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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2004: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (I)


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, Februar 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Revolution und Bürgerkrieg in Spanien (I)
Vom Ende der Monarchie zur Volksfront

Von Paul Michel


Große gesellschaftliche Transformationen in Europa sind immer ein europäischer Prozess. Daran zu erinnern lohnt sich vor allem in der heutigen Situation, wo es erneut massive gesellschaftliche Umbrüche in Europa gibt. In Spanien hat sich 1936-1939 das Schicksal Europas entschieden: Erst durch das Scheitern dieser Revolution wurde der Weg frei für den Zweiten Weltkrieg und die Vorherrschaft des Faschismus. Bis heute ist diese Zeit in Spanien nicht wirklich aufgearbeitet, es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens, der die Zerschlagung der Republik und die Franco-Diktatur ächtet.
Die SoZ beginnt mit der vorliegenden Ausgabe eine kleine Artikelserie zu Revolution und Bürgerkrieg in Spanien.


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Spanien eines der rückständigsten Länder in Europa. Eine altersschwache Monarchie herrschte über das Land, die wichtigsten Pfeiler ihrer Macht waren die Katholische Kirche und das von Aristokraten dominierte Offizierskorps. Die spanische Bourgeoisie, die bisweilen eine durchaus kritische Haltung gegenüber der Monarchie an den Tag legte, spielte nur eine untergeordnete Rolle. Leo Trotzki merkte dazu an:

"Als zu spät gekommen und vom ausländischen Kapital abhängig, hat sich die Industriebourgeoisie Spaniens wie ein Blutsauger in den Körper des spanischen Volkes verbissen. Sie ist absolut unfähig, eine Führungsposition im Volk einzunehmen, absolut unfähig auch nur für eine kurze Zeit eine Führerschaft der 'Nation' gegenüber der Kaste der alten Großgrundbesitzer einzunehmen."

Weil es ihr an Unterstützung von seiten der Besitzenden fehlte, suchte die Monarchie immer wieder die Unterstützung des Militärs. Im Jahr 1923 übernahm General Miguel Primo de Rivera die Macht und errichtete eine Militärdiktatur. Aber Primo de Rivera gelang es nicht, die anschwellenden sozialen Kräfte der Landarbeiter und des städtischen Proletariats unter Kontrolle zu bringen.

Mit der großen Weltwirtschaftskrise von 1929 stürzte auch Spanien in eine tiefe wirtschaftliche Krise. Die herrschenden Kreise waren der Auffassung, dass sie mit roher Gewalt allein die wachsende Wut in der Bevölkerung nicht in den Griff bekommen würden. 1930 wurde Primo de Rivera zum Rücktritt genötigt. König Alfons XIII. rief demokratische Wahlen aus und leitete damit den Übergang zur Zweiten Republik ein. Bei den Kommunalwahlen vom 12. April 1931 setzten sich mit überwältigender Mehrheit die republikanischen Parteien durch, woraufhin sich der König wenige Tage später zum Abdanken gezwungen sah und das Land verließ. Bei den Wahlen zum Parlament (den Cortes) am 28. Juni 1931 bekamen die republikanischen Kräfte eine deutliche Mehrheit.


Grenzen der Reformen

Die Hauptkräfte der republikanischen Regierung der Zweiten Republik unter der Führung von Manuel Azaña waren Parteien der unteren Mittelklassen, die in Opposition zur Monarchie standen, aber voll und ganz der Verteidigung des spanischen Kapitalismus verschrieben waren: die nationalistischen Parteien in Katalonien und im Baskenland und die sozialdemokratische PSOE; letztere war gespalten in einen großen rechten Flügel, der für eine schrittweise Reform des Kapitalismus eintrat, und in einen großen linken Flügel, der offen von der Notwendigkeit einer Revolution sprach. Abseits von der republikanischen Regierung gab es die mächtige anarchosyndikalistische CNT. Sie vertrat vehement die Notwendigkeit eines Umsturzes und sprach sich gegen jegliche Beteiligung an Wahlen aus.

