbrechen zu 25 Jahren verurteilt. In Westdeutschland geht die militärische Karriere weiter: 1956 Generalmajor der Bundeswehr, ab 1961 zweiter Generalinspekteur der Bundeswehr.

Seit 1950 existierte das "Amt Blank". Dieses Amt diente der Vorbereitung der Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Wichtige Mitarbeiter waren schon hier Hans Speidel und Adolf Heusinger. Voran gingen sogenannte informelle Zirkel von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren, die sich als Lobbyisten für die Wiederbewaffnung betätigten. Vom damaligen Leiter des Amtes Blank und späteren Minister, Theodor Blank, wurde immer gern suggeriert, daß die Bundeswehr quasi aus dem Nichts entstanden sei. Dem ist aber nicht so, sie war das Kind bereits bestehender Strukturen und Organisationen.

Seit dem 16.3.1951 gab es den Bundesgrenzschutz. Diese "paramilitärische" Polizeieinheit verfügte bis in die 80er Jahre über mittelschwere Infanteriewaffen. Bezeichnend ist, daß auch hier der erste Kommandeur, Anton Grasser, eine braune Vergangenheit hatte: bis 1936 Major der Polizei, dann Wechsel zur Wehrmacht. Im II. Weltkrieg agierte er als General der Infanterie, war kommandierender General und Oberbefehlshaber der Armeeabteilung Narva. In der westdeutschen Hierarchie brachte er es zum Inspekteur des BGS und Kommandeur des BGS-Kommandos Süd.

Eine weitere wichtige Figur: Reinhard Gehlen, Generalmajor der deutschen Wehrmacht, Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost", ab Juni 1946 Leiter des von den USA gebildeten Nachrichtendienstes mit deutschem Personal. Die damaligen Mitarbeiter rekrutierten sich überwiegend aus Angehörigen der faschistischen Organisationen SS, SD, Gestapo und Abwehr. Das war der Grundstein des heutigen BND. Gehlen brachte es in der BRD zum Dienstgrad Generalleutnant.

Am 12.11.1955, dem 200. Geburtstag des preußischen Generals Gerhard von Scharnhorst, wurde die Bundeswehr offiziell gegründet. Diesem Ereignis ging eine Bundestagsdebatte vom 16./17.7.1955 voraus. Hier verabschiedete man ein sogenanntes Freiwilligengesetz, das die Einstellung von 6000 freiwilligen Soldaten vorsah. Bereits am 1.7.1956 wurde in Westdeutschland die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.

(Zur Erinnerung: Die Nationale Volksarmee der DDR wurde am 1.3.1956 gegründet. Eine Wehrpflicht gab es dort erst ab dem 24.1.1962.)

Die Hauptstoßrichtung der neu zu gründenden Armee gab der 1. Generalstabsoffizier, Johann Adolf Graf von Kielmansegg, vor, ebenfalls durch die Schule des faschistischen Generalstabs gegangen und Berater von Adenauer. In der "Welt" schrieb er am 6.1.1955: "Wer die Verteidigung der Bundesrepublik bejaht, muß fordern, daß diese an der Zonengrenze, und zwar wirksam, beginnt." Das war eine inoffizielle Kriegserklärung an die DDR.

In diesem Geist wurde die Armee der sogenannten Bürger in Uniform aufgebaut. Was über die Jahre daraus gemacht wurde, erleben wir heute. Die "Bürger in Uniform" lassen im Namen des deutschen Monopolkapitals, aber auch des selbsternannten Weltpolizisten USA, ihre Masken fallen.

Übrigens war die BRD in den Nachkriegsjahren als Waffenexporteur an achter Stelle, überwiegend mit Exporten ins faschistische Franco-Spanien. 2015 ist die BRD auf der Welt-Rangliste der Waffenexporteure an die dritte Stelle vorgerückt. Welch eine Entwicklung! Der Profit der Rüstungsindustrie ist immerhin gesichert - der Frieden auf der Welt leider nicht.

Wilfried Steinfah, Berlin


Wir empfehlen zur Ergänzung:

• "Braunbuch" über Kriegs- und Naziverbrecher in der BRD und in Westberlin (verschiedene Ausgaben)

• Deutsche Kriegsbrandstifter wieder am Werk (Eine Dokumentation über die Militarisierung Westdeutschlands). 3 Bände. Verlag des Ministeriums für nationale Verteidigung / Deutscher Militärverlag, Berlin 1959 bis 1961, zahlreiche Abbildungen, insgesamt 1012 S.

• Joachim Krüger / Joachim Schulz: Kriegsverbrecher Heusinger. 45 Jahre im Solde des deutschen Imperialismus. Verlag des Ministeriums für nationale Verteidigung, Berlin 1960, 248 S.

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Waffen des Imperialismus

Waffen - seit Menschengedenken sind sie Mittel zur Durchsetzung von Machtansprüchen mittels Gewalt, aber auch zur Verteidigung gegen Gewalt. Wie Karl Marx feststellte, spaltet sich die ganze Gesellschaft im Verlauf ihrer Entwicklung "mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat". Diese Entwicklung ist auch eng mit der stetigen Neuentwicklung von Waffen und ganzen Waffensystemen verbunden, die durch die Bourgeoisie in ihrer Eigenschaft als Besitzer der Produktionsmittel vorangetrieben wird, um ihre Machtansprüche zu festigen und zu vervollkommnen.

Vergleichen wir Geschichte und Gegenwart, so scheint der Drang nach Osten, nach Rohstoffen, nach Land, nach noch mehr Profit stärker als der Drang nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker.

1945 - der deutsche Faschismus, die Banken und Konzerne sind zerschlagen, und die Losung "Nie wieder Krieg" ist in aller Munde - doch das leider nur im Osten Deutschlands.

Die Bundesregierung hatte Anfang der 50er Jahre gegen erbitterten Widerstand von Teilen der Bevölkerung, aber mit Zustimmung der USA ihr Ja zur Wiederbewaffnung gegeben und damit die Grundlage für den Neuaufbau der deutschen Rüstungsindustrie geschaffen, die heute den dritten Platz bei den weltweiten Waffenexporten einnimmt. Keine der bisherigen Bundesregierungen - auch keine SPD-geführte - hat die Waffengeschäfte bisher gestoppt. Im Gegenteil, deutsche "Wertarbeit" verkaufte und verkauft sich ausgesprochen gut, ob an NATO-Partner, Militärdiktaturen oder in Krisengebiete - nicht zuletzt auch mit Hilfe von Schmiergeld. Der Tod war und ist ein Meister aus Deutschland. Er bleibt es so lange, bis wir den Kampf gegen ihn ausreichend verstärken und ihn gewinnen. Mag jemand sagen, es gibt doch das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz u.ä. Aber diese bieten so viele bewußt geschaffene Schlupflöcher, daß es müßig ist, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Konzentriert man sich beim Thema Waffen auf Deutschland, beginnend im vergangenen Jahrhundert, so wird sichtbar, daß sich bis heute eine Rüstungslobby herausbildete, die ihren Einfluß dazu nutzt, eigene Interessen zur Erzielung maximaler Profite gegenüber der jeweiligen Regierung durchzusetzen. Daß dies gelungen ist, zeigt sich heute daran, daß der Militärhaushalt der Bundesrepublik allein in den letzten 15 Jahren um rund 25 % gewachsen ist. Die seit 1992 erfolgten 55 Auslandseinsätze der Bundeswehr, die die Summe von 17,2 Mrd. Euro an Steuergeldern verschlangen, dürften einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet haben. Aktuell sind die Rüstungsexporte der Quell von Höchstprofiten. Daß sie zugleich immer Krieg, Zerstörung und Tod bedeuten und ein Instrument der deutschen Außenpolitik sind, wird von den Politikern geflissentlich verschwiegen. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang sind die bürgerlichen Medien, die "Meinungsmacher", die dem Volk die Notwendigkeit einer solchen Politik, die Notwendigkeit der Aufrüstung, schmackhaft machen. Im Vordergrund stehen dabei zum einen die Forderungen nach "mehr deutscher Verantwortung in der Welt" und zum anderen die Dämonisierung Rußlands. Beides verschlingt bei der praktischen Umsetzung enorme Summen. Im Hintergrund geht es um die geschickte Umschreibung deutscher Weltmachtansprüche. Wie solche enden, ist aus der Geschichte bekannt.

Und nicht zu vergessen, die "Beruhigungspille" des Vizekanzlers, der für die Genehmigung von Rüstungsexporten verantwortlich zeichnet und der mit der Behauptung "Die Vorgängerregierung ist schuld" die Verantwortung für diverse Rüstungsexporte von sich weist. Auch Kleinigkeiten werden bei der Meinungsmache nicht außer acht gelassen, um das Volk auf mögliche Veränderungen einzustimmen. So geschehen unter der Rubrik "Kurzmeldungen" eines Fernsehsenders vom 29. Juni: "Einer Studie zufolge will die Mehrheit der Bundesbürger die Wiedereinführung der Wehrpflicht." Ein Satz, unkommentiert. Hintergrund sind vermutlich die Personalsorgen der Bundeswehr. Oder ein Beispiel aus dem Jahr 2014: "Russisches U-Boot vor Stockholm". Kürzlich wurde nun richtiggestellt, daß es sich um ein schwedisches Boot handelte. Das Ziel aber war erreicht - die Militärausgaben Schwedens wurden um rund 600 Mio. Euro erhöht. Norwegen August 2015: Die angeblich teuerste Fernsehserie des Landes "Okkupiert" handelt von einer russischen Invasion. Hintergrund auch hier: die Vorbereitung der gegenwärtig von der NATO-Führung geforderten Erhöhung der Rüstungsausgaben der Mitgliedsländer und der suggerierten Notwendigkeit der Truppenstationierung der NATO an der Westgrenze Rußlands. Solche und ähnliche Berichterstattungen der Meinungsmacher, die sich gegen Rußland richten, haben nur ein Ziel - unterschwellig die Bereitschaft der eigenen Bevölkerung für einen neuen Krieg zu erreichen.

Die differenzierten Koordinierungsmaßnahmen im Interesse der Rüstungsunternehmen erscheinen sehr vielfältig. Ein Beispiel hierfür zeigt sich in der Vergabe sogenannter Hausausweise für Lobbyisten, die den Zugang zum deutschen Bundestag ermöglichen. Im Jahre 2015 waren das über 400 Verbände, Unternehmen und Organisationen, deren Vertreter sich die Klinke in die Hand gaben, um politische Entscheidungen des Bundestages in ihrem Sinne beeinflussen zu können. Rüstungsvertreter wurden vorrangig mit Hausausweisen der CDU/CSU ausgestattet.

Nehmen wir eine dieser Organisationen heraus - die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Sie verfügte 2015 über 43 Hausausweise. Die KAS bereitet Umsturzversuche in anderen Ländern ideologisch und mit großer finanzieller Unterstützung der dortigen "Systemgegner" vor, koordiniert deren Vorgehensweisen und bildet sie aus. Alles im Interesse der "westlichen Wertegemeinschaft", des Imperialismus. Gelingt ein Umsturz, sind deutsche Waffenlobbyisten gerngesehene Gäste, und in der Folge sind deutsche Waffenlieferungen in diese Länder vorprogrammiert. Selbstverständlich um die "Freiheit" zu verteidigen!

Die Reihe dieser Einmischung ist lang - Chile, Georgien, Jugoslawien, Ukraine, Rußland, die lateinamerikanischen Staaten, um nur einige wenige zu nennen. Und nicht nur das. Vertreter der KAS forderten im Rahmen einer Studie den Ausbau der westlichen Kernwaffen zum Zwecke der "glaubwürdigen Abschreckung" Rußlands.

Der Frieden ist in Gefahr. Tun wir alles in unseren Kräften Stehende, den Kriegstreibern das Handwerk zu legen!

Dietmar Hänel, Flöha

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Stoppt den historischen Revisionismus!

Am 13. Juni veröffentlichte die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (Fédération Internationale des Résistants, FIR) eine Erklärung zu aktuellen Tendenzen in der Geschichtspolitik in Europa. Hier der Wortlaut:

71 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg sieht die FIR mit großer Sorge ernsthafte Probleme in mehreren europäischen Ländern, vor allem in Mittel- und Osteuropa (Polen, Baltikum, Ungarn, der Ukraine, Kroatien u. a.) aufgrund geschichtsrevisionistischer Tendenzen.

- Es ist nicht hinnehmbar, daß Denkmäler der Befreier demontiert oder durch die gegenwärtigen politischen Regierungen zerstört werden wie in Polen, Kroatien und der Ukraine.

- Es ist nicht hinnehmbar, daß der heroische Kampf der Partisanen und Widerstandskämpfer denunziert und dessen Bedeutung in der Öffentlichkeit abgewertet wird.

- Es ist nicht hinnehmbar, wenn der Faschismus mit dem Kommunismus oder die Führer der antifaschistischen Siege mit NS-Verbrechern verglichen werden.

- Es ist nicht hinnehmbar, daß Nazi-Kollaborateure und SS-Soldaten hoch geehrt werden wie in baltischen Staaten und in der Ukraine und sie als "Freiheitskämpfer" bezeichnet werden.

- Es ist nicht hinnehmbar, daß die heutigen Generationen mit fehlerhaften Informationen und revisionistischen Ansichten über den Kampf des Widerstands konfrontiert werden wie in Polen und Ungarn.

Wir verurteilen alle diese Arten von historischem Revisionismus. Es ist politisch gefährlich, weil diese Geschichtsfälschung oft mit der politischen Akzeptanz der extremen Rechten und offen faschistischer Gruppen und Propaganda, wie in der Ukraine, verbunden ist. Wie wir sehen können, gibt es solche Tendenzen auch in Polen oder Ungarn.

Die FIR und ihre Mitgliedsverbände treten ein für die historische Wahrheit über den Kampf des antifaschistischen Widerstands und die Bewahrung der Erinnerung an diejenigen, die gegen Faschismus und Krieg gekämpft haben. Wir erinnern uns an alle Frauen und Männer, die ihr Leben opferten, ihre Gesundheit und ihre Freiheit riskierten, um für die Freiheit ihres Landes und die Befreiung Europas zu kämpfen. - Wir sehen mit Stolz, daß in einigen Ländern die antifaschistischen Widerstandskämpfer und Veteranenverbände in der Lage sind, zu diesem Thema die jüngeren Generationen zu mobilisieren, wie wir es in Italien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Rußland und einigen anderen europäischen Ländern erleben. Dies sind hoffnungsvolle Signale, daß alle Versuche des historischen Revisionismus ihre politische und antifaschistische Antwort finden.

Wir ermutigen Schulen und Universitäten, Historiker, Pädagogen und antifaschistische Kämpfer, weiterhin jungen Menschen die Geschichte des Kampfes gegen den Faschismus und die reale Geschichte des Zweiten Weltkrieges nahezubringen.

Wir fordern das Europäische Parlament und die politisch Verantwortlichen in allen europäischen Ländern auf, ihren eigenen öffentlichen Erklärungen zu folgen - angesichts der 71. Jahrestage der Befreiung und des Sieges - nie wieder solchen Geschichtsrevisionismus zuzulassen und die Ehre der Widerstandskämpfer und der Opfer des Nazismus zu verteidigen.

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Wem die Bundesregierung Renten gewährt

Die Bundesregierung überweist ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, die im Baltikum oder anderswo leben und seinerzeit an Untaten des NS-Regimes beteiligt waren, regelmäßig eine Rente. Nach 1990 erhoben etwa 100.000 ehemalige "Kriegsfreiwillige" in der BRD einen Rentenanspruch für sich. Dies konnten sie tun, weil immer noch das Dekret des Hitler-Nachfolgers Karl Dönitz von 1945 gilt, nach dem Kriegsrenten zu gewähren sind. Sich berufend auf den Grundsatz "Verträge sind einzuhalten" bezogen gemäß dem Bundesversorgungsgesetz im Jahre 2012 insgesamt 900.000 Personen eine "deutsche Kriegsrente".

Was sind das für Menschen, für die die BRD bereit ist, jährlich weit mehr als 12 Milliarden Euro auszugeben? Zwei Beispiele von in der DDR verurteilten Kriegsverbrechern mögen das verdeutlichen.

Am 1. Januar 1979 verurteilte das Bezirksgericht Potsdam den ehemaligen Offizier der lettischen Waffen-SS Stanislavs Steins alias Alexander Schrams wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Steins, Jahrgang 1916, stammte aus einer Bauernfamilie in Rogali/Lettland und arbeitete in einer Amtsverwaltung, bis er 1939 zur lettischen Armee einberufen wurde. Er war entschiedener Gegner der Sowjetmacht und meldete sich im Juli 1940 zum Lettischen Selbstschutz, versah Wachdienst in Riga. Von der Sicherheitshilfspolizei übernommen, diente er im berüchtigten "Kommando Arjajs", das der deutschen faschistischen Sicherheitspolizei und dem SD unterstand. Dabei war er davon überzeugt, daß die physische Vernichtung der Gegner der Besatzungsmacht der nationalen Sache Lettlands diene, und wirkte in diesem Sinne im Lettischen Ordnungsdienst als Leutnant und Adjutant des Kommandeurs des lettischen Schutzmannschafts-Bataillons 27. 1944 wurde er als SS-Untersturmführer von der Waffen-SS übernommen.

Im Bewußtsein der von ihm begangenen Massenmorde beschaffte sich Steins auf dem Rückzug andere Personalpapiere. Unter Nutzung seiner russischen Sprachkenntnisse erschlich er sich als Alexander Schrams eine Tätigkeit als Dolmetscher bei einer sowjetischen Baueinheit in Potsdam, dann im Spezialbaukombinat Potsdam. Ihm gelang es meisterhaft, seinen Haß auf das Volk seiner früheren Mordopfer bis zu seiner Festnahme am 23. September 1977 zu verbergen.

