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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1316: Wirtschaftspolitik nach der Bundestagswahl


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 - September 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Wirtschaftspolitik nach der Bundestagswahl

Von Ingo Schmidt


Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Ampel oder Jamaika - in welchen Farben die nächste Bundesregierung antreten wird, ist noch ungewiss. Was für eine Wirtschaftspolitik wir nach dem 27. September zu erwarten haben, ist dagegen schon deutlich absehbar.


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Von unterschiedlichen Marketingstrategien - Merkel, Marktwirtschaft, ökologische Industriepolitik, Green New Deal - abgesehen, zeichnet sich bei den Parteien, die mit unterschiedlichen Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hoffen können, folgender Konsens ab: Dank beherzter Staatseingriffe im vergangenen Herbst konnte ein Zusammenbruch der Wirtschaft verhindert werden. Die Konjunktur hat ihren Tiefpunkt erreicht, sodass es jetzt nur noch bergauf gehen kann. Einzig eine falsche Wirtschaftspolitik könnte diesen Aufschwung noch verhindern. Dazu wird es aber nicht kommen, weil mit Ausnahme der LINKEN alle Parteien für die richtige Politik eintreten. Hauptziel dieser Politik: Wir müssen Exportweltmeister bleiben, weil sich die für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gewinne nur auf dem Weltmarkt erwirtschaften lassen. Wichtigste Voraussetzung zur Erreichung dieses Ziels: Ein energischer Tritt auf die Schuldenbremse, weil die Staatsschuld andernfalls zur Inflation und damit zur Verteuerung deutscher Ausfuhren und zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz führt.


Staatsschuld und Inflation

So weit, so falsch. Die Regierungen anderer Länder haben genauso viel, einige sogar sehr viel mehr Geld zur Finanzierung von Konjunktur- und Bankenrettungspaketen ausgegeben. Sollte die damit einhergehende Erhöhung der Staatsverschuldung die Inflationsrate tatsächlich in die Höhe treiben, würden sich die Ausfuhren aller Länder verteuern. Ein besonderer Wettbewerbsnachteil für deutsche Exporteure ließe sich aus Preissteigerungen in allen Ländern nicht ableiten. Wichtiger noch: Ein Zusammenhang zwischen Staatsschuld und Inflation besteht zwar in den theoretischen Modellen monetaristischer Ökonomen, lässt sich aber empirisch nicht belegen. Ein Blick auf die Wirtschaftsgeschichte legt vielmehr folgende Inflationsursachen nahe:

Erstens, steigende Nachfrage wird von Unternehmen genutzt, um höhere Preise für ihre Waren durchzusetzen und auf diese Weise Umsatz und Gewinn zu erhöhen. Zweitens, sofern ausreichende Nachfrage vorhanden ist, geben Unternehmen steigende Kosten für Löhne, Vorleistungen und Rohstoffe an ihre Kunden weiter und verteidigen auf diese Weise ihre Gewinnmargen. Drittens, in einer Konzertierten Aktion von Politik und Unternehmen wird eine Inflationswelle losgetreten, um die reale Kaufkraft von Löhnen, Transfereinkommen und Ersparnissen zu zerstören.

Gegenwärtig liegt keiner dieser drei Fälle vor. Von steigender Nachfrage kann keine Rede sein. Darüber hinaus halten Überkapazitäten und Arbeitslosigkeit die Preise für Arbeitskraft und Vorleistungen so niedrig, dass selbst steigende Rohstoffpreise nur eine geringe Bedrohung der Gewinnspanne darstellen. Schließlich steht eine politisch gewollte Inflation gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung, weil damit nicht gleichzeitig die Ziele der Exportsteigerung und der realen Abwertung von Löhnen, Transfereinkommen und Ersparnissen erreicht werden könnten.

Zu einer solchen, weder vom regulären Geschäftsbetrieb der Unternehmen noch von gewerkschaftlich ausgehandelten Lohnerhöhungen verursachten, Form der politischen Inflation nimmt die Bourgeoisie nur dann Zuflucht, wenn sie sich der Forderungen subalterner Klassen anders nicht mehr zu erwehren weiß. Doch der Preis für den Klassenkampf durch Inflation ist hoch, weil er zur massiven Abwertung der Währung und aller in dieser Währung gehaltenen Vermögensbestände führt.

Von einer solchen Zuspitzung der Klassenkämpfe ist Deutschland, ebenso wie die anderen kapitalistischen Hauptländer, jedoch weit entfernt. Für den trotz Wirtschaftskrise herrschenden sozialen Frieden ist nicht zuletzt die Tatsache verantwortlich, dass die subalternen Klassen kaum Forderungen aufstellen, geschweige denn für deren Durchsetzung kämpfen. Diese Zurückhaltung geht wiederum auf die mangelnde Organisation und Repräsentation dieser Klassen zurück - auch DIE LINKE ist weit davon entfernt, eine strategisch operierende Arbeiterpartei zu sein. Zudem sind viele Arbeiter, Angestellte und Bezieher von Transfereinkommen davon überzeugt, dass ihr Wohlergehen von Deutschlands Exporterfolgen, einem ausgeglichenen Staatshaushalt und stabilen Preisen abhängt.


Exportweltmeister für immer?

