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ROTFUCHS/198: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 244 - Mai 2018


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

20. Jahrgang, Nr. 244, Mai 2018



Aus dem Inhalt
  • 60 Jahre Atomwaffen in Deutschland sind genug!
  • Stabiler Frieden ist nur möglich ohne Militär
  • Ossietzky und der Traum vom Frieden
  • Nachdenken über linke Sammlungsbewegung
  • "Skripal": Warnungen vor fürchterlichem Ende
  • Lula und das "Verbrechen" der Linken
  • Arbeiterklasse: Der verkannte Machtfaktor (1)
  • Die wilden Lieder des jungen Karl Marx
  • Warum bleibt Marx aktuell?
  • Der Planwirtschaft gehört die Zukunft
  • Lenin: "Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus" (Teil 2)
  • Meine Begegnung mit Karl Marx - 1941
  • Über das Exemplarische am "Fall Modrow"
  • Einladung zu einer Flugreise nach Wolgograd
  • Die Randglossen des Dr. M.
  • Gumbel darf nicht vergessen werden
  • 8. Mai 1945 - Mit den Befreiern kam das Brot
  • Einzeln und brüderlich in Schwaben
  • Weißenborn: Macht, Gewalt und Aggression
  • Die Verfassung der DDR und ihre Abschaffung
  • Stimmen aus aller Welt über die DDR
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

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Wer Frieden will, muß Frieden machen

Karl Marx und Friedrich Engels wurden 1818 bzw. 1820 in eine Zeit hineingeboren, die unmittelbar durch die Große Französische Revolution von 1789 und deren Folgen geprägt war. Engels hatte diese 1880 in seiner Schrift "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" so zusammengefaßt: "Der verheißne ewige Friede war umgeschlagen in einen endlosen Eroberungskrieg."

Fast ein Vierteljahrhundert lang litten die Volksmassen Europas zwischen Lissabon und Moskau bis 1815 unter der Kriegsfurie. Zugleich aber kam es immer wieder zu Unruhen, rebellischen Erhebungen und bewaffnetem Widerstand, darunter erstmals in der Geschichte zu einem landesweiten Partisanenkrieg wie in Spanien, zur "Guerilla". Deutschland sah die größten Massenbewegungen seit der Zeit des Bauernkrieges fast 300 Jahre zuvor. Mit größter Aufmerksamkeit verfolgten die Zeitgenossen die Revolution in der damals reichsten französischen Kolonie Saint Domingue, dem heutigen Haiti, die sich auf die in Frankreich proklamierten Menschenrechte berief. Dieser wahrscheinlich einzige erfolgreiche Sklavenaufstand der Weltgeschichte nahm eine Entwicklung vorweg, die sich erst nach der nächsten großen Revolution, der in Rußland im Oktober/November 1917, in den Befreiungskriegen der kolonial und national unterdrückten Völker entfalten konnte.

Die Periode zwischen 1789 und 1815 endete mit dem politischen Sieg der Feudaldynastien und einer Restauration, vergleichbar der nach 1989 in Europa: Friedhofsruhe im Innern durch brutale Unterdrückung fortschrittlicher Bewegungen. Denn das gesellschaftliche Bewußtsein vieler Menschen war durch die aktive Teilnahme an Erhebungen vor 1815 geschärft. Die Revolutionen von 1830 und von 1848 bildeten ein Wetterleuchten, in dem die Arbeiterklasse zum Entsetzen von Feudaladel und Bourgeoisie zum ersten Mal ihre Stärke zeigte. Und: Krieg, zunächst vor allem in Kolonien, blieb ein fester Bestandteil der Weltordnung. Die französische Invasion in Algerien ab 1830, vor allem aber der erste britische Opiumkrieg von 1839 bis 1842, der Chinas Führungsrolle in Asien und als weltweiter Exportnation für 150 Jahre beendete und das Kaiserreich zu einer Halbkolonie werden ließ, waren oft Gegenstand in den Schriften der Begründer des dialektischen und historischen Materialismus. Die konterrevolutionären Kriege des zaristischen Rußlands, die Schandtaten Großbritanniens in Indien und Irland, die "Blut und Eisen"-Politik Preußens bestätigten die Theorie von Marx und Engels: Kapital und Krieg sind zwei Seiten einer Medaille. 1853 formulierte Marx: "Die tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heimat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen." (MEW, Bd. 9, S. 223)

Als hätte er die NATO und die EU von 2018 vor Augen, schrieb Marx wenige Jahre später, 1859, über die "große Lüge" "Si vis pacem, para bellum" (Willst du Frieden, rüste zum Krieg.) Mit dieser Formel beginne in Europa stets "einer jener Zivilisationskriege, deren frivole Barbarei der besten Zeit des Raubrittertums, deren raffinierte Perfidie jedoch ausschließlich der modernen Periode des imperialistischen Bürgertums angehört". (MEW, Bd. 13, S. 144)

Die "Perfidie des imperialistischen Bürgertums" sprengt in diesen Wochen wieder einmal alle Maßstäbe, erhöht das Risiko eines Atomkrieges. Dringlicher denn je steht die Forderung, die Marx am Schluß des zitierten Artikels über den Kolonialismus in Indien aufstellte: "Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte, gemeistert und sie der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte." (a.a.O.) Eine andere Chance hat die Welt auch 2018 nicht.

Arnold Schölzel

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60 Jahre Atomwaffen in Deutschland sind genug!

Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), forderte am 23. März den Abzug der Nuklearbomben aus Deutschland und ein Ende der nuklearen Teilhabe:

Auch in Deutschland sind Atomwaffen stationiert - schätzungsweise 20 US-Bomben lagern auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. Am 25. März ist es genau 60 Jahre her, daß der Bundestag die "nukleare Teilhabe" im Rahmen der NATO beschlossen hat. Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisationen ICAN und IPPNW fordern das Ende der deutschen Beteiligung an der gefährlichen Abschreckungspolitik.

Xanthe Hall, Abrüstungsexpertin der IPPNW und Vorstandsmitglied bei ICAN Deutschland, sagt: "Eine sichere Welt gibt es nur ohne Atomwaffen. Wenn es die Bundesregierung ernst meint mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt, dann muß sie den UN-Verbotsvertrag unterschreiben und die US-Bomben aus Deutschland abziehen lassen." Das sei problemlos möglich: "Auch ohne US-Atomwaffen hierzulande kann Deutschland an der nuklearen Planungsgruppe der NATO teilnehmen. Die US-Atomwaffen in Deutschland erfüllen keinen militärischen Zweck mehr, sie sind nur Druckmittel und Zeichen der Bündnistreue. Dennoch haben sie eine unvorstellbare Zerstörungskraft, jede einzelne Bombe in der Größe von dreizehn Hiroshimas."

Xanthe Hall ist auch Autorin des Hintergrundpapiers zu 60 Jahren nuklearer Teilhabe, das die Friedensorganisationen ICAN und IPPNW veröffentlicht haben. Ende März begann zudem eine 20wöchige Aktionspräsenz vor dem Fliegerhorst Büchel.

Aktivisten von ICAN und IPPNW werden in der Woche vom 16. bis 23. Juni 2018 vor Ort sein und gegen die Atomwaffen protestieren. Bei einem öffentlichen Symposium "Atomwaffen raus aus Europa!" am 17. Juni werden ICAN-Aktivisten aus anderen NATO-Staaten im Vorfeld des NATO-Gipfels im Juli Perspektiven für ein atomwaffenfreies Europa diskutieren.

www.icanw.de

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Erinnerungen aus der Schweizer Friedensbewegung
Kriegsende 8. Mai 1945

Ein glücklicher Aufschrei der ganzen Stadt Basel! Alles strömte am Abend in die Innenstadt. Der Marktplatz voller fröhlicher Menschen. Jetzt brauchte man keine Angst mehr zu haben, daß die Faschisten über die Grenze in unser Land eindringen und der Krieg unsere Stadt zerstört. Für uns war es besonders wichtig, hatte doch der Polizeichef von Basel alle Namen der Antifaschisten den Nazis in Deutschland ausgeliefert.

Die Franzosen haben, nachdem sie Freiburg i. Br. befreit hatten, die Liste gefunden, so daß der Polizeichef Böswald vor Gericht kam.

Auch die "Freie Jugend" (noch immer verboten) traf sich zahlreich auf dem Marktplatz. Zu Ehren der Roten Armee - Siegerin dieses mörderischen Krieges mit 50 Millionen Toten, davon etwa 27 Millionen Sowjetbürger - verkauften wir selbstgebastelte sowjetische Anstecksymbole. Keiner sagte nein; alle steckten sie sichtbar an ihre Jacken.

Anschließend zogen wir in die kommende Nacht nach St. Louis, Frankreich, singend und tanzend. An der Grenze war kein einziger Zöllner. Wir zogen Drahtgittersperren auf die Seite und marschierten weiter bis zur Kreuzstraße. Aus den Kneipen kam Gesang, Gelächter und Fröhlichkeit. Da verbreitete sich die Kunde, daß Schweizer eingetroffen sind. Die Franzosen kamen auf die Straße, jubelnd begrüßten sie uns. Die Weinflaschen gingen von Mund zu Mund. Gemeinsam sang man zu später Stunde die Marseillaise, die Internationale und anderes.

Gegen Morgen marschierten wir zurück nach Basel auf den Marktplatz, noch immer Feiernde. Keiner dachte ans Schlafen. Um 7 Uhr gingen die ersten von uns zu ihrer Arbeitsstelle.

Frieden durch Aufbau ...

­... eine Organisation, in Zürich gegründet nach dem Krieg. 1947 starteten wir von Basel mit 87 Jugendlichen zum Aufbau nach Jugoslawien. Wir fuhren mit dem Zug durch Italien-Triest-Bosnien. Die Nebenbahn Samac-Sarajevo mußte neu gebaut werden. An der gleichen Bahnstrecke arbeiteten Jugendbrigaden aus England, Frankreich, Polen und Jugoslawien.

Ich arbeitete in der Redaktion der Jugend-Sonderzeitung zusammen mit Jugoslawen, einem Polen, einem Engländer und Tschechen, Diese Zeitung "Omladinska Pruga" wurde in mehreren Sprachen vor Ort gedruckt. In der Druckerei arbeiteten auch Deutsche, ehemalige Soldaten, die 1947 noch nicht nach Hause durften.

Unsere Nationalfeier am 1. August stand bevor. Nach helvetischer Manier stiegen ein paar Schweizer um 4 Uhr morgens auf die Hügel und zündeten Schweizerfeuer an.

Wir überlegten, wie wir den vielsprachigen Jugendlichen die Schweizer Geschichte klarmachen konnten, und entschieden uns fürs Theater. Auf einer kleinen Bühne stand Wilhelm Tell mit seinem Sohn. Auf Deutsch und Englisch wurde das Geschichtsstück erklärt, und Tell schoß den Apfel vom Kopf des Sohns. Anschließend luden wir die vielen Jugendlichen zu einer Grillparty ein. Es wurde getanzt und in vielen Sprachen gesungen bis in die Nacht.

Nach sieben Wochen harter Arbeit ging's per Zug nach Hause. In Venedig mußten wir umsteigen, und da alle Züge übervoll besetzt waren, stiegen wir in leere Güterwagen und schliefen bei offenen Türen auf dem Boden. Auf der anderen Seite waren Italiener, sie sangen wunderbare italienische Lieder. Bei dunkler Nacht habe ich sie nie gesehen, und irgendwo zwischen Venedig und Mailand sind sie ausgestiegen. Wir waren in vier Güterwagen verteilt; an einer Station ging Joe den Waggons nach: "Zählt unsere Leute, und hütet das Schweizer Gepäck!", denn keiner wußte mehr, wo seines war, weil wir uns in Venedig sehr beeilen mußten. Eine kleine Gruppe kam zu spät, so daß sie im Normalzug stehend nach Mailand fahren mußten. An der Schweizer Grenze wieder umsteigen, bis Arth-Goldau, wieder umsteigen. Von dort sind drei Burschen und ich per Anhalter nach Basel zurückgefahren.

Ein Highlight der Basler Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt (BFFF)

1958 empfing die BFFF die Frauenfriedenskarawane aus England, die unter der Leitung von Dora Russell durch ganz Europa fuhr. Die jeweiligen Frauenorganisationen, vereint in der Internationalen Demokratischen Frauenorganisation, organisierten Veranstaltungen und Demonstrationen, so auch wir in Basel.

Wir verteilten vor Großbetrieben und in der Stadt Flugblätter mit der Ankündigung einer Kundgebung auf dem Barfüßerplatz. Wir arbeiteten unbeirrt, obwohl die Polizei die Kundgebung verboten hatte. Die Polizei war präsent. Von der Tramstation aus sah ich unsere Frauen, u. a. Päuli Moser und Susi Hofer, wie sie unser Transparent zum Frieden öffneten, es wieder einrollen mußten, es erneut aufrollten, je nach Präsenz der Polizei. Ich wartete auf das große Auto der Engländerinnen. Da fuhren sie plötzlich voll in den Platz hinein. Die Polizei schreckte uns mit dem Überfallwagen und lautem Horn. In der Folge war der ganze Platz voll mit Menschen, die wissen wollten, was passiert. Ich stand bei der Karawane, aus der alle englischen Frauen ausstiegen. Ein Polizist wollte den englischen Chauffeur, einen erfahrenen Gewerkschafter, bei der Schulter packen. Der streckte sein Bein und schrie: "This is my shoulder!"

So ging der Polizist unverrichteter Dinge davon. Die Menschenmenge war so dicht, daß weder Autos noch Tram durchfahren konnten. Ich bat die Polizisten, daß Susi Hofer sprechen könne, damit die Menschen wissen, warum die Kundgebung verboten ist. Sie sprach nun durchs Mikrophon und erklärte den Inhalt der Kundgebung. Genau das, was wir wollten. Anderntags mußte ich zur Polizei, zusammen mit Päuli Moser: "Die Kundgebung war doch verboten! Sie wußten es! Warum haben Sie Flugblätter verteilt?" Meine Antwort: "Ihr Verbot kam zu spät, der große Verteilapparat konnte nicht mehr aufgehalten werden", und damit war die Sache erledigt, und wir hatten die größte Kundgebung für den Frieden in Basel!

Louise Stebler-Keller
Basel

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Stabiler Frieden ist nur möglich ohne Militär

Zum Anfang ein Dank an die Organisatoren unseres Ostermarsches. Sie wirken als Teil der bundesweiten Bewegung dafür, daß die Einsicht in die Notwendigkeit des Friedenskampfes nicht untergeht. Sie verbreiten immer wieder Kenntnisse über die Ursachen der Friedensgefährdung in der Öffentlichkeit, um ein den politischen und Klassenverhältnissen entsprechendes Bewußtsein zu erhalten - ja, es oft erst neu zu erzeugen. Sie folgen damit den Erfordernissen der Zeit. Und diese ist alles andere als normal - friedlich ist sie nicht!

Das wird oft richtig beschrieben, aber nach dem Warum des Krieges wird in der Öffentlichkeit weniger gefragt, und noch weniger wird darauf geantwortet. Aber wir müssen beides tun! Ich möchte mich mit Entwicklungen beschäftigen, die vor unserer Tür stattfinden. Kriege, Krisen, Fieberzustände an den Börsen, Modernisierung der Rüstungsproduktion, High-Tech-Rüstung. Der Drang nach Osten wird wieder Politik. 75 Jahre nach Stalingrad wird erneut vor einer vermeintlichen "russischen Gefahr" gewarnt.

Eine solche Politik wurde schon einmal, vor 85 Jahren, an dieser Stelle gesegnet. Der Potsdamer Garnisonkirche kommt das Alleinstellungsmerkmal zu, einzige Kirche des "Dritten Reiches" gewesen zu sein, in der Hitler eine Ansprache hielt. Hier proklamierte er die "Vermählung" zwischen "alter Größe" Preußens und der "jungen Kraft", wie er seine faschistische Bewegung nannte. Der "Tag von Potsdam" (21. März 1933) bleibt ein symbolträchtiger Markstein auf dem Weg zu faschistischer Diktatur und Krieg.

Beherzigen wir das! Der Osten Europas wird erneut zum Aufmarschgebiet gegen Rußland. Auf den Straßen Brandenburgs rollen NATO-Panzer zur russischen Grenze. Die imperialistischen Kämpfe um die Sicherung der Profite und der politischen Einflußzonen nehmen zu. Die internationalen, aber auch die inneren Widersprüche des Imperialismus gewinnen an Intensität und Breite. Die Ausbeutung von Mensch und Natur im Namen der Freiheit und der Sicherheit für das Kapital nimmt zu! Dabei wird zu Recht auf die Politik und die Ziele der NATO und der USA hingewiesen. Aber wir sollten dabei auch nicht übersehen, was im eigenen Haus passiert!

Nur kurze Zeit nach der Einverleibung der DDR erlebten wir die militärische Teilnahme Deutschlands an der Aggression gegen Jugoslawien und an der Zerschlagung dieses UNO-Staates. Man begnügt sich aber nicht mehr mit Europa. Im aktuell gültigen Weißbuch der Bundeswehr (2016) wird gesagt: "Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global." Der jetzige Bundespräsident Frank Walter Steinmeier erklärte 2014 als Außenminister der damaligen großen Koalition: "Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren." Zwar sagte Steinmeier, "Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel." Aber er sagt damit auch: Militär ist ein Mittel!

Der "Radius", in dem Deutschland "ordnungspolitische Verantwortung" zukomme, erstrecke sich auf die "östliche Nachbarschaft" und die "östliche Peripherie" Andere beschreiben diesen "Großraum" mit einem "Krisenbogen", der "vom Baltikum über den Mittleren Osten bis zum Maghreb reicht".

In diesem Zusammenhang sollten wir auch eine andere politische Entwicklung sehr ernst nehmen. Gegenüber Rußland wurde in den 90er Jahren die "Sauna-Freundschaft" zwischen Kohl und Jelzin inszeniert. Nach der Aufnahme der Staaten Osteuropas in die EU wurde Rußland vertraulich als "Nachbar" tituliert. Nach dem Wechsel zu Putin und dem allmählichen Streben seines Landes nach Eigenständigkeit wurde Rußland zum "Partner" erklärt. Dann folgte die offizielle Einstufung zum "Rivalen". Im aktuellen Weißbuch behauptet man sogar, daß Rußland "eine Herausforderung für Sicherheit auf unserem Kontinent" darstelle (Weißbuch 2016, S. 32). Moskau wird der Vorwurf gemacht, "die europäische Friedensordnung offen in Frage" zu stellen. Wie weit ist es noch bis zur Einstufung als "Feind"?

Auch die neue Regierung folgt diesem Konzept. Sie verfolgt eine unehrliche "Doppelstrategie". Sie will Zusammenarbeit mit Rußland. Aber allein zum eigenen Vorteil und nicht Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil! Und das erfolgt unter politischem und zunehmendem militärischem Druck. Ein Beispiel: In diesem Jahr werden sich 12 000 deutsche Soldaten an Übungen zur "Abschreckung" Rußlands beteiligen. Warum? 2017 waren es noch 4000. Schon das war zu viel! Zur dauerhaften Ergänzung der ständigen Präsenz der NATO an ihrer "Ostflanke" wurden im vergangenen Jahr multinationale Gefechtsverbände in Litauen, Estland, Lettland und Polen stationiert. Der Verband in Litauen wurde federführend von der Bundeswehr aufgebaut. Die USA verfolgen zugleich eine eigenständige antirussische Linie.

Gleichzeitig wird in Politik und Medien die Linie der Desinformation und der Verdrehung der Fakten betrieben. Mit politischen Sensationsmeldungen sowie Mord- und Korruptionsberichterstattung will man die Menschen einschläfern. Sie sollen nicht zum Nachdenken kommen.

Zu dieser Lage gehört auch das Agieren der AfD. Die bewußt geschaffene "Undurchsichtigkeit" der Situation auf der einen Seite und die Orientierungslosigkeit breiter Teile der Bevölkerung auf der anderen nutzend, werden von den interessierten Kräften des Kapitals in der Gesellschaft Bilder verbreitet, die eine Rückkehr zur reaktionären preußisch-deutschen Linie als positive Opposition zur gegenwärtigen Politik vermitteln.

Es ist schon bemerkenswert, wie unmittelbar der Bismarck-Verehrer Alexander Gauland an das Bismarck-Konzept anknüpft. Schon 2012, damals (vor seinem Umstieg zur AfD) noch Mitglied der CDU, beklagte er: "Die Deutschen haben ein gestörtes Verhältnis zur militärischen Gewalt." ("Der Tagesspiegel", 23. Juli 2012) Gauland bedauerte, "wie gering das Verständnis für Gewaltanwendung in diesem Lande ist". Schlimmer als die materielle Vernachlässigung der Bundeswehr erscheint ihm "die Weigerung, Notwendigkeit und Folgen militärischer Gewalt überhaupt zu denken und sie in ein politisches Konzept einzuordnen". Davon ausgehend fordert er: "Statt also immer von neuem die pazifistische Melodie zu singen, wäre es klug, eine politische zu intonieren, weil eben militärische Gewalt ... nicht an sich schlecht, sondern nur als falsche Politik schlecht ist. Das setzt aber voraus, daß die Deutschen wieder eine Tatsache der Weltgeschichte akzeptieren lernen, die Bismarck in seiner ersten Regierungserklärung als preußischer Ministerpräsident 1862 in die berühmten Worte faßte: 'Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden - das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen -, sondern durch Eisen und Blut.' "

Das ist der Geist der Garnisonkirche! Das ist der Humus, aus dem die Ziele der AfD hervorgehen, die sie auf ihren Kundgebungen verbreitet und in den Parlamenten zum Gesetz machen will.

Das ist die Grundlage ihrer tatsächlichen Haltung auch gegenüber Rußland und in den anderen außenpolitischen Fragen. Dazu verfolgt die AfD eine Politik, die laut Gauland beinhaltet: "Die deutschen Streitkräfte (müssen) ... in vollem Umfang wieder in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben wirkungsvoll und nachhaltig zu erfüllen."

Wie sagte Steinmeier? "Militär ist ein Mittel"! Gauland sagt, Militär ist das Mittel. Und er sagt: "wieder"! Der Platz der BRD in den internationalen Beziehungen wird also wieder und direkt mit der militärischen Stärke des Landes in Verbindung gebracht. Das ist ein Bekenntnis zu Militarisierung, zum aktiven Einsatz des Militärischen bei der internationalen Durchsetzung ökonomischer und politischer Interessen der BRD, die vom Verlangen der deutschen Monopole nach Profit und Herrschaft bestimmt werden.

Dieser Staat wird als Machtinstrument der herrschenden Klasse eingesetzt, um ihre Interessen nicht nur gegen andere Völker, sondern auch gegen die anderen Klassen im Inneren durchzusetzen. Das ist die Lage!

Laßt uns beherzigen, was François Villon (geb. 1431) schon erkannte und in seiner "Zueignung für Maria von Orleans" so formulierte:

Ja, Friede - laßt uns dies bedenken!
Ihm dankt der arme Mann sein Brot,
doch stets noch war er von den Ränken
der reichen Wucherer bedroht.

Deshalb: Abrüsten statt aufrüsten!