Verurteilt wurde Steins für folgende Verbrechen: Im Juli 1941 beteiligte er sich am Zusammentreiben der Rigaer Juden in das Ghetto und dem Raub ihres Eigentums. Er verfolgte sowjetische Funktionäre und Patrioten, Mitglieder der Kommunistischen Partei und des Komsomol, die später meist ermordet wurden. Vom Juli 1941 bis 1943 war Steins an der Ermordung von Sowjetbürgern und Juden im Bikerniki-Wald beteiligt, wobei in vier Aktionen 40 Personen erschossen wurden, davon vier von Steins eigenhändig. Bei zehn Massakern an insgesamt 1000 Juden bewachte er bei sechs Erschießungen die Mordopfer bzw. trieb sie den Mordschützen zu und gehörte viermal dem Erschießungskommando an, wobei er 40 Personen eigenhändig erschoß. Ende November/Anfang Dezember 1941 nahm er an der Liquidierung des Rigaer Ghettos teil und beteiligte sich im Wald von Rumbula an der Erschießung von 6000 Juden. Dabei trieb er dreimal je 1000 Opfer zur Mordstätte und erschoß selbst zehn Juden.

Am 18. März 1971 verurteilte das Stadtgericht Berlin den ehemaligen Gestapoangehörigen Hans Baumgartner wegen begangener Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen im Raum Libau, Azipute (Hasenpoth) und Schkede nach der faschistischen Okkupation Lettlands zum Tode. Baumgartner war Angehöriger eines der berüchtigten Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD und der in Libau errichteten Gestapo-Dienststelle, die eng mit rekrutierten lettischen Kollaborateuren zusammenarbeitete. Er war beteiligt an Mißhandlungen sowie Morden an mehreren tausend Juden, Zivilisten, Kriegsgefangenen, Widerstandskämpfern und sowjetischen Funktionären und Patrioten. So beteiligte sich Baumgartner in Libau an der Zusammentreibung und Inhaftierung von mindestens 3000 Juden. Er wirkte ab Juli 1941 mit an der Erschießung von insgesamt 6329 Männern, Frauen und Kindern, meistens Juden, auch Zivilisten, Widerstandskämpfern und Kriegsgefangenen. Unter seiner Mitwirkung wurde vom 14. bis 16. Dezember fast die gesamte jüdische Bevölkerung von Libau getötet. Seine Verbrechen dauerten bis zum Rückzug im September 1943 aus Lettland an.

Baumgartner und Steins waren in der Untersuchungshaftanstalt des MfS Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Es ist bezeichnend, daß heute in der dortigen "Gedenkstätte" beide Naziverbrecher in keiner Weise erwähnt werden, wie überhaupt alle dort inhaftierten Nazi- und Kriegsverbrecher anscheinend nur als Geister existierten.

Reiner Stenzel, Berlin

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RF-Extra
Schriftsteller der Welt für den Frieden der Welt

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Zur Geschichte des demokratischen Rundfunks
"Hier spricht Berlin!"

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Ende RF Extra

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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG

Marx' Lebensweg bis zur Ausarbeitung des Kommunistischen Manifests
3. Teil und Schluß

Seit Mitte der 60er-Jahre hat der damalige "Deutschlandsender" (später umbenannt in "Stimme der DDR") eine auch in Westdeutschland gehörte und beachtete Sendereihe mit Vorträgen zu Fragen unserer wissenschaftlichen Weltanschauung ausgestrahlt, deren Manuskripte sich erhalten haben und die wir den Lesern des "RotFuchs" in einer Auswahl zur Verfügung stellen - inhaltlich wurde nichts verändert, von unumgänglichen Kürzungen abgesehen. Man kann diese Vorträge lesen als Kapitel eines Geschichtsbuchs (dazu auch immer die Angabe des seinerzeitigen Sendetermins) und zugleich als Einführung in die Grundlagen marxistisch-leninistischen Denkens. Viele auch in den Vorträgen zum Ausdruck kommende Hoffnungen haben sich mit und nach der Konterrevolution von 1989/90 zerschlagen, manche Prognosen haben den Praxistest nicht bestanden. Wesentliche Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und anderen unserer Theoretiker aber haben nach wie vor Bestand, an ihnen halten wir (gelegentlich deswegen als Ewiggestrige beschimpft) fest, sie wollen wir - auch mit dieser Serie - vermitteln. RF

Sendetermin: 7. Mai 1968

Im Mittelpunkt der heutigen Folge steht die nun in Gemeinschaft mit Friedrich Engels von Marx vorgenommene Erarbeitung der Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus in den Jahren 1844 bis 1848, die in der Verschmelzung von Arbeiterbewegung und wissenschaftlicher Theorie, in der Gründung der ersten revolutionären Arbeiterpartei in der Geschichte, im Bund der Kommunisten, einen Höhepunkt fand.

Zuvor aber noch einige biographische Details. Marx und seine junge Frau hatten in Paris in der Rue Vanneau Quartier genommen. Im selben Hause lebte auch der deutsche Emigrant German Maurer, ein Kommunist, der Marx in die geheimen Gesellschaften der Pariser Arbeiter einführte.

Das junge Paar war reich an Freunden, aber nicht an reichen Freunden. Bei ihm verkehrte der ebenfalls in Paris im Exil lebende deutsche Dichter Heinrich Heine, den bald nicht nur Hochachtung und Verehrung, sondern Freundschaft mit Karl Marx verband.

Gemeinsam mit Engels arbeitete Marx in den folgenden zwei Jahren in der 1845 erschienenen "Heiligen Familie" und in dem damals unveröffentlicht gebliebenen Manuskript "Die deutsche Ideologie" die Grundzüge des dialektischen und historischen Materialismus, der wissenschaftlichen Weltanschauung des Proletariats, aus. Charakteristisch für ihre Arbeitsweise war, daß sich Marx und Engels sowohl mit den Errungenschaften der internationalen Wissenschaft, vor allem der klassischen deutschen Philosophie, der klassischen englischen Ökonomie und den französischen Lehren vom Klassenkampf und vom Sozialismus als auch mit den im Klassenkampf gesammelten Erfahrungen der englischen, französischen und deutschen Arbeiter kritisch auseinandersetzten. Den Beitrag jedes Volkes zur Weltkultur zu berücksichtigen und zu würdigen, war für Marx zeitlebens ein selbstverständliches Gebot des echten Wissenschaftlers und Humanisten.

Das läßt auch "Die heilige Familie" erkennen. Der eigenartige Titel des Buches rührt übrigens daher, daß Marx scherzhaft die Gebrüder Bauer, seine einstigen Gesinnungsfreunde als Junghegelianer, als "Heilige Familie" bezeichnete, und das deshalb, weil sie sich als Gralshüter des Hegelianismus aufspielten.

In ihrem Buch bemühten sich Marx und Engels um den Nachweis, daß weder übernatürliche Mächte noch das menschliche Bewußtsein, noch "Helden" Geschichte machen, sondern allein die werktätigen Massen durch ihre Arbeit und ihren politischen Kampf die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft vorantreiben. All jenen aber, die damals unter Verweis auf das unentwickelte Klassenbewußtsein des Proletariats die historische Mission der Arbeiterklasse in Zweifel zogen, antwortete Marx: "Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird."(1) In der ökonomischen und sozialen Stellung, die das Proletariat in der kapitalistischen Gesellschaft einnimmt, erkannte Marx die entscheidende objektive Ursache für die revolutionäre Befreiungsmission der Arbeiterklasse. So verwandelte Marx die Idee des Sozialismus aus einer Utopie in eine Wissenschaft.

Dem gleichen Ziel diente "Die deutsche Ideologie", in der sich die beiden Freunde mit den verschiedenen Varianten des damals in Deutschland herrschenden philosophischen Idealismus, aber auch mit den Schwächen des Feuerbachschen Materialismus auseinandersetzten. Wie aus jedem echten wissenschaftlichen Meinungsstreit entstanden auch aus dieser Polemik neue Erkenntnisse, nämlich die Grundzüge der materialistischen Dialektik. Marx hat die damit erreichte völlig neue Qualität des philosophischen Denkens in einer der damals niedergeschriebenen "Thesen über Feuerbach" so formuliert: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern."(2) In diesem kurzen Satz steckte, um mit Engels zu sprechen, "der geniale Keim der neuen Weltanschauung".(3)

In ihrem mehrere hundert Seiten umfassenden Manuskript erläuterten die beiden Freunde, warum sowohl philosophische, historische und andere Ideen als auch politische Verhältnisse und Staatsformen als auch die gesamte Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in letzter Instanz ihre Wurzel in den ökonomischen Verhältnissen haben, in denen die Menschen leben, in der Entwicklung materieller Kräfte, der Produktivkräfte.

Marx und Engels wiesen nach, daß zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen ein gesetzmäßiger Zusammenhang und eine Wechselwirkung besteht, daß die Produktivkräfte der Gesellschaft auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung zu den vorhandenen Produktionsverhältnissen in Widerspruch geraten und sodann eine Epoche sozialer Revolutionen eintritt, in deren Verlauf sich mit der ökonomischen Basis auch der gesamte Überbau mehr oder weniger schnell umwälzt.

Mit dieser materialistisch-dialektischen Geschichtsauffassung war Marx und Engels die gültige Antwort auf die wichtigsten jener geschichtsphilosophischen Fragen gelungen, die frühere Philosophen und Gesellschaftstheoretiker zwar gestellt hatten, aber nicht beantworten konnten. Zum ersten Mal hatten Marx und Engels in der "Deutschen Ideologie" das Wesen des Klassenkampfes in der modernen Gesellschaft analysiert und vor allem die historische Rolle des Proletariats begründet, "durch eine Revolution, in der ... die Macht der bisherigen Produktions- und Verkehrsweise und gesellschaftlichen Gliederung gestürzt wird",(4) die politische Macht zu erobern.

Marx war inzwischen, Anfang 1845, auf Betreiben der preußischen Regierung aus Frankreich ausgewiesen worden und hatte sich mit seiner Frau und dem neun Monate alten Töchterchen Jenny in Brüssel niedergelassen. Für ihn verband sich das Streben nach Erkenntnis der wissenschaftlichen Wahrheit so unlöslich mit dem Befreiungskampf der arbeitenden Massen, wie das bei keinem der großen Denker früherer Zeiten der Fall war. Deshalb konzentrierte er sich neben seiner wissenschaftlichen Arbeit darauf, durch enge Kontakte mit Arbeiterorganisationen und progressiven Intellektuellen in verschiedenen Ländern die von ihm gemeinsam mit Engels erarbeiteten theoretischen Erkenntnisse, den wissenschaftlichen Sozialismus, mit der Arbeiterbewegung zu verbinden. Diese Aufgabe, die dank der glücklichen Kombination von subjektiven Voraussetzungen und objektiver historischer Notwendigkeit in so erstaunlich kurzer Frist verwirklicht werden konnte, wurde unter der Führung von Marx und Engels erstmalig vollbracht durch die 1847 erfolgte Schaffung der ersten revolutionären Partei der Arbeiterklasse.

Hier in Brüssel traf Marx auch mit Ferdinand Freiligrath, dem Sänger der herannahenden Revolution, und mit Georg Weerth, dem ersten Dichter des deutschen Proletariats, zusammen.

Marx und Engels gingen in ihrem Bemühen, die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus mit der Arbeiterbewegung zu verbinden, nicht von irrealen Wunschvorstellungen aus, sondern sie knüpften an das an, was bereits vorhanden war, und vertrauten fest darauf, daß sich unter den fortgeschrittenen Teilen der europäischen und zunächst vor allem der deutschen Arbeiterklasse die Wahrheit des wissenschaftlichen Sozialismus gegenüber vorhandenen unwissenschaftlichen Auffassungen durchsetzen werde. Um diesen Klärungsprozeß zu leiten und zu beschleunigen, gründeten sie zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen in Brüssel ein Kommunistisches Korrespondenz-Komitee. Durch Korrespondenz mit den in mehreren Ländern bestehenden verschiedenen Gruppen der sozialistischen und kommunistischen Bewegung begannen sie, Erfahrungen und Meinungen auszutauschen, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verbreiten und zur Diskussion zu stellen und den Einfluß der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie unter den fortgeschrittensten Arbeitern zurückzudrängen.

Besonders wichtig war, daß auch die in Paris und ab Herbst 1846 in London wirkenden Leiter des Bundes der Gerechten Verbindung mit Marx und Engels aufnahmen und dadurch deren wissenschaftlichen Erkenntnissen Eingang in die Bundesorganisation verschafften. Die in London, Paris und anderen französischen, deutschen, belgischen, Schweizer und skandinavischen Städten im Geheimen wirkenden Bundesmitglieder hatten sowohl die für den Aufstand einer kleinen Minderheit berechneten Theorien August Blanquis als auch den sogenannten friedlichen Kommunismus Etienne Cabets verworfen. Sie hatten sich auch vom utopischen Arbeiterkommunismus Wilhelm Weitlings, der den konkreten Weg zum Sturz der verhaßten kapitalistischen Ausbeuterordnung nicht zu weisen vermochte, vom kleinbürgerlichen "wahren" Sozialismus und vom Proudhonismus, die den Kapitalismus nicht stürzen, sondern reformieren wollten, distanziert. Dieser von harten Auseinandersetzungen begleitete Klärungsprozeß überzeugte die Führer des Bundes der Gerechten schließlich von der Richtigkeit der Marxschen Auffassungsweise. Im Frühjahr 1847 schickten sie einen Emissär zu Marx und Engels und forderten sie auf, dem Bund beizutreten, an seiner Reorganisation mitzuwirken und auf einem Kongreß ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse darzulegen.

Marx und Engels sahen ihr jahrelanges Bemühen, Philosophie und Proletariat, den wissenschaftlichen Sozialismus und die Arbeiterbewegung miteinander zu verbinden, von Erfolg gekrönt. Sie schlugen in die dargebotene Hand ein. Marx widmete sich nun mit voller Kraft der Reorganisation des Bundes, die auf zwei Bundeskongressen 1847 in London vollzogen wurde. Unter führender Mitwirkung von Marx gab sich der Bund einen neuen Namen: "Bund der Kommunisten" und ersetzte die alte Bundeslosung "Alle Menschen sind Brüder" durch den neuen Schlachtruf "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!", der den proletarischen und internationalistischen Charakter des Kampfes offen proklamierte. Die Kongreßdelegierten nahmen nach gründlicher Diskussion im gesamten Bund ein neues, auf dem demokratischen Zentralismus basierendes Statut an, in dem als Zweck und Ziel des Bundes "der Sturz der Bourgeoisie, die Herrschaft des Proletariats, die Aufhebung der alten, auf Klassengegensätzen beruhenden bürgerlichen Gesellschaft und die Gründung einer neuen Gesellschaft ohne Klassen und ohne Privateigentum"(5) erklärt wurden.

Mit diesen Beschlüssen war die unter unmittelbarer führender Mitwirkung von Marx erfolgte Gründung der ersten revolutionären und mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerüsteten Partei der Arbeiterklasse abgeschlossen. Der Bund der Kommunisten war seinem Programm und seiner Zusammensetzung nach sowohl eine internationale Organisation der Arbeiterklasse als auch die erste deutsche Arbeiterpartei. Zählte er auch nur einige hundert, höchstens fünfhundert Mitglieder, so wurde mit ihm doch der Grundstein gelegt für die gesamte weitere Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung. Mit dem Bund der Kommunisten verwirklichten Marx und Engels zum ersten Mal einen der zentralen Gedanken des wissenschaftlichen Sozialismus: "Damit am Tag der Entscheidung das Proletariat stark genug ist zu siegen, ist es nötig ..., daß es eine besondre Partei bildet, getrennt von allen andern und ihnen entgegengesetzt, eine selbstbewußte Klassenpartei."(6)

Westdeutsche Historiker bemühen sich seit langem, die historische Tatsache zu leugnen oder zu entstellen, daß am Beginn der deutschen Arbeiterbewegung Marx und Engels und das Kommunistische Manifest standen. Sie wollen die wirkliche Geschichte der Arbeiterbewegung vom Bund der Kommunisten über die Internationale Arbeiterassoziation und die Eisenacher Partei bis zur Durchsetzung des Marxismus in der revolutionären deutschen Sozialdemokratie am Ende des 19. Jahrhunderts als eine von den Kommunisten erfundene "Marx-Legende" abtun. Statt dessen bemühen sie sich, den bürgerlichen Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung zu verabsolutieren und innerhalb der Arbeiterbewegung die elementaren und die reformistischen Tendenzen als die bestimmenden auszugeben. Damit soll der revolutionäre, marxistische Ursprung der internationalen und der deutschen Arbeiterbewegung, der im Bund der Kommunisten besteht, geleugnet werden.

Die der geschichtlichen Wahrheit widersprechende historisch-politische Zielstellung dieser Historiker ist ganz eindeutig: Indem man den Kampf von Marx und Engels um die Vereinigung von Arbeiterbewegung und Marxismus verfälscht, wird eine selbständige Klassenpartei als unnötig, ja, als Widerspruch zur Integration der Arbeiterklasse in die kapitalistische Gesellschaft ausgegeben. So entsteht in der Retorte eine Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ohne Marxismus und ohne revolutionäre Partei, eine Geschichte der Arbeiterbewegung, in der Reformisten, Revisionisten und schließlich Kollaborateure des Imperialismus die eigentlichen Helden und Traditionsträger sind.

Nach Beendigung des zweiten Kongresses des Bundes der Kommunisten kehrte Marx nach Brüssel zurück und arbeitete gemeinsam mit Engels, der sich damals in Paris aufhielt, das "Manifest der Kommunistischen Partei" aus. Ende Februar 1848 erschien es in einer kleinen Londoner Arbeiterdruckerei in der Liverpool Street im Stadtteil Bishopsgate.