Wichtige Aufgaben, die die neue Regierung angehen musste, waren die Trennung von Kirche und Staat (insbesondere die Brechung der kirchlichen Kontrolle über das Erziehungswesen), die Verringerung des Militärhaushalts und die Verkleinerung des aufgeblähten Offiziersapparats sowie eine Lösung für die Autonomieforderungen aus dem Baskenland und aus Katalonien. Das dringlichste Problem war aber eine Landreform. Die Landarbeiter forderten die Beschlagnahmung der großen Güter und die Umverteilung des Bodens. Die Regierung versprach zwar Reformen, zögerte aber deren Umsetzung hinaus.

Die Arbeiter, die gerade die diktatorische Regierung Primo de Rivera aus dem Amt gejagt hatten, verlangten deutliche Lohnerhöhungen, Arbeitslosenunterstützung und eine Entfernung der alten Manager aus ihren Ämtern. Angesichts der Forderungen der Industrie- und Landarbeiter auf der einen und der heftigen Gegenwehr der Bourgeoisie auf der anderen Seite verlief die republikanische Regierung in einen Zustand der Lähmung.


Die Krise der Zweiten Republik

Weil Landarbeiter und Industriearbeiter mit dem schleppenden Verlauf der Reformen nicht einverstanden waren, kam es zu zahlreichen Streiks. In diesen Konflikten entschied sich die Koalition aus Republikanern und PSOE für die alten Eliten und gegen die Arbeiterbewegung. Häufig gingen Guardia Civil und Militär brutal gegen die Arbeiter vor. Im Januar 1933 erhoben sich die Anarchisten in der kleinen Ortschaft Casas Viejas, besetzten das Land und riefen die freie libertäre Gesellschaft aus. Die Regierung befahl dem Militär sofort, die Ordnung wiederherzustellen. Bei den Kämpfen tötete das Militär zwölf Menschen, einige verbrannte es bei lebendigem Leibe. Bilder des Massakers an den Landarbeitern, die lediglich mit Beilen und Sensen bewaffnet von Soldaten mit Gewehren und Kanonen niedergemacht wurden, empörten die Öffentlichkeit und trugen maßgeblich zum Ende der Regierung Azaña bei.

Die Aufstände forderten von den Anarchisten einen hohen Blutzoll. Tausende von Gewerkschaftsaktivisten wurden verhaftet und die Welle der Aufstände beendet. So waren die Anarchisten auf dem Rückzug, während die PSOE wegen ihrer Rolle in der republikanischen Regierung völlig diskreditiert war. Weil es keine Alternative auf der Linken gab, konnte die Rechte Oberhand gewinnen. Die Regierung Azaña kam politisch immer mehr in Bedrängnis und trat schließlich zurück. Bei den Wahlen vom 19. November 1933 erzielte die Rechte einen überwältigenden Sieg und leitete damit das "Bienio Negro", die zwei schwarzen Jahre ein.


Reaktion und Revolte

Die neue Regierung war eine Minderheitsregierung unter Führung von Alejandro Lerroux von der Radikal-Republikanischen Partei (PRR). Sie hielt sich dank der Tolerierung durch die stärkste Fraktion in den Cortes, die CEDA, einem Zusammenschluss von Industriellen, Monarchisten und Bewunderern von Hitler und Dollfuss unter der Führung von José Maria Gil Robles. Sie ging sofort daran, alle von ihrer Vorgängerin erlassenen fortschrittlichen Gesetze wieder rückgängig zu machen. Das Kapital, durch die politische Entwicklung ermutigt, wollte Lohnsenkungen durchsetzen. Streiks und Gegenaktionen waren die Folge.