Es wird gelingen, wenn wir solche Zustände ändern!

Unsere Chance fängt jeden Morgen neu an! In diesem Sinne: Trotz alledem!

Prof. Dr. habil. Anton Latzo
Langerwisch

(Leicht gekürzt aus der Rede zum Potsdamer Ostermarsch am 24. März)

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Ossietzky und der Traum vom Frieden

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Kubaner wählten ihr bisher weiblichstes Parlament

Mehr als 7,3 Millionen Kubaner wählten am 11. März ein neues Parlament. Damit erschienen knapp 85,6 Prozent der Wahlberechtigten an den Urnen, um die Kandidaten der kubanischen Nationalversammlung (Asamblea Nacional) sowie der 15 Provinzparlamente der Insel neu zu bestimmen. Ihr herausragendes Ergebnis: 322 der 605 neuen Abgeordneten sind weiblich.

Die nationale Wahlkommission (CNE) gab die endgültigen Ergebnisse wenige Tage später in der Parteizeitung "Granma" bekannt. Demnach konnten anders als bei den Kommunalwahlen im November alle Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen, wobei 80,5 Prozent der Wähler für den gesamten Listenvorschlag stimmten, 19,5 Prozent hingegen strichen einen oder mehrere der Kandidaten. Auch alle der 1265 Vertreter der Provinzen des Landes wurden gewählt. Über die Hälfte von ihnen sind Frauen, 40 Prozent sind Schwarze oder Mulatten. Während das Durchschnittsalter der Kandidaten 49 Jahre beträgt, liegt der Anteil der 18- bis 35jährigen bei 13 Prozent.

Der Anteil weiblicher Abgeordneter in den kubanischen Parlamenten hat sich in den letzten 25 Jahren schrittweise erhöht: in der Nationalversammlung beispielsweise von 22,8 Prozent (1997), 36 Prozent (2007) bis hin zu 48,9 Prozent (2013) und nun über 53 Prozent. In den Provinz- und Gemeindeparlamenten liegt der Anteil etwas darunter, konnte jedoch ebenso einen kontinuierlichen Anstieg verzeichnen. Die Wahlbeteiligung ging zum zweiten Mal in Folge zurück (2013: 89 Prozent, 2008: 97 Prozent), während die Anzahl der ungültigen Stimmen leicht auf 5,6 Prozent sank.

Der hohe Frauenanteil von über der Hälfte ist dabei kein Zufall, sondern Ergebnis einer "Kandidatenauswahl von hoher Qualität", wie das Politbüromitglied José Machado Ventura gegenüber dem kubanischen Fernsehen erklärte. In den Monaten vor der Wahl werden die Kandidaten durch die Massenorganisationen des Landes nominiert. Obwohl die regierende PCC daran nicht beteiligt ist, entstammen doch viele der Kandidaten ihren Reihen. Das ist jedoch kein zwingendes Kriterium. Damit sich die Gesellschaft in ihren Abgeordneten wiederfinden kann, wird auch auf eine proportionale Vertretung der jeweiligen Berufs- und Altersgruppen, Frauen und Afrokubanern geachtet. Mit über 53 Prozent weiblichen Abgeordneten liegt Kubas 9. Nationalversammlung in dieser Hinsicht nun weltweit an zweiter Stelle. Nur in Ruanda sitzen mit über 60 Prozent mehr weibliche Parlamentarier in einem Abgeordnetenhaus. Dies ist dort jedoch weniger Ergebnis gelebter Gleichberechtigung als vielmehr tragische Folge der großen Verluste unter der männlichen Bevölkerung im langjährigen Bürgerkrieg.

Zum Vergleich: Der im September 2017 gewählte 19. Deutsche Bundestag hat mit 31 Prozent nochmals 6 Prozent weniger weibliche Abgeordnete vorzuweisen als nach der Bundestagswahl 2013.

Am 19. April trat Kubas neu gewählte Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Dabei wurde auch ein neuer Staatspräsident gewählt. Raúl Castro kündigte bereits an, nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren zu wollen. Auch sollen künftige Spitzenämter in Staat und Partei durch eine Verfassungsreform auf zweimal fünf Jahre beschränkt werden. Beim letzten Parteitag der regierenden PCC im April 2016 wurde das Politbüro zudem nicht nur erweitert, sondern auch verjüngt. Als derzeit aussichtsreichster Nachfolger Castros an der kubanischen Staatsspitze gilt der 1960 geborene Vizepräsident Miguel Díaz-Canel, der zuvor unter anderem als Hochschulminister diente.

Marcel Kunzmann

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LUTZ JAHODA: LUSTIG IST ANDERS ...

Carl von Ossietzky (3.10.1889 - 4.5.1938)

"Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte. Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg spekuliert."
Carl von Ossietzky in der "Weltbühne" vom 8. Dezember 1931

Ossietzky - Journalist, Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift "Die Weltbühne", wurde im international aufsehenerregenden "Weltbühne"-Prozeß 1931 wegen "Spionage" verurteilt, weil die Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Ossietzky erhielt rückwirkend den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935. Er starb vor 80 Jahren an den Folgen seiner jahrelangen KZ-Haft.

Aus: Lutz Jahoda / Reiner Schwalme: Lustig ist anders, Norderstedt 2017

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Nachdenken über eine linke Sammlungsbewegung

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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"Fall Skripal": Warnungen vor fürchterlichem Ende

Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen sieht die von Großbritannien in Gang gesetzte Massenausweisung russischer Diplomaten als Beginn einer schweren internationalen Krise. Das sagte er in einem TV-Interview. Dabei gehe es um eine Krise, von der er nicht wisse, ob man sie wirklich unter Kontrolle halten könne. Die Allianz des Westens gegen Rußland, die man momentan beobachte, stütze sich nicht auf gesichertes Wissen, sondern auf eine Beweiskette, die auf einer Annahme nach der anderen beruhe.

Auch dem Westen könne man einiges vorwerfen. "Mir fällt zum Beispiel ein, daß es ja noch nicht so lange her ist, daß gerade die britische und die amerikanische Regierung die ganze Welt belogen haben: bewußt und absichtlich belogen, um den Überfall auf den Irak rechtfertigen zu können." Verheugen fragt sich, wie es zu der heutigen Situation kommen konnte. Denn er könne sich noch an eine andere Form des Zusammenlebens mit Rußland erinnern. Und er wisse aus eigener Erfahrung, daß ein konstruktives Miteinander mit Moskau möglich sei. Beide Seiten hätten damals Lösungen gefunden und sich daran gehalten. "Wir müssen runter von der gegenwärtigen Konfrontation und zurück zu einer Situation, in der Kooperation wieder möglich ist."

Auch der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums, Matthias Platzeck, hat das Vorgehen Deutschlands gegenüber Rußland scharf kritisiert. Gerade Deutschland habe eine historische Verpflichtung gegenüber diesem Land. "Wir sagen hier: Wir haben einen Verdächtigen, dem trauen wir das einfach zu. Also wird er erschossen. Danach gehen wir in die Beweisaufnahme. Das geht so nicht", sagte Platzeck gegenüber einer Illustrierten. Er wünsche sich eine ganz andere Reihenfolge: "Das heißt, wir sagen: Wir sammeln die Beweise. Wir warten ab, was die Untersuchungen der Chemiewaffen-Kontrollkommission ergeben. Damit konfrontieren wir dann die Russen. Und dann diskutieren wir, was für Schlußfolgerungen daraus zu ziehen sind." Deutschland habe innerhalb Europas eine ganz spezielle Verpflichtung gegenüber Rußland, so der Politiker weiter: "Das hat mit unserer Geschichte zu tun. Das hat mit den vielen Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges zu tun." Er wünsche sich, daß gerade Deutschland "die Rationalität, die Vernunft und die Sachlichkeit in diesen Diskussionsprozeß wieder einziehen lasse", der im Moment vorwiegend durch Emotion bestimmt werde. Die sich weiter drehende Eskalationsspirale könne "fürchterlich enden".

"Bisher hat Großbritannien keinen einzigen Beweis geliefert, daß es Rußland war, das Skripal vergiftet hatte. Und wenn sie auch vorgelegt werden, inwieweit werden die Bürger, die noch die Geschichten über Massenvernichtungswaffen im Gedächtnis haben, die als Vorwand für die Irak-Invasion erfunden wurden, ihnen glauben?" fragt der italienische Journalist Marco Fontana. Demzufolge "fangen die Briten wieder an, zu lügen und nach einem neuen Bösewicht zu suchen".

Die US-amerikanische gemeinnützige Organisation "Kongreß russischer Amerikaner" hat sich in einem Brief an Donald Trump gewandt. Die gegenwärtige antirussische Rhetorik schüre Haß gegen alle Russen. Fünf Millionen "russische Amerikaner" würden ernsthaft diskriminiert. Trump habe während der Wahlkampagne versprochen, die Beziehungen zu Rußland zu verbessern, falls er Präsident würde. 90 Prozent russischer Amerikaner sollen ihm ihre Stimmen gegeben haben. Jetzt weigere er sich aber, sein Wahlversprechen zu erfüllen. Die jetzige Politik schade nicht nur den Interessen des Landes, sondern führe es "in den Abgrund der Russophobie".

Am 26. März hatten 18 EU-Länder sowie die USA, Kanada, die Ukraine, Albanien, Mazedonien und Norwegen im Zusammenhang mit dem "Fall Skripal" die Ausweisung russischer Diplomaten beschlossen. Am 27. März schloß sich Australien als 25. Land an. Die USA beschlossen die Ausweisung von insgesamt 60 russischen Diplomaten sowie die Schließung des russischen Generalkonsulats in Seattle.

Am 5. März war bekanntgeworden, daß der ehemalige Oberst des russischen Militärgeheimdienstes und Überläufer Sergej Skripal und seine Tochter Julia in der britischen Stadt Salisbury vergiftet wurden. London wirft Moskau vor, in das Attentat verwickelt zu sein, weil der dabei eingesetzte Giftstoff nach Angaben von Experten sowjetischer Herkunft gewesen sei. Rußland weist die Vorwürfe zurück.

Das zuständige britische Militärlabor teilte am 3. April nach einer Untersuchung mit, eine russische Herkunft des Nervengifts sei nicht nachweisbar. Der Kreml forderte daraufhin von der britischen Regierung eine Entschuldigung.

Skripal war 2006 wegen Spionage für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Er kam jedoch im Juni 2010 im Zuge eines Austausches inhaftierter Spione zwischen Rußland und den USA auf freien Fuß. Kurz darauf wurde Skripal in Großbritannien Asyl gewährt.

RF, gestützt auf "Sputnik" und Reuters

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Ein großangelegter Schwindel?

Nichts ist klar, aber die EU steht England bei. Deutlich zeichnet sich die Kriegshetze bei der antirussischen Paranoia ab. So war es auch vor dem Irakkrieg. "Ist's Wahnsinn zwar, so hat es doch Methode." (Macbeth)

Das Nervengift Nowitschok (das klingt so schön russisch) gibt es eigentlich nicht. Es handelt sich wahrscheinlich um das Nervengift A234, an dem in den USA, der UdSSR, England und sicherlich auch anderswo geforscht wurde. Eine Produktionsstätte wurde nach 1992 in Nukus/Usbekistan demontiert und in die USA verbracht. Tatsächlich wurde A234 von einem russischen "Oligarchen" 1995 zur Tötung seines Gesellschafters und dessen Sekretärin verwendet. Das war zu Jelzins Chaos-Zeiten in Rußland, für das in den USA schon die Pläne zur Aufspaltung des Landes vorbereitet waren.

Die Oligarchen-Bande ist, um sich der Ordnung Putins zu entziehen, in England ansässig geworden. Das Nervengift ist problemlos im Labor von Porton Down/Südengland zu beschaffen.

Zur "Begründung der Strafe gegen Rußland" schämte sich der neue BRD-Außenminister nicht, die Bürger zu belügen. Die Russen würden eine Mithilfe bei der Aufklärung verweigern, behauptete er. Das Gegenteil ist der Fall: England verweigert die Herausgabe von Proben des angeblich nachgewiesenen Nervengases und die Einsicht in die Ermittlungsunterlagen.

Ich bin kein Politiker, sondern wurde als Militärarzt 25 Jahre für Diagnostik und Therapie möglicher Kampfstoffverletzungen trainiert. Nach 1990 hat mich ein Freund, der als Kampfstoffchemiker in Munster bei der Beseitigung von chemischen Kampfstoffen tätig war, über die aktuelle Entwicklung weiter informiert. Auffällig ist, daß das angebliche Vergiftungsbild überhaupt nicht für eine A234-Vergiftung typisch ist. Mir scheint, es handelt sich um einen großangelegten Schwindel.

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin

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"... irgendein nicht greifbarer Frevel"

Die Kriegserklärung Englands oder vielmehr der Ostindischen Kompanie an Persien ist die Wiederholung einer jener listigen und rücksichtslosen Tricks der englischen Diplomatie in Asien, durch die England seine Besitzungen auf diesem Kontinent erweitert hat. Sobald die Kompanie einen habgierigen Blick auf die Besitzungen eines beliebigen unabhängigen Herrschers oder auf ein Gebiet wirft, dessen politische und kommerzielle Hilfsquellen oder dessen Gold und Edelsteine begehrt werden, wird das Opfer beschuldigt, irgendeinen angenommenen oder wirklichen Vertrag verletzt, ein imaginäres Versprechen gebrochen (...) oder irgendeinen nicht greifbaren Frevel begangen zu haben, und dann wird der Krieg erklärt, und das ewige Unrecht, die stete Gewalt, versinnbildlicht in der Fabel vom Wolf und dem Lamm (in der der Wolf das Lamm trotz aller Unschuldsbeteuerungen frißt), wird wieder blutig-rot in die englische Geschichte eingetragen.

Karl Marx: Englisch-Persischer Krieg (1857)
MEW, Bd. 12, S. 71

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10. Mai - Gedenktag, Kampftag für das freie Buch

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Lula und das "Verbrechen" der Linken

- Das "Verbrechen" Lulas besteht darin, der Linken anzugehören, inmitten eines Kontextes, in dem die Kräfte der internationalen Rechten ihre destabilisierende Hegemonie in der Region durchsetzen.

- Sein "Verbrechen" bestand darin, vor 38 Jahren die Arbeiterpartei (PT) zu gründen, eine Plattform, die den Gewerkschaftsbewegungen eine Stimme gegeben und für ihre Rechte gekämpft hat.

- Lulas "Verbrechen" war es, im Jahr 2002 die Präsidentschaftswahlen als Kandidat der PT zu gewinnen - und das mit dem besten Ergebnis aller Präsidenten in der Geschichte Brasiliens. Es bestand darin, seine zweite Amtszeit mit 80 % Zustimmung, 7,5 % Wirtschaftswachstum und einem Mindestlohn zu beenden, der um 54 % höher als in seiner ersten Regierungszeit lag.

- Das "Verbrechen" des Metallarbeiters bestand darin, mehr als 30 Millionen Brasilianer aus der Armut zu befreien, die Arbeitslosenquote zu senken und sein Land auf die Landkarte aufstrebender Staaten zu bringen.

- Lulas "Verbrechen" bestand darin, die Volkswirtschaft zu stabilisieren und dem Internationalen Währungsfonds die gesamten Schulden seines Landes zu zahlen.

- Lulas "Verbrechen" bestand darin, seine Amtsnachfolgerin (Dilma Rousseff ) zu unterstützen, die mit den fortschrittlichen Plänen für Brasilien fortfuhr und deshalb ebenfalls Opfer einer Verfolgung wurde, die ihrem Mandat ein Ende setzte.

- Das "Verbrechen" von Lula ist sein Wunsch, an den Präsidentschaftswahlen im Oktober teilzunehmen. Und sein größter "Fehler" ist es, die Umfragen als Kandidat für die Wahlen anzuführen, in einem Land, in dem die Unzufriedenheit mit den neoliberalen Maßnahmen des De-facto-Präsidenten Michel Temer immer mehr zunimmt.

- Das "Verbrechen" von Lula besteht darin, zur großen Hoffnung für das Wiederaufleben Brasiliens und die Wiederbelebung der progressiven Bewegungen in der Region zu werden.

- Das "Verbrechen", für das Lula verurteilt wird, ist das "Verbrechen" der Linken, jenes, für das auch Dilma, Nicolás Maduro, Evo Morales, Cristina Fernández und jeder andere Führer, der sich nicht dafür hergibt, seinen Kopf zu senken und Befehle aus dem Norden zu befolgen, verurteilt werden soll.

Gabriela Ávila Gómez
"Granma", Havanna

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Das Finanzsystem, eine Waffe von verheerender Wirkung

Jeder neu gewählte Präsident der USA spricht mit Blick auf den Rest der Welt davon, daß er - bezogen auf das Land, das Meer und die Luft - unschlagbare Waffensysteme besäße, die er auch ohne zu zögern einzusetzen bereit sei. Pentagon und NATO liefern die Kalkulationen für die Tötungsraten, für die Zerstörung von Infrastrukturen, von Bauwerken, von Schätzen der Natur. Das alles sind elementare Bausteine in der geopolitischen Strategie der USA. So wird der hegemoniale Anspruch der USA untermauert. Obwohl die USA in allen größeren militärischen Konflikten nach 1945 nur Niederlagen erlitten haben, wird stabsmäßig der militärische Enthauptungsschlag gegen Rußland und China (in dieser Reihenfolge) vorbereitet. Im Schatten dieser militärstrategischen Planungen und von den kapitalfreundlichen Medien bewußt verschwiegen, wirkt bereits seit langem eine Waffe mit verheerender Sprengkraft, welche Washington bereits 1944 konstruiert und seitdem ununterbrochen zum Einsatz gebracht hat: In Bretton Woods, Bundesstaat New Hampshire, wurde damals in Anwesenheit von 700 Delegierten aus 44 Ländern, lange vor Ende des 2. Weltkrieges, das moderne, bis heute praktizierte imperialistische Finanzsystem aus der Taufe gehoben.

Das geschah in einer brutalen Konfrontation gegenüber Großbritannien, das schon als Schuldnerland angereist war und als Weltmacht dritten Ranges nach London zurückfuhr. Das Pfund Sterling war als Weltleitwährung beerdigt worden. Mit diesem Finanzsystem und der bald einsatzfähigen Atombombe als Rückgrat der Hegemoniemacht USA sollte für lange Zeit das politische, ökonomische und finanzielle Leben auf unserem Planeten maßgeblich bestimmt werden.

Es verfügt - von den USA dominiert, flexibel gelenkt und ständig vervollkommnet - bis heute über Eckpfeiler, Koordinaten, Institutionen und Regeln, die seine Gefährlichkeit für alle Völker begründen. Bretton Woods ist der Ausgangspunkt für die Inthronisierung des Dollars als Weltleitwährung, bestimmend für den Handel mit strategischen Rohstoffen, mit Agrarprodukten und Lebensmitteln, für den Handel mit Devisen und Aktien. Die anfänglich verfügte und gesicherte Golddeckung jedes Dollars sollte die Attraktivität einer nationalen Währung im internationalen Finanz- und Handelsleben erhöhen. 1973 wurde die Golddeckung abgeschafft. Wenn auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) erst viele Jahre später zur vollen Wirksamkeit kamen, gelang es den USA mit diesen Einrichtungen dennoch, Weltfinanzkontrolleure und -polizisten in der internationalen Finanzwelt zu etablieren. Bretton Woods ist der Wegbereiter für den Aufstieg einiger US-Banken zu den einflußreichsten der Welt. Die Wallstreet dominiert bis heute das Börsenleben auf allen Kontinenten.

Das imperialistische Finanzsystem, in das alle Finanzinstitutionen der kapitalistischen Staaten direkt oder indirekt integriert sind, hat ein weltumspannendes Netz von finanziellen Beziehungen, Abhängigkeiten, Sanktionen, Verboten und Blockaden gesponnen, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. In dieses Netz sind auch alle Länder der EU, insbesondere der Eurozone mit der EZB eingebunden. Eine unrühmliche Rolle dabei spielt das deutsche Finanzministerium. Der rigorose Kurs, Finanzhilfen, Kredite nur gegen Privatisierungen von Staatseigentum, Eingriffe in den Staatshaushalt, Absenkung von sozialen Standards als angebliche Sicherheiten zu vergeben, hat in den Mittelmeerländern der Eurozone das Armutsproblem massiv verschärft.

Als Waffe wirkt dieses System weitgehend lautlos, aber kontinuierlich. Es erfaßt ohne Vorwarnung in kürzester Zeit alle Kontinente, alle Bürger, alle Kontoinhaber, Aktienbesitzer, alle Staatshaushalte. Sein Vorzug: Es kann effizient, punktgenau, in Abstufungen gegen Staaten, Regionen, Klassen, Schichten und einzelne Bevölkerungsgruppen zur Anwendung gebracht werden. Durch finanzielle Vorteile, Sanktionen, Kreditsperrungen, Zinserhöhungen bzw. -senkungen, über Käufe bzw. Verkäufe von Staatsanleihen, über Einflußnahmen auf Währungsparitäten, durch Preisdiktate können Staatshaushalte über Nacht in Schieflage gebracht, Volkswirtschaften in den Bankrott getrieben werden. Das finanzielle Vorgehen gegen Rußland nach der Eingliederung der Krim in das russische Staatsgebiet und nach der russischen Hilfe für die Bevölkerung in der Ostukraine ist in dieser Hinsicht exemplarisch. Durch scharfe finanzielle Sanktionen und unter Androhung hoher Strafen sollen nationale russische Banken gezwungen werden, die Finanzierung der russischen Rüstungsindustrie und anderer wichtiger Bereiche der Volkswirtschaft abzubrechen. Teile der russischen Bourgeoisie sollen veranlaßt werden, ihre Loyalität gegenüber der russischen Regierung aufzugeben und nationale wirtschaftliche Aufgabenstellungen zu boykottieren.

Das imperialistische Finanzsystem als Waffe wurde in Griechenland deutlich und zugleich abschreckend zum Einsatz gebracht. Dabei wollte man die Dominanz des US-Dollars niemals in Frage stellen. Griechenland, das den Mut hatte, sich den internationalen und europäischen Finanzinstitutionen entgegenzustellen, sozialverträglichere und finanziell günstigere Kreditaufnahmen und Rückzahlungsbedingungen auszuhandeln, insbesondere sich nicht den Forderungen des deutschen Finanzministers zu beugen, wurde durch ein brutales Finanzdiktat in die Knie gezwungen und weiter verarmt.

Dieses Konstrukt bestimmt in allen Segmenten des internationalen Handels die Spielregeln. Es hat über Regierungen die nationalen Steuersysteme so ausgerichtet und strukturiert, daß die Renditen auf Finanzprodukte so wenig wie möglich geschmälert werden dürfen. Die Banken und der Umverteilungsprozeß von unten nach oben haben gefahrlos zu funktionieren. Mit der Schaffung von Steueroasen fließen gewaltige Kapitalmengen (Banken- und Konzerngewinne) aus Entstehungsländern in Oasenstaaten, was schon einer perfiden ökonomischen und finanziellen Diskriminierung der Entstehungsstaaten gleichkommt. Die Sogwirkung der Steueroasen gehört zum imperialistischen Finanzsystem, macht es für einige Länder erst richtig attraktiv. Der Konkurrenzvorteil durch den Standort der Produktion, der Handels- und Finanztätigkeit und die Steueroase sind zwei wichtige Achsen im Vehikel der Profitproduktion. Alle Maßnahmen und Aktionen des Systems sind aus Sicht des nationalen und internationalen Rechts gesetzeskonform, haben immer juristische Absicherungen. Damit besitzen die USA eine Waffe, mit der es möglich ist, ohne den Einsatz von Schwarzpulver, von Dynamit und ohne amerikanische Militärstiefel einen Staat so weit zu bringen, daß er sich den Regeln der US-Finanzindustrie beugt und zu Washingtons gehorsamem Mitspieler wird.