Mancher mag sich fragen, ob es Zufall war, daß der wissenschaftliche Sozialismus von Deutschen ausgearbeitet wurde. Um die Mitte der vierziger Jahre hatte der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat alle kapitalistisch fortgeschrittenen Länder Europas erfaßt. Auch in Deutschland hatte die industrielle Revolution begonnen, war der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat bereits in blutigen Auseinandersetzungen offen zutage getreten. Aber in Deutschland - wie auch in anderen wichtigen europäischen Staaten - herrschte noch die Feudalklasse. Sie mußte zunächst durch eine bürgerliche Revolution gestürzt werden. So waren in Deutschland die inneren Widersprüche der gesamten europäischen Gesellschaft und damit die Voraussetzungen für eine Revolution am weitesten herangereift. Diese gesellschaftlichen Widersprüche, die ihrem Wesen nach weder spezifisch deutsch noch englisch, noch französisch waren, sondern Widersprüche, die auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung überall in der Welt auftraten und auftreten, verlangten gebieterisch nach einer theoretischen Antwort. Das "Manifest der Kommunistischen Partei" gab diese Antwort.


Anmerkungen:

(1) Friedrich Engels/Karl Marx: Die Heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. In: MEW, Bd. 2, S. 38

(2) Karl Marx: Thesen über Feuerbach. In: MEW, Bd. 3, S. 7

(3) Friedrich Engels: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: MEW, Bd. 21, S. 264

(4) Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. In: MEW, Bd. 3, S. 68

(5) Statuten des Bundes der Kommunisten. In: MEW, Bd. 4, S. 596

(6) Engels an Gerson Trier, 18. Dezember 1889. In: MEW, Bd. 37, S. 326

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Zur Verabschiedung des österreichischen Bundespräsidenten
Ein Leben als Komplize

Wer war dieser Heinz Fischer, der am 8. Juli nach zwölfjähriger Amtszeit als Bundespräsident Österreichs feierlich verabschiedet wurde? Sicher nicht nur die immer lächelnde Figur einer Staatsoperette! Nein, er war zeitlebens vor allem Komplize, wobei er es gut verstanden hat, seinem Image den Anstrich von bürgerlicher Wohlanständigkeit und gelebter Humanität zu geben, glaubwürdig, wenngleich völlig unecht.

Der 1938 geborene Fischer hat eine juristische Ausbildung in Wien 1961 mit dem Doktorat abgeschlossen. Der Juristenberuf ist, was seine Ausübung durch Fischer illustriert, nicht neutral, er ist widersprüchlich mit der Haupttendenz, die Paragraphen im Geiste des herrschenden Systems anzuwenden. Fischer wird durch gute Kontakte sogleich hauptamtlicher Parteifunktionär der Sozialistischen (seit 1991 Sozialdemokratischen) Partei Österreichs. Er wird Klubsekretär der Sozialistischen Parlamentsfraktion und 1971 in den Nationalrat gewählt, dem er, abgesehen von seiner Funktion als Wissenschaftsminister (1983-1987) bis 2004, in den Jahren 1990 bis 2002 als dessen Präsident, angehört hat. Seitdem war er, 2010 wiedergewählt, bis 8. Juli 2016 Bundespräsident.

Die politische Hauptlinie von Fischer ist zeitlebens der Krieg und Elend in Kauf nehmende US-amerikanische Antikommunismus. Jeder kreative Gedanke, über das System der bürgerlichen Demokratie mit ihren tödlichen Geschäfts- und Machtverhältnissen hinauszugehen, ging dem österreichischen Sozialdemokraten Fischer ab.

Als 1956 in Ungarn Mitglieder der Kommunistischen Partei gelyncht wurden und sich in Budapest die vom Ausland unterstützten faschistischen Banden sammelten, verteilte der Student Fischer antikommunistische Flugblätter. "Ich glaube", so Fischer, "daß meine innere Überzeugung hinsichtlich der Notwendigkeit von Pluralismus, Demokratie und Menschenrechte durch nichts so gestärkt und gefestigt wurde wie durch die Auseinandersetzung mit den Deformationen und Verbrechen des Kommunismus - wenn ich von den Monstrositäten des Nationalsozialismus absehe." Er, so Fischer, weigere sich zu akzeptieren, daß der Kommunismus links von der Sozialdemokratie stehe, "weil 'links' für mich unter anderem ein Synonym für 'systemkritisch', 'gesellschaftsverändernd', 'menschenrechtsorientiert', 'freiheitsliebend' und 'human' ist - Werte, die von den Kommunisten ausnahmslos mit Füßen getreten wurden". Wie aber schaut der Einsatz von Fischer zur Verwirklichung dieser schönen Losungen, mit denen nicht nur sein Genosse Tony Blair Kriege begonnen hat, abseits von Eröffnungsreden konkret aus?

Im Frühjahr 1964 wird Fischer für das "Young Foreign Leaders Program" der USA rekrutiert. Im Sommer 1967 war er wieder in den USA, lernte beim damaligen Harvardprofessor und von Ehrgeiz getriebenen Sicherheitsberater Henry Kissinger internationale Politik und wurde mit US-Politikern bekannt, "mit denen er lebenslang politische und teilweise auch private Kontakte pflegen wird". Der politische Aufstieg von Fischer beginnt mit seinen US-Aufenthalten und US-"Freundschaften".

In seiner 2009 publizierten und autorisierten Biographie ist es ihm deshalb keine Zeile wert, daß diese seine Freunde mit Kissinger an der Spitze für den Völkermord in Vietnam verantwortlich waren. Mehr als drei Millionen Vietnamesen sind durch den US-Imperialismus unmittelbar zu Tode gekommen, und heute noch werden viele Kinder wegen der Spätfolgen mit Mißbildungen oder Krebs geboren. In sein Bilderbuch hat Fischer auch ein Foto seines Staatsbesuchs in Vietnam (2012) aufgenommen, das seinen vietnamesischen Amtskollegen und ihn vor einer Büste von Ho Chi Minh zeigt. Das ist wahrlich schamlos, kein Wort des Bedauerns von Fischer über die von ihm mit vertretene US-Barbarei! Der dritte Generalsekretär der UNO, U Thant, hat während der Präparierung von Fischer für den US-Imperialismus in den USA am 30. Juli 1967 erklärt: "Dieser Krieg kann so lange nicht beendet werden, solange die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten nicht erkennen, daß der Kampf der Vietnamesen nicht einen kommunistischen Angriffskrieg, sondern einen nationalen Befreiungskrieg darstellt." In Vietnam von US-Soldaten mit Napalm in Brand gesetzte Kinder oder von ihnen gefolterte Vietcong waren für Fischer notwendige Opfer der Freiheitsliebe und Menschenrechte im Kampf gegen den Weltkommunismus ­...

Fischer ist durch das internationale Ansehen, das Bruno Kreisky zu Recht hatte, und aufgrund seiner Parteifunktionen auch Weltrevolutionären begegnet, die für die Freiheit und den Frieden der Völker und insgesamt für den Fortschritt der Menschheit gekämpft haben. In seinem Bilderbuch renommiert Fischer mit gemeinsamen Abbildungen neben Nelson Mandela und Fidel Castro. Ist er beiden tatsächlich begegnet? So wie man reisen kann, ohne sich je fortzubewegen, so können "Begegnungen" ohne Begegnung, seien sie persönlich oder literarisch, stattfinden. In den Erinnerungsbüchern von Mandela ("Der lange Weg zur Freiheit") und Fidel Castro ("Mein Leben") wird Fischer nicht einmal beiläufig erwähnt. Im übrigen auch nicht in der Autobiographie des österreichischen Präsidentschaftskandidaten und Friedenskämpfers Robert Jungk ("Zukunft zwischen Angst und Hoffnung"). Welchen Eindruck hätte der korrumpierte Komplize von Kissinger auch hinterlassen können?

Als Befreiungskämpfer und Häftling hat Mandela gelernt: "Ich besorgte mir die vollständigen Werke von Marx und Engels, Lenin, Stalin, Fidel Castro, Ho Chi Minh und Mao Tse-tung und vertiefte mich in die Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus. Doch hatte ich nur wenig Zeit, diese Werke gründlich zu studieren. Während das 'Kommunistische Manifest' mich anregte, erschöpfte mich 'Das Kapital'. Die Idee einer klassenlosen Gesellschaft hatte auf mich eine starke Anziehungskraft [...] Der Gedanke, daß die Geschichte durch Kampf fortschreitet und Wandel sich in revolutionären Sprüngen vollzieht, war gleichfalls anziehend. Die Lektüre marxistischer Werke vermittelte mir viele Informationen über jene Art von Problemen, denen sich ein praktischer Politiker gegenübersieht. Marxisten hatten schon lange nationale Befreiungsbewegungen unterstützt, und die Sowjetunion im besonderen die nationalen Kämpfe vieler Kolonialvölker [...]."

Fischer ist ein zur höchsten Staatswürde gelangter Vertreter des Apparats der Sozialdemokratie in ihrem Übergang von einer reformistischen Bewegung zur verfaulenden Stagnation, in der sie in der Gegenwart angekommen ist. Keine moderne Partei kann ohne einen Apparat auskommen. Es ist unvermeidbar, daß die angestellten, in eine strikte hierarchische Ordnung eingegliederten Funktionäre den politischen Weg der Partei wesentlich bestimmen. Der Parteiapparat ist stabil, seine Finanzgebarung kann er unabhängig von den Beiträgen der Parteimitglieder gestalten, auch deshalb ist er auf innerparteiliche demokratische Mitbestimmung nicht wirklich angewiesen. Fischer war seit den 60er Jahren in der Führungsetage der SPÖ, er ist mitverantwortlich dafür, daß diese im Sumpf der Gegenwart angekommen ist. Fischer hat das österreichische Volk wiederholt getäuscht. Schon der EU-Beitritt hat entgegen aller Beteuerungen die Neutralität Österreichs verletzt, und jetzt steht der Beitritt zur NATO nicht einmal mehr zur Diskussion. In den letzten Wochen seiner Amtszeit hat Fischer demonstrativ deutsche, in Österreich für ihre Kriegseinsätze bis hin zum Hindukusch übende Truppen besucht. An wen denkt Karl Kraus, wenn er von "Berufspolitikern und ähnlichen Parasiten am Geiste und am Blute" spricht? Es müssen die Fischers gewesen sein ...

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler

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Generalangriff auf türkische und kurdische Linke in der BRD

Im Durchschnitt vergeht inzwischen kaum ein Monat, ohne daß auf Geheiß des Bundesjustizministeriums eine Aktivistin oder ein Aktivist der linken Exilopposition festgenommen und abgeurteilt wird. Vorgeworfen wird ihnen stets, Mitglieder in kriminalisierten Organisationen zu sein und für diese Demonstrationen organisiert, Seminare abgehalten oder Gelder gesammelt zu haben, was hierzulande als "Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung" (§ 129b StGB) verfolgt wird.

So befinden sich derzeit neun kurdische Politiker in deutschen Gefängnissen, denen die Tätigkeit in der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) vorgeworfen wird. So viele Inhaftierte der kurdischen Bewegung hat es seit vielen Jahren nicht gegeben. Ihnen allen drohen aller Wahrscheinlichkeit nach mehrjährige Haftstrafen.

Ebenfalls inhaftiert sind zehn Genossinnen und Genossen, denen die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) vorgeworfen wird. Sie waren am 15. April vergangenen Jahres in einer europaweiten Polizeioperation festgenommen worden und befinden sich seitdem in Untersuchungshaft. Alle Angeklagten leben bereits seit zehn Jahren in Europa, und die Mehrheit sind anerkannte politische Flüchtlinge, die bereits in der Türkei inhaftiert und teils gefoltert worden waren. Obwohl die TKP/ML außerhalb der Türkei in keinem Land verboten ist und sich nicht auf den "Terrorlisten" der USA und der EU befindet, wird ihnen seit dem 17. Juni vor dem Oberlandesgericht in München der Prozeß gemacht.

Sie sollen gegen das türkische Regime und für eine sozialistische Gesellschaftsordnung gekämpft haben. Erschwerend kommt aus der Sicht der Bundesanwaltschaft (BAW) wohl hinzu, daß die TKP/ML im Verbund mit der PKK steht. Darüber hinaus ist bekannt, daß sich Mitglieder der maoistisch orientierten Partei am Kampf gegen den "Islamischen Staat" im syrisch-kurdischen Rojava beteiligen. Für letzteres erhalten prowestliche kurdische Peschmergas aus dem Nordirak im übrigen militärische Unterstützung der Bundesregierung.

Weder das Polizeiaufgebot noch die scharfen willkürlichen Kontrollen mit Leibesvisitationen und dem Kopieren des Personalausweises konnten verhindern, daß der Gerichtssaal am 17. Juni zur politischen Bühne wurde und durchgängig mit linken Aktivisten besetzt war. Die Angeklagten wurden mit minutenlangem Applaus und Parolen für deren Freilassung und gegen das türkische Regime begrüßt. Diese hatten sich erfolgreich gegen das Vorführen in Ketten gewehrt.

Auf Druck der Verteidigung sagte der Senat schließlich zu, für ein sofortiges Ende der Repressalien zu sorgen.

Während des laufenden Prozesses wurden aufgrund der Haftbedingungen, der verspäteten Übergabe von Gerichtsunterlagen an die Angeklagten und der erschwerten Kontaktaufnahme mit ihrer Verteidigung Befangenheitsanträge durch den Hauptangeklagten Müslüm Elma und den erst im März aus der Schweiz ausgelieferten Mehmet Yesilçalι gegen den Vorsitzenden Richter Dauster gestellt.

Vor dem OLG fand während des gesamten Prozeßtages eine Kundgebung mit über 500 Teilnehmenden statt, die von der Konföderation der Arbeiter aus der Türkei (ATIK), der die Angeklagten angehören, und zahlreichen weiteren linken Organisationen ausgerichtet wurde.

Eine solidarische Delegation von Rechtsanwälten, Abgeordneten der linken, prokurdischen Partei der Völker (HDP) und NGO-Mitgliedern aus der Türkei sorgte für internationale Öffentlichkeit.

Diese Öffentlichkeit ist dringend geboten, denn es scheint, als solle in diesem wie auch in den Prozessen gegen die kurdischen Exilpolitiker sang- und klanglos zu immer höheren Haftstrafen verurteilt werden, um letztlich alle verschiedenen linken Gruppen aus der Türkei zum Schweigen zu bringen. Selbst bürgerliche Zeitungen wie die "Süddeutsche Zeitung" bezeichnen diesen Prozeß richtigerweise als "Auftragsarbeit für Erdogan" (SZ, 17. Juni). Während die systematischen Menschenrechtsverletzungen, Tötungen von Zivilisten und das Zerstören ganzer Städte der Bundesregierung ebensowenig eine ernsthafte Kritik wert ist wie die Aufhebung der Immunität gewählter Abgeordneter der HDP, wird keine Gelegenheit ausgelassen, um dem autoritären und militaristischen Regime Schützenhilfe zu leisten.

Hiergegen kann nur ein gemeinsames Handeln aller Linken sowie der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung erfolgreich sein. Vor Gericht stehen neben den Angeklagten nicht weniger als das Recht auf freie Organisierung linker Migrantenverbände sowie das Recht auf Widerstand gegen diktatorische Zustände wie in der Türkei.

Der Prozeß wird noch mehre Monate andauern, und die Angeklagten freuen sich sicher über Briefe und Prozeßbeobachtung.

Henning v. Stoltzenberg, Dortmund

Der Autor ist Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.


Weitere Informationen zum Prozeß:

Blog der Verteidigung:
www.tkpml-prozess-129b.de/de

Azadi e.V. - Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland:
www.nadir.org/nadir/initiativ/azadi


Aus der Erklärung von Müslüm Elma, Hauptangeklagter im Münchner TKP/ML-Prozeß, am 17. Juni 2016

[...] All das erweckt bei uns den Eindruck, daß der Vorwurf des "Terrorismus" für alles ausreicht und auch Ihre Haltung zu mir bestimmt. Der Begriff des "Terrorismus" paßt auch gut in das imperialistische Recht; er ist für die Imperialisten und ihre Justiz das "Allheilmittel", das gegen die gerechten und legitimen Kämpfe eingesetzt wird.

Wer ist schuldig? Wir nicht! Wer ist im Recht? Das wird die Zeit zeigen. Wir glauben an die Geduld und an die Gerechtigkeit der Geschichte. [...]

Als würden in der Türkei die Rosen der Demokratie und Freiheit blühen und wir würden hier vor Gericht stehen, weil wir sie abgeholzt hätten. Als würden die Kurden nicht seit Generationen verfolgt. Als sei die kurdische Region nicht in ein Blutbad verwandelt worden und würde nicht in Flammen stehen. Als gäbe es keine brutale Unterdrückung der Meinungs- und Gewissensfreiheit. Als würde Erdogan in seinem Palast und seine Bande ihrer rassistischen Ideologie "Ein Staat, eine Nation, eine Fahne, eine Sprache" nicht auch noch "nur eine Stimme" hinzufügen wollen und als würde sie die Mehrstimmigkeit nicht als "Terrorismus" ansehen.

Zusammengefaßt kann gesagt werden, daß die Bundesanwaltschaft sich mit einigen Folgen beschäftigt hat, aber sich überhaupt nicht für ihre Ursachen interessiert hat. Denn das Drehbuch, das uns hier auf die Bänke zwingt, ist ein gemeinsames Produkt des deutschen und des türkischen Staates.

Auf ein faires Verfahren kann ich nach Ihrer Entscheidung nicht mehr hoffen. Über uns schwebt das "Demokratie"-Schwert des heutigen Europas. Dieses Schwert erinnert uns an das Schwert der Osmanen. Ohne Zweifel werden wir unsere Hälse nicht vor diesem Schwert neigen. Wir können Schmerz ertragen. Wir können auch unser Leben lassen. Aber uns zu beugen steht nicht zur Diskussion.

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Ingeborg Rapoport - Promotion mit 102 Jahren

Ingeborg Rapoport durfte als Jüdin 1938 ihre Doktorarbeit an der Medizinischen Fakultät des UKE (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) nicht verteidigen. Erst in ihrem "vierten Leben" erhielt sie 2015 im Alter von 102 Jahren ihren Doktortitel mit Auszeichnung (der RF berichtete bereits kurz).

