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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2071: Frankreich - Das Ringen um das Arbeitsgesetz geht in die nächste Runde


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9 September 2016
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Frankreich
Das Ringen um das Arbeitsgesetz geht in die nächste Runde

Von Bernard Schmid


Es ist der vorläufig letzte Akt im Ringen um das "Arbeitsgesetz": Staatspräsident François Hollande hat den Text nun unterzeichnet, und er wurde am 8. August im Amtsblatt der Französischen Republik veröffentlicht.


Das französische Verfassungsgericht war nach der Verabschiedung des Gesetzestexts im Parlament am 21. Juli von zwei Seiten angerufen worden. Die als "Les Sages" ("Weise") bezeichneten Verfassungsrichter wurden sowohl von der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechtsopposition - in Gestalt der beiden Parteien LR (Les Républicains, früher UMP) und UDI - als auch von 61 Abgeordneten aus der parlamentarischen Linken (die PCF, ein Teil der Grünen, eine Minderheit der sozialdemokratischen PS) eingeschaltet.

Die Verfassungsbeschwerde der Letztgenannten richtet sich gegen einige inhaltliche Punkte des Gesetzestextes, aber auch gegen das Verfahren, das die Regierung bei der Verabschiedung des Gesetzes gewählt hatte. Dabei hat die Regierung dreimal (am 10. Mai, am 5. Juli und am 19. Juli) den Artikel 49 Absatz 3 der französischen Verfassung herangezogen. Dieser Artikel erlaubt es, jegliche Aussprache in der Sache zu beenden und dadurch das parlamentarische Beratungsrecht auszuhebeln, wenn die Regierung die Vertrauensfrage stellt. In letzterem Falle haben die Abgeordneten dann nur noch die Wahl, das Kabinett durch ein Misstrauensvotum zu stürzen oder aber den Gesetzentwurf als verabschiedet zu betrachten. Auf diese Weise, durch den Rückgriff auf den in Frankreich inzwischen berühmten, ja sprichwörtlichen "Art. 49 Abs. 3" in allen drei Lesungen der französischen Nationalversammlung, war die Sachdebatte im "Unterhaus" definitiv verhindert worden.


Die Konservativen bekommen Recht

Während das Verfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde der parlamentarischen Linke nicht stattgab, gab es der konservativ-wirtschaftsliberalen Opposition in seiner Entscheidung vom 4. August in zwei Unterpunkten Recht.

Die Konservativen hatten eine "Einschränkung der unternehmerischen Freiheit" kritisiert, die nach ihrer Lesart nicht verfassungskonform sei. Zum einen ging es dabei um eine Bestimmung, die in Franchising-Ketten (etwa in Fastfoodrestaurants) die Schaffung einer "Instanz für den sozialen Dialog" vorsieht. Diese Instanz hat keinen größeren Einfluss auf irgendwelche Entscheidungen, ist jedoch dazu da, dass die Arbeitgeber bei sozialen Spannungen über Ansprechpartner verfügen oder, so sie denn wollen, über soziale Fragen diskutieren können. Das Verfassungsgericht betrachtet nicht ihre pure Existenz als verfassungswidrig, beanstandete jedoch, dass in der bisherigen Fassung des neuen Gesetzes allein die Franchisingnehmer (also die konkreten Arbeit"geber", etwa Restaurantpächter) für die Finanzierung hätten aufkommen müssen. Weder die Franchisinggeber (also die Eigentümer eines Markennamens bei einer Kette) noch Gewerkschaften oder sonst jemand wären an den Kosten beteiligt. Dies sei, so das Verfassungsgericht, ein unzulässiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit der Franchisingnehmer.


Nichts gegen Rache

Für verfassungswidrig hielten die neun Mitglieder des Verfassungsgerichts auch eine Bestimmung, die im Falle der Räumung eines Gewerkschaftslokals durch eine Kommune oder Gebietskörperschaft - die ihr Eigentümer ist - Letzteren eine Schadenersatzpflicht aufbürdet. Die Schadenersatzpflicht greift dann, wenn die Gewerkschaft die Räumlichkeit bereits seit über fünf Jahren nutzt und die Kommune oder Gebietskörperschaft ihr diese wieder entzieht. Diese Unterbestimmung im künftigen "Arbeitsgesetz" sollte Konflikte beruhigen, die vor allem seit den letzten landesweiten Kommunalwahlen im März 2014 entstanden waren. Wegen des starken Rückgangs der Sozialdemokratie waren damals viele bis dahin "links" regierte Kommunen (auch viele frühere PCF-Rathäuser) erstmals seit langem an die bürgerliche Rechte gefallen.

In einigen Städten - unter anderem in Bobigny, der Bezirkshauptstadt des Départements Seine-Saint-Denis, das die gesamte nördliche Pariser Banlieue umfasst - hatten daraufhin rechte Rathausführungen ihren sozialen Revanchegelüsten freien Lauf gelassen und die Gewerkschaften aus ihren langjährig genutzten Räumen geworfen. (In Bobigny musste das UDI-geführte Rathaus diesen Beschluss nach massiven Protesten und einer ziemlich gestörten Stadtratssitzung inzwischen wieder zurücknehmen!)