Einige Implosionen haben in den vergangenen Jahren das imperialistische Finanzsystem zum Zittern gebracht, es aber nicht einstürzen lassen. Der größte Schaden war die internationale Finanzkrise 2008. Defekte wie Insolvenzen im Bankensektor, gesetzwidrige Zinsabsprachen zwischen Großbanken und das schmutzige "Cum Ex"-Geschäft im internationalen Aktienhandel, bei dem der Staatshaushalt der BRD ca. 12 bis 15 Milliarden Euro verloren hat, werden als Betriebsunfälle abgetan. Man jongliert weiter mit Milliarden und Billionen Euros und Dollars, als hätte es keine internationale Finanzkrise gegeben.

Die gegenwärtige wirtschaftliche Konstellation füttert praktisch die Finanzindustrie, regt sie zu "neuen kreativen" Lösungen an. Die außerordentlich hohen Gewinne der 30 DAX-Unternehmen (es waren 2016 über 114 Mrd. Euro), ihre absehbare relativ schwache ökonomische Verwertung durch produktive Investitionen, die scheinbar ausgereizten großen Technologien, die keine großen Investitionen mehr lohnen, die Furcht vor der möglichen Entstehung neuer Überkapazitäten und die Nullzinspolitik der EZB treiben große Kapitale über die Banken in risikoreiche, dubiose Finanzprodukte, in Spekulationsobjekte, ins Immobiliengeschäft, in den Aktienhandel.

Letztlich mißt sich die Effizienz des imperialistischen Finanzsystems an einigen politischen, ökonomischen und militärstrategischen Kriterien. In erster Linie hat es den hegemonialen Machtanspruch der USA bedingungslos zu sichern und zu festigen, einschließlich der sanften bzw. brutalen finanziellen Disziplinierung dieses oder jenes Staates. Es hat die Aufgabe, die Gräben zwischen wohlhabenden und armen Staaten, zwischen Reichtum und Armut nicht einzuebnen, sondern dauerhaft zu erhalten. Es ist dazu da, sich entwickelnde politische und soziale Konfliktpotentiale, die für die USA gefährlich werden könnten, mit entsprechenden finanziellen Mitteln und Methoden zu neutralisieren, auf die Gefahrenstufe null herunterzufahren.

Es gehört zu den Absurditäten, daß die USA als eine der am höchsten verschuldeten Nationen noch weiter ein weltweites Finanzsystem dominieren und die Regeln in den internationalen Finanzbeziehungen vorgeben. Diese Absurdität gründet sich allerdings auf einige harte Fakten, die mindestens noch acht bis zehn Jahre Bestand haben werden. Die USA verfügen immer noch über die größte Volkswirtschaft mit dem höchsten Produktivitätsniveau. Im Jahre 2017 erzielten die USA ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 19,4 Billionen US-Dollar. In China waren es in diesem Jahr 11,9 und in der BRD 3,65 Billionen US-Dollar.

Der Bankensektor der USA realisiert weltweit die meisten und größten Umsätze. Die Zinspolitik der USA, initiiert durch die Notenbank der USA (FED), kann maßgeblich das Wohl und Wehe vieler Banken und Staatshaushalte beeinflussen. Die Notenbank (FED) ist nach wie vor der zentrale Schalter für das internationale Finanzgeschehen. Die USA sind in der Lage, direkt auf Grund ihrer eigenen wirtschaftlichen Stärke und indirekt, über befreundete Staaten, die Preisdynamik bei fast allen strategischen Rohstoffen und Produkten zu ihren Gunsten zu bestimmen. Durch Militärstützpunkte (weltweit über 700) auf allen Kontinenten sind die USA in der komfortablen Situation, jede Investition, jede Kapitalanlage gegen mögliche Verstaatlichungen, Enteignungen zu schützen. Das US-Militär und das Finanzsystem sind in einer unheilvollen Allianz miteinander verbunden. Das imperialistische Finanzsystem selbst befindet sich in einem ständigen Kriegsmodus.

Wie kann dieses System als Waffe entschärft, seine Umverteilungs-, Verarmungs- und Bedrohungsfunktion für Staaten, Regionen und große Teile der Bevölkerung abgebaut, seine Stützungsrolle für die USA und die NATO geschwächt werden? Welche Kräfte könnten das bewirken? Da ist an erster Stelle der stetige wirtschaftliche, wissenschaftliche und technologische Aufstieg Chinas zu nennen. Rußland ist unter Putin offensichtlich auf den meisten Gebieten in waffentechnischer und militärorganisatorischer Hinsicht auf Augenhöhe mit den USA. Aber die wirtschaftliche Schwäche Rußlands (keine leistungsstarke Verarbeitungsindustrie, stark rohstofflastiger Export) wird auch in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren die USA nicht in Verlegenheit bringen. China ist auf dem Weg, das größte Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu erzeugen, den Produktivitätsrückstand gegenüber den USA aufzuholen, im Welthandel das Prinzip der ökonomischen Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils durchzusetzen. China als größtes Gläubigerland gegenüber den USA besitzt alle Voraussetzungen, um in den kommenden acht bis zehn Jahren den Dollar als Weltleitwährung in die zweite Reihe der Weltwährungen zu drücken, die internationalen Finanzbeziehungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Sich von den Fesseln des imperialistischen Finanzsystems total zu lösen, ist für China eine kolossale Herausforderung.

Es gibt in China und in Rußland Pläne, schrittweise ein vom US-Dollar unabhängiges Zahlungssystem aufzubauen. Es würde für einen unbestimmten Zeitraum mit dem US-dominierten Finanzsystem koexistieren müssen. Aufgrund der noch vorhandenen eigenen ökonomischen Schwächen würden die Nachteile und Verluste für China und Rußland größer sein als die möglichen Vorteile. Bretton Woods hatte damals mit einer einzigen Aktion die Vorherrschaft des englischen Pfunds als Weltleitwährung beendet.

Auch der begonnene marktwirtschaftliche Zusammenschluß einiger Länder mit großen Volkswirtschaften - Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika (BRICS-Staaten) - verfügt noch nicht über das ökonomische Potential, um die US-Hegemonie in der internationalen Finanzwelt zu gefährden. Außerdem ist mit stark divergierenden politischen und geostrategischen Interessen in diesem Zusammenschluß zu rechnen.

Ein weiterer entscheidender Grund für das Fortbestehen des US-dominierten Finanzsystems besteht darin, daß alle großen Industriestaaten Europas plus Japan, Kanada und Australien keine gravierenden Nachteile, Einschränkungen oder Verluste durch dieses System hinnehmen müssen. Für diese Staaten, selbst Mitspieler und Mitgestalter in diesem Reigen, bedeutet die Akzeptanz der US-Finanzhegemonie zugleich Realisierung von Schutz- und Sicherheitsbedürfnissen durch die NATO, also die USA.

In der gegenwärtigen internationalen finanzpolitischen Konstellation zeigt sich, daß mit Ausnahme von China kein anderes Land, keine andere Staatengemeinschaft Aussichten hat, sich in absehbarer Zeit erfolgreich von den Fesseln des US-dominierten Finanzsystems zu lösen.

Die Hoffnung auf eine Entschärfung dieser Massenvernichtungswaffe ist einerseits optimistisch und auch realistisch begründet, aber vorerst produziert sie für die Masse der Weltbevölkerung in den nächsten Jahren weiterhin Armut, wirtschaftliche Notlagen, finanzielle Abhängigkeiten und gesellschaftliche Perspektivlosigkeit.

Prof. Dr. Achim Dippe, Berlin

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Kapitalismus als Ausgrenzungsmaschine

Sechs Bände mit Arbeiten von Werner Seppmann zur Klassenanalyse hat der Mangroven-Verlag angekündigt, mit "Kapital und Arbeit" liegt der erste vor. Er enthält, wie der Autor einleitend schreibt, "Momentaufnahmen", die zwischen 2004 und 2007 als Beiträge des Projekts "Klassenanalyse@BRD" der Marx-Engels-Stiftung veröffentlicht wurden. Sie repräsentierten "das empirische und analytische Fundament weiterer Studien zur Klassenproblematik", darunter die Bücher "Ausgrenzung und Ausbeutung. Prekarisierung und Klassenfrage" (2013), "Neoliberalismus, Prekarisierung und zivilisatorischer Verfall" (2015) sowie "Die fragmentarisierte Klasse. Strukturveränderungen der Arbeiterklasse" (für 2018 angekündigt).

Mit den Buchtiteln sind die entscheidenden Begriffe und Gegenstände, die im Mittelpunkt auch dieses Bandes stehen, benannt. Der Autor schreibt, selbst wenn die in diesem Band versammelten Texte bereits "historische Bestandsaufnahmen" darstellten, seien sie unverzichtbar, weil es "erst durch eine historisch-analytische Perspektive möglich wird zu begreifen, was die Lohnabhängigen in diesen zwei Jahrzehnten neoliberalistischer Umgestaltungen und einer offensiven Durchsetzung von Kapitalinteressen mit Hilfe der Sozialdemokratie verloren haben".

Das Ausmaß der sozialen und zivilisatorischen Regression, um die es hier geht, dämmert inzwischen selbst Bürgerzeitungen. Die soziale Ungleichheit hat weltweit, aber auch innerhalb der Bundesrepublik derartige Dimensionen angenommen, daß sie auch dort als Gefahr für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität wahrgenommen wird.

Seppmanns Buch führt zurück in die Zeit der "sozialpolitischen Konterrevolution" durch die Regierung von SPD und Grünen zwischen 1998 und 2005, d. h. vor die Weltwirtschaftskrise von 2008 und das, was sich mit der sogenannten Digitalisierung zur Zeit verbindet.

An Aktualität haben seine Analysen wenig verloren, im Gegenteil. Das hängt vor allem mit der objektiven Seite seines Gegenstands zusammen, den er so benennt: "Die Konfliktsituation zwischen Kapital und Arbeit hat seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ein neues Gesicht bekommen. Der Klassenwiderspruch ist offensichtlicher geworden."

Allerdings: Die Menschen seien zwar desillusioniert, sähen aber keine Möglichkeit, ihre Situation grundsätzlich zu ändern. Zudem schränkt Seppmann ein: "Eine Vorstellung vom gesellschaftlichen Antagonismus ist noch kein Klassenbewußtsein." Aus der ökonomischen Struktur und daraus resultierenden Widersprüchen lasse sich "kein automatisches Klassenhandeln ableiten".

Im zweiten Schwerpunkt, dem Hauptinhalt des Buches, untersucht der Autor, warum das so ist, die subjektive Seite. Vor allem: Was tut die herrschende Klasse, damit alles bleibt, wie es ist? Die Frage danach wird in der akademischen Sozialwissenschaft nur selten gestellt, zumindest hierzulande. Dort werden zumeist die apologetischen Märchen von "Individualisierung" oder "Risikogesellschaft", also vom Verdampfen der Klassen, erzählt. Seppmann formuliert dagegen als eine Art Forschungsmaxime: "Über die Unterklasse kann mit aufklärendem Effekt nur geredet werden, wenn auch die 'Oberklasse', also die Profiteure der ausbeutungsorientierten Umgestaltung der Sozialverhältnisse, immer mit im Blick gehalten werden." Sein Ziel ist aber nicht eine Soziologie der Mächtigen, sondern die Untersuchung des Mechanismus, den diese nutzen, um das Subjektwerden der heutigen Arbeiterklasse zu verhindern. Das bekannte Zitat des Superspekulanten Warren Buffett ist dem Buch vorangestellt: "Es herrscht Klassenkampf, und meine Klasse gewinnt."

Das läßt sich quantifizieren. Seppmann führt mehrfach im Buch das gezielt herbeigeführte Absenken der Lohnquote, d. h. des Anteils der Löhne und Gehälter am jährlichen Volkseinkommen, in der Bundesrepublik an. Allein die SPD-Grünen-Regierung, die nach eigenem Bekunden für die "neue Mitte" antrat, sorgte weltrekordverdächtig mit ihrer "Agenda 2010" für eine Reduktion dieses Anteils von neun Prozent, also für Reallohnsenkung und Armut.

Der Autor zeigt, daß dafür ein reaktionärer Gesellschaftsumbau, nicht nur eine Umverteilung von unten nach oben, nötig ist. Hier sind die Stichworte "Spaltung, Fragmentarisierung und Abkoppelung" als "Mechanismen der Kanalisierung gesellschaftlicher Widersprüche" für ihn maßgebend. Sie führen zu einer "Zweidrittelgesellschaft", aber nicht im Sinne der Erfinder dieses Terminus: Ein Drittel der Bevölkerung lebt heute noch vergleichsweise komfortabel, zwei Drittel sind in Armut oder wachsender "sozialer Gefährdung". Mit entsprechenden Folgen für die "zivilisatorische Reproduktionsfähigkeit", sprich: Verrohung und Entsolidarisierung, verbunden mit Entrechtung und "Einschüchterung durch Verunsicherung".

Der Autor faßt zusammen: "Der heutige Kapitalismus funktioniert als Ausgrenzungsmaschine." Sein Buch, das ein lesenswertes Kapitel über Ostdeutschland als Experimentierfeld für soziale Zerstörung enthält, ist eine Illustration dieses Satzes. Wer wissen will, wo und wie die heutigen Zustände einschließlich Nazirabauken im Parlament ihren Anfang nahmen, sollte es lesen.

Arnold Schölzel


Werner Seppmann: Kapital und Arbeit. Klassenanalysen I.
Mangroven-Verlag, Kassel 2017, 162 Seiten, 17 Euro

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Die Arbeiterklasse zwischen Mythos, Verleugnung und Realität
Der verkannte Machtfaktor (Teil 1)

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die wilden Lieder des jungen Karl Marx

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Kapitalismuskritik - ohne Marx?

In den vergangenen Jahren gab es in der internationalen Debatte gesellschaftlicher Fragen etwas Neues: Namhafte Angehörige der wissenschaftlichen Eliten, z. T. führend in internationalen Organisationen tätig, haben ihre Kritik am Kapitalismus in einer Weise verschärft, wie dies vor 20 Jahren nicht zu hören war. Die Ursache dafür liegt in den zunehmenden Erschütterungen durch Kriege, Hungerkatastrophen und Wirtschaftskrisen.

Der renommierte Schweizer Soziologe Jean Ziegler hat in mehreren Schriften die sozialpolitischen Auswirkungen der kapitalistischen Ordnung scharf gekennzeichnet. Sein Buch "Ändere die Welt"(1) trägt den Untertitel "Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen". Die Antwort gibt er in radikaler und faktenreicher Kapitalismuskritik, die in jedem Punkt volle Unterstützung verdient.

Allerdings finden sich zwei Aspekte, die zu hinterfragen sind.

Erstens geht es darum, worin die ökonomischen und politischen Grundlagen dafür bestehen, daß dieses System entstehen, sich festigen und bis zur heutigen Stärke entwickeln konnte. Die von Marx analysierte Rolle des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die davon ausgehende Frage der Macht wird ignoriert. In der Marxschen Gesellschaftsanalyse sieht er lediglich den "gescheiterten Traum des Karl Marx".(2) Er gesteht ihm nur zu: "Marx' großartige Vision lebt weiter als Utopie der Emanzipation der Menschen."(3) So hat auch die konsequenteste Kapitalismuskritik ihre Inkonsequenzen ...

Zweitens geht es darum, wie und mit welchen Kräften der von ihm geforderte Sturz dieser kannibalischen Ordnung herbeigeführt werden kann. Ziegler beantwortet diese Frage so: "Gegen die weltweite Diktatur des globalisierten Finanzkapitals, ihrer Satrapen und Söldner, erhebt sich heute ein neues geschichtliches Subjekt: die weltweite Zivilgesellschaft."(4) Zu dieser Zivilgesellschaft zählt er alle Organisierten und Nichtorganisierten, die sich gegen die verschiedenen Formen von Unterdrückung, Ausbeutung, Benachteiligung und Ungerechtigkeit wehren. Diese Aktivitäten verdienen natürlich jegliche Unterstützung. Jedoch sind die politischen Ziele dieser Organisationen wie Gewerkschaften, Naturschutzbünde, NGOs recht unterschiedlich, z. T. gegensätzlich, aber sie stehen der einheitlichen Position von Machterhalt und Besitzsicherung der herrschenden Klassen gegenüber. Der Ausweg bestünde in der Entfaltung einer "solidarischen Vernunft", und diese "handelt spontan, keine Parteilinie und kein Dogma engen sie ein".(5) Der Autor sieht also keine Notwendigkeit einer einheitlichen Organisation, Leitung und Strategie. Um die Herrschaft des heute international organisierten Industrie-, Finanz- und Rüstungskapitals zu brechen, bedarf es nach Ziegler nur des folgenden: "Die allermeisten Oligarchen stammen aus Nordamerika und Europa. Bürger und Bürgerinnen dieser Staaten besitzen laut Verfassung alle demokratischen Rechte, Freiheiten und Werkzeuge, die notwendig sind, um die Diktatur der Konzerne zu stürzen. Alles, was es braucht, ist, die verfassungsmäßigen Waffen zu ergreifen und sie gegen die weltbeherrschenden Finanzoligarchen zu richten ..., und schon morgen früh bricht die kannibalische Weltordnung zusammen."(6) Man braucht nur wenig Geschichtswissen zu der Erkenntnis, wie wirklichkeitsfremd und wissenschaftlich unseriös diese Vorstellung ist.

Zieglers berechtigte Fragen lassen sich mit Marx so beantworten: Ohne revolutionäre Theorie, ohne entwickeltes Klassenbewußtsein, ohne Organisation und zentrale Leitung und ohne revolutionäre Strategie kein Sturz dieses kannibalischen Systems!

Eine ähnliche Position findet sich bei dem ebenfalls international angesehenen US-amerikanischen Politologen Noam Chomsky. Er beantwortet in seinem Buch die Frage: "Wer beherrscht die Welt?"(7) Mit großer Scharfsichtigkeit, mit faktenreichen Darlegungen und mit eindeutigen Wertungen stellt er die vom nordamerikanischen Finanz- und Rüstungskapital betriebene und von der jeweiligen USA-Regierung realisierte Politik einschließlich ihrer militärischen Komponente als Weltherrschaftsstreben dar. Er belegt dies mit der Erklärung der Clinton-Administration: "... die Vereinigten Staaten haben das Recht, militärische Gewalt einzusetzen, um sich ungehinderten Zugang zu Schlüsselmärkten, Energievorräten und strategischen Ressourcen zu verschaffen."(8) Die von dieser Position ausgehenden Gefahren für die Weltgesellschaft schildert Noam Chomsky anschaulich an zahlreichen Vorgängen der vergangenen Jahrzehnte. Viele Aspekte der radikalen Kapitalismuskritik Chomskys kommen marxistischem Denken recht nahe. Daher ist es bedauerlich, daß er die tiefer gehenden und umfassenderen Analysen des Zusammenhangs von Privateigentum an den Produktionsmitteln, Profitmaximierung, Kapitalkonzentration, der Lösung des Finanzkapitals vom realen Produktionsprozeß, wie sie in der marxistischen Literatur vorliegen, ignoriert. Dadurch bleibt er bei der Kritik von Oberflächenerscheinungen und Wirkungen, statt auf Ursachen und Wurzeln zurückzugreifen, die er eben bei Marx fände. Den Grund dafür erkennt man bei Betrachtung seiner Schlußfolgerungen. Er stellt die Frage: "Welche Grundsätze und Werte regieren die Welt?"(9) Er fordert: "Diese Frage sollte in den Köpfen der Bürger reicher und mächtiger Staaten an erster Stelle stehen." Nun werden aber die Köpfe der Bürger dieser Staaten täglich vom politischen und journalistischen Mainstream mit jenen westlichen "Werten" vollgestopft, die ja die geistigen und weltanschaulichen Garantien für den Erhalt dieses Systems enthalten. Die "Bürger reicher und mächtiger Staaten" nach 412 Seiten radikaler Kapitalismuskritik mit dem Verweis auf die westlichen Grundsätze und Werte zu entlassen, ist eindeutig eine Sackgasse. In diese gerät man, wenn man bei allen ernsthaften antikapitalistischen Absichten an Marx vorbeikommen will.

Diese Autoren sowie gleichgesinnte Akteure sind selbstverständlich engste Verbündete aller fortschrittlichen antikapitalistischen Kräfte. Dabei geht es gegenwärtig - da wir in den hochentwickelten Industrieländern keine revolutionäre Situation haben - um die Erkämpfung spürbarer sozialpolitischer Verbesserungen und um Herstellung friedenspolitischer Sicherheit. An diesem Kampfabschnitt müssen alle antikapitalistischen Kräfte gemeinsam agieren, um einen Massenwiderstand gegen das "kannibalische System" und gegen eine "Wirtschaft, die tötet" (Papst Franziskus) zu formieren.

Aber hier tritt die Dialektik dieses Prozesses zutage. Einerseits tragen die genannten wie viele ungenannte Kapitalismuskritiker dazu bei, breitere Volksschichten von der Menschenfeindlichkeit dieses Systems zu überzeugen und in den Kampf dagegen einzubeziehen. Andererseits aber empfehlen sie Lösungswege und Zielstellungen, mit denen kein Systemwandel erreichbar ist und wodurch Kräfte ins Leere geleitet werden. Damit wird trotz aller Erkenntnis der Menschenfeindlichkeit dieses Systems der Kampf dagegen eher behindert.

Dieser dialektische Widerspruch muß von linker Strategie beachtet werden. Bündnis mit allen prinzipiell Gleichgesinnten, aber auch kollegialer und sachlicher Meinungsstreit über Strittiges. Dabei darf nie vergessen werden, wo in den Auseinandersetzungen der Hauptfeind steht.

Prof. Dr. habil. Herbert Meißner

Literatur
1) Jean Ziegler: Ändere die Welt. Bertelsmann-Verlag, München 2015
2) a.a.O., S. 141
3) a.a.O., S. 144
4) a.a.O., S. 259
5) a.a.O., S. 275
6) a.a.O., S. 278
7) Noam Chomsky: Wer beherrscht die Welt? Ullstein-Verlag, Berlin 2016
8) a.a.O., S. 65
9) a.a.O., S. 344

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Warum bleibt Marx aktuell?