Den Namen Rapoport hörte ich schon vor Jahrzehnten. Einige meiner Freunde gingen in den 50er und 60er Jahren mit ihren Kleinen zur Vorsorge oder Behandlung in die Kindersprechstunde an der Berliner Charité, die Ingeborg Rapoport von 1958 bis zu ihrer Emeritierung 1973 abhielt. Die Mütter waren voll des Lobes über die menschlichen und medizinischen Qualitäten "ihrer" Frau Doktor.

Mehr wußte ich bis dahin nicht über sie.

Als im Jahre 1997 ihre Erinnerungen "Meine ersten drei Leben" erschienen, kaufte ich mir das Buch sofort und erfuhr, daß sie ihre Kindheit und Jugend in Hamburg verlebt hatte und zwar ganz in meiner Nähe, im Loogestieg, bis sie 1938 in die USA emigrieren mußte. Aus ihren Erinnerungen erfuhr ich, daß ihr in Hamburg abgeschlossenes Medizinstudium in den USA nicht anerkannt wurde und wie sie ihren Mann Samuel Mitja kennenlernte, einen Biochemiker und bekennenden Kommunisten, der aus Wien wegen der zunehmenden Faschisierung ebenfalls in die USA flüchten mußte.

Die Verfolgungen in der McCarthy-Zeit und eine Vorladung vor den "Ausschuß für unamerikanische Umtriebe" hatten ihre Existenz in den USA bedroht, und die fünfköpfige Familie flüchtete nach Wien. Aber dort gab es für die Wissenschaftler keine Arbeitsmöglichkeit. Ingeborg schreibt: "McCarthy erreichte uns auch in Wien." Nach Deutschland wollte Ingeborg zunächst auf keinen Fall zurück, aber dann bot ihnen die DDR eine neue Existenz, und 1952 begann das "dritte Leben" der Rapoports: eine fast 40 Jahre dauernde erfolgreiche und befriedigende ärztliche und wissenschaftliche Tätigkeit im "anderen Deutschland".

Als Ingeborg ihre Erinnerungen aufschrieb, lebte Mitja noch. Er starb am 7. Juni 2004. Ich las seine Todesanzeige im "Neuen Deutschland". Damals war Ingeborg 92 Jahre alt. Und dann entdeckte ich plötzlich am 20. Mai 2015 in der "jungen Welt" einen Artikel mit der Überschrift: "Magna cum laude. Nach 78 Jahren: Die 102jährige Kinderärztin, Antifaschistin und ehemalige DDR-Bürgerin Ingeborg Rapoport erhält ihren von den Nazis verwehrten Doktortitel mit Auszeichnung."

Auslöser für dieses ungewöhnliche Ereignis war ihre Autobiographie, die dem Dekan der Medizinischen Fakultät des UKE, Professor Uwe Koch-Gromitz, zufällig in die Hände fiel.

1938 wurde Ingeborg Syllm die Verteidigung ihrer Doktorarbeit unmöglich gemacht "wegen der geltenden Gesetze und ihrer Abstammung" - ihre Mutter war Jüdin. Die Verteidigung erfolgte 78 Jahre später in ihrem eigenen Wohnzimmer. Eine dreiköpfige Prüfungskommission unterzog die Ärztin einer fast einstündigen Befragung. Koch-Gromitz äußerte sich: "Nicht nur unter Berücksichtigung ihres hohen Alters war sie einfach brillant. Wir waren beeindruckt von ihrer intellektuellen Wachheit und sprachlos über ihr Fachwissen - auch im Bereich moderner Medizin."

Die Kinderärztin hatte sich intensiv auf die Verteidigung vorbereitet. Da sie fast blind ist, beauftragte sie Freunde und ehemalige Kollegen, Fachtexte aufzutreiben und im Internet "nach allem zu googeln", was an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen wichtig war. Die Wochen vor der Prüfung waren eine Herausforderung für sie, denn sie wollte "die drei Professoren, die extra aus Hamburg gekommen waren, keineswegs enttäuschen".

Allerdings wurden in der Vorbereitungszeit die lange verschütteten Erinnerungen an die Scheußlichkeiten der faschistischen Zeit insbesondere an der Universität wieder wach: die krakeelenden braunen Studenten, die jüdische oder "halbjüdische" Professoren in den Selbstmord trieben. "Fast der gesamte Lehrkörper ist dann naziverseucht gewesen."

In einer Festveranstaltung im Erikahaus des UKE wurde Ingeborg Rapoport die Promotionsurkunde am 9. Juni 2015 feierlich überreicht. Als die Ärztin ans Mikrofon trat, war das für die 150 Anwesenden ein emotionaler Moment, als sie mit fester Stimme sagte: "Ich möchte mich bedanken, auch im Namen derjenigen, die diesen Tag nicht erleben und ähnliches wie ich erlebt haben - und viel Schlimmeres!" Viele der Anwesenden schämten sich ihrer Tränen nicht. Leider konnte ich wegen eines Krankenhausaufenthaltes nicht an diese Feierstunde teilnehmen. Deshalb schrieb ich ihr einen langen Brief, um ihr zu versichern, wie groß die Anteilnahme an ihrem Leben auch außerhalb der offiziellen Ehrungen ist. Und daß die Wertschätzung ihres "dritten Lebens" in der DDR vielen Menschen Mut gibt, das "vierte Leben" nach der "Wende" von 1989 zu ertragen.

Groß war meine Freude, als ich im Juli auf meinem Anrufbeantworter ihre Stimme hörte: "Hier ist Inge Rapoport aus Berlin. Ursula? Ich würde gern in telefonischen Kontakt mit dir treten. Und vielen Dank für den schönen Brief." Am 15. Juli hatten wir dann ein langes, wunderbares Gespräch. Sie wollte vor allem etwas darüber wissen, wie der Stadtteil heute aussieht, in dem sie gelebt und studiert hatte, ob denn die alte Schmiede noch steht, an der sie auf ihrem Schulweg immer Halt machte. Leider konnte ich viele ihrer Fragen nicht beantworten.

Sie schreibt über ihre Zeit in der DDR: "Es war eine Zeit des Lernens und auch vieler Initiativen für die ständige Verbesserung des Gesundheitswesens, eine Zeit, wie ich sie nie zuvor und auch später nicht mehr erlebt habe." Der Charité hat sie sich auch über ihre Emeritierung 1973 hinaus bis zur "Wende" zugehörig gefühlt.

Mit dem Ende der DDR begann Ingeborg Rapoports "viertes Leben". Wenn sie an diese Zeit denkt, ist sie traurig und wütend. Sie hat das Gefühl "aus dem dritten in den Rückwärtsgang geschaltet zu haben. Nie hätte ich gedacht, noch einmal eine solche Flut von Berufsverboten, die massenhafte Vernichtung von Existenzen und Verachtung von Talenten zu erleben, mehr als 45 Jahre nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus und 40 Jahre nach der McCarthy-Ära der USA", schreibt sie in ihrer Autobiographie. "Nach wie vor glaube ich, daß der Sozialismus die bisher höchste Stufe aller Gesellschaftsordnungen ist."

Inge empört sich auch über die jahrzehntelangen Bemühungen, die DDR als Unrechtsstaat darzustellen. Sie ist der Auffassung, daß die Bezeichnungen "Unrechtsstaat" und "Diktatur" für die DDR gefährliche Wegbereiter dafür sind, sie mit dem faschistischen Mörderregime gleichzusetzen. In ihren Erinnerungen analysiert sie die menschenverachtenden Methoden der Unrechtsstaats-Kampagne: "Eimer- oder tropfenweise dringt es in die Menschen. Im Fernsehen, in Talkshows, in Romanen und öffentlichen Reden, 'Stasi'-Beschuldigungen und -Verleumdungen, 'Analysen', selbst Krimis. Manchmal erfolgt es in massiven Dosen, meist aber in winzigen, bestenfalls gedankenlosen, häufig aber zutiefst bewußten, gezielten Einspritzungen. Alles das hat ein Ziel: Die Menschen zu überzeugen, das erste große sozialistische Experiment sei durch sich selbst mißlungen, habe sich prinzipiell als unfähig erwiesen, eine gerechte Weltordnung zu schaffen. Man nutzt dieses Prädikat 'Unrechtsstaat' wie ein Pfeilgift zur Lähmung des freien Menschengeistes. Damit ja niemand den Kopf hebt, sich umsieht und herausfindet, was gut und menschenwürdig an der DDR war, damit man nicht ausspäht nach einem besseren Weg."

Ursula Suhling, Hamburg

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Der "rheinische Widerstandsforscher" erzählt Kalendergeschichten
Falsche Bullen und andere Warnhinweise

Der schmale Band im Taschenbuchformat, ein "Vademecum" (lat. für Begleiter), erschien pünktlich im Juni diesen Jahres zum 85. Geburtstag des Autors Erasmus Schöfer. In seinen Kalendergeschichten erzählt der in Köln lebende "rheinische Widerstandsforscher" fünfzig wahre Begebenheiten von Menschen, die sich empörten über Unrecht, Krieg und Gewalt und wie sie sich dagegen gewehrt haben. Manche dieser Widerständigen wurden später berühmt, zum Beispiel Rosa Parks mit ihrem Signal zu gewaltlosgewaltigem antirassistischem Protest 1955 im US-Staat Alabama, oder wie der Dichter und Flugblattherausgeber Georg Büchner, dessen mitreißendes Fanal "Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" noch nach fast zwei Jahrhunderten nachhallt. Oder wie Beate Klarsfeld, die 1968 dem Altnazi im Bundeskanzleramt eine weit in die Weltöffentlichkeit hinausschallende Ohrfeige verabreichte.

Doch Nachruhm ist es nicht, der die Mutigen antrieb und - treibt. So würdigen die meisten der Kalendergeschichten die Gegenwehr der eher unbekannten Männer und Frauen - und ermutigen dazu, es ihnen an Widerstandsgeist und -tat gleichzutun. Solchen wie den Verfasserinnen und Verfassern der "Warnung vor falschen Bullen" in Westberlin 1988. Dank ihrer kann sich heute keiner der bundesdeutschen Gewaltexekutoren mehr des rechtsfreien Raumes in anonymer "Bullenherde" sicher sein.

Und das kam so: "Die erste Kreuzberger Barrikadennacht 1988 lag wenige Tage zurück. Polizei lungerte überall im Kiez bedrohlich herum. Da lag eines Morgens in den Briefkästen der Bewohner ein Brief des Berliner Polizeipräsidenten. Er teilte den Bürgern mit, daß in letzter Zeit Banden in Kreuzberg ihr Unwesen trieben. Diese tarnten sich mit Polizeiuniformen, die denen echter Polizisten zum Verwechseln ähnlich sähen. Der Polizeipräsident forderte die Bürger auf, die falschen Polizisten zu enttarnen, indem sie sie nach ihren Dienstnummern fragten. Diese könnten sie nämlich nicht vorweisen. Der Brief war deutsch und türkisch auf einem sehr glaubwürdig erscheinenden Briefbogen abgefaßt.

Zu gleicher Zeit lief in den Berliner Medien eine Diskussion, in der es um die Kenntlichmachung der Polizisten durch Dienstnummern ging. Heute tragen sie solche."

Eine weitere der beschriebenen Taten hat eine über Westberlin und die Bundesrepublik hinausgehende Wirkungs-Reichweite, erforderte mindestens ebensoviel Witz und noch mehr Wagemut. "Kaum zu glauben" ist sie überschrieben. "Im schottischen Hafen Faslane waren die amerikanischen Trident-U-Boote stationiert, die von Atomreaktoren angetrieben werden und atomare Raketen unvorstellbarer Vernichtungskraft starten können, wo immer sie sich gerade unsichtbar in den Weltmeeren befinden. Im Februar 1999 schwammen drei Aktivistinnen der Pflugscharbewegung, Angie, Ellen und Ulla, durch das eiskalte Hafenwasser zu einem unbewachten Trident-U-Boot und schafften es irgendwie, ins Innere zu gelangen und an die Computer zu kommen. An denen vergriffen sie sich und warfen sie über Bord! Eine schottische Richterin sprach die drei frei, da Atomwaffen illegal seien und die Angeklagten das Recht gehabt hätten, das Schiff zu entwaffnen. Das Urteil wurde in der zweiten Instanz kassiert und den Frauen ein trockener Besinnungsaufenthalt in einem schottischen Gefängnis verordnet."

Das sind mit jeweils 120 Wörtern die beiden kürzesten unter den 50 Kalendergeschichten. Kurzweilig sind sie indessen alle und dazu leicht lesbar in (fast) jeder Lebens- bzw. Lesenslage. Was begab sich an widersetzlich-trotzigen Taten, die überschrieben sind mit "Der Frauenstreik", "Das Gebet der schießenden Hände" oder "Der hilfreiche KAZET-Kommandant"? Zu erfahren in der häuslichen Leseecke ebenso wie zwischen zwei S-Bahn-Stationen oder beim Warten an der Supermarktkasse.

Die Heldentat mit dem zweifellos höchsten Friedensrettungspotential ist die des sowjetischen Offiziers Stanislaw Petrow, der 1983 zum "Menschheitsretter in siebzehn Minuten" wurde. Er gehorchte allein seiner Menschenvernunft, als maschinengenerierte Signale einen atomaren US-Erstschlag anzeigten. Entgegen der verbindlichen Befehle verzichtete Stanislaw auf das sofortige Einleiten des Gegenschlages, warnte statt dessen vor möglichem Fehlalarm - und nach 17 Minuten kam die erlösende Meldung vom Computer-Error infolge Sonnenreflexionen. Den Friedensnobelpreis hätte der besonnene Bewahrer des Planeten verdient; er blieb ihm bis heute versagt.

Die Form der Kalendergeschichten nimmt eine volkserzieherisch inspirierte Tradition aus früheren Jahrhunderten wieder auf, als die arbeitenden Menschen wenig Zeit für lange Texte und kein Geld für dicke Bücher hatten. Das Vorwort zum "Vademecum" verweist auf Hans-Jacob von Grimmelshausen, im 17. Jahrhundert ein erster Kalendergeschichten-Verfasser und -Herausgeber, und auf Johann Peter Hebel im 19. Jahrhundert. Im 20. Jahrhundert bedienten sich unter anderen Bertolt Brecht und Erwin Strit tmat ter der bildenden und unterhaltenden Erzählweise von Kalendergeschichten. Erasmus Schöfer setzt im neuen Jahrtausend auf deren aufklärerische Kraft - und damit auch einen Kontrapunkt zu seinem Hauptwerk "Die Kinder des Sisyfos". Ein Romanwerk wie dieses erfordert Ruhe und Muße (der vierte, 2008 erschienene Teil "Winterdämmerung" wurde im April 2013 im "RotFuchs" besprochen) hält die Lesenden an zu lernbereiter Rückschau auf die Jahre von 1968 bis 1989. Schöfers Kalendergeschichten hingegen, obgleich aus zwei Jahrtausenden statt zwei Jahrzehnten erzählend, sind dafür gemacht, ihre Botschaft jetzt und hier und unmittelbar zu senden: Widersetzt euch!

Das Büchlein ist vorzüglich geeignet, um es als Zeichen des Dankes bzw. Respekts an Menschen des Widerstands zu überreichen - seien es Gleichgesinnte oder Verbündete im gemeinsamen Einstehen gegen Krieg, Sozialabbau und Unterdrückung.

Marianne Walz


Erasmus Schöfer: Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers. Verbrecher-Verlag, Berlin 2016. 144 S., 12 €. ISBN: 978-3-95732-189-3

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Was Sprache verschweigt

Ausbeutung und Unterdrückung haben viele Gesichter, tragen oft Masken und verstecken sich gern hinter anscheinend unverfänglichen, einfach nur sachlich oder gar positiv klingenden Begriffen wie z. B. Globalisierung, Fischfangquoten, Forschung, Bankenrettung, ethnische Säuberung, Entwicklungshilfe oder vertrauliche Gespräche. Ich will mir diese Vokabeln einmal der Reihe nach vorknöpfen, um mir ihre zu vermutenden, wahrscheinlichen oder tatsächlichen Bedeutungen (oft verbrecherische Sachverhalte) bewußtzumachen:

1. Globalisierung - Globalisierung beinhaltet u. a. eine neue Form der Ausbeutung. Sie ermöglicht, daß Millionen Menschen in den ärmsten Ländern der Welt für Hungerlöhne arbeiten, damit die Reichen in Europa billige Textilien, billiges Schuhwerk und andere besonders billige Konsumgüter kaufen können. Den Profit machen die Industriebosse. Kurz: Die Globalisierung schafft Voraussetzungen dafür, daß die Reichen weltweit immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

2. Fischfangquoten - Das Wort lenkt ab von der Tatsache, daß Fischereiunternehmen der reichen Länder (deren Einwohner eher über- als unterernährt sind) mit riesigen Trawlern an der Westküste Afrikas den Atlantik leerfischen und den Küstenbewohnern dadurch ihre Hauptnahrungsgrundlage entziehen. Die Fische werden von einheimischen Arbeitskräften filetiert, die Filets werden in alle Welt verkauft - den Rest (Köpfe, Flossen und Gräten der Fische) dürfen die Einheimischen behalten.

3. Forschung - Hier muß man nicht nur an Dr. Mengeles "Zwillingsforschung" denken. Was Grausamkeit betrifft, so sind die USA inzwischen moralisch so heruntergekommen, daß sie es mit einem Dr. Mengele durchaus aufnehmen können. Wer weiß schon, daß in den USA, in einem Waisenhaus für puertoricanische Kinder, Säuglinge mit einer Milch ernährt wurden, der zuvor die Fett- und Eiweißbestandteile entzogen worden waren! Das Ergebnis dieses Forschungsexperimentes war vorauszusehen: Die Kinder starben, sie verhungerten. Und wer weiß schon, daß amerikanische Ärzte etwa 10.000 kerngesunde Menschen mit Syphilis infizierten, um neue Medikamente an ihnen zu erproben! Die Betroffenen starben oder siechten über Jahre und Jahrzehnte hinweg qualvoll dahin. Soviel ich weiß, sind diese Verbrechen bis heute ungesühnt geblieben.

