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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1264: Keine Raketenbasis in Tschechien


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Keine Raketenbasis in Tschechien
Eine Volksbewegung stellt den Bau der Basis in Frage

Von Stepán Steiger


Der Widerstand gegen die US-Raketenbasis ist die erste, möglicherweise erfolgreiche, Volksbewegung in Tschechien seit der Wende.


Nicht heimische, tschechische Quellen starteten die Lawine. Erst als Ende Mai 2006 die New York Times kurz erwähnte, das US-Verteidigungsministerium erwäge, in der Tschechischen Republik und in Polen eine Raketenbasis zu bauen, fand die Nachricht ihren Weg in die tschechischen Medien. Die meistgelesene Tageszeitung, Mladá fronta Dnes, berichtete Ende Juni, binnen weniger Wochen sollte entschieden werden, ob der Stützpunkt gebaut wird oder nicht.

Erst nach und nach bekam die Öffentlichkeit die Vorgeschichte mit. Im Januar 2007 sprach das Informationsbulletin des tschechischen Verteidigungsministeriums davon, dass erste amerikanisch-tschechische Beratungen schon im Juli 2002 begonnen hatten.

Zwei Monate später hatte der tschechische Verteidigungsminister Tvrdík (ein Sozialdemokrat) in Washington geweilt. Er hatte Verständnis für das Vorgehen der USA geäußert und gesagt, sein Land erwäge einen Einstieg in das Projekt. Entscheiden müssten jedoch laut Verfassung die gewählten Volksvertreter.

Eine weitere Konsultation einer tschechischen Militärdelegation mit amerikanischen Vertretern fand im November 2004 in Washington statt. Danach war über ein Jahr lang Pause. Die Beratungen wurden erst im Februar 2006 wieder aufgenommen. Man verhandelte über die Besichtigung der angebotenen Orte, sie fand Ende Juli 2006 statt.

Einen Tag nach der Besichtigung nahm die tschechische Regierung eine Information des Außenministeriums zur Kenntnis und beauftragte es, einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen zu unterbreiten. Mitte August 2006 reiste eine tschechische Delegation von Vertretern des Außen- und des Verteidigungsministeriums nach Washington. Man beriet dort über das vorläufige Ergebnis der Expertenbesichtigung sowie über politische, technische und rechtliche Aspekte der Errichtung einer amerikanischen Raketenbasis in der Tschechischen Republik.


Hinter dem Rücken der Öffentlichkeit

Zwei Punkte sind bei diesen Zeitangaben bemerkenswert: Erstens: alle Verhandlungen wurden von sozialdemokratischen Regierungen geführt. Erst ab Sommer 2006 begann die Partei in dieser Frage zu schwanken - zum Teil wohl auch deshalb, weil einer innerparteilichen Umfrage zufolge die Mehrheit der Mitglieder gegen die Basis war.

Zweitens: keine Regierung, weder die sozialdemokratischen noch die seit August 2006 bis heute amtierende bürgerliche Koalitionsregierung (bestehend aus der rechtsliberalen ODS, den Christdemokraten und den Grünen), dachte je daran, die Öffentlichkeit über diese wichtige und auch sensible Frage rechtzeitig und gründlich zu informieren.

Die Öffentlichkeit konnte das US-amerikanische Anliegen erst nach den Parlamentswahlen vom 2. und 3. Juni 2006 zur Kenntnis nehmen. Im Wahlkampf wurde es von keiner einzigen Partei auch nur erwähnt. Dabei erklärte Mirek Topolánek, der Vorsitzende der ODS und designierte Ministerpräsident, gleich nach den Wahlen: "Persönlich sage ich Ja zur amerikanischen Basis, weil sie eine Stärkung unseres Bündnisses im Rahmen der NATO bedeuten würde. Darüber hinaus ist es auch vom Standpunkt der Sicherheit eine wichtige Angelegenheit."

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Jirí Paroubek, damals noch amtierender Regierungschef, äußerte sich zurückhaltend: "Militärbasen sind ein großer Eingriff in die Psyche des Landes, in seine innere Kompaktheit." Zugleich behauptete er, die Basis könnte Tausende von neuen Arbeitsplätzen schaffen - ein Argument, das sich dann als sehr zweifelhaft erwies.


