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ROTFUCHS/180: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 226 - November 2016


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 226, November 2016



Inhalt

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Im Zeichen des roten Sterns

Um 10 Uhr am Vormittag des 7. November 1917, am 25. Oktober des in Rußland noch gültigen julianischen Kalenders, wurde in Petrograd folgender Aufruf angeschlagen: "An die Bürger Rußlands! Die Provisorische Regierung ist gestürzt. Die Staatsmacht ist in die Hände des Organs des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten, des Revolutionären Militärkomitees, übergegangen. Die Sache, für die das Volk gekämpft hat: das sofortige Angebot eines demokratischen Friedens, die Aufhebung des Eigentums der Gutsbesitzer am Grund und Boden, die Arbeiterkontrolle über die Produktion, die Bildung einer Sowjetregierung - sie ist gesichert. Es lebe die Revolution der Arbeiter, Soldaten und Bauern!" Der Aufruf wurde von der Funkstation des Kreuzers "Aurora" verbreitet und noch am selben Tag in der bolschewistischen Zeitung "Rabotschi i Soldat" (Arbeiter und Soldat) abgedruckt. Lenin, der ihn verfaßt hatte, war nach vier Monaten in der Illegalität wieder in der Stadt und trat am Nachmittag des Tages zum ersten Mal nach seiner Abwesenheit in der Öffentlichkeit auf, bei der außerordentlichen Sitzung des Petrograder Sowjets.

In einer kurzen, mit stürmischem Beifall aufgenommenen Rede erklärte er die Bedeutung der Umwälzung. Sie bestehe darin, "daß wir eine Sowjetregierung, unser eigenes Machtorgan haben werden, ohne jegliche Teilnahme der Bourgeoisie". Und dann: "Eine unserer nächsten Aufgaben besteht darin, sofort den Krieg zu beenden. Um aber diesen Krieg zu beenden, der mit der gegenwärtigen kapitalistischen Ordnung eng verknüpft ist, muß man das Kapital selbst niederringen." Lenin sagte voraus: "Der gerechte, sofortige Frieden, den wir der internationalen Demokratie anbieten, wird überall unter den Massen des internationalen Proletariats leidenschaftlichen Widerhall finden."

Am Abend des folgenden Tages erschien Lenin auf dem Zweiten Gesamtrussischen Kongreß der Sowjets der Arbeiter- und Bauerndeputierten, der am späten Abend des 7. November seine Tätigkeit ohne ihn aufnahm. Noch hatte der bewaffnete Aufstand nicht gesiegt. Lenins erstes Wort an diesem 8. November galt dem Frieden, der Beendigung des imperialistischen Gemetzels, das im August 1914 begonnen und bis dahin Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Er sagte: "Die Frage des Friedens ist die aktuellste, die alle bewegende Frage der Gegenwart", und verlas das von ihm formulierte "Dekret über den Frieden", das zur ersten Amtshandlung der Sowjetmacht wurde. Es war der Vorschlag an alle kriegführenden Völker und ihre Regierungen, "sofort Verhandlungen über einen gerechten demokratischen Frieden aufzunehmen". Um 22.35 Uhr des 8. November 1917 forderte der Kongreßvorsitzende Lew Kamenew alle Delegierten, die mit der Proklamation einverstanden waren, auf, die Karten zu erheben. Der US-Journalist John Reed schilderte: "Ein Delegierter wagte es, dagegen zu stimmen, aber der plötzliche Ausbruch des Zorns um ihn herum ließ ihn die Hand schnell wieder herunternehmen. Und plötzlich, einem gemeinsamen Impuls folgend, hatten wir uns erhoben und sangen die Internationale." Danach begründete Lenin das "Dekret über den Boden". Er wurde nach Jahrhunderten erstmals denen gegeben, die ihn bearbeiteten.

Wenn in einem Jahr, am 7. November 2017, die fortschrittliche Menschheit den 100. Jahrestag der Oktoberrevolution feiert, dann wird das welthistorische Dekret über den Frieden eine besondere Rolle spielen. Lenin hatte recht, als er vorhersagte, daß der Aufruf zum demokratischen Frieden eine ungeheure Wirkung haben werde. Die Sympathien für die russische Revolution speisten sich bis weit ins bürgerliche Lager - weit über die Arbeiterbewegung hinaus, unter Wissenschaftlern, Künstlern, Journalisten - aus diesem Vorschlag und seiner Verwirklichung. Die Revolution wurde, wenn man so will, von vielen Menschen auf der Welt als Friedensbewegung wahrgenommen, nicht zuletzt in den um ihre nationale Befreiung in den Kolonien Kämpfenden.

Frieden und Sozialismus bilden ebenso eine Einheit wie Kapitalismus und Krieg. Vom ersten Tag der russischen Revolution an drohte die innere und äußere Konterrevolution mit Gewalt und Intervention. Seit dem Ersten Weltkrieg war auch klar: Der Krieg gegen die Revolution wird ein Kolonial- und Vernichtungskrieg sein. Durch Krieg wurde sie letztlich bezwungen. Sie erholte sich im Grunde nie wirklich von den Zerstörungen und Verlusten des Zweiten Weltkriegs, sie unterlag in dem kalter Krieg genannten Kampf um Rüstung und Wohlstand. Seitdem spitzt sich die Weltlage zu. Die Zeit vom 99. bis zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution und des Dekrets über den Frieden verlangt mehr denn je, um diesen zu kämpfen. Und darüber aufzuklären, daß er letztlich ohne Sozialismus nicht auf Dauer zu haben ist.

Arnold Schölzel

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NATO-Kriegsbotschaft aus Warschau

Der Name der polnischen Hauptstadt löst unterschiedliche Assoziationen aus: Bilder vom Aufstand im Warschauer Ghetto und der Zerstörung der Stadt durch die Nazi-Okkupanten 1944, Erinnerungen an den Kniefall Willy Brandts 1971 als Geste für deutsche Schuld, das Wissen um den Warschauer Pakt und seine Bedeutung für den vierzigjährigen Frieden in Europa.

Und nun im Juli 2016 die NATO in Warschau! Der Vergleich des Anliegens des Warschauer Paktes mit den Entscheidungen des NATO-Gipfels widerspiegelt nicht nur die völlig veränderte Weltlage, sondern ermöglicht auch den Vergleich der Strategien, die 1955 und 2016 mit dem Namen Warschau verbunden sind.

Der Warschauer Pakt wurde mit dem Ziel gegründet, die Freundschaft, Zusammenarbeit und den gegenseitigen Beistand der acht Vertragsstaaten zu gewährleisten. Der Pakt garantierte den zuverlässigen Schutz gegen die Roll-back- und Revanchepolitik der NATO, nicht zuletzt der BRD. Der Artikel 4 legte den gegenseitigen Beistand im Falle des bewaffneten Überfalls fest. Otto Grotewohl hob bei der Unterzeichnung des Warschauer Paktes seine Bedeutung für die Sicherheit der DDR und für den Frieden in Europa hervor. Der Frieden, der auf der gegenseitigen Abschreckung beruhte, war häufig ein Balancieren am Rande des Atomkriegs und verschlang Ressourcen, die anderweitig für die Lösung von Menschheitsproblemen hätten eingesetzt werden können.

Die "Wende" hätte auch eine radikale Wende auf dem Gebiet der Rüstung und Militärpolitik einleiten können. Eine Bedingung wäre der Austritt Deutschlands aus dem NATO-Kriegsbündnis gewesen. Jetzt ist der Streit über die völkerrechtlichen Grundlagen und politischen Konsequenzen der NATO-Osterweiterung in vollem Gange. Hier verweise ich nur auf folgendes: Die Entscheidung soll bei den Beratungen zwischen Kohl und Gorbatschow am 15. Juli 1990 in Moskau gefallen sein. Horst Teltschik, der Adlatus Kohls, notierte in "329 Tage": "Ganz ruhig und ernst stimmte Gorbatschow zu, daß Deutschland weiter Mitglied der NATO bleiben kann." Prof. Rafael Biermann, der analysierte, "wie Moskau mit der deutschen Einheit rang", fand, daß Gorbatschow sich nun "mit der NATO-Mitgliedschaft bei vollem NATO-Schutz für die DDR" einverstanden erklärte. Im Gesprächsprotokoll Kohl - Gorbatschow vom 15. Juli 1990 ist (Dokumente Deutsche Einheit, S. 1346) zu lesen, daß Gorbatschow dem Verbleib Deutschlands in der NATO zustimmte, aber der Geltungsbereich nicht auf die DDR ausgedehnt werden dürfe. Die DDR-Bürger und deren Regierung wurden nicht gefragt. Einen Volksentscheid wie im Saarland oder später auf der Krim gab es in der DDR beim Anschluß nicht. Die kurzsichtige Entscheidung Gorbatschows, die auch den Interessen der UdSSR widersprach, war ein (honoriertes) Geschenk an den Imperialismus. Damals erhielt Gorbatschow den Friedensnobelpreis, heute protestiert er gegen das Vorgehen der NATO.

Helmut Kohl versicherte nach 1990, daß Deutschland nur noch von Freunden umgeben sei. Der Warschauer Pakt löste sich auf, womit auch das Märchen von der sowjetischen Bedrohung zu Ende ging. Warum sollte die NATO weiterhin existieren? Wieso konnten die Kohl und Co. ohne die "Osterweiterung" der NATO nicht auskommen? Die einmalige historische Chance, Deutschland auf den Weg des Friedens zu führen, wurde leichtfertig vertan.

"Die Welt ist aus den Fugen geraten", trompetete Steinmeier 2016 mehrfach in die Mikrophone. Warum das so ist, und welchen Anteil Deutschland daran hat, sagte er nicht. Es ist auch nicht bekannt, daß er gegen die Entscheidungen protestierte, denen die Kanzlerin in Warschau zustimmte: NATO-Truppen, auch deutsche, werden permanent im Baltikum stationiert. Sie führen Manöver unter kriegsähnlichen Bedingungen durch, die gegen Rußland gerichtet sind. Die Rüstungsausgaben werden beträchtlich erhöht, besonders durch Deutschland. Die Modernisierung und die Neustationierung von Atomwaffen werden forciert. Landgestützte Raketen werden in Rumänien, der Türkei und Polen als "Raketenschirm" installiert.

Alles zusammengenommen bedeuten die Warschauer Entscheidungen die Rückkehr zum kalten Krieg unter veränderten Bedingungen. Die Gratwanderung am Rande des atomaren Krieges wird den Völkern bewußt aufgezwungen. "Der Spiegel" (28/2016, S. 36), der bemerkt hat, daß gegenwärtig die "Scharfmacher" den Ton angeben, zitiert den Befehlshaber der NATO-Truppen in Litauen, Jakob Larsen: "Wir müssen wieder lernen, den totalen Krieg zu führen."

"Der Spiegel" vermutet, daß der NATO-Offizier offenbar nicht weiß, daß der Aufruf zum totalen Krieg 1943 durch Goebbels erfolgte. Was berechtigt zu dieser Vermutung? Viele Indizien deuten darauf hin, daß der Offizier aussprach, was die NATO tatsächlich tut: Sie bereitet den Krieg gegen Rußland vor.

Wer die NATO-Politik und die Entscheidungen des Warschauer Gipfels aus der Sicht des Kreml betrachtet, kann nur "Putin-Versteher" sein: Rußland ist eingekreist. Die Raketen, die auf Moskau gerichtet sind, stehen auch auf dem Boden ehemaliger Verbündeter, für deren Befreiung ungezählte Rotarmisten ihr Blut vergossen haben. Angela Merkel, eine Ex-DDR-Bürgerin, die in der Sowjetunion studiert hat, war die Hauptbetreiberin des Embargos. Kaum etwas löst soviel Zorn aus wie das Gefühl, verraten und hintergangen worden zu sein. Wenn Merkel die Ereignisse auf der Krim und in der Ukraine als Vorwand nimmt, entlarvt sie sich als Heuchlerin, die für einen Dialog völlig ungeeignet ist. Auf der Krim wurde im Unterschied zum Anschluß der DDR das Selbstbestimmungsrecht der Bürger respektiert. Auf dem Maidan kreuzten bei den regierungsfeindlichen Demonstrationen deutsche Außenminister auf. Ist es vorstellbar, daß vor dem Brandenburger Tor etwas Ähnliches durch einen Moskauer Politiker erfolgt?

Es bleibt bei Erkenntnissen, die die SPD vor 1989 auch mit der SED teilte: Die Menschheitsprobleme sind nicht durch militärische Mittel zu lösen, auch nicht durch "Säbelgerassel" (Steinmeier). Sicherheit ist nicht gegen, sondern nur mit Rußland zu haben. Mit Bismarck: Deutsche Politik fängt mit guten Beziehungen zu Rußland an. Was liegt im Interesse deutscher Bürger: Rüstung und Krieg oder friedliche Nachbarschaft, die vor kurzem noch friedliche Koexistenz hieß? Politik basiert auch auf Vertrauen in den Partner. Welcher deutsche Politiker genießt in Moskau noch Vertrauen? Wie reagiert das leidgeprüfte russische Volk auf die Beschlüsse von Warschau?

Einige Journalisten scheinen zu ahnen, daß die Fortsetzung dieser Politik in die Katastrophe führt. Frank Grubitzsch schrieb in der "SZ": "Doppelstrategie gegen Putin geht nicht auf." "Der Spiegel" (28/2016, S. 82 f.) ließ einen Berater Putins, Sergej Karaganow, zu Wort kommen. Der Kremlberater sprach von einer Vorkriegssituation und von einer Propaganda, die an einen neuen Krieg erinnert. "Aber was macht der Westen? Er verteufelt Rußland nur noch."

Bleibt nur zu hoffen, daß Wladimir Putin die christliche Feindesliebe und die aufklärerische Vernunft höher achtet als die Kanzlerin, die sich auf das christliche Abendland beruft!

Prof. Dr. Horst Schneider

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"Es geht um unsere Existenz"
Gespräch mit Bernd Mewes
(Vorsitzender der Friedensgesellschaft Berlin e.V.)

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Wege aus der Kriegslogik - Für eine neue Friedenspolitik

Im September 2015 verstarb "der Initiator und Motor" des jährlich stattfindenden "Friedensratschlags" an der Universität Kassel, Dr. Peter Strutynski, schreibt Herausgeber und Kosprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken, im Vorwort zu dem Band "Wege aus der Kriegslogik. Für eine neue Friedenspolitik". Das Buch dokumentiert den 22. Ratschlag, der am 5. und 6. Dezember 2015 stattfand und mit mehr als 400 Teilnehmern der bisher größte war.

Möglicherweise war er auch einer der besonders ertragreichen. Das hat leider mit der globalen Realität zu tun, aber auch mit der Qualität der hier versammelten Analysen von 25 Autorinnen und Autoren, die zum Teil mit mehreren Beiträgen vertreten sind. Um es vorwegzunehmen: Wer sich über einzelne Krisen, Hintergründe bewaffneter Kämpfe auf der Welt und über geopolitische Strategien informieren möchte, erhält mit dem Sammelband ein ebenso aktuelles wie umfassendes Kompendium.

An dieser Stelle können nur einige Beiträge herausgegriffen werden. So stellt der Völkerrechtler Norman Paech die Frage, ob die UNO nach 70 Jahren ausgedient hat, und beantwortet sie trotz zunächst negativer Bilanz in drei Punkten positiv: Erstens wird die Legitimation der antikolonialen Befreiungskämpfe in den 60er und 70er Jahren durch die UN-Generalversammlung genannt, mit der diese Kämpfe erleichtert wurden. Nicht zuletzt, weil sie durch Länder wie die Sowjetunion, die DDR und Kuba materiell und militärisch unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht unterstützt werden konnten. Zweitens führt Paech die Erklärung über eine neue Weltwirtschaftsordnung von 1974 an, mit der die Staatensouveränität über eigene Rohstoffe proklamiert wurde. Das wiederum ermöglichte die Enteignung entsprechender ausländischer Konzerne (nur Belgien, die BRD, Dänemark, Großbritannien, Luxemburg und die USA stimmten gegen die Resolution). Allerdings blieben die Gegner Sieger und gestalteten die Weltwirtschaft nach ihren Interessen. In CETA und TTIP, so Paech, gehe es gegenwärtig "um letzte Reste staatlicher Regelungsbefugnisse und demokratischer Teilnahme am Wirtschaftsprozeß". Drittens zählt der Jurist auch die Übereinkunft über ein materielles und prozessuales Völkerstrafrecht zu den Positiva. Die UNO beschloß auf ihrer ersten Generalversammlung, einen Strafgerichtshof zu errichten, der über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit urteilen sollte. Das dauerte aber bis 2002, und noch heute unterwerfen sich nur 123 Staaten dem Gericht, das zudem bisher nur zur Aburteilung von Afrikanern diente. Paechs Fazit - auch im Hinblick auf die Instrumentalisierung der Vereinten Nationen für die Kriege der vergangenen 25 Jahre: das "Wunsch- und Paradiesbild" von der UNO müsse revidiert werden, denn sie sei bei realistischer Betrachtung "nicht überflüssig, wohl aber notwendig".

Die meisten anderen Rednerinnen und Redner beim Friedensratschlag 2015 befaßten sich mit akutem Kriegsgeschehen und dessen Ursachen. Letztere sieht z. B. der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu (Die Linke) beim NATO-Ukraine-Rußland-Konflikt im Versuch des Westens, "in die traditionelle russische Einflußzone einzudringen (...), ja eigentlich sogar in das historisch russische Kernland vorzudringen".

Der "westliche Imperialismus" kenne "keine Hemmschwelle". Die Publizistin Karin Leukefeld nimmt in ihrem Beitrag zum Syrien-Krieg u. a. Äußerungen (um nicht von Lügen zu sprechen) von Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 regelrecht auseinander. Sie und auch der Politikwissenschaftler Werner Ruf, der die Frage untersucht, ob es im Nahen Osten um religiöse Kämpfe gehe, verweisen auf das 2015 veröffentlichte US-Geheimdienstpapier aus dem Jahr 2012, in dem vor der Errichtung eines "Kalifats" gewarnt, zugleich aber festgehalten wurde, daß diese Entwicklung offensichtlich von Washington gewollt sei.

Werner Ruf zeigt in seinem Beitrag, wie der Westen sich das neue Feindbild "Islam" schuf und im Nahen Osten, wo Religionen "unter dem Islam" 1500 Jahre recht friedlich zusammengelebt hätten, "Religionszugehörigkeit plötzlich zur Konfliktursache und zur Konflikterklärung zugleich stilisiert" wurde. Ruf warnt vor Plänen des Westens, Staaten des Nahen Ostens auf dieser Basis zu zerschlagen: "Der entfesselte ethno-religiöse Wahn, zur Schaffung einer neuen 'Ordnung' instrumentalisiert, wird sich aber nicht auf das Territorium der (ehemaligen) Staaten Syrien und Irak begrenzen lassen."

Erwähnt seien hier noch Beiträge von Erhard Crome über die Zerstörung von Lebensgrundlagen und resultierende Fluchtbewegungen, von Matin Baraki zu den Perspektiven Afghanistans, von Joachim Guilliard zu den Folgen "humanitärer Interventionen" am Beispiel Libyens oder von Christine Buchholz zu "Aufrüstungs-PR" für das neue Weißbuch der Bundeswehr.

Lühr Henken untersucht die Kriegführung mit Kampfdrohnen, Günter Giesenfeld den Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer. Einen bemerkenswerten Abriß der politischen Situation in Südamerika liefert der frühere Botschafter Ecuadors in Deutschland Jorge Jurado.

Neben den friedenspolitischen Forderungen 2016 des Bundesausschusses Friedensratschlag enthält der Band auch den Nachruf Willi van Ooyens auf Peter Strutynski, den er mit dem Satz zitiert: "Die Aufklärungsarbeit der Friedensbewegung hat dazu beigetragen, daß die einst so militaristische deutsche Bevölkerung heute mehrheitlich den Krieg ablehnt." Der vorliegende Band unterstreicht das: Er ist im besten Sinne aufklärend. Eine andere als die von Peter Strutynski maßgeblich ins Leben gerufene und von ihm mitgetragene Initiative kann das kaum leisten.

Arnold Schölzel


Lühr Henken (Hrsg.): Wege aus der Kriegslogik.
Für eine neue Friedenspolitik. Verlag Wilfried Jenior,
Kassel 2016. 260 Seiten, 15 Euro

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Ja zum Baum
"Der Spiegel" 1986 zu Theodor Weißenborn

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Hillary Clinton und die Kriegsgefahr

Der Wahlkampf in den USA geht in die Endphase. Wähler und politisch interessierte Bürger sollen den Eindruck gewinnen, es stünden grundsätzliche Veränderungen bevor. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner lassen ihre Spitzenkandidaten das Bild des künftigen Nordamerika und seiner Rolle in der Welt skizzieren. Der Republikaner Trump verkündete, er wolle die bisherige interventionistische, auf Regime Changes (Regierungs- bzw. Systemwechsel) orientierte Außen- und Sicherheitspolitik aufgeben und die Unsummen, die diese verschlang, in den USA selbst investieren, um z. B. die Infrastruktur zu erneuern oder die extremen sozialen Probleme zu lösen. Dazu soll der Militärapparat verkleinert, und viele der Militärbasen im Ausland sollen geschlossen werden. Die Verantwortung für die Verteidigung von Frieden und Freiheit in der Welt soll zum großen Teil mit anderen entwickelten Industriestaaten geteilt werden.

Dieser multipolare Trend in der Außen- und Sicherheitspolitik hat sowohl Rüstungslobbyisten als auch Neokonservative aufgeschreckt und sich der Politik Hillary Clintons zuwenden lassen. Sie sei nach deren Ansicht die bessere Oberbefehlshaberin. Denn ausgerechnet die "Demokratin" Clinton schwört auf den weiteren Ausbau der Führungsrolle der USA. Mit einer kaum zu übertreffenden Arroganz stellt sie die Bedeutung und den Einfluß der Vereinigten Staaten weit über alle anderen Staaten. Das widerspiegelt auch das Verhältnis der Rüstungsausgaben der USA zu denen der übrigen Welt. Steht dahinter nicht die Überzeugung, daß nur mit Rüstung und Krieg der Rest der Welt bezwingbar sein könnte?

In ihrer Rede am 29. August vor dem Veteranenverband "American Legion" in Cincinnati bekannte sich die demokratische Präsidentschaftskandidatin zum amerikanischen Exzeptionalismus. Dazu ist in einem Internet-Lexikon zu lesen: "Beim American Exceptionalism handelt es sich um eine Theorie, nach der die USA eine Sonderstellung innerhalb der entwickelten Industrienationen einnehmen."

Es ist nicht neu, daß Frau Clinton für eine expansive Außenpolitik eintritt. Sie hatte bereits als US-Außenministerin im Jahre 2011 bestimmt, Asien als den größten Kontinent mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln den strategischen Zielen der USA unterzuordnen. Hillary Clinton hat auch nach 2011 die Containment-Strategie Washingtons gegenüber Peking stark vorangetrieben. Amerika sollte nach ihrer Auffassung für die nächsten 60 Jahre in der asiatisch-pazifischen Region präsent und dominant bleiben, was eine große Herausforderung für China und Rußland darstellt.

Diese strategische Orientierung haben die USA seither nicht aufgegeben. Amerikanische Flottenverbände und strategische Bomber drängen in bedrohlicher Weise an die Küsten und Einflußgebiete des Reiches der Mitte - fernab vom eigenen Territorium.

Nach der Schaffung weitere Brandherde in Libyen und Syrien betreibt Washington als Führungsmacht der NATO eine direkte militärische Bedrohung der Russischen Föderation auch aus westlicher Richtung. Dazu dienen der Ausbau des Raketenschirmes und die Stationierung westlicher Truppen sowie Kriegsmanöver entlang der russischen Westgrenze. Parallel dazu soll Rußland mit Wirtschaftssanktionen geschwächt werden.

In der jüngsten Rede in Cincinnati rief Frau Clinton zur weiteren Modernisierung von Armee, Marine, Marineinfanterie und Luftwaffe auf, um sich "den sich entwickelnden Bedrohungen seitens Staaten wie Rußland, China, Iran und Nordkorea, seitens krimineller und terroristischer Netzwerke wie des IS" stellen zu können. Damit sind die Feinde der Nation benannt.

Im weiteren behauptete Hillary Clinton wiederholt, daß hinter den Hackerangriffen auf die Zentrale der Demokratischen Partei russische Stellen stehen würden. Darauf folgte eine indirekte Kriegsdrohung gegen Rußland: "Als Präsidentin werde ich klarmachen, daß die USA Cyber-Angriffe wie jeden anderen Angriff behandeln werden. Wir werden darauf mit ernsthaften politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gegenmaßnahmen reagieren." In diesem Kontext kündigte sie als eine ihrer ersten Handlungen im Oval Office an, eine Generalüberprüfung der Bereitschaft und der Eignung des vorhandenen Atomwaffenarsenals der USA für die Abwehr "künftiger Bedrohungen" anzuordnen. Damit nehmen die Drohungen eine nukleare Dimension an. Es sollte nie vergessen werden, daß die USA als bisher einziger kernwaffenbesitzender Staat Nuklearwaffen gegen zivile Infrastruktur einsetzten. Hier könnte man zu der Feststellung neigen: Wer Hillary Clinton wählt, wählt den Krieg, wer den Krieg wählt, riskiert die Vernichtung dieses Planeten. Vor zwei Jahren hatte sie Wladimir Putin wegen seiner Ukraine-Politik auf eine Stufe mit Adolf Hitler gestellt. Rußland rückt zunehmend in den Fokus der Washingtoner Feindseligkeiten.

Insgesamt ein besorgniserregendes Szenario. Bei alledem sollte eines jedoch bedacht werden: Weder Trump noch Clinton werden Platz und Rolle der künftigen USA bestimmen. Dies bleibt wie bisher den kapitalträchtigen Drahtziehern im Hintergrund überlassen. Diese, vor allem die Neokonservativen, haben kein politisches Programm, das den Republikanern oder den Demokraten zuzuordnen ist. Sie haben nur ein Ziel: Maximierung ihres Profits bei beherrschbaren eigenen Risiken. Um diese gefährliche Balance zu halten, wird kräftig in die politischen Parteien investiert - mal in die eine und dann bei Bedarf in die andere. Allein im August betrugen die durch Hillary Clinton eingenommenen "Spenden" 143 Millionen Dollar!

Finanzströme und Zuwendungen bestimmen die US-Politik seit jeher. Und wenn ein führender Politiker nicht das Lied seiner Geldgeber singt, wird ihm der Weg gewiesen, oder er wird kaltgestellt.

Diese Machteliten der USA, deren Kapital international gestreut ist, wissen allerdings sehr wohl um die eigenen Risiken, wenn sie ungefiltert außenpolitischen Extremismus zulassen würden. Sie sind wahrscheinlich die letzten, die an das von Clinton in Cincinnati beschworene amerikanische Engagement für Werte wie "Frieden und Fortschritt" und an die Einzigartigkeit und "Unverzichtbarkeit der Nation" glauben, ohne die die Welt in Chaos und Barbarei zurückfiele. Sie wissen auch um die Risiken einer "imperialen Überdehnung" der Vereinigten Staaten, wenn sie sich weiter mit gewachsenen Kulturen dieser Welt anlegen. Selbst unter der Schwelle eines strategischen Krieges würde z. B. bei wirtschaftlichen Eruptionen in China auch die US-Wirtschaft erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden.