4. Bankenrettung - Ja, freilich. Angela Merkel verfügte mit leichter Hand, daß der Bankenriese Hypo Real Estate 500 Milliarden (eine halbe Billion!) Euro aus Steuermitteln erhielt, damit die Einlagen der Superreichen gesichert blieben und die Bank damit auf dem Weltmarkt weiterzocken konnte. Da frage ich: Wenn schon Verluste sozialisiert werden - warum dann nicht auch Gewinne? Oder wenn schon Gewinne privatisiert werden - warum dann nicht auch Verluste? Gerade an diesem Punkt könnte die Expropriation der Expropriateure (die Enteignung der Enteigner) ja einmal ansetzen!

5. Ethnische Säuberung - Eine menschenverachtende Vokabel. Ich hörte dieses Wort zuletzt aus dem Mund des türkischen Ministerpräsidenten, der wohl auch die Armenier für Schmutz hält, von dem das Land gesäubert werden mußte. "Ethnische Säuberung" bedeutet, daß Menschen verachtet werden, weil sie Angehörige eines bestimmten Volkes sind, und deshalb zu Tausenden oder aber Tausenden aus ihrer angestammten Heimat vertrieben werden. Das Wort kann auch bedeuten, daß ein ganzes Volk ausgerottet wird; dann ist es ein Synonym für Völkermord.

6. Entwicklungshilfe - Da "versickern" Gelder in Millionenhöhe auf Staatskonten oder in den Privatschatullen korrupter Regenten, die ihre eigenen Völker ausbeuten, und die Absender sind so linkisch oder selbst so korrupt, daß sie die Gelder nicht an die richtigen Adressaten, zumeist humanitäre Hilfsorganisationen, überweisen, für die sie gedacht sind. In diesem Fall, im Fall der Korruption, muß man sie wegen Untreue vor Gericht stellen. Im Fall blauäugiger Unbedarftheit aber muß man sie wegen erwiesener Unfähigkeit aus ihren Ämtern jagen.

7. Vertrauliche Gespräche - Solche Gespräche führt, wer das Licht der Öffentlichkeit scheut. Oft hört man, dieser oder jener Politiker habe mit diesem oder jenem Staatschef, Bankdirektor oder Industrieboß ein "vertrauliches Gespräch" geführt. Worüber mag man da wohl gesprochen haben? Vielleicht darüber, wie man unter Umgehung parlamentarischer Beschlüsse weiterhin Waffen in Krisenländer exportieren kann, etwa indem man sie über ein krisensicheres Drittland liefert oder indem man lediglich Einzelteile versendet, die der Empfänger dann in seinem eigenen Land zu einsatzfähigen Waffen zusammenbaut. (Der kriminelle Einfallsreichtum der Waffenexporteure kennt jedenfalls keine Grenzen.)

Vielleicht hat man aber auch darüber nachgedacht, wie die Öffentlichkeit sich am besten über waghalsige NATO-Aktivitäten wie die Stationierung neuer Atomraketen täuschen läßt, oder Absprachen getroffen, wie man gesundheitsschädliche Nebenwirkungen neuer Industrieanlagen verharmlosen kann, oder ob in Ländern außerhalb der USA (in Polen? in Deutschland?) weitere Foltergefängnisse der USA errichtet werden können, damit Obama, formal zutreffend, weiterhin sagen kann: "In den USA wird nicht gefoltert." Weißt du es? Ich weiß es nicht.

Theodor Weißenborn

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Willi Bredel im neuen Lexikon deutscher Spanienkämpfer 1936-1939 / Eine Kritik

Diese Veröffentlichung ließ lange auf sich warten und hätte für die weitere Erforschung der Geschichte der deutschen Kämpfer für die Spanische Republik eine unverzichtbare und solide Grundlage bilden können.(1)

Im Vorwort nennen die beiden Autoren Werner Abel und Enrico Hilbert mehrere Orientierungspunkte für den Aufbau und die inhaltliche Ausgestaltung der Biogramme, die durchaus sinnvoll sind. Sie schreiben: "Wo es möglich war, wollten wir das berufliche und politische Leben vor und nach Spanien beschreiben. Für Spanien selbst sollten das Datum des Eintreffens, die Einheiten, der Rang oder die Ränge, die Dienststellung, die Orte der Teilnahme an Kämpfen, eventuelle Verwundungen, Disziplinar- und Haftstrafen ... wenn möglich genannt werden."(2)

Wenig erhellend ist allerdings in diesem Zusammenhang der Satz "Zu den einzelnen Personen haben wir mal mehr und mal weniger gefunden", der dem ersten Zitat voransteht. Merkwürdigerweise wurden bei Willi Bredel, der ja nicht gerade als unbekannter Spanienkämpfer einzuschätzen ist, eher weniger Informationen gefunden und dann auch noch allerlei falsche. Die Autoren erfüllten bei ihm noch nicht einmal die eigenen Vorgaben, obwohl das ohne riesigen Forschungsaufwand möglich gewesen wäre. Das gilt bei weitem nicht nur für ihn.

Willi Bredels Lehre des Dreherhandwerks dauerte bis 1920 und nicht, wie im Lexikon behauptet, bis 1918. Nach dem Verlassen der sozialdemokratischen Arbeiterjugend wurde er 1917 Mitglied der "Freien Jugend" und schloß sich 1919 der parteiunabhängigen sozialistischen Jugendorganisation "Freie Proletarische Jugend" (FPJ) an, die auch eine gleichnamige Zeitschrift herausgab. Ein Jahr später trat Bredel der KPD bei.(3)

Der Satz "1923 nahm er am Hamburger Aufstand teil und mußte deshalb zwei Jahre ins Gefängnis" stimmt ebenfalls nicht. Der junge Metallarbeiter wurde kurz nach der Niederschlagung des Aufstandes verhaftet, weil er eine Lieferung Gewehre aus Thüringen aufgekauft und als Maschinenteile deklariert nach Hamburg schicken ließ. Anschließend mußte er neun Monate Untersuchungshaft im Gefängnis am Holstenglacis absitzen. Aufgrund einer Amnestie kam Bredel aber bereits im Herbst 1924 wieder frei und brauchte die zweijährige Gefängnisstrafe, zu der er verurteilt worden war, nicht anzutreten.(4)

Die genannten Fehler und Ungereimtheiten aus dem Leben Bredels "vor Spanien" hätten durch eine kurze Kontaktaufnahme mit der Bredel-Gesellschaft leicht vermieden werden können. Dann wäre ja vielleicht auch Bredels literarische Verarbeitung seiner äußerst qualvollen KZ-Haft in dem berühmten Roman "Die Prüfung" erwähnt worden.

Gerade dieses Buch macht es besonders gut nachvollziehbar, warum er 1937 nach Spanien ging, um den Faschismus auch militärisch zu bekämpfen.

Aber wann kam Bredel nun nach Spanien? Das Lexikon gibt uns eine kurze, aber falsche Information: "Am 22. Juli 1937 kam er aus der UdSSR nach Spanien ..."(5) Die Wahrheit ist etwas komplizierter: Ende Mai verließ er Moskau und reiste nach Finnland. Von Helsinki flog er am 28. Mai nach Paris, wo er zusammen mit seinem Schriftstellerkollegen Erich Weinert auf eine Möglichkeit zur Weiterfahrt nach Spanien wartete. Die Zeit nutzte Bredel u. a. zum Sammeln und Redigieren von Texten für die Literaturzeitschrift "Das Wort". Am ersten Juli erreichten die beiden Männer Valencia. Vom vierten bis zum zehnten Juli nahmen sie am II. Internationalen Kongreß zur Verteidigung der Kultur in Valencia und Madrid teil.(6)

Vollkommen überfordert waren Abel und Hilbert mit der Darstellung von Bredels militärischen Aktivitäten, seiner publizistischen Unterstützung der Republik als Mitherausgeber und Redakteur der Literaturzeitschrift "Das Wort" und seiner eigenen literarischen und journalistischen Arbeiten zum Spanienkrieg. Der interessierte Leser erfährt nämlich nichts darüber. Unglaublich, aber wahr! Über die Gründe kann man nur spekulieren.

Im Dezember 1937 erhielt er von der Leitung der Internationalen Brigaden den Auftrag, ein ca. 600 Seiten umfassendes Buch mit vielen Fotos über die Geschichte der 11. Internationalen Brigade zu verfassen. Parallel dazu begann er die stark autobiographische Roman-Chronik "Begegnung am Ebro". Nach vielen Schwierigkeiten beim Verfassen und der Herstellung des Buches konnte es im Dezember 1938 im neu gegründeten Exilverlag "10. Mai" in Paris erscheinen.

Im Mai 1948 brachte Bredel in der damaligen sowjetischen Besatzungszone eine tiefgreifende Neufassung des Werkes heraus, die allerdings in der Darstellung der ungeglätteten Wirklichkeit nicht an die Urfassung heranreicht.(7) Erstmals in der DDR erschien der Text der fast vergessenen Pariser Erstausgabe im Jahr 1977 im zweiten der beiden Bände "Spanienkrieg", die fast alle Publikationen Bredels, die sich mit dem Thema befassen, vereint.(8) Diese Basisliteratur wird aber weder in den Literaturhinweisen noch unter dem Stichwort "Willi Bredel" des Lexikons genannt.(9) Auch hier stellt sich die Frage: Mangelnde Sorgfalt oder unlautere Absicht?

Abschließend noch einige Anmerkungen zum militärischen Einsatz des Schriftstellers, einem Thema, zu dem man ja nach den im Vorwort formulierten Ansprüchen einige handfeste Fakten erwarten sollte. Aber auch hier wieder: Fehlanzeige! Der Leser erfährt lediglich, daß Bredel von August bis Oktober 1937 im Thälmann-Bataillon der 11. Internationalen Brigade war. Dies ist auch wieder nur halb richtig, denn sein Einsatz dauerte bis zum 11. November 1937.(10)

Wesentlich problematischer ist allerdings, daß dem Nutzer des Lexikons "die Orte der Teilnahme an Kämpfen" vorenthalten werden. Mit wenig Aufwand hätte man etwa die folgende Eintragung vom 30.8.1937 in seinem spanischen Tagebuch finden können:

"Meine Feuerprobe liegt hinter mir. Wir haben Quinto gestürmt. Meine erste Schlacht. Seit 10 Tagen bin ich erst im Bataillon und habe nie eine militärische Ausbildung erhalten, sollte nur die politische Betreuung der Kameraden übernehmen, mußte aber gleich beim ersten Kampf den Kommandanten des Bataillons spielen (Der Bataillonskommandant Georg Elsner war kurz zuvor gefallen, Anm. H.-K. M.). Und es ging - zu meiner eigenen allergrößten Überraschung - ziemlich glatt ... ."(11)

Außerdem nahm Bredel Anfang September 1937 an der Eroberung Belchites sowie am Kampf in den Bergen bei Mediana am Berg Sillero gegen faschistische Entlastungsangriffe teil.(12)

Auf eine kritische Auseinandersetzung mit der mageren, blutleeren Darstellung seines "Lebens nach Spanien" bzw. der Nicht-Darstellung ganz wesentlicher Punkte aus diesem Lebensabschnitt muß ich aus Platzgründen leider verzichten. Es bleibt nur zu hoffen, daß sich möglichst viele kompetente Rezensenten mit den zahlreichen Fehlern, Unzulänglichkeiten und Leerstellen des Buches intensiv und kritisch auseinandersetzen. Sie würden damit nicht nur der Forschung, sondern auch den Spanienkämpfern und ihrem Andenken einen großen Dienst erweisen.

Hans-Kai Möller


Leicht gekürzt aus dem "Rundbrief 2016" der Willi-Bredel-Gesellschaft, Hamburg

(1) Werner Abel / Enrico Hilbert u. a.: Sie werden nicht durchkommen. Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution, Band 1, Edition AV, Lich/Hessen 2015

(2) Ebenda, S. 8

(3) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin, Akte DY 30/IV 2/11/ v 44

(4) Willi Bredel: Aus meinem Leben (um 1934), in: Manfred Hahn: Willi Bredel 1901-1964, Aufbau-Verlag, Berlin 1976, S. 42

(5) Abel / Hilbert, S. 86

(6) Spanienkrieg II (Siehe Anmerkung 8), S. 363

(7) Vgl. Hans-Kai Möller: Bücher haben ihre Schicksale, Begegnung am Ebro - Willi Bredels Spanien-Roman, in: Willi-Bredel-Gesellschaft, Rundbrief 2007, S. 40-45

(8) Willi Bredel: Spanienkrieg I, Zur Geschichte der 11. Internationalen Brigade; Spanienkrieg II, Begegnung am Ebro, Schriften, Dokumente, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1977

(9) Abel / Hilbert, S. 13 und S. 86 f.

(10) Spanienkrieg II, S. 368

(11) Willi Bredel: Aus meinem spanischen Tagebuch, Eintragung 30. 8. 1937, Codo, in: Spanienkrieg II, S. 287 f.

(12) Spanienkrieg II, S. 366

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Worte zur Zeitgeschichte aus "Leipzigs Neue"

Im Nachwort seines Buches "Mein Wort zur Zeitgeschichte" schreibt der Historiker und Publizist Prof. Dr. Kurt Schneider: "Dem Verlauf und dem Ergebnis nach war das, revolutionstheoretisch bewertet, der Vollzug einer modifizierten Konterrevolution. In den sogenannten Fehlern der Einheit widerspiegelt sich das tatsächliche Wesen des Vollzugs der staatlichen Einheit. Die DDR war entstanden mit dem Anspruch, nicht nur Antipode zum Faschismus und Militarismus zu sein, sondern auch als Alternative zum Imperialismus zu fungieren. Die am 23. Mai 1949 gegründete BRD gab vor, der alleinige rechtmäßige deutsche Staat zu sein, dem das Recht zustünde, für ganz Deutschland zu sprechen und zu handeln. Sie anerkannte nicht die DDR-Staatsbürgerschaft, da es aus ihrer Sicht nur eine deutsche Staatsbürgerschaft - die der BRD - gäbe, womit sie de facto den territorialen Anspruch auf ganz Deutschland erhob. Die ökonomische und politische Entwicklung der DDR, ihre Resonanz und Anerkennung zu behindern, war ihr oberstes Gebot, dem die 'Hallstein-Doktrin' diente. Über lange Zeit vermied sie die Staatsbezeichnung DDR, für die der Begriff 'Zone' galt. Eine ausgefeilte psychologische Kriegsführung diente dem Ziel, die DDR ideologisch zu unterwandern. Heute dienen gleichartige Methoden dazu, die Geschichte der DDR zu diffamieren, um in der Bevölkerung ein Geschichtsbewußtsein zu manifestieren, das in der BRD die Krönung der deutschen Geschichte sieht, die das Gute in Geschichte, Gegenwart und Zukunft verkörpert. In dieser Geschichtsbetrachtung haben Leistungen, die für die DDR erbracht worden sind, keinen Platz. Damit werden gesellschaftliche Lebensleistungen insbesondere der DDR-Aufbaugeneration als im 'falschen System' verbrachtes Leben entwertet. In diesem Sinne ist auch die seit nahezu 25 Jahren Bundesrepublik praktizierte Rentenpolitik gegenüber ehemaligen DDR-Bürgern zu bewerten.

Der vorliegende Sammelband erscheint in einer höchst beunruhigenden Zeit. Die EU und die USA führen einen kalten Krieg gegen Rußland. Die NATO als das weltweit stärkste Militärbündnis verfolge die Philosophie, so wird erklärt, aus der Position der Stärke den Dialog zu führen, auch gegenüber Rußland. Deutschland sei gewillt, innerhalb von EU und NATO in stärkerem Maße Führungspositionen zu übernehmen, stärker als bisher die 'deutsche Farbe' in die Bündnisse einzubringen. Das geschehe 'nicht tollkühn und um jeden Preis', sondern mit 'deutscher Gründlichkeit und Beharrlichkeit'. Dazu gehöre die Bereitschaft, 'wenn nötig, im Kampf für Menschenrechte auch zu den Waffen zu greifen'. Und mit aller Deutlichkeit verkündete die deutsche Stimme auf der Sicherheitskonferenz in München 2014: 'Manchmal muß ein junger Mensch alles geben, und wenn es das eigene Leben ist.'

Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Es ist das der Vernunft total Zuwiderlaufende. Das geschieht in einer Zeit, in der die Weltfriedensbewegung so schwach wie nie in ihrer Geschichte ist. Das trifft auch zu auf die Linke als internationale Kraft, die den Schock, der für sie mit dem Untergang des Sozialismus in Europa verbunden war, längst noch nicht überwunden hat."


Kurt Schneider: Mein Wort zur Zeitgeschichte in "Leipzigs Neue" 1993-2015. Leipzig 2015. 390 S., 19,90 €.
ISBN 978-3-00-048-479-7

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Deutsche und Russen - Erlebtes und Erfahrenes

Ein interessantes Buch, lebensnah und spannend, mit einem Schuß Humor und Witz geschrieben, den Umgang von Deutschen mit Russen betreffend. Erlebnisse, Erfahrungen und Einsichten wurden durch jahrzehntelange Kontakte des Autors gewonnen - so als Kriegsgefangener in vierjähriger Gefangenschaft in Sibirien, als Student am Forschungsinstitut für Körperkultur in Moskau und in langjähriger Zusammenarbeit mit der Sowjetunion auf wissenschaftlichem und sportpolitischem Gebiet. Er gewann Eindrücke von russischem Denken, Fühlen und russischer Lebensweise und versucht deutlich zu machen, was unter der "russischen Seele" zu verstehen ist. Anekdoten sprechen für sich und geben Anlaß zum Schmunzeln.