Unter dem Eindruck des Versagens der deutschen Sozialdemokratie im Kampf gegen die Nazis und infolge des entschlossenen Widerstands der österreichischen Arbeiter im Aufstand von 1934 gegen Dollfuss, kam es innerhalb der PSOE und der mit ihr eng verbundenen Gewerkschaft UGT zu einer Radikalisierung. Die Basis übte auf ihre Führung Druck aus, eine mögliche Machtübernahme durch Gil Robles mit allen Mitteln zu verhindern. Selbst gemäßigte PSOE-Führer erklärten im Parlament, dass sie jeden Versuch, ein faschistisches Regime zu installieren, mit einer bewaffneten Revolution beantworten würden. Es erging ein Aufruf zur Bildung einer breiten gemeinsamen Front der Arbeiterorganisationen UGT und CNT (die Alianza Obrera), um dem Vordringen der Rechten Einhalt zu gebieten.

Ende September 1934 meinte Robles, die Lage sei nun günstig für den Griff zur Macht. Er verlangte, an der Regierung von Lerroux beteiligt zu werden. Drei Vertreter der CEDA zogen in das neue Kabinett ein. Die Führung der PSOE war jetzt zum Handeln gezwungen. Am 4.Oktober riefen die Alianza Obrera und die UGT zu einem landesweiten Generalstreik auf. In den meisten Teilen des Landes erwies sich der Aufruf als tragischer Fehlschlag, die PSOE hatte nur wenig für dessen praktische Organisation getan. Zweimal wurde der Streik verschoben in der Hoffnung, in der Zwischenzeit eine Einigung mit Lerroux über den Rückzug der CEDA aus der Regierung erreichen zu können. Als die UGT schließlich zum Streik aufrief, erfolgte das sehr kurzfristig und wurde von der Regierung sofort mit der Ausrufung des Kriegszustands beantwortet, Hunderte von Organisatoren wurden verhaftet.


Die Bergarbeiter in Asturien

Nur in den Bergbauzentren von Asturien hatte der Streik eine revolutionäre Dimension. Dort hatten sich UGT und CNT unter dem Druck der Basis zur Alianza Obrera zusammengeschlossen. In der Nacht zum 4. Oktober 1934 läuteten Sirenen den Beginn des Streiks ein. Gemeinsame Milizen der UGT und CNT griffen die Baracken der Guardia Civil an und entwaffneten sie. Bergleute marschierten auf die Hauptstadt Oviedo zu und befreiten die an der Wegstrecke liegenden Städte. Als sie die Kontrolle über die Städte hatten, verteilten sie das Land an die Bauern und nahmen die Bergwerke und Fabriken unter ihre Kontrolle. Schließlich nahm eine bewaffnete Kolonne von 8000 Bergleuten die Hauptstadt Oviedo ein. 15 Tage hielten die Bergleute den nun folgenden Angriffen der Armee und der Fremdenlegion unter dem Kommando von General Franco stand. Dem anschließenden Massaker fielen 3000 Menschen zum Opfer, Tausende kamen ins Gefängnis.

Aber auch für Lerrouxs Rechtskoalition war die Rebellion von Asturien der Anfang vom Ende. Im bürgerlichen Spektrum wurde das brutale Vorgehen Francos scharf verurteilt. Auch innerhalb der CEDA kam es zu Streit über die Härte der Vergeltungsmaßnahmen. Korruptionsskandale taten ein übriges, sodass sich die Rechte im Laufe des Jahres 1935 vollkommen diskreditierte. Im Januar 1936 löste Staatspräsident Zamora die Cortes auf und schrieb Neuwahlen aus. In der Zwischenzeit war die Kampfbereitschaft der Arbeiter und Bauern wieder gestiegen und mit ihr der Ruf nach Einheit. Im Januar 1936 bildete sich eine Volksfront aus der Republikanischen Linken mit verschiedenen Arbeiterparteien als Wahlbündnis. Die Anarchisten waren daran nicht beteiligt. Aber zum ersten Mal in der Geschichte riefen sie ihre Anhängerschaft nicht zum Wahlboykott auf.

Bei den Wahlen vom 16. Februar 1936 erzielte die Linke einen durchschlagenden Erfolg, allerdings eher nach Mandaten als nach Stimmen. Die rechte "Nationale Front" erhielt 3,8 Mio. Stimmen und 132 Mandate, die linke "Volksfront" 4,3 Mio. Stimmen und 267 Mandate.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 31. Jg., Februar 2016, S. 21
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2016

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