Es gibt eine zweifache Hoffnung auf die Vernunft, eine militärische Katastrophe zu verhindern: die Vernunft der Kapital-Eliten, die ihre Existenz nicht riskieren wollen, und die Vernunft der durch die USA bedrohten Großmächte (besonders China und Rußland), sich nicht provozieren zu lassen und die militärische Karte nicht zu spielen.

Jürgen Heiducoff, Übach-Palenberg

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Jeremy Corbyn bleibt Labour-Chef

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Justiz unterstützt Erdogans Krieg gegen die Kurden

Nachtrag zum Beitrag im letzten "RotFuchs" (Nr. 225), S. 11, "Iranische und türkische Kommunisten ..."

Martin Dolzer, der justizpolitische Sprecher der Links-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft lenkt in der Ausgabe der "jungen Welt" vom 7. Oktober die Aufmerksamkeit darauf, daß vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg erneut ein Prozeß gegen einen kurdischen Patrioten, den kurdisch-jesidischen Politiker Hasan Dutar, begonnen hat. "Ihm wird die Tätigkeit als Kader der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, im Gebiet Bremen im Zeitraum von August 2014 bis März 2015 vorgeworfen. Er habe Konflikte in der kurdischen Community geschlichtet, Demonstrationen organisiert und sich auf Nachfrage ihrer Familie für die Rückkehr einer 21jährigen Guerillakämpferin nach Deutschland eingesetzt."

Zu unterstreichen ist, daß ihm ausdrücklich "eine Straftat in der Bundesrepublik ... nicht vorgeworfen" wird. Das Bundesjustizministerium hat jedoch bereits 2011 eine "Verfolgungsermächtigung gegen die PKK" (Paragraph 129b StGB) erlassen. Nicht nur jeder ehrliche Jurist muß das als eindeutig verfassungswidrig erkennen. Hier wird also in der BRD die vielgepriesene Gewaltenteilung (deren angebliches Fehlen in der DDR doch unentwegt angeprangert wird) hochamtlich aufgehoben.

Das ist nun schon das vierte solche Verfahren vor der Staatsschutzkammer. Besonders makaber ist, daß der jetzt in Hamburg Angeklagte "bereits von einem Gericht in Kopenhagen wegen des gleichen Tatbestands freigesprochen" worden ist. Zu Recht betont sein Anwalt, daß "sowohl nach deutscher Rechtsprechung als auch nach der Europäischen Menschenrechtskommission (EMRK) ... ein Beschuldigter nicht in zwei Verfahren wegen des gleichen Tatvorwurfs verfolgt werden" darf.

Nicht genug der erbarmungswürdigen Kriecherei von Merkel & Co. vor Erdogans und seinen Komplizen - auch die deutsche Justiz kungelt mit den türkischen Häschern bei ihrer Jagd auf Kurden und Andersdenkende.

Bernd Fischer, Vorbeck

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Der "RotFuchs" braucht Eure Solidarität

"Der Reichtum des Menschen sind seine Freunde", sagt ein russisches Sprichwort. Und der Reichtum des "RotFuchs" ist die große Schar seiner Sympathisanten, Leser, Unterstützer und Helfer, deren Zahl inzwischen in die Abertausende geht.

Es ist Zeit, danke zu sagen. Dank für Eure Solidarität, Dank für Eure Treue, Dank allen, die mit ihren Beiträgen und Leserbriefen das Profil des RF prägen. Dank für Eure moralische und materielle Hilfe, mit der wir den "RotFuchs" nun bereits fast 19 Jahre am Leben erhalten. In dieser langen Zeit konnten wir uns stets auf Euch verlassen. Immer, wenn es galt, die Reserven aufzufüllen, habt Ihr uns tatkräftig unter die Arme gegriffen.

Auch in diesem Jahr zählen wir auf Euch, bauen auf Eure Bereitschaft, Eure Zeitschrift, die kein finanzielles Hinterland besitzt, entsprechend Euren Möglichkeiten mit einer Spende zu unterstützen. Deshalb legen wir - wie in jeder November-Ausgabe - einen Überweisungsschein bei. Auch wenn der RF ausschließlich in ehrenamtlicher Arbeit entsteht, sind Eure Zuwendungen unverzichtbar. Wir brauchen sie, um Monat für Monat die wachsenden Kosten für Druck und Versand begleichen zu können.

Unsere "RotFuchs"-Stimme darf nicht verstummen, auch, damit wir dieses Versprechen an Klaus Steiniger, der den "RotFuchs" seit seiner Gründung im Februar 1998 bis April diesen Jahres redigierte und verantwortete, einlösen und sein Vermächtnis erfüllen: "Zögert keinen Augenblick, auch in Zukunft Eure ganze Kraft dafür einzusetzen, Kommunisten, Sozialisten und andere Weggefährten mit oder ohne Parteibuch beharrlich, geduldig und zielklar im Sinne von Marx, Engels und Lenin zu sammeln!"

Eure "RotFuchs"-Redaktion (Wolfgang Metzger, Dr. Arnold Schölzel, Bruni Steiniger)

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Vom Versagen des Parlamentarismus in der Systemkrise

Am 14. Juli 2016 beging die Französische Republik im Andenken an den Sturm auf die Bastille von 1789 ihren Nationalfeiertag - und wurde erneut zum Ziel eines islamistisch motivierten Anschlags mit vielen zivilen Opfern. Bei einer anschließenden Trauerfeier hat man Vertreter der sozialdemokratischen Regierung Hollande wegen ihrer Unfähigkeit, diese Anschläge trotz des fortbestehenden Ausnahmezustands zu verhindern, ausgebuht.

Seit Beginn der Attentatswelle reagieren nicht nur in Frankreich Politiker fast aller Parteien unisono in Pawlowscher Reflexmanier: Bei jedem neuen Ereignis wird der Ruf nach verschärften ordnungsrechtlichen Maßnahmen im Innern und verstärkten militärischen Einsätzen im Ausland lauter. Die bürgerlichen Parteien buhlen damit um die Wählergunst der vermeintlichen "Mitte". Sie versuchen, von den Folgen der imperialistischen Systemkrise abzulenken sowie wachsende Ängste, Haß und Unsicherheitsgefühle einer durch gezielte Befragungen generierten Mehrheit wahltaktisch zu kanalisieren und zu instrumentalisieren, wobei sie diese politisch und medial noch weiter anstacheln. Das begünstigt die Verbreitung faschistoider, rassistischer und chauvinistischer Ansichten und den Aufstieg entsprechender Parteien.

Eine immer schnellere Folge nicht kalkulierbarer, gefährlicher Ereignisse und das politische Versagen des bürgerlichen Parlamentarismus radikalisiert viele nach rechts.

Nicht wenige resignieren, werden nicht nur zu politikverdrossenen Nichtwählern, sondern schließlich auch zu Demokratieverächtern. So haben die britischen Parteien statt eines EU-Ausstiegs als Chance für sozialen Wandel ("Lexit") einen harten kapitalistisch-nationalistischen "Brexit", der den Zusammenhalt des Unionsstaates gefährdet, durchgepaukt.

In der Türkei wendete die AKP einen angeblichen Putschversuch mit unabsehbaren Folgen für die EU und die Kriegsregion in einen Triumphzug für Erdogans Präsidialverfassung.

Daß auch hierzulande seit Jahrzehnten Bürgerrechte abgebaut werden, Staatsgewalt ausgeweitet und gestärkt wird, Kriegseinsätze forciert und vorbereitet werden, akzeptieren viele widerstandslos als "Lauf der Welt". Auch in der pluralistischen Vielfalt der PDL werden Stimmen, die derartige Überzeugungen verfechten und diese auch umsetzen möchten, gepflegt, wenn damit Regierungsbeteiligung zu bekommen ist. Daran ändert leider auch der Verlauf des Magdeburger Parteitags wenig. Bodo Ramelow und seine Leute traten eiligst für ein "Entgegenkommen" und für "Kompromisse" in Sachen NATO und für eine Koalition mit der von Abstiegsnöten geplagten SPD ein. Wie bei den Grünen Winfried Kretschmann, so darf sich auch Bodo Ramelow gegen Parteimehrheit und Programm der Reaktion anbiedern. Trotzdem verliert auch seine Partei Wähler an die AfD.

In der Tyrannei kommt man durch Kritik zu Schaden, in der bürgerlichen Demokratie, wenn man widerspruchslos bleibt! Das repräsentative parlamentarische Demokratie-System - 1792 mit der Französischen Republik entstanden - ist die bevorzugte Herrschaftsform der Bourgeoisie. Babeuf und die "Enragees", welche die Eigentumsfrage mit den Worten "Was nützt einem armen Mann ein Stimmzettel?" stellten, wurden 1797 hingerichtet. Bis auf den heutigen Tag bleiben die Verheißungen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der "westlichen Wertegemeinschaft" von NATO und EU hehre und nützliche Parolen, oft um das Gegenteil zu kaschieren. Darum wäre eine linke Parlamentarismuskritik, wie es sie in den Jahren der westdeutschen Studentenbewegung an den Hochschulen gab, heute nötiger denn je. Ekkehard Lieberam liefert dazu mit der Broschüre "Integrationsfalle (Mit-)Regieren" einen aktuellen Beitrag mit historischen Beispielen.

1971 und 1972 erschien das zweiteilige Grundlagenwerk des Marburger Politologen Prof. Reinhard Kühnl "Formen bürgerlicher Herrschaft". Auf der Grundlage der Erkenntnisse von Marx und Engels bietet er eine historische Darstellung und Untersuchung der ganzen Palette des realpolitischen Wandels dieser bürgerlichen Staatsform bis hin zur faschistischen "Volksgemeinschaft". Hier erfährt man von den "Fallstricken" (Engels) parlamentarischer Bürokratie, von Ausgrenzungs- und Integrationsmethoden gegen revolutionäre Parteien. Die PDL lebt und verändert sich in diesem Milieu, dessen "Sachzwänge" schon die SPD und die Grünen bis zur Unkenntlichkeit verbogen haben. Ein guter Grund, aus der Geschichte zu lernen!

Jobst Heinrich Müller

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Olympische Spätlese 2016

Im unmittelbaren Vorfeld der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro hat das politische, militärische und wirtschaftliche Kesseltreiben der NATO gegen Rußland auch den Sport erfaßt. Die NATO strebte den Ausschluß Rußlands von den Spielen an, wenn nicht ganz durchsetzbar, dann zumindest teilweise. Den notwendigen Sprengstoff hatte ARD-"Dopingexperte" Hajo Seppelt als verdeckter Ermittler in Rußland mit versteckter Kamera zu liefern. Sein russisches Kronzeugenehepaar hat inzwischen ein geheimgehaltenes Asyl in den USA bezogen. Wie sollte sich das IOC verhalten?

Das IOC ist zu einem milliardenschweren Geschäftsunternehmen geworden, niemandem rechenschafts- oder steuerpflichtig. Finanzielle Auswirkungen seines Tuns fallen anderen zur Last.

Es kann die Milliarden zur Pflege seiner machterhaltenden Strukturen einsetzen. Dieses Geschäftsmodell erfordert, sich weltweit alle Türen offen zu halten und sich in einer polarisierten Welt nicht einseitig festlegen zu lassen. Also delegiert man strittige Entscheidungen an andere, läßt den Dingen ihren Lauf und wäscht die eigenen Hände in Unschuld, getreu dem biblischen Vorbild Pontius Pilatus. Dieses wohlüberlegte Verhalten stößt natürlich auf Kritik aus NATO-Kreisen, in Deutschland öffentlich unterstützt durch Ines Geipel, Robert Harting und Claudia Pechstein. Die Rache folgt mit dem vollständigen Ausschluß Rußlands von den Paralympics, für die das IOC nicht zuständig ist.

Das deutsche Leistungstief von Peking und London hat sich trotz 17 Goldmedaillen mit immer weniger Plazierungen unter den ersten sechs um weitere drei Prozent verstärkt. Kanurennsport, Schießen, Reiten und Fußball konnten nicht ausgleichen, was Schwimmen, Leichtathletik, Radsport und Fechten verloren haben. Vor einem noch größeren Einbruch wurde Deutschland durch "Randsportarten" und Amateure bewahrt. Erstmalig hörte man auch aus Führungskreisen, daß das DDR-Erbe verbraucht sei. Hat man es denn, außer der Übernahme der gut ausgebildeten Sportler, jemals angetreten?

Wie soll man aber olympische Wettkampfergebnisse in Zukunft beurteilen, wenn im Juli bei Nachkontrollen eingefrorener Dopingproben der Spiele von Peking und London 98 Dopingverstöße festgestellt und nachträglich massenhaft Medaillen und Plazierungen neu verteilt werden? Wenn im September vor Gericht ein Versuch des USA-Schwimmverbandes wegen Verjährung scheitert, der DDR ihre Medaillen der Spiele von 1976 in Montreal abzuerkennen, um nachträglich die Niederlage gegen die DDR zu korrigieren? Wenn Einkauf und Einbürgerung ausländischer Profisportler an die Stelle eigener sportlicher Entwicklungsarbeit tritt? Welcher Dopingjäger glaubt, in einer Welt des Profisportes, wo es vor allem um Geld geht, den Pharmakonzernen ein Milliardengeschäft verderben zu können? Welchen Bestandswert haben unter diesen Bedingungen noch olympische Leistungen?

Was bleibt also, außer einer sehenswerten Schau, von Olympia übrig? Eine GmbH - Großsportveranstaltung mit beschränkter Haftung.

Helmut Horatschke, Berlin

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Wer beherrscht den Osten?

Der Mann, der von einer "Sternstunde der politischen Bildung" sprach, heißt Frank Richter, war im Herbst 1989 als Kaplan der Mann des katholischen Bischofs in der "Gruppe der zwanzig", die nach ihrem Selbstverständnis dem "SED-Regime" in Dresden den Todesstoß versetzte.

Jetzt ist der Ex-Kaplan Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. Sein Lob gilt dem Dokumentarfilm "Wer beherrscht den Osten?" Er ist im Auftrag des MDR an der Leipziger Universität unter Federführung des Filmemachers Olaf Jacobs entstanden und wirbelte viel Staub auf. Es gab eine Vorpremiere am 30. Mai im Dresdner Filmtheater "Schauburg", eine Woche vorher schon in Plauen, ehe der MDR am 31. Mai und 6. Juni die beiden Teile zu später Stunde sendete. In Dresden nahm an der Vorpremiere als prominentester Gast Georg Milbradt teil, Kurt Biedenkopfs Nachfolger als Sachsens Ministerpräsident, in Plauen Dr. Herbert Wagner, den die "Wende" auf den Sessel des Dresdner Oberbürgermeisters schob.

Die zentrale These der Dokumentation lautet: "Eine Annäherung bei den gesellschaftlichen Eliten fand nicht statt." Wem ist das eine neue Erkenntnis? War das nicht schon seit mehr als zwei Jahrzehnten jedem bekannt, der keine rosarote Brille trug? Sind denn jetzt sensationelle neue Tatsachen ans Licht gebracht worden? Immerhin, nun wissen wir, daß es 2016 in den ostdeutschen Bundesländern nur zwei Rektoren gibt, die eine DDR-Vergangenheit aufweisen. Von 46 sächsischen Staatssekretären waren 42 seit 2004 "importiert". Zweifellos tragen solche Tatsachen dazu bei, daß viele Bürger der früheren DDR das Gefühl einer westdeutschen "Fremdherrschaft" haben. Es gehe die "Angst vor Überfremdung" um, wie eine Leipziger Studie feststellte. Nur zwei Prozent der Ostdeutschen säßen in Führungspositionen, wird zur Untermauerung dieser These angeführt. MDR-Chefredakteur Stefan Raue nannte das sogar den "eigentlichen Skandal". Erstaunlich! Die Fakten sind seit über zwanzig Jahren dokumentiert. Warum sind sie erst heute "Skandal"? Warum werden die entscheidenden Fragen ausgeklammert? Wer hat diese Situation herbeigeführt? Wer ist für den "Skandal" verantwortlich? Warum und von wem wurde der politische Kurs gesteuert, der in die heutige desolate Lage führte?

In der Schauburg äußerte sich dazu Ex-Ministerpräsident Georg Milbradt. Er schiebt das Dilemma auf das Konto der letzten Volkskammer der DDR, die Kohl unter dem "Dach der Kirchen" hat zusammenzimmern lassen. Der damalige Bundesminister des Innern Wolfgang Schäuble bestätigte später, daß die DDR-Partner nichts zu sagen hatten. Hinter de Maizière und seinen Ministern standen die wirklichen Befehlshaber aus Bonn. Wer weiß noch, welchen Schatten Pfarrer Eppelmann hatte? Holte sich nicht Markus Meckel seine Direktiven in Genschers Privathaus ab?

Es überrascht nicht, daß die Hauptschuld an den Folgen der "freien Wahlen" vom März 1990 der letzten Volkskammer der DDR zugesprochen wurde. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan ...

Milbradt nennt noch einen anderen Umstand. Es hätten nicht genügend Fachleute zur Verfügung gestanden. In der Tat, eine Ausbildung für kapitalistisches Management hat es in der DDR nicht gegeben. Aber mußte Biedenkopfs Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer deshalb Hunderte hochqualifizierte Akademiker - Physiker, Ärzte, Lehrer, Künstler - rechtswidrig "abwickeln"? Waren die Polizisten, die "Pfarrer Gnadenlos" feuerte, fachlich ungeeignet? Mußte der moderne Komplex der Pädagogischen Hochschule abgerissen werden, um die Lehrerbildung zu verbessern? Oder ist der Lehrermangel von heute damals bewußt geplant worden? Und nicht zuletzt: Genscher, der "Held von Prag", setzte "demokratisch" durch, daß sich kein einziger Mitarbeiter des DDR-Außenministeriums in der "gesamtdeutschen" Diplomatie wiederfand.

Die Folgen sind hinlänglich bekannt. Antje Hermenau möchte, daß der "Hauch der Kränkung, der durch die Republik geht, mal langsam losgelassen" werden sollte. Die Frau hat Humor! Nur wäre zu fragen, wer wen "gekränkt" hat. Gibt es da nicht Leute, die uns "Schwerter zu Pflugscharen" versprochen haben und jetzt jedem Einsatz der Bundeswehr ohne Scham und Gewissen zustimmen?

Wenn sich Heuchler jetzt zu Wort melden, um die Lage zu beschönigen und ihre Verantwortung zu leugnen, merkt mancher Leser auf.

Allzu straff gespannt, zerbricht der Bogen, meinte Schiller. Und in der Bibel heißt es: Mit dem Maß, mit dem ihr messet, wird man euch wieder messen. In der SZ wurde Richard Schröder mit den Worten zitiert: "Ich finde die ostdeutsche Wehleidigkeit zum Kotzen." Gibt es denn eine Wehleidigkeit, die von der Himmelsrichtung geprägt ist? Der Professor für Theologie und Philosophie meint natürlich die Wehleidigkeit noch lebender DDR-Bürger.

Der Artikel strotzt von unbewiesenen Behauptungen und Unterstellungen, daß unsereins staunt, was Theologie und Philosophie heutzutage hervorbringen können.

Ich mache nur auf eine Stelle aufmerksam. Schröder vergleicht die Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen in der DDR mit anderen früheren Bruderländern. In Osteuropa haben sich Oligarchen des Volkseigentums bemächtigt, was sie zu Kriminellen macht. In der DDR wurden "Ostunternehmen" an Westdeutsche verramscht, was ein Segen für die (alle?) Deutschen ist. Die Käufer sind natürlich Ehrenmänner, nicht die Enkel jener Kriegsverbrecher, die in Nürnberg vor dem internationalen Tribunal standen. Und was die SPD in ihrem Berliner Programm vom 21. Dezember 1989 über den Kapitalismus sagte, muß ein sozialdemokratischer Professor nicht wissen. Ich vermute, daß Richard Schröder zu den zwei Prozent Ostdeutscher gehört, die jetzt zur Elite zählen.

Ich wage zu behaupten: Wenn Politiker vom Typ Schröder, Eppelmann, Gauck, Jahn und Co. die Hälfte der Elite stellen würden, wäre die Lage noch beschissener. Ich kenne manchen westdeutschen Staatsanwalt und Richter, der heute bedauert, was die Siegerjustiz angerichtet hat. Einen Dresdner "friedlichen Revolutionär", der sein Wirken 1989/90 kritisch reflektiert, kenne ich nicht. Aber das kann an mir liegen.

Auch in Plauen tauchte eine Behauptung auf, die der Schröders ähnelt. Der Historiker Justus Ulbricht fand, daß Einheimische nicht automatisch die bessere und Außenstehende die schlechtere Politik gemacht hätten. Nur, wer behauptet solchen Unsinn? In Plauen war Dr. Herbert Wagner dabei, der noch einmal seine "Wende"-Politik in Dresden erklärte: "Schmeißt die roten Socken raus, und bringt Dresden auf Westniveau!" Die "roten Socken" waren seine Mitbürger. Der fromme Katholik setzt bis heute auf rabiaten Antikommunismus, nicht auf christliche Feindesliebe oder Respekt für die Menschenrechte. Eine "rote Socke" war ich. Am 23. Mai 1990 hatte ich die Aufgabe, die Stadtverordnetenversammlung zu konstituieren und die Wahl zu leiten, aus der Dr. Wagner als Sieger hervorging. (Erst 2016 habe ich erfahren, was hinter den Kulissen vor sich gegangen war.)

Da ich vier Jahre mit Wagner, noch länger mit einigen Vertretern der Siegerjustiz, zu tun hatte, gebe ich zu, daß mir die "einheimischen" Wendehälse unsympathischer sind. Weder in der Schauburg noch in Plauen ist klar benannt worden, von welchen Motiven die Handelnden getrieben worden sind. Die Westimporte strömten in die Ministerien, Gerichte und Kanzleien und machten im Osten eine Karriere, die sie im Westen nicht gehabt hätten. Meyer schoß Wessis die Professorenstellen frei. Die Symbiose von Wendehälsen und Westimporten "unter dem Dach der Kirchen" brachte jene Elite hervor, die ihre Ellenbogen gut genutzt hat. Mit offizieller Genehmigung dürfen "wir" uns jetzt über sie ärgern. Welch ein Fortschritt!

Prof. Dr. Horst Schneider

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Ein Kämpferleben
Am 23. November wäre Klement Gottwald 120 Jahre geworden

Ich stelle mir die Menschheit als eine große Armee von Arbeitern vor, die den großartigen Tempel der Wahrheit aufbauen. Ich lebe und arbeite mit ihnen gemeinsam. Mein Körper, die Maschine, die arbeitet, stirbt ab, zergeht in Atome, aber der Wert meiner Arbeit bleibt hier. Mir genügt das Wissen, daß ich, der unbedeutende, namenlose Arbeiter, geholfen habe, das großartige Gebäude der Wahrheit zu bauen, an dem die Menschheit seit uralten Zeiten baut."

Dieser Text aus der Arbeit des 27jährigen Journalisten und Parteiarbeiters Klement Gottwald erschien 1923 in dem Jahrbuch "Slowakische Armut" - eine Grundsatzerklärung, von hoher kommunistischer Moral geprägt.

Gottwald wurde am 23. November 1896 in dem Marktflecken Dedice geboren. Wirklich glückliche Kindheitsjahre gab es wenige. Hart trifft es ihn, als seine Mutter den eben 12jährigen nach Wien zu einem Tischler in die Lehre gibt. In der Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie lernte er den außerordentlich krassen Gegensatz zwischen dem Reichtum der Wiener Bourgeoisie und der Armut der Arbeiterschaft kennen. So zieht es ihn zu Gleichgesinnten, und er schließt sich der "Tschechoslowakischen sozialdemokratischen Jugend" an. Er nimmt lebhaft Anteil an der politischen Arbeit und lernt, daß nicht die Sprachen das Trennende sind, sondern die Klassenunterschiede.

Gottwald erlebt den 1. Weltkrieg an verschiedenen Fronten und wird auch verwundet.

Der junge Tischlergeselle denkt viel über die Ursache nach, warum sich Millionen europäischer Arbeiter aufeinanderhetzen lassen und warum die sozialdemokratischen Führer zu Helfershelfern der imperialistischen Regierungen geworden sind. Die Ereignisse der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution öffnen ihm endlich die Augen dafür, wie sich das Volk von der Herrschaft der Kapitalisten und Großgrundbesitzer befreien kann.

Als er im Frühsommer 1918 einen Heimaturlaub erhält, kehrt Klement Gottwald nicht mehr zur Truppe zurück und kämpft illegal gegen den Krieg.

Nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie sucht der junge Revolutionär Anschluß bei den Linken, die sich in der tschechoslowakischen Sozialdemokratie zu formieren beginnen. In der kleinen Stadt Rousinov steht er bald im Mittelpunkt der politischen Arbeit: Er wird Betriebsvertrauensmann, Mitglied des Ausschusses der Gewerkschaftsorganisation, Sekretär der sozialdemokratischen Linken und Obmann des Arbeiterturnvereins. Der blutjunge, aber schon sehr bekannte Arbeiterführer verläßt 1921 endgültig die Schreinerbank und widmet sich völlig der Parteiarbeit in der Slowakei. In Banska Bystrica arbeitet er an Parteipublikationen und vertieft weiter sein marxistisch-leninistisches Wissen. Die Klassenkämpfe der zwanziger Jahre stählten den Funktionär der KPC.

Der V. Parteitag 1929 wählte ihn zum Generalsekretär der Partei. Seite an Seite mit Antonin Zapotocky und anderen kampferprobten Genossen ringt er um die Durchsetzung demokratischer Rechte für die tschechoslowakische Arbeiterklasse - da erhält die Bewegung einen furchtbaren Rückschlag. Das dem Völkerrecht Hohn sprechende Münchener Abkommen liefert das tschechoslowakische Volk dem deutschen Faschismus aus. Klement Gottwald hatte als Sprecher der Kommunistischen Partei Präsident Benes dringend vor der Annahme des Münchener Diktats gewarnt und die Bildung eines Nationalrats zur Verteidigung der Republik vorgeschlagen. Die Feigheit der Bourgeoisie und der Verrat der Westmächte führten jedoch zur Kapitulation des Landes.

Auf Beschluß des ZK der KPC gingen Klement Gottwald und andere leitende Funktionäre nach Moskau in die Emigration, um von dort aus den illegalen Kampf zu organisieren. Klement Gottwald und seine Mitkämpfer sorgten mit Hilfe der sowjetischen Genossen dafür, daß die Partisaneneinheiten in der Tschechoslowakei materielle Unterstützung erhielten und die Erhebungen gegen die faschistischen Okkupanten immer größeren Umfang annahmen.

Nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus und der Befreiung des Landes durch die Sowjetarmee kehrte Klement Gottwald wieder in die Heimat zurück. 1946 wurde er zum Vorsitzenden der Regierung gewählt. Als er am 14. März 1953 verstarb, trauerten die Menschen um einen großen Sohn ihres Volkes, der sich Zeit seines Lebens als ein Kämpfer für die nationale und soziale Befreiung und für den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung erwiesen hatte.

Helmuth Hellge

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Nikaragua: 19. Juli, Sieg der Hoffnung

Im Juli erinnern wir an diejenigen, die unser Land befreiten. Wir schätzen dieses große Erbe, dank dem wir heute das Privileg haben, den Traum zu erleben und für die Verwirklichung aller Träume zu arbeiten, vor allem des Traumes, die Armut zu überwinden.