Der Autor, Prof. em. Dr. paed. Alfons Lehnert, wurde 1928 in einem Dorf des "Hultschiner Ländchens" im südlichsten Zipfel Schlesiens geboren. Infolge des II. Weltkrieges konnte das Berufsziel Lehrer nicht erreicht werden. Als 16jähriger wurde er noch verpflichtet, ohne militärische Ausbildung im Rahmen des "letzten Aufgebots" dazu beizutragen, den Ansturm der Roten Armee mit aufzuhalten, und geriet in Gefangenschaft.

Nach Kontakt mit dem "Nationalkomitee Freies Deutschland" besuchte er die zentrale Antifa-Schule. Nach Entlassung aus der Gefangenschaft und dem Studium arbeitete er in der Sportpraxis der DDR. Er leitete die Sportschule in Freyburg/Unstrut, wechselte anschließend 1959-1990 in die sportwissenschaftliche Forschung an der DHFK und am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport Leipzig. 1990 erfolgte seine Emeritierung.


Alfons Lehnert: Ich und die Russen. Persönliche Erlebnisse, Erfahrungen, Einsichten. Leipzig 2016. 270 S., 19,90 €.
ISBN 978-3-00-051837-9

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"Lebende Quellen" über die Industriegeschichte Leipzigs

Überzeugend, lebensnah und realistisch schildern Zeitzeugen Prozesse, die die Entwicklung und die Leistungskraft der Industrie der Stadt Leipzig und der Region betreffen.

Dieser Sammelband entstand mit Unterstützung von Autoren, die in ihrem Leben unter den Bedingungen der DDR einen maßgeblichen Beitrag in Wissenschaft, Industrie, Planungs- und Leitungsorganen - gestützt auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - geleistet haben. Es ist der Wunsch der Herausgeber, eine sachliche Bewertung der einstmals vorhandenen Leistungskraft der Leipziger Industrie zu erreichen und dabei vor allem die Leistungen der Menschen nicht zu vergessen, die sie vollbrachten. Die Konsequenzen aus der Liquidierung der großen Industrie mit ihren personellen und materiellen Potenzen führten zu einschneidenden strukturellen Veränderungen der ökonomischen Basis der Stadt und der gesamten Region, zu Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg für viele, die in Leipzigs Industrie beachtliche Leistungen vollbracht hatten und darin ihr Lebenswerk sahen. Es ist eine vordringliche Aufgabe, Leipzig und der mitteldeutschen Region wieder eine Perspektive für die industrielle Entwicklung zu geben. Gleiches gilt für die Leipziger Messe, denn Industrie und Messe bildeten eine untrennbare Einheit. Leipzig, das war und muß es auch bleiben, ein Wissenschaftszentrum, ein industrielles Ballungszentrum, aber auch und besonders ein Drehpunkt des weltweiten Handels zwischen Ost und West. Diese Attribute verpflichten hinsichtlich der zukünftigen industriellen und städtebaulichen Entwicklung, aber vor allem auch im Zusammenhang mit der Leipziger Messe und ihrer Tradition.

Im Geleitwort hebt Prof. Dr. Schneider hervor: "Die Autoren des vorliegenden Buches sind Akteure jener Zeit von 1945 bis 1990, die maßgeblich den Neuaufbau und die Entwicklung der Industrie der Stadt Leipzig mitgestalteten, sie werden von der Geschichtswissenschaft als 'lebende Quellen' bezeichnet. Das ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen für die heutige Auseinandersetzung mit der gängigen Diffamierung und Verfälschung der Geschichte der DDR und zum anderen für Fragen künftiger Generationen nach dem Motiv dafür, daß Arbeiter, Ingenieure und andere wissenschaftlich-technische Kräfte derartige Aufbauleistungen unter schwierigsten Bedingungen vollbrachten. Mehr denn je ist es notwendig, über die Wahrheit des Erlebens der DDR, einschließlich ihrer schmerzvollen Fehler und Irrtümer als Vision einer sozial gerechten und friedlichen Welt zu berichten."


Industrie der Stadt Leipzig 1945-1990. Probleme, Konflikte, Ergebnisse. Herausgeber: K.-H. Blaurock u.a. GNN-Verlag, Schkeuditz 2010. 392 S., 24 €.
ISBN 978-3-89819-345-0

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Stimmen aus aller Welt über die DDR (Folge 3)

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen werden wir in den nächsten Monaten einige dieser Äußerungen veröffentlichen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt - und für uns - war.



Hofrat Prof. Friedrich Epstein
1979 Präsident der Gesellschaft Österreich - DDR

Aus vielerlei Gründen ist das Verhältnis, das wir Österreicher zur Deutschen Demokratischen Republik haben, von ganz besonderer Art und unterscheidet sich von demjenigen, das Angehörige anderer Völker und Nationen zum ersten sozialistischen deutschen Staat haben.

Die bevorstehende 30. Wiederkehr des Jahrestages der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik bietet mir eine willkommene Gelegenheit, ein paar Worte über eine Seite der Realität des gesellschaftlichen Lebens in der DDR zu sagen, die im Hinblick auf die Gemeinsamkeit der Sprache und vieler historischer Überlieferungen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, auch für die Tätigkeit unserer Freundschaftsgesellschaft. Ich meine damit die Pflege des deutschen humanistischen Kulturerbes in der DDR.

Als sich vor viereinhalb Jahrzehnten die Nacht des Faschismus erst auf Deutschland niedersenkte und im zweiten Weltkrieg der deutsche Name zum Schrecken unter den Völkern Europas wurde, da war für viele Menschen der Begriff des Deutschen auf jedem Gebiet geradezu gleichbedeutend mit Barbarei und Unkultur. In der Tat konnte zu dieser Zeit gesagt werden, daß aus dem Volk der "Dichter und Denker" ein Volk der "Richter und Henker" geworden sei. Es konnte auch nicht wundernehmen, daß diese Einstellung vielerorts auch den Zusammenbruch Hitlerdeutschlands und die Niederlage des Faschismus überdauerte.

Auch dieses Erbe, neben jenem der Ruinen und Trümmer, mußte vor nunmehr 30 Jahren die neugegründete Deutsche Demokratische Republik übernehmen. Aber so wie es ihr gelang, binnen kurzem der Welt zu zeigen, daß es in diesem Teilgebiet des ehemaligen Deutschen Reiches möglich war, die materiellen Strukturen einer unheilvollen Vergangenheit zu überwinden, konnte sie ebenso beweisen, daß sie zu einer geistigen "Wiedergutmachung" im eigentlichsten Sinne willens und imstande war.

Und so stehen wir heute vor der Tatsache, daß nicht irgendeine elitäre Schicht, sondern die Arbeiter und Bauern, die werktätige Intelligenz und die fortschrittlichen Künstler, die Erbauer des Sozialismus und der sozialistischen deutschen Nation, sich als Hüter, Bewahrer und Wiedererwecker der großen humanen und humanistischen Traditionen deutscher Kultur- und Geistesgeschichte erwiesen haben und erweisen. Sie sind es, die der Welt vor Augen führen, wie das Erbe Goethes und Schillers, Lessings und Herders, Hegels und Fichtes, Marx' und Engels', Heines und Herweghs lebt und wirkt. Vor allem aber - und auch das ist neu in der deutschen Geschichte: nicht museal und steril wird das Kulturgut der Vergangenheit konserviert, sondern es wird zur lebendigen Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens gestaltet. Auch den einfachen Menschen ist nun Gelegenheit gegeben, sich das Kulturgut der Vergangenheit, dessen eigentlich legitime Erben sie sind, anzueignen und ihr Leben damit zu bereichern.

Wer, wie ich, in der DDR zu sehen Gelegenheit hatte, wie das Publikum bei Theateraufführungen der Klassiker und der Moderne, bei Konzerten, in denen die Musik Bachs und Schütz' und Händels erklang, beschaffen war und wie es das Gebotene aufnahm, der kann sich der Erkenntnis nicht entziehen: In diesem Land werden dem wertvollsten geistigen Besitz der Nation neue Dimensionen erschlossen, es erfolgt die eigentliche Besitzergreifung durch das Volk.

Ob es sich um die Wiedererrichtung zerstörter Kulturdenkmäler, um die Pflege der Gedenkstätten deutscher Klassik, die Verbreitung der Schriften der Klassiker, um die Musikpflege oder die Musikausbildung handelt - hier wird laufend ein großes humanistisches Werk getan, ein Werk, welches dauern wird, und von dem man nur hoffen kann, daß es auch als Beispiel wirken möge.



Amadou Mathar M'Bow
Generaldirektor der UNESCO (1974-1987)

In Verbindung mit den besten Wünschen für die Zukunft der DDR möchte ich darauf verweisen, daß die DDR im November 1972, noch vor der Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen, Mitglied der UNESCO wurde. Es wurde sofort eine Kommission der Deutschen Demokratischen Republik für die Verbindung mit den Nationalen Kommissionen der UNESCO in anderen Ländern gebildet.

Darin sehe ich einen Beweis für das große Interesse, das die DDR der Erziehung, der Wissenschaft, der Kultur und der Information in der modernen Welt entgegenbringt, sowie eine Anerkennung der entscheidenden Rolle, die der UNESCO auf diesen Gebieten zukommt. Von ihrem Beitritt zur Organisation an trug die DDR zur Verwirklichung der großen zwischenstaatlichen Programme über wissenschaftliche Zusammenarbeit bei. Dabei denke ich vor allem an das Internationale Hydrologische Dezennium, dem das Internationale Hydrologische Programm folgte, und an das Programm "Mensch und Biosphäre", bei dem es um die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt und um die rationelle Nutzung und Erhaltung der Naturreichtümer geht.

Außerdem war die DDR ausschlaggebend an der Vorbereitung und an den Arbeiten der II. Konferenz der Minister für Wissenschaft und Technik (der UNESCO-Mitgliedstaaten der Region Europa und Nordamerika) beteiligt.

Was die Erziehung betrifft, so hat sich die Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UNESCO auf den großen, alle zwei Jahre stattfindenden Konferenzen über Erziehung, die vom Internationalen Büro für Erziehung in Genf veranstaltet werden, als besonders fruchtbar erwiesen. Darüber hinaus haben die DDR-Behörden Experten des Sekretariats eingeladen, die sich wiederholt an Ort und Stelle Aufschluß über die Errungenschaften dieses Landes auf dem Gebiet des Unterrichtswesens und der Entwicklung der Kultur verschafften. Die "Kulturpolitik der DDR" wurde in einer Broschüre, die die UNESCO im Jahre 1975 in der Serie "Politiques culturelles: Etudes et documents" herausgab, behandelt.

Entsprechend der Bedeutung, die die intellektuellen und wissenschaftlichen Kreise der DDR der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit beimessen, hat ihre Delegation auch zur zwanzigsten Tagung der UNESCO-Generalkonferenz im November 1978 einen äußerst wertvollen Beitrag geleistet.

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Kohls "Mädchen" war eine erwachsene Frau, eine erfahrene Wissenschaftlerin, schon im Bundestag, aber noch nicht Kanzlerin, als das Fernsehen uns einmal in eine gemeinsame Talkrunde einlud. Wir lehnten das beide ab. Sie meinte, sie wisse, um wen es sich handle, aber sie möchte diese Begegnung nicht. Ich wollte sie ebensowenig. Nicht, weil uns eine grundsätzliche Anschauung der Welt trennte, sondern weil weder sie noch ich durch gemeinsames Plaudern etwas verändern würden. Das ist nun 26 Jahre her. Ich habe sie geachtet für ihre erstaunliche Kraft, ihre Fähigkeit, noch aus langweiliger und ergebnisloser Beratung umgehend ins Flugzeug zu steigen, bis ans andere Ende der Welt zu fliegen und dort, als wäre sie ausgeruht, wieder eine Männerschaft abzuschreiten, wieder einem vielleicht verbündeten oder andersdenkenden Mächtigen mit scheinbarer Frische und Aufgeschlossenheit zu begegnen. Sie denkt, mag sein, nicht mehr so absolut wie am Anfang ihrer Mächtigkeit. Aber zu merken ist das nicht.

Ich empfinde Unbehagen, wenn die Tochter eines unantastbar lauteren Pfarrers mir antastbar erscheint. Sie hat in Moskau studiert, und ich habe nirgendwo gehört, daß es eine Leidenszeit gewesen wäre. Sie hat also gelebt, in einem Land, das immer noch um 27 Millionen Getöteter und Ermordeter trauert. Da wurde ein Staat mit einer rechtmäßig gewählten Regierung durch einen verlogenen Nichtangriffspakt getäuscht und anschließend alles Leben niedergewalzt. Bis dieses Land zurückschlug, siegreich.

Seit die NATO Rußland neu provoziert, hat sie, die deutsche Kanzlerin, sich auf die Seite der NATO gestellt, angeblich durch einen Vertrag dazu gezwungen. Ich fürchte, sie ist mit ihrem Herzen dabei. Noch immer spricht sie das Wort Krim als Begründung für alle Drohgebärden und sichtbares Vergrößern kriegerischer Ausstattung aus. Mit der Ukraine hat es ja nicht geklappt. Der Plan war sehr gut: ein weltberühmter Boxer, in den USA ausgebildete "Politiker", ein Platz namens Maidan heiliggesprochen, und Opfer, wer immer sie dazu gemacht hat. Ein paar ausgelassene Mädels, die eine Kirche zu schänden versuchten und dabei die Pornographie zu Hilfe nahmen. Aber dann gab es etwas, das ein unerwartetes Aufhalten mit sich brachte. Die Ukrainer, die einen schwierigen Alltag zu leben hatten, waren hellhöriger, als man gedacht hatte. Fast unerwartet waren sie des Gequatsches müde. Sie faßten zu den "rechtmäßig gewählten" neuen Volksvertretern an der Spitze nicht das Vertrauen, das gebraucht wurde. Die Ukraine in der NATO - das wäre die Nähe an der Wand zu Rußland gewesen. Es hat nicht geklappt. Nun gibt es einen neuen Plan. Leider lädt den auch Obama auf sein Gewissen. Ja, wir haben zu viel von ihm erwartet. Der Friedensnobelpreis schien ein Vorschuß auf eine Haltung, die der Welt geholfen hätte. Nun aber erleben wir den nächsten Versuch, Rußland zu provozieren.

Die Russen wie die Ukrainer haben zu viele Opfer zu bringen, können sich ihrer Entwicklung als wirtschaftlich tüchtige Nationen nicht ausreichend widmen, und vielleicht haben sie ja auch noch viel anderes aufzuarbeiten. Das geht uns nicht mehr an, als wir es wie jedes andere Land mit Interesse, Einwänden und Zuneigung beobachten, das eine wie das andere Land. Was aber ist in die Kanzlerin gefahren, daß sie vor einem Bundestag mit rechtmäßig gewählten Volksvertretern sehr unterschiedlicher Weltanschauung wie ein gemeinsames Credo verkündet, daß sie unerschütterlich und von ganzem Herzen hinter den Plänen der NATO steht? Ich habe genau hingehört, aber sie hat als einzige Begründung wieder die Krim genannt. Und sie weiß doch, warum die Wahlen auf der Krim abgehalten wurden, und was ihr Ausgang verhindert hat. Die NATO kann diesen wunderbaren Hafen nicht für ihre großen Kriegsschiffe annektieren. Das hat Putin mit den Ereignissen auf der Krim verhindert.

Auf mich wirken die Einwände kläglich. Nun aber sehe ich, daß die baltischen Länder in die Lage gebracht werden, ihre späte Rache an den Russen zum Ausdruck bringen zu dürfen. Anfang der 70er Jahre war ich in Estland, Lettland und in Litauen. Dort haben Studenten und andere Tätige über die Zeit erzählt, als sie unter sowjetischer Herrschaft oder Obhut standen. Mein Begleiter war ein Fotograf, der dort viele Freunde und Kollegen hatte. Gastfreundlichere Menschen habe ich kaum erlebt. Wo immer wir zusammensaßen, hat sich mir ihre Großherzigkeit unvergeßlich gemacht. Außer ihren "heiligen" Studentenkappen hätte man ihnen wohl auch den Küchenschrank raustragen können. Aber auch die Linken unter ihnen sprachen nur bitter über jene Zeit, als die eigene Kultur und die eigene Geschichte in der Schule und im Studium nur negativ verarbeitet wurden. Alles Russische wurde über die eigene Herkunft und die eigene Heimat gebreitet. Da ist viel Trauriges noch aufzuarbeiten. Aber selbst in Estland, in dem die Anerkennung der Nazis scheinbar freudig aufgenommen wurde, gab es Widerstand und Opfer im Kampf gegen sie. Ebenso nachdrücklich wie in Litauen.

Wir leben in einem Nachkriegsstaat, der sich eine demokratische Verfassung gegeben hat. Mit den dort festgeschriebenen Idealen und humanistischen Grundwerten können wir alle miteinander leben.

In Frage zu stellen ist die Fragwürdigkeit der Begeisterung "unserer" Verteidigungsministerin, der vielleicht alle Mädchenträume in Erfüllung gegangen sind. Und es erschüttert mich, wie entschlossen unsere Kanzlerin ans Mikrofon tritt und sich auf die Seite eines Diktators stellt, der das Volk gerade nach einem rasch niedergeschlagenen Putsch seiner Rechte beraubt. Die Haltung unserer Regierung zu den Ereignissen in der Türkei wird, so scheint es mir jetzt, Ende Juli, beim Wählervolk ernüchternd genug ankommen. Die kleine Ansprache unserer Kanzlerin gleich nach der Niederschlagung des Putsches vorschnell ausgesprochen, war entweder unbedacht oder sollte dringend eingeschränkt werden. Da reicht es eben nicht aus, wenn andere Bundestagsabgeordnete hinzufügen, daß in der Türkei auf die Menschenrechte geachtet werden soll. Schon jetzt scheint es immer noch um einen Vertrag zu gehen, der aus dem "Wir schaffen das" ein "Wir schaffen das weitgehend ab" machen soll. In der Türkei regieren Beamte, denen man weder einen Flüchtling noch ein ganzes Volk anvertrauen sollte. Von den Ereignissen dort - und besonders, wenn auch die ertragen werden - können sich weitere Schrecknisse ableiten. Ich habe bisher nicht gehört, daß sonst rasch und erfolgreich eingreifende Schützer von Grundrechten einen Plan haben oder sogar eingreifen. Ja, es ist für eine einzelne Stimme zu gefährlich. Aber noch gefährlicher ist politisches Handeln, das in Europa schon einmal zu einem furchtbaren Ermächtigungsgesetz geführt hat.