Auch bei Linken ist nicht selten zu hören -Marx, das war doch vor mehr als 150 Jahren, der ist doch längst überholt. "Von wem?", fragte jemand. Eine Frage, die ich gut finde. Denn seit Marx und Engels das Kommunistische Manifest und das Kapital veröffentlich hatten, haben bürgerliche Wissenschaftler immer wieder versucht, dessen Inhalte zu widerlegen - dahin gehende Erfolge sind mir nicht bekannt. Nach der Niederlage der sozialistischen Staaten in Europa - des ersten Anlaufs, eine alternative Gesellschaftsordnung zum Kapitalismus auf marxistischer Grundlagen zu gestalten - fühlten sich die "Widerleger" zum ersten Mal bestätigt. Doch als die Ernüchterung einsetzte, war selbst von Nichtmarxisten zu hören: "Was Marx über den Kapitalismus geschrieben hat, ist richtig, es ist aber alles noch viel schlimmer."

Warum bleibt Marx aktuell?

Der Marxismus ist eine Wissenschaft, die sich wie andere Wissenschaften auch weiterentwickelt, deren Grundaussagen aber gültig bleiben, was ein Beispiel aus der Physik verdeutlichen mag. Die moderne Quantentheorie war eine qualitativ enorme Weiterentwicklung der Physik, doch die Newtonschen Axiome wurden deshalb nicht ungültig.

Was sich ändert, ist der Zugewinn neuer Erkenntnisse, sind Präzisierungen, Erweiterungen. Lenin analysierte - sich auf den Marxschen wissenschaftlichen Sozialismus berufend - detailliert die imperialistische Entwicklungsstufe des Kapitalismus und zog daraus Schlußfolgerungen für die aktuellen Klassenkämpfe.

Seine theoretischen Arbeiten und praktischen Erfahrungen bereicherten die marxistische Theorie in großem Umfang, stellten sie aber nie in Frage. Auch der Kapitalismus der Gegenwart unterscheidet sich in seinen Erscheinungsformen grundsätzlich von dem Bild, das er zu Marx' Lebzeiten bot. Anders als damals werden heute durch die Banken Geschäfte mit virtuellen Werten (Wertpapieren) gemacht. Die Differenz zwischen Armut und Reichtum ist inzwischen so groß, wie Marx es sich sicher kaum vorstellen konnte. Doch die alte Triebkraft, die uneingeschränkte Gier nach Profit, bleibt systembestimmend. Das Betriebsgeheimnis des Kapitalismus ist, wie Marx es herausarbeitete, die private Aneignung der gesellschaftlichen Arbeitsergebnisse, heute erweitert durch die Aneignung aller für das Leben der Gemeinschaft notwendigen Bedingungen, einschließlich des Trinkwassers.

Die wissenschaftliche Leistung von Marx und Engels geht über die Analyse der kapitalistischen Gesellschaftsformation weit hinaus. Sie analysierten die Entwicklungs- bzw. Bewegungsgesetze der menschlichen Gesellschaft, ausgehend von der Lösung des Menschen aus dem Tierreich durch Arbeit und der immer weiteren Arbeitsteilung, die zu sich ablösenden Gesellschaftsformationen mit jeweils sich gegensätzlich gegenüberstehenden Klassen führt, bis hin zu einer klassenlosen Gesellschaft. Das Kriterium für die Klassenzuordnung heißt: Eigentümer von Produktionsmitteln einerseits und Nichteigentümer andererseits und damit Besitzende = Herrschende auf der einen und Abhängige auf der anderen Seite. Auch wenn sich die Zusammensetzung der Klassen verändert, ändert sich an deren objektiver Lage nichts. Viele sich der Mittelschicht zugehörig Fühlende sind - unabhängig von ihrem Wollen - zur Klasse der Lohnabhängigen zu rechnen, selbst Wissenschaftler.

Marx kennzeichnet die Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen. Er hat dem Proletariat den Ausweg aus der geistigen Sklaverei gewiesen, in der alle unterdrückten Klassen bisher ihr Leben fristeten. Sie werden immer einfältige Opfer von Betrug und Selbstbetrug sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klasse zu suchen.

Der von Marx als Triebkraft der Entwicklung benannte Widerspruch von Produktivkräften und diesen nicht mehr entsprechenden Produktionsverhältnissen drängt zu einer Lösung. Marx hat diesen Prozeß als unausweichlich bezeichnet, aber keine Zeitvoraussagen gemacht und nicht behauptet, daß er gradlinig verläuft. Lenin warnte vor möglichen Rückschlägen, deren Ursache er vor allem in mangelnder Qualität der führenden Partei sah, wenn sie es nicht versteht, die Massen (das Volk) mitzunehmen und ständige Produktivitätsverbesserungen zu organisieren.

Die im dialektischen Materialismus benannten Widersprüche als Triebkraft der Entwicklung gelten weiterhin. Neben dem Grundwiderspruch die unterschiedlichen Widersprüche aufzuzeigen und aus der Analyse die Schlußfolgerungen für den aktuellen Klassenkampf abzuleiten, hat Lenin meisterhaft verstanden und praktiziert.

Für den, der heute in der scheinbar unorganisierten Welt mit der enormen Vielfalt und Komplexität der Erscheinungen den Durchblick behalten will, erweist sich der Marxismus-Leninismus nach wie vor als guter Kompaß. Warum sollen oder wollen Linke darauf verzichten? In schwierigem Gelände ist ein Kompaß besonders wichtig.

Horst Neumann

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Der Planwirtschaft gehört die Zukunft

Bei vielen, auch Linken, gibt es gegenwärtig geringe Bereitschaft oder gar Abneigung, in einer Planwirtschaft eine Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft zu suchen. Mit dem Verweis auf die praktizierte Planwirtschaft in den sozialistischen Ländern wird sie als innovationsfeindlich, uneffektiv und bürokratisch abgetan.

Eine solche Einstellung kann ich aus den Erfahrungen der Wirtschaftspraxis in kapitalistischen wie auch aus unserer eigenen Wirtschaftstätigkeit heraus nicht teilen. Für mich gehört der Planwirtschaft eindeutig die Zukunft, wobei natürlich gründlich darüber nachgedacht werden muß, wie sie konkret auszugestalten ist.

Planung bedeutet doch zunächst einmal nichts weiter, als daß es zum Wesen jeglicher menschlicher Tätigkeit gehört, vor jeder Entscheidung eine gedankliche Vorwegnahme dessen vorzunehmen, was man erreichen will. Planung beinhaltet demnach im Prinzip immer nur die Bestimmung des Zieles, die Erfassung aller dazu erforderlichen Mittel und Kräfte, die Festlegung der Maßnahmen, die Organisation der Durchführung, Erfolgskontrolle und gegebenenfalls die Korrektur der Maßnahmen. Doch immer noch weit verbreitet ist die Forderung, der Staat solle sich in die Wirtschaft nicht einmischen, ebenso die "Gewißheit", der Markt würde es schon richten, womit von einer Überlegenheit der Marktwirtschaft über die Planwirtschaft ausgegangen wird, da sie allein Effektivität und Wachstum ermöglichen würde. Tatsächlich scheint es einen gewissen Zusammenhang zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und Wirtschaftswachstum zu geben, zumindest hat sich die Entwicklung der Produktivkräfte in der gesamten vorherigen Menschheitsgeschichte nie so rasant entwickelt wie in der Zeit der kapitalistischen Marktwirtschaft auf der Basis des Privateigentums.

Legt man jedoch für ein praktikables Wirtschaftsmodell ausschließlich Effektivitätskriterien, Wachstum und Innovationsfähigkeit zugrunde, geht das deutlich an den wirklichen Problemen unserer Zeit vorbei.

Das alleinige Kriterium in höherentwickelten Industriestaaten sollte nicht noch mehr Wachstum sein, obwohl dieses auch zukünftig eine bestimmte Rolle spielen wird, sondern die Frage einer gerechteren Verteilung der gemeinschaftlich erwirtschafteten Reichtümer, die Lösung gravierender Probleme wie Massenarbeitslosigkeit, Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, Zukunftsängste der Menschen. All diese Gebrechen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung werden nicht nur von Kommunisten benannt, sondern sind bereits in das Bewußtsein breitester Bevölkerungsschichten eingedrungen. Allerdings werden sie oft als eine Art Naturgesetz betrachtet, an dem man nichts ändern könne. Doch diese Probleme werden von Menschen gemacht und können auch nur durch bewußtes Handeln der Gesellschaft gelöst werden. Man muß erkennen, daß in der Gesellschaft nichts, absolut nichts passiert, ohne daß es auf Entscheidungen und Handlungen von Menschen zurückzuführen ist. Die Frage ist nur: Wer entscheidet mit welchen Befugnissen, aus welchem Interesse und welchem Wissensstand über Konsequenzen seiner Entscheidung? Wir wissen, daß nahezu alle auf wirtschaftspolitischem Gebiet getroffenen Entscheidungen von Kapitaleigentümern nach dem Maßstab höchsten eigenen Profits getroffen werden, was zwangsläufig die genannten Probleme verursacht. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung hat sich über Jahrhunderte hinweg als unfähig erwiesen, die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse im Interesse aller Menschen, des Schutzes der Natur und der Sicherung des Friedens zu organisieren. Der Kapitalismus hat zwar nach jeder "Katastrophe" (Krisen, Kriege, soziale Kämpfe usw.) eine gewisse Stärke zurückgewonnen, doch deren Folgen nehmen für Mensch und Natur immer verheerendere Ausmaße an.

Deshalb halte ich es für ein Gebot gesellschaftlicher Vernunft, die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise zu überwinden, das Privateigentum an Produktionsmitteln aufzuheben und solche Verhältnisse zu schaffen, daß die Gesellschaft Herr ihrer selbst wird. Ihre Abhängigkeit von der scheinbaren Allmacht des Kapitals muß überwunden werden, weil sonst die menschliche Existenz auf dieser Erde generell gefährdet ist - so deutlich muß man das benennen.

Mit solchen Vorhaben wie Energiewende, Verkehrsprojekte, Mindestlöhne, Mietpreisbremse, Bankenkontrolle, Umweltschutzauflagen u. a. versucht der Staat offensichtlich gegenzusteuern, doch muß das alles Stückwerk und ziemlich wirkungslos bleiben, weil eben an dieser "Allmacht" des Privatkapitals nicht gerüttelt wird. Es werden bestenfalls Symptome bekämpft, die Ursachen aber nicht beseitigt. So können Mindestlöhne und Vermögenssteuer (sollte sie je ins Auge gefaßt werden) nicht verhindern, daß Kapitaleigner immer reicher werden und der Rest der Bevölkerung immer weiter verarmt. Die Mietpreisbremsen verhindern keinen Mietwucher. Trotz aufwendiger internationaler Inszenierungen und Aktionismen schreitet die Klimakatastrophe weiter voran. Die Festlegungen zur "Energiewende" laufen praktisch ins Leere.

Natürlich waren auch für die DDR-Volkswirtschaft Fragen von Effektivität und Wirtschaftswachstum eminent wichtig, aber dem übergeordnet war die Maxime, daß die Wirtschaft dem Wohl des Volkes zu dienen hat und nicht dem der Kapitaleigentümer. Die Organisierung aller Wirtschaftsabläufe, die auf die Interessen der ganzen Gesellschaft und aller ihrer Mitglieder ausgerichtet ist - das ist Planwirtschaft. Damit wurde bewiesen, daß Arbeits- und Obdachlosigkeit vermieden werden können, eine soziale Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich nicht entstehen muß, daß Ursachen für Flüchtlingskatastrophen und Kriege beseitigt werden können und vieles andere mehr. Festzuhalten bleibt, daß unsere Planwirtschaft der kapitalistischen Anarchie, also der Nichtbeherrschbarkeit volkswirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Prozesse, deutlich überlegen war.

Das "Geheimnis" unserer in diesen Fragen überlegenen Wirtschaftspolitik liegt vor allem darin begründet, daß wir konsequent eine Entprivatisierung der Eigentumsverhältnisse vorgenommen und damit überwiegend vergesellschaftetes Eigentum (Volkseigentum) geschaffen haben. Das war die grundlegende Voraussetzung dafür, daß die Gesellschaft - vertreten durch entsprechende staatliche Organe - die Verfügungsmacht über die Leistungspotentiale, Produktionsmittel, Energien usw. übernehmen und im Interesse aller Menschen ausüben konnten. Wir haben uns nicht in die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Machtstrukturen begeben, die ihre Entscheidungen nur auf die eigene Profiterwirtschaftung ausgerichtet haben. Für uns war der Bedarf der Menschen und der Gesellschaft Ausgangs- und Zielpunkt allen wirtschaftlichen Handelns, und nicht nur Mittel zum Zweck der Profiterwirtschaftung. In dieser Beziehung haben wir für die Konzipierung eines Wirtschaftsmodells der Zukunft enorm Wichtiges einzubringen. Diese Erfahrungen darf man nicht ignorieren, auch wenn ernsthafte kritische Analysen sehr angebracht sind.

Von allen Gegnern einer Planwirtschaft wird behauptet, daß sich diese in der Praxis nicht bewährt hätte, denn sie wäre uneffektiv. Abgesehen davon, daß das nicht bewiesen ist, muß gesagt werden, daß es mit unserer konkreten Planmethodik nur ungenügend gelang, die Interessen und Initiativen der Betriebe und Werktätigen auf eine bedarfsgerechte, effektive Produktion zu lenken. Daraus aber zu schlußfolgern, Planwirtschaft müsse gänzlich abgelehnt werden, ist sachlich nicht zu begründen.

Es gibt einen weiteren Aspekt. Wir haben der Seite, die der kapitalistischen Wirtschaft eine gewisse Stärke gegeben hat - den Marktbeziehungen, d. h. den über die Preise vermittelten Interessenausgleich zwischen Produzenten und Konsumenten - zu wenig Beachtung geschenkt, haben diesen Wirkungsmechanismus als untauglich für eine sozialistische Planwirtschaft angesehen und praktisch außer Kraft gesetzt. Berechtigte Kritik daran sollte aber nicht an dem Mechanismus an sich geübt werden, sondern an den Marktakteuren, also vor allem den profitorientierten Entscheidungen der Privateigentümer an Produktionsmitteln.

Ich bin überzeugt davon, daß eine bewußte, kontrollierte Ausnutzung dieses Marktmechanismus ein unverzichtbares Element eines neuen, zukunftsfähigen Planwirtschaftsmodells sein kann und sein muß.

Die Informationen, die aus einer Optimierung von kostengünstiger Produktion und bestmöglicher Bedarfsbefriedigung auf der Ebene der Ware-Geld-Beziehungen gewonnen werden, können einen bedeutenden Beitrag leisten zur Qualifizierung des gesamten Planungsprozesses. Plan und Markt stehen eben nicht nebeneinander, schließen sich auch nicht gegenseitig aus. Sie stehen als ökonomische Kategorien ohnehin nicht auf einer Ebene. Der Markt kann praktisch nur Informationen liefern und Handlungen motivieren, aber die Planentscheidungen darüber treffen immer nur die Eigentümer: die Kapitalisten auf der Jagd nach Maximalprofit - im Volkseigentum nach Maßgabe der Bedürfnisbefriedigung der Gesellschaft und der einzelnen Menschen. Ich halte deshalb die Entwicklung eines marktgestützten Planwirtschaftsmodells für erforderlich und für zukunftsfähig.

Dr. Peter Elz

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Wissenschaftliche Weltanschauung
Lenin: "Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus" (Teil 2)
Sendung des Deutschlandsenders vom 6. Mai 1974

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Meine Begegnung mit Karl Marx - 1941

Wenn ich hier behaupte, daß ich am 1. Oktober 1941 Karl Marx persönlich begegnet bin, so wird der Leser sagen: Dieser Kerl hat durchgedreht. Und doch entspricht meine Geschichte Punkt für Punkt der Wahrheit.

Wir waren etwa 200 Rekruten, die an jenem Oktobertag auf dem Gelände der Flak-Ersatz-Abteilung 12 in Berlin-Lankwitz antraten. Ein bunter Haufen in Zivil, jeder mit einem Köfferchen oder Pappkarton in der Hand. Etliche Unteroffiziere umkreisten uns wie Hirtenhunde ihre Herde. Bald standen wir tatsächlich in Reih und Glied. Einer der Wachtmeister machte einem Vorgesetzten Meldung. Dieser brüllte uns zu: "Morgen Rekruten!" Zweihundertstimmig erscholl die Antwort: "Morgen" - aber sehr viel dünner kam die Fortsetzung "Herr Hauptwachtmeister". Der mickrige Gegengruß paßte dem Betreßten nicht.

Er stellte sich uns nun mit unverhohlener Ironie vor: Er sei der Hauptwachtmeister Strehlow, gewissermaßen die "Mutter der Batterie". Das also war der "Spieß". Er hielt eine kurze Rede, von der mir nur noch in Erinnerung ist, welch großes Glück es doch für uns wäre, gerade der 3. Batterie zugeteilt worden zu sein. Allein, daß unsere Unterkunft so nahe am Kasernentor läge, sei für uns schon von Vorteil. Während andere beim Ausgang erst den weiten Weg zur Wache zurücklegen müßten, hätten wir mit unseren Bräuten die Bänke im Lankwitzer Park längst besetzt. In diesem Kommißstil ging es noch eine Weile weiter.

Nach der "Zeremonie" durften wir unsere private Habe wieder aufnehmen, und eine Gruppe von schon länger dienenden Gefreiten und ein Obergefreiter führten uns in die Unterkünfte.

Dann ging es zur Kleiderkammer. Anschließend sollten wir uns in der "Schreibstube" melden. Dort reihte ich mich bei den schon Wartenden ein. Einer nach dem anderen wurden wir hineingerufen, um unsere persönlichen Daten anzugeben. In dem kargen Raum - das Hitler-Bild an der Rückwand bildete den einzigen "Schmuck" - saßen vier Gestalten, die Kälte und Unnahbarkeit ausstrahlten: der Hauptwachtmeister, ein Unteroffizier und zwei Gefreite. Wer den Raum betrat, hatte kaum Bewegungsfreiheit: Eine Grundfläche von etwas über einem Quadratmeter war von einer etwa 1,50 m hohen Holzbarriere umgeben, die jedem, der sich solchermaßen eingezwängt sah, das Gefühl geben sollte, quasi ein Angeklagter zu sein.

Ich hatte gerade den Verschlag betreten, da drängten sich noch zwei weitere Personen - eine in Uniform, eine in Zivil - in das enge Geviert. Der Uniformierte nahm Haltung an und wandte sich an den Hauptwachtmeister: "Läufer vom Dienst von der 2. Batterie meldet sich mit einem Rekruten zur Stelle."

Der Hauptwachtmeister sah erstaunt auf. "Und, was wollen Sie?" "Der Herr Hauptwachtmeister der 2. Batterie läßt fragen, ob der Herr Hauptwachtmeister noch einen Tischler gebrauchen kann." Und mit Blick auf den Rekruten: "Der hier ist einer."

Der Spieß ließ seinen Blick von einem zum anderen schweifen. Irgend etwas schien ihm nicht geheuer. Schließlich fragte er den Rekruten, wo er zuletzt gearbeitet habe. Der nannte einen Berliner Tischlereibetrieb. "Und, was haben Sie da gemacht?"

"Türen, Fenster und Wandverkleidungen, Herr Hauptwachtmeister." Der grübelte einen Augenblick und meinte dann: "Wandverkleidungen - das könnten wir gebrauchen. Haben Sie denn Beziehungen zu Holz?" Der so Angesprochene, der die ganze Zeit einen ausgesprochen unglücklichen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, lebte sichtlich auf: "Da wird sich gewiß etwas machen lassen, Herr Hauptwachtmeister!"

"Na gut", sagte dieser, und wandte sich an einen der Schreiber: "Nehmen Sie die Personalien von dem Mann auf." Ich sah, wie der Läufer vom Dienst plötzlich zu grinsen begann, der Rekrut aber sichtlich in sich zusammensackte. Der Hauptwachtmeister, der während des Gesprächs aufgestanden war, hatte sich wieder hingesetzt, um seine Papiere durchzusehen. Der Schreiber nahm ein Formular zur Hand und fragte: "Name?" Der Tischler atmete tief durch und sagte dann: "Marx." Ruckartig richtete sich der Hauptwachtmeister hinter seinem Schreibtisch auf. Ich hatte einen solchen Namen nie zuvor gehört, merkte aber am Verhalten der anderen, daß hier etwas Besonderes abging. "Sind Sie Jude?", fragte der Spieß. "Nein, Herr Hauptwachtmeister." Der wandte sich wieder seinen Papieren zu. Das war für den Schreiber das Zeichen, die Befragung fortzusetzen. "Vorname?" Wieder tiefes Durchatmen bei dem Befragten. Dann: "Karl."

Wie von der Tarantel gestochen schoß der Hauptwachtmeister in die Höhe, sein Stuhl knallte krachend an die Rückwand. Ich fuhr erschrocken zusammen, begriff diese Aufregung ganz und gar nicht. "Wollen Sie uns verscheißern, Mann?" "Nein, Herr Hauptwachtmeister, ich heiße so." "Zehn Kniebeugen!"

Ich verstand noch immer nicht, was den Hauptwachtmeister so in Rage versetzt hatte. Inzwischen war der Jüngling mit dem offensichtlich Ärger auslösenden Namen dabei, sich einen Standort auszusuchen, wo er dem Befehl des Hauptwachtmeisters nachkommen konnte.

Ich machte mich im wahrsten Sinne des Wortes "dünne", um ihm Raum für seine Übung zu geben. Der Hauptwachtmeister hatte inzwischen zum Telefonfonhörer gegriffen, um den Spieß der 2. Batterie anzurufen. Man konnte das dröhnende Gelächter vom anderen Ende der Leitung ahnen. Unser Vorgesetzter sagte jedenfalls mit grimmigem Humor, daß er sich für das Angebot bedanke und der andere mit dem Kuckucksei gefälligst selber fertig werden solle. Dann wandte er sich wieder dem Rekruten zu und meinte: "Na, dann sehen Sie mal zu, wie Sie bei der Deutschen Wehrmacht bestehen werden - und nun aber raus hier!"

Ich kann nicht leugnen, daß mich dieser Vorgang ziemlich eingeschüchtert hatte. Wie sollte ich denn wissen, welcher Makel vielleicht auch meinem Namen anhaftete? So antwortete ich denn, danach gefragt, ziemlich leise. Wieder sah der Hauptwachtmeister auf. "Was ist los, Mann? Sind Sie heiser?" "Nein, Herr Hauptwachtmeister." "Na, dann antworten Sie laut und deutlich!"

Nun brüllte ich nach bestem Können meinen Namen in den Raum und war froh, daß offenbar nichts Fragwürdiges damit verbunden war. Natürlich dachte ich lange über das Erlebte nach, traute mich aber nicht, bei irgendwem in meiner neuen Umgebung nachzufragen. Erst Jahre später begriff ich, welch großem Namen ich an jenem 1. Oktober 1941 begegnet war.