Dies waren Mitte des Jahres Worte von Rosario Murillo, Koordinatorin des nikaraguanischen Kommunikations- und Bürgerrates. Jedes Jahr wird in Nikaragua der 19. Juli gefeiert, denn am 19. Juli 1979 siegte die sandinistische Revolution, nachdem es gelang, die Militärdiktatur von Somoza zu stürzen, die über 40 Jahre lang Terror gesät hatte. Die Somoza-Familie verfügte über die Unterstützung der Nationalgarde und der Vereinigten Staaten, aber gegen sie erhob sich die Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN), eine Bewegung, die im Jahr 1961 gegründet worden war und ihren Namen vom "General der Freien Männer", Augusto César Sandino, angenommen hatte.

Die FSLN, deren erster Führer Carlos Fonseca Amador war, sprach sich für die Errichtung des Sozialismus in Nikaragua aus und war von der Guerilla-Taktik inspiriert, die vom kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro angewendet worden war. Diese nikaraguanische Bewegung unterteilte sich ein paar Jahre später in drei Zweige, die aber den Kampf gegen die Diktatur fortsetzten und sich im Jahr 1979 wieder vereinten.

Zu dieser Zeit begann die Schwächung der Regierung von Anastasio Somoza. Einerseits verbündeten sich alle Sektoren der Zivilbevölkerung gegen sie, und andererseits drängte ihn sein wichtigster Verbündeter, die Vereinigten Staaten, die Macht abzugeben, nachdem ein US-amerikanischer Journalist durch nikaraguanisches Militär getötet worden war.

Schließlich verließen der Diktator und die meisten Funktionsträger das Land, und obwohl einer seiner Verbündeten die Präsidentschaft an sich nehmen konnte, dauerte diese nur 24 Stunden. Dann beschritt die FSLN, mit breiter Unterstützung der Bevölkerung, am 19. Juli vor 37 Jahren siegreich den Platz der Revolution in Managua, was ermöglichte, ein neues Land zu schaffen. Es begannen die Reformen, die zum Ziel hatten, Armut und Ungleichheit im Land zu vermindern und ein inklusives und gerechtes Land zu schaffen: Die Banken wurden verstaatlicht, und es wurde eine Alphabetisierungskampagne gestartet, durch die die Analphabetenrate deutlich gesenkt werden konnte. 1984 fanden Wahlen statt, bei denen die FSLN trotz mehrjährigen Wirkens einer von den Vereinigten Staaten finanzierten Konterrevolution als Sieger hervorging. Aber nach den Friedensgesprächen mit den "Kontras", einem Waffenstillstand und einer Vereinbarung zur Abhaltung von Wahlen im Jahr 1990 kam die oppositionelle Koalition an die Macht.

16 Jahre lang erlebte Nikaragua die neoliberale Politik rechter Regierungen, geprägt von Privatisierungsmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (WB), die die nationale Wirtschaft und den sozialen Fortschritt, den die Regierung der Sandinisten erreicht hatte, untergruben.

Bei den Wahlen 2006 und 2011 gewann die FSLN mit Daniel Ortega als Präsidentschaftskandidat den Sieg. Bis zum heutigen Tag schreitet Nikaragua unter der Führung von Ortega und seiner Regierung der Nationalen Versöhnung und Einheit voran und erreicht Fortschritte in der Wirtschaft, in den Bereichen Bildung, Jugendrechte und Beteiligung der Bevölkerung. Dank der Wiedereinführung der kostenlosen Gesundheitsdienste haben die nikaraguanischen Familien einen besseren Zugang zu diesen.

Was die Wirtschaft angeht, hat die Zentralbank des lateinamerikanischen Landes geschätzt, daß das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 4,9 % wuchs, wobei das Bauwesen, Finanzdienstleistungen und der Handel zu den erfolgreichsten Bereichen zählten. Das Land beteiligt sich aktiv an regionalen Koordinationsmechanismen wie dem Gipfel der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), dem Verband Karibischer Staaten (AEC) und dem Zentralamerikanischen Integrationssystem (SICA).

Nikaragua hat immer auf die Unterstützung Kubas zählen können. Beispiel dafür ist, daß in den ersten Jahren der Sandinistischen Revolution Zehntausende Kubaner zusammen mit den Nikaraguanern für das Vorankommen des Landes gearbeitet haben. Unter ihnen erinnert man sich besonders an die jungen kubanischen Lehrer, die im Jahr 1981 durch Gegner der sandinistischen Revolution getötet wurden. Die Banditen, ermutigt durch die Vereinigten Staaten, versuchten, den Lehrern Angst einzuflößen, aber es gelang ihnen nicht. Kuba half dem Bruderland weiter.

Die Beziehungen haben sich auch dank der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas - Handelsvertrag der Völker (ALBA-TCP) gestärkt. Das mittelamerikanische Land hat bei den Vereinten Nationen die Aufhebung der Kuba durch die USA auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gefordert.

Gegenwärtig sind 53 Mitarbeiter des kubanischen Gesundheitswesens in Nikaragua tätig.

Gabriela Ávila Gómez

Aus: "Granma internacional", August 2016

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Brasilien: Verschwörung gegen die Demokratie

Das "Land der Zukunft", das der deutsche Emigrant Stefan Zweig bereits 1939 in einem Bestseller anpries, hat den Rückwärtsgang eingelegt. Am 31. August wurde mit der Amtsenthebung der Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT), ein politischer Umsturz vollendet.

Das Votum im Senat setzte den Schlußstrich hinter eine mehr als 13 Jahre währende Periode, in welcher die PT auf nationaler Ebene den Kurs des Riesenlandes bestimmt hatte. Viermal in Folge waren die Kandidaten der größten linken Partei des Kontinents siegreich aus Präsidentschaftswahlen hervorgegangen. Die sozialen Programme von Lula da Silva und Dilma Rousseff holten Millionen aus der Armut, schufen Chancen auf Bildung und Aufstieg für die Angehörigen der Bevölkerungsmehrheit. Außenpolitisch verfolgte Brasilien eine von den USA emanzipierte Politik, wirkte aktiv bei der regionalen Integration mit, spielte eine wichtige Rolle im Konzert der BRICS-Staaten.

Für Brasilien, das nach wie vor am Erbe von Kolonialismus, Sklavenhaltergesellschaft und Militärdiktatur trägt, waren das geradezu revolutionäre Veränderungen. Lula da Silva erreichte zum Ende seiner zweiten Amtszeit beeindruckende Popularitätswerte, von denen auch seine Amtsnachfolgerin noch zehrte. Im Land selbst als "Vater der Armen" verehrt, wurde der frühere Gewerkschaftsführer Lula nicht nur zu einer Ikone der Linken, sondern weltweit als großer Staatsmann geachtet. Unter ihm gab es für alle Brasilianer mehr vom Kuchen - und dies ohne daß man den Eigentümern der Bäckerei zu nahe trat ... Gestützt auf den Export von Rohstoffen und Agrarprodukten und auf ein solides Wirtschaftswachstum, angekurbelt durch die neuen Konsumenten aus den Unterschichten, war es möglich, Familien zu fördern, Wohnungen und öffentliche Hochschulen zu bauen.

Brasilien blühte auf während des scheinbaren Burgfriedens der Klassen: Eigentum, Macht und Privilegien der konservativen Eliten blieben unangetastet. Sie sind nach wie vor im Besitz von Schlüsselstellungen im Staat, in der Wirtschaft, in der Armee und der Justiz.

Das Medienmonopol des Globo-Konzerns blieb bestehen und wurde weiter mit öffentlichen Geldern gesponsert. Auch ihre Mentalität erhielten sich die seit jeher herrschenden Kreise, geprägt von der Arroganz und Willkür des Herrenhauses gegenüber der Sklavenhütte. Die soziale Konterrevolution, die das Land nun erlebt, wird keine halbe Sache.

Endlich ebenbürtig: Mit der Fußball-WM und den Olympischen Spielen holte Brasilien unter Lula für 2016 zwei prestigeträchtige Großereignisse ins Land. Dann trafen die Folgen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise auch dieses Land. Und zwar hart. Preise stiegen, Arbeitsplätze verschwanden, die Unzufriedenheit nahm zu. Gründe dafür gibt es ohnehin genug: Die Megastädte leiden unter Verkehrsinfarkten, Gewalt und Kriminalität. Polizei und Gefängnisse sind eher Teil des Problems. Gesundheit und Bildung sind privat fast unerschwinglich oder öffentlich häufig weiter nur auf Dritte-Welt-Niveau. Trotzdem flossen Milliarden in Großprojekte rund um die Sport-Events. Viel Geld versickerte in dunklen Kanälen. Einwohner ärmerer Viertel mußten Platz für Neubauten machen und wurden an die Peripherien verdrängt. 2013 flammten soziale Proteste auf. Die Reaktion witterte ihre Chance und ging in die Offensive.

Die Globo-Medien mobilisierten massiv die Straße - und bestimmten ihre Agenda neu. Rechte "Bürgerbewegungen" tauchten auf, die einen moralisch aufgeladenen, heuchlerischen Kampf gegen "die Korruption" zu führen vorgeben. Als Feind sehen sie soziale Bewegungen und linke Parteien, Lula und Dilma, wie sie Brasilien nur genannt werden, verdammen sie. Die Forderung nach einer "starken Hand" wurde laut. Besonders über das Internet verbreitete sich eine irrationale und hysterische antikommunistische Haßagitation. Präsidentin Rousseff versprach Maßnahmen für Bildung und Gesundheit, holte Tausende kubanische Ärzte ins Land, warb für eine strengere Ahndung von Korruption und für eine Politikreform. Im Kongreß biß sie damit auf Granit.

Der Boden dafür, der PT die Macht wieder abzunehmen, schien bereitet. Das Jahr 2014 sah einen hart geführten Lagerwahlkampf. Doch mehr als 54 Millionen Wähler entschieden sich in einer Stichwahl erneut für Rousseff, bescherten dem Kandidaten des konservativen Lagers, PSDB-Parteichef Aécio Neves, eine Niederlage. Dieser Ausgang war für die Eliten unakzeptabel. Eine sogenannte dritte Runde mußte her, eine Verschwörung gegen die Demokratie. Ein Jahr lang wurde konspiriert, begleitet von Medienkampagnen gegen Rousseff und die PT. Dann war ein scheinlegaler Hebel bereit. Im Mai wurde die Präsidentin mit der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens durch das rechts dominierte Parlament vorläufig suspendiert. Ihr Vize Michel Temer, der mit seiner rechtspopulistischen PMDB Treuebruch begangen hatte, übernahm die Hebel der Macht und installierte im Bündnis mit den konservativen Wahlverlierern eine neue Regierung. Ihr gehören ausschließlich weiße reiche Männer an.

Der Kurs des Landes wurde rabiat geändert. Die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Soziales sollen auf Jahre "gedeckelt" werden. Auf die Rechte der Beschäftigten, auf Renten und Löhne, läuft ein Generalangriff. Große Privatisierungen stehen an, strategische Bereiche der Wirtschaft wie der Ölsektor sollen für das Auslandskapital geöffnet werden. Temers Außenminister José Serra attackiert scharf links geführte Nachbarländer wie Venezuela und Bolivien.

Der letzte Akt des Prozesses gegen Rousseff im Senat war nichts weiter als eine juristische Farce, geleitet vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofes. Ganz so, wie es die Verfassung vorsieht. Die fordert für eine Absetzung des Staatschefs allerdings auch das Vorliegen von schwerem Amtsmißbrauch. Die Anklagen gegen Rousseff wegen einer angeblichen Schönung von Haushaltszahlen und vom Kongreß "nicht genehmigter Kreditvergaben" waren fadenscheinig. Rousseff verteidigte sich selbst vor dem Senat, widerlegte die Vorwürfe, prangerte den stattfindenden politischen Putsch an. Doch ihre Absetzung war bereits beschlossene Sache. Das passive Wahlrecht ließ man ihr paradoxerweise. So offenkundig war, daß man die Präsidentin für ein nicht begangenes Verbrechen verurteilt hatte. Nur wenige Tage nach vollzogenem Machtwechsel räumte Temer freimütig ein, daß Rousseff einzig deshalb gehen mußte, weil sie dem politischen Programm seines Lagers im Wege stand.

Allerorten wird nun unter der Losung "Weg mit Temer!" demonstriert, und ein Mann steht dem rechten Rollback besonders im Weg: Bei Wahlen 2018 wäre Lula erneut Favorit. Nun nimmt ihn die Justiz ins Visier, klagt ihn - ohne Beweise, doch mit festen "Überzeugungen" - an als "Oberkommandierenden einer kriminellen Organisation".

Die konkreten Vorwürfe rund um ein Apartment am Meer, welches ihm weder gehört noch je von ihm genutzt wurde, sind lachhaft. Lulas einziges Verbrechen ist sein Eintreten für die Zukunft der kleinen Leute im Land am Zuckerhut.

Peter Steiniger

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Die Verurteilung des Mörders von Víctor Jara
Neuanfang nach langjährigem Kampf um Gerechtigkeit

Das gegen den ehemaligen chilenischen Leutnant Pedro Barrientos gefällte Urteil, der des Mordes an dem Sänger Víctor Jara angeklagt worden war, macht den Weg frei für weitere Nachforschungen über die Geschehnisse während des Militärputsches von 1973 in Chile. Ein Bundesgericht in Orlando, Florida, verurteilte Barrientos am 27. Juni als Verantwortlichen für die Folter und außergerichtliche Hinrichtung des populären chilenischen Musikers, Dichters und politischen Aktivisten vor 43 Jahren, in den ersten Tagen des Militärputsches von General Augusto Pinochet gegen Präsident Salvador Allende. Das Gericht verurteilte den Angeklagten zur Zahlung von 28 Millionen Dollar Schadenersatz an die Familie von Jara infolge des Verbrechens und ließ eine Tür offen für eine mögliche Auslieferung an Chile im Falle weiterer Klagen gegen ihn.

Für Barrientos ist in seinem Heimatland ein Rechtsstreit anhängig, in dem ihn Richter Miguel Vázquez verschiedener Verbrechen wie Mord und Entführung, ebenfalls im Zusammenhang mit dem Tod des chilenischen Liedermachers, anklagt.

Dieser Folterer, 67 Jahre alt, naturalisierter US-Bürger und wohnhaft in der Stadt Deitona, Florida, seit 1989 in den USA lebend, wurde im Rahmen eines Gesetzes vor Gericht gebracht, welches Opfern von im Ausland begangenen Menschenrechtsverletzungen zu helfen sucht. Nach den Aufzeichnungen der US-Einwanderungsbehörde hatte der ehemalige chilenische Militärangehörige weder seine Verbindung mit dem Militär des Putschregimes noch seine Beteiligung an den Folterungen und Tötungen im Stadion von Santiago de Chile angegeben.

Die Zivilklage, eingereicht von der Witwe des chilenischen Sängers, Joan Jara, und ihren Töchter Manuela und Amanda, wurde durch das Zentrum für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht (CJA), eine rechtliche Organisation mit Sitz in San Francisco, Kalifornien, und die Anwaltskanzlei Chadbourne & Parke aus New York vertreten.

Die Klage gegen Barrientos war bereits im Jahr 2013 unter dem Gesetz über den Schutz von Folteropfern vorgebracht worden, das dazu entworfen wurde, in den Vereinigten Staaten lebende Verletzer von Menschenrechten zu verfolgen, und wurde jetzt von dem Gericht in Orlando entschieden. Während der Verhandlung bestritt Barrientos, den populären Sänger gekannt zu haben und im Stadion von Santiago gewesen zu sein, das zum Zeitpunkt des Mordes in ein Folterzentrum verwandelt worden war. Ausgehend von den in Chile aufgezeichneten Aussagen von sechs ehemaligen Soldaten der Militärjunta von Pinochet, die bezeugten, ihn in jenen Tagen mindestens 20 Mal in den Sportanlagen gesehen zu haben, wies die Staatsanwaltschaft die Ausflüchte des ehemaligen Offiziers zurück.

Besondere Bedeutung kam der Erklärung des ehemaligen Soldaten José Navarretearra zu, der sagte, daß Barrientos sogar mit dem von ihm begangenen Verbrechen prahlte. "Er sagte viele Male, daß er Víctor Jara getötet habe", versicherte der Zeuge.

Der Dichter, Musiker und politische Aktivist Víctor Jara war mit seinem Musikstil "nueva canción" berühmt geworden. Mit seinen Protestliedern über soziale Ungerechtigkeit und Menschenrechte wurde Jara, der Mitglied der Kommunistischen Partei war, bei der armen Landbevölkerung und der Linken sehr beliebt und auch international bekannt. Neben seinen musikalischen Aktivitäten arbeitete er als Theaterregisseur.

Nach dem Militärputsch unter Augusto Pinochet gegen die sozialistische Regierung von Präsident Allende am 11. September 1973 wurde Jara im Hof der Technischen Universität gemeinsam mit Studenten von der Armee gefangengenommen und zusammen mit anderen Oppositionellen in das Nationalstadion in Santiago de Chile gebracht. Am 16. September wurde er in einen der Umkleideräume geführt, gefoltert und schließlich getötet. Eine Autopsie im Jahre 2009 ergab, daß sein Körper neben Knochenbrüchen 44 Einschüsse aufwies.

Joan Jara hatte nie die Hoffnung verloren, daß die Ermordung ihres Mannes vor Gericht gebracht werden würde. Sie mußte mehr als 40 Jahre warten, bevor sie eine Aburteilung in den Vereinigten Staaten vernehmen konnte, obwohl sie schon 1978 in Chile Strafanzeige erstattet hatte. "Es ist der Beginn der Gerechtigkeit für all jene Menschen, für die Familien in Chile, die Gewißheit über das Schicksal ihrer Angehörigen haben wollen, und die, wie wir, seit vielen, vielen Jahre auf Gerechtigkeit warten", sagte Jaras Witwe gegenüber der britischen Zeitung "The Guardian".

CJA-Anwalt Almudena Bernabeu, der die Untersuchung des Falles leitete, sagte, daß er mit dem Urteil zutiefst zufrieden sei. "Dieses Urteil ist nicht das Ende, sondern ein Anfang dafür, auf die Auslieferung oder Ausweisung von Barrientos hinzuarbeiten und volle Gerechtigkeit für die Familie von Jara zu erreichen."

Miguel Fernández Martínez

Aus "Granma internacional", August 2016


Die Geschichte seines Heldentums wurde von Mund zu Mund aus dem Stadion herausgeschmuggelt.

Wir wissen jetzt, wie gewiß auch er gewußt hat, daß die Liederdichter zu den glücklichsten Künstlern gehören, weil sich wieder erwiesen hat, daß es unmöglich ist, ein gutes Lied umzubringen.

Jetzt weilt er bei den anderen, bei Taras Schewtschenko aus der Ukraine, Robert Burns aus Schottland, Joe Hill und Woody Guthrie, deren Lieder in den Herzen ihrer Völker leben. Solange wir seine Lieder singen, solange sein Mut uns bewegt, mutiger zu sein, wird Víctor Jara nicht sterben.

Pete Seeger (1976))

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Die NATO-Strategie ist weder neu noch erfolgversprechend
Beobachtungen in Afghanistan

Auf meiner Reise nach Afghanistan im Frühjahr dieses Jahres begegnete mir schon während der Bahnfahrt zum Flughafen Frankfurt/M. das afghanische Elend.

Ein Landsmann, der seit über 16 Jahren als Flüchtling in der BRD lebt, war auf dem Weg zu seiner Arbeit. "Was machen Sie?", fragte ich ihn. "Ich bin in einem Internet-Café beschäftigt, doch mein Lohn reicht nicht für mich und die Unterstützung meiner Familie, die immer noch in der ostafghanischen Provinz Laghman lebt."

Was wird aus ihr, aus den über 3000 ausgebeuteten Kindern in Torkham am Khaiberpaß? Sie sind die ersten, welche ich bei meiner Ankunft an der afghanisch-pakistanischen Grenze antreffe. Sie schieben vollbeladene Holzkarren von einem Land ins andere für ein paar Afghani bzw. pakistanische Kaldar.

Nicht ohne Grund verlassen Tausende Menschen das Land. Diesen Sklavenkindern am Khaiberpaß wird kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun helfen. Sie werden schuften bis zum Umfallen, um ihre Familien und sich selbst am Leben zu erhalten.

Keines von ihnen wird je eine Schule kennenlernen, die ohnehin Mangelware sind. "Geisterschulen" nennt man sie, da sie lediglich auf dem Papier existieren. Mehr als 700 Schulen sind wegen mangelnder Sicherheit geschlossen, gibt ein Sprecher des Bildungsministeriums in Kabul zu. Das Bildungsniveau sowohl der Schüler als auch der Lehrkräfte ist sehr niedrig. Über sieben Prozent der Lehrkräfte haben nicht einmal Abitur, geschweige denn eine pädagogische Ausbildung. Außerdem fließen die vom Ausland gespendeten Gelder für den Unterhalt von Schulen in die Taschen korrupter Bürokraten.

Seit dem Einmarsch der US-Armee im Jahre 2001 ist auch das afghanische Bildungswesen amerikanisiert. Private Schulen und Hochschulen schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Gründung solcher Einrichtungen ist zur lukrativen Geldwäsche von Korruption und Drogeneinnahmen geworden.

Abhilfe durch die Kabuler Administration ist nicht zu erwarten. Diese ist mit sich selbst und nach über zwei Jahren noch immer mit der Verteilung der Posten beschäftigt. Jedes Mitglied des Kabinetts will so viele eigene Anhänger und Verwandte plazieren wie irgend möglich. Daß das so wichtige Verteidigungsministerium seit Jahren kommissarisch geleitet wird, sei weltweit einmalig, hatten sich Parlamentsabgeordnete beschwert.

In Gesprächen hört man immer wieder, daß in erster Linie die vom Ausland eingesetzte Elite, der es um ihre Machtabsicherung und ihre lukrativen Geschäftsinteressen geht, das eigentliche Problem ist. Sie ist größtenteils durch Bestechung, Stimmenkauf und Wahlfälschungen zu ihren Posten gekommen. Dadurch hat sie sich selbst delegitimiert.

Wahlen sind die Menschen am Hindukusch inzwischen mehr als überdrüssig. Es kämen ohnehin nur Warlords, deren Gefolgschaft, korrupte Politiker sowie Ameriko- und Euroafghanen ins Parlament.

"Das Haus des Volkes ist das Haus der Niederträchtigkeit", sagte ein Bürger vor laufender Kamera. "Mit dem Geld für die Wahlen und späteren Diäten der Abgeordneten könnten Schulen und Krankenhäuser errichtet werden, damit die Menschen zur Behandlung nicht nach Pakistan gehen müssen." Es sollten Arbeitsplätze geschaffen werden, um die Jugendlichen nicht in die Migration zu treiben, lautet die Forderung der darbenden Menschen. Würde es so weitergehen, würde Afghanistan faktisch entvölkert. Die Jungen, die gut Ausgebildeten gehen weg. Es bleiben die Armen, die Alten, die Warlords, die Kriegsverbrecher und eine durch und durch korrupte Administration. Unterdessen verschlechtert sich die Sicherheitslage täglich.

Die 350.000 Mann starke, von der NATO ausgebildete Kampftruppe ist reine Fiktion. Mir Ahmad Joiendah, Stellvertreter der Untersuchungskommission zur Lage der Sicherheitskräfte, sprach von "Phantasie-Soldaten", die gar nicht existieren, für die aber Verteidigungsministerium und regionale Machthaber fleißig Geld kassieren. Hinzu kommt, daß die großen Verluste bei den Sicherheitskräften stark demoralisierend auf die Rekruten wirken. 2015 wurden jeden Monat mehr als 500 Soldaten und Polizisten getötet. Statistisch gesehen hat die Nationalarmee damit jeden Tag 22 Soldaten im Krieg verloren.

Seit 2009 sind nach UN-Angaben 59.000 Zivilisten am Hindukusch getötet oder verletzt geworden. Besonders stark stiegen die Opferzahlen unter Frauen mit 37 % auf 1246 Tote und Verletzte, unter den Kindern um 14 % auf 2829. Damit sei fast jedes vierte Opfer ein Kind, meldete die Menschenrechtsabteilung der UN-Mission. Darüber hinaus wurden vom UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) Zahlen veröffentlicht, wonach bis März über 81.445 neue Binnenflüchtlinge zu registrieren waren. Ab März 2017 werden noch 1,5 Millionen aus Pakistan ausgewiesene Afghanen dazukommen.

Nach einer Meldung von Tolo-TV haben die Taliban in den Jahren 2015/2016 insgesamt 9827 bewaffnete Aktionen durchgeführt. Die dramatischsten waren die Besetzung der Stadt Kunduz im Norden und Musaqala in der Provinz Helmand im Süden. Fast vor den Toren Kabuls, in der zentralafghanischen Provinz Ghasni, kontrollieren die Taliban acht Distrikte. Über 30 Distrikte des Landes sind noch immer unter ihrer Kontrolle.

Dies zum Anlaß nehmend, plant Washington, weitere 1000 amerikanische Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Auf der Suche nach einem glaubwürdigen Grund für ihre andauernde Militärpräsenz in Afghanistan haben sich die US-Strategen etwas Neues ausgedacht. Sie begründen sie u. a. mit mangelnder Sicherheit der pakistanischen Atomwaffen. Es bestünde die Gefahr, daß die Taliban Zugang zu den Waffen bekämen. Tatsache ist jedoch, daß Pakistan über 2000 Atomwaffen verfügt, die von 1000 Elitesoldaten bewacht werden. Daher kann ein Zugang der Taliban zu diesen Waffen nahezu ausgeschlossen werden.

Schon 2001 habe ich darauf hingewiesen, daß ein friedliches Afghanistan ohne Beteiligung der bewaffneten und islamisch definierten Opposition keine Chance haben dürfte. Seit klar ist, daß die Opposition militärisch nicht zu besiegen ist, hat der Westen die national gesinnten Taliban entdeckt. Sie hätten, im Gegensatz zu Al Qaida, eine "nationale Agenda". Man könne sie als Gesprächspartner akzeptieren. Seitdem wird immer wieder versucht, die "gemäßigten" Taliban in die kolonialähnlichen Strukturen am Hindukusch zu integrieren. Jedoch ohne Erfolg.

Seit Anfang 2016 gibt es einen weiteren Vorstoß, nun durch vierseitige Verhandlungen unter Beteiligung der US-Besatzer, der Kabuler Administration, der pakistanischen Regierung und der Taliban, zu einer politischen Lösung des Afghanistankonfliktes zu kommen. Die VR China ist als vertrauenswürdiger Vermittler von allen Seiten akzeptiert worden. Ende März 2016 sollten direkte Friedensverhandlungen mit den Taliban beginnen, passiert ist aber nichts. Pakistan ist nicht gewillt, zum Frieden in Afghanistan beizutragen, aber auch die eigene Regierung ist zum einen zerstritten und zum anderen völlig orientierungslos.

Die angekündigten Verhandlungen mit den Taliban werden durch Vorbedingungen belastet. Die Administration verlangt, daß diese die afghanische Verfassung und die Rechte der Frauen anerkennen und ihre Waffen niederlegen. Während Präsident Ashraf Ghani die Taliban auffordert, die Rechte der Frauen zu respektieren, kommen in seinem "Reich" regelmäßig Frauen durch "Dadgahae Sahrai" (wilde Gerichte) zu Tode. 2015 hat man über 5132 Gewalttaten gegen Frauen registriert, 180 Frauen wurden durch häusliche Gewalt getötet. Da nicht alle Fälle angezeigt werden, muß von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.