In einem kleinen, aber anrührenden Lied von Wera Küchenmeister und Kurt Schwaen heißt es: "O lasset uns im Leben bleiben / weil jeden Tag ein Tag beginnt / O wollt sie nicht zu früh vertreiben / alle, die lebendig sind."

Geht es uns etwas an? Hinten in der Türkei? Ja, alles! Wenn es ums Leben geht, dann ohne Ansehen der Person. Wie in der Türkei, nach dem rasch niedergeschlagenen Putsch, das Recht gebeugt wird, verlangt Einspruch und Gegenkraft. Europa steht aus vielen Gründen derzeit auf dem Kopf. Europa hat den schon mehrmals verloren. Nicht vorherzusehende Anschläge auf die Zivilbevölkerung, die jeden Moment und überall Schrecken verbreiten, ergeben eine Unsicherheit, die verständlich ist, aber schon zu lange währt. Noch scheint es, niemand wolle sich zur Abwehr mit den anderen zusammentun. Es ist keine Zeit für wirkungslose und vorschnelle Verkündungen am Mikrofon.

*

Leserbriefe an RotFuchs

Der "RotFuchs" ist für mich Familie und Herzensangelegenheit. Ich gehöre einfach dazu. Dabei denke ich auch an Joachim und Klaus. Ich danke Euch für Eure Arbeit.
Alle guten Wünsche!

Brigitte Thel, Halle


Mit besonderem Interesse lese ich in den Leitartikeln Klaus Steinigers, die mir eine neue Sicht auf die politischen Geschehnisse der vergangenen Jahrzehnte eröffnen - eine Sicht, die mir undank der westlichen Medien lange Zeit verwehrt war - und die mich in meinen Grundanschauungen bestätigen.
Ich bedaure mitunter, meine Schulzeit nicht in der DDR verlebt zu haben, denn dort hätte ich statt Latein sicherlich Russisch gelernt und direkten Zugang zu Informationen gehabt, die mich im Lauf meines langen Lebens hier nur auf Umwegen erreicht haben. Aber niemand bringt die Zahnpasta zurück in die Tube, und ich bin und bleibe zeitlebens ein Lernender.

Theodor Weißenborn, Gerolstein-Gees


Der Redaktion gratuliere ich zum wunderbaren August-"RotFuchs". Es freut mich sehr, daß Ihr in dieser Ausgabe die Friedensfrage zum Schwerpunkt des Heftes gemacht habt. Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden haben wir keine Perspektive. Laßt uns gemeinsam für den Erhalt des Friedens kämpfen! Schaffen wir ein breites Bündnis gegen die Kriegstreiber! Es ist hohe Zeit!

Dr. Matin Baraki, Marburg


Salut zum Leitartikel Arnold Schölzels "Alarm! Der Frieden ist in Gefahr" (RF 222)!
Ergänzend hierzu: Franz Josef Strauß beschreibt in seinen "Erinnerungen" (Siedler-Verlag, München 1989, S. 388), daß die USA im Zusammenhang mit den Sicherungsmaßnahmen an den Grenzen, beginnend mit dem 13. August 1961, planten, einen "großen Schlag gegen die Sowjetunion" zu führen. Die USA hätten vorgehabt, "eine Atombombe zu werfen und zwar im Gebiet der DDR ... Die Amerikaner brachten diesen Gedanken ernsthaft ins Gespräch, was schon daraus hervorgeht, daß sie uns nicht nur allgemein gefragt haben, sondern daß sie von uns wissen wollten, welches Ziel wir empfehlen. Das war die kritischste Frage, die mir je gestellt wurde ... Es war dann von einem russischen Truppenübungsplatz die Rede, auf dem große Mengen russischer Truppen konzentriert waren. Wenn diese Atombombe präzise geworfen und wenn sie einen begrenzten Wirkungsradius haben würde, dann wären die Opfer unter der zivilen Bevölkerung weitgehend auf die Menschen beschränkt, die auf diesem Truppenübungsplatz arbeiteten ... Solche Überlegungen sind am Sonntag, dem 13. August 1961, zum Glück Makulatur geworden."
Also haben die Genossen Keßler und Streletz recht, wenn sie ihren Zeitzeugenbericht aus dem Jahre 2011 betitelten: "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben."
Vielleicht sollten die Möchtegernkrieger um Chossudovsky und Stoltenberg einmal nicht nur bei F.J. Strauß nachlesen, sondern darüber nachdenken, daß jeder Krieg, in welcher Form auch immer, einer zuviel ist!

Dr. Klaus Emmerich, Edertal


Seit Jahren verfolge ich die Entwicklung der Beziehungen des "Westens" zu Rußland. Was gegenwärtig diesbezüglich passiert, läßt mich an dem uneingeschränkten Friedenswillen der EU und der NATO zweifeln und beunruhigt mich sehr. Dem Frieden zu dienen, ist erste Bürger- wie Christenpflicht, so heißt es. Die Realität sieht heute oft anders aus. Das Festhalten an Sanktionen - faktisch Repressalien gegen das russische Volk - im Vergleich zur Duldung von Menschenrechtsverletzungen und autoritärer Staatsführung von Golfstaaten, besonders Saudi-Arabiens, zeigen das Messen nach zweierlei Maß. Solches Vorgehen entbehrt der Logik, vorbehaltlos auf einen Dialog und Kompromißbereitschaft zu bauen.
Den Bürgern Polens und der baltischen Staaten wird leider auf "Verdacht" und Annahme einer angeblichen russischen Bedrohung durch die NATO militärisch "Beistand" zugesichert. Besonders die Vorgänge in der Ostukraine werden von den baltischen Staaten und Polen als militärische Bedrohung betrachtet. Eine militärische Demonstration der Stärke der NATO gegenüber Rußland unter besonderer Beteiligung Deutschlands muß unweigerlich zu Gegenreaktionen und zur Beschleunigung der Aufrüstung führen. Die "beruhigende" Argumentation von der militärischen Überlegenheit der NATO unter Beachtung der militärischen Stärke der USA sollte Erinnerungen an die Blitzkriegsstrategie Hitlerdeutschlands gegenüber einer militärisch scheinbar schwächeren Sowjetunion wecken. Wer Rußland ständig Fehlverhalten unterstellt, ihm Mißtrauen entgegenbringt, seine Befindlichkeiten und Vorschläge nicht ernsthaft beachtet, kann kein Entgegenkommen erwarten.
Die gegenwärtige Situation belastet die Völker, nicht minder das deutsche. Rußland ist für mich nicht das friedensgefährdende Problem. Bei allen Fehlern, die auch der russischen Regierung unterlaufen können, ist die russische Regierung nicht die Alleinschuldige am gestörten Verhältnis zur Ukraine. Die Ukraine hat genug Beispiele geliefert für Unzuverlässigkeit gegenüber Rußland. Der vom Volk gewählte Präsident wurde bekanntlich hinweggeputscht und der russischsprachigen Bevölkerung die amtliche Ausübung ihrer Sprache in Frage gestellt. Die Morddrohungen von Frau Timoschenko gegenüber dem russischen Präsidenten und dem russischen Volk sollten auch nicht vergessen werden.
Meine Hoffnung ist, daß der NATO-Rußland-Rat wieder zum Leben erweckt wird. Seine Aufgabe ist es doch, wenn ich den NATO-Rußland-Vertrag richtig verstanden habe, die Weichen auf Fahrt und nicht auf Prellbock zu stellen. Das setzt natürlich nun endlich einmal voraus, rechtzeitig und auf Augenhöhe zu verhandeln und sich so näherzukommen. Die Wirtschaft in Deutschland, besonders in Sachsen, weiß um den Wert der Handelsbeziehungen mit Rußland. Und ich erinnere mich gern an das Auftreten von Putin vor dem Deutschen Bundestag und seine deutschsprachige Rede.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Es sollte bekannt sein, daß die Krim seit 1783 zu Rußland gehörte. Auf Initiative des KPdSU-Chefs Nikita Chruschtschow wurde die Krim 1954 der Ukrainischen SSR angegliedert. Seit 1992 ist sie "Autonome Republik Krim" mit der Hauptstadt Simferopol.
Nach dem Putsch in Kiew mit Absetzung des gewählten Präsidenten, der sich dem Mißbrauch seines Landes als NATO-Speerspitze verweigerte, erklärte am 11. März 2014 das regionale Parlament der Krim deren Abtrennung von der Ukraine.
Bei dem am 16. März 2014 durchgeführten Referendum mit einer Wahlbeteiligung von 83,1 Prozent sprachen sich 96,7 Prozent für eine Vereinigung mit der Russischen Föderation aus. Mit der Behauptung einer Annexion wird versucht, die gegenwärtige Stationierung von NATO-Einheiten in Polen und den baltischen Republiken zu begründen.

Helmut Stefan, Stendal


Tumbe Germanen labern mit bibberndem Timbre: Müssen wir schon wieder Angst vor den Russen haben? Und das, nachdem sie das in der ganzen bisherigen Geschichte wohl einzigartige Gaunerstück vollbracht haben, binnen eines Vierteljahrhunderts zwei Weltkriege vom Zaun zu brechen und die Russen zweimal zu überfallen - beim zweiten Mal mit der stolzen Bilanz von 27 Millionen Toten! Eine Bagatelle, kaum der Erwähnung wert ... Daß kein Krieg, auch nicht der gerechteste, die Menschen besser macht, ist zwar eine unbestreitbare Tatsache, aber in diesem Zusammenhang selbstverständlich ohne jeden Belang. Die tumben Germanen behaupten, ihre Lehren aus der Geschichte gezogen zu haben. Wie das, wenn man als Folge eines akuten und längst irreversiblen Bildungsnotstandes lernunfähig ist; und aus welcher Geschichte, wenn man keine und folglich auch keinen soliden Begriff von ihr hat?
Kürzlich stellte die "Ostseezeitung" auf ihrer Titelseite die besorgte Frage, ob die Alleen aussterben würden, und teilte dazu mit, daß jährlich etwa zehntausend Bäume der Kettensäge zum Opfer fallen.
Es ist inzwischen fünfzig Jahre her, daß in Canow, einem kleinen Dorf am südlichen Zipfel Mecklenburgs, ein paar Kilometer nördlich von Rheinsberg gelegen, die "bösen Russen" bei einer Übungsfahrt einen Baum mit schwerem Gerät umgeknickt haben. Am folgenden Tag kamen sie wieder - schon der bloße Gedanke stiftet Angst und Schrecken -, richteten den Baum auf und legten der Bruchstelle eine stabile Manschette an, so daß der Baum wieder aufrecht stehend Halt fand. Und wenn er nicht irgendwelchen Dummköpfen aus dem Westen oder anderen Fährnissen zum Opfer gefallen ist, lebt er heute noch.
Ihrer eigenen Sprache bis an die Grenzen zur Absurdität unkundig, haben sich die tumben Germanen in symptomatischer Großmäuligkeit zum "Volk der Dichter und Denker" hochgestapelt. Wie aber hat einer ihrer größten Dichter gesagt? "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht." (Heinrich Heine)

Rolf Bullerjahn, Berlin


Der Ruf nach einer Europa-Armee und einer verstärkten Aufrüstung Deutschlands ist unüberhörbar. Das kostet viele Milliarden, die für die Lösung sozialer Probleme und die Schaffung sozialer Sicherheit besser verwendet werden könnten.
Fragen wir Goethe, der im "Westöstlichen Diwan" schrieb: "Denn ich bin ein Mensch gewesen, und das heißt ein Kämpfer sein." Auch wir kommen nicht umhin, den Kampf für die Erhaltung des Friedens zu führen. Dazu gehören Aufklärung und Bildung, vor allem die Bereitschaft, Verbündete zu suchen, denn allein schafft es keiner. Ernst Thälmann lebte es uns vor. Wir müssen Fehler und Irrtümer überwinden und eine Solidargemeinschaft bilden. Es wird nicht leicht. Doch nur so haben wir eine Chance.

Brigitte Marx, Zörbig


Als die Schweriner Compañeros von Cuba si die Fiesta, die alljährlich anläßlich des kubanischen Feiertags des Sturms auf die Moncada in der Berliner Parkaue stattfindet, erreichten, klangen ihnen heißblütige karibische Rhythmen entgegen. Tausende fanden sich hier ein, um ihre Solidarität mit Kuba öffentlich zu demonstrieren. Veranstalter waren Cuba si, die größte deutsche Solidaritätsorganisation mit Kuba, sowie die Kubanische Botschaft in Deutschland. Kuba-Kenner Hans Modrow, früherer Ministerpräsident der DDR, und Gesine Lötzsch, die bei Bundestagswahlen in Lichtenberg stets das Direktmandat gewinnt, waren ebenfalls aktiv. Im bunten Treiben fielen dann auch die neuen T-Shirts mit darauf gedruckten Fidel felicidades auf. Denn ausgerechnet am historischen 13. August wird Castro 90 Jahre. In unserem Glückwunsch an ihn schrieben wir: "Am 13. August wird die Welt auf Kuba blicken. Manche voller Haß und finsterer Gedanken, andere in Dankbarkeit und Liebe. Lieber Fidel, Du kannst mit Stolz auf ein kampferfülltes Leben und erfolgreiches Wirken bis ins hohe Alter für die kubanische Revolution und ihre internationalistische Pflichterfüllung zurückblicken. Selbst unter schwierigsten Bedingungen hast Du als anerkannter Revolutionsführer Deinem Volk den Weg gewiesen, dem Imperialismus die Stirn zu bieten, den Sozialismus zu verteidigen und alle Kräfte für den Erhalt des Friedens zu mobilisieren."

Karl Scheffsky, Schwerin


Ist erst mal wieder ein Drama vorbei und in Vergessenheit geraten, können wir getrost auf das nächste warten. So gibt das eine dem anderen die Hand, und es wird nicht verheimlicht, daß jedes weitere einen immer höheren Blutzoll kostet. Live werden die Opferzahlen, die Leidenden und die Zerstörungen gezeigt, zwischendurch huscht die Zahnpasta-Werbung über die Bildschirme der friedlich dahinlebenden deutschen Haushalte. Aufs Frühstücksbrett bekommst du vom "Frühstücksfernsehen" wieder frische Opferzahlen serviert, natürlich gleich mit Live-Berichterstattung über einen erneuten Terroranschlag, bei dem man sogar schon einen Paß entdeckt habe. Die Ermittler sind auf Zack, der Schuldige wurde gefaßt.
Das Gefühl, nun endlich eine Sendung gefunden zu haben, in der sich der Kapitalismus selbst entlarvt, mag den einen oder anderen dazu anregen, die Füße stillzuhalten. Wie soll man denn heute noch Wahrheit und Lüge, Recht und Unrecht auseinanderhalten?
Linke Publikationen wie "RotFuchs", "junge Welt" oder "UZ" sind kleine Stiche, die jedoch angesichts der gewaltigen Flut bürgerlicher Medienerzeugnisse lediglich als lästig empfunden werden. Sicher bietet auch das weitgehend in bürgerlicher Hand liegende Internet gegenwärtig noch Möglichkeiten zur Aufklärungsarbeit, doch letztendlich ist festzustellen, daß dieses System in den vergangenen 25 Jahren mit seinen Konsumenten immer leichtes Spiel hatte. Auf zum 1. September, dem Weltfriedenstag, oder sagen wir besser, dem Antikriegstag!

Peter Dornbruch, Schwerin


Die Dokumentation "Germans to the front?" (RF 222, Extra) ist eine sehr verdienstvolle Sache. Es erscheint mir notwendig, immer wieder auf die Brechung des Atomwaffenmonopols der USA hinzuweisen. Sonst wäre die Menschheit vielleicht schon damals am Ende gewesen. Nach zwei gescheiterten Versuchen, die Weltherrschaft zu erringen, ist Deutschland jetzt tatsächlich nur noch Juniorpartner der USA bei ihren verheerenden Aggressionskriegen in aller Welt. Aber die Herrschenden in Deutschland verfolgen durchaus eigene Ziele bei der Sicherung von Rohstoffen und Einflußsphären. Die Folgen der Aggression gegen Jugoslawien, an der deutsche Piloten beteiligt waren, sind noch heute in Belgrad sichtbar. Es muß betont werden, daß dieser erste Aggressionskrieg, den Deutschland nach 1945 geführt hat, von einer Koalitionsregierung von SPD und Grünen zu verantworten ist. Und mit diesen Parteien wollen einige Politiker der Linkspartei eine Koalition auf Bundesebene eingehen!
Die 2001 beginnende Aggression gegen Afghanistan wurde mit dem Terrorangriff auf die Twin Towers in New York und das Pentagon in Washington begründet. Bei der Erfindung von Lügen für Überfälle auf andere Länder haben die USA das faschistische Deutschland bereits weit übertroffen. Von den 15 Terroristen in den Flugzeugen kamen 12 aus Saudi-Arabien. Ein Afghane war nicht dabei. Einige studierten in Deutschland, die Pilotenausbildung erfolgte in den USA. Der Saudi Osama bin Laden soll aus Afghanistan den Befehl zum Terrorangriff gegeben haben, und die afghanische Regierung habe sich angeblich geweigert, ihn auszuliefern.
Wenn ein Spezialkommando der USA bin Laden damals in Afghanistan umgebracht hätte, wäre das genauso ein Verstoß gegen das Völkerrecht gewesen wie später in Pakistan. Afghanistan hat die USA nicht angegriffen. Es gab also keinen Grund für den Überfall und ebensowenig eine Bündnisverpflichtung für Deutschland.
Mit rund 600 militärischen Stützpunkten rund um den Erdball versuchen die USA ihren globalen Anspruch zu sichern. Die U.S. Navy kreuzt im Schwarzen Meer. Nur die Mehrheitsentscheidung der Krim-Bevölkerung für die Wiedervereinigung mit Rußland verhinderte, daß die Amerikaner in Sewastopol ankern können.