Helmuth Hellge

(Erstveröffentlichung im RF 119, Dez. 2007)

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Karl-Marx-Würdigung im "Widerspruch"

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Vom Sowjetkongreß direkt zur Denkmalseinweihung

Die ersten Monumente und Gedenktafeln zu Ehren von Karl Marx wurden in Sowjetrußland 1918 eingeweiht. Am 12. April 1918 faßte der Rat der Volkskommissare einen Beschluß über die Denkmäler der Republik. Danach wurden Monumente, die zu Ehren der Zaren und ihrer Vasallen errichtet worden waren und weder historischen noch künstlerischen Wert hatten, abgerissen. Dafür sollten großen Denkern und Kämpfern für das Glück der Menschheit sowie fortschrittlichen Künstlern aller Völker und aller Zeiten Denkmäler gesetzt werden. Lenin unterzeichnete 1918 den Regierungsbeschluß, der eine Liste dieser Denkmäler enthielt. Einen besonderen Platz nahmen darin die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus, Karl Marx und Friedrich Engels, ein.

Künstler, die auf der Seite der Revolution standen, machten sich an die Verwirklichung des Planes. Am 1. Mai 1918 trugen viele Städte ein festliches Gewand. In Pensa wurde ein Karl-Marx-Denkmal eingeweiht.

Am 7. November 1918, dem ersten Jahrestag der Oktoberrevolution, versammelten sich in Moskau auf dem Platz der Revolution Arbeiter, Matrosen und Rotarmisten zur Enthüllung eines Denkmals für Karl Marx und Friedrich Engels. An der Spitze der Delegierten des 6. Russischen Außerordentlichen Sowjetkongresses trafen Lenin und Swerdlow ein. Die festliche Atmosphäre haben Kameraleute und Bildreporter für die Nachwelt festgehalten.

Auf einem der Fotos ist Lenin zu sehen. Er steht am Sockel des Monuments und spricht zu den Massen. Er beendete seine Rede mit den Worten: "Mögen die Denkmäler für Karl Marx und Friedrich Engels Millionen Arbeiter und Bauern immer wieder daran erinnern, daß wir in unserem Kampf nicht allein stehen ... Im gemeinsamen Kampf wird das Joch des Kapitals zerbrochen und der Sozialismus endgültig errungen werden!"

Karina Konnowa
(RF-Archiv)

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BUCHTIPS

- Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie | Erster Band, Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals
Neue Textausgabe, bearbeitet und herausgegeben von Thomas Kuczynski

Karl Marx hat den ersten Band seines Hauptwerks nicht mehr in der Fassung veröffentlichen können, die ihm selbst Ende 1881 vor Augen stand. Hauptstreitpunkt bei den nach seinem Tod erschienenen Ausgaben war stets, inwieweit die von ihm in der französischen Ausgabe vorgenommenen Änderungen gegenüber der zweiten deutschen Ausgabe zu berücksichtigen seien.

Er selbst war der Auffassung, daß er dort "manches Neue zugesetzt und vieles wesentlich besser dargestellt habe", daß die Ausgabe daher "selbst von Lesern zu Rate gezogen werden (sollte), die mit der deutschen Sprache vertraut sind", und er verlangte, "daß der Übersetzer stets sorgfältig die zweite deutsche Auflage mit der französischen vergleicht, da die letztere viele wichtige Änderungen und Ergänzungen enthält".

Die neue Textausgabe basiert auf diesem geforderten Vergleich, aber nicht nur dieser beiden, sondern aller von Marx und Engels edierten Ausgaben und Übersetzungen. Damit verwirklicht der Herausgeber ein Projekt, das zwar im damaligen Marx-Engels-Institut in Moskau in Angriff genommen worden war, aber nach dessen Schließung (1931) nie realisiert wurde, wobei der in der Marx-Engels-Gesamtausgabe erreichte Forschungsstand selbstverständlich berücksichtigt ist.

Der Vorzug der Ausgabe ist ihre Lesefreundlichkeit, weil allein am Text Interessierte beim Studium nicht durch früher notwendiges Nachschlagen im Anhang aufgehalten werden. Der beigelegte USB-Stick enthält den Text einschließlich des historisch-kritischen Apparates, der die ihm zugrundeliegenden Quellen im einzelnen sichtbar macht.

VSA-Verlag, Hamburg 2017. 800 Seiten, 19,80 €


- Hajo Funke: Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz.
Staatsaffäre NSU: das V-Mann-Desaster und was daraus gelernt werden muß

Die Kette an Vertuschungen, Blockaden, Schwärzungen und bewußten Vernichtungsaktionen von zentralem Archivmaterial macht den NSU-Fall zu einem politischen Skandal des Verfassungsschutzsystems in der Bundesrepublik. "Je mehr V-Leute in einen Mord oder Anschlag verstrickt waren, desto unwahrscheinlicher wird dessen vollständige Aufklärung und die Verurteilung aller Täter und ihrer Hintermänner." (Christiane Mudra) Klar ist: Der NSU konnte auf ein Netzwerk an Unterstützern zurückgreifen; der Verfassungsschutz war den rechten Mördern durch V-Männer zum Greifen nah, ohne das Nötige getan zu haben. An der Aufklärung hapert es seit langem, denn der NSU-Skandal ist kein Einzelfall: Verstrickungen samt beteiligten Verfassungsschützern gibt es seit über 50 Jahren, ohne daß es bis heute zu einer Reform an Haupt und Gliedern gekommen wäre. Weder ist der Mord an Siegfried Buback 1977, das Oktoberfestattentat 1980 noch das Totalversagen der Sicherheitsbehörden im Fall Anis Amri 2016 aufgeklärt. Eine Fortführung der Aufklärung des NSU-Komplexes in der kommenden Legislaturperiode ist unverzichtbar. Der Auftrag eines weiteren Untersuchungsausschusses müßte lauten: "(Rechts-)Terrorismus und Geheimdienste". Denn Ausmaß und Form der Infiltration sind trotz der immer länger werdenden Liste enttarnter V-Leute, Gewährsleute, verdeckter Ermittler und Agents provocateurs eines der Geheimnisse der Dienste, an der sich auch der zweite Untersuchungsausschuß des Bundestags die Zähne ausgebissen hat. Ohne die Einstellung dieser unkontrollierten Praxis und des Schutzes von neonazistischen Gewaltverbrechern bleibt der Verfassungsschutz ein unkalkulierbares und unkontrollierbares Sicherheitsrisiko in Zeiten des Terrors. Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit müssen auf hundertprozentige Aufklärung und entsprechende Konsequenzen dringen.

VSA-Verlag, Hamburg 2017. 240 Seiten, 16,80 €


- Björn Allmendinger u.a. (Hrsg.): Von Biedermännern und Brandstiftern
Rechtspopulismus in Betrieb und Gesellschaft / Hustedter Beiträge zur politischen Bildung, Band 6

Warum wirkt der Rechtspopulismus bei "Arbeitnehmern"? Viele Menschen fühlen sich von der herrschenden politischen Klasse nicht mehr vertreten. Durch die fortschreitende Prekarisierung werden immer mehr Kollegen vom regulären Arbeitsmarkt ausgegrenzt. Auch die Entwicklung in Richtung einer digitalen Gesellschaft ("Industrie 4.0") schürt Abstiegsängste.

Gewerkschaften müssen diese Sorgen aufgreifen und zugleich ihre Kernthemen vorantreiben: betriebliche Mitbestimmung, Teilhabe und Anerkennung, gute Arbeit mit gerechten Löhnen und eine Rente, die zum Leben reicht. Es geht aber auch um die Verteidigung gewerkschaftlicher Grundwerte wie Solidarität, kulturelle Vielfalt und Chancengleichheit.

Die deutschen Gewerkschaften treten aus ihrer historischen Erfahrung heraus für Toleranz, Gerechtigkeit und Demokratie ein, innerhalb und außerhalb der Betriebe. Gerade sie sind gefordert, mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam Lösungsansätze für eine gerechtere Politik zu entwickeln.

Der Band verbindet sozial- und politikwissenschaftliche Analysen mit dem notwendigen gewerkschaftlichen Diskurs über den Umgang mit und Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtspopulisten in Betrieb und Gesellschaft.

VSA-Verlag, Hamburg 2017. 232 Seiten, 14,80 €


Antiquarisch
- Robert-Jean Longuet: Karl Marx, mein Urgroßvater

Ein Urenkel erinnert sich an Familiengespräche über seinen Urgroßvater, er liest zahlreiche Dokumente und Briefe und kommt nicht mehr davon los - eine Biographie aus ganz persönlicher Sicht ist das Ergebnis. Longuet begleitet Marx auf seinen Lebensstationen: Er beschreibt die Jugend im fortschrittlichen Elternhaus, die Studienzeit in Bonn und Berlin, die erste politische Bewährungsprobe als Redakteur der "Rheinischen Zeitung", seine Liebe zu Jenny von Westphalen und ihre Heirat, das politische Leben in Paris und Brüssel bis zur Revolution von 1848, die Freundschaft mit Friedrich Engels, ihr gemeinsames Ringen um die Herausbildung des wissenschaftlichen Kommunismus; schließlich Marx' Leben im Londoner Exil: die schweren fünfziger Jahre, in denen drei Kinder starben, die Arbeit an seinem Hauptwerk "Das Kapital", die Jahre der Internationalen Arbeiterassoziation; und immer wieder Jenny und die Kinder, später die erwachsenen Töchter, Schwiegersöhne und Enkel.

Dietz-Verlag, Berlin 1982 (in der Taschenbuchreihe Geschichte)

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Über das Exemplarische am "Fall Modrow"

Die Bundesrepublik ist die Heimat der "reinen Stasi-Lehre". Die ist Chefsache in Regierung und in Leitmedien, hat in Schulen den Rang, den einst die Bibel hatte, und wird von einer eigenen Bundesbehörde verwaltet. Sie besagt: Es gab im kalten Krieg nur einen Geheimdienst, die "Stasi", und in der Bundesrepublik im Grunde keinen. Dort gab und gibt es, so das Glaubensdogma, eine "offene" Gesellschaft, was bedeutet, wie die Welt 2013 von Edward Snowden erfuhr, daß jeder westliche Geheimdienst von allen alles weiß. Mit Überwachung hat das aber im Gegensatz zur "Stasi" nichts zu tun, weswegen auch die Kanzlerin seinerzeit, als Barack Obama ihr Handy abhören ließ, einen Vergleich von NSA, CIA, BND etc. mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR, dem MfS, empört ablehnte. Denn das sei "Verharmlosung".

Robert Allertz meint in seinem Buch "'Ich will meine Akte'. Wie westdeutsche Geheimdienste Ostdeutsche bespitzeln", der Merkelschen Ansicht könne man beipflichten, denn im Unterschied zur NSA habe sich das MfS an die Gesetze gehalten.

Ernst nehmen ließen sich die "Stasi"-Verrenkungen, mit denen die bundesdeutschen Anschlußfachleute und ihre willigen Helfer der DDR-Konterrevolution hausieren gehen, noch nie. Allerdings lernt der Leser auch: Die bundesdeutschen Geheimdienste haben den kalten Krieg gegen Ostdeutsche nie eingestellt. Sie bespitzeln sie bis heute.

Anderes war in der BRD nie zu erwarten, gleichwohl bleibt es grotesk. Allertz hat es daher nicht schwer, Unterhaltsames zu finden. Er bereitet vor allem den Fall des früheren DDR-Ministerpräsidenten und Sprechers des Ältestenrats der Partei Die Linke Hans Modrow auf, dem (soweit bekannt) ersten Ostdeutschen, der seine Westakte haben will. Er hatte sich im Januar 2013 an den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit der Frage gewandt, ob er unter Beobachtung stehe. Friedrich antwortete am 13. März 2013, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe über Modrow von 1965 bis 2012 Informationen gesammelt. Akteneinsicht könne er aber vergessen.

Das hat mit der Farce zu tun, die als "Deutsche Einheit" seit 1990 aufgeführt wird. Modrow ließ aber nicht locker und begehrte von Verfassungsschutz und BND auf juristischem und auf privatem Weg - er sprach mit Spitzenbeamten - Auskunft. Das hatte Schriftwechsel etwa zwischen der BND-Zentrale in Pullach und dem Bundeskanzleramt zur Folge, die im Buch teilweise nachzulesen sind - Stücke aus dem bürokratischen Tollhaus. Gleiches gilt für einen Text, den Modrow vom Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) erhielt.

"Im Wege des Ermessens", also gnadenhalber, gab die Behörde, die immerhin vom Bundesverfassungsgericht im ersten NPD-Verbotsverfahren bescheinigt erhielt, daß sie die Neonazipartei unterhielt, einige über Modrow gesammelte Informationen preis, darunter: "Sie äußerten sich häufig positiv zum Sozialismus", "Mehrfach äußerten Sie sich ablehnend zum 'Antikommunismus'", "Die linksextremistische Tageszeitung 'junge Welt' veröffentlichte am 25. Januar 2011 einen von Ihnen verfaßten Artikel, in dem Sie u. a. schrieben: 'Dem stand nicht zuletzt ein Antikommunismus als Staatsräson im Wege.'" Beleg für Modrows Gefährlichkeit war laut VS auch, daß er in der DDR simultan zwei Ämter ausübte: "Von November 1989 bis März 1990 waren Sie Vorsitzender des Ministerrates und Ministerpräsident der DDR."

Die Anhäufung von Blödeleien dieser Art ermüdet etwas, eine Schulung für ähnliche Auskunftsbegehren ist es allemal. Offiziell wurden von der Organisation Gehlen und dem BND 71.500 DDR-Bürger zwischen 1946 und 1990 überwacht. So steht es in der Antwort der Bundesregierung vom 19. Januar 2015 auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke. Die Zahl ist einer der Witze, mit denen Geheimdienste Politiker auf den Arm nehmen. Der Historiker Josef Foschepoth hat dokumentiert, daß im Überwachungsstaat BRD Hunderte Millionen Poststücke aus der DDR durchsucht und vernichtet wurden (siehe Bernd Gutte: Wer im Glashaus sitzt ..., RF 181, S. 10).

Modrow erfuhr übrigens bei seinen Recherchen, daß auch das MfS Ende der 1980er Jahre gegen ihn ermittelte und seine Akte am 5. Dezember 1989, als die sogenannten Bürgerbewegten in die Dresdener MfS-Verwaltung eindrangen, wahrscheinlich in die dortige KGB-Dienststelle gebracht wurde.

Das Buch besagt, wie Robert Allertz schreibt: "... die Causa Modrow war exemplarisch". Sie könnte ein Signal für andere sein. Sollten sein Beispiel und das Buch eine kleine Auskunftsbewegung auslösen, könnte das die Tätigkeit jener Bundesbehörden, die nie aufhörten, kalten Krieg im Innern zu führen, und nach außen die neuen deutschen Kriege absichern, wenn schon nicht lahmlegen, wenigstens etwas einschränken. Am 28. Februar meinte jedenfalls ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig bei der Verhandlung über Modrows Klage gegen den BND, der müsse dann ja wohl 500 neue Mitarbeiter einstellen. Denn Modrow erhielt sein Auskunftsrecht bestätigt. Warum es dem Kriegsladen nicht so teuer wie möglich machen?

Arnold Schölzel

Robert Allertz: "Ich will meine Akte." Wie westdeutsche Geheimdienste Ostdeutsche bespitzeln.
Das Neue Berlin, Berlin 2018, 224 Seiten, 14,99 Euro

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Einladung zu einer Flugreise nach Wolgograd

Die Erinnerung an die Schlacht um Stalingrad vor 75 Jahren ist gerade jetzt allgegenwärtig. Wolgograd wurde zum Symbol der Wende im Großen Vaterländischen Krieg.

Die DDR hielt das Erinnern daran wach. Für sie waren Freundschaft und gute Beziehungen zur Sowjetunion als Staatspolitik in der Verfassung der DDR verankert. Dazu gehörten Städtepartnerschaften, wissenschaftliche, sportliche und kulturelle Beziehungen, Freundschaftszüge und Studienaufenthalte. Viele junge Bürger der DDR haben an der Baikal-Amur-Magistrale in Sibirien (der BAM) oder der Erdgastrasse "Drushba/ Sojus" gearbeitet. Es entstanden Kontakte, die zum Teil bis heute gepflegt werden.

Inzwischen stehen deutsche Soldaten wieder an der russischen Grenze. Eine komplette Panzerbrigade mit Haubitzen, Jeeps, Panzern und LKWs wurde von Colorado/USA durch Deutschland in Richtung Osteuropa an die russische Grenze verlegt. Statt Förderung nachbarschaftlicher Beziehungen und Verständigung erleben wir eine Eskalation der Konfrontation. Eine Neuausrichtung der Rußland-Politik der Bundesregierung könnte Schlimmeres verhindern; Frieden in Europa wird es ohne Rußland nicht geben. In beiderseitigem Interesse muß alles unternommen werden, die bestehende Eiszeit im Verhältnis Deutschland - Rußland in eine Zeit des Tauwetters umzuwandeln. Es kann nicht nur um Gespräche unter Diplomaten gehen; die Menschen brauchen Gespräche und den Gedankenaustausch in den Kommunen, Vereinen und Organisationen.

Der Arbeitskreis Kultur- und Bildungsreisen der GBM folgt einer Einladung des Oberbürgermeisters von Wolgograd, Andrej Kosolapow, anläßlich des 75. Jahrestages der Schlacht um Stalingrad die Stadt vom 5. bis 9. Oktober 2018 zu besuchen.

Dort wird es Treffen mit Persönlichkeiten des Gebiets sowie mit Kriegsveteranen der Roten Armee geben. Darüber hinaus besuchen wir solche Sehenswürdigkeiten wie die Gedenkstätte der Schlacht von Stalingrad auf dem Mamajew-Hügel mit der Statue "Mutter Heimat", Alt Sarepta, die frühere deutsche Siedlung, die 7,1 Kilometer lange Straßenbrücke über die Wolga, den Deutsch-Russischen Friedhof, das Panorama-Museum "Stalingrader Schlacht" und andere. Nach einer Bootsfahrt auf der Wolga erleben wir im Staatlichen Theater eine Aufführung der Donkosaken.

Unsere Unterkunft ist das Viersternehotel "Hampton by Hilton"; wir fliegen mit Aeroflot Berlin-Moskau-Wolgograd.

Wer an dieser Reise interessiert ist, meldet sich bei Gisbert Graff (mobil: 0162 493 1176, Mail: gisbert-graff@t-online.de)

- Achtung: Anmeldeschluß ist der 15. Mai.

Gisbert Graff
Berlin

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Die Randglossen des Dr. M.

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Der Buchretter

Ich möchte an das Buch "Das Geschenk" des in Wuppertal geborenen Arbeiterschriftstellers, Widerstandskämpfers gegen den Faschismus und Spanienkämpfers Peter Kast erinnern und zu seiner Lektüre ermutigen. Dem 1959 im Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung erschienenen bemerkenswerten Buch stellt Peter Kast die folgende Widmung voran: "Als Deutscher fand ich in Frankreich Asyl. Ich genoß eure Sinne, fischte in eurem Meer, küßte eure Mädchen und trank euren Wein. Jetzt will ich mit euch kämpfen."

Vor dem landschaftlich reizvollen Panorama der südfranzösischen Mittelmeerküste um die Stadt Toulon verpackt der verwundete deutsche Emigrant und antifaschistische Maler, Pressezeichner und Spanienkämpfer Ulrich B. Hardt die Bücher einer Kloster-Bibliothek, die vor den deutschen Besatzern in Sicherheit gebracht werden sollen, in Kisten. Unter den Büchern ist auch der Erste Band der Erstausgabe des "Kapitals" von Karl Marx mit einer Widmung und zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen und Notizen von Karl Marx selbst. Hardt bringt die bibliophile Kostbarkeit unbemerkt in seinen Besitz und macht sich damit auf den gefahrvollen Weg durch die von der Wehrmacht besetzten und von der Gestapo beobachteten Gebiete. Er will dieses Buch unbedingt retten, denn er ist sicher, fällt dieses wertvolle Exemplar den Nazis in die Hände, wird es vernichtet und ist für immer verloren.

Es ist die Zeit um die Jahreswende 1942/43, als die Schlacht um Stalingrad mit dem bekannten Verlauf und Ergebnis tobte. Hardt gelingt es mit solidarischer Hilfe französischer Antifaschisten als Bauarbeiter verkleidet, zunächst die Schweiz zu erreichen. In dem folgenden Dialog erfahren wir, wohin Hardt das Buch bringen will: "Das 'Kapital' ist nicht mein Eigentum, mußt du wissen." "Wem gehört's denn?" Hardt zögerte mit der Antwort. Aber des anderen ehrliche Augen beseitigten den letzten Rest seines Mißtrauens. "Seit zwei Tagen", gestand er fest, "seit dem Sieg von Stalingrad gehört es der Sowjetarmee."

Und es gelingt ihm. Am Ende des spannenden Buches kann er feststellen: "Beschluß durchgeführt, Käp'n! Das 'Kapital' liegt dort, wo es in unserer Zeit am sichersten aufgehoben ist - wo das theoretische Lebenswerk des Schöpfers des Sozialismus gegen alle Verfälscher verteidigt und weiterentwickelt wird. Es liegt im Schutz der stärksten Friedensmacht der Welt, im Marx-Engels-Lenin-Institut in Moskau."

Es sind die beeindruckenden Schilderungen der Landschaften, der französischen Helferinnen und Helfer, der gefahrvollen Situationen der deutschen antifaschistischen Emigranten - Schilderungen, welche autobiographische Züge erkennen lassen. Sie machen dieses liebevoll illustrierte Buch auch heute noch lesenswert.

Dr. Dirk Krüger
Wuppertal

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Gumbel darf nicht vergessen werden

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"Entnazifizierung" als aktuelle Aufgabe

Wie ich 2010 aus dem "RotFuchs" erfuhr, hat der Kreistag Bautzen entgegen einem Beschluß der Schulkonferenz des Großröhrsdorfer Gymnasiums angeordnet, daß der Name Sauerbruch für diese Schule beibehalten wird. Der Alternativvorschlag "Geschwister Scholl" wurde abgelehnt.

Eine paritätisch besetzte Schulkonferenz aus Lehrern, Schülern und Eltern hatte am 12. Mai 2009 festgestellt, die Aktivitäten Ferdinand Sauerbruchs im Dritten Reich seien unvereinbar mit dem Sächsischen Schulgesetz. Der Kreistag setzte sich darüber hinweg.

Da ich wußte, daß Sauerbruch ein hochdekorierter Nazigeneral war (z. B. Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz), in "beruflicher Nähe" zum KZ-Arzt Mengele stand und u. a. für die Finanzierung von Menschenversuchen in einigen KZ verantwortlich zeichnete, regte ich bei den Entscheidungsträgern eine Überprüfung dieser Festlegung an.

Hier das erstaunliche Ergebnis: Schulleiter Schlögel hatte zu meiner Anfrage keine Meinung und lehnte die Verantwortung für die Entscheidung ab, da der Kreistag Bautzen dafür zuständig wäre. In einem Interview mit der "Sächsischen Zeitung" vom 9.6.2012 versuchte er, die Verbrechen Sauerbruchs zu relativieren: "Die medizinische Leistung Sauerbruchs überwiegt." Eine gerne genutzte Verteidigungstaktik; in diesem Fall vom Leiter eines Gymnasiums, der darüber wachen sollte, daß seine Schüler antifaschistisch erzogen werden!

Schulamtsleiter Wunderlich verteidigte die Namensgebung wortreich und behauptete, die Rolle Sauerbruchs in der NS-Zeit wäre noch nicht zweifelsfrei geklärt. Dazu muß man wissen, daß eine Bürgerinitiative umfangreiches und öffentlich zugängliches Material über die Verbrechen Sauerbruchs vorgelegt hatte.

