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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1797: Einzelhandel - Schlechte Arbeit lohnt nicht


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 - Januar 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Einzelhandel - Schlechte Arbeit lohnt nicht
Warum die Unternehmer in der Tarifrunde Baden-Württemberg eingeknickt sind

Von Helmut Born



Am 5. Dezember haben der Fachbereich Handel von Ver.di und der Handelsverband Baden-Württemberg (EHV) einen Abschluss in der seit April andauernden Tarifrunde erzielt. Dabei mussten die Unternehmer von ihren ursprünglichen Forderungen erhebliche Abstriche machen. Vor allem die unveränderte Wiederinkraftsetzung des Manteltarifvertrags macht das deutlich.


Der Abschluss ist nach einer bisher beispiellosen Mobilisierung im Einzelhandel im sicherlich kämpferischsten Tarifbezirk, Baden-Württemberg, im wahrsten Sinne des Wortes erstritten worden. Viele Betriebe in Baden-Württemberg standen während der achtmonatigen Tarifauseinandersetzung weit über 50 Tage lang im Streik. Daran beteilgt waren u.a. die Beschäftigten in Betrieben von H+M, Real, Kaufhof, Kaufland, Zarra und in einzelnen Märkten anderer Unternehmen. Für Ver.di besonders pikant an diesem Abschluss ist, dass ein in der innergewerkschaftlichen Diskussion äußerst kritischer Landesfachbereich wieder einmal einen Abschluss erreicht hat, der mehr ist als ein fauler Kompromiss.


Lohn und Gehalt

Die Unternehmer hatten seit Juli 2013 die Einkommen der Beschäftigten einseitig um 2,5% erhöht. Für die Monate April bis Juni 2013 hatten sie keine Erhöhung vorgesehen. Ab dem 1.4.2014 wollten sie eine Erhöhung von 1,5% zahlen.

Der Abschluss sieht nun folgendermaßen aus:

  • Es bleibt bei den drei Nullmonaten in 2013.
  • Ab dem 1. Juli 2013 gibt es rückwirkend eine Erhöhung von 3%, für Azubis gilt sie ab dem 1.8.2013.
  • Ab dem 1. April 2014 gibt es eine Erhöhung der Einkommen von 2,1%, in 2014 gibt es damit keine Nullmonate.
  • Die Auszubildendenvergütung wird ab dem 1. August 2014 überproportional um etwa 8% angehoben und auf glatte Beträge aufgerundet (im dritten Ausbildungsjahr kommen Azubis somit auf 900 Euro).

Insgesamt kann der Abschluss sich sehen lassen. Er bedeutet nicht Lohnverlust, sondern eher einen kleinen Zuwachs. Die Unternehmer wollten einen erheblich geringeren Abschluss.


Vertrauensarbeitszeit

Die Unternehmer hatten gefordert, die Regelungen im Manteltarifvertrag zur Arbeitszeit zu streichen, und eine totale Flexibilisierung verlangt. Sie wollten im Manteltarifvertrag ihre Forderung nach einer Vertrauensarbeitszeit durchsetzen, bei der Betriebsvereinbarungen nicht mehr vorgesehen gewesen wären. Damit wäre nicht nur die Regelung bezüglich einer "systematischen" Arbeitszeiteinteilung aus dem Manteltarifvertrag gestrichen worden, die Beschäftigten wären praktisch dem Diktat des Unternehmens und seiner Personalplanung ausgeliefert gewesen.

Vertrauensarbeitszeit nach den Vorstellungen der Bosse bedeutet tägliche Arbeitszeiten zwischen 4 und 10 Stunden, wöchentliche zwischen 1 und 6 Tagen und ein praktisch unbegrenztes Arbeitszeitkonto für Plus- und Minusstunden. Das alles konnte abgewehrt, der Manteltarifvertrag unverändert wieder in Kraft gesetzt werden.

In den letzten Jahren haben große Unternehmen wie Real, Kaufland oder Rewe die Auffüllung der Waren in großem Maßstab ausgegliedert. Sie haben diese Arbeiten von Leiharbeits- oder auch Werkvertragskräften erledigen lassen, die bei entsprechenden Unternehmen angestellt sind.

Die Beschäftigten in diesen Unternehmen bekommen einen Stundenlohn von 6,63 Euro. Da zu diesem Stundenlohn aber offensichtlich nicht ausreichend Beschäftigte zu finden sind und die Fluktuation in diesem Bereich hoch ist, gab es immer wieder Probleme bei der Erledigung der Arbeiten. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, wollten die Unternehmer eine neue Tarifgruppe mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro schaffen, in die alle Auffüllkräfte eingruppiert werden sollten. Außerdem sollten die Nachtarbeitszuschläge (für die Zeit von 20 Uhr bis 6 Uhr) von 50% komplett gestrichen werden.

