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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1930: "Die Bewegung kann nicht stoppen, nur weil SYRIZA an der Regierung ist"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2015
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Die Bewegung kann nicht stoppen, nur weil SYRIZA an der Regierung ist"

Marina Karastergiou über das Verhältnis der sozialen Bewegungen zur neuen Regierung

Interview der SoZ-Redaktion


Geht es nach dem Willen der Kapitalbesitzer und ihrer Freunde in der Politik soll Griechenland bis 2015 zum größten Goldproduzenten Europas werden. Im Dezember 2003 fädelte ein PASOK-Minister einen Deal ein: Er kaufte für 11 Mio. Euro die bestehenden Goldminen auf der Halbinsel Chalkidiki, südöstlich von Thessaloniki, und verkaufte sie am selben Tag zum selben Preis an Hellas Gold. An dem Konsortium sind der kanadische Goldförderer Eldorado Gold mit 95% und Griechenlands größtes Bau- und Engineering-Unternehmen Ellaktor SA mit 5% beteiligt - 2011 stufte die EU-Kommission den Deal als rechtswidrige staatliche Beihilfe ein.
Die Mine liegt in einer Region, die zu 90% aus Wald, teilsweise Primärwald, besteht. Neben den alten Kassandra-Minen soll in den umkämpften Wäldern von Skouries eine Tagebaumine von 700 Metern Durchmesser und 200 Metern Tiefe entstehen. Dagegen formiert sich massiver Widerstand. (Siehe auch SoZ 12/2013)
Ein Mitglied des Komitees gegen den Goldabbau, Marina Karastergiou aus Ierissos, Chalkidiki, berichtete darüber Mitte April auf der Klimakonferenz in Köln. Die SoZ sprach mit ihr über das Verhältnis der Bewegung zur neuen Regierung SYRIZA. Marina Karastergiou ist nicht Mitglied von SYRIZA und verortet sich politisch links davon.


Soz: Was bedeutet der Regierungswechsel für den Widerstand gegen den Goldabbau?

Karastergiou: Am Widerstand hat sich durch den Regierungsantritt von SYRIZA nichts geändert, vor wie nach haben wir Demonstrationen und Protestaktionen. Aber die Repression durch die Polizei ist nicht dieselbe. Die neue Regierung hat angeordnet, dass die Polizei nicht mehr drauflosschlagen und keine chemischen Keulen mehr einsetzen darf - Tränengas, Pfefferspray usw.

Wir haben jetzt aber ein neues Problem. SYRIZA führt eine linke Regierung. Sie steht uns nahe, aber unsere Kontrahenten auf der anderen Seite sind Arbeiter. Die Massenmedien titeln schon: "SYRIZA im Einsatz gegen die Arbeiter!" Eine linke Regierung müsste an der Seite der Arbeiter stehen... Aber man kann keine Arbeitsplätze verteidigen, die die Umwelt und unsere Gesundheit zerstören. Das Recht auf Arbeit steht nicht über dem Recht auf Leben.

Derzeit versuchen wir, zusammen mit SYRIZA die Lizenz von Hellas Gold zu prüfen, ob sie legal erworben wurde und ob mit den Investitionen alles ok ist. Wenn die Regierung aber zur Auffassung gelangt, dass die Mine Skouries, um die es hier geht, geschlossen werden muss, bekommt sie ein Problem, denn die EU wird sagen: Das ist eine einseitige Aktion, das widerspricht dem Abkommen vom Februar dieses Jahres.

SYRIZA muss zwei Dinge verbinden: die Partei an der Regierung und die kämpfende Partei. Wir kämpfen seit drei Jahren Seite an Seite mit Mitgliedern von SYRIZA. Jetzt ist aber eine neue SYRIZA dazugekommen. Wenn du an der Regierung bist, kannst du nicht nur für die Kämpfenden oder die Aktivisten da sein, du musst auch für die Arbeiter da sein, ich anerkenne das. Du musst ihnen etwas anbieten: Welche Arbeit könnten sie stattdessen machen? Im Tourismus? In der Landwirtschaft? Etwas anderes?

Die Aktivisten möchten, dass die Mine sofort geschlossen wird. Das wird SYRIZA aber nicht tun können. Unser Ministerpräsident Tsipras will uns helfen. Aber er muss sich dabei vorsichtig bewegen.