"Initiative NEIN zu den Basen"

Ein Großteil der Öffentlichkeit sah die Frage von Anfang an anders. Gegen die etablierte Politik bildete sich nach und nach eine klare Mehrheit in der Bevölkerung gegen die Raketenbasis heraus - im Dezember vorigen Jahres stieg sie auf 65%. Doch diese Mehrheit fand keinen Niederschlag im Parlament: Die Koalitionsparteien hatten im Parlament zwar keine Mehrheit, waren jedoch stark genug, um Initiativen gegen die Basis abzulehnen.

Die stärkste Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, schwenkte allmählich auf eine völlig ablehnende Haltung ein, aber erst, seit sie sich in der Opposition befand. Zudem liefen drei Sozialdemokraten in dieser Frage zur Regierung über, so dass dieser nun die parlamentarische Mehrheit sicher war. Nur die Kommunistische Partei (KSCM) war von Anfang an entschieden gegen eine US-amerikanische Militärpräsenz.

Schon die ersten Nachrichten über die Möglichkeit US-amerikanischer Raketenbasen riefen bei vielen Menschen heftigen Widerstand hervor. Fast gleichzeitig entstanden zwei Protestbewegungen: Der (inzwischen verbotene) Kommunistische Jugendverband (KSM) begann, Unterschriften für ein Nein zu den Basen zu sammeln, zugleich wurde eine breite, an keine politische Partei gebundene Bewegung ins Leben gerufen.

Obwohl beide Gruppen dasselbe Ziel hatten, war ihr Weg verschieden. Die Jungkommunisten wollten ganz allgemein Proteststimmen sammeln. Die neue Bewegung, die sich bald den Namen Initiative NEIN zu den Basen gab (www.nezakladnam.cz), hatte ein klareres Ziel: Sie wollte die Abgeordnetenkammer bewegen, per Gesetz eine Volksbefragung zu ermöglichen. Sie war sich einer Mehrheit für die Ablehnung sicher.

Die tschechische Verfassung erlaubt Volksabstimmungen zwar, doch bislang gibt es kein ausführendes Gesetz - das haben die rechten Parteien bis heute verhindert.

Die Initiative nahm ihre Tätigkeit im Juli 2006 auf. Schon auf der Gründungsversammlung zeigte sich ihre Breite: Neben Einzelpersonen kamen Vertreter verschiedenster Organisationen und Gruppen, von der Friedensbewegung bis zu (vereinzelten) Grünen, von der kleinen Humanistenpartei, die ihre Räume und ihren technischen Apparat zur Verfügung stellte, bis zur Frauenpartei. Überwiegend engagierte sich die junge Generation, Männer waren stärker vertreten als Frauen.

Ursprünglich wollten die Amerikaner eine Entscheidung im September 2006, doch das erwies sich bald als illusorisch. Die Initiative begann mit der Verfassung einer Petition, unter die sie Unterschriften sammelte. Ihre Argumente waren einfach und einleuchtend:

Es gibt keinen Grund einen Raketenschirm zu bauen, denn weder der Iran noch Nordkorea haben ein Interesse, Europa oder die USA (und schon gar nicht die Tschechische Republik) anzugreifen - der Gegenschlag würde den Angreifer vernichten.

Die vorgeschlagene amerikanische Raketenabwehr ist ohnehin ein noch unbewährtes System.

Der Bau der Basis bringt für die Tschechische Republik keine nennenswerten wirtschaftlichen Vorteile, denn die meisten Arbeiten werden von US-amerikanischen Firmen durchgeführt.

Potenziell kann die Sicherheit des Landes gefährdet werden, weil die Basis es zu einem Teil der amerikanischen Außenpolitik macht.

Wie immer es auch sei, die Frage einer fremden Militärbasis auf dem Territorium der Republik ist zu wichtig, als dass nur das Parlament darüber entscheidet - es sind die Bürgerinnen und Bürger, die entscheiden müssen.