Das Verfassungsgericht beanstandete die neue Regelung, die zwar keine Rückerstattung der Räume, jedoch einen finanziellen Schadenersatz für die solcherart abgestraften Gewerkschaften vorsieht, nicht generell. Es erklärte jedoch die rückwirkende Geltung dieses Passus für verfassungswidrig; in der Zukunft darf er gelten.

Ansonsten kassierte das Verfassungsgericht noch drei mehr oder minder unbedeutende Bestimmungen aus formalen Gründen.

Alle Mitglieder des französischen Verfassungsgerichts werden durch führende Staatsorgane ernannt: drei Mitglieder durch den amtierenden Staatspräsidenten, drei durch den Präsidenten der Nationalversammlung und die drei übrigen durch den Präsidenten des Senats, also des parlamentarischen "Oberhauses". Den Vorsitzenden ernennt wiederum der Staatspräsident. Der derzeitige Vorsitzende des Verfassungsgerichts wurde in diesem Jahr von François Hollande ernannt, es handelt sich um seinen früheren Außenminister Laurent Fabius. Letzterer bekleidet sein neues Amt seit dem 8. März dieses Jahres. Dem Verfassungsgericht gehören ansonsten u.a. der sozialdemokratische Premierminister der Jahre 1997-2002, Lionel Jospin, sowie der vormalige sozialdemokratische Minister Michel Charasse an.


Kein Ende der Proteste

Die Proteste gegen das Gesetz geben unterdessen nicht (oder jedenfalls nicht in allen ihren Teilen) klein bei. Statt der Verhinderung fordern sie nun die Rücknahme des neuen Gesetzes. Solche Fälle hat es in der Vergangenheit bereits gegeben: Am 31. März 2006 wurde das Gesetz über den Contrat première embauche (CPE - "Ersteinstellungsvertrag") verkündet, es sah die faktische Aushebelung des Kündigungsschutzes für unter 26jährige bzw. unter 30jährige Lohnabhängige vor. Unter dem Druck massiver Proteste musste Staatspräsident Jacques Chirac diese Bestimmung jedoch am 10. April 2006 zurücknehmen. Allerdings war der soziale Druck damals zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes sowohl quantitativ als auch qualitativ stark und nicht (durch eine Sommerpause oder sonstige Faktoren bedingt) erheblich zurückgegangen.

Diesmal sieht es in dieser Hinsicht doch anders aus. Am kommenden 15. September wird ein neuer (der 14.!) gewerkschaftlicher "Aktionstag" mit Demonstrationen gegen das neue Gesetz stattfinden.

Auch die Platzbesetzerbewegung Nuit debout will in Paris ab dem 31. August wieder mit (offiziell angemeldeten) Platzkundgebungen loslegen. Ob dies dann noch Erfolg haben wird, gilt es abzuwarten. Auch während der Sommerpause ist ein Teil des "harten Kerns" aktiv geblieben, u.a. auch mit unangemeldeten Versammlungen, jedoch auf zahlenmäßig niedrigem Niveau.

Am 4. August traf ein Marsch von Protestierenden, die Teile Frankreichs zu Fuß durchquert hatten, um über die Dörfer zu ziehen, in Paris in der Nähe des Eifelturms ein. Dabei wurden sie von einer kleinen Demonstration empfangen, an der 75-100 Menschen teilnahmen. In Südfrankreich sah es ein bisschen besser aus: In den letzten Julitagen veranstaltete Nuit debout in Lyon ein größeres Fest in einem Park, und in der vorletzten Augustwoche fanden in ganz Südfrankreich, von Carcassonne im Westen über Nîmes bis nach Marseille, öffentliche Aktivitäten statt. Nach neuesten Zählungen haben insgesamt in rund 230 französischen Städten und Gemeinden mindestens einmal Versammlungen/Kundgebungen im Zusammenhang mit Nuit debout stattgefunden. Viele dieser Initiativen, nicht alle, sind aber mittlerweile eingeschlafen.

Inhaltlich bleibt der Kampf gegen das "Arbeitsgesetz", das den Auslöser all dieser unterschiedlichen Proteste bildete, natürlich nach wie vor aktuell, notwendig und legitim. Auch in einzelnen Unternehmen ist in diesem Zusammenhang in naher Zukunft mit Konflikten zu rechnen, etwa im Automobil- oder vielleicht auch im Gesundheitssektor (insbesondere wenn es jeweils um eine Ausdehnung der Arbeitszeiten gehen wird).

Um Anwendung zu finden, müssen die Regeln des neuen "Arbeitsgesetzes" in der Mehrzahl der Fälle in unternehmensbezogene Kollektivverträge (die etwa den Haustarifverträgen in Deutschland entsprechen) übernommen werden. Doch der politische Preis für jene Minderheitsgewerkschaft (und dazu wird oft die CFDT zählen), die ihre Unterschrift unter eine solche Vereinbarungen setzt, ist nunmehr stark gestiegen, jedenfalls vielerorts.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 9, 31. Jg., September 2016, S. 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2016

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