Die NATO-Strategie orientiert nach wie vor darauf, die Taliban zunächst militärisch zu schwächen und sie dann aus der Position der Stärke an den Verhandlungstisch zu zwingen. Diese Strategie ist weder neu noch besonders erfolgversprechend. Zumindest in den letzten Jahren ist sie immer wieder kläglich gescheitert.

Dr. Matin Baraki

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Unwissenheit ist ein Herrschaftsinstrument
Von Menschen, die den Fischen nachreisen

Mehr als sechzig Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. In den Metropolen des Kapitals, Berlin inklusive, wird gefordert, man müsse die Fluchtursachen bekämpfen. Und zieht Zäune, um die Besitzstände vor den Flüchtlingen zu sichern. Gekämpft wird auch. Aber nicht gegen die Ursachen. Denn diese sind von eben diesen Pharisäern verschuldet. Ohne die Waffen aus den Industriestaaten würde es keine andauernden Kriege und bewaffneten Konflikte geben, ohne rücksichtslose Plünderung der Ressourcen keine Notstände, ohne die als Entwicklungshilfe verschleierte Unterstützung korrupter Regime keine Ausbeutung und Unterdrückung ganzer Völker, ohne Abschottung der Märkte des reichen Nordens keine Perspektivlosigkeit für die nationale Wirtschaften im Süden ... Mit einem Wort: Um die Fluchtursachen erfolgreich zu bekämpfen, müßte sich der Kapitalismus selbst abschaffen, denn er ist die Wurzel allen Übels. Das aber wird er freiwillig nicht tun.

Ohne es so deutlich zu sagen, werden diese Zusammenhänge in einem ungewöhnlichen Buch bewußtgemacht. Recherchiert und geschrieben hat es eine Bürgerrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin aus Kampala. Winnie Adukule vom Volk der Lugbara, das im Nordwesten Ugandas lebt, hat in ihrer Heimat und in den USA Jura studiert und eine Zeitlang im Antikorruptionsausschuß der UNO gearbeitet. Jetzt führt die 39jährige eine Kanzlei im Stadtteil Kololo in der ugandischen Hauptstadt. Ihr Augenmerk gilt dort den Kindern, den heimat- und obdachlosen, den verstoßenen und den zu Unrecht juristisch verfolgten. Aktuell ist Adukule dabei, gemeinsam mit Freunden aus Norddeutschland ein Heim für etwa sechzig Straßenkinder aufzubauen. Sie sollen dort lernen, beruflich ausgebildet und aufs Leben vorbereitet werden.

Die Entscheidung für ein solches Projekt ist dem Wissen geschuldet, daß ein Großteil der Zuwendungen von Hilfsorganisationen in den weitverzweigten Kanälen der Verwaltungen - sowohl der Organisationen selbst wie auch in der staatlichen Bürokratie - verschwindet. Das gilt auch für die internationalen "Entwicklungshilfen". Damit wird in Uganda wie in anderen Staaten der Haushalt gestreckt und die nationale Bourgeoisie ausgehalten: Sie sorgt schließlich dafür, daß alles so bleibt, wie es ist, und das Land von ausländischen "Investoren" ungestört weiter ausgeplündert werden kann. Projekte wie dieses Heim, organisiert von schwarzen und weißen Idealisten, sind eine Reaktion auf die in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen des etablierten Neokolonialismus. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe, die direkt und ohne Umwege geleistet wird. Der Verein "Freechild Uganda e. V." sammelt Sach- und Geldspenden, und Freiwillige gehen eine Zeitlang als Lehrer, als Handwerker, als Ausbilder nach Kampala in das dortige Heim.

Winfred "Winnie" Adukule und ihre Mitstreiter sind sich bewußt, daß sie Symptome bekämpfen, nicht die Ursachen des Übels. Aber irgendwo und irgendwie muß man beginnen, die Gesellschaft zu verändern. Zumal es in Uganda keine organisierte politische Kraft gibt, die sich einen wirklichen Umbruch auf die Fahnen geschrieben hat. Die Parteien, die es zu Dutzenden gibt, sind Wahlvereine mit Häuptlingen, die allen alles versprechen und doch nur an die eigene Wohlfahrt denken. Seit 30 Jahren herrscht Präsident Museveni, er wurde erst im Februar für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt.

In ihrem Buch berichtet Winnie Adukule von Gesprächen mit vielen Menschen im Land - vornehmlich mit jungen Leuten, die nach Europa wollen, weil sie hinter dem Mittelmeer den Garten Eden wähnen, denn solches verheißen die Werbung und die Bilder auf Facebook, die ihnen Freunde von dort schicken zum Beweis, wie erfolgreich sie dort angeblich sind. In Uganda sehen sie für sich keine Zukunft: keine Arbeit, keine Wirtschaft, keine Infrastruktur, nicht eine einzige Bahnverbindung existiert.

Die großgewachsene, intelligente und selbstbewußte Autorin interviewte aber auch Menschen, die enttäuscht und mit der Einsicht aus dem Norden zurückkehrten, daß sie die dort Lebenden nicht noch reicher machen, sondern sich besser für die Entwicklung Ugandas engagieren sollten. Zu Adukulus Gesprächspartnern gehörten ebenso Flüchtlinge - Uganda hat aus den Nachbarstaaten, in denen blutige Bürgerkriege toben, etwa anderthalb Millionen Menschen aufgenommen. Sie suchte Flüchtlingssiedlungen auf, sprach mit Vertretern von Hilfsorganisationen und auch mit Diplomaten aus Europa. So entsteht aus vielen Puzzlesteinen ein sehr detailliertes Bild.

Wir erfahren viel Unbekanntes über die gesellschaftlichen Zustände und über erschütternde Schicksale, über das Denken und die Motive der Menschen, über die Gründe, warum sie nicht nur aus ihrem Land, sondern gleich aus Afrika wegwollen. Erschreckend die Naivität und das Unwissen der potentiellen Wirtschaftsflüchtlinge und deren Angehörige über das, was sie erwartet.

Bemerkenswert aber sind vor allem die Stimmen von Rückkehrern. Sie haben einen Erfahrungsvorsprung. Sie haben nicht nur über den Tellerrand geschaut, sondern auch Wissen akkumuliert, mit dem sie nüchtern und selbstkritisch die Lage analysieren. Daß diese so ist, wie sie ist, halten sie sich und ihren Landsleuten vor. Es habe sich durch die Alimentierung durch die alten und neuen Kolonialmächte eine lethargische Nehmer-Mentalität entwickelt. Statt ihr Geschick in die eigenen Hände zu nehmen, halten sie diese nur auf und warten auf die Brosamen. Sie kennen nichts anderes. Doch ihre Unwissenheit ist nicht selbstverschuldet, sondern in dieser werden sie bewußt gehalten. Dummheit ist ein Herrschaftsinstrument der Reichen. Im Buch wird Isaac Senyonga zitiert, der meint, daß wohl drei Generationen nötig seien, um hier einen notwendigen kulturellen Bruch zu vollziehen. Das A und O sei dabei Bildung, Bildung, Bildung.

Im Victoriasee, den sich Uganda mit Kenia und Tansania teilt, wurde der Victoriabarsch ausgesetzt, weil das weiße, schmackhafte Fleisch in Europa sehr begehrt ist. Nach Kaffee ist der Fisch das zweitwichtigste Exportgut Ugandas. Der Barsch frißt sich durch den See und hat inzwischen nahezu alle anderen Arten, von denen die einheimischen Fischer lebten, ausgerottet. Die Fischfabriken rund um den See gehören indischen oder chinesischen Kapitalisten, die wie überall im Land das Erbe der britischen Kolonialherren angetreten haben und sie an Arroganz und Kaltschnäuzigkeit oft noch übertreffen. Sie verdienen durch den Export Millionen, die Fischerdörfer hingegen verarmen und veröden. Die Menschen reisen den Fischen nach, die täglich nach Deutschland geflogen werden.

Das alles und noch viel mehr erfährt man aus dem informativen, ehrlichen Buch Winnie Adukules. Es ist geschrieben von einer Beteiligten und Betroffenen, einer Repräsentantin des neuen Afrika.

Ole Breitenbach, Berlin


Winnie Adukule: Flucht. Was Afrikaner außer Landes treibt. Mit Fotos von Frank und Fritz Schumann. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2016. 240 S., 14,99 €

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Weiter so in Schwerin und in Berlin?

Wahlen in heutigen imperialistischen Staaten bestätigen regelmäßig, was Lenin vor hundert Jahren, im Oktober 1916, in seinem Artikel "Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus" notierte: "Ohne Wählen geht es in unserem Zeitalter nicht; ohne die Massen kommt man nicht aus, die Massen aber können im Zeitalter des Buchdrucks und des Parlamentarismus nicht geführt werden ohne ein weitverzweigtes, systematisch angewandtes, solide ausgerüstetes System von Schmeichelei, Lüge, Gaunerei, das mit populären Modeschlagworten jongliert, den Arbeitern alles mögliche, beliebige Reformen und beliebige Wohltaten verspricht - wenn diese nur auf den revolutionären Kampf für den Sturz der Bourgeoisie verzichten." (LW, Bd. 23, S. 114/115) Die damalige Stelle des Buchdrucks, also der Presse, nehmen heute neben den bürgerlichen "Print-Medien" staatsmonopolistische Fernseh- und Rundfunkanstalten sowie weltumspannende Kommunikationskonzerne ein.

Lenin arbeitete damals heraus, daß es Gruppen innerhalb der Arbeiterklasse gab, die wegen der ihnen gewährten ökonomischen Privilegien besonders empfänglich für politische oder soziale Almosen waren. Am Streben nach Pöstchen und Mandaten als politischem Hauptziel hat sich bis heute nichts geändert. Was Lenin nicht kannte, war eine dauerhafte Unterprivilegierung fast aller Beschäftigten in bestimmten Regionen reicher Länder. Er kannte keine Wirtschaftskrise in den Dimensionen von 1929 oder von 2008/2009 mit einer über Jahre sich hinziehenden Depression. Deren gegenwärtige Folgen, eine hartnäckig hohe Erwerbslosigkeit bei gleichzeitig raschem Anwachsen des Vermögens der Wohlhabenden, ist in Ost- und Südeuropa sichtbar, aber auch in weiten Teilen Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik. Grimmen oder Wolgast sind, formulierte einmal Hermann Kant gegenüber einem westdeutschen Gesprächspartner, "eine andere Welt" im Vergleich mit Freiburg im Breisgau oder dessen Umgebung.

Die gnadenlose Zerstörung von produzierendem Gewerbe, das die DDR bewußt im heutigen Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt hatte, begann vor über 25 Jahren. Wer sich über die Ursachen für das Ergebnis der Landtagswahlen vom 4. September informieren möchte, sollte bei diesem Tatbestand beginnen - und "das System von Schmeichelei, Lüge und Gaunerei" anschauen, das vor diesem Hintergrund agiert.

Erklären heißt auch in diesem Fall nicht rechtfertigen. Ohne Erklären ist aber auch keine Strategie für sozialistische oder kommunistische Politik zu finden. Dazu gehört auch die Ansage: Niemand ist gezwungen, den Nazis in Nadelstreifen, die in Mecklenburg-Vorpommern die Landtagsfraktion prägen, seine Stimme zu geben. Allerdings: Von ihrem sozialen Status und ihrer Qualifikation her handelt es sich um Leute, die insbesondere in der CDU oder der FDP auch hätten antreten können. Die AfD ist wie in der BRD insgesamt im Nordosten Teil eines Bürgerblocks, der je nach politischem Bedarf die Flanke für offene oder verdeckte Nazis offenhielt und offenhält. Sie ist eine Partei von Berufssoldaten, völkischen Ideologen, hohen Ministerialbeamten, Selbständigen und - gemessen am Wähleranteil - die Partei vieler Arbeiter, Erwerbsloser und Angestellter.

Innerhalb des Bürgerblocks waren und sind die Übergänge stets fließend. Offen Naziparolen zu verwenden ist in CDU und CSU noch inopportun, aber die in Leipzig gewählte, aus München kommende CDU-Abgeordnete Bettina Kudla hat mit "Umvolkung" nur das ausgesprochen, was in ihrem Landesverband der Sache nach seit 1990 landläufig ist. Selbst die intellektuellen Drahtzieher der "neuen Rechten" vermeiden derartige Vokabeln, sie sprechen von "Bevölkerungsaustausch". Das tun sie seit Jahren, strategisch und planmäßig.

Diese Ideologen haben in den vergangenen 25 Jahren insbesondere in Ostdeutschland ein Netzwerk von Zeitschriften, Verlagen und Internetportalen aufgebaut, sozusagen ein Untersystem eigener Gaunerei und Schmeichelei. Sie entwickelten im Grunde das Konzept der von Hunderttausenden Ostdeutschen gelesenen Zeitschrift "Super-Illu" weiter. Das besagt: Hetze gegen den Sozialismus der DDR, aber Pflege ostdeutscher Heimatgefühle und kultureller Seiten der DDR. Von "Rassen" ist da keine Rede mehr, sondern von Kulturen. Das geht unmittelbar in fremdenfeindliche Hetze und Lügen über. Auch das ist Kalkül.

Der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski, Exbundeswehroberst mit NATO-Stabserfahrung, rechtfertigt das mit dem Satz "Perception is reality - Wahrnehmung ist Realität", der Leitformel aller sozialen Demagogie. Wer sich darüber informieren möchte, wie diese abstrakte These selbst hochgebildete Bolschewiki weltanschaulich und politisch verwirren konnte, lese in Lenins "Materialismus und Empiriokritizismus" die Passagen über den Bischof George Berkeley (1685-1753), den Stammvater des subjektivistischen "Esse est percipi - Sein ist Wahrgenommenwerden". In der Praxis politischer Propaganda (oder der psychologischen Kriegführung, die Pazderski vermutlich gut beherrscht) besagt der Satz: Es geht nicht um Wahrheit, sondern um Wirkung.

Ideologische und psychologische Kriegführung gegen große Teile der eigenen Bevölkerung - das ist das von Lenin bezeichnete mediale und politische Schmeichelund Gaunersystem. In Krisenzeiten wird es zu einem bestimmenden Faktor. Die Demagogie, mit der die BRD-CDU und ihre ostdeutschen Helfershelfer 1989/90 als Vortrupp der westdeutschen und internationaler Monopole in der DDR agierten, steht hinter der heutigen nicht zurück. Allerdings: Damals konnte leichtgläubigen Gemütern noch eingeredet werden, in Grimmen oder Wolgast würden bald dieselben Verhältnisse herrschen wie im Badischen.

Das hat sich gründlich geändert: Statt Wohltaten kündigt die psychologische Kriegführung heute zumeist mehr Armut, Rentenkürzungen, Abbau der sozialen Infrastruktur und Krieg an. Die Kanzlerin hat die dafür entscheidende Vokabel in die Sprache der Politik eingeführt: "alternativlos".

Zu den Parteien, die in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin den politischen Umschwung von der Verteilung von Almosen hin zu einer Politik der Verordnung von Armut, des Ausgeschlossenseins und des Verödens ganzer Regionen exekutierte, gehörte in Schwerin von 1998 bis 2006 die PDS, in Berlin von 2002 bis 2011 die PDS/Die Linke. Sie hatten unmittelbar Anteil an diesem wahren, dem entscheidenden Rechtsruck in den vergangenen 26 Jahren.

Die Folgen dieser Politik und das Festhalten am Dogma der Regierungsbeteiligung haben der Partei Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern ein Debakel beschert. In Berlin profitierte sie offensichtlich davon, daß viele vor allem offenbar in Westberlin, die von der korrupten SPD die Nase voll hatten, ihr die Stimme gaben und nicht wenige eine zu starke AfD verhindern wollten. In Schwerin hatte das vorläufig lediglich den Putsch in der Fraktion gegen den Ministeraspiranten Helmut Holter zur Folge. In Berlin, der Armutsmetropole der Republik und deren vermutlich größtes Zentrum von Korruption auch nach bürgerlichen Maßstäben, begibt sich die Führung der Landespartei gut gelaunt erneut in den politischen Sumpf.

Zu befürchten ist: Die AfD hat bei beiden Wahlen nur die ersten Früchte des von anderen herbeigeführten Rechtsrucks geerntet. Denn die in Schwerin wie in Berlin Regierenden kennen allein ein "Weiter so". Das ist in Krisenzeiten ein Förderprogramm für den Bürgerblock, einschließlich seiner Faschisten.

Arnold Schölzel

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RF-Extra I bis RF-Extra IV

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Beiträge wurden nicht in den Schattenblick übernommen.]

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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG (Folge 5)

Über den internationalistischen Charakter der kommunistischen Weltanschauung

Seit Mitte der 60er-Jahre hat der damalige "Deutschlandsender" (später umbenannt in "Stimme der DDR") eine auch in Westdeutschland gehörte und beachtete Sendereihe mit Vorträgen zu Fragen unserer wissenschaftlichen Weltanschauung ausgestrahlt, deren Manuskripte sich erhalten haben und die wir den Lesern des "RotFuchs" in einer Auswahl zur Verfügung stellen - inhaltlich wurde nichts verändert, von unumgänglichen Kürzungen abgesehen. Man kann diese Vorträge lesen als Kapitel eines Geschichtsbuchs (dazu auch immer die Angabe des seinerzeitigen Sendetermins) und zugleich als Einführung in die Grundlagen marxistisch-leninistischen Denkens. Viele auch in den Vorträgen zum Ausdruck kommende Hoffnungen haben sich mit und nach der Konterrevolution von 1989/90 zerschlagen, manche Prognosen haben den Praxistest nicht bestanden. Wesentliche Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und anderen unserer Theoretiker aber haben nach wie vor Bestand, an ihnen halten wir (gelegentlich deswegen als Ewiggestrige beschimpft) fest, sie wollen wir - auch mit dieser Serie - vermitteln. RF


Sendetermin: 22. November 1972

Die internationalen Klassenauseinandersetzungen haben bewiesen: Der Kapitalismus fürchtet die Einigkeit der Arbeiter wie der Teufel das Weihwasser. Ebenso sichtbar wurde aber auch: Die revolutionäre Arbeiterklasse braucht die Solidarität und den proletarischen Internationalismus wie die Luft zum Atmen.

Die kommunistische Weltanschauung, der Marxismus-Leninismus, ist die einzige Lehre, die diese Lebensgrundlage der revolutionären Arbeiterbewegung wissenschaftlich zum Ausdruck bringt. Wissenschaftlich ausdrücken, das heißt: Die kommunistische Weltanschauung klärt, daß der Internationalismus eine objektive Gesetzmäßigkeit, ein unabdingbar notwendiger, ein allgemein gültiger Wesenszug der revolutionären Arbeiterbewegung ist. Wirklicher Kommunist, konsequenter Revolutionär sein, das heißt, Internationalist sein. Freilich gilt auch umgekehrt: Echter Internationalist sein, die Schranken nationalistischer Borniertheit überspringen, die Interessen der Arbeiter aller Länder wirksam vertreten, das kann nur, wer sich zur kommunistischen Weltanschauung, also zum Marxismus-Leninismus bekennt.

Dieser Zusammenhang ist kein bloß theoretischer, ist kein Vorgang nur des Denkens oder gar des puren Meinens, sondern er hat eine praktische soziale Grundlage; er folgt aus den inneren Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft, er ist Konsequenz des gesetzmäßigen Befeiungskampfes der Arbeiterklasse. Und er ist unverzichtbare Voraussetzung für den Sieg des Sozialismus und den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Ich komme hierauf noch zurück. Vorher sei erklärt, daß und warum gerade dieses internationalistische Prinzip unserer wissenschaftlichen Weltanschauung, dieses A und O aller Solidarität und Einigkeit der Arbeiterklasse von unseren Feinden so wütend bekämpft und so übel verleumdet wird.

"Divide et impera", "Teile und herrsche!" - so lautet die Faustregel, nach der die herrschenden Ausbeuterklassen seit eh und je vorgingen, um den Widerstand der unterdrückten Volksmassen zu brechen. Und wenn es den Sklavenhaltern im antiken Rom, den Feudalherren des Mittelalters, den kapitalistischen Unternehmern der Neuzeit immer wieder gelang, Aufstände der Sklaven, Rebellionen der Bauern, Erhebungen der Proletarier gegen ihre Ausbeutung durch eine winzige Minderheit von Privateigentümern blutig niederzuschlagen, dann nicht zuletzt deshalb, weil die Ausbeuter es fertigbrachten, die Reihen der Kämpfenden aufzuspalten, ihren Zusammenschluß zur einheitlichen solidarischen Befreiungsaktion zu verhindern.

Auch die geschichtlich letzte Ausbeuterklasse, die Monopolkapitalisten, die Konzerngewaltigen, die Bankherren, die Rüstungsmilliardäre lassen nichts unversucht, um der Einheitsfront des antiimperialistischen Kampfes, der Aktionseinheit der kommunistischen Weltbewegung, dem Prozeß der allseitigen Integration der sozialistischen Staatengemeinschaft entgegenzuwirken. Ein ideologisches Hauptinstrument ist dabei das Gift des Nationalismus. Gepredigt wird die Nation als überhistorischer mystischer Wert. Es sollen Stimmungen nationalistischer Überheblichkeit und lokalpatriotischer Eigenbrötlerei geschürt werden. Man möchte Zwietracht und Hader nicht nur unter den jungen Nationalstaaten und in der sozialistischen Völkerfamilie, sondern auch zwischen den kommunistischen Parteien säen.

Gewiß war und ist die Entwicklung der Arbeiterbewegung zur weltumspannenden internationalistischen Aktionseinheit kein konfliktloser, glatter Weg. Die Feinde der Arbeiter fanden in Gestalt des Revisionismus, des Sozialreformismus, des Sozialdemokratismus und eben auch in Form der verschiedensten nationalistischen und chauvinistischen Ideologien Helfershelfer bei den Versuchen, den proletarischen Internationalismus zu unterminieren. Aber allen Spalterversuchen zum Trotz hat sich folgende Tendenz durchgesetzt: Aus einer kleinen Schar von einigen Hundert Kommunisten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts entwickelten sich in wenigen Jahrzehnten starke revolutionäre Arbeiterparteien. Die Leninsche Partei der Bolschewiki führte die revolutionären Arbeiter und Bauern im Roten Oktober des Jahres 1917 zum weltgeschichtlich ersten Sieg über die Macht der Kapitalisten und Grundbesitzer. 1922 wurde die Staatsmacht der ersten sozialistischen Völkerfamilie in der Weltgeschichte gegründet - die UdSSR. Mit ihrem Sieg über den Hitlerfaschismus und den japanischen Imperialismus im 2. Weltkrieg ist der Beginn einer neuen Periode des proletarischen Internationalismus verbunden, die Herausbildung einer sozialistischen Staatengemeinschaft.

Die theoretischen Wurzeln dieser praktisch-revolutionären Aufgabe und aller Siege der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung über die nationalistischen Spaltungsversuche reichen zurück bis in die Anfänge der wissenschaftlichen Weltanschauung.

Schon sehr früh haben Karl Marx und Friedrich Engels wissenschaftlich präzis begründet: Der Kampf der Arbeiter um ihre Befreiung von der kapitalistischen Ausbeutung ist deshalb eine internationalistische, die Ländergrenzen überschreitende Bewegung, weil erstens die Arbeiter aller Länder die prinzipiell gleichen Lebensinteressen haben. Sie sind, noch ehe ihnen das bewußt wird, eine internationale, weltumspannende gesellschaftliche Größe. Wo immer sie leben mögen, wie unterschiedlich die technischen, geistigen, kulturellen Bedingungen ihres Lebens und Arbeitens sein mögen - was sie objektiv eint, ist ihre gleiche sozialökonomische Situation. Und zwar sind sie, bis sie die Ketten des Kapitals gesprengt haben, alle in der gleichen Klassensituation: Sie sind Lohnarbeiter, die - vom Besitz an Produktionsmitteln ausgeschlossen - ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufen müssen. Sie werden unterdrückt, ausgebeutet, erniedrigt.

Zweitens ist die kommunistische Bewegung aber auch deshalb von Anbeginn eine internationalistische politische und geistige Strömung, weil das durch die sozialistische Revolution zu brechende Kapitalverhältnis, weil die kapitalistische Produktionsweise selbst als ein internationaler Prozeß besteht.

Obzwar die Nation zunächst ein Produkt des spezifisch bürgerlichen Emanzipationskampfes gegen den Feudalismus ist, insbesondere gegen dessen ökonomische und politisch-ideologische Hauptmacht, die katholische Kirche, besteht die bürgerliche Nation doch nur als ein Bewegungsraum des Kapitals. Sie ist in ihrem Wesen eine Organisationsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie über das Proletariat. Und die Kapitalisten selbst verraten ihre eigne Nation, durchbrechen sofort ihre Schranken, sobald ihr Profitinteresse das gebietet. Die kapitalistischen Großunternehmen von heute sind vielfältig miteinander verfilzt, sie vereinigen sich zu internationalen Ausbeuterorganisationen. Kurz, der Kapitalismus selbst, der kapitalistische Weltmarkt und insbesondere der Monopolkapitalismus haben längst bewiesen, daß die Nation alles andere als ein über den Klassen und Klassenkämpfen stehendes Gebilde ist. Der Kapitalismus steht der Arbeiterbewegung als ein durchaus international organisierter Klassenfeind gegenüber.

Aus alledem folgt: Die wirklich konsequente, wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung muß immer auch in dem Sinne aufs Ganze gehen, daß sie nicht bloß diesen oder jenen Unternehmer bekämpft, der bürgerlichen Klasse nur eines einzelnen Landes den Kampf ansagt, sondern in all ihren Aktionen den - wenn man so will - internationalen Gesamtkapitalisten zu bändigen und zu schlagen versucht. Gewiß, und dies hat schon das "Kommunistische Manifest" nachgewiesen: Die Arbeiterklasse muß zunächst einmal Herr im eignen Lande werden; sie zerschlägt den bürgerlichen Staatsapparat, erobert die Macht und organisiert sich zur herrschenden Klasse in ihrem Lande; sie wird damit zum sozialen Hauptträger und Gestalter einer gänzlich neuen, der sozialistischen Nation. Aber der hieraus erwachsende sozialistische Patriotismus ist gerade auch deshalb etwas geschichtlich ganz Neues, weil er auf das Innigste mit dem proletarischen Internationalismus verschmolzen ist. Das heißt, die Beziehungen von sozialistischen Nationen nehmen einen völlig veränderten Charakter an. An die Stelle der vom Profitstreben diktierten Herrschafts- und Unterdrückungsbestrebungen treten Beziehungen brüderlicher Verbundenheit und gegenseitiger Hilfe, die sich gründen auf

  • die gleiche sozialökonomische Basis, nämlich das gesellschaftliche Eigentum an der Produktionsmitteln
  • die gleiche Zielstellung, der von der Arbeiterklasse und ihrer Partei geleitete Aufbau des Sozialismus-Kommunismus
  • die gleiche weltanschauliche Grundlage, den Marxismus-Leninismus.

Drittens schließlich ist die kommunistische Bewegung deshalb seit ihren Anfängen eine internationalistische Bewegung, weil ihr oberstes Ziel die Befreiung aller arbeitenden Menschen ist, ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu dieser oder jener Nation. Der Humanismus der kommunistischen Weltanschauung ist nicht zuletzt darum tiefer und umfassender als irgendeine ihm vorhergehende Strömung humanistischen Denkens, weil die Menschlichkeit, für deren Verwirklichung jeder Kommunist kämpft, reale Freiheiten für die übergroße Mehrheit bringt und das gesellschaftliche Schöpfertum aller arbeitenden Menschen freisetzt. Und daß dies - wiederum zum Unterschied von all den gutgemeinten oder auch bewußt verlogenen Weltverbesserungsplänen in Vergangenheit und Gegenwart - zur Realität wurde, dafür legten den Grundstein die Große Sozialistische Oktoberrevolution und die Bildung der UdSSR.