Soz: Gibt es die neue SYRIZA nur in Athen, oder auch auf Chalkidiki?

Karastergiou: Auf Chalkidiki ist SYRIZA dieselbe wie zuvor. Wir sehen ihre Mitglieder jeden Tag, sie kämpfen mit uns, sie arbeiten in unserem Komitee. Sie versuchen uns klar zu machen, dass wir korrekt vorgehen und Geduld haben müssen. Meiner Meinung nach - das ist meine persönliche Meinung, nicht die der Bewegung - wollen die Menschen auf Chalkidiki derzeit keine große Konfrontation mit den Arbeitern in der Mine oder mit der Polizei. Sie wollen einen Zwischenweg finden.

Aber die Bewegung ist gewohnt zu demonstrieren, Feste und Proteste zu organisieren. Wir können nicht gestoppt werden, nur weil SYRIZA jetzt an der Regierung ist und wir jetzt angeblich einem Minister helfen müssen... Wir haben ein Ziel und das müssen wir unbeirrt weiter verfolgen. Wir können auf die Probleme von SYRIZA keine Rücksicht nehmen, wir haben unsere eigenen Probleme, und diese Mine ist das größte Problem in unserer Region. Deshalb können wir nicht warten...

Vor zwei Wochen (Ende März) haben wir eine Großdemonstration in Thessaloniki mit 10.000 Teilnehmern organisiert - zusammen mit SYRIZA. Das war eine klare Botschaft. Jetzt planen wir, mit einer Großdemonstration nach Athen vor das Umweltministerium zu ziehen. Wir wollen ganz klar machen, dass wir weiterkämpfen und uns nicht aufhalten lassen.


Soz: Wäre es denn möglich, für die Zeit, in der ihr die Lizenz nachprüft, ein Moratorium zu verhängen?

Karastergiou: Ich weiß nicht, ob es diese Möglichkeit gibt. Die vorhergehende Regierung hat da sehr enge Gesetze verabschiedet. SYRIZA muss es versuchen, hat aber ein Problem: Wenn sie die Lizenz in Frage stellt, kann die Minengesellschaft vor Gericht ziehen und Schadenersatz fordern. Dann steht SYRIZA als diejenige da, die gegen das Gesetz verstößt.


Soz: Ist das ein griechisches oder ein ausländisches Gericht?

Karastergiou: Bislang ist es ein griechisches Gericht. Griechische Gerichte sind zum Teil korrupt. Die alte Regierung hat ihre Leute noch überall sitzen: in der Justiz, bei der Polizei. SYRIZA muss Bewegungen ins Leben rufen, die diese Ställe säubern. Derzeit hat SYRIZA die Justiz nicht unter Kontrolle. Sie ist an der Regierung, aber nicht an der Macht. Das hängt damit zusammen, dass von 1974 an bis heute immer nur die PASOK oder Nea Dimokratia an der Regierung waren. Und die haben tiefe Wurzeln in der Gesellschaft geschlagen.


Soz: Was denken die Arbeiter in der Goldmine über die Auseinandersetzung, wie verhalten sie sich in dem Konflikt?

Karastergiou: Nicht alle Arbeiter reagieren gleich. Es gibt die alte Mine in Stratoni. Die Arbeiter dort wollen keine Ausweitung des Goldabbaus. Aber sie können das nicht laut sagen, sie wollen in Rente gehen oder sie haben Angst um den Arbeitsplatz.

Aber in Skouries sind neue Arbeiter, sie verhalten sich wie eine Armee von Hellas Gold. Sie kümmern sich um nichts anderes als um ihre Arbeit. Gesundheit ist für sie nachrangig, erst kommt das Geld.


Soz: Sind das griechische Arbeiter oder Migranten?

Karastergiou: Es sind Griechen, die meisten kommen aus der Region, manche auch von weiter her, wissenschaftliches Personal zum Beispiel... Wir müssen auch gerecht sein: Es arbeiten da Leute aus den umliegenden Dörfern, die haben keine Chance, eine andere Arbeit zu finden. In den vergangenen dreißig Jahren ist nichts unternommen worden, um Arbeitsplätze in alternativen Entwicklungsprojekten für diejenigen Dörfer zu schaffen, die nicht am Meer liegen. Die Dörfer, die am Meer liegen, können Geld mit Tourismus verdienen. Die Dörfer im Inland können das nicht, sie sind auf die Mine angewiesen.

