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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1423: Das Wirken der Ratingagenturen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Komplizen
Das Wirken der Ratingagenturen und der Unwille zu ihrer Kontrolle

Von Benedict Ugarte Chacón


Ratingagenturen haben die Finanzmarktkrise mitverursacht - doch ihre Regulierung findet nur höchst zaghaft statt.


Im Zuge der Finanzmarktkrise gerieten auch die Ratingagenturen ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Ihnen wird mittlerweile auch von staatlichen Stellen eine Mitschuld an der Finanzmarktkrise bescheinigt. So weist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in ihrem Jahresbericht 2009 darauf hin, dass die "Arbeit von Ratingagenturen ... als ein Faktor angesehen" wird, "der für die Entstehung der Finanzkrise mitentscheidend war."

Nicht nur die positive Bewertung von hochspekulativen Finanzprodukten, die heute entweder als "Schrottpapiere" in den Giftschränken der Kreditinstitute lagern oder durch staatliche "Rettungsmaßnahmen" bereinigt wurden, ist ihnen vorzuhalten. Auch im Fall von Griechenland gossen sie durch die Herabstufung ihrer Ratings Öl ins Feuer und verschärften damit noch die Situation.

Die drei großen Ratingagenturen Standard & Poors, Moodys und Fitch beherrschen den Bewertungsmarkt nahezu absolut: 95% aller Bonitätsbewertungen werden von diesen drei Agenturen vorgenommen. Die Ratingagenturen sind dabei als private Finanzmarkt-Dienstleister zu sehen, die den Anlegern zuverlässige Informationen, Bewertungen und Risikoeinschätzungen über die Bonität von Wertpapier- oder Anleihe-Emittenten liefern sollen.

Die Anleger verfügen, strukturell bedingt, nicht über alle für sie wichtigen Informationen bzw. können diese nicht für jedes Wertpapier, in das sie investieren wollen, beschaffen. Die Ratings der Agenturen sollen diese Lücke schließen und die Anleger so bei ihrer Investitionsentscheidung unterstützen. Das Ergebnis des jeweiligen Ratings wird mit einer Buchstabenfolge dargestellt, die sich je nach Agentur geringfügig unterscheidet, im großen und ganzen jedoch vergleichbar ist (AAA für "höchste Bonität" bis D für "zahlungsunfähig").


Unlegitimierte Macht

So weit jedenfalls die Theorie. In der Praxis wissen Außenstehende nur äußerst selten genau darüber Bescheid, nach welchen Kriterien und mit Hilfe welcher mathematischen Formeln ein spezielles Rating zustande kommt. Das ist auch nicht unbedingt notwendig, denn so lange den Ratingagenturen eine nahezu unfehlbare Autorität zugestanden wird, bleibt ihr Urteil über die Bonität eines Kreditinstituts - oder auch die eines Staates - unabhängig von anderen Faktoren die entscheidende Größe bei der Beurteilung eines Finanzmarkt-Akteurs durch die anderen Marktteilnehmer.

Senken die Agenturen den Daumen, stufen sie also das Rating eines Finanzmarktakteurs herab, reagiert der Markt so, dass es für besagten Akteur teurer wird, sich über den Finanzmarkt zu refinanzieren. Je schlechter die Bonität, desto höhere Zinsen sind zu zahlen. Im Fall von Staaten hat solch eine Herabstufung nicht nur finanzielle, sondern auch gesellschaftliche Folgen. Denn wenn ein Staat seine Refinanzierungskosten senken will, also ein besseres Rating erhalten will, sieht er sich gezwungen, entsprechend den Vorstellungen der Ratingagenturen zu handeln. Und diese Vorstellungen entsprechen nun mal knallharten neoliberalen Marktlogiken.

Einsparungen im sozialen Bereich, Privatisierungen usw. sind die Folgen. Damit üben die privaten Ratingagenturen eine nicht legitimierte politische Macht aus, die ihnen in keinem Fall zusteht. Die Agenturen selbst spielen ihre Rolle allerdings gerne mit der Aussage herunter, es handle sich bei ihren Ratings lediglich um eine "Meinung", die potenziellen Anleger könnten ja auch auf andere Informationen zurückgreifen.

Die unlegitimierte Macht der Ratingagenturen ergibt sich daraus, dass neben den Banken auch Aufsichtsbehörden und Zentralbanken die "Meinungen" der Agenturen wie objektive, ex cathedra verkündete Wahrheiten behandeln. Und das wohlwissend, dass die Agenturen die Finanzmarktkrise mit vorbereiteten, indem sie als Berater für die Konstruktion hochkomplexer Finanzprodukte tätig waren, gleichzeitig diese Produkte mit einem guten Rating versahen und noch dazu von den Instituten, deren Produkte sie bewerteten, bezahlt wurden.