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Slobodan Milosevic freigesprochen

Am 23. August veröffentlichte der australische Journalist John Pilger auf seinem Blog unter dem Titel "Mit Medien einen Atomkrieg provozieren" einen Artikel, in dem er darauf hinwies, daß der frühere serbische Ministerpräsident Slobodan Milosevic (1941-2006) vom "Internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien " (ICTY) stillschweigend freigesprochen wurde, ohne daß eine breitere Öffentlichkeit davon Notiz nahm. Pilger schrieb u. a.:

Die Entlastung eines Mannes, der wegen schlimmster Verbrechen angeklagt wurde, des Völkermords, machte keine Schlagzeilen. Weder BBC noch CNN berichteten darüber. Der "Guardian" erlaubte einen kurzen Kommentar.

Das ICTY in Den Haag hat den verstorbenen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic in aller Stille von Kriegsverbrechen freigesprochen, die während des bosnischen Krieges von 1992 bis 1995 begangen wurden, einschließlich des Massakers von Srebrenica. Weit entfernt davon, sich mit dem verurteilten Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, zu verschwören, opponierte demnach Milosevic gegen ihn und "verurteilte ethnisches Säubern". Er versuchte, den Krieg zu stoppen, der Jugoslawien auflöste. Diese Wahrheit, die am Ende von 2590 Seiten des Urteils über Karadzic vom vergangenen Februar begraben wurde, zertrümmert einmal mehr die Propaganda, mit der die NATO ihren illegalen Angriff auf Serbien 1999 rechtfertigte.

Milosevic war das Opfer von Kriegspropaganda, die sich heute wie eine Sturzflut über unsere Bildschirme und Zeitungen ergießt und große Gefahr für uns alle signalisiert. Er war der Prototyp eines Dämons. Von den westlichen Medien wurde er als der "Schlächter vom Balkan" verunglimpft, der für "Völkermord" insbesondere in der sezessionistischen jugoslawischen Provinz Kosovo verantwortlich sei. Das war die Rechtfertigung für das NATO-Bombardement.

Es war das Modell für Washingtons folgende Invasionen in Afghanistan, Irak, Libyen und die verdeckte in Syrien. Alle können als Hauptkriegsverbrechen im Sinne der Nürnberger Prozesse bezeichnet werden; alle hingen von Medienpropaganda ab.

Die Verbeugung vor den Vereinigten Staaten und ihren Kollaborateuren als einer gütigen Kraft, die "Gutes bringt", bestimmt entscheidend den westlichen etablierten Journalismus. Das sichert, daß die Schuld an der gegenwärtigen Katastrophe in Syrien ausschließlich Baschar Al-Assad gegeben wird. Der Westen und Israel haben sich seit langem verschworen, ihn zu stürzen - nicht wegen irgendwelcher humanitärer Sorgen, sondern um Israels aggressive Macht in der Region zu stabilisieren.

Das langfristige Ziel ist, Rußland eine Rolle als entscheidenden Verbündeten im Mittleren Osten zu verweigern. Das ist Teil eines Zermürbungskriegs der NATO gegen die Russische Föderation, der sie eventuell zerstört. Das atomare Risiko liegt auf der Hand, auch wenn es von den Medien der "freien Welt" beschwiegen wird.

Die Kommentatoren der "Washington Post", die für die Fiktion von Massenvernichtungswaffen im Irak Reklame machten, fordern, daß Obama Syrien angreift. Hillary Clinton, die ihr Vergnügen über ihre Henkerrolle bei der Zerstörung Libyens öffentlich machte, hat wiederholt erklärt, daß sie als Präsidentin "weiter gehen" würde als Obama.

John Pilger

Aus dem Englischen von Arnold Schölzel

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Wer will das Bargeld abschaffen?

Mit der Einführung von Geldautomaten in Verbindung mit elektronischer Datenverarbeitung trat "Plastikgeld" seinen Siegeszug an. Der scheint jedoch bereits durch die Mobilfunktechnologie und die Internet-Entwicklung mehr oder weniger schnell beendet zu werden. Trotz dieser Entwicklungen hat Geld nur zwei Daseinsformen - Bargeld (Papier-/Münzgeld) und Giralgeld (Buchgeld). Geldkarten, Kreditkarten, Mobilfunktechnik, Internet-Banking u. a. sind hingegen kein Geld. Vielmehr handelt es sich hierbei um technische Hilfsmittel zur Realisierung des Anspruchs auf Buchgeld oder Bargeld. Eng mit diesem Prozeß sind Bestrebungen der Zurückdrängung bzw. der Abschaffung des Bargelds verbunden. Der amerikanische Harvard-Professor und einstige Chefökonom des IWF, Kenneth Rogoff, ist ein bedeutender Protagonist der Bargeldabschaffung. Wie kann es auch anders sein? In den USA und in den skandinavischen Ländern sind bargeldlose Zahlungsarten am meisten verbreitet.

Wir haben gelernt, daß Geld eine Ware ist, deren spezifischer Gebrauchswert darin besteht, allgemeines Äquivalent zu sein. Es entstand vor ca. 3000 bis 4000 Jahren mit der Entwicklung der Warenproduktion im Zusammenhang mit der Herausbildung des Privateigentums und der Vertiefung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Erst in der entfalteten kapitalistischen Warenproduktion deckten Marx und Engels den "geheimnisvollen" Charakter des Geldes auf: "Die Ware, welche als Wertmaß und daher auch, leiblich oder durch Stellvertreter, als Zirkulationsmittel funktioniert, ist Geld. Gold (resp. Silber) ist daher Geld." (MEW, Bd. 23, S. 143)

Im Geld drücken sich bestimmte Produktionsverhältnisse zwischen den Warenproduzenten aus, die durch die jeweils herrschenden Eigentumsverhältnisse bestimmt werden. Im Kapitalismus ist Geld die Verkörperung gesellschaftlicher Macht. Es kann sich jederzeit in Kapital verwandeln und wird so zum Instrument der Ausbeutung. Unter heutigen Bedingungen werden alle Märkte durch gigantische, weltweit agierende Monopole beherrscht. Sie bestimmen den gesellschaftlichen Charakter des Geldes. Die in Geld ausgedrückten "Marktpreise" für Waren und Dienstleistungen sind Monopolpreise. Deren wichtigster Bestandteil ist der Monopolprofit. Letzterer wird über die Machtstellung "erwirtschaftet" und basiert auf brutaler, umfassender und globaler Ausbeutung sowie Umverteilung. Die wichtigste Quelle des Monopolprofits ist die menschliche Arbeit bzw. der Mehrwert, den die arbeitenden Massen erzeugen. Über den Monopolpreis eignet sich die weltweit agierende Finanzoligarchie desgleichen Teile der Profite nichtmonopolisierter Kapitalisten und Teile des Mehrprodukts einfacher Warenproduzenten an. Besonders deutlich wird das in der Ausplünderung wirtschaftlich schwächerer Länder - wie etwa Entwicklungsländer oder auch Griechenland.

Im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise seit 2008 wurde deutlich, daß durch enorme "Geldschöpfung", durch Umverteilungsprozesse und durch die Einbeziehung von Staatsvermögen/Steuereinnahmen der Profitmechanismus aufrechterhalten wird. Die weltweit agierende Finanzindustrie wird mit Geld subventioniert. Der imperialistischen Führungsmacht USA - dem Ausgangspunkt der schwersten Krise seit Jahrzehnten - und anderen kapitalistischen Industriestaaten ist es gelungen, über eine raffinierte Geldpolitik das Währungs- und Finanzsystem bedingt zu stabilisieren. Ein wesentliches Ergebnis der "Krisenbewältigung" besteht darin, daß die Reichen noch reicher wurden. So besitzt heute ein Prozent der Weltbevölkerung mehr als 50 % des gesamten Weltvermögens. Das Hasardspiel an den Börsen geht jedoch weiter.

Seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems vergrößerte sich die Geldmenge in der Welt extrem. Die Geldmengenentwicklung hat sich von der tatsächlichen Entwicklung der Realwirtschaft weit entfernt. Ursachen dafür liegen im Neoliberalismus und in der relativen Verselbständigung des Währungs- und Finanzsystems von den realen wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen in der Welt.

Enorme "überschüssige" Geldmengen werden seit Jahrzehnten fast ausschließlich zur spekulativen Profiterwirtschaftung eingesetzt. Daran beteiligt sind Finanz- und Industriekonzerne, offizielle und graue Finanzmärkte, Spekulanten sowie wirtschaftlich starke Staaten u. a. Die Finanzoligarchie führt Regie. Sie verhindert eine wirkliche Überwindung der anhaltenden Krise. Sie bedient sich dabei sowohl nationaler als auch internationaler Institutionen (Zentralbanken, Internationaler Währungsfonds, Europäische Union etc.).

Wie ordnen sich Absichten bzw. Aktivitäten nach Zurückdrängung und Abschaffung des Bargelds/Bargeldumlaufs ein? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Finanzoligarchie braucht den ungehinderte Zugriff auf alle Vermögen und Einkommen, insbesondere der arbeitenden Massen, um in schweren Krisen einen Totalzusammenbruch des Währungs- und Finanzsystems zu verhindern. Wer Unmengen von Geld aus dem Nichts schöpft, weiß mit Sicherheit, daß sich das Wertgesetz irgendwann Bahn bricht. In einer solchen Situation ist dann der Zugriff auf privates Geld, auf das Eigentum der Arbeitenden, ein notwendiges Erfordernis. Diese Form der Enteignung spielte und spielt die Europäische Union längst durch. Zur Bankensanierung auf Zypern wurde ein Schuldenschnitt auch auf Kosten des Bürgers durchgeführt.

Den einfachen Menschen in Griechenland wird gegenwärtig der freie, ungehinderte Zugang zum eigenen Geld am Bankschalter oder am Geldautomaten eingeschränkt. Ein neues Drama deutet sich in Italien an. Dortige Großbanken schieben Berge wertloser und fauler Papiere/Kredite in Höhe von ca. 360 Mrd. € vor sich her. Die Angst vor dem Zusammenbruch italienischer Großbanken und vor einem Domino-Effekt ist in der EU real. Man glaubt, daß ohne die Existenz von Bargeld der Zugriff auf das Geld-Eigentum bzw. die Vernichtung von Ersparnissen/Einkommen geräuschloser und leichter wäre.

Für den "Staat" eröffnen sich neue Chancen, Kontrolle über den "Normalbürger" auszuüben. Ihm geht es tendenziell darum, alle finanziellen Aktivitäten zu überwachen und neue Einnahmequellen für die Staatsfinanzierung zu erschließen. Unter dem Deckmantel der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung haben verschiedene Staaten den Bargeldverkehr schon durch Höchstgrenzen eingeschränkt. Von 28 EU-Ländern führten 12 Obergrenzen für Zahlungen mit Bargeld ein. Solche Begrenzungen gibt es beispielsweise in Italien (1000 €), in Frankreich (3000 €), in Spanien (2500 €) und in Griechenland (1500 €) (U. Horstmann, G. Mann: Bargeldverbot, FinanzBuch-Verlag, S. 21). Die Abschaffung der 500-Euro-Scheine ab 2018 geht in die gleiche Richtung. Tatsächlich haben solche Maßnahmen wohl kaum Wirkungen auf Terroristen oder Kriminelle.

Zusammenfassend läßt sich folgende Schlußfolgerung ziehen: Die Beschränkung des Bargeldverkehrs oder gar Vorstellungen einer Abschaffung von Bargeld liegen nicht im Interesse der Bürger, auch wenn gegebene technische Möglichkeiten eine Erleichterung im Zahlungsverkehr darstellen. Tatsächlich sind sie Schritte in Richtung totalitärer Strukturen und der Einschränkung der bisherigen bürgerlichen Auffassungen von Freiheit und Eigentum. Sie dienen in erster Linie dem Erhalt der Macht der Monopole und des bestehenden gesellschaftlichen Systems. Sie eröffnen neue Wege für Enteignung, Überwachung und Entmündigung der Massen, insbesondere in politischen und ökonomischen Krisenzeiten.

Die klare Definition für die Ware "Geld" im Marxschen "Kapital" wird uneingeschränkt bestätigt und besitzt nach wie vor volle Gültigkeit. Im Geld widerspiegeln sich die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, insbesondere die Eigentumsverhältnisse im Imperialismus.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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Angst vor dem Sozialismus?

Solange ich mich bewußt mit der deutschen Geschichte, beginnend beim Deutschen Kaiserreich, über die Weimarer Republik, den Faschismus bis hin zur Entstehung und Gründung der beiden deutschen Staaten BRD und DDR, deren Ursachen, Bedingungen und Folgen auseinandersetze, genauso lange weiß ich um die Unversöhnlichkeit der beiden so unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen, dem Kapitalismus in der BRD und dem Sozialismus in der DDR.

Die Gegner einer fortschrittlichen Gesellschaftsordnung werden nicht müde, die Verhältnisse und das Leben in der DDR wie der anderen vormals sozialistischen Staaten in den Dreck zu ziehen und die Gesellschaftsordnung nicht nur in der DDR immer wieder als Kommunismus zu bezeichnen. Man könnte unterstellen, sie wüßten es nicht besser. Doch sie wissen es! Das gesellschaftliche System in der DDR, der Sowjetunion, in Polen und in anderen Ländern war erst der Beginn des Sozialismus. Nicht eines dieser Länder behauptete, bereits den Kommunismus aufgebaut oder gar vollendet zu haben. Die kommunistische Gesellschaftsordnung wäre der nächste gesellschaftliche Sprung nach dem vollendeten Aufbau des Sozialismus gewesen. Dazu kam es leider nicht.

Aber jene Länder als kommunistische Länder zu bezeichnen, also als Länder, in denen Kommunisten regieren und die Menschen unter kommunistischen Bedingungen leben, ist eine Methode, eine humanistische Gesellschaftsordnung als nicht erstrebenswert, als undemokratisch, ja als unmenschlich darzustellen und zu verdammen. Dazu kommen vielfältige Manipulationen, u. a. durch "Brot und Spiele". Mit dem Werkzeug "Werbung" wird manipuliert, abgelenkt und ruhiggehalten, wird orientiert auf Konsumdenken. Der Bevölkerung wird Zufriedenheit suggeriert, soweit sie über ausreichende finanzielle Mittel für die Erfüllung ihrer Wünsche verfügen. Nur wenige machen sich Gedanken darüber, weshalb so viele Menschen ihre Länder verlassen. Zu viele denken nicht darüber nach, wer in den Ländern, aus denen Hunderttausende unter Einsatz ihres Lebens fliehen, Krieg führt und warum.

Mir sind Werte wie Bildung, Kunst und Literatur, Humanität, Solidarität, Liebe zum Leben, zur Natur, Freundschaft mit anderen Völkern wichtig - Werte, die mir in dem Land, in dem ich bis zu seiner Annexion 38 Jahre leben, mich bilden, arbeiten und glücklich sein durfte, vermittelt und vorgelebt worden sind. Dagegen stehen die Werte der kapitalistischen Gesellschaft, zu deren Verteidigung gegenüber Ausländern, insbesondere Flüchtlingen und Asylanten, unentwegt aufgerufen wird. Welche Werte sind das? Es ist nur ein Wert: das Geld! Der Mensch in dieser Gesellschaft wird nicht bewertet nach dem, was er ist, was er kann und leistet, sondern nach seiner Habe. ("Hast du was, dann bist du was!") Vermögende Menschen genießen hohes Ansehen; je mehr Geld, desto höher das Ansehen. Wer Geld hat, kann sich alles leisten, kann andere nach Belieben benutzen und ausbeuten. Viel zu häufig begegnen einem Oberflächlichkeit, Gespräche über Belanglosigkeiten - Mode, Abnehmen, Gesundheit ... Ängste vor Schweine-, Vogel-, sonstiger Grippe und vor Epidemien werden lanciert und geschürt zu einem einzigen Zweck: um damit Profit zu machen. Die Menschen sollen abgelenkt werden vom politischen Geschehen, von Aufrüstung, von Rüstungsexport, von Kriegen, von Demokratie-, Bildungs- und Gesundheitsabbau, von Freihandelsabkommen, Überwachung, Eingriffen in die Privatsphäre und vielen anderen wichtigen Themen - abgelenkt auch von Vergleichen zwischen sozialistischen und kapitalistischen Verhältnissen, vom Nachdenken über die Notwendigkeit und Machbarkeit eines humaneren, gerechteren Lebens.

Vor einer Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Kapitalismus beseitigen und den Sozialismus ermöglichen würde, haben die Mächtigen, ihre Erfüllungsgehilfen und Propagandisten große Angst. Eine solche Veränderung versuchen sie mit allen Mitteln zu verhindern.

Bereits im Deutschen Kaiserreich wurden die Mitbegründer der 1869 gegründeten, revolutionär eingestellten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) Wilhelm Liebknecht und August Bebel beim Leipziger Hochverratsprozeß im Jahre 1872 wegen ihrer Opposition gegen den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und ihrer Solidarität mit der Pariser Kommune zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Am 21. Oktober 1878 trat das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", Sozialistengesetz genannt, in Kraft. Mit § 1 (1) wurden Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, verboten. Verboten wurden ferner Versammlungen und Druckschriften; Verstöße gegen diese Bestimmungen wurden mit Berufsverbot, dem Verlust der Freizügigkeit, Ausweisung oder Gefängnis geahndet.

Zu Beginn der Weimarer Republik wurde der Spartakusaufstand mit Hilfe rechtsgerichteter Freikorpstruppen gewaltsam niederschlagen. Der Spartakusbund war eine Vereinigung von Marxisten und Sozialisten, die während des Ersten Weltkrieges am Ziel einer internationalen Revolution festhielten, um Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus zu stürzen. Seit Anfang Dezember 1918 forderten Plakate die Berliner Bevölkerung auf, die "Rädelsführer" ausfindig zu machen und den Militärs zu übergeben. Es war eine hohe Belohnung ausgesetzt. Ein massenhaft verbreitetes Flugblatt forderte: "Das Vaterland ist dem Untergang nahe. Rettet es! Es wird nicht von außen bedroht, sondern von innen: von der Spartakusgruppe. Schlagt ihre Führer tot! Tötet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Arbeit und Brot haben. Die Frontsoldaten."

Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg, Mitbegründerin des Spartakusbundes, und Karl Liebknecht, der am 2. Dezember 1914 als einziger Reichstagsabgeordneter gegen die Verlängerung der Kriegskredite stimmte, ermordet. Neben Karl Liebknecht war Rosa Luxemburg die wichtigste Repräsentantin internationalistischer und antimilitaristischer Positionen in der SPD. Sie war eine leidenschaftliche und überzeugende Kritikerin des Kapitalismus und schöpfte aus dieser Kritik die Kraft für ihr revolutionäres Tun. Der Kampf der imperialistischen Kräfte gegen Sozialisten, Kommunisten und Menschen, die sich gegen ihr menschenverachtendes System stellten, die ihr Leben für eine bessere, humane und sozialistische Zukunft einsetzten und gaben, fand sein bisher schrecklichstes Ausmaß im Zweiten Weltkrieg. Es fanden nicht nur Juden bei Schwerstarbeit oder im Gas den Tod. Zielgerichtet gefoltert und ermordet wurden fortschrittliche Menschen, die dem Faschismus Widerstand entgegensetzten - unabhängig von ihrer weltanschaulichen, religiösen oder politischen Überzeugung.

Erinnert sei noch an das Verbot der KPD 1956 in der BRD, das zur Auflösung der Partei, dem Entzug ihrer politischen Mandate, dem Verbot der Gründung von Ersatzorganisationen und zu Gerichtsverfahren gegen Tausende ihrer Mitglieder führte.

Die Angst vor dem Sozialismus und Kommunismus spiegelt sich auch in der Geschichte anderer Länder wider. Man denke nur an den Krieg der USA gegen die Demokratische Republik Vietnam, an den blutigen Militärputsch am 11. September 1973 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende in Chile oder an den seit Jahrzehnten andauernden US-amerikanischen Boykott gegen Kuba. In der Gegenwart werden - egal in welcher Region dieser Erde - Kriege geführt, Aufständische und Demonstranten, die zum Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus aufrufen, werden niedergeknüppelt oder Repressalien ausgesetzt.

Bei all dem geht es, wie Zbigniew Brzezinski bereits 1997 in seinem Buch "Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft" schrieb, dem Imperium alleine darum "das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen zu verhindern, egal ob auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, der eine ähnliche Bedrohung darstellt wie die Sowjetunion."

Beate Wesenberg-Schlosser, Berlin

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Schulbücher aus der DDR, auch heute unentbehrlich

Nur noch wenige wissen heute, wie massiv in der alten BRD gegen die DDR gehetzt wurde, wie sehr Anti-DDR-Propaganda Staatsdoktrin war und wie umfassend sie sich im Unterrichtsstoff aller Schulformen fand. (Die anhaltende verheerende Wirkung dieser Hetze wird u.a. an ihren Ergebnissen - etwa einem 1959 im westfälischen Unna geborenen "Historiker" und Leiter einer Anti-DDR-Gedenkstätte - deutlich.) Ich ging in Bayern von 1957 bis 1969 in die Volksschule bzw. Realschule und hatte seinerzeit keinerlei Vergleichsmöglichkeiten. Inzwischen habe ich mir Schulbücher aus der DDR beschafft und entnahm ihnen statt Hetze Informationen und statt Propaganda nüchterne Fakten - unentbehrlich zur Schließung von Wissenslücken und zum Begreifen von Zusammenhängen.

Im Erdkunde-Lehrbuch für das 7. Schuljahr "Amerika und Polargebiete", Verlag Volk und Wissen, Berlin/DDR 1953, heißt es über die Lage der Arbeiter in Kanada: "Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in Kanada 200.000 Arbeitslose. Später stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 450.000. Gleichzeitig zogen auch die Preise für die Waren des täglichen Bedarfs an. In der Zeit von 1945 bis 1950 waren die Preise für Lebensmittel und Bekleidung um 50 bis 100 Prozent gestiegen. Für die überwiegende Mehrheit der werktätigen Bevölkerung Kanadas beträgt die Miete ein Drittel ihres monatlichen Einkommens. Kann ein Mieter seine Miete nicht für einen Monat im voraus bezahlen, so wird er auf die Straße gesetzt.

Die Zeitungen berichten, daß Arbeiter, die ein Alter von über 40 Jahren erreicht haben, keine Arbeit mehr erhalten. In einer Reihe von Industriestädten kommen Arbeiter, die zunächst arbeitslos und dann obdachlos geworden sind, in die Gerichte und bitten darum, sie für ihr Vagabundieren zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen. So hoffen sie, wenigstens für kurze Zeit zu einem Nachtlager und zu einer Mahlzeit, wenn auch zu kärglicher Gefangenenkost, zu kommen." - Und im Geschichts-Lehrbuch für das 8. Schuljahr (Verlag Volk und Wissen, Berlin/DDR 1958) erfährt man im Kapitel über die Weimarer Republik und die Sowjetunion: "Um ihr Ziel, die Vorbereitung eines Raubkrieges gegen die Sowjetunion, zu verschleiern, trieben die deutschen Imperialisten eine wüste antisowjetische Hetze. Sie diente zur geistigen Kriegsvorbereitung. Bereits im Dezember 1918 waren die Antibolschewistische Liga und ähnliche Organisationen gegründet worden. Ihre Aufgabe bestand darin, das deutsche Volk mit Lügen und Verleumdungen über die Sowjetunion zu verdummen sowie Spitzeldienste und Terrorakte gegen die revolutionäre Arbeiterschaft zu organisieren. Stinnes, Borsig, Siemens, Vogler und andere Monopolkapitalisten stifteten sofort 500 Millionen RM für einen Antibolschewistenfonds, der den Hetzorganisationen zur Verfügung stand. Seitdem wurden in zahlreichen Büchern, Broschüren, Zeitschriften und Zeitungen die gemeinsten Lügen über die Sowjetunion verbreitet. Um im deutschen Volk Haß gegen das Sowjetvolk und dessen Führer zu säen, behaupteten die Kriegstreiber, die Sowjetunion bedrohe Deutschland und die übrigen europäischen Länder und deren Kultur. Mit dieser Verdrehung der Tatsachen versuchten sie, ihre eigenen Angriffsabsichten zu verbergen.

An der Antisowjethetze beteiligten sich nicht nur die Zeitungen des Hugenberg-Konzerns, sondern auch die sozialdemokratischen Blätter. Den Kriegstreibern gelang es, einen großen Teil des deutschen Volkes zu beeinflussen und seine Meinung mit antibolschewistischen Hetzschriften zu vergiften."

Gerade dieses Geschichtslehrbuch ist für mich sehr wichtig. Auf 190 Seiten beschreibt es die Zeit von Rußland bis zum Oktober 1917 und schließt mit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Uns wurde im Geschichtsunterricht nur ein Bruchteil dessen, was ich hier gelesen habe, vermittelt.

Über die mir bis dahin unbekannten Verbrechen der Deutschen in der Sowjetunion erfuhr ich: "Ungeheuer groß waren die Zerstörungen in der Sowjetunion. Sie wurden nicht nur durch Kampfhandlungen hervorgerufen, sondern die Hitlertruppen vernichteten absichtlich Städte und Dörfer, wertvolle Kulturdenkmäler und Kultureinrichtungen der Sowjetunion. Folgende Zahlen zeigen das Ausmaß der Zerstörungen vom Kriegsbeginn bis zur Vertreibung der deutschen Truppen aus der Sowjetunion. Zerstört wurden: 1710 Städte, 4100 Bahnhöfe, 70.000 Dörfer, 65.000 km Gleisanlagen, 31.850 Industrieanlagen, 13.000 Eisenbahnbrücken, 40.000 Krankenhäuser, 15.800 Lokomotiven, 98.000 Kollektivwirtschaften, 42.800 Eisenbahnwagen, 2890 Maschinen- und Traktorenstationen, 9700 Dampfer, 84.000 Schulen und kulturelle Institute, 479 Hafenanlagen, 427 Museen und Sammlungen, 89 Schiffbauwerften, 2766 Kirchen, 7 Millionen Pferde, 17 Millionen Stück Rindvieh, 20 Millionen Schweine und 27 Millionen Schafe und Ziegen wurden geschlachtet und fortgetrieben. Die Zerstörungen und Plünderungen ergeben (nach damaligen Berechnungen, J. W.) einen Schaden von 679 Milliarden Rubel, das ist mehr als das Fünffache des sowjetischen Volkseinkommens vom Jahre 1940.

Am schmerzhaftesten aber ist für das Sowjetvolk der Verlust von 27 Millionen Menschen."

So eine Aufarbeitung der deutschen Verbrechen am sowjetischen Volk wäre in den Schulen der Alt-BRD unvorstellbar gewesen. Wenn doch einmal die Sprache darauf kam, wurde man schnell als "Nestbeschmutzer" oder ähnliches diffamiert. Ich bin sicher, daß ein großer Teil der Menschen in Westdeutschland diese Fakten bis heute nicht kennt (und nicht kennen will).

Johann Weber


Literatur-Tips

• Werner Dorst: Menschenerziehung in Westdeutschland.
Akademie-Verlag, Berlin/DDR 1961, 204 S.