Dr. Kurt Laser, Berlin


In jenem Jahr, als die Hitlerfaschisten die Sowjetunion überfielen, wurde Bernd Schwipper geboren. 40 Jahre später absolvierte er die Generalstabsakademie der UdSSR in Moskau. Das wäre an sich kaum erwähnenswert - viele andere hatten gleich ihm diese Chance -, wenn er nicht jetzt einen großen Sinneswandel vollzogen hätte.
So titelt die "junge Welt" am 7. Juni 2016 in einem ganzseitigen Artikel: "Ein ehemaliger NVA-General denkt sich aus, wie die Sowjetunion Nazideutschland überfallen wollte."
Dieser machte im Arbeiter-und-Bauern-Staat eine steile Karriere. Er diente vom Kanonier im Jahre 1960 bis zum Kommandeur einer Luftwaffenverteidigungsdivision 1990. Nun schrieb er ein Buch, in dem er als Kronzeuge eines angeblich von Stalin geplanten Angriffskrieges fungiert. Seine Kernaussage lautet, Hitler sei Stalin am 22. Juni 1941 nur zuvorgekommen. Woher nimmt dieser Renegat seine "Weisheiten"?
Es besteht kein Zweifel: Er stützt sich auf die Aussagen einer ganzen Armada von Sensationsliteraten im heutigen Rußland, die versuchen, die sowjetische Militärdoktrin und Militärgeschichte zu verfälschen. Im Buch "Überfall auf Europa - plante die Sowjetunion 1941 einen Angriffskrieg?", herausgegeben vom rechtsextremen Pourle-Mérite-Verlag, schreibt der Mitherausgeber Dmitrij Chmelnizki unter Bezugnahme auf das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal: "... daß das Regime Stalins um keinen Deut besser, wenn nicht noch schlimmer als der NS-Staat war und man ihm mindestens die gleichen militärischen Verbrechen anlasten konnte, wie man sie nun dem Deutschen Reich unter Hitler vorwarf".
Für mich ist das eine Ungeheuerlichkeit, der ich entschieden widerspreche.
Wenn aus dieser Sudelliteratur ein ranghoher ehemaliger Militär der DDR sein Denkschema aufbaut, dann ist das offener Revisionismus. Anläßlich des 55. Jahrestages des Sieges sagte Generaloberst a. D. Fritz Streletz vor Angehörigen des Russischen Komitees der Kriegsveteranen im Jahre 2000 in Moskau: "Über 13.000 Offiziere der NVA haben sowjetische Militärakademien besucht. Die Generalstabsakademie haben annähernd 400 Offiziere und Generale absolviert. ... Für unsere mangelhafte Kaderarbeit und Kaderauswahl haben wir 1989/90 die Quittung erhalten. Nicht nur eine bestimmte Anzahl von Offizieren der NVA, sondern auch einige Generale, die zwei sowjetische Akademien absolviert haben, waren bereit, über Nacht ihren Dienst in der Bundeswehr aufzunehmen. Diese Bereitschaft, ... in einer NATO-Armee weiter zu dienen, ist beschämend." Längst haben seriöse Historiker wie Kurt Pätzold, Manfred Weißbecker und andere die von dem genannten Protagonisten vertretene Theorie entlarvt und widerlegt.
Ob Schwipper es will oder nicht, er ist ein Nestbeschmutzer. Mit seinem Buch reiht er sich in die Reihe der Rußlandfeinde ein. Die NATO-Strategen haben auf dem letzten Gipfeltreffen in Warschau ihre aggressiven Absichten erneuert und verschärft. Mit ihrem neuerlichen Drang nach dem Osten spitzen sie die Lage weiter zu.
Der vor kurzem von 60 Offizieren und Generalen der früheren NVA und der Grenztruppen der DDR unterzeichneten und veröffentlichten Erklärung zum Frieden gilt meine volle Unterstützung.

Oberst a. D. Hans Linke, Suhl

Anmerkung der Redaktion:
Eine ausführliche Kritik des geschichtsrevisionistischen Machwerks von Bernd Schwipper durch Klaus Hesse sowie weitere Beiträge zur faschistischen Präventivkriegslüge und ihrer Funktion in der gegenwärtigen politischen Situation veröffentlichen wir im Oktober als Beilage.


Die Welt ist nicht friedlicher geworden. Im Gegenteil. Es gibt keinen Tag, an dem nicht von terroristischen Aktionen berichtet wird, denen Menschen zum Opfer fallen. Es ist nicht zu überhören, daß sich ein erheblicher Teil der bürgerlichen Propaganda bedrohlich gegen Rußland wendet. Und nicht nur die Propaganda! Die NATO - gegründet 1949 gegen den Warschauer Pakt als militärisches Bündnis, dem die Bundesrepublik Deutschland 1955 beigetreten ist -, hat heute ihre Stellungen rund um Rußland ausgebaut. Die neue Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Gemeinschaft sieht vor, Aufrüstung und Kriegsbereitschaft zu verstärken, das Bündnis zur NATO zu intensivieren, zugleich aber die eigenen Fähigkeiten zur Verteidigung weiterzuentwickeln und die Militärausgaben zu erhöhen. Das bedeutet einen weiteren Schritt zur Militarisierung der EU. Ist dieser Verbund dafür geschaffen worden, die Welt noch kriegerischer zu machen? Haben die Menschen in den europäischen Ländern ein solches Interesse? Sind das nicht eher jene, die wie eh und je am Krieg verdienen, ohne ihre eigene Haut zu Markte zu tragen?
Es gibt Stimmen, die meinen, daß der Austritt Großbritanniens aus der EU ein Signal an die verbleibenden Länder sein sollte, einen demokratischen, friedlichen Weg einzuschlagen. Das ist das Gebot der Stunde. Es ist zu hoffen, daß das den EU-Ländern gelingen möge!

Gerda Huberty, Neundorf


Der Austritt Großbritanniens aus der EU zeigt mir, daß es die Bourgeoisie einer Großmacht nicht hinnimmt, die deutsche Vormachtstellung in Europa zu akzeptieren. Deren Votum gegen die EU zeugt von den existierenden grundlegenden Widersprüchen innerhalb dieses Konstrukts, die immer deutlicher zutage treten. In Deutschland sind es die Kräfte des Kapitals, die aus dem verlorenen 2. Weltkrieg nachträglich als Sieger hervorgehen wollen, in Großbritannien sind es die gleichen Kräfte, die das Podest des Sieges besteigen wollen. Hans

Georg Vogl, Zwickau


Hauptamtliche Politiker der Linkspartei kommunizieren kurz nach dem Magdeburger Parteitag mit der SPD - und das ganz unverfroren entgegen der Grundsatzreden und Beschlüsse für eine politisch nicht verantwortbare Regierungsfähigkeit.
Bodo Ramelow empfindet dabei das dringend zu klärende Thema NATO (Kriegstreiber Nr. 1) als störend und möchte es beiseitelegen, nachdem er die DDR, den ersten deutschen Friedensstaat, schon als "Unrechtsstaat" ausgemacht hat.
Sigmar Gabriel sucht verzweifelt nach dem rettenden Strohhalm, der die SPD aus dem Umfragetief herausholen soll, und da ist dem staatlich sanktionierten Rüstungslieferanten plötzlich Die Linke ein Augenzwinkern wert.
An den Taten sollst du sie messen und nicht ihren Lügen Glauben schenken! Die Chancen für eine andere friedfertige und soziale Politik hat die SPD bisher immer ungenutzt gelassen. Wieso müssen sich immer die anderen ändern und nicht auch einmal die Sozialdemokratie?
Mit diesen wankelmütigen, unzuverlässigen und zum Teil selbstzerstörerischen öffentlichen Bekundungen linker Politiker verliert die PDL weiter an Vertrauen und dies auch in den eigenen Reihen. Was gelten noch Programme und Parteitagsbeschlüsse, wenn sie bei linken Berufspolitikern der Vergessenheit anheimfallen.
Müssen wir Mitglieder und Sympathisanten dies klaglos hinnehmen? Es ist zu wünschen, daß die "Basis" sich kraftvoll zu Wort meldet und daß ein scharfer sowie befreiender Wind durch linke Abgeordnetenbüros weht und unsere Grundsätze für eine antikapitalistische und antimilitaristische sowie sozial gerechte Politik wieder zu stetem und aktivem Leben erweckt werden.

Raimon Brete, Vorsitzender OV Sonnenberg/Chemnitz der Partei Die Linke


Eine kleine Korrektur zum Leserbrief von Gerda Huberty, mit dessen Inhalt ich ansonsten völlig übereinstimme: Nicht die alten Griechen haben Karthago zerstört, sondern die Römer. Das angeführte Zitat wird dem römischen Staatsmann Marcus Porcius Cato (d. Ä.) zugesprochen (nicht belegt), der als Senator die Zerstörung Karthagos forderte. Hätte das ein Grieche gesagt, würde das Zitat nicht in lateinisch, sondern altgriechisch vorliegen.

Dr. Klaus Schwurack, Dresden


Ich habe kürzlich mein 94. Lebensjahr vollendet und befinde mich jetzt also im 95. Da schwirren einem eine Menge Gedanken durch den Kopf, die man Jüngeren gern mitteilen möchte. Schaue ich die vergangenen Jahrzehnte zurück, erkenne ich deutlich, was sich verändert hat und was geblieben ist. Verändert haben sich fraglos Ökonomie und Ökologie, Wissenschaft und Bildung, Kultur und Sport. Das ist normal und gut so. Was nicht normal und auch nicht gut ist, sind folgende Tatsachen:
- Die Nazis sind wieder im Kommen.
- Jeder kann Hitlers "Mein Kampf" im Originaltext lesen.
- Deutsche Soldaten sind wieder in Kriege verwickelt wie in meiner Kindheit die "Legion Condor" in Spanien.
- Rußland ist erneut das Schreckgespenst für die Deutschen, der Herd allen Bösen, der mit deutschem Chauvinismus und Säbelrasseln bekämpft wird.
- Das "Deutschland-Lied" wurde insbesondere in den EM-Fußballtagen häufig intoniert, was mich erschreckte, weil ich miterlebt habe, wie Hitlers Kolonnen unter den Klängen und unter Mißbrauch des von Haydn und Hoffmann von Fallersleben geschaffenen Liedes große Teile Europas in Schutt und Asche legten.
- Das Vermächtnis von Marx, Engels und Lenin wird, was mich nicht verwundert, von der Bourgeoisie geschmäht. Aber es verwundert schon, daß die (laut Untertitel) sozialistische Tageszeitung "neues deutschland" nicht mehr aus diesem Erbe schöpft. Es ist fatal, wie mir ein ehemaliger Kollege schrieb, daß "oft bei Jüngeren (aber auch bei Älteren) Unwissenheit darüber herrscht, welche Einrichtungen sich die herrschende Klasse schafft, um die gewünschte Ideologie in die Hirne der Untertanen zu pflanzen. ... Zur Zeit fehlen einfach Kenntnisse der Gesellschaftstheorie, ein Minimum an theoretischem Wissen."
Wie aber soll eine Bevölkerung, die in großen Teilen keine Kenntnis über den gesetzmäßigen Verlauf der Geschichte hat, an der Ablösung eines anachronistischen Systems zugunsten einer humanistischen Gesellschaftsordnung mitwirken?

Helmuth Hellge, Karolinenhof


Ich bedanke mich für den Artikel über Margot Honecker im Juli-RF. Wer mehr über sie erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch "Post aus Chile" - die Korrespondenz mit Margot Honecker, die vom Verlag edition ost herausgegeben wurde. Leider vermißte ich eine Anzeige zum Tod von Generaloberst a. D. Horst Stechbarth, Chef der Landstreitkräfte der NVA, der ein hervorragender Militärstratege war. Bedauerlicherweise gibt es sehr wenig Veröffentlichungen über ihn, doch vielleicht hat ein RF-Leser etwas über ihn. Über eine Rückmeldung würde ich mich freuen (evtl. Informationen zur Weiterleitung bitte an die Redaktion).

Major a. D. Karl-Heinz Gerstler, Cottbus


In der Berliner Vorwahlzeit wird in politischen Einschätzungen auf das unterschiedliche Wahlverhalten in Ost- und Westberlin hingewiesen und über die Ursachen gerätselt. Kein Gedanke wird darauf verwendet, das komplexe Bildungssystem der DDR als Hauptursache heranzuziehen. Gutes Allgemeinwissen, logisches Denken und selbständiges kritisches Bewerten politischer Zusammenhänge waren Bestandteil der gesamten Ausbildung. Wen wundert es, wenn noch heute viele Ostberliner eine unehrliche Politik und deren Auswirkung auf das eigene Leben besser erkennen können und sich dies auch im Wahlverhalten niederschlägt?

Dennis Klingenberg, Berlin


Herzlichen Dank an Gisela Steineckert für ihre ergreifenden Worte im Juni-RF zum Tod unseres Genossen Klaus Steiniger. Schon in meinen Jugendjahren hatte ich als "nd"- und "jW"-Leser von Klaus gehört. Ich beteiligte mich aktiv an Protestaktionen gegen die Einkerkerung von Nelson Mandela und Angela Davis. Als ich im Jahr 2015 meinen Artikel über das Leben und Wirken meines Großvaters Ernst Puchmüller an den "RotFuchs" schickte, klingelte einige Wochen später das Telefon: "Hier ist Klaus Steiniger, Chefredakteur des RotFuchs." Er sagte mir, daß der Artikel im November veröffentlicht werden soll und bat mich um ein Foto meines Großvaters. Klaus hat eine Lücke hinterlassen, aber wir alle gemeinsam - ob einer Partei zugehörig oder nicht, wir Kommunisten, Sozialisten, aufrechte Christen oder parteilos - bemühen uns, diese Lücke zu schließen.

Karl-Heinz Puchmüller, Waren (Müritz)


Meine Versicherung empfiehlt mir, eine Drohnenversicherung abzuschließen. Vorsichtshalber, denn mit dieser "Technik" könne man viel Schaden anrichten. Da ich aber über eine solche nicht verfüge, brauche ich auch keine diesbezügliche Versicherung. Doch vielleicht sollte man sie Barack Obama empfehlen? Allerdings, bei dem Risiko für die Versicherung wird er sich die Beiträge wohl nicht leisten können ­...

Wilhelm Barthels, Berlin


Ich bin froh, daß ich durch Peter Pöschmann den "RotFuchs" kennenlernen konnte, den ich an jedem Monatsanfang erwarte und der mich in meinen kommunistischen Anschauungen bestärkt. Es ist gut, daß Ihr regelmäßig an Persönlichkeiten erinnert, die sich der Menschheit gegenüber verpflichtet sahen. Diese Seite der Allgemeinbildung spielt heute in der Bundesrepublik so gut wie keine Rolle mehr. Dort, wo ich wohne, werden Millionen für Autostraßen ausgegeben, aber nichts für den Erhalt und die Pflege des an die Befreiungstat der Roten Armee im 2. Weltkrieg erinnernden Gedenksteins getan. Gespannt bin ich, ob es mal jemandem einfallen wird, an dieser Stelle an die Worte des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker einzugehen, der den 8. Mai als "Tag der Befreiung" gewürdigt hat. Oder ob es gelingen wird, den abgerissenen Namen auf dem Karl-Marx-Gedenkstein bis zu seinem 200. Geburtstag im Jahre 2018 wieder zu restaurieren.

Karl Heinz Oehme, Döbeln

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RF-Bezugsbedingungen

Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
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Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.


IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin

REDAKTION: Wolfgang Metzger, (V.i.S.d.P.)
Arnold Schölzel, Bruni Steiniger
Klopstockstr. 19, 12623 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de

LAYOUT: Rüdiger Serinek

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net
Webmaster: Michael Geipel

Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

AUTORENKREIS:
Florian Adler
Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
Dr. Peter Elz
Bernd Fischer
Peter Franz
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Lutz Jahoda
Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
Christa Kozik
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Prof. Dr. Herbert Meißner
Jobst-Heinrich Müller
Horst Neumann
Cornelia Noack
Prof. Dr. Gerhard Oberkofler (Innsbruck)
Erhard Richter
Prof. Dr. Horst Schneider
Prof. Dr. Rolf Sieber
Gisela Steineckert
Marianne Walz
Johann Weber
Prof. Dr. Zbigniew Wiktor (Wroclaw)
Edda Winkel

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt, Klaus Parche, Heinrich
Ruynat, Renatus Schulz, Gertrud Zucker

VERSAND UND VERTRIEB:
Konstantin Brandt
Glanzstraße 6, 12437 Berlin
Telefon 030/53 02 76 64
vertrieb@rotfuchs.net
oder Sonja Brendel, Tel. 030/512 93 18
Heiner Brendel, Gerald Umlauf,
Hans Ludwig u.v.a.m.

MITGLIEDERFRAGEN:
Wolfgang Dockhorn, Postfach 02 12 19,
10123 Berlin, Tel. 030/241 26 73
WDockhorn@t-online.de

FINANZEN:
Jürgen Thiele, Prerower Platz 6,
13051 Berlin, Tel.: 030/981 56 74

UNSER KONTO:
"RotFuchs"-Förderverein
IBAN: DE18 1005 0000 2143 0314 00
BIC: BELADEBEXXX

Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht immer mit denen der Redaktion übereinstimmen.

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Quelle:
RotFuchs Nr. 224, 19. Jahrgang, September 2016
Redaktion: Klopstockstr. 19, 12623 Berlin,
Telefon: 030/561 34 04, Fax: 030/56 49 39 65
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2016

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