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VORWÄRTS/675: Ladenöffnungszeiten - Arbeiten rund um die Uhr?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34/2010 vom 10. September 2010

INLAND
Arbeiten rund um die Uhr?


sit. Seit Jahren wollen die Bürgerlichen die Ladenöffnungszeiten liberalisieren. Gewerkschaften und Linke antworten mit einem konsequenten Nein und werden dabei immer häufiger und von immer mehr Menschen als "Ewiggestrige" abgestempelt. Es ist nötig, die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge aufzuzeigen.


Mitte Juli hat das Bundesgericht entschieden, dass das nächtliche Einkaufen in Tankstellenshops gesetzeswidrig ist. Fünf Wochen später hat die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats beschlossen, nächtliche Einkäufe an Tankstellenshops zu erlauben. Bundesgericht hin oder her.

Die bürgerlichen Parteien sprachen sich am 30. August geschlossen für die parlamentarische Initiative von FDP-Nationalrat Christian Lüscher aus, die eine entsprechende Änderung des Arbeitsgesetzes verlangt. Bereits in der Wintersession sollen die Räte darüber entscheiden.


Berlusconi als Vorbild

In Basel Stadt wird der Grosse Rat kurz nach Redaktionsschluss dieser vorwärts-Ausgabe entscheiden, ob die Ladenöffnungszeiten liberalisiert werden sollen. Das gleiche Vorhaben wurde im Jahr 2002 mit einem Nein-Anteil von über 52 Prozent abgelehnt. Gegen den erneuten Versuch hat die Gewerkschaft Unia eine Petition mit über 3.000 Unterschriften eingereicht. Ähnliches Bild im Kanton St. Gallen. Hier wird am 26. September an der Urne darüber abgestimmt, ob die Ladenöffnungszeiten von Montag bis Freitag von 6 bis 20 Uhr erweitert werden sollen. Ein Versuch, der bereits im 1996 und im 2003 am Volks-Nein gescheitert ist. Ein breites Komitee von Gewerkschaften, linken Parteien und Organisationen will die Liberalisierung ein drittes Mal verhindern.

Seit 1996 hat die Stimmbevölkerung bei 22 von 32 kantonalen und kommunalen Volksabstimmungen eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten abgelehnt. In den letzten fünf Jahren gab es bei 88 Prozent der Abstimmungen ein Nein. Die Gleichgültigkeit und Arroganz, mit der sich die Bürgerlichen über Bundesgerichtentscheide und dem Volkswillen hinwegsetzen, ist bedenklich. Es erinnert stark an die Praktiken von Silvio Berlusconi in Italien: Passt ihm etwas nicht, oder hat sich ein Gericht gegen ihn ausgesprochen, befiehlt Berlusconi seiner Mehrheit im Parlament ein Gesetzt zu erlassen, das die Sache in seinem Interesse zu Recht biegt.


Wer bestimmt über die Zeit?

Gewerkschaften und Linke antworten mit einem konsequenten und kompromisslosen Nein. Sie argumentieren dabei mit den Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und somit der Lebensbedingungen des Verkaufspersonals. Das ist wichtig und richtig! Fakt ist aber auch, dass vor allem in urbanen Gebieten immer mehr Menschen das Einkaufen rund um die Uhr als Steigerung der Lebensqualität und somit als Bedürfnis empfinden. Das diesbezüglich konsequente Nein der Linken wird zunehmend als Antwort der "Ewiggestrigen" abgestempelt. Was tun? Aufzeigen, das es um mehr als "nur" längere Öffnungszeiten geht.

Treibende Kraft dieser Liberalisierungsversuche ist das Streben nach einem immer grösseren Mehrwert. Man kann es auch Gier der Abzocker nennen, oder das Durchsetzen der neoliberalen Ideologie. Dazu wollen die bürgerlichen Parteien als Erstes die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. SP-Nationalrat André Daguet hielt an der Medienkonferenz der Gewerkschaft Unia von Ende August fest: "Immer neue Ausnahmen (...) machen aus der Ausnahme Schritt für Schritt eine allgemeine Regelung. Diese schrittweise Durchlöcherung (...) ist ein Angriff auf die soziale Regulierung der Arbeitszeit und damit auf das Arbeitsrecht".

Zweitens geht es um die Vorherrschaft in der Frage, wer über die Zeit ArbeiterInnen bestimmt. Diese Tatsache hat Vania Alieva, Zentralsekretärin der Gewerkschaft Unia, bestens auf den Punkt gebracht. Sie bezeichnete an der Medienkonferenz die Deregulierungsversuche der Arbeitgeber als "ein inakzeptabler Angriff auf eine wichtige Freiheit - die Freiheit, nicht zu müssen."


Gesetze für wen?

Das Durchsetzen der neoliberalen Ideologie führt direkt zum Sozialabbau für alle ArbeitnehmerInnen und somit zur Frage, in was für eine Gesellschaft wir leben wollen. In einer, die von den Abzockern bestimmt wird? Die gesellschaftspolitische Diskussion ist von zentraler Bedeutung, um den neoliberalen Angriff der Bürgerlichen zu stoppen. Gleichzeitig eröffnet sie Perspektiven, die über ein kompromissloses Nein hinausgehen. Längere Ladenöffnungszeiten können auch für Linke ein Thema sein. Zwar dann, und nur dann (!), wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Sinne des Verkaufspersonals geregelt sind. Und nicht um die Profitgeilheit der Bürgerlichen zu befriedigen.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34/2010 - 66. Jahrgang - 10. September 2010, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2010