• Das Demokratie-Verständnis in unseren Schulbüchern (M. Sperr: Lesebuch-Analysen / G. Bienko: Das Bildungsziel der Geschichtsbücher). Hrsg. vom Deutschen Freidenker-Verband, LV Bayern, München 1970, 64 S.

• Kampf der Verdummung!
Materialien einer Schulbuch-Konferenz der DKP.
Marxistische Blätter, Frankfurt/M. 1971, 112 S.

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Meine Erinnerungen an den 17. Juni

Im zehnten Buch der unabhängigen Autorengemeinschaft "Als Zeitzeugen erlebt" sind die Namen von 110 Frauen und 335 Männern genannt, die seit 2003 in den Büchern zu Wort gekommen sind. Mehr oder weniger eindeutig haben diese Menschen für die Deutsche Demokratische Republik Partei ergriffen und nachgewiesen, daß die DDR ein Friedens-, Sozial- und Kulturstaat und ein Staat der Solidarität war - Mitglied der UNO und diplomatisch von der Mehrheit der Staaten der Erde anerkannt.

Am Anfang der DDR-Zeitzeugen-Buchreihe stand 1999 das von Ursula Münch im GNN-Verlag herausgegebene Buch "Spurensicherung - Zeitzeugen zum 17. Juni 1953" mit dem Eisensee-Report "Funkstudio Stalinallee". In diesem Buch schildern 80 Zeitzeugen ihre Erlebnisse an diesem denkwürdigen Tag, an dem die Mehrheit der DDR-Bürger friedlich ihrer Arbeit nachging und eine Minderheit den Staat der Arbeiter und Bauern in Frage stellte.

Selbst Linke mit oder ohne Parteibuch verweisen noch heute auf Stefan Heym und Hans Bentzien, die sich ausführlich zum 17. Juni 1953 geäußert haben. Stefan Heym offenbarte seine politische Begrenztheit nach der Vereinnahmung der DDR mit seiner Behauptung, die DDR werde nur als Fußnote in die Geschichte eingehen. Und auch über Hans Bentziens Meinung kann man trefflich streiten.

Wir begrüßen sehr, daß der "RotFuchs" (Nr. 220, Extra III/IV) mit Prof. Dr. Horst Schneider (Dresden) ausführlich auf den ersten konterrevolutionären Versuch zur Liquidierung der DDR einging und unser Spurensicherungs-Buch als unverzichtbare konsequente Quelle benannt hat. Es spricht doch wohl viel dafür, daß 80 wachsame Menschen, die an mindestens 60 Orten die Juni-Ereignisse 1953 persönlich erlebt haben, eine treffendere Lageeinschätzung geben können als zwei Personen, die nur an einem Ort dabei waren.

Mitten in Deutschland, in Thüringen, gibt es nun ausgerechnet mit einem Ministerpräsidenten der Partei Die Linke jemanden, der Geschichtsklitterung betreibt, den kapitalistischen Zeitgeist bedient, die DDR als "Unrechtsstaat" verteufelt und obendrein den 17. Juni zum Feiertag erklärt. Die Kapitalisten werden das erfreut zur Kenntnis nehmen und CDU/SPD werden sich wundern, daß sie von "links" überholt werden. Die Wahrheit über die DDR wird deren Verleumder überleben.

Horst Jäkel, Potsdam

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Spanienkrieg und proletarischer Internationalismus

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich, hier auf der Gedenkveranstaltung zum 72. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns, an den 80. Jahrestag des Beginns des Spanischen Krieges 1936-1939 - landläufig unzutreffend Spanischer Bürgerkrieg genannt - zu erinnern. Man kann sehr wohl sagen, daß der 2. Weltkrieg auf europäischem Boden 1936 in Spanien begann.

Mein Name ist Reinhardt Silbermann. Ich ver trete die Initiative Antifaschistische Hafentage Hamburg "Wolf Hoffmann". Wolf Hoffmann war ein einfacher Seemann, er war Spanienkämpfer und wurde 1942 im KZ Groß Rosen von den Faschisten ermordet. Er ist Symbol für viele einfache Arbeiter, die im Kampf gegen Faschismus und für eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg ihr Leben ließen.

Der Spanische Krieg begann im Juli 1936 mit einem Militärputsch Francos, um die rechtmäßig gewählte Volksfrontregierung zu stürzen. Spanien war zu dem Zeitpunkt eines der rückständigsten Länder Europas, geknebelt von reaktionären Kräften der Aristokratie, Großgrundbesitzer, Kapitalisten, dem Staat und der katholischen Kirche. Es war gezeichnet u. a. von Analphabetentum und mittelalterlicher Armut. Spanische Arbeiter und Bauern gingen teils mit bloßen Händen gegen die revoltierenden Militärs vor und besiegten sie an vielen Orten. Außerhalb Spaniens entstand eine beispiellose Welle der Solidarität. Tausende Freiwillige aus über 50 Ländern, im wesentlichen Arbeiter und davon in ihrer Mehrzahl Kommunisten, gingen auf gefährlichen Wegen über die Pyrenäen und über den Seeweg nach Spanien, um mit der Waffe in der Hand den Faschismus zu bekämpfen. Denen, die gingen, war klar: geht der Kampf verloren, gibt es einen 2. Weltkrieg.

Die Volksfront, bestehend aus verschiedenen fortschrittlichen Strömungen, war die Hoffnung vieler Millionen auf eine menschenwürdige Existenz. In dieser Volksfront hatten die bürgerlichen Parteien die Mehrheit. Für den Großteil der Spanier stand der Sieg über die Faschisten an erster Stelle und nicht die linksradikalen Hinterlandexperimente, ausgedacht weit weg von der Front. Die Masse der Spanier erkannte sehr schnell, wer am effektivsten im Kampf gegen die Faschisten an vorderster Front stand - das waren die Kommunisten.

Erwähnt sei hier nur das berühmte 5. Regiment, beispielhaft im Kampf und in der Disziplin. Die Mitgliederzahl der Kommunistischen Partei Spaniens wuchs in wenigen Monaten um das Vielfache - und das nur, weil es Moskau oder die Moskauer Führung so wollte? Es waren sowjetische Panzer, die die Faschisten vor Madrid zurückschlugen und sowjetische Flugzeuge, die großen Anteil am Sieg bei Guadalajara hatten. Die Spanier sahen, wer ihre Freunde waren und unterstützten die Forderung der Kommunisten, die Faschisten zu besiegen und die Republik zur retten.

Eng ist der Spanische Krieg mit den Namen unserer Transport- und Hafenarbeiter Ernst Thälmann und Etkar André verbunden. Bereits 1936 trugen Bataillone den Namen Ernst Thälmann, Etkar André und 1937 auch den Namen Hans Beimlers. Das erste Bataillon der Internationalen Brigaden, das Bataillon "Etkar André" verhinderte mit den Bruderbataillonen "Commune de Paris" und "Dombrowski" und mit den Kolonnen Duruttis den Einfall der Faschisten nach Madrid. Hitler und Mussolini unterstützten sofort die Putschisten mit Soldaten und modernsten Waffen.

Und wer half der Spanischen Republik? Die Antwort der westlichen Demokratien während des gesamten Krieges war Nichteinmischung. Anfänglich vertraute die Sowjetunion dieser Vereinbarung. Jedoch erkannte sie sehr schnell die Verlogenheit dieser sogenannten Nichteinmischung. Man sah, daß die westlichen Demokratien mit den Faschisten sympathisierten und in der Volksfront die rote Gefahr sahen. Unter dem Druck der konservativen Regierung Englands und französischer konservativer Kreise annullierte Frankreich bereits abgeschlossene Waffenlieferungsverträge und sperrte die Lieferung bereits bezahlter Waffen und Flugzeuge an die Spanische Republik. Und nicht nur das, man machte auch Geschäfte mit den Faschisten.

Die USA, die nicht dem Nichteinmischungskommitee angehörten, setzten der Verlogenheit der "Nichteinmischung" noch die Krone auf. US-Konzerne schickten verdeckte Lieferungen von Kriegsmaterial an Franco: Bomben, Treibstoff und Fahrzeuge! US-Firmen lieferten den Francofaschisten mehr LKWs als Nazideutschland und Italien zusammen! Nur die Sowjetunion und - mehr moralisch - Mexiko unterstützten die Republik mit Versorgungsgütern und Waffen. Es war aufgrund der Seeblockade sehr schwierig, die Republik zu versorgen - einer Seeblockade, die übrigens England und Frankreich gemeinsam mit Nazideutschland und Italien durchführten. Die französische Republik ließ während der gesamten Kriegsdauer fast keine sowjetischen Waffen über die Grenze nach Spanien. So standen u. a. Anfang 1939 Hunderte sowjetischer Flugzeuge an der französischen Grenze, ohne diese passieren zu können!

Nachfolgende Behauptungen werden bis heute in linken Kreisen verbreitet und sind leider in diesem Jubiläumsjahr eingepackt in primitivsten Antikommunismus und Antisowjetismus. Es wird z. B. schlichtweg behauptet, die Sowjetunion habe die Aushändigung des spanischen Goldschatzes zur Bedingung von Hilfs- und Waffenlieferungen gemacht. Das ist falsch! Gerne wird auch unterstellt, daß hauptsächlich nur alte Waffen geliefert wurden. Auch das ist falsch! Der Anteil an älteren Gewehren war nur unbedeutend. Eine weitere Behauptung ist, die Sowjetunion habe die Waffenlieferungen 1938 eingestellt. Auch das ist gelogen!

Ein weiteres Beispiel: Ich zitiere einen von einer großen linken Stiftung geförderten "Historiker": "Kommunisten drängten die Revolution durch Entführungen, Folter und Morde zurück."

Diese Aussage ist eine gezielte Verleumdung! Die tragischen Mai-Ereignisse 1937 in Barcelona mit Hunderten von Toten werden somit in der logischen Konsequenz den Kommunisten angelastet. Angefacht wurden diese Kämpfe aber nachweislich von Hinterlandrevoluzzern und Linksradikalen in Katalonien.

In verachtenswerter Weise hetzten diese Elemente Arbeiter gegen Arbeiter. Wer aber Arbeiter auf Arbeiter hetzt, ist ein Feind der Arbeiterklasse und verliert jede Legitimation, in ihrem Namen sprechen zu dürfen.

Diese heutigen Antikommunisten werden nie begreifen, daß proletarischer Internationalismus die tragende Säule der sozialistischen Sowjetunion war. Woher sollen sie es auch wissen, denn ihre Sichtweise entspricht ihrer Klassenlage, nämlich der von kleinbürgerlichen Krämerseelen. Sie haben Meinungen, aber keinen Klassenstandpunkt.

Wir haben nach der Konterrevolution diesen notorischen Lügnern und Antikommunisten im Gewand des Antisowjetismus allzuleicht das Feld überlassen.

Setzen wir ihnen unseren festen Klassenstandpunkt entgegen und entlarven wir ihre Lügen! Würdigen wir den selbstlosen Kampf unserer Interbrigadisten im Geiste Ernst Thälmanns!

Ich grüße euch aus der Stadt Ernst Thälmanns mit dem Ruf der Massen aus dem Spanischen Krieg:

Viva Rusia! Viva Brigadas Internacionales!
Viva la Republica! No Pasaran!
Rot Front!

Reinhardt Silbermann, Hamburg

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Der Dichter Peter Weiss über persönliche und gesellschaftliche Kämpfe
"... auf der Suche nach einem eigenen Leben"

Anläßlich der 100. Wiederkehr von Peter Weiss' Geburtstag am 8. November gilt dem deutsch-schwedischen Dichter, Maler und Filmemacher vielfältige Würdigung und Aufmerksamkeit. Zu Recht, denn der gebürtige Potsdamer, der 1982 in Stockholm verstarb, war einer der wort- und bildmächtigsten Zeugen des 20. Jahrhunderts. Besonders mit seinem Hauptwerk "Die Ästhetik des Widerstands" wurde er als Chronist der antifaschistischen Arbeiterbewegung und des Heldentums der Gruppe "Rote Kapelle" bekannt - zuerst im Osten wie im Westen des deutschsprachigen Raumes, dann europa- und weltweit. Doch vor diesem krönenden Erfolg gegen Ende seines Lebens stand das schmerzhafte Ringen um den künstlerischen Ausdruck. Es war bei Peter Weiss stets mit gesellschaftlichen und weltanschaulichen Fragen verknüpft. In seiner 1961 veröffentlichten Erzählung "Abschied von den Eltern" gewährt er tiefe Einblicke in die Ursprünge seines Daseins, Leidens und Schaffens. Zwischen Autor und Leser entwickelt sich eine einzigartige, betroffen machende Nähe.

"Die Ästhetik des Widerstands" entstand über zehn intensive, konfliktreiche Schaffensjahre und bildet das reife Spätwerk des Peter Weiss (besprochen im "RotFuchs" 181, S. 25). Wer es gelesen hat, erinnert sich an die besonders anrührend gezeichneten Gestalten des Vaters und der Mutter, eines Berliner Arbeiterpaares: Sie sind dem Ich-Erzähler Begleiter und Helfer, in ihrer kargen Küche streiten sie mit dem Sohn und seinen Genossen auf Augenhöhe über große Richtungs- und Strategiefragen. Zusammen bewältigen sie den Erwerb von Lebensunterhalt wie von Wissen, und gemeinsam stehen sie füreinander ein in Not und Verfolgung. Eine solche Herkunftsfamilie macht stark. Doch Peter Weiss hatte das nie selbst erfahren. Ihm hatten seine Eltern ein Leben als Prokurist oder Verkäufer im väterlichen Textilbetrieb zugedacht - nachdrücklich und mächtig von früher Kindheit an bis ins Erwachsenenalter hinein. Der Heranwachsende quälte sich mit dieser Bürde, denn er spürte kreative Kräfte nach außen drängen, wollte malen, musizieren, schreiben. Er widersetzt sich und fügt sich wieder, reißt sich schließlich los, scheitert, steht wieder auf. Mühsam, doch konsequent betritt er schließlich die Laufbahn eines kritisch-widerständigen Künstlers. Die Eltern wie auch er selbst konnten während der Naziherrschaft auf getrennten Fluchtwegen der Todesgefahr entkommen und begannen ihr jeweiliges Werk neu in der Fremde.

Als Mutter und Vater 1958 bzw. 1959 starben, fühlte sich Peter Weiss, inzwischen ein anerkannter Autor, vom Schmerz eingeholt. Er schreibt über die endgültig mißlungene Beziehung zu den zwei nahestehenden Menschen: "Ich habe oft versucht, mich mit der Gestalt meiner Mutter und der Gestalt meines Vaters auseinanderzusetzen, peilend zwischen Aufruhr und Unterwerfung. Nie habe ich das Wesen dieser beiden Portalfiguren meines Lebens deuten und fassen können. Bei ihrem fast gleichzeitigen Tod sah ich, wie entfremdet ich ihnen war." So beginnt die autobiographische Erzählung, in deren Verlauf sich der oder die Lesende mitgenommen fühlt auf die Reise durch intimste Gedanken, Beweggründe und geheime Empfindungen. Von der ersten Seite an fasziniert das Buch mit seiner unerbittlichen Offenheit. Wer je den Tod eines Elternteils beklagt hat, fühlt sich sofort verstanden: "Ich erinnerte mich an meinen Vater, so wie ich ihn zuletzt gesehen hatte (...) auf dem Sofa im Wohnzimmer liegend, nach der Beerdigung meiner Mutter, sein Gesicht grau (...), von Tränen verwischt, sein Mund den Namen der Verstorbenen stammelnd und flüsternd." Zutiefst Menschliches spricht aus der Trauer des Sohnes. Und doch entwickelt sich am weitgehend chronologischen Strang der Erzählung Stück für Stück, daß die Beziehung zum Vater wie zur Mutter von autoritärer Anmaßung geprägt gewesen war.

Weiss läßt Szenen aus der Kleinkinder- und der Schulzeit aufscheinen, durchleuchtet Begebenheiten und Begegnungen auch der späteren Lebensphasen. Er legt bloß, wie seelische Gewalt funktioniert und wirkt. "Ich fühlte die Sprengkraft, die in mir lag, und ich wußte, daß ich mein Leben dem Ausdruck dieser Sprengkraft widmen mußte, zu Hause aber sah man meine Versuche als Verwirrungen an." Peter Weiss verläßt das väterliche Kontor, studiert an der Kunstakademie und wird zunächst Maler. Doch Versagens- und Bindungsangst, Krankheitsschübe, Depressionen bis hin zu Todessehnsucht und materielle Existenzunsicherheit stürzten ihn immer wieder in Krisen und lähmten seine schöpferischen Kräfte. Einzigartig an der Erzählung "Abschied von den Eltern" ist das Aufdecken von sozialen Mißständen, die aus ungleichen, ungerechtfertigten Macht- und Besitzverhältnissen entstehen. Sie setzen sich bis in die Nahbeziehungen der Gesellschaftsmitglieder fort und bringen gesetzmäßig Entfremdung hervor. Qualen wie die bei versagender Liebesbindung und verweigerter Selbstverwirklichung haben ihre Ursachen in der durchherrschten Familie, jener kleinsten und engsten sozialen Einheit innerhalb des kapitalistischen Unterdrückungssystems. Auch Peter Weiss, Abkömmling der Produktionsmittel besitzenden Klasse, unterliegt dieser strukturellen Gewalt. Mit der Zergliederung, die der Dichter an der eigenen Seele vornahm, analysiert er zugleich die krank machenden sozialen Verhältnisse. Als Literat stimmt er damit einer marxistisch inspirierten philosophischen Strömung zu. Im Zuge der 68er Aufbruchsbewegung in Westeuropa gewann sie wenige Jahre nach Erscheinen von Weiss' Erzählung großen Einfluß. Linksbürgerliche humanistische Philosophen wie Erich Fromm und Herbert Marcuse knüpften an die Psychoanalyse Sigmund Freuds an. Vor Freud, Fromm, Marcuse und anderen hatte Friedrich Engels bereits 1884 in seiner Schrift "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" den großen Zusammenhang sozialwissenschaftlich erhellt. Neurosen sind erfolgreich zu behandeln. Und auch soziale Fehlentwicklungen lassen sich heilen. Selbstverwirklichung ist möglich. Das Mittel gegen kapitalistische Entfremdung heißt Aufhebung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse.

Marianne Walz



Peter-Weiss-Lesung in der Volkskammer

Die "Ermittlung" (eine dokumentarisch-literarische Auswertung des Frankfurter Auschwitz-Prozesses), in der der millionenfache Mord im Konzentrationslager zur Verhandlung stand, wurde zunächst von der Westberliner Freien Volksbühne herausgebracht. Der große Theatermann Erwin Piscator erkannte die Bedeutung des Stückes und lud viele Theater ein, sich an der Uraufführung zu beteiligen. So kam es zu einer einzigartigen Ring-Uraufführung, an der sich zusätzlich zehn Bühnen der DDR, drei der BRD und das Londoner Aldwych Theatre beteiligten.

Peter Weiss ging es in der "Ermittlung" nicht nur um die Darstellung der faschistischen Verbrechen, sondern er zeigte die Verflechtung des Faschismus mit Konzernen wie IG-Farben auf und beleuchtete schlaglichtartig, wie wenig der Faschismus in den zwei seit der Befreiung vergangenen Jahrzehnten in der BRD tatsächlich bewältigt worden war.

An der (als Filmdokument erhaltenen) szenischen Lesung des "Oratoriums in 11 Gesängen" am 19.10.1965 in der Volkskammer der DDR nahmen unter der Regie von Lothar Bellag und Ingrid Fausak u. a. teil: Alexander Abusch, Bruno Apitz, Helmut Baierl, Ernst Busch, Norbert Christian, Fritz Cremer, Horst Drinda, Peter Edel, Eberhard Esche, Erwin Geschonneck, Wolfgang Heinz, Bert Heller, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Albert Hetterle, Wolf Kaiser, Werner Klemke, Alfred Müller, Ekkehard Schall, Hilmar Thate, Helene Weigel, Klaus Wittkugel, Paul Dessau, Erich Engel, Manfred Wekwerth, Konrad Wolf. me.

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Freibier oder Vaterland

Als wir aufs Land zogen, Lissi und ich, haben mir wohlmeinende Freunde geraten, mich in die dörfliche Kommunalpolitik zu mischen, denn ich hätte das Zeug und folglich die Verpflichtung hierzu. Je nun, das Zeug - wenn's nur darum geht, so hätte ich auch Meßdiener, Diakon oder Triakon werden können. Aber ich ließ mich überreden und trat gelegentlich der Kommunalwahlen im Jahr '89 bei der Veranstaltung einer großen christlichen Volkspartei in Aktion. Die Veranstaltung war an einem Sonntagnachmittag im Gasthof "Zur Post", dem einzigen Haus am Platz, und natürlich hatte ich zuvor recherchiert und die Arbeitsbedingungen der Heimarbeiter vor Ort erkundet, wobei der "Rote Mätti" mein Informant gewesen ist. Der "Rote Mätti" ist Waldarbeiter, liest archäologische Bücher, hat die Mosaikböden der römischen Villa Tibor freigelegt und ist der einzige Wähler im Dorf, der sich offen zur SPD bekennt. Kandidat der großen christlichen Volkspartei war der Grundschullehrer Dollmann (über Namen scherzt man nicht!), der die neu angesiedelte Kleinindustrie pries und insonderheit den Mausefallenfabrikanten Spelthahn (von Spelthahn GmbH & Co. KG) als einen Wohltäter des Orts bezeichnete. Dieser Mann, so sagte er, lasse sich auch unternehmerisch von seinem christlichen Gewissen leiten und verteile die vorhandene Arbeit so gerecht, daß keiner seiner Heimarbeiter mehr als der andere, nämlich nicht mehr als monatlich 450 Mark, verdiene. Ich erklärte dem Kandidaten der großen christlichen Volkspartei, Herr Spelthahn habe aus Landesmitteln für die Schaffung eines jeden der neuen Arbeitsplätze 15.000 DM erhalten, was bei 100 Stellen exakt der Summe von 1,5 Millionen DM entspreche, die seine Villa am Ortsrand von Gelsberg gekostet habe. Der Monatslohn der Arbeiter sei so gering, weil Spelthahn dadurch die Sozialabgaben spare, und wie im übrigen denn er, der Lehrer, darüber denke, daß seine Schulkinder, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen, den heimarbeitenden Müttern des Nachmittags beim Einpacken der Mausefallen helfen müßten, nur damit die pro Stück Entlohnten auf einen halbwegs annehmbaren Stundenlohn kämen.

Und ich zitierte aus einem Artikel mit der Überschrift "Kinderarbeit im Hunsrück", den Georg Weerth im Jahre 1847 in der "Neuen Rheinischen Zeitung" veröffentlichte und der mir von bemerkenswerter Aktualität erschien.

Hierauf erhob sich Unmut im Saal, denn Spelthahn gibt beim Sängerfest Freibier aus (und da dürfen die Kinder - so assoziierte ich - auch schon mal ein Schlückchen mittrinken, wenn die Eltern dabei sind, und gute Zeugnisse sind nicht so wichtig, weil ja sowieso alle zu Spelthahn geh'n, der zwar keine Lehrlinge ausbildet, aber noch ungelernte Kräfte als Lageristen einstellt). Und da ich die Anwesenden murren hörte, begriff ich sehr schnell: die Heimarbeiterlöhne hätten sogar noch niedriger sein können, als sie ohnehin waren, und sollte Spelthahn eines Tages auf die Idee kommen, sie zu senken - wer wollte es ihm verargen? Und darum lautet das Motto der katholischen "Arbeitnehmer"-Bewegung zu Recht: "Wir sind Beschenkte und dürfen danken!"

Spelthahn, der zugleich Jagdpächter ist, überläßt übrigens dem Wirtschaftsminister des Landes alljährlich im Herbst einen kapitalen Hirsch zum Abschuß. Der läßt dann dafür die Sau raus, und da gibt's dann auch wieder Freibier, diesmal für die Treiber, Halali! (Und Spelthahns Villa, hinter vergoldetem Gitter, wird geziert von ionischen Säulen - der Architekt muß aus Dallas stammen!)

Dies war das Ende meiner Laufbahn als Kommunalpolitiker. Nun ist mein Ehrgeiz gekühlt, und wenn ich mich irgendwo ungebeten zu Wort melde, muß es um Tod und Leben gehen, darunter tu ich's nicht mehr. Und anders als Sokrates setze ich meine Hoffnung nicht auf Einsicht und guten Willen, sondern allein auf den Leidensdruck. Indes, nach Tschernobyl scheint auch das mir inzwischen vermessen, denn wer irgendein hirnrissiges Warum hat - das kann Vaterland oder Freibier heißen -, erträgt fast jedes Wie.

Theodor Weißenborn

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Megalophobie - Angst vor Großem ...

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Naziverbrecher wurden in der DDR konsequent verfolgt

Dieter Skiba und Reiner Stenzel - beide über Jahrzehnte in den Hauptabteilungen IX/11 bzw. IX/10 des Ministeriums für Staatssicherheit tätig gewesen - haben ein neues Buch vorgelegt. Unter dem Titel "Im Namen des Volkes" werden die in der DDR geführten Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Nazi- und Kriegsverbrecher vorgestellt. Das Buch belegt auf eindrucksvolle Weise, daß die DDR ein zutiefst antifaschistischer Staat war, maßgeblich aufgebaut von jenen, welche die Greuel des Faschismus erlebten und sich schworen, alles dafür zu tun, daß sich ein solches Kapitel deutscher Geschichte nie wiederholt. Die Sühne von Nazigewaltverbrechen war deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der hierfür zuständigen Bereiche des MfS. Dabei leisteten beide Abteilungen eine sehr aufwendige und gründliche Arbeit, die dazu beitrug, daß die erhobenen Anklagen auch einer gerichtlichen Überprüfung standhielten, was in der Regel der Fall war.

Die Arbeit beeindruckt vor allem wegen ihrer gründlichen Recherche und Übersichtlichkeit. Sie zeigt, auf welcher Rechtsgrundlage die Entscheidungen in der DDR ergangen sind und welche Aufgabe dem Ministerium für Staatssicherheit bei der Suche und Verfolgung von Nazi-Verbrechern zukam. Anhand von ausgewählten Verfahren werden verschiedene Verbrechenskomplexe und Tätergruppen dargestellt. Hierzu zählen unter anderem Ermittlungsverfahren gegen Täter in faschistischen Haftstätten, gegen Angehörige der Waffen-SS, der Gestapo, des SD und der Geheimen Feldpolizei sowie gegen Hilfskräfte und Kollaborateure. Auch auf Verfahren gegen Angehörige faschistischer Justizorgane und der Wehrmacht sowie Ermittlungsverfahren wegen "Euthanasie"-Verbrechen gehen die Autoren ein. Dadurch wird deutlich, daß die geführten Ermittlungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen vorgenommen wurden, wo nazistische Greueltaten verübt worden sind.

Auf die "Waldheim-Prozesse" gehen die Autoren umfänglich ein. 91 von insgesamt 3324 Urteilen wurden ausgewählt, die Tötungshandlungen an Menschen zum Gegenstand hatten. Hieran schließt sich eine Gesamtübersicht an, die Tötungsverbrechen während der Zeit des Faschismus beinhalten und deren Täter rechtskräftig abgeurteilt worden sind. Den Autoren half es, daß sie für ihre Recherchen die von Amsterdamer Forschern herausgebrachte vierzehnbändige Dokumentation unter Leitung von Christian Frederik Rüter und Dick de Mildt nutzen durften. Insgesamt 839 Fälle konnten sie so in komprimierter Form zusammentragen. Soweit aufklärbar war, ob es diesbezüglich nach 1990 Rehabilitierungsanträge gegeben hat und wie über diese entschieden worden ist, haben dies die Autoren kenntlich gemacht.