Für das sächsische Staatsministerium für Kultur ließ Ministerin Kurth ihren Mitarbeiter Rechentin antworten. Er versteckte sich hinter gesetzlichen Regelungen und sah keine "Grundlagen für ein ... Einschreiten gegen den Schulträger". Ein "persönlicher Nachsatz" legte mir Toleranz nahe. Unterlegt wurde das Ganze mit einem Bibelspruch ...

Der damalige sächsische Ministerpräsident Tillich ließ seinen Adlatus Szymanski floskelreich antworten. Das Verhalten Sauerbruchs wäre "zumindest ambivalent einzuschätzen", eine "offenkundige Ungeeignetheit des avisierten Namensgebers" auf der Grundlage vorgegebener gesetzlicher Grundlagen wäre aber nicht erkennbar. Herr Szymanski berief sich weiter auf den Historiker Hauptmann, der Sauerbruch als "Patriot" einschätzte, dem lediglich durch "Zufall ... eine starke geographische Nähe zum Machtzentrum" der Nazis beschieden war. Als Hohn empfand ich seine Bemerkung: "Schließlich sind Normen und Wertvorstellungen nicht vorgegeben ..." Jetzt verstand ich, warum später Herr Tillich dafür kritisiert wurde, daß er einen "Rechtsschwenk der CDU" forderte, und warum er "gegangen" wurde. Er wird vermutlich nicht tief gefallen sein.

Der Kampf für eine "Entnazifizierung" geht trotzdem weiter. Es gibt noch viele Nazis, deren Namen Straßen und Plätze zieren. Selbst Hitler soll noch in zahlreichen Städten Westdeutschlands Ehrenbürger sein. Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren, ist, daß die guten Menschen nichts tun.

Dipl.-Ing. (FH) Bernd Graupner
Pritzwalk

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8. Mai 1945 - Mit den Befreiern kam das Brot

Wie war die Lage der Berliner Bevölkerung Anfang April 1945? Josef Orlopp (SPD) beschreibt in seinem Buch "Zusammenbruch und Aufbau Berlins 1945/46" deren Situation so: "Eine Hungersnot sei unabwendbar, wenn nicht schnellste Hilfe durch die russische Besatzungsmacht erfolge. Ein russischer Offizier erklärte, daß die Besatzungsmacht ihren gesamten Wagenpark für die Heranschaffung von Lebensmitteln zur Verfügung stelle, um die Berliner vor dem Verhungern zu schützen. Die für die nächsten acht Wochen notwendigen Lebensmittel seien ihrerseits schon bereitgestellt. Am 6. Mai 1945 wurden die Berliner Geschäfte in den Arbeiterbezirken Wedding und Reinickendorf zum ersten Male durch die Truppen der sowjetischen Armee beliefert. Hungernde Menschen durchwühlten die Müllhaufen oder krochen in die Keller der zerstörten Wohnhäuser auf der Suche nach Resten von Lebensmitteln. Kartoffelschalen wurden zur menschlichen Ernährung verwendet, und die Schleichhandelspreise erreichten eine nie gekannte Höhe.

Meiner Auffassung nach hätte die russische Besatzungsmacht Berlin nur wenige Tage seinem Schicksal zu überlassen brauchen, und die Bevölkerung wäre vor Hunger umgekommen.

In dieser größten Not halfen uns die Vertreter des Sowjetvolkes, das von Hitler im Jahre 1941 hinterhältig überfallen wurde. Sie übten keine Rache, sondern halfen mit allen Mitteln, die ihnen selbst zur Verfügung standen. Am Abend des 6. Mai 1945 rollten die Militärautos durch die Straßen Berlins, und die Besatzungstruppen selbst belieferten die Lebensmittelgeschäfte."

Und was hinterließen Hitlers Armee und seine Gefolgsleute mit ihrem Vernichtungskrieg in der Sowjetunion? Mehr als 27 Millionen Tote und Verwundete, 25 Millionen Menschen verloren ihr Zuhause, 1710 Städte, 32.000 Industriebetriebe, 98.000 Kolchosen, 70.000 Dörfer, 65.000 km Eisenbahnstrecke und 1876 Sowchosen waren zerstört worden. Die Sowjetunion hat einen Großteil der Menschen in ganz Berlin - die Stadt wurde erst im Juli 1945 in vier Sektoren geteilt - vor dem sicheren Hungertod gerettet.

"Doch von hungernden und frierenden Menschen, denen es an allen Bedarfsgütern des täglichen Lebens fehlt, kann ein objektives Urteil über die geleistete Aufbauarbeit nicht erwartet werden. Der Deutsche vergißt so schnell", schreibt Josef Orlopp weiter. Zu bedenken ist dabei auch, daß dieses Vergessen in Westberlin und Westdeutschland massiv befördert wurde durch das Wiederaufgreifen und Weiterbetreiben antisowjetischer und antikommunistischer Hetze, von der Nachkriegszeit an bis heute.

Johann Weber
Niederbayern

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Wanderungen durch Westdeutschland (3)
Einzeln und brüderlich in Schwaben

Aufgewachsen in Westdeutschland, bis in die 70er Jahre unterrichtet von Nazi-Lehrern, belegt mit Ausbildungsverbot, entdeckt der Verfasser negative, aber auch positive Seiten an diesem Land. In loser Folge berichtet er über Entdeckungen auf seinen Wanderungen durch Westdeutschland.

Vom Chiemsee kommend, kreuzt der Wanderer bei Ulm die bayerische Grenze zu Baden-Württemberg. Nach dem Kreuz der Autobahnen A7 und A8, dem Kreuz Elchingen, kurz nach der Abfahrt Ulm-Ost, steht das Gasthaus "Seligweiler", durch das die Ländergrenze läuft. Als Werbegag gedacht, ist quer durchs Lokal eine Linie gemalt, die laut Speisekarte angeblich bayerische von schwäbischen Gerichten trennt. Allerdings ist die Linie eine nur politisch festgelegte: Auf beiden Seiten wohnen Schwaben.

Ein paar Kilometer nördlich liegt - in Baden-Württemberg - das Städtchen Langenau. Und hier stößt der Wanderer mitten im Ort auf eine erstaunliche Skulptur. Aus Bronze gefertigt, steht ein Transparent auf dem Marktplatz, das er bisher nur in Textil auf Demonstrationen gesehen hat: eine Friedenstaube, hier aus der Bronze herausgeschnitten. Noch erstaunlicher ist die Platte, die vor dem Mahnmal in den Boden eingelassen wurde. Sie trägt die Inschrift: "Leben einzeln und frei wie ein Baum und brüderlich wie ein Wald ist unsere Sehnsucht. Nazim Hikmet. Stadt Langenau, City of Peace 2003".

In einer westdeutschen Stadt mit Freie-Wähler- und CDU-Mehrheit im Gemeinderat und bekannten Alt- und Neunazis wird der Text eines türkischen kommunistischen Dichters als Mahnmal aufgestellt? Was hat es damit auf sich?

Nein, es gibt in dem beschaulichen Städtchen nicht nur Reaktionäre und Faschisten. Sondern auch die Initiativgruppe "Menschen für den Frieden", für welche die örtliche Bronzegießerei Drachir das Mahnmal gestaltete und goß. Natürlich stellt es keinen Aufruf zum Handeln dar, keine sozialistischen oder gar kommunistischen Zielsetzungen. Doch ist es nicht ein Lichtblick in diesem Dunkeldeutschland? Vermittelt es nicht die Gewißheit, daß nicht alle Menschen gleichgültig, schicksalsergeben oder gar kriegslüstern leben? Und führt es nicht angesichts der erschreckenden ungehemmten Aufrüstung alle Friedenskräfte zusammen, ungeachtet ihrer sozialen, religiösen oder ideologischen Unterschiede?

2003, im Jahr der Aufstellung des Friedenszeichens, ahnte hierzulande noch niemand etwas vom türkischen Blutherrscher Erdogan. Um so wichtiger ist es, die Langenauer Skulptur zu bewahren und bekanntzumachen. Nach dieser Entdeckung verläßt der Wanderer mit leichteren Schritten das "Tor zum Lonetal" westwärts. Der Schwarzwald ist sein nächstes Ziel.

Hans Dölzer

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GEDANKEN ZUR ZEIT

Zur Zweideutigkeit von Macht, Gewalt und Aggression

Alles hat (mindestens) zwei Seiten und kann aus der Sicht unterschiedlicher Betrachter sowohl positiv als auch negativ bewertet werden. Nehmen wir etwa den Begriff der Macht und deren Negation, die Ohnmacht, so scheint der positive Aspekt der Macht auf der Hand zu liegen. Der Ohnmächtige steht einem Geschehen hilflos und wehrlos gegenüber, er ist zur Untätigkeit verurteilt, ihm sind "die Hände gebunden", man sagt zu ihm: "Da stehst du machtlos vis à vis", er resigniert und sagt selbst: "Da kann man nichts machen." Der Mächtige hingegen kann in das Geschehen eingreifen, kann seine Lage verändern und nach Möglichkeit verbessern. Er verfügt über die Mittel und Fähigkeiten, seine eigenen Absichten zu verwirklichen, sein Leben und das seiner Mitmenschen planend zu gestalten und umzugestalten, kurz: er kann handeln; tun, was ihm nützlich, unterlassen, was ihm schädlich scheint. Als genialer und zugleich moralisch integrer Machthaber und Staatenlenker kann er historische Großtaten vollbringen: ein Gesetzeswerk schaffen, das für soziale Gerechtigkeit steht, ein vorbildliches Gesundheits-, Bildungs- und Rentensystem errichten, grandiose Brücken und Staudämme bauen, Wohnraum für alle schaffen, eine kluge Bodenreform durchführen (z. B. LPGs gründen) - oder anders gesagt: Er kann all das ins Werk setzen, was dem Volk in seiner Gesamtheit nutzt, was das "Glück der größten Zahl" ermöglicht und wozu das Volk ihn bevollmächtigt oder ermächtigt hat.

Nun, das Wort "ermächtigt" weist schon auf die Kehrseite der Medaille. Wer denkt hier nicht an das "Ermächtigungsgesetz", mit dem der Reichstag der Weimarer Republik sich selbst entmachtete und Hitler all jene Macht übertrug, unter deren Mißbrauch er alle seine politischen Verbrechen befahl, von seinen Angriffskriegen bis hin zur Ermordung der Geisteskranken und zum Holocaust, dem systematisch geplanten und durchgeführten Völkermord an den Juden, dem größten Völkermord aller Zeiten.

Hier, am Mißbrauch der Macht, zeigt sich ihr Doppelgesicht, ihre furchterregende Rückseite. Der zum Despoten mutierte Machthaber wird nicht zögern, sein eigenes Volk auszubeuten. Um seine Allmachtsphantasien auszuleben wird er sich, anstatt die Grundbedürfnisse der Massen zu befriedigen, d. h. für Nahrung, Kleidung und Obdach für alle zu sorgen, Prunkpaläste erbauen lassen, Waffenarsenale errichten, Atomraketen bauen, er wird die Staatskasse plündern und sich, sobald ihm Gefahr droht, ins Ausland absetzen, zuvor aber wird er in Saus und Braus leben, Wasser predigen und Wein trinken, er wird gar in ganz großem Stil Lebensmittel ins Ausland verkaufen, um damit schwere Waffen zu bezahlen.

Von hier ist es nicht weit bis zum Begriff der Gewalt, die sich definieren läßt als die Energie, die aufgewendet werden muß, um Widerstände zu überwinden, Hindernisse zu durchbrechen, eigene Interessen gegen die Interessen anderer durchzusetzen. Auch die Gewalt hat zweierlei Gesichter: Sie kann segensreich wirken im privaten Bereich, etwa wenn es einer Frau gelingt, einen Vergewaltiger mit einem gezieltem Karateschlag außer Gefecht zu setzen, aber auch im öffentlichen Bereich, wenn ein Polizist einen Bankräuber erschießt, der gerade einer Geisel das Messer an die Kehle setzt. (Jenes ist Notwehr, dieses Nothilfe; beides ist erlaubt.) Man muß dem, der töten will, die Waffe aus der Hand schlagen!

Und natürlich muß es auch staatliche Gewalt geben, denn Verbrechen aller Art zeigen, daß es nicht nur des Gesetzes, sondern auch der Gewalt bedarf, um das Recht durchzusetzen, wo es an Einsicht gebricht. Wichtig ist dabei nur, daß auch beim Einsatz staatlicher Gewalt die ethischen Prinzipien der Angemessenheit und Unterscheidung gewahrt bleiben, zu deren Schutz sich die Maxime formulieren läßt: "So viel Gewalt wie nötig, so wenig Gewalt wie möglich!" Und auch die Trennung der Gewalten (Legislative, Jurisdiktion, Exekutive) muß im demokratischen Rechtsstaat garantiert sein. Hierüber hat das Bundesverfassungsgericht zu wachen. Anders als im Dritten Reich, als alle Gewalt praktisch in der Hand eines einzelnen Mannes (Hitlers) lag, als die Rassengesetze erlassen wurden, Roland Freisler seine menschenverachtenden Prozesse führte und Urteile sprach, die dann vollstreckt wurden. Gegen staatlichen Gewalt- und Machtmißbrauch ist Widerstand jederzeit ethisch erlaubt, ja geradezu geboten, nämlich immer dann, wenn eine Regierung, deren Macht ursprünglich zwar vom Volk ausgegangen ist, dem Volk aber schon lange nicht mehr dient, dieses vielmehr ins Verderben stürzt und zur Gänze zu vernichten droht. Zu Recht feiern wir daher Widerstandskämpfer als wahre Helden der Nation, verurteilen im nachhinein ihre Gegner als die eigentlichen Schurken und bedauern lediglich, daß diese (zunächst) mit dem Leben davonkamen.

Ähnliches wie über Macht und Gewalt läßt sich über Aggression und Aggressivität (Angriffslust und Angriffsbereitschaft) sagen, die sich immer dann zeigen, wenn Meinungsverschiedenheiten nicht mehr verbal ausgetragen werden und es zu anscheinend nicht gütlich zu lösenden Konflikten kommt. Dabei ist nicht die Tatsache des Konflikts zu beklagen - denn Konflikte sind Ausdruck lebendigen Daseins, in dem Menschen nun einmal verschiedener Ansicht sein und unterschiedliche Interessen verfolgen können. Entscheidend ist allein, daß es dabei nicht zu Mord und Totschlag und, im Bereich der Politik, nicht zu immer mehr eskalierenden Machtkämpfen kommt. Spätestens seit Charles Darwin wissen wir, daß alles Lebendige sein Heil in Flucht oder Angriff sucht, immer wieder in Lebensgefahr gerät und sich, wo der Ausgang zur Flucht versperrt ist, zum Kampf stellen muß. Aggressivität als Feindseligkeit oder (harmloser) als Verteidigungs- und Lebenswille gehört also zu unserer biologischen Grundausstattung, die wir mit unseren Artgenossen und anderen höheren Säugern und niederen Tierarten teilen. Fragt sich also nur, wie wir im sozialen Zusammenleben mit unsern Trieben und Affekten umgehen. Diese selbst sind Naturvorkommnisse, unser Umgang mit ihnen ist dagegen ein Kulturprodukt.

Fazit: So schmerzlich es für mein Selbstwertgefühl sein mag, ich muß die in mir schlummernde Möglichkeit der Aggressivität erkennen und Aggression, sei sie lediglich angeboren oder durch Erziehung noch verstärkt, als mir zugehörige und mir zur Bewältigung aufgegebene Triebmacht begreifen. Das ist kein Grund zur Verzweiflung, denn machen wir uns einmal die Grundbedeutung des Wortes klar: Aggression kommt aus dem Lateinischen von aggredi und bedeutet zunächst nur soviel wie: an etwas herangehen, eine Sache in Angriff nehmen, Ärmel aufkrempeln und Hand anlegen, um die Welt und meine Lage (unser aller Lage) zu verändern und zu verbessern. Dabei sind positive (konstruktive) und negative (destruktive) Aggressionen oft in ein und derselben Handlung vereint: Wir fällen Bäume (zerstören Wald), um Blockhäuser zu errichten, sprengen Felsen, um Baumaterial zu gewinnen, amputieren Glieder, um Leben zu retten. Die Franzosen haben hierfür das Sprichwort: "Man kann kein Omelette backen, ohne Eier zu zerschlagen."

Also: nicht das Potential unserer aggressiven Triebe ist das Übel, sondern eher unsere Unfähigkeit, dieses Energiepotential in den Dienst am Aufbau einer humanen und demokratischen, sozial gerechten Gesellschaft zu stellen. Oder anders und nun radikal ins Positive gewendet: Es gilt, die uns eigentümliche, zunächst blinde, nicht zielgerichtete Aggression in kritische, das heißt rational kontrollierte Aktivität umzuwandeln und die auf diese Weise freigesetzte und auf die Schaffung kultureller Werte gerichtete Triebenergie in einen kollektiven Prozeß gesellschaftlicher Veränderung einzubringen.

Theodor Weißenborn

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Kurt Tucholsky über die Weimarer Republik

Die Klassikerstadt Weimar bereitet sich seit einiger Zeit auf große Jubiläen vor: 100 Jahre Gründung der "Weimarer Republik" im Februar 1919 und Gründung des Staatlichen Bauhauses am 1. April 1919 durch Walter Gropius. Die publizistische Begleitung der jetzt laufenden Aktivitäten läßt erkennen, daß in den meisten Medien die Sicht auf die historischen Ereignisse oft in eingefahrenen Denkklischees bürgerlicher Historiker verharrt. Man will eben "feiern" und schließlich auch - was den Tourismus betrifft - Umsätze haben.

Es ist zu vermuten, daß der kritische Blick auf diese Jahre bis 1933 - unmittelbar nach den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht - zu vermissen sein wird. Gewiß, die Monarchie wurde abgeschafft, das allgemeine Wahlrecht verbessert, aber das "Schlangenei" des kommenden Faschismus war auch schon da: Chauvinismus und Nationalismus. Jetzt hört man sehr häufig, die Gründung der "Weimarer Republik" sei eine "Geburt der Demokratie" gewesen. Viele Zeitgenossen damals dachten anders darüber.

Den Ausstellungsgestaltern, Festrednern, Feuilletonisten und den vielen anderen Akteuren heute wäre eine Rückbesinnung zum Beispiel auf den leidenschaftlichen Publizisten Kurt Tucholsky zu empfehlen, der damals, keiner Partei angehörend, scharfsichtig am 13. Oktober 1926 in einem Brief an einen "Weltbühne"-Leser schrieb:

"Diese Republik ist nicht die meine. Ich verachte die Verfassung dieser Republik nicht - ich verachte aber jene, die da glauben, dieser Lappen Papier würde irgendwo in Deutschland auch nur annähernd befolgt. In Wahrheit ist diese Verfassung weniger als eine Polizeiverordnung - sie hat den praktischen Wert einer moralischen, rein abstrakt gebliebenen Vorschrift, durchdringt aber nirgends Judikatur, Verwaltung, Exekutive ...

Hat der Deutsche seine sogenannten verfassungsmäßig begründeten Rechte wirklich? Und daß diese kümmerliche Republik nach dem Kriege auf das schwerste gefährdet war, wie Sie schreiben, ist leider nicht richtig. Von wem hätte sie das sein sollen? Sie war es leider nicht von den betrogenen Arbeitern, die von ihren Führern verraten worden sind - keine Geschichtsklitterung kann aus der Welt schaffen, daß Fritz Ebert mit den Generälen, Noske mit den Offizieren, Heine mit den übelsten Reaktionären gemeinsame Sache gemacht haben, aus Angst, aus Charakterlosigkeit, aus Unfähigkeit, zu begreifen, was eigentlich 'Revolution' ist. Revolution ist Luftreinigung - ist: von vorn anfangen - ist: 'wohlerworbene Rechte' über den Haufen werfen - ist genau das Gegenteil von dem, was diese Republik in der Nachkriegszeit hat tun lassen."

Kein Wunder also, daß schon 1925 die rechten Parteien das Staatliche Bauhaus aus Weimar verbannten, indem sie im Thüringer Landtag und in Weimar die nötigen finanziellen Mittel für die Planung strichen. Es mußte nach Dessau verlegt werden.

Das eine Jubiläum hat sehr viel mit dem anderen zu tun. Nun wird ein "Haus der Demokratie" direkt gegenüber dem Deutschen Nationaltheater Weimar eingerichtet, dort, wo bis Februar 2018 das bisherige Bauhaus-Museum eine sehr beengte Heimstätte hatte. Man kann gespannt sein, wie die Aussteller die bürgerliche Demokratie jener Republik darstellen. Das neue Bauhaus-Museum neben dem Weimarhallen-Park soll im Frühjahr 2019 der Öffentlichkeit übergeben werden. Die Diskussion darüber ist seit Jahren im Gange.

Werner Voigt
Kromsdorf

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Die Verfassung der DDR und ihre Abschaffung

Am 6. April 1968 wurde die neue Verfassung der DDR in einer Volksabstimmung bestätigt. Im April 1990 begannen hinter verschlossenen Türen die Zwei-plus-vier-Gespräche, für die Helmut Kohl am 2. April gegenüber den westdeutschen Unterhändlern die Marschrichtung vorgab. Sie zielten darauf ab, der DDR schnellstens den Garaus zu machen. Aus beiden Ereignissen sind aktuelle politische Schlußfolgerungen zu ziehen.

In der DDR hatten Rechtsexperten und erfahrene Politiker unter dem Vorsitz von Otto Grotewohl 1949 eine Verfassung geschaffen, die nach einer Volksaussprache am 7. Oktober 1949 durch die provisorische Volkskammer angenommen wurde. Sie war für eine "unteilbare demokratische Republik" gedacht.(1) Die Verfassung bewährte sich, wurde aber von der Wirklichkeit überholt (Spaltung, Militärpakte, kalter Krieg etc.)

Anfang 1968 erhielten DDR-Bürger die Möglichkeit, den Entwurf einer neuen Verfassung zu diskutieren, die dann in einem Volksentscheid mit großer Mehrheit bestätigt und am 5. April 1968 in Kraft gesetzt wurde.(2) Sie widerspiegelte den Stand der Entwicklung der DDR, brachte Artikel über die Menschenrechte mit der UNO-Konvention von 1966 in Übereinstimmung (obwohl die DDR noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen war) und präzisierte die Aufgaben der DDR in der Außenpolitik. Die Friedenspflicht und die Freundschaft mit der Sowjetunion wurden Verfassungspflicht. Während dieser Zeit wurde in der BRD die Notstandsgesetzgebung beschlossen.