Wir versuchen jetzt, ein neues Projekt zu schaffen. Wir wollen Transportmöglichkeiten anbieten, die Touristen von der Küste ins Inland bringen. Wir müssen die Mentalität der Menschen verändern. Die meisten haben keine Wahlmöglichkeiten, wir müssen ihnen solche schaffen. Wenn wir nur auf Konfrontation zu ihnen gehen, hat dieser Kampf keine Zukunft.


Soz: Hat SYRIZA denn ein Projekt für die ökonomische Entwicklung von Chalkidiki?

Karastergiou: Ja, ich denke, dass es so etwas gibt. Wenn Arbeiter aus der Mine entlassen werden oder kündigen, finden sie neue Arbeit in Sanierungsprojekten oder in der Landwirtschaft. Aber bislang sind die Arbeiter nicht bereit, über solche Pläne zu reden. Sie sagen, sie wollen nicht im Hotel arbeiten, da verdienen sie nicht genug. Sie stehen auf dem Standpunkt, die Mine gehört zu ihnen, alles in ihren Dörfern dreht sich um sie. Jetzt gibt es einen Krieg. Sie bekämpfen uns und unterstützen die Unternehmensleitung, weil sie nicht glauben, dass es eine wirkliche Alternative gibt. Sie glauben SYRIZA nicht, sie glauben uns nicht, sie glauben Hellas Gold.


Soz: Gibt es eine Gewerkschaft in der Mine?

Karastergiou: Es gibt vier davon. Die größte organisiert etwa 650 Arbeiter von insgesamt um die 1400 Beschäftigten. Nur 800 Arbeiter etwa sind jedoch unmittelbar bei Hellas Gold beschäftigt. Die anderen arbeiten für Subunternehmen oder im Rahmen von EU-Programmen. Alle vier Gewerkschaften sind für den Weiterbetrieb der Mine. Wir haben auch betriebsinterne Informationen. Demnach sagen die Arbeiter: Wir sind gesund, es geht uns gut, Hellas Gold beschützt uns. Wenn ihnen etwas zustößt, geben sie der Bewegung gegen den Goldabbau die Schuld.

Hellas Gold versucht jetzt noch auf einem anderen Weg, den Weiterbetrieb der Mine zu sichern. Ein altes griechisches Gesetz sagt, dass der Staat keine Einnahmen aus dem Bergbaubetrieb haben darf. Das Unternehmen versucht nun, die finanzielle Notlage der Regierung auszunutzen und sie zu überzeugen, dass sie das Gesetz ändert.

Wir wissen, dass SYRIZA die Mine gern schließen würde und an unserer Seite kämpft. Aber wir müssen auch sehen, dass sie eine linke Regierung stellt. Und ich denke, SYRIZA muss sehr aufpassen, dass sie diese Regierung nicht wieder verliert. Die Bewegungen müssen ihre Anliegen weiter verfolgen, aber sie müssen auch darauf achten, dass SYRIZA weiter an der Regierung bleibt. Wenn wir wieder Samaras kriegen, haben wir gar keine Wahlmöglichkeiten mehr. Es geht nicht darum, dass wir nett zu SYRIZA sind, aber wir müssen aufpassen...


Soz: Steht die Bevölkerung hinter der Regierung?

Karastergiou: Die konservativen Medien machen eine fürchterliche Kampagne. Sie bringen jeden Tag große Schlagzeilen, wo sie zitieren, was in Deutschland wieder Abfälliges über Griechenland gesagt oder geschrieben wurde. Dann kommentieren sie: So sehr hassen uns, oder verachten uns die Deutschen. Aber wenn wir härter arbeiten und produktiver werden, dann bekommen wir Hilfe aus Deutschland. Deswegen sind die Maßnahmen der Regierung nicht gut...


Soz: Wie reagieren die Menschen darauf?

Karastergiou: Die große Mehrheit steht hinter der Regierung. Es gibt viel Verständnis für die Zwangslage, in der sich SYRIZA befindet. Trotz allem wollen die Menschen in der Mehrzahl keinen Grexit. Die Leute sehen, dass die neue Regierung anders mit ihnen umgeht. Die Stimmung ist eine ganz andere als früher.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 30. Jg., Mai 2015, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96, Telefax: 0221/923 11 97
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2015

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