Die Zusammenstellung belegt auch, daß die Strafverfolgung auf ostdeutschem Gebiet bereits vor der Gründung der DDR eingesetzt hat und danach konsequent fortgeführt wurde. Keineswegs endeten alle Verfahren mit einer Verurteilung. Es finden sich auch eine Reihe von Freisprüchen, was insbesondere die These widerlegt, eine Strafe hätte bereits vorher festgestanden. Ab 1965 erschien in der DDR das legendäre "Braunbuch" (Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin) in drei Auflagen.

Auch wenn man dessen Inhalt in der Bundesrepublik nicht wahrhaben wollte - das Buch wurde damals auf der Frankfurter Buchmesse beschlagnahmt - hat die Geschichte dessen Wahrheitsgehalt bestätigt. In nur sehr wenigen Fällen waren die Angaben nicht richtig. Auch das spricht für eine gründliche Ermittlungsarbeit. Das Buch von Skiba und Stenzel setzt dies fort. Es ist ihm sehr zu wünschen, daß es eine weite Verbreitung findet, vor allem auch in jenen Kreisen, die bisher mit Vorurteilen zur Verfolgung von nazistischen Verbrechen durch die DDR nicht sparsam umgingen. Es ist inzwischen längst unbestrittene Tatsache, daß die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik bei der Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte kläglich versagt haben und die jetzt in jüngster Zeit eingeleiteten Verfahren gegen über 90jährige Beschuldigte nicht davon ablenken können, was über Jahrzehnte versäumt, verschleppt und vereitelt wurde.

RA Ralph Dobrawa, Gotha


Dieter Skiba/Reiner Stenzel: Im Namen des Volkes. Ermittlungs- und Gerichtsverfahren in der DDR gegen Nazi- und Kriegsverbrecher. Edition Ost, Berlin 2016. 464 S., 29,99 €

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Viel Lärm um nichts
Erinnerungen zwischen Skandal und Flop

Als 1898 Bismarcks "Gedanken und Erinnerungen" herausgegeben wurden, war es erklärtes Ziel des Autors, bei "den Söhnen und Enkeln zum Verständnis der Vergangenheit und zur Lehre für die Zukunft" beizutragen. Seine Betrachtungen zu den deutsch-russischen Beziehungen könnten sehr lehrreich für Angela Merkel sein.

Spätere Kanzler schrieben über Erinnerungen, die dazu dienten, ihre Politik vor der Nachwelt zu rechtfertigen: Konrad Adenauer die "Westbindung" der BRD und seinen Antikommunismus, Willy Brandt seine Entspannungspolitik und sein Eintreten für die friedliche Koexistenz, Franz Josef Strauß warb für das Verstehen der Ost-West-Beziehungen. Bei den Veröffentlichungen zweier noch lebender Politiker - Helmut Kohl und Kurt Biedenkopf - geht es weniger um Inhalte, sondern mehr um Geld, Skandale, Eitelkeiten, Bestechlichkeit. Beide waren führende Köpfe der CDU, Komplizen und Kontrahenten, manchmal Konkurrenten.

Helmut Kohl diktierte im Keller seines Oggersheimer Bungalows dem bestellten Ghostwriter Heribert Schwan 200 Stunden lang seine Erinnerungen auf Tonband. Der Ex-Kanzler übte hemmungslos mit hemdsärmlichen Zitaten Rache an jenen, die ihm irgendwann in die Quere gekommen waren, an Weizsäcker und Merkel, an Wulff und Thierse, an Biedenkopf und den Leipziger "Helden". Das Buch fand 200.000 Käufer und wurde ein Bestseller.

Nun ist es Gegenstand eines Prozesses, der in Köln stattfindet. Kohl fordert fünf Millionen Euro Schadensersatz, weil der Autor eine Geheimhaltungsklausel verletzt habe. Es ergibt sich eine Groteske: Kohl diktierte auf Tonband, was die Öffentlichkeit erfahren sollte. Fälschungen hat Schwan nicht begangen. Was soll ein Gericht nun tun? Oder soll mit dem Prozeß-Spektakel nur die Auflage gesteigert werden?

Die Eitelkeit und Selbstverliebtheit ließ auch Kurt Biedenkopf nicht ruhen, der in seiner Amtszeit Tagebuch geführt hatte. Während Kohl einen persönlichen Assistenten engagierte, ließ der Königs-Ersatz in Sachsen Mitarbeiter der Adenauer-Stiftung die Arbeit machen. Auch hier geht es um Geld, Amtsmißbrauch und Vetternwirtschaft. Der Landtagsabgeordnete der Linkspartei, André Schollbach, hat Licht in den Skandal gebracht.

Die Fakten: Die Tagebücher wurden mit über 300.000 Euro aus der Staatskasse finanziert. Der Autor bedankte sich im Vorwort dafür, daß Ministerpräsident Tillich das Projekt unterstützt hat. Der bestreitet jedoch seine Mitwirkung. Die "Sächsische Zeitung" teilte inzwischen mit, Biedenkopfs Texte seien Sache des Freistaates und damit Tillichs gewesen. Nun wird ein Gericht entscheiden müssen, welcher der beiden sächsischen Ministerpräsidenten die Unwahrheit sagte.

Biedenkopfs Tagebücher erwiesen sich inzwischen als Flop, obwohl auf Kosten der Steuerzahler Buchvorstellungen auf Partys in Berlin und Prag organisiert wurden. Die Party in Berlin kostete 6089,05 Euro. Es wurden fünf Exemplare verkauft. Viel Lärm um nichts!

Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden

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Stimmen aus aller Welt über die DDR (Folge 5)

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandpresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen werden wir in den nächsten Monaten einige dieser Äußerungen veröffentlichen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt - und für uns - war.


Arvid Rundberg (1932-2010)
Schriftsteller, Schweden

Ein Stück lebendige Geschichte ist mir zu einem guten Freund geworden. Er ist 71 Jahre alt und wohnt seit 1972 in Berlin, in dem Teil, der heute die Hauptstadt der DDR ist. 1978 habe ich mein 16. Buch veröffentlicht; es baut auf dem auf, was mir mein Freund über sein Leben erzählt hat. Er heißt Fritz Bradtke und wurde 1928 Zimmermann. Im gleichen Jahr trat er dem Rotfrontkämpferbund bei. Im Jahr darauf der Kommunistischen Partei Deutschlands. Das Buch heißt "Memoiren eines deutschen Arbeiters" (En tysk arbetares memoarer) - und genau das ist es auch. Einer von Hunderttausenden deutschen antifaschistischen Arbeiterveteranen schildert die Entwicklung, die dahin führte, daß deutsche Arbeiter den 30. Jahrestag der Entstehung der DDR feiern können. Unser Buch ist keine wissenschaftliche Arbeit, aber es baut auf der stillen Wissenschaft der arbeitenden Hände auf.

Einen besseren Ausgangspunkt für die Schilderung der Geschichte des eigenen Landes und des persönlichen Anteils an dieser Geschichte kann man sich kaum vorstellen.

Fritz lebt heute als Rentner in einer Gesellschaft, für die er in handgreiflichem Klassenkampf schon 20 Jahre vor Gründung der DDR gerungen hat. Er wurde von der SA mißhandelt, von der SS und der Gestapo gequält. Er hat jahrzehntelang gehungert.

Seine Schwester verhungerte 1917, seine eigene Tochter 1945, sein Bruder wurde von den Faschisten ermordet, und seine Ehefrau Erna wäre von der SS im Mai 1945 an einem Laternenpfahl gehenkt worden, wäre nicht im rechten Augenblick ein sowjetischer Panzervortrupp in ihre Straße im Prenzlauer Berg vorgestoßen.

Im März 1914 wurde Fritz Bradtke in die Volksschule des Kaiserreiches eingeschult. Als im November 1918 die Republik ausgerufen wurde, war er eben 11 Jahre alt geworden. Im Januar 1919 ging er mit denen, die Karl Liebknecht zu Grabe trugen, fiel aber dabei vor Hunger in Ohnmacht. Im Januar 1933 ging er mit Hunderttausenden anderen Berlinern in einer letzten gewaltigen antifaschistischen Demonstration. Das war eine Woche vor der Machtübernahme der Faschisten, und Fritz hungerte wieder.

Fritz Bradtke war als junger Zimmermann und Amateurboxer politisch bewußt engagiert. Er zimmerte tagsüber die Zukunft und verteidigte als Rotfrontkämpfer abends auf politischen Versammlungen das Recht auf eine Zukunft.

Er hat Hitler und Goebbels gesehen und gehört, er hat Thälmann, Pieck und Ulbricht auf Versammlungen im Sportpalast und in sogenannten Saalschlachten im Wedding verteidigt; vor seinen Augen hat er Weltgeschichte sich abspielen sehen, aber er hatte nie viel übrig für das Spektakuläre, und er überläßt es anderen, den Flügelschlag der Geschichte zu schildern.

Die Wissenschaft der arbeitenden Hände. Das ist das Fundament, auf dem die DDR ruht. Der Sozialismus ist es, der diese Wissenschaft ständig artikuliert, der nicht abläßt, sie aus der Stille hervorzuholen. Ein Stück lebendige Geschichte ist mir zu einem guten Freund geworden, das hat mich zu einem Freund der DDR gemacht.

Die Bekanntschaft mit Fritz hat Tausende Schweden auf gleiche Weise zu Freunden der DDR gemacht. Das ist das Wunderbare mit Büchern: Man kann Verständnis und damit Freundschaft vermitteln. Fritz' Erzählung über sein Leben ist zugleich die Erzählung über unser aller Leben, über Geschichte, die heute auch unser Leben formt.

Die stille Wissenschaft der arbeitenden Hände. Diese Hände sind ohne Zweifel die größten Schätze aller Länder. Die Stille wird artikuliert und in Handlung umgesetzt, wenn der Sozialismus den Kapitalismus ablöst. Die Schätze können gehoben werden.

Für uns, die wir im kapitalistischen Europa leben, für uns, die wir uns für den Frieden einsetzen, ist die Wissenschaft der arbeitenden Hände lebensnotwendig. Deshalb ist die Deutsche Demokratische Republik eine Lebensnotwendigkeit für Europa, ein schwerwiegender Friedensfaktor, den auf jede Weise zu verteidigen und bekannt zu machen wir im Westen allen Anlaß haben.


General Francisco da Costa Gomes (1914-2001)
Mitglied des Präsidiums des Weltfriedensrates, ehemaliger Präsident der Republik Portugal

Die Bevölkerung der DDR hat in den vergangenen 30 Jahren unvorstellbare Anstrengungen unternommen, um die schweren Folgen von Krieg und Faschismus zu überwinden und den Lebensstandard zu erreichen, wie ihn heute die Menschen in Ihrem Land besitzen. Ich habe hier in der DDR wichtige Probleme gelöst vorgefunden oder solche, die sich in bezug auf die Gleichheit, den Wohlstand und das Glück des gesamten Volkes auf dem Wege der Lösung befinden.

Das Volksbildungssystem scheint mir insgesamt umfassend und sehr harmonisch entwickelt zu sein. Lehrer, Erzieher, Familien und Betriebe arbeiten eng zusammen. Ob Kinderkrippe, Kindergarten, die zehnjährige Pflichtschule, berufliche Ausbildung oder die Universität - alle Einrichtungen stehen jedem in gleicher Weise offen. Dieses demokratische Bildungssystem, das niemanden diskriminiert, ist sehr effektiv und gibt allen Jugendlichen die gleichen Chancen, im Leben zu werden, wozu sie befähigt sind. Das ist in meinen Augen eine der positivsten Errungenschaften des Volkes der DDR. Ich habe schon in verschiedenen Ländern die Organisation der Bildung studiert und festgestellt, daß es allerorten gebildete Leute gibt - aber nirgendwo habe ich etwas Vergleichbares entdecken können.

Es ist ein sehr großer Vorteil für die Menschen, wenn sie keine Angst um ihren Arbeitsplatz zu haben brauchen. Und in der DDR ist eines der wichtigsten Grundrechte, das Recht auf Arbeit, dank der Planung für alle Bürger voll verwirklicht. Arbeitslosigkeit, wie man sie in den Ländern des Kapitals beobachten kann, ist eine schwere Bürde für die Betroffenen. So gesehen ist es eine überaus menschliche Tat der DDR, keine Arbeitslosigkeit zuzulassen.

In der internationalen Politik spielt die DDR eine wesentliche Rolle. Ihre Position ist stark geprägt von der geographischen Lage, und das macht sie zu einem äußerst wichtigen Faktor insbesondere für den Frieden in Europa. Allein die Existenz eines sozialistischen deutschen Staates vermindert die Kriegsgefahr. Gäbe es ihn nicht, wer weiß, ob sich Europa dieser langen Friedensperiode erfreuen könnte.

Die DDR hat in ihrer Verfassung jegliche Propaganda von Krieg und Aggression und alles, was dahin führen könnte, vollständig verboten. Das ist zugleich ihre grundlegende Position in internationalen Fragen. So wissen heute viele Länder der Welt, daß die DDR zu jenen gehört, die immer das Streben der Völker nach Frieden unterstützen werden. Mir scheint, daß solche Länder, wie es die DDR als Mitglied des Warschauer Vertrages und Portugal als Mitglied der NATO sind, sich dafür einsetzen sollten, daß das aufgehäufte Militärpotential in Europa verringert wird und es letztlich zu einer Auflösung der Militärblöcke kommt. Das wäre der radikalste, aber auch sicherste Schritt zum Frieden.

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Wir Mittelmäßigen sabbeln den ganzen Tag und haben eigentlich nichts zu sagen. Dabei sind wir umgeben von Gelegenheiten, uns aufzumachen. Eine weithin sichtbare sind zum Beispiel Wahlen, wie man eben in Berlin sehen konnte. Sind diese Zusammenrückenden, tapfer an der Brille Fummelnden, Zuversicht aus sich Pressenden dieselben Leute, die ihren Anteil haben an allem, was dem Bürger bei seiner Entscheidung die Hand geführt haben muß? Überforderte Persönlichkeiten, die den Mißstand "Kein Personal" duldeten? Bei der Auswahl von "Herzlich willkommen" oder "Ab nach Hause" herzlos Einzelfälle zuließen, die sogar ein paar Zeitungen empörten. Aber "Nicht gestempelt" war eben nicht gestempelt.

Sind das von uns mittelmäßigen Bürgern Auserwählte? Solche, die tote Amtsstunden zuließen? Welche, die gegen das ganze normale Alltagsleben von ganz normalen Familien anstießen?

Da stehen sie, die uns eben noch von teuren Wahlplakaten ein schöneres Leben verkündeten. Ja, sie haben wahrscheinlich und möglicherweise irgendwie einen Fehler gemacht oder waren an einem solchen beteiligt, haben ihn schweren Herzens zugelassen. Einen. Nicht etwa zwei oder zweihundert. Sie haben zugegeben, wo sie hätten verhindern sollen, was sie aber nicht konnten. Die anderen waren ungeeignet, waren schuld, daß unsere Großstadt, inzwischen so was wie Weltmetropole, den Reichen so reich, normalen Bewohnern zunehmend problematisch wird. Da sind wunderbare mittelmäßige Leute drin, Mieter, aber andere stehen auf der Straße und möchten auch wohnen, was aber immer schwieriger wird, weil das Segment Wohnung sich als profitable Ware entwickeln durfte. Die Wohnungsnot beruht auf falschen Entscheidungen von Verantwortlichen, die sich in ihrer vielleicht verständlichen Mittelmäßigkeit erpressen ließen.

Sieh hin: Der eine nimmt den Hut und kann nun keinen seiner Erlasse von vorher zurücknehmen. Wie er geht, tut er, als habe er einen reich gedeckten Tisch wegen unzulänglicher Gastgeber verlassen; der andere wartet noch auf einen Tritt in den Hintern, und die da blinzelt durch ihre Brille, ob sie unterm Regen durchkommt. Sollte ich für den bisherigen Senat oder den kommenden Bundestag besänftigend erwähnen, daß wir uns das Warten auf die Gloriole einer unbestechlichen, selbstbewußten, meinungsfesten wie auch lernwilligen Persönlichkeit fast abgewöhnt haben? Wir Mittelmäßigen leisten ja kaum etwas dazu. Weil wir zuwenig Veränderungen durchsetzen und meinen, es genüge, sie zu verlangen. Es gibt unter den jungen Politikern einige, die es werden könnten. Sie melden sich auch zu Wort, die Außergewöhnlichen, und erkennen unter den vielen Altvorderen durchaus den Gleichgesinnten.

Es macht Hoffnung. Aber Solidarität findet die Wahrheit derzeit kaum. Na ja, es mangelt schließlich allerorts an Personal - in den alten und den sogenannten neuen Ländern Deutschlands gleichermaßen. Aber bleiben wir doch bei unserem eigenen öffentlichen Raum. In Berlin, einer blühenden Rollkofferstadt mit prachtvollen Vermieterzahlen ...

Wir erleben den Anschein blühender Prosperität, Architektur, Kultur und Kunst, der Zunahme von jungen und betagten Unternehmern, deren Gedanke ist: ihr Geld loszuwerden an eine Baustelle, die nicht nur über Neubürger verfügt, die reisen wollen, in nie gekannte Früchte beißen und hoffen, daß ihr soziales Leben als Kleinbürger ohne Abstriche und Konflikte weitergeht. Durch eigene Initiative oder einsichtige Obrigkeit immer weitergeht. Immer weitergeht.

An Manieren fehlt es. Die verkommen, und das ist zu bedauern. In Bus und Bahn hoffen zittrige alte Damen und Hochschwangere vergeblich auf einen Sitzplatz, während sich erlebnishungrige junge Menschen ohne Aufblicken mit ihren Handys beschäftigen. Sitzend!

Wohnst Du gerne in Berlin? Versuch doch einmal, mitten in unserer Millionenstadt deine abgelaufene Parkvignette verlängern oder erneuern zu lassen. Wenn du hungrig bist auf Unvergeßliches, dann wähle diesen im Leben ja gelegentlich vorkommenden Behördengang.

Du begegnest Befugten, die dir erstaunliche Dinge über ihr Arbeitsleben verschweigen, oder andeuten. Als geübter Bürger wirst du zur Verrichtung dieser eigentlich einfachen Sache einen Lehrgang in Vergeblichkeit zu überstehen haben. Falls du dich in besagter Situation an deinen gesunden Menschenverstand erinnerst, dann denkst du vielleicht, sie könnten nach einem Blick in ihre Papiere das Ding eigentlich in deinen Briefkasten stecken oder es dir sogar ohne Briefmarke schicken. Etwa in der Mitte erstaunlicher und vergeblicher Anläufe nimmst du dir vor, von nun an bei der Kommunalpolitik persönlich einzugreifen. Vielleicht läßt du dich sogar als Interessenvertreter auf ein Engagement ein. Bei dem Versuch, an die Verlängerung oder eine neue Vignette zu kommen, wirst du durch Wortfolgen von "Mitarbeitern" an deiner Eignung dafür zweifeln. Du warst im Morgengrauen zu spät dran und hast nicht an die Glaubwürdigkeit der Auskünfte durch das Internet geglaubt. Dann hättest du wissen können, was dir blüht. Aber verlier deine Hoffnung nicht ganz. Irgendwann wirst du dein Ziel erreichen. Du bekommst die Vignette.

Wo wäre Begeisterung herzunehmen, wenn über einen einzigen ausgesprochenen oder verweigerten Satz eines Amtsbetrauten keine Ruhe in deinen Alltag einkehrt. Du bist wieder jener Griesgrämigkeit begegnet, bei der sich Lippen straffen, Augen blicklos sein wollen und Mündern ohne ein Lächeln. Es gibt eine besondere Art derzeitiger Berufspolitiker, die untauglich sind, für ganz normale Leute zuständig zu sein. Es gibt auch solche, die jedem Satz hinterhernicken, jeder Silbe, solange du redest. Und wenn du sprachlos davongehst, reihen sie dich ein in die Menge der Belästiger.

Ich wurde in Berlin geboren und habe fast immer in Berlin gelebt; die erste Arbeitslosigkeit der dreißiger Jahre zu spüren bekommen, die dadurch ausgelöste Armut. Ich habe als kleines Mädchen die Pogromnacht erlebt und weiß noch so viel davon, daß ich mich über mein Gedächtnis wundere. Wir wurden nach den ersten Bombenangriffen evakuiert, vorher haben wir immer gehofft, daß die Entwarnung erst nach Mitternacht kommt, weil wir dann am nächsten Tag schulfrei hatten. Als ich nach Berlin zurückkam, gab es außer am Karlsplatz keinen einzigen Baum mehr, und es roch nach Leichen. Ausgerechnet unsere Bruchbude, unser miserables Haus am Georgenkirchplatz, stand noch. Wir haben gehungert, als aus den Trümmern die Anfänge einer neuen Hauptstadt erstanden. Es war lebensgefährlich, hier zu wohnen. Aber wir waren Berliner. Ich habe diese Stadt immer geliebt. Ich liebe sie. Es tut mir weh, welche Muffigkeit, welche Übellaunigkeit und welche dümmlichen Ausreden dafür meine Stadt durchziehen. Die Erfahrungen meines Lebens sagen mir, das kommt nicht von unten. Das kommt aus den höher gelegenen Amtsstuben: diese zunehmende Niedertracht gegen Schwächere, diese übelriechende Behaglichkeit bei der Verneinung eigener Haltung und Verantwortung zu den großen Themen dieser Erde. Es geht um die Gefährdung unserer Kultur und eigener Verdienste. Berlin hat überlebt, auch dank unserer Lebensarbeit.

Ein kurzes Klopfen an Stirnen genügt nicht. Wir gefährden gerade wieder unsere Verantwortung für das sogenannte Große und Ganze. Wiederholungstäter ja, auch ich. Das macht uns verdammt mittelmäßig. Man weiß, daß ein solcher Standard kaum von selbst zu sinnvoller Lebendigkeit führt. Wenn wir nichts dagegen tun, ähneln wir dem fast vergessenen Großraumflughafen Berlin-Brandenburg. Ich möchte das gern verändern. Das geht leider nicht. Kein Personal!

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Leserbriefe an RotFuchs

Es ist Tradition, in Bernau bei Berlin an das Schaffen des großen DDR-Filmregisseurs Konrad Wolf zu erinnern. Es versteht sich, daß bei uns alle seine Filme bereits gezeigt wurden. Nicht in der Öffentlichkeit zu sehen war seit Jahrzehnten sein Regiedebüt als Assistent und Student der Moskauer Filmhochschule. Dieser farbige Dokumentarfilm "Freundschaft siegt" ist eine Gemeinschaftsproduktion von Mosfilm und DEFA. Er wurde in Vorbereitung und Durchführung der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin 1951 - also vor 65 Jahren - produziert.
Konrad Wolf sammelte hier seine ersten praktischen Erfahrungen an der Seite solch international bekannter Filmemacher wie Joris Ivens, Ivan Pyrjew und Andrew Thorndike.
Zu sehen ist dieser Film - eine 100minütige Dokumentation mit eindrucksvollen Bildern - am 8. November um 19 Uhr in der Breitscheidstraße 41 A (Kulturhof) im "Treff 23", Bernau.
Als Gast erwarten wir den früheren FDJ-Landesfunktionär des damaligen Landes Brandenburg Hans Modrow.

Arbeitskreis "Konrad Wolf", Bernau


Vor mir liegt die September-Ausgabe Ihrer Zeitschrift, in der ich den mich sehr bewegenden Artikel "Ein historischer Appell aus Hiroshima" fand.
In der gleichen Ausgabe konnte ich in verschiedenen Beiträgen zur Kenntnis nehmen, was z. Z. alles im Rahmen eines von den USA und der NATO angeheizten Wettrüstens geschieht. Nicht nur das. Die US-Verwaltung für atomare Sicherheit ließ vernehmen, daß die ingenieurtechnischen Arbeiten für die Herstellung modernisierter atomarer Sprengköpfe vom Typ B61-12 abgeschlossen seien und diese 2020 in Serienproduktion gehen sollen!
Am 10. Dezember 1948 wurde die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" beschlossen und von der Mehrheit der Länder dieser Erde akzeptiert. Ich stelle mir die Frage: Wie ist die gegenwärtige Entwicklung der gezielten Vorbereitung von Massenmord und der offensichtlich einkalkulierten Vernichtung der Lebensgrundlagen der menschlichen Gesellschaft mit dem Willen der Völker und den vorhandenen Erklärungen zu verstehen? Haben Parlamente und Regierungen von ihren Völkern das Mandat erhalten, Mittel, die dringend für die Bekämpfung von Hunger, Massenflucht und Umweltzerstörung gebraucht würden, für Kriegstreiberei und Wettrüsten einzusetzen?
Ich halte Ausschau nach einer politischen Kraft, die in der Lage ist, sich - über Meinungsverschiedenheiten hinweg - an die Spitze einer Bewegung zu stellen, um diese verhängnisvolle Entwicklung zu beenden.

Dr. Dieter Müller, Dresden


Medial wird dieser Tage ein Kommunalpolitiker aus Essen durch alle Runden gereicht, der von der SPD zur AfD wechselte. Bei seinen Auftritten gibt er sich als Experte in Sachen Asylpolitik aus. Dabei kommt er in höchste Erregung, wenn er die Flüchtlinge pauschalisierend als Wirtschaftsflüchtlinge beschreibt und jede Differenzierung vermissen läßt, oder wenn er von unbegleiteten jungen Asylsuchenden eifert, die zuerst nach dem Fitneßstudio fragen.
So heizt man die Stimmung gegen Asylsuchende, Fremde, andere Religionen und Anderssein an. Medien geben ihm eine Tribüne und betreiben das üble Spiel mit.
Am Asylthema scheiden sich mehr als die Geister. Linke Politik muß die Ursachen und Wurzeln der Fluchtbewegungen, der Armut, des Elends, der Kriege, der Kolonialisierung und wirtschaftlicher Ausbeutung nicht nur allgemein, sondern konkret benennen, mit Name und Adresse. Die Klassen- und Machtfragen in der Welt, die imperialen Ziele der USA, EU, NATO, Deutschlands müssen aufgedeckt und diskutiert werden. Welche konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse bringen das hervor? Wir brauchen eine Politik, die allen in ihrer Heimat ein friedliches, menschliches Leben läßt.