Im Hinblick auf die deutsche Einheit war im provisorischen Grundgesetz 1949 festgelegt worden: "Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."(3) Das ist weder vor noch nach der "Wende" geschehen. Zu bedenken war auch, daß die BRD und die DDR nach dem Grundlagenvertrag und der UNO-Mitgliedschaft sich gegenseitig als souveräne Staaten betrachteten. Abgeordnete, die nach Artikel 23 den "Anschluß" der DDR betrieben, verübten Hochverrat. Volkskammerabgeordnete, die dem Einigungsvertrag zustimmten, verletzten viele Artikel der DDR-Verfassung, auf deren Schutz sie vereidigt waren: Sie verramschten über die Treuhand das Volkseigentum, sie zerschlugen die Sicherheitsorgane der DDR, sie wickelten die sozialen Errungenschaften ab. Der Zwei-plus-vier-Prozeß, der ab April 1990 vorbereitet wurde und am 12. September 1990 mit der Unterzeichnung des entsprechenden Vertrags in Moskau endete, war das Todesurteil für die DDR. Der Vorgang war bis dahin beispiellos, wurde aber Modell für weitere, die zum Chaos in den internationalen Beziehungen beitrugen. Die Vertreter der DDR, die in der Sterbestunde der DDR eine schändliche Rolle spielten, verkauften das Selbstbestimmungsrecht der DDR-Bürger für ein Linsengericht und stimmten der "Ost-Erweiterung" der NATO zu, was zwangsläufig mit den Interessen Rußlands kollidierte.

Gorbatschows verhängnisvolle Rolle ist weithin bekannt. Aber was weiß die deutsche Öffentlichkeit über das Wirken der DDR-Vertreter, die Markus Meckel (Pfarrer, Mitbegründer der SPD in der DDR und Außenminister) leitete? Seine Berater kamen aus Bonn, in Genschers dortiger Privatwohnung holte er sich seine Verhandlungsdirektiven ab. Zu alledem: Der Zwei-plus-vier-Vertrag(4) ist heute schon weitgehend Makulatur.

Die Deutschen haben heute keine von den Bürgern bestätigte demokratische Verfassung. Die Rechte, die in der DDR-Verfassung von 1968 garantiert worden waren, sind abgeschafft. Leben wir in einem Rechtsstaat?

Prof. Dr. Horst Schneider

1) Text in: Verfassungen deutscher Länder. Berlin 1989, S. 469 f.
2) Ebenda, S. 486 f.
3) Ebenda, S. 441
4) Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente 1945-1994. Köln 1995, S. 699 f.

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Stimmen aus aller Welt über die DDR

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen veröffentlichen wir hier einige dieser Äußerungen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt (und für uns) war.

Dr. Galina J. Snimstschikowa (1908-1991)
Von 1945 bis 1949 Inspektor für das Bibliothekswesen bei der Sowjetischen Militäradministration in der damaligen sowjetischen Besatzungszone

Die Jahre von 1945 bis 1949 waren die Jahre der Vorbereitung zu neuen Zeiten. Es galt vieles zu überwinden, was vom alten Leben geblieben war, alle Zerstörungen sowohl an Gebäuden als auch in den Seelen der Menschen. Der Faschismus hatte nicht nur versucht, mein Volk und viele andere Völker zu zerstören, sondern vor allem auch das deutsche Volk.

Meine Aufgabe war es, acht Bibliotheken, darunter sechs Universitätsbibliotheken, die Staatsbibliothek und die Deutsche Bücherei, in der sowjetischen Zone wieder arbeitsfähig zu machen. Diese sollten als erste wieder arbeiten. Die wichtigste Aufgabe war die Rückkehr der Bestände in diese Gebäude, damit wir sozusagen das Brot für die Arbeit schaffen konnten. Ich sehe diesen Hof vor mir, wo die Leute in blauen Arbeitsanzügen die Kisten abluden. Nur Bibliothekare wissen, was das Buch wiegt. Man sagt, Gold ist noch schwerer, aber ich meine, Schwereres als das Buch gibt es nicht auf der Welt. Wir können die Arbeit beurteilen, die die damaligen Bibliothekare in diesem Gebäude geleistet haben, die jungen und alten Frauen. Es waren auch elf Männer dabei, die gar nicht jung waren, gar nicht kräftig.

Einmal habe ich sogar gezeigt, wie es die Lastenträger an der Wolga machen, damit sich die Last auf den ganzen Körper verteilt. Hermann Zybell stand an der Spitze, ein Aktivist der ersten Stunde. Von Zeit zu Zeit fielen sie sogar um, saßen da mit starren Augen, sie konnten nicht mehr. In erster Linie waren sie hungrig, sie hatten keine Kräfte. Ja, und sie haben es doch geschafft. Das sehen wir jetzt.

Das Leben war damals furchtbar schwer, ob es um zehn Liter Benzin ging - dafür mußte ich im Magistrat einen richtigen Skandal organisieren - oder ob wir 20 Kilogramm Nägel brauchten. Vielleicht erinnert sich jemand daran, daß jeder Nagel von diesen Kisten geradegeklopft und aufgehoben wurde. Dafür war Zybell ein Zerberus. Diese Nägel halfen uns, und die Bretter, aus denen die Kisten gemacht waren, haben wir auch gebraucht.

Dann wurde die Bibliothek eröffnet, und die ersten fünf Menschen, die erschienen waren, wurden sogar mit Blumen empfangen. Das waren die fünf ersten Leser unserer neuen Zeit, unserer Epoche.

Die ganzen Jahre über war ich sehr aufmerksam, und ich sah, wie gut sich Ihr Land entwickelt, und glauben Sie mir, daß ich begeistert bin. Das alles, was ich jetzt gesehen habe, ist sozusagen unvorstellbar. Sie können es nicht so beurteilen, aber ich, die ich Jahrzehnte nicht hier war, ich habe ein ganz anderes Land erlebt. Und überall, wo ich sagte, daß ich Russin sei, bin ich mit offenem Herzen empfangen worden, und ich fühle, daß die Freundschaft zwischen unseren Völkern richtig gefestigt wurde. Jetzt sehe ich überall Freunde, gleichgültig ob jung oder alt. Das ist für mich das Wichtigste in unseren Beziehungen. Ich bin sehr stolz darauf, weil ich ein Mensch bin, der sich erinnern kann, wie es früher war.


Wilhelm Szewczyk
(1916-1991)
Schriftsteller, VR Polen

Die Beziehungen zwischen Polen und der DDR nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus besitzen nicht nur für unsere beiden Staaten, sondern für ganz Europa historischen Wert. Gelang es doch erstmals durch die grundlegende Umwandlung der inneren gesellschaftlichen Strukturen beiderseits von Oder und Neiße, für die gegenseitige Zusammenarbeit eine herzliche und freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen. Es entstand ein Klima des gegenseitigen Vertrauens.

Seit Beginn unseres gutnachbarlichen Zusammenlebens haben wir in Polen mit großem Engagement die Veränderungen verfolgt, die die Arbeiterklasse in der DDR und ihre Partei zur Entwicklung ihres Staates und ihrer Gesellschaft vornahmen.

Als Schriftsteller interessiert mich natürlich wie sich die neuen Beziehungen zwischen unseren Ländern in der Literatur niederschlagen. Die moderne polnische Literatur, besonders die Prosa, hat sich vielfach mit den humanistischen Traditionen des deutschen Volkes, mit dem Leben in der DDR, der Erziehung zum neuen Menschen, zum Bürger des sozialistischen Deutschlands befaßt. Es war Tadeusz Borowski, der ehemalige KZ-Häftling von Auschwitz und Dachau, Freund des schreibenden deutschen Kommunisten Kuba (Kurt Bartel), der sich als erster von uns polnischen Schriftstellern bemühte, diese historische Situation künstlerisch zu gestalten. Zur Erklärung und Erleuchtung dieser neuen Sicht trug auch Leon Kruczkowski bei, der in seinen, auch in der DDR gespielten "Sonnenbrucks" dramatisch die Gestalt eines deutschen Kommunisten quasi als pars pro toto für die künftigen Erbauer der DDR dem antihumanistischen Geistesgut der deutschen Vergangenheit entgegenstellte. Als bescheidenen Beitrag möchte ich auch meine Erzählung "Klara Krause" aus der DDR-Anthologie "Im Westen fließt die Oder" erwähnen, in der ich versucht habe, das Problem anhand der Nachkriegsschicksale der Schlesier zu verdeutlichen. Und schließlich freuen wir uns ganz besonders darüber, wie oft Volkspolen in der Gegenwartsliteratur der DDR präsent ist. Dies bestätigt mir, daß unsere Gemeinschaft bei der Entwicklung des Sozialismus auch für die Literatur eine wertvolle Anregung ist.

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Von Frühling kann keine Rede sein. Vielleicht in der Natur: mag sein, daß es da sprießt, gärt und aufbricht.

Denk ich aber an die Kultur, spüre ich den Stein Volksbühne in der Brust. Zuverlässige Leute, eben noch Besucher, erzählen mir, dort werde hart und nachhaltig an der Vergraulung von Liebhabern des guten Theaters gearbeitet.

Und das in Berlin! Wo es einmal den Weltruhm Berliner Ensemble gegeben hat - und die große Zeit einer unvergeßlichen Blüte im Deutschen Theater.

Eiszeit im neuen Parlament? Man beleidigt sich, gut vorbereitet, auch mit verteilten Rollen, anschließend geht man davon: aus dem Duell, nicht etwa gleich aus dem hohen Haus. Dort ist man ja schwer genug hingelangt.

Die AfD bricht alle Regeln von Konvention und Fairneß, aber ihre Abgeordneten sind in genügend hoher Zahl gewählt, und nun haben sie nach jeder Rede der Kanzlerin das Recht der ersten Erwiderung.

Die Bundeskanzlerin appelliert an Zusammenhalt in Deutschland. Sie will die "Spaltung" bis zum Ende ihrer vierten Wahlperiode überwinden.

Es ist zu spät, Frau Bundeskanzlerin. Die soziale Ungerechtigkeit hat sich erhalten, sogar durchgesetzt. Es gibt keine einheitliche, nicht einmal eine vergleichbare Identität beider deutscher Teile. Es kann keine geben. Das hat nicht nur damit zu tun, daß Sie selber keine Herkunft leben, aber auch. Sie geben sich, als wären Sie aus den Wolken gefallen. Da nützt es nichts, jeweils vor den Wahlen im Landstrich vorbeizukommen, als Ehrengast. Sie geben sich wie ungeprägt von Elternhaus und Gegend.

Dieses Unidentische haftet auch einigen Ihrer Kabinettsmitglieder an. Will das einer für sich anders, also ausscheren, landet er in der großen Auslache, als Würseler.

Sie haben sich nie über die Ausplünderung der ostdeutschen Industrie und Kultur geäußert, nie über das Unrecht der neuentstandenen sozialen Spaltung. Sie können da nichts mehr einholen.

Wer von uns wartet denn noch auf die Veränderung von Grund auf, wartet auf mehr als Reparaturen, Ansagen, Willenserklärungen? Wir denken, daß es trotzdem darauf ankommt, beide Augen zu öffnen gegen verhängnisvolle, weit ins Leben wirkende untaugliche Unternehmungen der herrschenden Politik und ihrer sogenannten Opposition.

Wenn wir daran glauben könnten, daß es sinnvoll ist, auf einem Teil erhoffter Entlastungen zu bestehen und darum zu kämpfen, dann doch, weil es sich am Ende lohnen könnte. Gründe dafür hätten wir: Sie wachsen vielfältig aus bestehenden und neuen Ungerechtigkeiten - und manches Aufbegehren aus dem stillen Kämmerlein der zähen Träume.

Ein weiteres Mal in meinem Leben sehe ich, daß gegen das Handeln mächtiger Männer nur dann etwas auszurichten wäre, wenn wir uns solidarisch und klug verbünden. Wir? Mit wem sollten wir das tun? Mit all den vernünftigen Leuten, den dafür geeigneten, die wüßten, wie man es beginnen müßte, um es vielleicht zu schaffen: den anderen Frauen und den anderen Männern! Das ist in der Gegenwart schwierig. Das männliche Geschlecht bildet noch immer das Ensemble der Weltmacht. Darin besetzen sie alle Rollenfächer. Bis heute würden einige von ihnen, gerade jene, die aus ihrer Macht heraus austeilen, eher in einen Boxhandschuh beißen, als sich vorerst als ratsuchend zu erklären. Das müßten wir Frauen ändern, statt zu leiden und zu hoffen, während wir selber zu nötigen Veränderungen immer noch zu wenig beitragen.

Das Wahlergebnis in Deutschland ist die Folge von Ängsten der Politiker vor einer Minderheitsregierung oder gar Neuwahlen. Das wußten sie alle, Regierungswillige wie Opposition, vorher. Der Grad ihres Durchblickens und des ständigen Verplapperns vor der Presse war erschreckend - und manches Aufschreckende eben genau so, wie leider gesagt, auch gemeint. Nun ja, wer einfach nur angibt statt zu argumentieren, wer mit viel zu wenig nötigem Wissen und Wollen frech auftritt, sich danebenbenimmt, diesen und jenen auch Gewählten verbal "in die Fresse" haut, der kriegt im Kabinett den Stuhl neben der Kanzlerin. Weil sie ihn so in ihre Unverbindlichkeit einzubinden hofft. Klappt nicht, das haben alle durchschaut, auch wir vor den Bildschirmen.

Mancher Bürger, auch Mieter, Werktätige, Jungdenker, alter Muffel und Durchschnittsbürger, hebt da den Finger. Machen kann der klein Mitlaufende oder zu einem schüchternen Widerspruch antretende Steuerzahler, Patient oder Mitbürger nichts.

Arglose Mieter glauben vielleicht immer noch, man könne dem Reichen die fast geschenkte Chance für fette Renditen wieder abjagen, zum Beispiel Teile von Berlin. Man müsse sich da nur was einfallen lassen, so daß er die Freude am leicht Erworbenen verliert, dazu brauchte es eventuell nur Ideen und Respekt vor dem Grundgesetz. Schwierig, weil eben das Grundgesetz die stattgefundenen "Geschäfte" erlaubt.

Würde unser aller Kanzlerin sich die Hinterlassenschaften der vorigen Wahlperiode vornehmen und Angekündigtes, Hochgespieltes, in den Fokus Gerücktes zur Chefsache erklären, vielleicht in den Akten blättern, die Absicht darin abwägen, dann ... dann käme ihr die Erkenntnis, daß der Besuch im rechtsbockigen Nachbarland nicht so wichtig ist, wie zu Hause die Angst der alten Leute, daß ihr Alter eine bedrängende Notlage wird. Sie könnte aus liegengelassenen Papieren und aus Akten eine kleine Welt der Absichten bauen, rings um sich, um ihren Stuhl, ihr Refugium, ihren Ort weltpolitischer Überlegungen.

Wir, das sogenannte Volk, müssen Ruhe bewahren. Denn wie wir am Beispiel Hamburg gesehen haben, ist Unruhe etwa das Teuerste, was es außerhalb von militärischen Einsätzen geben kann, die wir als Steuerzahler ja auch weiterhin bezahlen müssen. Recht so, über zuwenig Kita-Plätze, Pflegenotstand und zu viele Krankenhäuser können wir später nachdenken. Obwohl der Abgeordnete Spahn uns mahnt, diese Themen vorrangig zu behandeln. Durch ihn habe ich erfahren, daß ich mir wahrscheinlich kürzlich meinen Krankenhausaufenthalt hätte sparen können, wenn ich mir überlegt hätte, ob ich wirklich ärztliche Hilfe brauche oder nur zu bequem bin, meine Magenspiegelung selber durchzuführen. Er ist zum Glück privat versichert. Im Krankenhaus steht ihm ein Frühstücksei zu, auf das er als Kassenpatient laut jüngerer Anordnung keinen Anspruch hätte.

Die Wissenschaftler haben herausgefunden, daß der normale Mensch immer von seinem ganz persönlichen Glück träumt. Vielleicht wird es ihm zuteil: weil er es unbedingt will und beide Augen weit öffnet gegen erwarteten Widerstand, gegen Pannen, gegen Vergeblichkeiten, gegen vielerlei Nein und Aufschub.

Wenn du selber daran glaubst und es dir sogar vorstellen kannst, dieses Glück, das zu dir passen würde, und wenn du bereit bist, auf einen Teil deiner Trägheiten zu verzichten, und obwohl du weißt, das Streben wird dich immer zuviel Zeit und Kraft kosten - aber du glaubst, es könnte passen -, dann mußt du es machen! Alles Schöne dieser widersprüchlichen, herrlichen Welt steht dir und mir zu. Wir müssen aber wenigstens manchmal, im richtigen Moment, den Mund aufmachen und fordern - oder inmitten von unsäglichem Palaver einen Raum verlassen, um zu atmen und zu uns selber zu kommen. Schwer, das zu lernen.

Die verständliche menschliche Feigheit wollte mich in manchen Situationen zum Schweigen verurteilen oder in den Stuhl zurückdrücken. Ob mir das heute nicht mehr passiert? Seltener! Mir nützt die Erkenntnis, daß ich in der Familie nur die fast Hundertjährige bin, die zum Fenster reingeklettert ist, um drinnen ja nichts zu verpassen.

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LESERBRIEFE

Über den Beitrag zum 80. Geburtstag und zur Erinnerung an Tamara Bunke (RF 240) habe ich mich besonders gefreut. Die in der DDR zu ihrem Leben erschienenen Bücher, u. a. von Marta Rojas und Eberhard Panitz, habe ich mit größtem Interesse gelesen. Später lernte ich während meiner Zeit bei der NVA einen Stabsoffizier kennen, der seine Schulzeit im damaligen Stalinstadt mit ihr verbrachte und manches für mich Interessante zu erzählen hatte.

RA Ralph Dobrawa, Gotha


Der militärisch-industrielle Komplex der BRD schickt sich an, mit Zustimmung der SPD, die militärischen Einsätze im Ausland zu verlängern, die Anzahl der Einsatzkräfte zu erhöhen und - offensichtlich als Nachfolger der USA im Irak - die militärische "Unterstützung" auf das ganze Land auszudehnen. So der Wille der neuen Bundesregierung. Über die wahren Absichten und Ziele schweigt man sich aus, doch es ist offensichtlich: Irak ist einer der reichsten Ölproduzenten der Welt. In den anderen, von der BRD militärisch besetzten Ländern geht es um ähnliche Ziele.
Die Reaktion der Partei Die Linke und anderer linksgerichteter Kräfte auf die Verlängerung der Auslandseinsätze ist kaum vernehmbar. Es müßte einen Aufschrei gegen die kriegstreiberischen bundesdeutschen Ambitionen geben. Parlamentsdebatten und "schriftliche Anfragen" an die Regierung sind zuwenig. Notwendig ist ein wirksames außerparlamentarisches Vorgehen, gewissermaßen die "Kraft der Straße". Das zu organisieren und sich an die Spitze solcher Aktivitäten zu stellen, sollte eine der Hauptaufgaben der PDL sein.

Oberst a. D. Günter Hackenberg, Schöneiche


Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben erkannt, daß Deutschland unter den Bedingungen eines Rechtsrucks eine breite linke Sammelbewegung braucht, um mit einer politischen Mehrheit sozialen Fortschritt durchzusetzen und eine friedliche Außenpolitik zu betreiben. Mit der Partei Die Linke allein kann diese Mehrheit nicht erreicht werden. Auch das Setzen auf Rot-Rot-Grün ist nicht erfolgversprechend. Die Schaffung einer linken Volksbewegung ist das Gebot der Stunde und schließt sektiererisches Verhalten linker Kräfte aus.

Günter Röska, Leipzig


Zu Dr. Matin Baraki: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland (RF 242, S. 3)
Mit Interesse habe ich diese Veröffentlichung und auch die anderen diesbezüglichen Artikel gelesen. Stetig wachsende Rüstungsexporte sind kein Beitrag zur Erhaltung des Friedens, sondern erhöhen drastisch die Kriegsgefahr. Die Argumente, als NATO-Partner hätte Deutschland auch Verpflichtungen zu erfüllen, und derlei Exporte würden bedrohten Staaten doch nur helfen, machen mich fast sprachlos.

Siegfried Tietz, Altenberg/Sachsen


Man hat den Eindruck, daß die Europäische Union von Trump gleichsam wie ein Untertan behandelt wird. Welches Land auf Erden darf sich in Berufung auf Gottes Gnaden als Zuchtmeister der Welt bezeichnen und verhalten? Wohl keines, wenn es ihm um Demokratie, Menschenrechte und Frieden ernst ist. Doch das Denken der Mächtigen wird von Neid, Mißgunst, Vorurteilen und Verdächtigungen bestimmt. So ist Europa noch weit entfernt von einer Gemeinschaft der Staaten, geschweige denn der Völker. Die EU ist nicht begeistert, ja betroffen vom Austritt Englands aus diesem Verbund. Doch geht es um den "bösen Geist" aus dem Osten, so sind sich die Regierenden der EU und der NATO mit der britischen Regierung einig, daß an den Vorfällen in England um den russischen Doppelagenten nur Rußland, ja Putin persönlich schuld sein kann.
Da bedarf es keiner Beweisführung, da ist rechtsstaatliches Vorgehen kein Prinzip mehr, sondern es wirken wie in vielen anderen Fällen wieder alte und neue Feindbilder und Vorurteile. Rußland ist kein "jungfräuliches", fehlerloses Land, wohl aber ein Land, das durch seine Geschichte besonders am Frieden und auch an historisch gewachsenen und begründeten Grenzverläufen interessiert ist. Sanktionen wirken immer gegen eine gesunde, gegenseitig nützliche wirtschaftliche Zusammenarbeit und letztlich zum Nachteil des Volkes und sind Formen der Eskalation mit unvorhersehbaren Folgen. Die Welt besteht nicht nur aus einer Europäischen Union und Amerika über dem "großen Teich", sondern auch aus China, Rußland, Indien und den Völkern vieler kleinerer Staaten mit dem berechtigten Wunsch, auf dieser Welt in Sicherheit und Frieden leben zu können, ohne dabei ihre nationale Farbigkeit und Bedeutung einzubüßen.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Zu Hermann Jacobs: Über Arbeitsproduktivität und Systemvergleich (RF 241, S. 17)
Arbeitsproduktivität ist eine wichtige Kennziffer für den Vergleich des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes von Branchen und Volkswirtschaften, obwohl sie, wie Hermann Jacobs schreibt, schwer zu fassen ist und detaillierter analysiert werden muß. Ökonomische und gar politökonomische Aussagen bedürfen ihrer Komplexität wegen aber meist eines Dutzends Kennziffern und des Bedenkens einer Vielzahl von Zusammenhängen und Wechselbeziehungen. Was im kalten Krieg von kommunistischen Parteien vernachlässigt wurde, war die Größenordnung volkswirtschaftlicher Wertschöpfung.
US-Präsident Ronald Reagan empfahl den Fürsten in Saudi-Arabien, mehr Erdöl auf den Markt zu werfen, um den Weltmarktpreis zu drücken und der Sowjetunion zu schaden. Fünf westliche Erdölkonzerne hatten viele Jahrzehnte schon ein Vielfaches für Erdöl eingenommen. Doch die UdSSR konnte sich nicht einmal mit einigen dieser Konzerne messen. Gorbatschow hatte selbst den Haushalt belastende Veränderungen begonnen, aber nun reichten seine Erdöleinnahmen nicht mehr, um Generäle und Staatsfunktionäre auszuzahlen. Die Folgen sind bekannt.