Dies wiederum kennt man schon aus dem Bereich der Wirtschaftsprüfer, die im Zuge großer Unternehmenspleiten wie ENRON schon vor Jahren wegen ähnlicher Interessenskonflikte in die Diskussion gerieten. Doch wie bei den Wirtschaftsprüfern auch, ist es ein etwas längerer Weg von der Einsicht, dass es sich bei den Agenturen um Komplizen der Krisenbanker handelt, bis zu Überlegungen, in diesen Bereich regulierend einzugreifen.

Die Finanzmarktkrise brach schließlich schon 2007 offen aus, aber erst 2009 begann man auf internationaler Ebene ernsthaft über entsprechende Maßnahmen zu diskutieren. Diese Tendenzen auf politischer Ebene schlugen bislang allerdings nicht auf die Finanzmärkte durch: Wie sonst hätte es wie im Fall von Griechenland dazu kommen können, dass Marktteilnehmer nach wie vor uneingeschränkt den Urteilen bzw. "Meinungen" der Ratingagenturen Folge leisten?


Zaghafte Regulierung statt Zerschlagung

Beim G20-Gipfel im April 2009 wurde beschlossen, die Ratingagenturen einer sanften Regulierung zu unterwerfen. Auf EU-Ebene sind die Ratingagenturen laut einer hierzu erlassenen Verordnung nun angehalten, sich bis zum 7. September 2010 registrieren zu lassen und zu versichern, sich einem Verhaltenskodex zu unterwerfen.

So soll es ihnen nicht mehr erlaubt sein, einen Kunden gleichzeitig zu beraten und zu bewerten. Für die Beaufsichtigung der Agenturen sind, bis zur Einrichtung einer europäischen Aufsichtsbehörde, die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig. In Deutschland ist dies die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), deren Tätigkeit in diesem Bereich durch eine Änderung des Wertpapierhandelsgesetzes festgeschrieben wurde.

Es soll nun also jene Behörde die Ratingagenturen kontrollieren, die in den letzten Jahren vor allem dadurch aufgefallen ist, dass sie Krisen diverser Kreditinstitute entweder nicht vorhergesehen haben will oder - noch schlimmer - Kreditinstitute auf ihrem Weg in die Krise beobachtend begleitete, so wie etwa die mit über 100 Milliarden an Garantien und Beihilfen gerettete und mittlerweile verstaatlichte Hypo Real Estate. Und so, wie diese Beaufsichtigung laut Gesetz nun funktionieren soll, wird klar, dass weder Gesetzgeber noch Bankenaufsicht etwas aus der bisherigen Krise gelernt haben: Die BaFin nimmt Prüfungen der Ratingagenturen nämlich gar nicht selbst vor, sondern, so steht es im Gesetz, "beauftragt als Wirtschaftsprüfer oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften".

Dieses Vorgehen ist an sich nicht neu, da die BaFin auch in ihrer sonstigen Aufsichtstätigkeit auf private Wirtschaftsprüfer zurückgreift, z.B. wenn Sonderprüfungen gefährdeter Kreditinstitute anstehen. Genau wie bei Bankenprüfungen liegt bei der Prüfung der Ratingagenturen die Frage nahe, was für eine Existenzberechtigung eine staatliche Bankenaufsicht haben soll, die ihre angebliche Prüfungstätigkeit an private Dienstleister vergibt. Gerade die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die jahrelang Banken testierten, die in der Finanzmarktkrise ins Wanken gerieten und damit mindestens genauso mitverantwortlich für die Krise sind wie die Ratingagenturen, bekommen nun noch Zusatzaufträge vom Staat.

Der Bußgeldkatalog, mit dem staatlicherseits den Ratingagenturen gedroht wird, wenn sie sich nicht an die EU-Verordnung halten, ist vergleichsweise harmlos: Bei Verstößen drohen Strafen von 200.000 Euro bis zu einer Million.

Trotz aller wohlfeilen Regulierungsbeteuerungen der Regierungen zeigt das Beispiel der Ratingagenturen, dass auf dieser Ebene kein Wille vorhanden ist, sich im Zuge der Finanzmarktkrise auf einen Lernprozess einzulassen. Es werden zwar Banken verstaatlicht (zwar nicht die vermögenden, aber immerhin die kaputten), doch an die Kontrolle wagt man sich staatlicherseits nicht heran.

Richtig wäre es, das marktbeherrschende Oligopol der drei großen Agenturen zu zerschlagen. Noch richtiger wäre die Abschaffung privater Ratingagenturen und die Errichtung einer staatlichen Stelle, die zu Aufsicht und Bewertung in der Lage wäre.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 25.Jg., Juli/August 2010, S. 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2010