Zu diesem Bereich wurden folgende Vereinbarungen getroffen:

  • Ab dem 1. Januar 2014 können Warenverräumer in einer neuen Tarifgruppe beschäftigt werden. Voraussetzung ist, dass der Unternehmer erklärt, dass er keine Leiharbeiter mehr zur Warenverräumung beschäftigt bzw. keinen Werkvertrag mehr abschließt.
  • Diese Beschäftigten bekommen ab dem 1. Januar 2014 einen Stundenlohn von 9,54 Euro, ab dem 1. April 9,74 Euro.
  • Die Zuschläge von 50% gelten nur noch in der Zeit von 22 Uhr bis 4 Uhr, für die Zeit von 20 und 22 Uhr und für die Zeit von 4 bis 6 Uhr gibt es einen Zuschlag von 20%.

Weil diese Tätigkeiten häufig in der Nacht oder am späten Abend ausgeübt werden, hatten die Unternehmer ein großes Interesse daran, hier zu Änderungen zu kommen. Vor allem wollten sie vermeiden, dass es zu erheblichen Kostensteigerungen kommen würde, wenn die Arbeiten wieder von den eigenen Beschäftigten erledigt werden. Nebenbei bemerkt, ist diese Art von Beschäftigung ein Nebenprodukt der langen Ladenöffnungszeiten.

Dazu folgende Berechnung: Beschäftigte als Leiharbeiter: ein Stundenlohn von 6,63 Euro (ohne Zuschläge); Beschäftigte nach der neuen Tarifgruppe: ein Stundenlohn von 9,54 Euro + Zuschläge von 20% (1,91 Euro) = 11,45 Euro. Das macht in der Summe ein Plus von mindestens 4,82 Euro aus. Dies spricht für sich.

Das Wichtige an dieser Regelung ist aber, dass damit Arbeit nach Werkvertrag oder Leiharbeit massiv zurückgedrängt und Spaltungstendenzen in den Belegschaften ein Riegel vorgeschoben wird. Festzuhalten bleibt noch, dass diese Tarifgruppe nur für Beschäftigte Gültigkeit hat, die reine Auffülltätigkeiten verrichten und neu eingestellt werden müssen. Jede andere Art von Tätigkeit führt zur Eingruppierung in der für Auffüller im Tarifvertrag vorgesehenen Tarifgruppe.


Manteltarif

Bestandteil des Tarifabschlusses ist eine Überarbeitung des Manteltarifvertrags und der Entgeltstruktur. Ab dem 1. Quartal 2014 sollen die Vorbereitungen für moderierte Gespräche zur Überarbeitung des Manteltarifvertrags starten. Hierbei steht der "gemeinsame Wille, die Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung insgesamt zu überarbeiten", im Vordergrund. In der Tat sind die Regelungen im Manteltarifvertrag diesbezüglich diskussionswürdig, weil sie mit der betrieblichen Praxis häufig nichts mehr zu tun haben. Insbesonders die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellt sich heute anders als in den 1980er oder 1990er Jahren. Gerade in einer Branche, die so stark von Frauen geprägt ist wie der Einzelhandel, sind Regelungen für die Beschäftigten dringend vonnöten.

Erfreulicherweise soll es bei der Neugestaltung der Entgeltstruktur keine Vorfestlegung auf ein bestimmtes Konzept der Lohnfindung geben. Vor allem soll es keine Festlegung auf ein analytisches Arbeitsplatzbewertungssystem geben, bei dem nur die Art der Arbeit die Entlohnung bestimmt. Auf diesen Weg hatten sich der Handelsverband (HDE) und die Spitzen von Ver.di schon begeben, bevor die kritischen Kräfte, an der Spitze die Kolleginnen und Kollegen aus Baden-Württemberg, das Projekt stoppen konnten.

Auch wenn die Unternehmer bei den Verhandlungen versuchen werden, ihre Positionen durchzusetzen, sind die Voraussetzungen für die Gespräche nach diesem Abschluss wesentlich besser geworden. Diese Tarifrunde hat nicht nur zu vielen Neueintritten bei Ver.di geführt, sondern auch die Verhandlungsposition für die nun anstehenden Gespräche wesentlich verbessert.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 29. Jg., Januar 2014, S. 7
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2014