Willi Lauterbach, Schwerin


Zu Dr. Peter Elz: Ist die Arbeitsproduktivität wirklich das Maß aller Dinge? (RF 242, S. 18)
Lenin machte die Arbeitsproduktivität nicht zum "Maß aller Dinge". Der Autor schreibt selbst, daß Lenin sie als das in letzter Instanz "... Allerwichtigste, das Ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung" bezeichnete. Bei Karl Marx wird die Arbeitsproduktivität "durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, der Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel und durch Naturverhältnisse" bestimmt. Marx und Lenin waren weit davon entfernt, in der Arbeitsproduktivität eine Kennziffer zu sehen. Ich meine, sie sahen darin ein gesellschaftliches Verhältnis.
Wachstum der Arbeitsproduktivität muß nicht unbedingt mit Steigerung der Produktionsergebnisse und des Umfangs der materiellen Güter einhergehen. Eine nicht größer werdende produzierte Menge an Gebrauchsgütern mit einem geringeren Aufwand an gesellschaftlicher Arbeitszeit spricht ebenso für eine höhere Arbeitsproduktivität. Es entspräche dem Wesen der sozialistischen Gesellschaft, daß die frei werdende gesellschaftliche Arbeitszeit in einer verkürzten Lebensarbeitszeit, einer kürzeren Arbeitswoche oder einem kürzeren Arbeitstag wirksam würde. Die Arbeiter, die Produzenten, erhielten bei gleichem Entgelt mehr freie Zeit, um sich zu erholen, zu bilden, künstlerisch zu betätigen, die Kinder zu erziehen, aktiv an der Gestaltung und Lenkung der Gesellschaft teilzunehmen.
Es wird Bereiche der Volkswirtschaft geben, in denen die höhere Arbeitsproduktivität zu mehr materiellen Gütern führen muß. Zum Beispiel werden Bildung und Gesundheitswesen, Landwirtschaft und Umweltschutz hochwertige Erzeugnisse und Technologien fordern. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und modernere Technologien werden Veraltetes ablösen und größeren Einfluß auf die Sozialleistungen der Gesellschaft nehmen. Karl Marx wies darauf hin, daß der Reproduktionsprozeß eigentlich erst beendet ist, wenn die Natur das ihr Genommene zurückerhalten hat. Um das in einer neuen Gesellschaft einmal zu schaffen, wird ein hoher Aufwand an gesellschaftlicher Arbeitszeit erforderlich sein. Und je mehr dieser hohe Aufwand für die gleiche Menge oder mehr an für die Gesellschaft notwendigen Gütern und Leistungen abnimmt, um so fruchtbringender wird das Ergebnis für die Gesellschaft sein.
Das Beschäftigen mit Lenins Zitat hilft uns tatsächlich nicht weiter, wenn wir die Arbeitsproduktivität als Kennziffer sehen. Da stimme ich dem Autor zu. Es hilft uns aber weiter, wenn wir die Arbeitsproduktivität als gesellschaftliches Verhältnis betrachten. Im Kapitalismus wird die wachsende Arbeitsproduktivität immer nur der Profitmaximierung dienen, zum Schaden der Menschen und der Natur. Im Sozialismus wird ihr Wachstum notwendig sein, um nach und nach alle gesellschaftlichen Bedürfnisse immer besser zu befriedigen und der Natur das ihr Genommene zurückzugeben.

Wolfgang Herrmann, Dreesch


Eine interessante Erklärung zur Einordnung der Arbeitsproduktivität in die politische Argumentation, die mich zu folgenden Überlegungen anregte.
1. Aufgrund der Embargopolitik war die DDR punktuell gezwungen, einige der verbotenen Erzeugnisse ohne ausgefeilte Technologie selbst zu fertigen. Die Arbeitsproduktivität spielte dabei keine Rolle.
2. Die Arbeitsproduktivität, die sich nur auf fertiggestellte Produkte bezieht, müßte neu bewertet werden, wenn ein Teil der Produkte aus marktwirtschaftlichen Gründen verschrottet oder unter Wert verkauft wird.
3. Jeder Produktionsbetrieb in der DDR hatte auch eine soziale Aufgabe gegenüber seinen Mitarbeitern oder dem kommunalem Umfeld zu erfüllen, die in der Marktwirtschaft allein dem Staat obliegt. Die Mitarbeiter eines VEB, die für eine gesundheitliche Versorgung der Mitarbeiter, im Betriebskindergarten, der Freizeitbeschäftigung bzw. den Sport, der kulturellen Betätigung, der Urlaubsbetreuung oder der Unterstützung der Kommunen eingesetzt wurden, haben letztlich die Arbeitsproduktivität dieser Einheit der Volkswirtschaft gesenkt.
Man sollte also nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Horst Klingenberg, Berlin


Die Aufgabenstellung, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen, ist älter, als es die Ausführungen von Lenin zu diesem Problem sind. Bereits im "Kommunistischen Manifest" schreiben Marx und Engels: "Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, ... die Masse der Produktivkräfte möglichst rasch zu vermehren." Dabei spielte der Kampf zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten noch keine Rolle. Es ging ihnen darum, in geringerer Arbeitszeit vermehrt Gebrauchswerte herzustellen, um die Überarbeitung der Werktätigen zu beenden und sie besser mit Gebrauchswerten zu versorgen.
Lenin formulierte die Aufgabe so: "Die Arbeitsproduktivität der entwickeltsten kapitalistischen Länder einholen oder untergehen!"
Der russische Bürgerkrieg wurde noch mit den übernommenen geringen Produktivkräften gewonnen. Das war möglich, weil die Massen bereit waren, die fehlenden Mittel durch ihren Heroismus zu ersetzen, aber auch, weil in der damaligen Situation die kapitalistischen Staaten nicht in der Lage waren, ihre überlegenen Produktivkräfte in vollem Umfang gegen die Sowjetunion einzusetzen. Aber Lenin war sich im klaren darüber, daß künftige Angriffe der Imperialisten unvermeidlich waren und dann mit dem gesamten Einsatz ihrer Produktivkräfte zu rechnen war.
Deshalb hatte unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz die Produktion solcher Mittel Vorrang, die dem Schutz vor imperialistischer Aggression dienten. Das mußte vor der Verbesserung des Lebens im Sozialismus im Vordergrund stehen. Beides - Verbesserung des Lebens und Gewährleistung der Verteidigungsfähigkeit - war aber nur durch Anhebung des Niveaus der Produktivkräfte zu erreichen. Das entspräche in etwa Dr. Elz' Erwägung einer "Kennziffer 'volkswirtschaftlicher Arbeitsproduktivität'".
In diesem Sinn war die Erhöhung der allgemeinen Produktivität in einem Maße nötig, daß sie dem Vergleich mit kapitalistischen Ländern standhielt. Was dabei in der Zeit der ersten Fünfjahrpläne erreicht wurde, war sensationell und hat die Welt in Staunen versetzt. Dennoch war das "Einholen" 1941 noch nicht abgeschlossen, und so mußten die Sowjetbürger auch im zweiten Weltkrieg durch Heroismus und Opferbereitschaft ausgleichen, was an Produktivkraft noch fehlte.
Wir sollten nicht in den Fehler verfallen, die Forderung nach Produktivkraftsteigerung in ihrer Bedeutung zu relativieren.

Fritz Dittmar, Hamburg


Gregor Gysis Aura strahlt Optimismus und Zuversicht aus. Dennoch fürchtet er sich, wie er vor einiger Zeit bei einem katholischen Kirchgang in Neubrandenburg betonte: "Ich bin nicht religiös, aber ich fürchte mich vor einer gottlosen Gesellschaft." Ein Linker fürchtet sich vor einer "gottlosen Gesellschaft"? Damit nicht genug. Er meint sogar, die Linke sei heute viel zu schwach, um moralische Werte zu entwickeln und populär zu machen.
"Wenn wir die Kirche nicht hätten, gäbe es allgemein moralische Werte nicht", ist zu hören. Warum ignoriert er die moralischen Werte im opferreichen Kampf gegen Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung sowie die Ethik für nationale Integrität und Sozialismus, wie sie nicht zuletzt Kuba vorlebt? Oder den hohen moralischen Einsatz ungezählter Menschen auf dem ganzen Globus für den Schutz von Natur und Umwelt gegen Profitinteressen der Mächtigen?
Der 200. Geburtstag von Karl Marx wäre ein guter Anlaß, über Dialektik und Eklektizismus nachzudenken, wobei ein Blick in Engels' "Anti-Dühring" hilfreich wäre.

Karl Scheffsky, Schwerin


Ich bin 87 Jahre, meine Lebenserwartungen sind begrenzt, doch mit Sorge erfüllt mich, was die große Koalition dem Volk beschert.
"Deutschland übernimmt wieder Verantwortung" und beteiligt sich an Kriegen, Waffenexporte bringen Profit, und die Ausbeutung der Ressourcen durch deutsche Monopole beschert den Völkern der "Dritten Welt" Not und Elend. In der reichen BRD bestimmt der Profit die Politik. Etwa ein Prozent der Deutschen wird immer reicher, wozu auch Steuerhinterziehungen sowie Abgasbetrug beitragen. Die Kriminalität hat eine Blütezeit, und die AfD verkündet im Bundestag ihre Weltanschauung. Für die große Mehrheit des Volkes herrscht jedoch soziale Ungerechtigkeit, Zeitarbeit, Hartz-IV-Almosen dominieren, den Ostdeutschen bleibt die Rentenungerechtigkeit erhalten, und Alters- sowie Kinderarmut sind alltäglich. Seit 1990 gehören Bettler und Obdachlose wieder zum Erscheinungsbild der Hauptstadt, und ich habe keine Hoffnung, daß die Digitalisierung zu einem menschenwürdigeren Leben unserer Nachkommen beitragen wird.
Trotz allem kann ich nicht glauben, daß die große Mehrheit der human denkenden Menschen die Superreichen in der Welt gewähren läßt, um in ihrer Gier nach Profit die Umwelt zu zerstören und durch einen Atomkrieg die Menschheit zu vernichten. Die Zukunft liegt in der Hand der weltweit aktiven linken Parteien, Organisationen und Bewegungen. Nur sie sind in der Lage, in ihrem Kampf gegen Krieg und Kriegsgefahr, zur Überwindung von Hunger und sozialer Ungerechtigkeit sowie zum Erhalt der natürlichen Lebensbedingungen die unterdrückten Völker wachzurütteln und zu vereinen. Auch wenn dazu noch große Anstrengungen erforderlich sind, die geknechtete Menschheit wird - inspiriert durch die noch heute aktuellen Erkenntnisse von Karl Marx - ihre Ketten abwerfen und der Erdbevölkerung ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Daran glaube ich!

Rudolf Höll, Berlin


Was der neue Gesundheitsminister zu Hartz IV von sich gegeben hat, ist aus den Reihen deutscher Politiker weder neu noch verwunderlich. Beinahe möchte man glauben, eine gezielte Provokation, um dem Thema wieder richtig Feuer zu geben. Es ist gelungen. Es gibt mehr als genug, die der Aussage und dem Manne beipflichten. Scheinwissen, Ahnungslosigkeit und Vorurteile genügen in diesem Land, um sich klug und wissend zu wähnen.
Es sei genug, wenn in Deutschland Hartz-IV-Betroffene nicht hungern, verhungern müssen. Das sei als gewaltige Sozialleistung fürs Nichtstun zu verstehen. Mit solcher Arroganz und Verachtung ist seit Jahrzehnten die erwünschte Stimmung erzeugt worden.
Was am Menschen noch Mensch ist, dessen Existenz sich wesentlich im Nicht-hungern-Müssen erschöpft, interessiert die Spahns und Co. kaum. Vielmehr sind dessen Äußerungen Wasser auf die Mühlen jener, die von ihrer Hände Arbeit nicht leben können und Hartz-IV-Empfänger als Schmarotzer empfinden. Diese bekämen 416 Euro monatlich, dazu Miete, Heizung und SV-Beiträge sozusagen "geschenkt". Die Empörung steigt. Wie Menschen in Hartz IV geraten, was es mit Kapital und Markt, mit nicht verwertbaren, nicht "marktgerechten" Menschen zu tun haben könnte, will man nicht wissen. Wovon und wie einige immer reicher werden, auch ohne anstrengende Arbeit, empört nur wenige. Welche Partei, welche Gewerkschaften haben noch eine Spur vom Verständnis eines Karl Marx, dessen 200. Geburtstag wir gerade begehen?

Roland Winkler, Plauen


Als am 23. Februar die Leser des ND, zu denen ich seit Anfang der 50er Jahre ebenfalls zähle, ihre "Sozialistische Tageszeitung" lasen, glaubten sicher viele, ihren Augen nicht zu trauen: Auf deren Titelseite war unter der Rubrik "Unten links" ein durchgängig antikommunistischer Schmähbeitrag über den Dramatiker, Lyriker und Regisseur von Weltgeltung, Bertolt Brecht, publiziert.
Bereits eingangs wird er dort als ein "Zeit seines Lebens ungekämmter fanatischer Kommunist, der sich selbst für einen Künstler hielt", verunglimpft.
In diesem Jargon geht es weiter. So wird ihm ein "linksvergiftetes Drogenopferleben" angelogen, seine "stalinistischen Theaterstücke" enthielten "viel Wirres und Hetzerisches", womit solche Werke wie die "Dreigroschenoper", "Die Gewehre der Frau Carrar", "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", "Mutter Courage und ihre Kinder" gemeint waren.
Dem Schreiberling scheint entgangen zu sein, daß Brecht 1951 in der DDR den Nationalpreis erhielt, womit sein Beitrag im Kampf für Frieden, gesellschaftlichen Fortschritt und eine glückliche Zukunft der Menschheit gewürdigt wurde. Hat der Verfasser nie etwas von dem 1949 gemeinsam mit Helene Weigel gegründeten unvergleichlichen Berliner Ensemble gehört, das sogar dreimal diesen Preis erhielt?
Der mit "tbl" unterzeichnende Autor scheute sich auch nicht, Brecht gar als "Schmierfinken" zu bezeichnen! Müßte da nicht aus der Münchener Ruhmeshalle Brechts Büste, die seit 2009 dort ihren verdienten Platz gefunden hat, entfernt und das bereits seit 2006 jährlich in Augsburg stattfindende "Brecht-Festival" abgesagt werden?
Bekanntlich wurden Brechts Werke im Mai 1933 von den Nazis bei der Bücherverbrennung in der berüchtigten Aktion "wider den undeutschen Geist" den Flammen übergeben. Der Verfasser beruft sich auf Adenauers Außenminister Heinrich von Brentano, wonach die "fragwürdigen" Bühnenstücke Brechts "kein sinnvoller Ausdruck deutschen Kulturguts" seien - eine solche Schmähung könnte auch während der genannten Bücherverbrennung gefallen sein!
Was mich betrifft, kam ich Anfang der 50er Jahre an der ABF Leipzig erstmals mit Brechts Leben und Werk in Berührung und gehöre seitdem zu seinen Bewunderern und Gleichgesinnten. Ich freue mich über jede Aufführung seiner Werke, wie gegenwärtig "Der gute Mensch von Sezuan" in Dresden.
Und in meinem Zimmer hängt seit vielen Jahren Brechts "Lob des Kommunismus".
Es ist sehr erfreulich, daß auch weitere Leser des ND ihrer Empörung über diesen Artikel Ausdruck verliehen, indem sie ihn als "derbe, dumme und niveaulose Holzhammerstilistik", die in einer "sozialistischen Tageszeitung" fehl am Platze ist, bezeichneten.

Heinz Behrendt, Plauen


Zum Leserbrief von Carsten Hanke im RF 241 (Februar) zum Thema Spenden
Ich stimme Carsten Hanke zu, will aber ergänzen, daß die meisten Spendenaufrufe - ob für Kriegsopfer, Opfer von Naturkatastrophen, für die Krebshilfe und viele andere - nicht nötig wären, würde die Regierung endlich für die gerechte Besteuerung von Bürgern und Unternehmen sorgen. Die Regierungskasse wäre dann mit mehreren 100.000 Euro Mehreinnahmen im Jahr so gut gefüllt, daß man nicht an uns, die wir oft recht bescheidene Renten und Löhne erhalten, appellieren müßte, davon noch etwas abzugeben. Aber wir wissen ja: "Sie dachten, sie wären an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung."

Wolfgang Reinhardt, Nordhausen


Der gemeinnützige Verein "Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe", der seit einigen Jahren aktive Solidarität mit den Menschen in Donezk und Lugansk übt, ist in unserer "RotFuchs"-Gruppe nicht unbekannt. Auf unserer Jahresabschlußveranstaltung war die Vorsitzende des Vereins FBKO, Liane Kilinc, zu Gast und hat einen Film, den sie während ihres jüngsten Aufenthaltes in Gorlovka (Donbass) mit Hilfe der Partnerorganisation "Mosty Mira" (Friedensbrücke) gedreht hat, gezeigt. Wir waren tief beeindruckt vom Aufbauwillen und der Widerstandskraft der dortigen Bevölkerung. Trotz des vereinbarten Waffenstillstandsabkommens beschießt die schwerbewaffnete Soldateska der Ukraine fast täglich das Gebiet um Gorlovka und Teile der Stadt. Lebenswichtige Anlagen zur Wasser- und Energieversorgung werden dabei immer wieder getroffen. Die Filmaufnahmen führten uns das Maß der Zerstörung vor Augen, sie zeugten aber auch vom unbeugsamen Aufbauwillen der Menschen und gaben Einblick in berührende Treffen mit ihnen und den Kindern in Schulen und Betreuungseinrichtungen, denen die von vielen auch aus dem Kreis Barnim gesammelten Solidaritätsspenden übergeben wurden. Eine spontane Spendensammlung im unmittelbaren Anschluß an den Film erbrachte eine Summe von 155 Euro, die noch rechtzeitig zum russischen Weihnachtsfest vor Ort ankam, wie wir später erfuhren.

Helmut Braunschweig, Eberswalde


Zu dem Artikel "Geld macht Politik - ein Kapitel Politökonomie" (RF 242, Seite 10)
Dieser Beitrag ist eine wertvolle Argumentationshilfe, nicht nur für Wahlkämpfe. Vielen Dank! Wenn ich zusammenaddiere, was Konzerne, aber auch kleinere Kapital- und Beteiligungsgesellschaften für ihre Interessenvertreter der CDU und der FDP gespendet haben, erhielt nach sicher unvollständiger Listen die CDU im Jahre 2017 mehr als 3,5 Millionen Euro, während es für die FDP über 1,15 Millionen waren. Damit wird klar, wem CDU und FDP - frei nach dem Motto "Wes Brot ich eß, des Lied ich sing" - dienen.

Klaus D. Fischer, Weimar


Der Artikel "Geld macht Politik" ist für die politische Arbeit sehr wichtig. Niemand kann diese Tatsachen als "linke Parteipropaganda" abtun, da sie, wenn auch nur auszugsweise, aus dem Büro des Bundestagspräsidenten stammen. Wieder einmal wird deutlich, woher die Sympathien für die Parteien des großen Geldes stammen, welche Interessen dahinter stehen und daß "Chancengleichheit" nur eine hohle Phrase ist. Als antifaschistisch-demokratischer Verein (Prager-Haus-Verein Apolda), der den Opfern des Naziregimes ein ehrendes Gedenken bewahrt, mußten wir das selbst erfahren. Frau Susanne Klatten, BMW-Erbin, kündigte 2016 in den Tageszeitungen an, mehrere Millionen Euro für demokratische, soziale und gemeinnützige Zwecke solchen Vereinen zur Verfügung zu stellen. Eine noble Geste, dachten wir, und bewarben uns für die Förderung. Die Berliner Firma "Phineo", die nach Prüfung der Anträge mit der Entscheidungsfindung beauftragt war, teilte uns mit, wir hätten den Antrag einmal zu früh und einmal zu spät gestellt und könnten deshalb nicht berücksichtigt werden, obwohl unser Anliegen "lobenswert" erscheine.
Jetzt lesen wir im Beitrag des "RotFuchs", daß Frau Klatten und ihr Bruder Stefan Quandt jeweils 50.000 Euro an die CDU und die FDP überwiesen haben. So sieht sie also aus, die Förderung gemeinnütziger, demokratischer Vereine, die ohne große Parteispenden eine wertvolle Arbeit leisten.

Klaus Hoppe, Apolda


Die "Schweriner Volkszeitung" vom 14. Dezember 2017 überschrieb einen Artikel über die jüngste Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung zu § 6 AAÜG triumphierend: "Gesetzgeber darf bei DDR-Minister Rente begrenzen". "ISOR aktuell" brachte im Februar dazu einen Leserbrief, dessen Veröffentlichung die SVZ verweigerte. In diesem Brief heißt es: Ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, die im Baltikum oder anderswo leben, sich aktiv und freiwillig an den Untaten des deutschen Faschismus im zweiten Weltkrieg beteiligten, überweist die Bundesregierung regelmäßig eine Kriegsrente.
Nach 1990 erhoben 100.000 ehemalige "Kriegsfreiwillige" in der BRD einen Rentenanspruch.
Sie begründeten dies mit dem Dekret des Hitler-Nachfolgers Karl Dönitz aus dem Jahre 1945, wonach ihnen Kriegsrenten zu gewähren sind. Sie bekamen recht; es sind jährlich mehr als 10 Milliarden Euro für derartige Renten. 2012 erhielten 900 000 Personen eine "deutsche Kriegsrente". Der Großadmiral und enge Gefolgsmann Hitlers, Dönitz, einer der 24 Hauptangeklagten und Verurteilter des Internationalen Militärgerichtshofes, erhielt bis zu seinem Lebensende 1980 eine Pension. Dagegen nimmt das Bundesverfassungsgericht nicht einmal die Beschwerden ehemaliger Verantwortungsträger der DDR gegen die Kappung ihrer Rente an.

Wilfried Schubert, Güstrow


Zu Günter Freyer: Max Kreuziger - Allen Kindern gleiche Bildung (RF 242, S. 22)
Außerordentlich gefreut habe ich mich über den Artikel "Allen Kindern gleiche Bildung" im März-RF.
Max Kreuziger wäre entsetzt über die gegenwärtige Schulpolitik in der BRD und insbesondere über das miserable Niveau und die Ungleichheit bei der Vermittlung von Wissen in den einzelnen Bundesländern.
Ich möchte zum pädagogischen Wirken des Schulreformers Max Kreuziger hinzufügen, daß er als Verantwortlicher für den demokratischen Neubeginn des Schulwesens nach dem 8. Mai 1945 im Stadtbezirk Berlin-Prenzlauer Berg an allen Schulen im Stadtbezirk anregte, Aufsätze zum Thema "Die letzten Tage des Krieges und der Neubeginn" schreiben zu lassen. Auf seinen Vorschlag wurden die 1311 Schüleraufsätze dem damaligen Berliner Stadtarchiv übergeben. Sie befinden sich gut inventarisiert im Berliner Landesarchiv als wertvolles Zeugnis über die letzten Kriegstage und die ersten Friedenswochen in Berlin.

Dr. Günter Wehner, Berlin


Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin


Das Impressum für die obenstehende Ausgabe ist zu finden unter:
http://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2018/RF-244-05-18.pdf

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Quelle:
RotFuchs Nr. 244, 20. Jahrgang, Mai 2018
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2018

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