Ein Fall falschen Bewusstseins, der sich durch die monetaristische Propagandaoffensive und den Mangel an wirtschaftspolitischer Aufklärung von links erklärt? Keinesfalls. Zur deutschen Volksreligion konnten Exportweltmeisterschaft, Haushaltsausgleich und Null-Inflation nur werden, weil sich in ihnen kollektive Erfahrungen ausdrücken. Inflation, Staatsbankrott und Zusammenbruch des Weltmarkts haben im vergangenen Jahrhundert nicht nur der Bourgeoisie das Ausbeuten schwer gemacht, sondern auch mehrfach zu Massenelend in Arbeitervierteln geführt. Umgekehrt war das deutsche Wirtschaftswunder in der Tat vom Export getrieben und von geringer Staatsverschuldung und stabilen Preisen begleitet.

Angesichts dieser kollektiven Krisen- und Prosperitätserfahrungen ist es keinesfalls verwunderlich, dass Menschen unterschiedlicher Klassenherkunft die Wiederherstellung einer auf Exportüberschüssen beruhenden Prosperität anstreben, selbst wenn sie, je nach Klassenlage, unter den dafür als notwendig erachteten Maßnahmen zu leiden haben. Zudem lassen die in Ostdeutschland gemachten Sozialismuserfahrungen die Suche nach wirtschaftspolitischen Alternativen zum Kapitalismus keineswegs attraktiv erscheinen.

Ein Ratgeber für die Zukunft sind kollektive Erfahrungen natürlich nur, wenn die Frage gestellt wird, ob die Bedingungen, die bestimmte Entwicklungen in der Vergangenheit möglich gemacht haben, heute noch gültig sind. Ohne solch einen Prozess kritischer und kollektiver Selbstverständigung verkommen Erfahrungen der Vergangenheit zu einem Mythos, der anderen die Gestaltung der Zukunft überlässt. Genau danach sieht es gegenwärtig aus. Von der Rückkehr zum monetaristischen Credo nach einem staatsinterventionistischen Zwischenspiel erhofft sich die Bourgeoisie ein Abwälzen der Krisenlasten auf subalterne Schultern. Eine Prosperität, von der nach einer Zeit des Gürtel-enger-Schnallens auch die subalternen Klassen profitieren würden, ist dagegen höchst unwahrscheinlich.


Überproduktion

Um die Unwahrscheinlichkeit eines baldigen und kräftigen Aufschwungs zu verstehen, soll an einige Bedingungen erinnert werden, die das exportgeleitete Wachstum der Vergangenheit ermöglicht haben, aus dem kollektiven Gedächtnis aber weitgehend verdrängt sind. Hierzu zählen die Unterbewertung der D-Mark und die niedrigen Löhne in den 50er und 60er Jahren - sie haben deutsche Exporte im internationalen Vergleich zu Schnäppchen gemacht. Dazu zählte auch das, nicht zuletzt durch Staatsausgaben angetriebene, Nachfragewachstum in den USA.

Seither sind jedoch viele andere Länder auf den Pfad des exportorientierten Wachstums eingeschwenkt und haben weltweit Überkapazitäten herbeigeführt, die auch eine spekulationsgetriebene bzw. schuldenfinanzierte Nachfrage nur noch unzureichend auslasten kann. Das Problem des Überangebots bzw. der unzureichenden globalen Nachfrage stellte sich zuerst in den 70er Jahren und konnte seither nur notdürftig durch die Anhäufung fiktiver Vermögenswerte sowie hierauf beruhender Kreditaufnahme und Güternachfrage gelöst werden. Allerdings waren von Zyklus zu Zyklus größere Spekulationsblasen und Schuldenexzesse nötig, um Wertschöpfung und Beschäftigung anzuregen.

Steigende Reallöhne gab es nur noch in wenigen Aufsteigerländern, in den armen Ländern sank mit dem Lohnniveau auch der Lebensstandard, während in den reichen Ländern eine Ausweitung der Arbeitszeit und der Zugang zu Konsumentenkredit Teilen der Arbeiterklasse die Beibehaltung ihres gewohnten Konsumstandards erlaubten. Allerdings verloren auch in diesen Ländern immer mehr Menschen den Anschluss an die finanzkapitalistische Akkumulation.

Nachdem dieses Akkumulationsmodell vor einem Jahr in eine schwere Krise geraten ist, haben Staatsausgaben und billiges Zentralbankgeld in bescheidenem Maße zur Stabilisierung von Nachfrage und Beschäftigung beigetragen und damit den Absturz gebremst. Der Haupteffekt dieser Interventionen bestand jedoch in einem staatlich subventionierten Wiederanstieg von Wertpapierkursen, die gemessen an den tatsächlichen und an den für die nähere Zukunft zu erwartenden Unternehmensgewinnen erneut krisenträchtig überbewertet sind.

Das heißt, noch bevor die letzte Krise überwunden ist, wird schon das Potenzial für die nächste Krise aufgebaut. Eine im Namen von Export und Haushaltskonsolidierung betriebene Wirtschaftspolitik ist geeignet, dieses Krisenpotenzial zu realisieren. Alternativen hierzu werden am 27. September keine Mehrheiten finden und stehen auch kaum zur Wahl. Sie müssen in vielen Bereichen erst entwickelt und die Bewegungen zu ihrer Durchsetzung aufgebaut werden.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 24.Jg., September 2009, Seite 19
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2009