Bis Ende Januar 2009 sammelte die Initiative rund 140.000 Unterschriften, die sie dem Petitionsausschuss der Abgeordnetenkammer übergab. Sie versuchte, mit Versammlungen, Protestmärschen, Happenings und Auftritten an die Öffentlichkeit zu dringen - denn die Medien, die öffentlich-rechtlichen inbegriffen - haben mit wenigen Ausnahmen die Regierungspolitik mitgetragen und über die Proteste gegen die Basis falsch oder überhaupt nicht berichtet.

Am 7. August 2006 versammelten sich einige Dutzend Aktivisten vor dem Gebäude des Tschechischen Fernsehens und versuchten, dem Generaldirektor eine symbolische Rakete zu übergeben. Der Auftritt wurde auf Video aufgenommen und von anderen Fernsehkanälen ausgestrahlt. Eine Woche später wurde im Prager Stadtzentrum ein "Raketenmarsch" veranstaltet. Vom Wenzelsplatz zum Friedensplatz - welche Ironie! - nahmen etwa 1000 Menschen daran teil. In den folgenden Monaten und Jahren wurden diese Protestversammlungen in Prag fast zum Teil des städtischen Lebens.

Allerdings beschränkten sich die Aktivitäten bei weitem nicht auf Prag. Als bekannt wurde, die US-amerikanischen Experten hätten im Militärbezirk Brdy einen geeigneten Ort für die Basis gefunden, gab es in den umliegenden Dörfern fast einen Aufstand. Das Hügelland von Brdy, keine 50 Kilometer südwestlich von Prag, ist eine Art Übungsplatz, der zwischen 1968 und 1990 nicht nur von der tschechoslowakischen, sondern auch von der sowjetischen Armee genutzt wurde. Schon deshalb wollten die Bewohner keine Erfahrungen mit Militärs mehr machen.

Der Bürgermeister im Städtchen Trokavec, Jan Neoral, hatte sogar den kühnen Einfall, ein örtliches Referendum abzuhalten. Zwar ist so etwas für die Regierung nicht bindend, doch als Ausdruck des Volkswillens ist es ziemlich bedeutungsvoll. Von den 72 Wahlberechtigten sprachen sich 71 gegen die Basis aus. Diesem Beispiel folgend gab es danach Volksabstimmungen in mehreren anderen umliegenden Orten - ohne Ausnahme immer mit einer überwältigenden Mehrheit gegen die Basis.

Der Bürgermeister von Trokavec wurde zu einer Berühmtheit, denn seine Überzeugung vertrat er nicht nur auf Versammlungen in Prag, sondern auch auf verschiedenen internationalen Treffen, u.a. vor dem Europäischen Parlament in Brüssel, das im Februar eine öffentliche Anhörung dazu durchführte.


Ende gut, alles gut?

Nach langwierigen Verhandlungen wurde der erste Vertrag am 19. September 2008 von den Verteidigungsministern der USA und der Tschechischen Republik paraphiert. Der tschechische Senat billigte ihn am 27. November 2008. Wann ihn die Abgeordnetenkammer beraten wird, ist noch ungewiss.

Skeptiker könnten behaupten, die Mühen der Initiative Nein zu den Basen hatten keinen Erfolg, denn das gewünschte Gesetz über ein Referendum wurde im Parlament nicht verhandelt. Die Verzögerung und Verschiebung der abgeschlossenen Verträge - auf den St. Nimmerleinstag, wie es im Moment scheint - sei mehr der politischen Wende in den USA zuzuschreiben als der politischen Entwicklung in der Tschechischen Republik. Es steht immer noch nicht fest, ob die Raketenbasis letztendlich gebaut wird oder nicht.

Optimisten und Gegner der Basis sind hingegen der Meinung, dass ohne den Druck der Öffentlichkeit und die Aktionen der Initiative die Sozialdemokraten sich kaum so deutlich gegen die Basis gestellt hätten.

Im Moment scheinen die Amerikaner die Raketenbasis nur als eine Trumpfkarte in ihren Verhandlungen mit Russland auszuspielen. Wenn der tschechische Ministerpräsident kleinlaut bemerkt, Tschechien habe den Vertrag paraphiert, antwortet Hillary Clinton, Tschechien werde auf andere Weise kompensiert werden. Man könnte annehmen, die Bewegung gegen die Basis sei einem Sieg ziemlich nah.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 24. Jg., April 2009, Seite 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2009