Roland Winkler, Aue


Zum Leitartikel Arnold Schölzels "Mußte Europas Geschichte in den 1. September 1939 münden?" im September-RF möchte ich folgendes bemerken: Auch manche Historiker, die früher anderes schrieben, behaupten jetzt, daß der Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes vom August 1939 den Weg für den Überfall des faschistischen Deutschland auf Polen frei machte. Ich halte das für kompletten Unsinn. Auch wenn die sowjetische Regierung dem deutschen Vorschlag nicht zugestimmt hätte, wäre die faschistische Kriegsmaschinerie nicht mehr aufzuhalten gewesen. Behauptet wird auch, daß der Einmarsch der Roten Armee in Polen am 17. September 1939 entsprechend dem beiderseitigen Geheimabkommen dem Land den Todesstoß versetzt habe. Die polnische Armee war aber zu diesem Zeitpunkt bereits besiegt.
Die Kapitulation erfolgte am 18. September 1939. Die von Polen nach dem Krieg 1920 gegen Sowjetrußland okkupierten westukrainischen und westbelorussischen Gebiete wurden wieder in die UdSSR zurückgeführt. Die Westmächte hätten ihren Bündnispartner Polen im September 1939 durch einen sofortigen Angriff auf Deutschland unterstützen müssen. Statt dessen taten sie nichts und führten den "seltsamen Krieg" (drôle de guerre).
Möglicherweise wäre der Zweite Weltkrieg zu verhindern gewesen, wenn die Westmächte auf die sowjetischen Vorschläge für ein kollektives antifaschistisches Sicherheitssystem eingegangen wären. Sie hätten schon gegen den Einmarsch der Naziwehrmacht 1936 in das entmilitarisierte Rheinland vorgehen müssen, ebenso gegen die Angliederung Österreichs 1938. Mit dem Münchner Abkommen 1938 wurden die Weichen auf Krieg gestellt. Die britische und die französische Regierung glaubten, die deutsche Aggressivität auf die Sowjetunion umlenken zu können.
Es ist richtig, vom angeblichen Ende des kalten Krieges zu sprechen. Schließlich ist unübersehbar, daß den USA China und Rußland als Hindernisse auf dem Weg zur Weltherrschaft gegenüberstehen. Es ist zu hoffen, daß es im Westen vernunftbegabte Politiker und Militärs gibt, die begreifen, daß ein Angriff auf Rußland und China den eigenen Untergang bedeuten würde.

Kurt Laser, Berlin


Es ist gut, daß der "RotFuchs" eindeutig zu den Fragen von Krieg und Frieden Stellung bezieht. Was ich als junger Mensch im 2. Weltkrieg erlebte, darf sich nie wiederholen! Deshalb ist Aufklärung über die Ursachen von Kriegen so wichtig.
Die Stadt meiner Kindheit und Jugend Breslau - heute Wroclaw - erhielt von den Nazis den Titel "Des Führers treueste Stadt". Dort gab es alljährlich "Tage der deutschen Wehrmacht" mit Paraden auf den ausgedehnten Oderwiesen in Breslau-Oswitz und Besichtigungsmöglichkeiten in den Kasernen, die das Volk, besonders uns Kinder und Jugendliche, auf den geplanten Krieg einstimmen sollten. Er begann am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen.
58 Divisionen mit etwa 1,5 Millionen deutschen Soldaten standen bereit, die im Großen Weichselbogen zwischen Krakau (Krakow) und Bromberg (Bydgoszcz) stationierte polnische Armee anzugreifen und zu vernichten.
Im Januar 1943 wurde auch ich durch Wehrmachtsoffiziere, die in meiner Paul-Keller-Mittelschule Freiwillige für den Kriegsdienst warben, auf den Einsatz als "Volkssturm-Mann" zum Stellungsbau an der deutsch-polnischen Grenze geworben. Die faschistische Propaganda wirkte. Ich wurde Soldat, beteiligte mich - gemäß dem Auftrag vom "Durchhalten bis zum letzten Atemzug" und zum bedingungslosen Gehorsam - an der Zerstörung meiner geliebten Heimatstadt.
Heute rühmt sich die deutsche Rüstungsindustrie ob ihrer vollen Auftragsbücher, verkauft den steigenden Export von Rüstungsgütern in alle Welt als Garantie für "sichere" Arbeitsplätze. Deutsche Soldaten beteiligen sich an Kriegseinsätzen in immer mehr Ländern, machen sich schuldig an Tod, Elend und Vertreibung von Millionen Menschen.
Wieder werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene zum "Tag der Bundeswehr", wie einst bei den Nazis zum "Tag der Wehrmacht" gelockt und so auf den Waffengang vorbereitet. Wieder geht es gegen Rußland. NATO und USA haben militärische Stützpunkte mit Waffenarsenalen und Abschußrampen für Raketen- und Kernwaffen, auch im Westen der BRD.
Dieser Waffenring um Rußland, der längst gezogen ist, diene - so wird behauptet - nur zur Abwehr eines möglichen russischen Überfalls. Wie damals, als die Hitlerfaschisten vor den russischen "Untermenschen" warnten, wird erneut mit volksverdummender Kriegsrhetorik versucht, die Menschen für einen neuen "Feldzug" gegen Rußland zu gewinnen. Die in einem solchen Fall eintretenden Folgen wären mit denen aus der bedingungslosen Kapitulation der Festung Breslau, wie ich sie am 6. Mai 1945 erlebte, nicht mehr vergleichbar.

Armin Lufer, Berlin


Mutter und ich saßen beim Abendbrot in unserem schönen und sicheren Hermsdorf u. Kynast im friedvollen Riesengebirge. Mutter sprach über die Nachrichten des Tages mit mir. "Der Führer hat befohlen, mit der Wehrmacht in Polen einzumarschieren, denn die Polen würden unsere Sicherheit bedrohen." Ich nahm das alles nicht so dramatisch und dachte, daß der "Führer" schon wissen wird, was er tut. Ich hatte auch nicht an das Wort "Krieg" gedacht. Mutter aber sagte: "Es ist Krieg." Unsere Sorge galt Großmutter, die jetzt nicht bei uns weilte. Sie war zu Tante Rosel nach Teuplitz bei Forst gefahren. Ja, wir machten uns Sorgen um Ömse, so nannten wir liebevoll unsere Großmutter.
Draußen dämmerte es schon, aber vom Küchentisch aus war der Kynast im Schein der untergehenden Sonne deutlich zu sehen. Da klopfte es kurz, Großmutter war zum Glück wieder sicher zu Hause. Doch sie war sehr ernst. Ich höre sie noch heute sagen: "Wir haben Krieg und keine Sicherheit mehr." Das waren Worte, die mit meiner Stimmung so gar nicht zusammenpaßten. Erst zu einer späteren Zeit begriff ich deren Ernst.
Großmutter war eine sehr kluge, weise Frau. Sie ahnte bestimmt etwas vom politischen Kampf ihres Sohnes, meines Onkels Herbert. Und kannte die Ursachen seiner häufigen Abwesenheit. Doch darüber hat sie nie gesprochen - im Interesse der Sicherheit für die Familie.
Heute ist der Frieden wieder bedroht, vielleicht so sehr wie noch nie. Ein Krieg wäre um vieles gefährlicher als jeder vergangene. Ihn zu verhindern hat einen Preis, der von allen getragen werden muß, die in Sicherheit leben wollen. Ist das nicht erstrangige Aufgabe aller, die Verantwortung tragen dafür, daß die Arche Erde nicht untergeht, sondern sicher gesteuert wird?

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


War das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern schon deprimierend, um so erschreckender die Reaktion des Spitzenkandidaten Holter, der umgehend und ohne innezuhalten sofort die Frage nach der Schuld für die Wahlniederlage beantwortete und gleich nach einer Regierungsbeteiligung rief.
Welch eine Arroganz und Weltfremdheit in der Beurteilung der tatsächlichen politischen Verhältnisse und Befindlichkeiten der Wähler, ganz abgesehen von der der Mitglieder und Sympathisanten der Linkspartei. Der Landesverband setzt mit seiner mehr als oberflächlichen und an den Realitäten vorbeigehenden unkritischen Einschätzung der politischen Lage sowie Erwartungen noch eins drauf. Unter der Ägide dieser Spitzenfunktionäre erreichte die seit Jahren andauernde Talfahrt in der Zustimmung zur Politik der Partei Die Linke bei den Bürgern nunmehr ihren Tiefpunkt. Aber man will so weiterwursteln und sich an der Macht beteiligen. Kein Besinnen, keine Analyse, kein Blick ins Parteiprogramm und keine zwei Blicke in die Lebensverhältnisse und die Erwartungen der Menschen an linke Politik.
Dem selbstzerstörerischen Werk einiger PDL-Funktionäre muß Einhalt geboten werden, und der politische Wille der Mitglieder und Sympathisanten dieser Partei darf nicht der Selbstverliebtheit von Amts- und Mandatsträgern geopfert werden.

Raimon Brete, Chemnitz


Nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern titelte "Bild" auf Seite 1: Schreck-Pomm! Man war wie immer undankbar im Osten und hatte wieder einmal falsch gewählt, wo es doch an der Küste fast keine Ausländer gibt. Doch inzwischen wird behauptet, es gehe eigentlich gar nicht um Syrer oder Afghanen, die seien nur eine "Chiffre" für "tiefer liegende" Unzufriedenheiten. Ja, welche denn? Wer diese Frage ernsthaft stellt und beantworten will, muß zurück in jene Zeit, als die Ostdeutschen sich aufrafften, ihre Republik umzukrempeln. Da witterte man drüben endlich Morgenluft, nach geschlagenen 40 Jahren des Warten-Müssens! So eine Chance für westdeutsche Hoferben, abhanden gekommenes Eigentum "heim ins Reich" zu holen, würde so schnell nicht wiederkehren. Also los! Aus "Wir sind das Volk" wurde über Nacht "Wir sind ein Volk"; hunderttausend Deutschlandfahnen inklusive, geliefert frei Haus, ebenso der Spruch: "Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr!"
Ein Leichtes für finanzkräftige Revanchisten, die angeschlagene DDR zu übertölpeln. Doch es war schnell Schluß mit lustig und gerührten Wiedersehenstränen der smarten Brüder und Schwestern.
Zugriff! hieß die Devise. Wir alle wurden vorgeführt, entkleidet, beraubt. Danach gab's Einheitsanzüge von Aldi, bunt und schön, außerdem: Arbeit Null, Einkommen Null, Würde Null. Aber auch Stimmen gab's, nicht nur die von Arnulf Baring - ihr wißt schon, die von den "verzwergten und verhunzten Ostlern", die zu nichts zu gebrauchen sind -, sondern auch Stimmen, die mahnten: Wenn Ostdeutschland weiter so niedergebrannt wird, fällt es Großdeutschland irgendwann auf den Fuß. Jetzt fällt "es"! Schon lange fällt es, jetzt immer schneller.
Die Linkspartei hätte den Fall stoppen können. Sie hätte die Gefrusteten, Verstörten, Verarmten, Entmutigten in ihre Gemeinschaft aufnehmen müssen, um mit ihnen gemeinsam für einen Systemwechsel einzutreten: Weg mit dem Kapitalismus, her mit dem Gemeineigentum, her mit Gerechtigkeit und Chancengleichheit! Die Partei Die Linke - ihre Funktionäre hätten es gekonnt - hat es nicht getan. Sie haben Reden gehalten, Saläre kassiert, aus den Näpfen der Reichen gegessen und die Armen vergessen. Holter und Ritter hier, Ramelow und andere anderswo. Und wo sie mitregiert haben, wie in Meck-Pomm, hat sich ihre Anzahl hernach halbiert, oder sie haben, wie in Berlin, mit dem Schleifen sozialer Rechte selbst die Konservativen überholt. Nicht einmal gegen Kriege sind sie mehr (unter bestimmten Umständen, die das Kapital ihnen diktiert).
Und sie empfinden keine Schuld an ihrem Wahldebakel, biedern sich weiter an, mitzuregieren. Linke wie ich mit aufrichtigem Veränderungsanspruch wählen und unterstützen die DKP; sie wird bald mehr Stimmen erhalten. Es mag noch dauern, bis sich Erfolge einstellen, doch sie werden kommen.

Rainer Stankiewitz, Crivitz


Die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern bringen es erneut an den Tag. Der Weitblick fehlt der Führung der Linkspartei in diesem Land. Während die Bundesspitze noch die soziale Gerechtigkeit als wichtige Strategie zum Tragen bringt, zeigte die Führung in Mecklenburg-Vorpommern im Wahlkampf davon zuwenig. Dagegen gab es eine vordergründige Show von Provinzialismus und Pragmatismus. Hier ist Pragmatismus als bürgerliche Weltanschauung gemeint, die die Wahrheit auf die momentane Nützlichkeit reduziert. Dieses Denken erreichte seinen Tiefpunkt in "Piep, piep, ich hab' Euch lieb!" Dabei scheint nicht klar zu sein, daß Mecklenburg-Vorpommern ein Teil des imperialistischen Deutschland ist und die große Bundesmacht auch im kleinen ländlichen Nordosten der BRD regiert. Dabei müßten die großen politischen Themen ins Blickfeld gerückt werden - das andere Deutschland, das andere Mecklenburg-Vorpommern in Frieden, ohne Auslandseinsätze deutscher Soldaten, in Solidarität und Widerstand, der Sozialraub der Bundesregierung und das Erinnern daran, daß Frauen mit 60 Rente erhielten, Kinder gleiche Bildungschancen hatten, Gesundheit nicht vom Geldbeutel abhing - Errungenschaften der DDR, von denen führende Politiker der Linkspartei heute kaum reden wollen. Doch wer sich seiner Geschichte schämt, hat keine Zukunft.

Karl Scheffsky, Schwerin


Mitglieder der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) führten im Vorfeld der Wahlen zur Staatsduma, die am 18. September stattfanden, eine Wahlaktion vor größeren Handelszentren durch. Sie verteilten die Gebietszeitung "Swerdlowsker Prawda - Kurs für Veränderungen" sowie Abzeichen mit den Fotos der "Kinder des Krieges" und dem Bildnis Marschall G.K. Schukows. Außerdem wurden Unterschriften für die Annahme des "Sozialen Gesetzbuches des Urals" gesammelt.
Die Aktion fand bei den Menschen auf der Straße reges Interesse, das so groß war, daß die in der Nähe stehenden Vertreter anderer Parteien gezwungen waren, auf andere Straßen auszuweichen, da ihnen und ihren Werbeartikeln niemand Aufmerksamkeit schenkte.
Ein dreißigjähriger Mann des Tschkalowsker Stadtbezirkes nahm zusammen mit einer Gruppe von Freunden Zeitungen und Faltblätter "Kurs für Veränderungen" mit und erklärte, daß er die Kommunisten wählen wird. Zwei Arbeiter aus Tadschikistan, die in einer Tankstelle arbeiten, interessierten sich dafür, wie man Mitglied in der KPRF werden kann und wie sie jetzt zu unterstützen sei. Ein etwa Fünfzigjähriger aus dem Ordschonikidser Stadtbezirk drückte seine Begeisterung über die Rede des Vorsitzenden der KPRF G.A. Sjuganow bei den letzten Debatten über das Bildungssystem aus. Auch er betonte, daß er für die Kommunistische Partei stimmen wird, da sie den Bürgern sachkundig und aufgeschlossen gegenübertrete und sich für die Belange des Volkes einsetze. Dank der Initiative der Swerdlowsker Kommunisten konnte beispielsweise erreicht werden, daß den Mitarbeitern eines Betriebes (MUP) nach über acht Monaten endlich der Lohn ausgezahlt wurde.
Keine andere Partei öffnet so aufrichtig und energisch ihr Herz für die Sorgen der vom schweren Leben gezeichneten Menschen, die sich bedanken für die Hilfe bei der Lösung der verschiedensten Lebensprobleme, für den menschlichen Umgang, für die Unterstützung im Kampf gegen die Willkür städtischer Beamter.

Anton Ipatow, Jekaterinburg
(Aus dem Russischen von Cilly Keller)


Wenn es um das Wort Freiheit geht, sind es besonders Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck, die es im Munde führen. Doch lassen wir lieber jene zu Wort kommen, denen weder die eine noch der andere je das Wasser reichen kann. Die bekannte Formulierung des alten Liedes von Schenckendorf aus der Zeit der napoleonischen Kriege "Freiheit, die ich meine ..." wurde später gern auf die politische und soziale Wirklichkeit bezogen und durch die Worte "... welche meinst Du, sprich: meine oder Deine, darum dreht es sich" ergänzt.
Mit dieser Frage nach ihrem Inhalt sollte auf die Widersprüchlichkeit dieses hohen Ideals hingewiesen werden. Die gesellschaftlichen Bedingungen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik ließen oftmals nur noch die satirische Verwendung des Freiheitsbegriffes zu. Viele Beispiele wurden damals in der Zeitschrift "Simplicissimus" veröffentlicht und von dem großartigen Karikaturisten Th. Th. Heine illustriert. Bereits 1894 hatte der französische Dichter Anatole France in seinem Roman "Die rote Lilie" die zwei Gesichter der Freiheit beschrieben: "Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet den Reichen wie den Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen." Nach seiner ersten Reise ins westliche Ausland hatte auch der große russische Dichter Dostojewski schon 1863 gefragt: "Was heißt 'liberté'? Freiheit. Was für eine Freiheit? Die gleiche Freiheit für alle, in den Grenzen der Gesetze alles Beliebige zu tun. Wie kann man alles Beliebige tun? Wenn man eine Million besitzt. Wann besitzt man eine Million? Gibt die Freiheit jedem eine Million? Nein. Was ist ein Mensch ohne eine Million? Ein Mensch ohne eine Million ist nicht der, der alles Beliebige tut, sondern mit dem alles Beliebige getan wird."
Womit wir wieder bei Merkel und Gauck wären.

Hermann Siemering, Bremen


Einmal mehr eine beeindruckende Zeitbetrachtung von Gisela Steineckert in der September-Ausgabe des "RotFuchs". Worüber sie nachdenkt und urteilt, hat viel mit Erfahrung und Empfindung zu tun. Alles andere als billiger Zeitgeist! Leider ist auch in linken Medien - abgesehen vom spröden Inhalt - oftmals ein akademischer, um nicht zu sagen bürokratischer Ton anzutreffen. Wenn wir bei Radio DDR im Funkhaus Nalepastraße Werktätige zu Besuch hatten, war vielfach wunschgemäß Gisela Steineckert Mitgastgeber. Die Zusammenkünfte wurden Erlebnisse weit über den Alltag hinaus. Vielleicht kann man im nachhinein sagen: Eine künftige gerechte Gesellschaft hat nicht nur strukturelle Veränderungen, sondern vor allem Menschen mit Vernunft und Herz nötig.

Atti Griebel, Berlin


Die heutige Zeit ist geprägt von Hartz IV und prekärer Beschäftigung, vom Aufstreben der Rechten in Europa, rassistischen Übergriffen und brennenden Flüchtlingsunterkünften. Doch der Bauverein Halle & Leuna eG sieht das offensichtlich anders. Er lud im August zu einem Mieterfest ein und stellte es unter das Motto: "Die 30er-Jahre - Schön ist die Welt".
Nennen wir sie beim Namen - die "Schönheiten" dieser Dekade: 1932: 6,1 Millionen Arbeitslose in der Weimarer Republik; 1933: Machtergreifung Hitlers; 1935: Nürnberger (Rassen-)Gesetze; 1936 bis 1939: Zerschlagung der Spanischen Republik; 1938: "Anschluß" Österreichs und Reichspogromnacht; 1939: Beginn des 2. Weltkrieges.
Die abstruse Idee des Bauvereins, diese "Schönheit" zu feiern, kann nur zwei Gründe haben: Dummheit oder Bosheit. Möglichweise hat sich der braune Filz, der mit der AfD in der BRD-Politik bereits angekommen ist, auch im ostdeutschen genossenschaftlichen Wohnungswesen breitgemacht und trifft dort nach der "Befreiung" vom "verordneten" Antifaschismus auf ausgemachte Geschichtsvergessenheit. Die Kombination Dummheit und Bosheit beschrieb Erich Kästner als die gefährlichste: "Wer dumm und böse ist, rennt ins Verderben."

Sigmund Ihling, Merseburg


Über den Militärputsch in der Türkei ist viel geredet und geschrieben, noch mehr fabuliert und spekuliert worden. Politiker wie die Kanzlerin, "Wissenschaftler" wie Hubertus Knabe bezeichneten die Türkei unter Erdogan als Demokratie und Rechtsstaat. Die Mainstream-Medien verstärkten dies noch. Doch nun treiben mich meine Fragen um. Seit Jahren verfolgt Erdogan brutal jede kleine oppositionelle Regung, sperrt Juristen und Journalisten nach Belieben ein und führt einen brutalen Vernichtungskrieg gegen den kurdischen Teil der türkischen Bevölkerung sowie gegen das autonome Gebiet der syrischen Kurden (Rojava). 2014 ließ er wissen, daß er sich weder an die Verfassung noch an Gesetze halten werde. Er führt die Bundeskanzlerin am Nasenring vor und benutzt erfolgreich das Flüchtlingsabkommen als diplomatische Brechstange, stachelt die in der BRD lebenden Türken zu Protesten auf und bedroht Abgeordnete des Deutschen Bundestages wegen ihrer Haltung zum Völkermord an den Armeniern. Bei Putin hätte Frau Merkel längst schärfere Sanktionen gefordert und die "Verteidigungsministerin" die deutsche Speerspitze näher an die russische Grenze verlegt.
Die gleichen Personen, die der Türkei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bescheinigen, beschimpfen die DDR als Unrechtsstaat. Wo nehmen sie nur die moralische Berechtigung dazu her? Moral und Politik fallen eben selten zusammen. Zum Glück gibt es für diese Leute die Doppelmoral. Sie erleichtert so manches Gewissen. So man eines hat. Politische Ehrlichkeit sieht anders aus.

Harry Pursche, Leipzig


Dank an Jobst-Heinrich Müller für seinen Beitrag im Juli-RF über das Schröpfen auf dem Wohnungsmarkt. Wieviel Schweinereien des deutschen Kapitalismus werden da auf einer Seite angesprochen! Und dabei gibt es noch viel mehr anzuklagen: Völlig intakte Wohnhäuser wurden nach der Rückwende zum Kapitalismus in Ostdeutschland (Berlin, Schwedt, Frankfurt/O., Dresden usw.) verantwortungslos abgerissen. Dazu kam die Vernichtung weiteren Volkseigentums (Betriebe, Schulen, Kindergärten, Gaststätten, Kulturhäuser - die Spitze war der Abriß des Palasts der Republik). Daß die dem Kapital verpflichteten Medien diese politisch motivierten, ökonomisch verwerflichen Schandtaten noch zu rechtfertigen versuchen, ist nicht verwunderlich.
Es klingt fast wie Hohn, daß die bürgerliche "MAZ" ein Leserbriefchen zu diesem Thema abdruckte. Da kommen Hunderttausende Flüchtlinge aus Asien und Afrika und werden in Containern und Notquartieren untergebracht, doch der Abriß Ost geht weiter.
Da ich seit 62 Jahren in Potsdam wohne - in der DDR zahlte ich für meine 2¼-Zimmer-Wohnung 47,50 Mark der DDR; heute zahle ich für dieselbe Wohnung 467,08 € -, möchte ich zu dieser Vorstadt im "Speckgürtel" Berlins noch einige Fakten nennen: Seit 1990 wurden alle volkseigenen Betriebe wie der VEB Maschinenbau Karl Marx, das älteste RAW Deutschlands, drei große Baubetriebe und andere plattgemacht. Gegenwärtig bemühen sich SPD, CDU, FDP und Grüne gegen den Willen der Bürger und der größten Fraktion im Stadtparlament, der Partei Die Linke, um den Abriß des größten Hotels im Stadtzentrum, den Abriß der Fachhochschule und den eines Wohnhauses für ca. 200 Mieter.
Menschen mit Sachverstand und Verantwortungsbewußtsein leisten Widerstand, sammeln Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Schon zweimal gelang es, Abrißpläne der Preußen-Fanatiker zu verhindern: Das frühere Pionierhaus wurde als "Treffpunkt Freizeit" erhalten; das neue Schwimmbad entsteht am Brauhausberg, den die Baulobby mit Villen bebauen wollte.
Dieselbe Preußen-Nostalgiker-Minderheit, die in Potsdam gern alle von der DDR errichteten Bauten abreißen lassen möchte, ist identisch mit den Kräften, die den Militaristen-Tempel Garnisonkirche um jeden Preis wieder errichten wollen. In dieser "mit brauner Asche" bedeckten Kirche (so Friedrich Schorlemmer) wurde am 31. März 1933 der Grundstein für den II. Weltkrieg gelegt, indem der Obermilitarist Hindenburg Adolf Hitler auf den Thron hob. Am 12. April 1945 wurde dieses Gelände durch britische Bomber in Brand gesetzt. Die Geschichtsklitterer von heute behaupten demagogisch, die DDR hätte diese Kirche gesprengt. Die DDR hatte die Aufgabe, die Bombenruinen abzuräumen und für die Menschen Wohnungen und Betriebe, Kindergärten und Schulen zu errichten.
Die Abriß-Ost-Vandalen haben seit 1990 nicht Ruinen abgeräumt, sondern Wohnungen, Schulen, Betriebe und Kulturstätten im Wert von vielen Milliarden Euro bösartig vernichtet.

Horst Jäkel, Potsdam


Als 90jährige - ich bin genau 14 Tage älter als Fidel Castro - fällt mir das Lesen und Schreiben schon schwer. Aber durch den "RotFuchs" wird mein Kreislauf - dank der vielen Autoren und Leserbriefschreiber - immer wieder angeheizt. Es gehört schon wieder viel Mut dazu, sich mit den Bürgern und den von ihnen gewählten Politikern auseinanderzusetzen. Ausdrücklich stimme ich Elke Schuster (Brief im August-RF) zu, die in ihrem Schreiben an Wladimir Putin erklärt, alles in unserer Macht stehende zu tun, damit von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht.

Annelies Kremkow, Leipzig


Im September-RF ist Gerda Huberty in ihrem Leserbrief ein Satz mißlungen, der den Eindruck vermittelt, als sei die NATO die Antwort auf den Warschauer Vertrag. Schauen wir in den Kalender: Die NATO wurde 1949 gegründet, und die Bundesrepublik ist ihr 1955 beigetreten.
Die sozialistischen Staaten und mit ihnen die DDR reagierten darauf im Jahre 1955 mit dem Abschluß des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand.
Es war also genau umgekehrt, der Warschauer Vertrag ist die Antwort auf die NATO, die sich mit dem Beitritt der BRD schon deutlich nach Osten ausgedehnt hat.
Die Berücksichtigung der Termine ist vor allem deshalb wichtig, weil deutlich wird, daß wir immer nur reagiert haben. So ist auch die DDR die Antwort auf die Gründung der BRD. Mit der Verkündung des Grundgesetzes im Mai 1949 entstand die Bundesrepublik Deutschland, die DDR wurde bekanntlich am 7. Oktober desselben Jahres als Antwort auf die Entwicklung in Westdeutschland gegründet. Diese Reihenfolge wird in den führenden deutschen Medien sehr selten erwähnt.

Rudolf Krause, Berlin


Zum Weltfriedenstag am 1. September stand die DKP in Schwedt neben der Stadtorganisation der Partei Die Linke an einem Stand. Unser eigener rechtzeitig beantragter Informationsstand wurde mit der fadenscheinigen Begründung abgelehnt, daß der Platz "belegt" sei.
"Belegt" war das mehrere hundert Quadratmeter große Areal aber nur von der Partei Die Linke. Die Genossen hatten dem Ordnungsamt jedoch keinen Anlaß gegeben, die DKP auszugrenzen und waren ebenso verwundert und empört wie wir. Da rechte Organisationen nicht daran gehindert werden, ihre häufigen Informationsstände in Schwedt zu organisieren und sogar Polizeischutz erhalten, muß antikommunistischer Zeitgeist die Ablehnung des DKP-Informationsstandes diktiert haben.

Adolf Hoffmann, Strausberg

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

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Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

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Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
Dr. Peter Elz
Bernd Fischer
Peter Franz
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Lutz Jahoda
Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
Christa Kozik
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Prof. Dr. Herbert Meißner
Jobst-Heinrich Müller
Horst Neumann
Cornelia Noack
Prof. Dr. Gerhard Oberkofler (Innsbruck)
Erhard Richter
Prof. Dr. Horst Schneider
Prof. Dr. Rolf Sieber
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2016

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